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Morgenrot

von

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Morgenrot

Die ersten Strahlen der Sonne drangen durch die Fensteröffnungen und malten die kunstvollen Ornamente, mit denen die spitz zulaufenden Bögen ausgeschmückt waren, auf den Fußboden. Sie stahlen sich zwischen die zarten Vorhänge des Bettes, die die Schlafenden vor den Insekten schützen sollten, und kitzelten an der Nase des jungen Mannes, der in den Kissen ruhte.

Seine Nase zuckte mehrmals, sein Mund öffnete sich und entließ ein Niesen, das ihn aus dem Schlaf holte. Er setzte sich im Bett auf, strich sich ein paar braune Haare aus dem Gesicht und sah sich, noch etwas desorientiert, in dem Raum um.

Auf einem zierlichen Mahagoniholztisch stand eine Vase aus hellblauem Glas, in der bunte Wiesenblumen steckten. Er hatte sie gestern Nachmittag zusammen mit seiner Frau bei einem Spaziergang gesammelt. Der Arzt hatte ihr viel Bewegung an der frischen Luft verordnet. An jenen Tag vor zwei Monaten, an dem er in den Speisesaal des Schlosses gestürmt war, um seinen Freunden die frohe Botschaft mitzuteilen, erinnerte er sich sehr gern. In dieser dunklen Zeit, in der sie lebten, war das Versprechen neuen Lebens wie ein Hoffnungsschimmer.

Sein Kopf wandte sich zur Seite. Sie lag neben ihm, noch in tiefem Schlummer und ein Lächeln auf den Lippen. Die langen, hellblonden Haare umgaben sie wie ein Schleier. Durch die Bettdecke zeichnete sich ihr Körper ab. Noch wies ihr Bauch keine Wölbung auf, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis man ihren Zustand auch äußerlich sehen würde. Mit den Fingerspitzen fuhr er die Konturen ihres Gesichts nach, ganz vorsichtig, damit sie nicht wach wurde. Sie seufzte wohlig und drehte sich im Schlaf zu ihm um, um mehr von seinen Zärtlichkeiten zu bekommen.

Draußen war der Stoß eines Horns zu hören und überzog sein Gesicht mit Trauer. Er wollte sie nicht allein lassen, gerade jetzt nicht. Eine Wahl aber hatte er nicht. Er hatte eine Pflicht zu erfüllen, seiner Heimat gegenüber und sich selbst. Langsam schob er sich an den Rand des Bettes, stand auf und schlich auf bloßen Füßen in das kleine Nebenzimmer, wo er gestern Abend seine Sachen bereitgelegt hatte. Das Wams kam ihm heute eng und für die brütende Hitze, die seit Tagen über dem Land lag, viel zu warm vor, dennoch konnte er nicht darauf verzichten, genauso wie auf seine Rüstung. Es wäre tödlicher Leichtsinn und gerade jetzt gedachte er nicht, das Schicksal auf die Probe zu stellen. Brustpanzer, Arm- und Beinschienen folgten. Zuletzt gürtete er sich das Schwert um und hängte Bogen und Köcher über seine Schulter.

Zum zweiten Mal ertönte das Hornsignal. Es rief die Krieger zusammen, die überall in der Stadt untergebracht waren. Er ging in das Schlafgemach zurück, trat an das Bett und betrachtete seine Frau zärtlich. In ihr Gesicht hatte sich eine Haarsträhne verirrt, die er sanft zur Seite strich, bevor er sich über sie beugte und mit den Lippen ihre Stirn berührte.

„Ich komme zurück, versprochen“, flüsterte er, wandte sich ab und verließ ihr Quartier.

Die Morgensonne schien ins Zimmer. Ihr Licht brach sich an einem roten Weinpokal aus Kristall, aus dem das Paar gestern getrunken hatte, und färbte das Laken, wo der junge Krieger vor kurzem noch geschlafen hatte, mit der Farbe von Blut.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  trinithy
2010-08-25T09:35:46+00:00 25.08.2010 11:35
Wie unheimlich das Ende..
so böse verheißungsvoll!

Aber wirklich schön stimmungsvoll geschrieben, das gefällt mir!




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