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Hunger

„Keks?“, fragt die Frau im Spiegel. Mia schüttelt nur den Kopf und starrt aus dem Fenster. Sie hat jetzt keinen Hunger und wenn sie ehrlich ist, dann fühlt es sich so an, als könne sie nie wieder etwas essen.

Sie hat sich schon lange nicht mehr so schlecht gefühlt, mindestens seit einem Jahr nicht mehr. Vielleicht sind es auch zwei; spontan fällt ihr nur der Samstagabend mit Mark Imhoff vor mehr als sechszehn Monaten ein. Jahrelang hatte sie darauf gewartet, dass er sie vielleicht ansprechen, einladen würde, und als dann die Abifete des 09-Jahrgangs bevorgestanden hatte, war sie sich sicher gewesen, dass er es endlich tun würde. Schließlich kannten sie sich schon seit dem Kindergarten und waren immer in dieselbe Klasse gegangen; außerdem kam seine Familie jeden Sonntag zum Kaffee vorbei. Sie hatte auch immer diese Verbindung zwischen ihnen gespürt, dieses besondere Etwas, das ihr Herz schneller schlagen ließ. Jedes Mal, wenn sie einen seiner Blicke auffing, wurde sie rot und musste unwillkürlich lächeln und jedes Mal freute sie sich über seine Zuwendung.

Also wartete Mia darauf, dass Mark sie fragen würde, und zwei Tage vor der Feier war es so weit gewesen: Er fragte.

Luisa Schmidt.

Mark hatte Luisa gefragt.

Und in Mia war etwas zerbrochen, etwas Großes, aus dem bei Nacht verkrampft Tränen flossen. Damals hatte sie sich vor den Spiegel gestellt und sich gefragt, warum Mark sich für Luisa entschieden hatte. Sicher, auch sie hatte Luisa gemocht, alle mochten Luisa, gerade die Jungen, Luisa mit ihren langen, dünnen Beinen, dem flachen Bauch, dem süßen Busen und dem ansteckenden, weißen Lachen. Luisa mit ihren lockigen, dunklen Haaren, der weichen Haut und den braunen Augen. Luisa mit ihren dummen Miniröcken und billigen Ausschnitten, den hohen Schuhen und grellen Farben.

Danach hatte Mia Luisa nicht mehr gemocht; was war das überhaupt für ein Name? Luisa, Luisa, Luisa, Luisa – je öfter sie ihn wiederholt hatte, desto dümmer hatte er geklungen.

Dann war sie lange nicht mehr so niedergeschlagen gewesen; sicher, die Fünf in Englisch, die ihr nicht nur eine Standpauke ihrer Lehrerin, sondern auch ein heftiges Gespräch mit ihren Eltern beschert hatte, war nicht weit davon entfernt gewesen. Aber das lag weniger an der Note, als an ihrem Vater, dem nach Jahren der Mittelmäßigkeit mit einem Mal der Kragen geplatzt war und der ihr erklärt hatte, dass sich nur zwei Sorten von Menschen schlechte Noten leisten konnten: Besonders Schöne und Genies. Er hatte auch keinen Hehl daraus gemacht, dass sie zu keiner dieser Gruppen gehörte.

Aber darüber war sie hinweg gekommen. Im Nachhinein muss sie sich sogar bei ihm bedanken, denn seine Ehrlichkeit hatte ihr die Augen geöffnet. Es waren kleine Misserfolge gekommen, Zurückweisungen, die sie aber durchaus verstand; sie hat eingesehen, dass sie mit aller Anstrengung zwar oberes Mittelmaß sein konnte, der Schritt darüber hinaus ihr aber verwehrt bleiben würde. Deswegen hat sie zwar manches Mal geschluckt, aber immer die Fassung bewahrt.

Bis heute.

Als sie in der Küche saß, mit Mama, Papa, Lutz und den Imhoffs. Am Kuchentisch. Als sie sich ein Stück Bienenstich auftun wollte und ihre Mutter ihre Hand genommen hat.

„Mia, Schätzchen, hast du denn sicher noch Hunger?“

Mia hat zurückgelächelt, ein wenig irritiert, genickt und bejaht. Doch Mama hat ihre Hand nicht losgelassen; alle haben sie angeschaut.

„Nun ja, Süße, ich will ja nichts sagen, aber du hattest ja schon eins. Und in letzter Zeit sieht man dir an, wie gerne du naschst...“

Papa hat sich geräuspert, Jürgen sich schnell die Kuchengabel in den Mund geschoben. Und Mark...

Mark hat gelacht. Und Mia hat nur diese große Leere gespürt, dieses Gefühl, zu fallen, während sie sich zurück in den Stuhl sinken ließ. Und das macht sie jetzt wieder, während sie nicht sicher weiß, was dieses Gefühl in ihrem Inneren ist.

Dann versteht sie es; sie hat Hunger. Sie hat immer Hunger.

„Keks?“, fragt die Frau im Spiegel und dieses Mal greift Mia mit beiden Händen in die Packung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Veroko
2010-11-03T20:37:25+00:00 03.11.2010 21:37
Keks? *hinschieb*

Wieder so tiefschürfend. Allerdings fehlen diesmal die Überraschungen.
Wenn ich das so lese sind das alles so typische Teenager-Probleme, über die man später nur noch lächeln kann. Natürlich, die Mutter ist schon fies und wie ich mich kenne, wäre ich an die Decke gegangen, aber mir kommt die Geschichte ein bisschen überzogen vor.

Was ich allerdings gut fand beim Lesen, sind der Aufbau und Stil, die wieder dein schriftstellerisches Können beweisen. Vor allem so Stilmittel wie
Er fragte.
Luisa Schmidt.
Mark hatte Luisa gefragt.

finde ich gelungen.

Also insgesamt ist die Geschichte sehr gut geschrieben und es ist angenehm, sie zu lesen. Dafür ist der Inhalt nicht besonders spannend, was der Geschichte aber keine schlechte Note gibt.

Meine Geschichte hätte wahrscheinlich das Ende:
Sie hatte immer Hunger. Und blutrünstig zog sie los und biss dem ersten Menschen in den Hals
(etwas plump ausgedrückt)

Liebe Schreibziehergrüße
Laurel
Von: abgemeldet
2010-09-20T14:43:18+00:00 20.09.2010 16:43
Hallo,
Ich muss gestehen, dass ich dieses Schlagwort hauptsächlich gepostet habe, weil ich neugierig war, was sich daraus sinnvolles machen lässt, wie das Ergebnis dieses Experimentes wohl aussehen könnte.
Ich fürchte, ich für meinen Teil hätte irgendwann entnervt aufgegeben und eine Sesamstraßenfanfiction verfasst. xD

Dieses Kapitel ist handwerklich hervorragend, alle Charaktere werden ausreichend angerissen, die Formulierungen stimmen, die Metaphern, ein Grundgedanke ist vorhanden, für die vergleichsweise geringe Textmenge auch genug wörtliche Rede.
Aber es liest sich so... emotionslos. Gut, es passt dazu, dass Mia nicht recht weiß, was sie denken soll, was sie nun fühlen soll - außer ihre Abneigung Luisa gegenüber.

Vielleicht denke ich aber auch nur so, weil die Pointe mir nicht gefällt - nicht aus schriftstellerischen Gründen, da stimmt alles mit der Geschichte.
Ich mag dein Kapitel einfach nicht, und das stört mich vor allem deswegen, weil ich dir leider nicht mal genau sagen kann, was genau ich nicht leiden kann. Tut mir leid.

Eventuell ist es einfach nur meine derzeitige Abneigung gegen miese Laune, besonders wenn ich mies gelaunt bin.
Dann will ich mal schauen, ob es deinen anderen Charakteren besser ergeht!

Liebe Schreibziehergrüße
Polaris


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