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Inspector Black und das Mysterium des toten Zwillings

Eine KuroFye-FF (Kap.10 lädt)
von

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Hör auf deinen Körper

Disclaimer: Alle Charaktere sind Bestandteil des CLAMPversums und gehören nicht mir, ebenso wenig wie die Songtexte oder Zitate, die ich verwende. Ich will kein Geld machen, ich will nur unterhalten.

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Oh boy, you wake me and shake me

I'll break the bullet in my hand

I attack, but you fight back

The redder the love, the better

You make it all ache

I'm breathing, I'm breathing life again

Ingrid Michaelson, „Palm of Your Hand“
 

… Und so kam es, dass Fye de Fluorite an einem Mittwoch Abend mit nichts weiter als einer Reisetasche (die er, als hätte er's geahnt, ihm Hotel gar nicht erst richtig ausgepackt hatte) in die spartanisch eingerichtete Wohnung von Kurogane einzog. Auf unbestimmte Zeit.

Der Blonde verlor kein Wort über den Platzmangel, die Risse in der Decke oder das hässliche durchgesessene Sofa in der Stube. Stattdessen sagte er nur: „Wow, Kuro-chan, du bist aber ordentlich. Erwartet man gar nicht bei einem Junggesellen.“

Kurogane erwiderte nichts, er war sich nicht sicher, ob sich der Kleinere über ihn lustig machte. Gemessen an dem Palast von einer Wohnung, in dem die Fluorite-Zwillinge gelebt hatten, musste das hier weit unter dem Niveau liegen, was er gewohnt war.

„Aber ein paar Pflanzen könnten nicht schaden. Sieht etwas trist aus.“

Trist. Nicht 'heruntergekommen' oder 'renovierungsbedürftig'. Der Schlacks schien das ernst zu meinen.
 

Fye beanspruchte die Couch für sich. Kurogane machte sich nicht die Mühe ihn umzustimmen. Aber spätestens am Freitagmorgen wurde klar, dass es keine Rolle spielte, wer wo zu schlafen gedachte. Weil Fye nicht schlief. Man konnte es an den dunklen Rändern unter seinen Augen sehen, an der Art, wie er manchmal ganz aufgekratzt war und im nächsten Moment still wurde und blinzelte.

Und blinzelte... und weg nickte... und wieder aufschreckte.

Nicht einmal am Tag schlief er. Er konnte gar nicht; es gab genau zwei Dinge, die ihn davon abhielten.
 

„Kuro-sama...“ Ein Flüstern, das fast ein Stöhnen war.

Gedämpfte Laute der Lust lagen in der Luft.

Fye atmete schwer. Ein Schweißtropfen rann die blasse Haut des Halses und verharrte in der kleinen Mulde des Schlüsselbeins.

„Kuro-rin...“, keuchte er erneut, diesmal lauter.

Quietschende Bettfedern.

„Was... denn...?“ Atemlos.

„Wie hältst du das nur aus?“, jammerte der Blonde auf dem Boden liegend. „Es ist so heiß! Und die zwei nebenan werden einfach nicht müde!“

Wie als hätte das Pärchen aus der Nachbarwohnung den Kommentar gehört, verkürzte sich das Quietsch-Intervall noch. Das gedämpfte Stöhnen wurde lauter, fordernder. Kurogane schien immun dagegen. Fye hingegen biss sich auf die Unterlippe. Wäre er nicht so müde gewesen, hätte er es sogar genossen zuzuhören.

„Hör' einfach nicht hin.“

„Geht nicht. Lenk mich ab!“

„Ich arbeite. Es gibt Leute, die tun so was.“ Und tatsächlich. Der Schwarzhaarige Inspector saß in dem Sessel vor seinem Wohnzimmertisch und starrte auf den Monitor von Yuuis Laptop mit ausdruckslosem, hoch konzentriertem Gesicht.

„Du solltest eine Pause machen und was trinken. Du schwitzt“, gab Fye zu Bedenken.

Das Thermometer zeigte 36 °C im Schatten an, Tendenz steigend. Es war Samstag, sieben Uhr morgens; vier Tage nach dem Auffinden von Yuui de Fluorites Leiche.

„Und gegessen hast du auch noch nichts!“, fügte er noch hinzu.

„Hm.“

„Wenn du mich weiter ignorierst, gehe ich rüber und sag' den Beiden, dass sie aufhören sollen.“

„Tu, was du nicht lassen kannst.“

„Deine Selbstbeherrschung ist bemerkenswert.“

Einer der Beiden des Nachbarpärchens fing regelrecht an zu schreien. Kurogane machte sich nicht mal die Mühe, das Radio anzumachen um die Geräusche auszublenden. Fye – von Hitze und Müdigkeit gelähmt auf dem Sofa sitzend – strich sich die klebrigen Haarsträhnen aus der Stirn und warf dem Größeren einen trägen Blick zu. Er hätte so einiges darum gegeben, jetzt in den Kopf des Schwarzhaarigen sehen zu können. Was er wohl gerade ansah? Welchen Teil seines alten pikanten Lebens... und vor allem, was dachte Kurogane darüber? Fye fühlte sich ein wenig unbehaglich dabei, dass so ziemlich jeder Aspekt seines Lebens als Yuui so vor Kuro-chan ausgebreitet war, aber er hatte kein Recht, sich zu beschweren. 'Und wenn ich daran denke, dass ich mir bei unserer ersten Begegnung gewünscht habe, dass wir uns besser kennen lernen könnten... und jetzt wäre die Gelegenheit dafür; aber wenn du auch nur ein Wort zu viel über mich erfährst, dann macht das alles zunichte... das nenne ich mal wirklich Ironie des Schicksals.'

Ein letztes leidenschaftliches Aufstöhnen aus zwei Kehlen und Stille legte sich über das Appartement. Vorerst. Aber die Hitze blieb und mit ihr die drückende Luftfeuchtigkeit. Man hatte das Gefühl, dass man schon in Schweiß badete.

Fye hatte Durst.

Öde... es war alles so trostlos... wüst.

Wüst.
 

And the dead tree gives no shelter, the cricket no relief...“, flüsterte Fye als das unerbittliche Wetter in ihm die Zeilen jenes Gedichtes wieder in Erinnerung rief.

And the dry stone no sound of water. Only

there is shadow under this red rock

(Come in under the shadow of this red rock)...“
 

Kuroganes Finger verharrte über der Entertaste, als er aus dem Nichts vertraute Zeilen hörte. Sie riefen die Erinnerung an jenen Nachmittag im Sommer wach... aber welcher Sommer...
 

And I will show you something different from either

Your shadow at morning striding behind you

Or your shadow at morning rising to meet you

I will show you fear in a handful of dust.
 

Wieso? Wieso erinnerte er sich daran? Wieso gerade jetzt?

Sein Kopf schmerzte. Ihm war schwindelig.
 

(„Was war denn das?“, fragt der kleine schwarzhaarige Junge den Mann, der neben ihn im Gras sitzt. Eine milde Brise erfasst sie beide, spielt mit den blonden Strähnen des Älteren, sodass es schwer ist, seine Gesichtszüge klar zu erkennen.

„Ein Gedicht von T. S. Eliot. 'The Waste Land'.“

„Und warum zitierst du mitten am Tag ein Gedicht ohne ersichtlichen Grund?“, fragt der Junge ein wenig unwirsch. Er versteht das Verhalten seiner neuen Bekanntschaft nicht, und er mag es nicht etwas nicht zu verstehen. Aber er ist noch jung und will alles in Erfahrung bringen, dass er nicht versteht.

„Wer sagt, dass es keinen Grund gibt?“, fragt der Blonde und blickt den Jungen an. Er lächelt, friedlich und warmherzig. Kurogane fühlt ein kurzes Ziehen in der Brust, wie einen kleinen Krampf, aber das Gefühlt verschwindet so schnell wie es gekommen ist und macht einem Kribbeln Platz. Das Kribbeln breitet sich in seinem ganzen jugendlichen Körper aus und setzt sich unter seiner Haut fest. Kurogane wird rot und blickt zur Seite.

Sein Herz schlägt schneller.)
 

Herzrasen.

Kopfschmerz und Herz pochten im Einklang. Das war... unmöglich.

Absolut unmöglich.

Er konnte hören, wie Fye vom Sofa aufstand. „Ich geh duschen“, sagte er, aber seine Stimme klang merkwürdig, als hätte sie einen kleinen Nachhall.

„Hm-mh.“ Kurogane wurde schlecht. Er hatte keine Ahnung, warum. Er stützte seinen Kopf auf seine Hand, als könne das etwas daran ändern.

Es war unmöglich.

Er war Fye noch nie begegnet. An diesen Kerl hätte er sich erinnert. Wer war die Person dann, die er im Park getroffen hatte? Oder spielte sein Hirn ihm nur einen Streich?

Das Geräusch von fließendem Wasser drang aus einem anderen Zimmer an sein Ohr. Der Schwarzhaarige atmete schwerer. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Etwas, das nichts mit dieser Erinnerung zu tun hatte.

Nasser Stoff legte sich in seinen Nacken. Ein Handtuch. Sein Handtuch.

Was...?

Kurogane blickte auf und das, was er sah kam wirklich unerwartet. Der Blonde vermied es ihn anzusehen, aber in seinem Gesicht zeigte sich geringe Sorge ab. Er stellte ein Glas Wasser neben den Laptop.

„Du solltest wirklich etwas essen und etwas trinken, Kuro-chan.“
 

(„Kuro-chan...“ Der Mann neben ihm bedenkt ihn mit einem aufrichtig fürsorglichen Blick aus klaren blauen Augen, „Du musst wirklich -)
 

„Nicht, dass du noch einen Sonnenstich kriegst.“

„Ich bin gar nicht in der Sonne“, murrte der Größere, der es gar nicht gern hatte, wenn man ihn bemutterte.

„Aber du schwitzt. Und die Hitze schlägt schnell auf den Kreislauf. Soll ich erst Frühstück machen?“

„Keinen Hunger.“

Jetzt sah Fye ihn an. „Hast du keinen Hunger oder willst du nichts essen, weil dir übel ist?“

„Was geht dich das an?“

„Kuro-chan, ich mein's ernst, das ist gefährlich. Übelkeit ist das erste Anzeichen. Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen.“

„Vielleicht solltest du mich einfach in Ruhe lassen“, knurrte Kurogane zurück, mürrisch wie immer. Sein Kopf schwamm vor Übelkeit, vor Schmerz, vor Schwindel... man konnte sich eine Ursache aussuchen. Das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, war sich auch noch mit dem Blonden herum zu ärgern.

Der wiederum setzte ein Grinsen auf. Ein unheimliches Grinsen von der Art, wie man es sonst nur bei Yuuko sah. „Wie du willst. Ist deine Entscheidung. Aber wenn dir schwarz vor Augen wird, Mr. Black“ - Fye kicherte über das alberne Wortspiel – „und du zusammen klappst, dann muss ich dich wohl oder übel in dein Bett schleifen. Also, wenn du das mit deinem großen, männlichen Ego verkraften kannst...“ Er zuckte mit den Schultern, die Handflächen zu einer flapsigen Geste erhoben. Und schlenderte in die Küche.

Der Schwarzhaarige ließ sich das durch den Kopf gehen. Und bemerkte, dass ihm nicht mehr ganz so heiß war. Er schwitzte auch nicht mehr so stark. Seine Hand wanderte zu dem feuchten Handtuch in seinem Nacken, das die Ursache für die Linderung war.

Es gab zwei Möglichkeiten: dem Rat zu folgen oder ihn zu ignorieren und womöglich vollständig abhängig von dieser Person zu sein. Ersteres war das kleinere Übel. Und eine kleine Pause konnte wirklich nicht schaden. Grummelnd rutschte der Schwarzhaarige auf das harte Sofa herüber und bettete seinen Kopf auf der Armlehne, sich das Handtuch auf die Stirn legend.

Fye lunzte vorsichtig aus der Küche in die Stube. 'Du hast dich wirklich gar nicht verändert, Kuro-chan,' stellte er zum wiederholten Male fest, 'man muss dich immer noch zu deinem Glück zwingen.' Der Blonde beschloss, das Frühstück noch etwas hinaus zu zögern, um dem Anderen keinen Anlass zu liefern sich wieder aufzusetzen.
 

Der Mensch besitzt zwei verschiedene Arten von Gedächtnis, wenn man Yuuko Ichihara glauben kann. Ich spreche natürlich nicht von der Yuuko dieser Welt, sondern von der Hexe der Dimensionen.

Der Sitz dieser beiden Gedächtnisse und ihre Natur sind dabei grundverschieden. Das Gedächtnis der Seele ruht in unserem Herzen und in unserem Bewusstsein. Es umfasst alles, das wir wahrnehmen und dem wir eine Bedeutung beimessen. Und es umfasst jene Erinnerungen, die man als episodisch bezeichnet. Das Gedächtnis des Körpers hingegen (auch prozedurales Gedächtnis genannt) ist in unserem Hirn verankert und das meiste davon liegt im Unterbewusstsein. Handlungen, die wir so oft durchgeführt haben, dass sich dafür Nervenbahnen gebildet haben. Jede sensorische Erinnerung wird unterhalb der Großhirnrinde gespeichert, egal, ob wir dem eine Bedeutung beimessen oder nicht. Das Gedächtnis des Körpers kann man ohne Einwirkung von außen nicht verlieren. Im Gegenteil, da beide Formen der Erinnerung miteinander vernetzt sind, kann im Falle einer Amnesie die Stimulation des Körpergedächtnisses dazu führen, dass man sich wieder erinnert.

Dazu bedarf es meist nur weniger Reize. Das gilt natürlich nicht nur für die Amnesie; sondern ebenso für Erinnerungen, die wir bewusst vergessen haben oder die verloren gingen unter der Last weit schlimmerer Ereignisse.

Meist ist es ein Duft, der uns zurückführt; er nimmt uns bei der Hand und leitet uns. Es ist ein abstrakter Prozess, da wir so viele Düfte kennen und doch gibt es zu wenig Worte um sie zu beschreiben.

In Kuroganes Fall war da noch die Wärme, die auf seinem Gesicht brannte und die, während er in ein leichtes Dösen versank, jenen Tag vor vierzehn Jahren wieder ins Bewusstsein führte.
 

(Die Schultage kommen ihm lang vor, nur die Nachmittage erscheinen ihm meist noch länger. Heute ist ein besonderer Tag, aber für den Jungen fühlt er sich nicht besonders an.

Er war früh aufgestanden, hatte gefrühstückt und sich von seiner Mutter einen Kuss auf die Stirn geben lassen, bevor er zur Schule ging. Dann hatte er die Unterrichtsstunden abgesessen wie jeden Tag: vor sich hin starrend und obskure Kritzeleien in seinem Hefter hinterlassend.

Kurogane ist ein intelligenter Junge, das ist sein größtes Problem. Der Unterricht unterfordert ihn, langweilt ihn ohne Ende. Die Lehrer halten sein mangelndes Interesse für Faulheit und der Teenager macht sich nicht die Mühe diese Ansicht richtig zu stellen. Er weigert sich ebenso, auf eine Schule für begabtere Kinder zu wechseln und seine Mutter drängt ihn nicht dazu. Sie drängt ihn ohnehin nie und was die Schule betrifft, möchte sie für ein so stabiles Umfeld wie möglich sorgen.

Für Kurogane bedeutet das Monotonie, aber er will sich nicht die Schwäche geben sich darüber zu beschweren. Die Zeit nach der Schule verbringt er im Kaiser Pinguin Park, so lange seine Mutter arbeitet. Außer dienstags, da hat er Kendo-AG.

Heute ist Mittwoch. Heute sollte ein besonderer Tag sein.

Er verschränkt die Arme vor der Brust, als er die Kinder auf dem Spielplatz beobachtet. Schaukeln und Wippen sind nichts für ihn; auch das Klettergerüst stellt schon lange keine Herausforderung mehr dar. Aber er klettert gern.

Sein Blick wandert weiter zu den gekiesten Wegen, die sich durch den Park schlängeln und erspäht zwei große Ginko-Bäume zu beiden Seiten. Ihre Äste reichen weit herüber, ja, berühren sich fast. Ein rostrotes Eichhörnchen huschte den Stamm herauf, sauste in die leuchtend grüne Blätterkrone und hüpfte Galant von dem einem Baum zum anderen.

Der Junge grinst.

Nun ist seine Neugier doch geweckt.

Auf die Äste zu gelangen ist schwierig, sie beginnen fast oberhalb seiner Reichweite und die Rinde bietet seinen großen, von Schwielen gezeichneten Fingern wenig Halt. Aber er hätte es gar nicht anders gewollt. Er zieht seine Turnschuhe aus und legt sie neben seinen Ranzen an den Stamm, weil er barfuss in den Zehen mehr Gefühl hat und beginnt mit dem Aufstieg; stützt sich auf jeder noch so schmalen Auswuchtung ab. Als endlich der erste Ast in eine bequeme Reichweite gerät, schwitzt Kurogane bereits heftig und seine Finger- und Zehenkuppen brennen. Er hievt sich hinauf. Hier ist er sicher, hier ist er daheim. Das dichte Blätterwerk schützt ihn vor den neugierigen Blicken der Passanten.

Hinzu kommt die Euphorie etwas erreicht zu haben Er liebt es, seine eigene Stärke und Geschicklichkeit auszutesten. Er will seine Grenzen herausfinden.

Kurogane blickt zu dem zweiten Baum herüber und versucht die Distanz zwischen den Ästen abzuschätzen. Auf den ersten Blick mag es nur wie wenige Zentimeter aussehen, aber der Schwarzhaarige ist klug genug, sein eigenes Gewicht zu bedenken. Wenn man nur den Bereich des Astes betrachtet, den er sicher betreten kann ohne dass der Ast bricht, dann ist es ein Meter Luftlinie, die er zu überwinden hat. Ein cleverer Junge würde an jener Stelle inne halten und sich das Ganze angesichts der Distanz und der enormen Höhe noch einmal anders überlegen, doch wie bereits angemerkt wurde: Kurogane ist intelligent. Das schließt Cleverness nicht automatisch mit ein.

Er stellt sich aufrecht auf den Ast, stützt sich mit den Händen am Stamm ab und schätzt die Stelle, an der er abspringen muss. Dann sprintet er los.
 

Er schafft genau drei Schritte.

Bis sein Fuß abrutscht.
 

Es folgt eine Schreckenssekunde peinlichen Armruderns, bevor er den Kampf gegen die Schwerkraft verliert.

’SCHEISSE!’

Der Junge fällt mit weit aufgerissenen Augen; er hat noch die Hoffnung sich am Boden irgendwie ninja-mäßig abrollen zu lassen (im Film funktionierte so was immer prima), aber da steht jemand.

Genau. Unter. Ihm.

‚Oh, FU-’ Weiter kommt Kurogane in Gedanken nicht, als er mit etwas Weichem kollidiert – ausgestreckte Arme schließen sich um seinen Oberkörper; was ihm jedoch irgendwie entgeht – und es zu Boden reißt. Seine Ohren rauschen von dem Blut, das durch sie strömt und das Einzige, was das noch übertönt ist das viel zu hastige Pochen seines Herzschlags.

Eine kühle Hand tastet seinen Hinterkopf ab.

„Bist du okay, Kleiner?“

Mit einem sehr unmännlichen „Yiep“ stützt Kurogane seinen Oberkörper von der weichen Unterlage ab. Und wird langsam der Zweideutigkeit der Position gewahr, in der er sich befindet. Die Hände auf der Brust eines komplett Fremden ruhend, die Knie zwischen den Beinen des Anderen. Hinzu kommt, dass der blonde Kerl, auf den er gestürzt ist, noch immer eine Hand an seinem Hinterkopf hat.

Für Außenstehende muss diese Szene ziemlich intim aussehen.

„Hm, also ich kann keine Beule finden. Dein Kopf scheint also okay zu sein“, murmelt der Blonde vor sich hin, dem die erzwungene Nähe nicht im mindesten unangenehm zu sein scheint.

Kurogane sieht zu, dass er wieder auf die Beine kommt. Er klopft sich den Dreck von der Hose und presst dabei ein geknirschtes „Danke“ zwischen geschlossenen Zähnen hervor.

„Was hast du gesagt, Kleiner?“

„Ich sagte ’Danke’. Und ich heiße nicht Kleiner!“

„Aber wenn ich deinen Namen doch nicht kenne...“

Kurogane hat eigentlich damit gerechnet ausgeschimpft zu werden, weil Erwachsene oder zumindest Ältere (es ist schwer einzuschätzen, wie alt dieser junge Mann ist; er kann sechzehn oder auch einundzwanzig sein) das nun mal gerne tun. Aber nichts dergleichen. Der Größere bleibt einfach im Gras liegen und grinst vor sich hin, als habe er nichts Besseres zu tun.

„Hey, Kleiner, hast du mich verstanden?“

„Ich heiße Kurogane, okay? Und ich bin nicht klein!“ Tatsächlich überragt er seine Klassenkameraden um einiges, aber damit musste man ja nicht gleich angeben, nicht?

„Okay, Kuro-chan.“

„Kurogane!“

„Aber sag' mal, Kuro-chan,“ fährt der Fremde fort, „wieso kletterst du nicht lieber da drüben, da ist es ungefährlicher.“

„Das Klettergerüst ist was für Kinder!“, grummelt der Junge. Er setzt sich im Schneidersitz auf die Wiese und verschränkt die Arme vor der noch schmalen Brust.

„Kuro-chan...“ Der Mann neben ihm bedenkt ihn mit einem aufrichtig fürsorglichen Blick aus klaren blauen Augen, „Du musst wirklich besser auf dich aufpassen. Die Kindheit ist eine wertvolle Zeit, bevor man sich's versieht ist sie zu Ende.“

Kuroganes Wangen färben sich glühend Rot, aus Scham und aus Empörung. Wer ist dieser Kerl, dass er ihm einfach solche Ratschläge gibt? Was weiß der denn schon?

„Ich bin kein Kind mehr!“, brüllt der Schwarzhaarige und springt auf, was sein Gegenüber zum Kichern bringt.

„Dass du dich darüber so aufregst, sagt mir aber, dass du doch eines bist.“

„Ich bin heute vierzehn geworden, da...“ Der Junge stockt, als er merkt, dass er zu viel von sich preisgibt. Er kennt diese Person doch nicht, was kümmerte es ihn, was dieser Mensch von ihm denkt?

Das Gesicht des Mannes nimmt einen, sanfteren, ja fast liebevollen Zug an. „Heute ist also dein Geburtstag, ja? Aber...“ seine Augen schweifen über das Gelände, “Wo sind denn deine Eltern und deine Freunde? Feierst du gar nicht mit ihnen?”

„Ich habe keine Freunde.“

„Oh.“

„U-und ich will auch keine!“, fügt der Junge hastig hinzu. Er ist zu jung um Verbitterung zu kennen und vielleicht ist das sein Glück. Er hat seine Mutter und seinen Vater und weiß, dass ihm das genug ist. Das heißt, es wäre genug, wenn sein Vater nicht Meilen weit entfernt an irgendeiner Front in Bosnien-Herzegowina kämpfen würde. Doch selbst daraus kann der Junge noch Trost schöpfen. Er ist stolz, der Sohn eines Marines zu sein und er weiß, dass sein Vater nur deshalb in den Krieg zieht, weil er glaubt so seine Familie am besten zu beschützen.

„Und deine Eltern?“

„Arbeit.“ Das ist noch nicht einmal gelogen. Innerlich bereitet Kurogane sich schon einmal auf die große Welle des Mitleids vor, die gleich angeschwappt kommen würde... und sobald der Typ sein Mitleid bekundet hatte, würde Kurogane gehen. Er hat bereits jetzt die Nase gestrichen voll von diesem Idioten.

Doch das „Oh, du Ärmster“ blieb aus. Stattdessen schenkt der Blonde ihm ein Grinsen, das irgendwie unheimlich war. Der fremde junge Mann springt auf seine Füße und ruft aus: „Hol deine Schultasche!“

Ooookay. Irgendwas geht vor sich, das Kurogane nicht begreift. Und er weiß nicht, ob er es begreifen will. „Wozu?“

„Weil ich dir jetzt ein Eis spendieren werde.“

„Nein.“

„Wieso nicht? Du hast doch momentan nichts Besseres vor, oder?“

Würde der Junge mehr Fantasie besitzen, könnte ihm eine geeignete Lügengeschichte einfallen, aber so kann er nur protestieren: „Meine Mutter hat gesagt, ich darf keine Süßigkeiten von Fremden annehmen.“

„Ach so. Na wenn deine Mutter das sagt...“ Kurogane wird plötzlich eine blasse schlanke Hand hingehalten. „Ich bin Yuui de Fluorite, aber du kannst mich gern Yuui nennen. Ich bin 21, koche gern – vor allem jeden Tag im Labor, ich studiere nämlich Chemie – war früher im Chor und zeichne gerne. Am liebsten schreibe ich aber kleinere und größere Geschichten. Ich wohne mit meinem Bruder zusammen, aber er ist gerade in Italien, macht dort Urlaub. Ich wär' ja gern mitgekommen, aber ich habe Praktikum. Der einzige Grund, warum ich heute früher aus dem Labor komme ist der, dass mein Präparat 24 Stunden kochen muss. Oh, ich kann dir sagen, wo ich wohne, falls du Angst hast, ich könnte dich entführen und du eine Nachricht an deine Mutter hinterlassen willst.“

Kurogane hat nur die Hälfte dessen, was der Andere sagt, verstanden und kann sich keinen Reim darauf machen, was Yuui damit bezweckt. „Warum erzählst du mir das alles?“

„Na-- jetzt sind wir keine Fremden mehr. Wenn überhaupt bist du mir fremder als ich dir und da wir jetzt zumindest flüchtige Bekannte sind – so flüchtig wie ein wenig Diethylether an einem heißen Sommertag – können wir essen gehen.“

„Aber was soll das Ganze?“

Der Blonde lässt seine Hand sinken; der Junge hat sie immer noch nicht geschüttelt. Sein Grinsen wankt nicht ein wenig, doch kommt jetzt eine deutlich traurigere Note hinzu.

„Du bist doch allein unterwegs. Niemand sollte an einem so bedeutenden Tag allein sein, Kuro-chan.“

Kurogane weiß nicht, was es dazu zu erwidern gibt.

„Aaalso – los geht’s!“ Yuui klatscht in die Hände, schnappt sich Kuroganes Schultasche, die er unter dem anderen Baum erspäht hat und zieht den Jungen einfach mit sich, ohne auch nur ein Wort des Widerstands zu dulden.
 

Und so kommt es, dass sie fünfzehn Minuten später wieder unter jenem Ginko-Baum sitzen; jeder von ihnen mit zwei Kugeln Eis in der Waffel. Und das, obwohl der Junge auf Teufel komm raus keine Süßigkeiten ausstehen kann. Deshalb hat er sich wenigstens für die Sorten entschieden, die ihm am wenigsten süß erscheinen: Schokolade und Waldfrucht. Letzteres ist schon abnorm dunkelrot. Schweigend (und auch ein wenig schmollend) wirft er dem Mann neben sich immer wieder verstohlene Blicke zu. Kurogane weiß nicht, ob Yuui sie bemerkt; aber wenn er es tut, so lässt der Blonde sich davon nichts anmerken. Er schleckt einfach genüsslich an seinem azurblauen Kaugummi-Eis. Ernsthaft, wer nimmt sich schon Eis, das nach Kaugummi schmeckt? Und noch dazu in Kombination mit Vanille; passt das überhaupt zusammen?

„Kuro-chan, dein Eis tropft.“

Braune und klebrig-süße Ströme beginnen, seine Finger herab zu laufen und der Junge flucht innerlich, dass er sich so hat ablenken lassen. Aber er wird einfach nicht schlau aus dem Mann. Gibt es denn niemand Anderen, den der Kerl nerven kann?

„Ehrlich, wenn du es nicht auf leckst, tue ich es!“

Kurogane müht sich ab, die klebrige Masse von seinen Fingern zu entfernen, während der Blonde über diese geschockte Reaktion nur grinsen kann.

„Was ist eigentlich mit deinen Freunden?“, fragt der Kleinere dabei, „Nicht, dass es mich interessieren würde.“ Er zuckt mit den Schultern um die Aussage zu bekräftigen.

„Ich studiere eine Naturwissenschaft. Ich besitze weder Zeit noch soziale Kontakte.“ Das Grinsen wird noch breiter. Will der Kerl ihn aufziehen, oder was?

Yuui tippt sich mit dem Finger gegen das Kinn, grübelnd. „Aber ich habe meinen Bruder. Mehr Freunde brauche ich nicht. Oh. Und dich habe ich jetzt natürlich auch.“

„Aber wir sind nicht befreundet!“

„Oooh, Kuro-chan, du weiß wirklich, wie man einem Mann das Herz bricht, was?“

„...“

„Kuro-chan?“

„Du bist schwul, nicht wahr?“, fragt Kurogane als wäre ihm das gerade erst bewusst geworden. Was wohl auch stimmt. Er fragt mit der Direktheit eines Kindes, das noch nicht weiß, wie unhöflich diese Frage eigentlich ist.

„Ist das ein Problem für dich?“

Der Junge denkt kurz drüber nach – er will ehrlich sein – und schüttelt dann den Kopf. „Nein. Ich wollte nur wissen, ob meine Vermutung stimmt.“

„Keine Sorge, ich bin vergeben.“ Yuui zwinkert ihm aufmunternd zu, bevor er sich wieder an sein Eis machte. „Und nicht an Kindern interessiert. Du hast also nichts zu befürchten.“

„Das hatte ich auch nicht geglaubt.“

„Es sei denn, du möchtest, dass ich mich für dich interessiere.“

„Nein danke!“, schnaubte der Junge und blickt weg.

„Ah, Kuro-chan, du bist einfach zu süß, wenn du rot wirst.“

„Ich heiße KUROGANE!“

„Ja, Kuro-chan.“

„Wie war das eben?“

„Was denn, Kuro-chan?“

Kuro-chan... Kuro...)
 

„Kuro-tan?“

Ein Duft, der Duft hüllte ihn ein; frisch und herb. Der Reiz, der diese Erinnerung hervor gerufen hatte. Kurogane hatte immer nach einem Name dafür gesucht und als er endlich einen gefunden hatte, da war bereits so viel Zeit vergangen, dass er sogar schon vergessen, warum er danach gesucht hatte. Und als Tomoyo ihm eines Tages eine Flasche Shampoo schenkte und er dieses spezifische Aroma wieder erkannte, da hatte er die Information in seinem Inneren verschlossen wie ein Schatz.

Es war der Geruch von blauer Zeder.

Yuuis Duft.

Er hatte Yuui vergessen und im Nachhinein fühlte sich das nicht richtig an, denn Yuui war jemand Besonderes gewesen; Yuui hatte ihn gemocht und akzeptiert wie er war, ohne zu tiefe Fragen zu stellen. Sie hätten Freunde sein können. Aber das Schicksal hatte andere Pläne.

An jenem Abend sollte Kurogane noch lange darauf warten von seiner Mutter abgeholt zu werden. Am Ende waren es zwei weibliche Bodyguards der Piffle Princess Company, die ihn mitnahmen. Weil seine Mutter emotional dazu nicht in der Lage gewesen war. Er erinnerte sich daran, wie man ihn in das Haus von Sonomi Daudouji gefahren hatte – die Frau, für die seine Mutter arbeitete. Er erinnerte sich an den Anblick seiner Mutter, wie sie auf dem Teppich kauerte und so heftig schluchzte, dass sie kaum Luft bekam.

Und da hatte er gewusst, dass sein Vater nicht mehr zurückkehren würde.

Keine zufällige Begegnung im Park konnte gegen so etwas bestehen. Ja, er hatte Yuui vergessen, aber das machte nichts, Yuui war ja jetzt hier; er konnte ihn riechen. Er konnte hören, wie der andere nach ihm rief.

„Kuro-rin? Hey, Frühstück ist fertig...“

Es kostete ihn einiges an Anstrengung die Augen zu öffnen und sobald seine Lider sich hoben, überflutete grelles Licht sein Sichtfeld. Kurogane blinzelte. Eine Silhouette hob sich dunkel gegen das Licht ab, golden schimmerndes Haar, liebevoll blickende blaue Augen... Eine blasse Hand wedelte vor seinem Gesicht herum.

„Aufstehen, Dornrösche– uah!“

Er packte den Blonden am Handgelenk und zog ihn zu sich herunter, sodass die kühlen und leicht feuchten Haarsträhnen sein Gesicht kitzelten. Der Duft von lauer Zeder wurde stärker. Der Schwarzhaarige atmete tief ein, widerstand dem Drang die Augen zu schließen und Gesicht und Hände in dem weichen Haar zu vergraben.

Der Blonde war nur einen Moment lang irritiert, dann setzte er wieder sein erheitertes Grinsen auf. Und brach damit den Bann.

Natürlich war es nicht Yuui. Yuui war tot.

„Also wirklich, so lange war ich nun auch wieder nicht weg, dass du mich gleich so doll vermissen musst. Oder kannst du es etwa nicht ertragen, ohne mich zu sein?“

„Dein Bruder-“, setzte Kurogane an. Sein Tonfall hatte etwas Resolutes an sich. Er machte sich nicht die Mühe auf Fyes Neckereien einzugehen, sollte der Blödmann doch glauben, was er wollte. Diesmal würde Kurogane ihm nicht den Gefallen tun und sich davon beirren lassen.

„Was ist mit ihm?“ Fye schien den Wink verstanden zu haben und das falsche Schmunzeln fiel. Dahinter kam ein ernster Ausdruck zum Vorschein.

„Wie ähnlich wart ihr euch? Charakterlich, meine ich.“

„Ich sagte doch, wir waren grundverschieden.“

„Das reicht mir nicht. Ich will Details.“

„Fein.“ Der Zwilling stieß einen theatralischen Seufzer aus und machte Anstalten, sein Handgelenk aus dem Griff des Inspectors zu freien.

Kurogane ließ ihn los.

„Aber erst wird gefrühstückt.“

--

To be continued...

~^.^~

--

Diesmal keine Vorschau, ganz einfach weil das neue Kapitel noch nicht so weit geschrieben ist, dass ich was Interessantes gefunden hätte. Sorry.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-02-28T21:15:35+00:00 28.02.2012 22:15
36°C um 7:00 Uhr morgens?? o_O
Ich bin doch froh, dass es noch so frisch ist XD

Die Übergänge zwischen der Gegenwart und Kuroganes Erinnerungen sind dir super gelungen!
Mir hat der kleine Teil gut gefallen, in dem Fye sich darüber Gedanken macht, dass jetzt quasi sein ganzes Leben vor Kurogane ausgebreitet liegt.
Dass du auf solche Details achtest und ihnen ihren Platz gibst ohne sie gleichzeitig auszuschlachten mag ich an deinen Geschichten immer besonders gern ^__^
Und es ist schön, etwas genauer zu erfahren wie die Vergangenheit von den beiden denn nun zusammenhängt. Dass Kurogane sich jetzt allerdings an diese Episode erinnert stellt "Fye" noch einmal vor eine neue Herausforderung - jetzt geht es sozusagen ums Eingemachte, nämlich seinen unfreiwilligen Gastgeber davon zu überzeugen, dass er nicht Yuui ist.
Keine leichte Aufgabe...

Ich bin gespannt wie es weitergeht...mit den Ermittlungen...zwischen den beiden...überhaupt mit allem... XDD

Liebe Grüße,
Puffie~
Von:  Meekamii
2012-02-28T17:06:44+00:00 28.02.2012 18:06
Hahahaha ^0^ der Anfang war so geil XD Hab zu erst gedacht die beiden schlafen miteinander so ( ööhm O_O... jetzt schon.... häää ^^° ) dabei warn das die andern beiden ^^ Finde auch das du an dieser Stelle dein Übergang sehr gut gemacht hast so von diesem keuchen der beiden und dann später die Hitze als Grund dafür. wie du das mit der Körperlichen und Seelichen Erinnerung beschrieben hast hat mir auch sehr gut gefallen.
Jetzt möchte ich einfach wissen wie´s weiter geht ^_^ schreib schnell weiter bitte *.*


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