Zum Inhalt der Seite

Himmelstreben

Willst du leben, Anders Bordalen?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

4

Es war nicht so, als zöge sein Leben an ihm noch einmal vorbei, als er starb. Es war einfach da. Neutral. Wertungslos. Er sah in diesem einen Moment alles. Sich als Ungeborener, seine Eltern, seine Kindheit. Den Tod Marias, den er nicht bewusst miterlebt hatte, weil er noch zu jung gewesen war. Den Tag, als sich die ersten magischen Fähigkeiten zeigten. Die Lehre unter seinem Oheim Wilhelm. Das Essen, das die Dienstmädchen kochten, bei denen er immer das Dessert stibitzte. Der Unterricht an der Jungenschule. Der Tag, an dem er Magdalena kennen lernte. Die Nacht, die er mit Magdalena verbrachte. Die Erkenntnis dessen, was er getan hatte. Die Hochzeit und die ersten Tage der Ehe, in denen er Glück gefunden hatte, trotz seines Vergehens. Konrads Geburt. Seine ersten Worte und jedes seiner Worte, die sein Sohn sprach. Ediths Tod letzten Frühling. Konrads erste Schritte. Magdalena, die hoffte, bald ein Geschwisterchen für Konrad zu bekommen.

Er brauchte nicht selektieren.

Es war alles da.
 

...Ja...

„Dann diene.“

Mit einem qualvollen Ruck begann seine Welt, sich wieder zu drehen. Er riss die Augen auf. Der schwarze Schleier, der sich über seinen Blick gelegt hatte, wurde erst rot, dann verschwand er und ließ die Sicht zurück. Schmerz wallte durch seinen Körper. Er entstand in einem Punkt an seiner Hüfte, den er nicht genau zu lokalisieren vermochte, floss in seine Lunge und fraß sich von dort durch jede Ader seines Leibes, als würde er brennen. Seltsamerweise hatte er nicht das Gefühl zu vergehen. Die Verletzung heilte. Seine Glieder schmerzten, als er seine Arme dazu zwang, seinen Oberkörper aufzurichten. Von einer tiefsitzenden Pein begleitet richtete er den Kopf auf und blickte nach vorn. Ein Körper lag neben ihm, gehüllt in das Purpur eines derer, die die Hexerei beherrschten. Pahlke.

Der Ton setzte schlagartig ein.

Er wusste, dass es nicht möglich sein sollte, doch er hörte.

Erst hörte er nur ein leises Röcheln, das sich in seine Sinne schlich. Das leise Geräusch schwoll an und dröhnte in seinen Ohren, bis er glaubte, neben ihm würde jemand ersticken. Ein Schuss löste sich hinter ihm, doch dieses Mal traf er nicht seinen Rücken. Eine schreiende Frauenstimme drang an sein Ohr und verband sich mit den Tonfetzen der Sicht zu einer Kakophonie, die ihn dazu bewegte, sich aufzusetzen und sich in der gleichen Bewegung umzudrehen. Purpurner Glanz wirbelte durch die Luft. Einzelne Streifen mischten sich mit den Auren der Umgebung, ergaben rote, braune und violette Schlieren, verliefen in schwarz. Sie gingen von zwei Körpern aus, die sich zu schnell bewegten, um in der Sicht klare Konturen zu erzeugen.

Dann sah er klar.

Es waren zwei Frauen.

Sie rangen um die Feuerwaffe. Das Kleid und der Pelz der einen wehten und hinterließen purpurne Funken, als sie mit der freien Hand ins Leere schlug, dorthin, wo der Kopf der anderen noch vor einem Augenblick gewesen war. An der anderen wehte nichts außer das Haar, das sich aus dem Dutt gelöst hatte. Bluse und Kleid saßen eng, in der Sicht zeichneten sich die Konturen unter dem Stoff ab.

Magie floss zwischen ihnen, sprang über und schnitt durch Stoff und Haut.

Mit einem Ruck riss die eine an dem Gewehr und trat in der gleichen Bewegung zu. Ihr Knie traf durch den Pelz in den Unterleib. Die Finger der Bepelzten lösten sich vom Griff der Waffe. Fast im selben Moment nutzte die Angreiferin den Schwung, den sie durch das plötzliche Fehlen des Gegengewichts hatte, drehte sich um sich selbst und schlug zu. Der metallene Griff bohrte sich mit vollem Gewicht in das Gesicht der anderen. Schlagartig erkannte er Natalia Wadimowna in ihr.

Die andere kam ihm wage bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen. Sie nutzte den Moment, in dem Wadimowna damit beschäftigt war sich vor Schmerz zur Seite zu drehen, um die Feuerwaffe auf selbige und das Wort an ihn zu richten.

„Bordalen!“, befahl sie barsch, ohne sich ihm zuzuwenden. „Run to the cathedral! There's a circle. Get in it before he takes control! Hurry!“

Seltsamerweise brauchte er sie nicht zu fragen, was sie meinte. Er wusste es. Die Erkenntnis kroch aus seinem Unterbewusstsein und schlug sich in seinem Wissen nieder, verdrängte jeden Gedanken.

Natalia hatte sich gefangen und trat zu. Ein Schuss löste sich und ging ins Leere.

Anders wartete nicht darauf, zu sehen, wie die Frauen sich erneut aufeinander stürzten.

Gegen den Widerstand seines Körpers, durch den noch immer eine dunkle Glut pulsierte, richtete er sich auf und begann zu rennen. Er drehte sich noch einmal um, dann ließ er die kämpfenden Hexen und den sterbenden Pahlke zurück.
 

Er war kein Feigling.

Unter normalen Umständen hätte er sich in den Kampf der Frauen vermutlich eingemischt – und wenn es nur darum ging, die eigene Haut zu retten. Die Umstände waren nicht normal. Er begriff, was es mit dem Talisman auf sich hatte. Er begriff auch, was mit ihm geschah, was mit jeder Welle neuen Schmerzes von weiteren Fasern seines Leibes Besitz ergriff. Es würde nichts bringen, den Talisman jetzt fortzuwerfen. Die Erkenntnis über Jurijs Warnung kam zu spät. Er behielt es, weil er es nicht mehr wegwerfen konnte.

Die Kathedrale war leicht zu erreichen. Wie ein dunkler Schatten ragte er in die Nacht, das letzte Licht der Stadt mit ihren Glasfronten reflektierend. Er musste nur dem Verlauf der Straße folgen.

Jeder Schritt war mühsam. Es war, als würden sich seine Beine dagegen wehren, weiter in diese Richtung zu laufen. Brennender Schmerz zirkulierte in seiner Lunge. Dennoch rannte er, so schnell wie noch nie in seinem Leben.

Er erreichte die Kathedrale und es war zu spät.

Auf dem weiten Vorplatz zeichnete sich der Glanz der weißen Aura ab, die seine Rettung versprach. Ein heller Kreis, aufgebracht auf das Kopfsteinpflaster, strahlte seine Magie in die Nacht, doch er erreichte ihn nicht mehr.

Sein Körper blieb stehen, bevor er die schützenden Linien erreichte, und es war nicht mehr er selbst, der ihn dazu brachte. Eine dunkle Präsenz, die nicht in diese Welt gehörte, hatte sich in ihm breit gemacht und befehligte seine Glieder.

Sein Mund öffnete sich und formte Wörter ohne sein Zutun.

„Zu spät, Anders“, sagte er zu sich selbst und die Wörter klangen tausendfach in seinen Ohren. „Sorge dich nicht. Du bekommst Deinen Körper wieder, wenn ich meine Angelegenheiten erledigt habe. Wenn von Dir dann noch etwas übrig ist.“

Dämon.

Sein Mund lachte. „Wir unterscheiden nicht in solche Kleinigkeiten, Anders.“

Der Befehl an seine Augen sich zu schließen verlief ebenso ins Leere wie der Auftrag an seine Hände, sich über seine Ohren zu legen.

Stattdessen griff seine Hand in seine Tasche und zog das Amulett hervor. Es glühte vor Magie und verstrahlte einen gleißenden Glanz, als er es auf Augenhöhe hob, um es sich um seine Brust zu legen. Es gehörte dorthin. Das wusste er – und es war nicht sein Wissen.

Die Realität verschwand hinter der Sicht, ließ nur Farben und Formen der Dinge zurück, wie sie wirklich waren. Er hörte die Geräusche der Stadt nicht nur, er sah sie auch und roch sie. Der Rhein wallte in Wellen bis zu ihm, farbig, geräuschvoll und stinkend. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder.

Anders Bordalen glitt in den Hintergrund und verschwand unter ihm, in ihm.
 

Die Gestalt, die im Kreis auf ihn gewartet und die er bis jetzt ignoriert hatte, erhob sich. Das Pentakel glühte und umhüllte den Körper mit purpurnem Glanz.

„Du bist eine lästige Zecke, mein Freund“, sagte er beiläufig, während er darauf wartete, dass der Junge aus dem Kreis trat.

„Wo Du bist, werde ich sein, bis Du nicht mehr bist. Dachte Agnetha Wiegand wirklich, Friedrich Severin Pahlke hätte Macht über dich?“

„Pahlke dachte es sicherlich. Er ist nicht mehr.“

„Genau wie Sergejewitsch.“

Während er fasziniert beobachtete, wie der Schatten über der Gestalt wuchs, sich auftürmte um alles zu verschlingen, was noch geblieben war, verzog sich das Gesicht der Gestalt zu einem schlecht imitierten Grinsen. Als seine Stimme sich erhob, war es endgültig nicht mehr Jurij, der sprach. „Eine Schande. Was willst Du diesmal? Chaos über die Welt bringen? Sie in endgültige Dunkelheit stürzen?“

Lachend schüttelte er den Kopf. „Waren das nicht deine hehren Ziele? Was brächte mir eine zerstörte Welt? Sie ist nutzlos wie ein zerstörter Wirt.“

„Meine hehren Ziele? Du bist wie ich.“

„Ich fürchte, dass ist lediglich Deine Meinung.“

Den Schlag sah er kommen und fing ihn ab. Magie kribbelte in seiner Faust, als er zuschlug und sie in die Magengrube seines Gegners rammte. Der Ellenbogen traf ihn nicht unvorbereitet aber schmerzhaft am Kiefer. Er fiel und fing sich um nach den Beinen zu treten. Sein Fuß traf. Die Wucht des Sturzes warf sie beide auf das Pflaster.

Er nahm die einzelnen Steine in seinem Rücken wahr. Als er seine Hände um die Arme des anderen schlang und sie zu den Seiten riss. Jurijs Kopf schlug gegen seinen und er rammte sein Knie in die Höhe. Getroffen rollte sein Gegner zur Seite und kam wieder auf die Knie. Diese Gelegenheit nutzte er, um sich in die andere Richtung zu drehen und sich in den Stand aufzustützen.

Dann konzentrierte er die Energie wieder in seiner Faust. Wie Anders Bordalen brauchte er keine Worte. Ihm genügte eine freie Hand. Ohne Rücksicht zog er die Kraft aus der Umgebung – das allerdings war etwas, das Anders Bordalen nicht getan hätte.

Ein Angriff streifte seine Wange und er duckte sich, um erneut zuzuschlagen.
 

Anders Bordalen spürte nichts. Für einen Moment war er nicht anwesend. Etwas schlug gegen seinen Kiefer, doch er spürte es nicht, er wusste es nur. Es war der erste Gedanke, den er nach einer gefühlten Ewigkeit dachte. Panisch riss er die Augen auf – oder versuchte es, denn er erkannte, dass sie bereits offen waren. Er sah Jurijs Kopf auf sich zu rasen, doch der Schmerz erreichte ihn nicht. Den Angriff, der kam, führte der Geist in seinem Körper aus. Den Schrei, der folgte, hörte er.

Er spürte das Pflaster nicht, auf dem er sich abstieß, als sein Körper sich wieder aufrichtete. Anders spürte lediglich die Energie, die aus dem Boden durch seine Füße und seine Beine hinauf bis in seine Hand fuhr. Jurijs Gesicht tauchte vor seinem auf und der Geist in ihm schlug zu.

Er riss die Hand nach oben und sie bewegte sich, nur ein kleines Stück.

Die Bewegung genügte, die Faust ging ins Leere, die Energie strömte ungenutzt hinterher. Ein Schlag traf ihn in die Seite und brachte ihn ins taumeln, doch der Geist fing sie ab.

Den nächsten Schritt, den sein Leib tat, tat er. Ein zweiter folgte.

Es war nicht einfach, einen Körper zu lenken, von dem man nur die durch ihn strömende Kraft spürte, und es wurde bei den folgenden Schritten nicht einfacher. Doch es gelang. Drei Schritte, vier Schritte und er rannte.

Dass es ihm überhaupt gelang, schien die Anwesenheit in ihm aus dem Konzept zu bringen.

Obwohl er blindlings einen Fuß vor den anderen setzte, schaffte er es bis zur Kathedrale. Den Kreis verfehlte er. Erst eine Welle von Magie, die ihn in den Rücken traf, brachte ihn zu Fall.
 

Der Sturz war was er brauchte. Er legte sich in die Bewegung, ließ zu, dass der Körper härter aufschlug, als nötig war. Dann hatte er die Kontrolle wieder. Dennoch war sein Gegner nun über ihm und rammte ihm ungehindert etwas in die Schulter, das eine Ähnlichkeit mit einem Stab aus Eis hatte, die nicht gut war. Der Schmerz drang bis zu ihm, obwohl er sich gegen diesen abschirmte. Der Bastard zog die Flüssigkeit aus der Luft und ließ sie gefrieren. Wütend trat er nach oben und wurde geblockt.

„Falls Du es während deines, meiner Meinung nach reichlich sonderbaren, Auftrittes nicht bemerkt haben solltest – das Leben deines Fußvolkes ist erloschen“, knurrte ihm sein Gegner entgegen, bevor er erneut zustach. Die Information irritierte ihn nicht genug, um den Schlag treffen zu lassen. Zornig griff er nach Jurijs dünnem Arm und riss ihn über seinen Körper. Der Leib über ihm kam aus dem Gleichgewicht und gab ihm den Augenblick, den er brauchte, um sich hochzudrücken.

„Natalia? Ich fürchte, das ist nicht mein Problem.“

Die Verwundung in seiner Schulter schloss sich nicht und sandte kühle Wellen Schmerz durch ihn. Er ignorierte sie und schlug zu.

Die Kraft, die er in seine Finger zog, reichte nicht, um ernsthaften Schaden zuzufügen. Es bildeten sich auf der Haut des Jungen nicht einmal feine Blasen. Sein Glück endete mit dem Stoß seines Gegners, in dem mehr Energie lag als nur die, die dem Körper inne wohnte. Zu überrascht gelang es ihm nicht, auf den Knien zu bleiben. Er fiel rückwärts und rollte nach hinten ab.

Dann stand er wieder. Die Schulter pochte noch immer und beunruhigte ihn. Verletzt konnte er nicht siegen. Nicht auf diese Weise.

Anders Bordalens Ziel fiel ihm wieder ein – die Idee war keine schlechte gewesen, auch wenn es zweifelsohne an der Ausführung gehapert hatte. Vor ihm kam auch Jurij wieder auf die Füße. Er wartete nicht auf den nächsten Angriff. Rasch überbrückte er die letzten Meter, dann griff er nach dem Gerüst, das sich an der Kirchenfassade nach oben rankte, und ließ sich von der zur Hilfe gerufenen Brise auf die erste begehbare Ebene tragen. Als sein Feind erkannte, was er vorhatte, hatte er sich bereits an der nächsten Gerüststange hinaufgezogen und kletterte daran empor. Nach oben würde er nicht weit kommen – die Türme der Westfront waren noch im Bau und endeten zum jetzigen Zeitpunkt noch parallel zum Langschiff. Dennoch gab es ihm vielleicht den nötigen Schutz.

Unter ihm schwankte es, als ein Rohr gewaltsam aus seiner Halterung riss. Ohne Mühe zog er sich auf die Bretter über ihm und rannte ein paar Meter weiter, bevor er sprang und sich auf die nächste Ebene schwang.

„Du wirst hochkommen müssen“, rief er lachend hinunter, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Unter ihm schlussfolgerte sein Gegner scheinbar ähnlich. Statt das Gerüst zum Einsturz zu bringen und sich unter Umständen selbst darunter zu begraben, folgte er ihm nun.
 

Anders' Körper sprang und seine Hand griff ohne sein Zutun nach den obersten Betonblöcken, die bereits fest verankert waren. Der zweite Arm folgte ebenso und seine Beine drückten seinen Körper nach oben. Unter ihm hörte er, wie der Geist, der von Jurijs Körper Besitz ergriffen hatte, ihm folgte. Es war das erste, was er hörte. Er versuchte, sich umzublicken, doch schaffte es nicht. Mit einem Schlag wurde er sich bewusst, wo er hing.

Sein Fuß verlor den Halt und rutschte zurück. Der Arm, den die Anwesenheit in ihm bereits auf die Mauer gewuchtet hatte, rutschte ebenfalls. Für einen Moment griffen seine Finger ins Leere, dann fing er sich und hing flach an der Wand.

Er drehte den Kopf nach unten und schloss die Augen. Die Sicht blieb und offenbarte ihm den Blick auf jede einzelne Stange des Gerüsts, auf Jurijs Körper, der ihm unnachgiebig folgte. Er hob den Kopf wieder und beschloss, dass es keine gute Zeit zum loslassen war. Ihm fehlte die freie Hand, um den Wind zu rufen. Stattdessen stemmte er seine Füße gegen die Wand und schob sich hoch. Mit der Linken tastete er auf der Mauerkrone, bis er die Kante des Blocks fand. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich daran und hielt für einen Moment inne, bevor er die Kraft fand, sich ganz hoch zu drücken.

Schwankend kam er auf der Mauer zur Ruhe. Seine Finger krallten sich förmlich an den Block, während er die Augen schloss und tief durchatmete. Vermutlich bluteten seine Finger, doch er spürte es nicht. Genauso wenig, wie er den Wind spürte, der hier oben wehte, oder seine Füße, von denen nur noch einer einen Schuh trug.

Schließlich öffnete er wieder die Augen, auch wenn es keinen Unterschied machte. Über verdeckten Wolken den Himmel, doch er sah sie nicht. Was er sah, war alles andere. Die jetzige Mauerkrone hatte eine Breite von nicht einmal einem halben Meter. Zu beiden Seiten ging es in die Tiefe. Zu seiner Linken gähnte ein schwarzes Loch, an dessen Ende der Marmorboden der Kirche wartete, zu seiner Rechten versprach das Gerüst keinen Schutz vor einem tiefen Fall. Der Boden des Vorhofes verschwamm in dieser Höhe und ließ den weiß leuchtenden Schutzkreis, der aus dieser Höhe erschreckend klein erschien, hervortreten.

Nur durch eine Bewegung dort unten erkannte er ein weiteres Detail – eine Person, die den Platz soeben erreichte und zu ihnen hinauf blickte. Es war Natalias Mörderin. Und es war die Frau aus dem Gästequartier im Lufthafen. Das erkannte er jetzt.

Jurij erreichte das obere Ende der Mauer. Ohne Zweifel in seine Fähigkeiten stellte er sich auf und ging auf ihn zu. Obwohl der Junge schwankte, wusste Anders, dass dieser nicht fallen würde.

„Dort unten ist Agnes“, sagte er leise und hörte seine Worte nicht mehr, als er die Kontrolle erneut verlor.
 

Sein Gegner lachte.

„Man sollte die Tochter einer Wiegand niemals unterschätzen.“

„Warum bist Du dann noch hier? Keine Rache für den guten Fjordor?“

„Für den kleinen Jurij, meinst Du?“

Bordalens Angst kroch in seine Fußspitzen doch er stand auf.

„Möglicherweise. Brauchst du das Ding, um mich zu erledigen?“, fragte er spöttisch und nickte zur rechten Hand des Jungenkörpers, in der nun eine Waffe ruhte. Vermutlich hatte er sie in seiner Weste bei sich getragen und war nicht mehr dazu gekommen, sie zu benutzen.

Der Junge antwortete nicht. Er hob die Feuerwaffe und drückte ab.

Ein Schuss hallte durch die Luft, den er nicht hörte. Er reagierte ohne zu planen und duckte sich. Die Kraft in seinen Beinen sammelnd stieß er sich nach vorn. Als ihre Körper aufeinander trafen, bekam er zu fassen, was zuvor unerreichbar unter dem Hemd versteckt gewesen war und zog daran, als er über den Leib unter sich rollte. Ein weiterer Schuss löste sich und er schrie, als er seine Schulter streifte. Diese Verletzung half seinem Gegner nicht mehr, denn das Leder riss und gab das Pentakel frei.

Vielleicht war es der Nachhall der einstigen Kontrolle, die Jurijs Körper dazu veranlassten, sich an den Betonblöcken unter ihm festzuhalten, als der Halt, den das Lederband gegeben hatte, verschwand, statt haltlos in die Tiefe zu fallen.

Er sah, wie der Junge blinzelte und zu ihm aufblickte. Das schwarze Glühen war verschwunden, die Konturen des Gesichts schwanden in der Dunkelheit, die nicht sein durfte. Über ihnen schien der Mond durch die Wolken und zu seiner rechten kündigten die ersten roten Wolken einen blutigen Sonnenaufgang an.

Das Purpur der Magie aber schwand ebenso, wie die Fetzen von Tönen, Gerüchen und Formen. Mit ihnen schwand auch die Sicht.
 

„Господин Александрович?“, hörte er den Jungen fragen und es tat gut ihn zu hören, statt rote Schlieren zu sehen. Er schloss die Augen und Dunkelheit umfing ihn.

„It's still in me.“

Er hörte den Jungen schlucken und schluckte selbst.

„You can't...“

„Das wirst Du...“

Weder Jurij noch die Anwesenheit in ihm beendete ihren Satz, da Anders Bordalen tat, was er tun musste.

Ohne die Augen zu öffnen, trat er ins Leere, auch wenn er sich dafür hasste.

Dann fiel er und schrie, und es fühlte sich richtig an.

Die Magie des Kreises wartete noch immer auf ihn.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück