Zum Inhalt der Seite

Kein Zurück

Der Sand der Zeit steht niemals still
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Bewölkter Himmel

Die ganze Zeit wuselt Fumiko um mich herum und das hilft mir gerade nicht im geringsten dabei mich zu beruhigen.

Ich möchte heute nicht zur Schule, nicht nach gestern.

Frustriert seufzend knautsche ich das Sofakissen zusammen und schmeiße es in den Flur.

Kann ich heute nicht einfach daheim bleiben?
 

Es ist eigentlich noch immer mitten in der Nacht schätze ich.

Ich weiß nicht wie viel Beruhigungstee ich jetzt intus habe, geschweige denn wie viele Personen mir seit gestern kontinuierlich Mut zugesprochen hatten.

Aber trotz allem habe ich diese unbeschreibliche Angst und ich weiß einfach nicht warum.
 

Lächelnd hilft mir Fumiko aufzustehen und führt mich in ihr Schlafzimmer, nachdem sie sonst überall die Lichter ausgemacht hat.

Schweigend lege ich mich ins Bett und rolle mich zusammen.

Was passiert wenn ich heute in der Schule wieder zusammen breche?

Bin ich überhaupt in der Lage wieder ganz normal zur Schule zu gehen?

Ich habe ungeheure Angst vor mir selbst.

Und ich habe ungeheure Angst davor zu erfahren, was gestern wirklich geschehen ist.
 

Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass die Lehrerin mich darum gebeten hatte kurz mit Jun auf den Hof zu gehen.

Mir ging es schon die ganze Schulstunde nicht so berauschend und deshalb kam mir das ganze schon sehr gelegen.
 

Und dann weiß ich nur noch, dass der Sportlehrer mich versucht hatte zu beruhigen.

Und ich mich nicht beruhigen konnte.

Und die Tablette schneller wieder draußen als drinnen war.
 

Kurz bevor ich heimgefahren wurde, hatte mich Jun ganz lange umarmt gehabt.

Er hatte mir auch beim umziehen geholfen gehabt, obwohl ich Minuten zuvor jeden geschlagen hatte, der mir zu nahe gekommen war.

Und ich weiß nur noch, dass mir auf dem Weg nach Hause beide Oberarme höllisch weh taten und voller Kratzspuren waren.

Hatte ich mich etwa schon wieder selbst verletzt ohne es zu wollen?

~

Fumiko hatte mich eben extra früh zu Fuß zur Schule gebracht, da sie noch kurz mit der Klassenlehrerin etwas wegen Uruha abklären wollte.

Seitdem sitze ich mit irgendwelchen Jungs bei mir aus der Stufe im Klassenraum und langweile mich. Ich habe zwar immer noch schreckliche Angst, jedoch dürfte gleich Jun kommen, der mit mir in die Cafeteria gehen will.

Momentan ist er noch bei der Klassenlehrerin, um ihr und Fumiko noch einmal genau alles von gestern zu erzählen.
 

Ich muss auch gar nicht lange auf ihn warten, da er endlich wiederkommt.

Direkt fragt er: „Ruki? Kannst du gerade mitkommen?“

Wohin soll ich denn jetzt?

Gibt es doch Ärger wegen gestern?
 

Seufzend stehe ich auf und folge Jun.

Was soll ich ihnen denn groß erzählen, wenn ich gar nichts mehr davon weiß?

Und wie soll ich so etwas in Zukunft schon groß verhindern können?

Es ist ja nicht so, als würde ich das ganze in irgendeiner Weise steuern können und gestern muss mich irgendetwas gewaltig getriggert haben.

Und ich bezweifle einmal stark, dass Jun in irgendeiner Weise etwas damit zu tun haben könnte.
 

„Hast du eigentlich so etwas öfters? Also ich meine solche richtig schlimmen Panikattacken. Weder der Arzt, noch der Sportlehrer wussten, ob sie jetzt einen Krankenwagen holen sollten oder nicht. Und es war schon gruselig mit anzusehen, wie du dir versucht hattest selbst weh zu tun“, erklärt mir Jun mit besorgter Miene.

„Also die letzte hatte ich vorm Selbstmordversuch und wenige Wochen zuvor einmal, weshalb ich auch für längere Zeit stationär behandelt wurden war. Aber danke, dass ihr keinen Krankenwagen

gerufen hattet. Ich hab keine Lust auf eine stationäre Therapie“, begründe ich meine irrationale Meinung.

„Aber du hast keine Angst mehr vor uns, oder? Also vor unserer Klasse oder allgemein hier der Schule“, fragt er mich besorgt.

Ich schüttele nur den Kopf und frage mich, wohin er mich führt.
 

Den Rest des Weges verbringen wir schweigend und ich bin ganz froh darüber, als wir endlich den Raum betreten, wo Fumiko mit der Klassenlehrerin sitzt.

Ich verbeuge mich nur kurz und setze mich direkt neben Fumiko, während Jun sich zögerlich auf meine andere Seite setzt.
 

Ich starre nur die Tischplatte an und nestele an meinem Hemd herum, um die Angst im Keim zu ersticken.

Fumiko legt direkt beruhigend eine Hand auf meinen Oberschenkel.

Warum hab ich immer noch so eine Angst vor Lehrern?
 

Im ruhigen Tonfall fragt mich die Lehrerin: „Traust du dir wirklich zu weiter zur Schule zu gehen? Und ist es in Ordnung, wenn du mit anderen Schülern ab und an alleine etwas machen musst? Oder vor die Tür geschickt wirst? Und ich bitte dich noch einmal, sag es nächste Mal Bescheid, wenn es dir in irgendeiner Weise nicht gut gehen sollte.“

Ich hebe den Kopf und versuche ihr während dem Antworten möglichst sicher in die Augen zu gucken: „Also ich hab keine Angst vor den anderen, falls sie das meinen. Und ich hab auch kein Problem damit weiter zur Schule zu gehen und mich mit dem Rest der Klasse auseinander zusetzen.“
 

Die Lehrerin lächelt mich herzlich an und meint: „Das ist gut zu hören. Es ist schön zu sehen, dass du nicht einfach kampflos aufgibst. Hoffentlich schaffst du es weiterhin trotz deiner viel zu hohen Fehlquote so gute Noten zu haben. Ihr zwei könnt dann jetzt gehen, ich muss noch etwas mit Frau Suzuki besprechen.“
 

Fumiko schaut mich lächelnd an und erklärt mir: „Kannst du heute Nachmittag zu Jun mit heim gehen? Aiko wird dich dann nach der Arbeit mit heim holen, ja?“

Ich nicke nur und verlasse mit Jun den Raum, schweigend gehen wir zur Cafeteria.

Hoffentlich verläuft der Tag heute wenigstens halbwegs normal.
 

Scheinbar hat die Schule doch eingewilligt, das heißt Uruha wird die nächsten Wochen in der Nähe von seinen Großeltern eine stationäre Therapie machen.

Und so weit ich das mitbekommen habe weiß Uruha davon noch nicht einmal etwas.

Der Psychologe hat ihn wohl direkt auf die geschlossene überwiesen vor wenigen Tagen und da Uruha ja absolut gegen so etwas ist durften wir ihm nichts von dem ganzen erzählen.
 

Neugierig frage ich Jun: „Weißt du warum ich nicht mit Reita nach Hause gehen darf?“

Nachdenklich antwortet er mir: „Reita ging es eben absolut gar nicht gut beim Fußballtraining und momentan ruht er sich noch im Krankenzimmer aus. Gestern war er schon ziemlich angeschlagen, aber du kennst ja seinen Stolz. Ich hatte Fumiko es angeboten gehabt dich mit zu mir zu nehmen, nachdem ich meinen kleinen Bruder vom Kindergarten abgeholt habe. Sie ist zwar nicht ganz so begeistert von der Idee, jedoch können sie dich schlecht ewig in Watte packen und ich denke es tut dir einmal ganz gut wenn nicht immer die üblichen Verdächtigen auf dich Acht geben.“
 

Ob es Reita heute Morgen schon so schlecht ging?

Heute Morgen hat er es sehr gut geschafft gehabt mir erfolgreich aus dem Weg zu gehen und gestern Abend wollte er auch mit niemanden etwas zu tun haben.

Vielleicht sollte ich ihn heute Abend etwas aufmuntern, sofern es ihm besser gehen sollte.

Ob er sich immer noch so Sorgen um mich macht?

Oder ist es wegen Uruha?
 

In der Cafeteria selbst holt mir Jun ein kleines Bento und für sich nur einen Kaffee.

Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster.

Eigentlich habe ich gar keinen Hunger, jedoch muss ich irgendetwas essen, ansonsten überstehe ich den Schultag nicht.

Jun öffnet mir freundlicherweise die Bentobox und bricht die Stäbchen auseinander.

Eher widerwillig nehme ich ihm diese aus der Hand und fange an den Reis und das Gemüse zu essen.
 

„Tust du dir eigentlich immer noch selbst weh?“, fragt mich Jun ganz unerwartet.

Verwirrt schaue ich ihn an und runzele die Stirn.

Ist es richtig ihm zu vertrauen?

Kann ich einem vertrauen, den ich kaum kenne?

Ist es richtig ihm so etwas zu beantworten?

Oder wird er diese Antworten irgendwann schamlos ausnutzen?
 

Seufzend lege ich die Stäbchen beiseite und schließe die Augen.

Warum kann ich nicht einfach diese Angst ablegen?

Selbst bei Reita fällt es mir nach wie vor sehr schwer an das Gute im Menschen zu glauben.

Manchmal sind da Momente, wo ich es tatsächlich schaffe diese Ängste und Zweifel zu vergessen.

Aber an manchen Tagen trifft mich die Angst wie ein Faustschlag ins Gesicht und dann sind alle in meinen Augen feindlich gestimmt.

Ich frage mich, warum ich trotz der Therapie nach wie vor zwischen diesen beiden Extremen schwanke.
 

„Ist alles okay? Ich will dich nicht bedrängen, wir machen uns lediglich unglaublich Sorgen um dich“, versucht mich Jun zu besänftigen.

Ich schüttele nur den Kopf und öffne die Auge.

Seufzend esse ich weiter und frage mich, ob ich bald wieder den rechten Arm vollständig bewegen kann?
 

Als ich fertig bin lege ich die Stäbchen in die Box.

Warum geht Reita überhaupt freiwillig zum Fußball?

Das findet immer viel zu früh morgens statt und ich hasse Tage, wo ich wegen Uruha und Reita so extremst früh aus dem Bett muss!

Normalerweise wäre ich jetzt um die Zeit gerade auf dem Weg zur Schule.
 

Lächelnd antworte ich: „Ich verletzte mich nicht mehr selbst und ich habe auch keine Gegenstände mehr in der Tasche, mit denen ich mich selbst verletzen könnte. Klar ist das Verlangen manchmal noch da, aber ich habe gelernt damit umzugehen. Aber ich kann nichts in die Richtung versprechen, da ich schon öfters wochenlang davon weg war und dann einfach so wieder angefangen habe. Also zwinge mich bitte nicht dazu leere Versprechungen abzugeben.“

Es ist das erste Mal, dass ich zu einem Bekannten so viel gesagt habe, oder?

Oder ist er schon ein Freund?
 

Grinsend tätschelt er meinen Kopf und meint: „Das ist schön zu hören. Komm wir gehen in die Klasse zurück, ja? Wir können gerne heute Nachmittag bei mir daheim weiter darüber reden.“

~

Auf dem Weg zu Jun nach Hause fällt mir wieder einmal auf wie zuvorkommend und fürsorglich er ist. Man merkt richtig, dass er für seinen kleinen Bruder die Mutterrolle übernimmt und es wärmt einem das Herz ihm dabei zuzusehen.

Ich frage mich wie es ist seine Mutter für immer zu verlieren?

Ich bin froh darüber meinen Vater los zu sein, aber für Jun war es garantiert ein Weltuntergang, oder etwa nicht?

Wie fühlt es sich an in einer intakten Familie zu leben, die plötzlich entzwei gerissen wird?
 

Jun wirft mir zudem immer wieder besorgte Blicke zu, da ich laut ihm immer noch ziemlich blass bin.

Wir hatten im Mathematikunterricht Gruppenarbeit gemacht und die anderen aus der Gruppe hatten mich dazu überredet gehabt dem Schularzt einen Besuch abzustatten.

Sie waren mir absolut dankbar dafür, dass ich die ganzen Aufgaben trotz meines Zustandes in Windeseile gelöst hatte.

Auch die Lehrerin hatte mich letztendlich dazu gedrängt endlich Leine zu ziehen, weshalb mich Jun zum Schularzt getragen hatte.

Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann auf halben Wege eingeschlafen und erst wieder wachgeworden bin, als der Arzt den Zugang für die Infusion entfernt hatte. Er hatte sich dann noch ein wenig mit mir unterhalten gehabt, damit ich mir nicht zu viele Vorwürfe mache.

Auch die Klassenlehrerin war zwischenzeitlich gekommen um nach mir zu sehen und um sich zu vergewissern, dass ich keinen Ärger verursache.

Die beiden letzten Stunden hatte ich dann wieder in der Klasse verbracht, da ich nicht zu viel verpassen möchte. Selbst die Lehrerin war erstaunt über meinen Arbeitseifer und meine mündliche Teilnahme am Unterricht.

Vielleicht sollte ich öfters so viel Koffein und Traubenzucker zu mir nehmen?

Und die Tabletten vom Arzt helfen mir den Gedankenstrudel zu unterbinden und mich voll und ganz auf den Unterricht zu konzentrieren.
 

Bei Jun selbst falle ich fast aus allen Wolken.

Er macht fast den ganzen Haushalt allein und kümmert sich noch um seine beiden jüngeren Brüder und trotz allem sieht es hier sehr sauber und ordentlich aus. Wie zum Teufel schafft er das bloß?

In der Schule ist er ja auch noch relativ gut?

Nachdem ich mir die Hauspantoffeln angezogen habe, folge ich ihm auf sein Zimmer.

Seins ist richtig klein und schäbig im Vergleich zu dem von Reita, aber trotz allem sieht es sehr gemütlich aus.

Zusammen mit Jun setze ich mich auf sein Bett.
 

„Sag mal Jun, du kennst Reita doch jetzt schon ein wenig länger, oder? Es hängt mit ihm zusammen, dass die anderen so nett zu mir sind, oder?“, erkundige ich mich.

„Er erzählt dir nichts aus seiner Vergangenheit, oder? Ich werde dir nur etwas davon erzählen, wenn du ihn auf Grund seiner Taten nicht vorverurteilst. Es ist sehr schwer seine Beweggründe nachzuvollziehen und du würdest dir einen riesigen Gefallen tun, wenn du es erst gar nicht versuchen würdest. Und bitte bedränge ihn nicht, er macht sich schon genug Vorwürfe wegen allem“, rät mir Jun.
 

Also hat Reita wirklich sehr dunkle Geheimnisse, die er mir bewusst vorenthält.

Soll ich sein Vertrauen missbrauchen und mich bei Jun darüber informieren?

Ich schüttele den Kopf und schaue ihn aufmerksam an.
 

„Wo soll ich bloß anfangen mit dem erklären? Also Reita ist ja ohne Vater aufgewachsen, das weißt du ja sicherlich. Und vor ein paar Jahren zog der Exmann von Fumiko zu ihnen, was Reita absolut gar nicht gefallen hatte. Er verbrachte deshalb auch viel zu viel Zeit draußen auf der Straße und wie der Zufall es so will: Er freundete sich mit den falschen Leuten an. Es waren ein paar richtig krumme Dinger abgelaufen und die meisten seiner damaligen Freunde sitzen schätze ich immer noch im Jugendknast. Reita hatte Uruha auch noch da mit reingezogen und über diese Personen ist Uruha überhaupt erst an die Drogen gekommen. Die genaueren Umstände lässt du dir lieber von Reita erzählen, da ich dir auch nichts falsches erzählen will. Erst als Uruha sich versucht hatte vom Schuldach während dem Unterricht zu stürzen hatte Reita den Kontakt zu diesen Leuten abgebrochen. Und das muss dann auch der Zeitpunkt gewesen sein, wo man wieder halbwegs mit ihm interagieren konnte. Auf jeden Fall kennen die meisten in unserer Stufe Reita schon seit der Grundschule und niemand will oder wollte Ärger mit seinen Kumpels bekommen. Die meisten haben sowieso eine Menge Respekt vor ihm und wenn er schlecht gelaunt ist, dann sollte man sich lieber von ihm fernhalten. Und gegenüber Lehrern ist er viel zu vorlaut, wobei sich das hier auf der Schule dank dem Sportlehrer noch relativ harmlos ist, was er manchmal sagt. Er weiß halt, dass der seine Mutter dank dem Sportlehrer direkt alles erfährt und er will seiner Mutter keinen Ärger bereiten. Aber seit du da bist hat sich Reita eh um 180° gedreht und man erkennt ihn kaum wieder. Das ist absolut nicht negativ gemeint, aber es ist halt sehr ungewohnt“, erzählt er mir.

Nachdenklich schaue ich auf die Bettdecke.

Habe ich wirklich das Leben von Reita so sehr verändert?
 

Lächelnd erwidere ich: „Aber er sagt auch selbst, dass ich ihm die Motivation dazu gebe weiter zur Schule zu gehen und er mich unglaublich gerne um sich herum hat. Und ich bin auch froh darüber, dass ich damals den Schritt gewagt habe und abgehauen bin. Ich weiß selbst, dass ich nicht die einfachste Person bin, aber daran arbeite ich ja.“

„Ich denke du gibst Reita jede Menge Kraft, die er vor allem wegen Uruha benötigt. Ich hoffe einfach einmal, dass dein Arm bald wieder in Ordnung ist und du es schaffst wieder ein geregeltes Leben zu führen“, gesteht er mir.
 

Führt mich dieser Weg wirklich in ein glückliches Leben?

Warum zerbricht immer dann die Welt um mich herum, wenn es mir wieder halbwegs gut geht?



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Taka-Chan
2013-07-15T11:38:05+00:00 15.07.2013 13:38
Echt tolle Geschichte! Mir gefällt deine Idee sehr gut und ich würde mich freuen wenn ich bald ein neues Kapitel lesen könnte!:-)


Zurück