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Kein Zurück

Der Sand der Zeit steht niemals still
von

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Panik

Heute bin ich schon drei Tage hier und ich kann immer noch nicht verstehen, warum ich hier gelandet bin. Die Dosis der Tabletten ist ab Morgen wieder auf normalen Niveau und ab heute Abend werden wenigstens meine Füße losgebunden.

Gerade ist Aiko bei mir und liest mir etwas vor, aber ich verstehe ihre Worte nicht.

Ich bin so schrecklich müde und habe eine unheimliche Angst vor den Konsequenzen meiner Taten.

Im Großen und Ganzen weiß ich, was wohl vorgefallen war. Und die Tatsache, dass ich mir dieses Mal wenigstes nicht ernsthaft weh getan habe beruhigt mich etwas.

Aber heißt das auch, dass ich tatsächlich demnächst nach Hause entlassen werde?

Oder muss ich jetzt wie Uruha in der Klinik bleiben?
 

Ich weiß nur noch, dass ein Hausbesuch des Jugendamtes anstand. Das wurde mir auch erst erzählt, als die Sachbearbeiterin fast schon da war und dementsprechend vorbereitet war ich.

Die Tage davor hatte ich schon immer wieder Panikattacken und laut den Lehrern sah man mir einfach an, dass es mir mental alles andere als blendend ging.

Scheinbar muss ich mich auf alle Fälle so rein gesteigert haben, dass ich im Endeffekt am hyperventilieren war und mehrfach meinen Kopf gegen das Tischbein gehauen habe. Deshalb hab ich auch einen ziemlich nervigen Verband um meinen Kopf, auch wenn ich selbst nicht weiß wie schlimm die Verletzungen wirklich sind.

Mir macht es Angst, dass mich die Schmerzen dieses Mal nicht aus der Panikattacke gerissen haben. Wo soll das nur alles enden?

Wurden nicht erst die Tabletten erhöht um genau so etwas zu verhindern?
 

Die Sachbearbeiterin hatte dann darauf bestanden, dass ich ein paar Tage stationär behandelt werde. Und da der Psychologe kein Risiko eingehen will, wurde ich vorsorglich festgebunden und sediert. Selbst wenn ich wollte könnte ich meinen Kopf nirgends gegen hauen, da mehrere Kissen genau das verhindern sollen.

Bin ich wirklich so unberechenbar geworden?

Vielleicht bekomme ich ab Morgen auch wieder etwas zu essen?
 

Ich erschrecke mich ziemlich, als Aiko auf einmal meinen Arm unter der Decke hervor nimmt und eine neue Infusion dran befestigt.

„Keine Sorge, die Infusion soll dich schläfrig machen. Ich weiß nicht wer genau morgen da sein wird, wenn du wieder aufwachst. Mach dir keine Sorgen, okay?“, versichert sie mir.

Ich nicke nur und schließe die Augen.

Mir bleibt nichts anderes übrig als ihnen zu vertrauen.

Im Gegensatz zu früher wird mit mir darüber geredet, was jetzt als nächstes ansteht.

Ich brauche keine Angst davor haben, dass ich beim nächsten aufwachen plötzlich eine Magensonde habe.

Hier bin ich sicher.
 

Da der Psychologe von hier darauf bestanden hat wurde sogar der Sachbearbeiter gewechselt.

Dieser hat vor wenigen Stunden mit mir ein bisschen geredet, obwohl ich wegen der Sedierung nicht wirklich ansprechbar war.

Er hat mir noch einmal versichert, dass zu keiner Zeit eine neue Pflegefamilie in Betracht gezogen wurde. Es wurde nur überlegt, ob ich nicht zu meiner eigenen Sicherheit 3 Wochen stationär behandelt werden sollte.

Er war auch kurz bei uns daheim und ist sogar mehr als zufrieden mit dem was er gesehen hat. Er hat sich sogar für das Verhalten von der alten Sachbearbeiterin mehrfach entschuldigt.
 

Mir fällt das Denken immer schwerer und mit einem Lächeln im Gesicht registriere ich Aikos Hand, die meine Schulter ziemlich fest drückt.
 

~
 

Als ich am nächsten Tag aufwache sehe ich Reita, der mit einem Buch in seiner Hand an meinem Bett sitzt. Und direkt fällt mir auf, dass er gar keine Magensonde mehr hat.

Scheinbar geht es wenigstens einem von uns besser.

Als ich meine Hand nach ihm ausstrecke und nach seiner greife, erschreckt er sich ziemlich.

Ich erschrecke mich auch ziemlich, da meine Hände nicht mehr festgebunden sind und ich doch mittlerweile eine panische Angst vor mir selbst habe.

„Oh, Ru-chan. Eigentlich solltest du noch ein paar Stündchen schlafen, da meine Mutter erst später kommt. Wie geht es dir? Ich hoffe dein Kopf tut nicht zu sehr weh“, erkundigt sich Reita.

Lächelnd klappt er das Buch zu und steckte es in seine Tasche.

„Mir geht es wieder besser, danke der Nachfrage“, erwidere ich und rolle mich zusammen.
 

Warum nur habe ich plötzlich so eine Angst?

Ohne es verhindern zu können rollen mir die Tränen über die Augen und der Herzmonitor fängt schrecklich an zu piepen.

Ich nehme es kaum wahr, wie eine der Ärzte ins Zimmer kommt und mir etwas über den Zugang an der Hand spritzt.

Ich will plötzlich gar nicht mehr nach Hause und das einzige was ich wieder haben will ist die Sedierung und die Fixierung ans Bett.
 

Es dauert einige Minuten bis sich mein Herz beruhigt hat und Reita mir ganz sanft über den Rücken streicht.

Plötzlich fragt mich der Arzt: „Was ist los, Kleiner?“

„Ich hab Angst. Warum hab ich mich selbst verletzt?“, frage ich nach.

„Du meinst daheim oder hier?“, fragt der Arzt verblüfft nach.

„Daheim, wo denn sonst?“, frage ich verärgert nach.

Warum bin ich plötzlich so aggressiv?

Es fällt mir wirklich schwer gerade ruhig zu bleiben und vor allem mich nicht selbst zu verletzen.

Vorsichtig dreht mich der Arzt zusammen mit Reita auf den Rücken und fixiert mich.

Erst jetzt bemerke ich, dass ich meine gesunde Hand zu einer Faust geballt hatte.

„Das würden wir alle gerne wissen Ruki. Ich kann dich zwar hier fixieren solange es nötig ist, aber das bringt dich nicht weiter. Um ehrlich zu sein hat auch dein Psychologe nicht damit gerechnet, dass du dich noch einmal ernsthaft selbst verletzten könntest. Ich lass dich jetzt was alleine und hoffentlich wirkt das andere Medikament jetzt besser. Wir versuchen es gleich noch einmal, ja?“, meint der Arzt und verlässt den Raum.
 

Kopfschüttelnd macht Reita das Bett in eine sitzende Position und hilft mir dabei aus einem Glas mithilfe eines Strohhalms zu trinken.

„Du brauchst keine Angst zu haben, okay? Selbst wenn du wieder einen Blackout haben solltest sind genug da, die zur Not eingreifen können. Gleich geht es mit Mama runter zu den Therapieräumen, ja?“, erzählt mit Reita.

Ich nicke nur und versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren.

Und vor allem versuche ich diese schreckliche Wut und das Bedürfnis etwas zu zerstören loszuwerden.

~

Auch später als Fumiko endlich da ist bin ich noch ziemlich nervös.

Sie hilft mir gerade eine Trainingsjacke von Reita anzuziehen. Es fühlt sich so ungewohnt an wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen und ich bin ganz froh darum, dass ich im Rollstuhl sitzen darf. Hoffentlich wird wenigstens der Blasenkatheter nachher gezogen.

Reita legt mir gerade eine Decke über die Beine und verwuschelt anschließend meine Haare.

Ganz unerwartet meint Fumiko: „Wenn irgendetwas sein sollte, dann sagst du bitte Bescheid. Wir können jeder Zeit den Versuch abbrechen und wir werden dich auch zu nichts zwingen.“

In diesem Moment kommt der Arzt mit einer Schwester in den Raum und zusammen nehmen wir den Fahrstuhl um auf die untere Etage zu kommen.
 

Immer wieder muss ich mich selbst daran erinnern zu atmen und die Angst zu ignorieren.

Als ich jedoch die Türen zu den Therapieräumen selbst sehe schnürt mir etwas die Kehle zu.

Japsend ringe ich nach Luft und beuge mich nach vorne.

Das ganze erinnert mich zu sehr an meinen ersten Aufenthalt hier und all dem, was mich überhaupt erst hierhin gebracht hatte.

Plötzlich stellt sich Reita vor mich und drückt mich in eine aufrechte Position im Rollstuhl.

Panisch schaue ich ihn an und Tränen rollen über meine Wangen.

Hier ist nichts schreckliches passiert, warum habe ich also Angst?
 

Der Arzt kontrolliert immer wieder meinen Puls und schaut mich dabei ziemlich beunruhigt an.

Ganz langsam normalisiert sich meine Atmung.

Zögerlich fragt der Arzt nach: „Willst du den Versuch abbrechen?“

Ich schüttele nur den Kopf und lasse mich ganz langsam zu den Therapieräumen fahren.

Wie lange ich wohl dieses Mal hierbleiben werde?

Zuletzt war es eine Woche, ehe ich in eine andere Einrichtung verlegt wurde.

„Ab Morgen sollst du hier an der Musik- und Kunsttherapie teilnehmen. Vielleicht fühlst du dich morgen schon fit genug für Sport, dann könntest du auch etwas Fußball spielen. Mach dir auf jeden Fall mal Gedanken darum, ob dir zur Zeit Gesprächstherapie oder ähnliches Recht wäre“, schlägt der Arzt vor.

Ich nicke nur als Antwort und schweige weiterhin.

Fumiko unterhält sich auf dem Weg zurück mit dem Arzt, aber ihre Worte kann ich beim besten Willen nicht verstehen.

Mein Kopf fühlt sich so an, als würde das Medikament diesen mit Wattebäuschen füllen.

Ob das so gewollt ist?
 

Ich merke erst gar nicht, dass uns der Arzt und die Krankenschwester nicht in mein Zimmer begleiten.

Etwas widerwillig lasse ich mir von Fumiko ins Bett helfen.

Als ich das Tablett mit Reisbrei sehe wird mir augenblicklich schlecht.

Warum nur muss ich wieder essen?

„Ist alles in Ordnung?“, fragt mich Fumiko ganz unerwartet.

Ich schüttele nur den Kopf und drehe mich weg. Ich will heute nichts essen!

Reita umarmt mich auf einmal und drückt mich ganz schön fest an sich. Zaghaft streicht er mir über den Rücken und fragt: „Wir wollen dir nichts böses und dir muss der Grund wirklich nicht peinlich sein.“

Ohne groß nachzudenken antworte ich: „Ich will heute nichts essen.“
 

Es herrscht eine ganze Zeit lang Stille und ich ich rechne schon gar nicht mehr damit, dass einer von beiden mir antworten wird.

Lächelnd erwidert Fumiko: „Je länger du nichts mehr isst, desto größer wird die Angst davor. Du hast mit dem Therapeuten schon große Fortschritte gemacht, oder? Es wäre wirklich schön, wenn du gleich wenigstens etwas essen würdest. Ich will um ehrlich zu sein nicht das Okay für eine Magensonde geben müssen. Und du hast schon so viel durchgestanden, also wovor hast du momentan so so eine schreckliche Angst?“

Ich schüttele nur den Kopf und schließe meine Arme um Reita.

Wir verharren eine ganze Weile so, ehe wir die Umarmung lösen. Und ehe ich es wirklich realisiere hat Reita den Betttisch so gestellt, dass ich daran essen kann.
 

Warum macht er das nur?

Da er mir immer wieder mit dem Löffel gegen die Lippen stupst und ich langsam wirklich Schwierigkeiten habe die Wut im Zaun zu halten, schnappe ich mir den Löffel und stecke ihn mir in den Mund.

Und schlucke den Brei herunter.

Widerwillig esse ich ungefähr die Hälfte der Portion und lege mich dann hin.
 

Diese Wut macht mir Angst, da ich nicht nur mir selbst sondern auch anderen Schaden zufügen möchte. Sowohl mein Vater, als auch mein Großvater hatten regelmäßig ihre Wut an mir ausgelassen und ich will einfach nicht so enden wie die beiden.

Ich möchte nicht die Menschen verlieren, die mich am Leben erhalten.
 

Fumiko guckt mich ganz beunruhigt an, als sie die Elektroden wieder an mir befestigt und die Decke über mich legt.

Es irritiert mich etwas, als sie meine Hand nimmt und diese festhält.

Macht das eine Mutter so?

Ob es überhaupt sinnvoll ist wieder nach Hause zu gehen?

Ich möchte ihnen nicht noch mehr weh tun und Uruha wohnt ja auch jetzt auf unbestimmte Zeit in einer Einrichtung.

Und kaum bin ich nicht mehr daheim geht es Reita wieder besser, oder ist das nur Zufall?

Er sollte ja ohnehin die Sonde entfernt bekommen, also kann es nicht an mir liegen.

Aber was ist, wenn ich mich irre?
 

„Fumi-chan, kann ich wirklich wieder heim? Ihr könnt mich ja nicht ständig bewachen“, frage ich kleinlaut nach.

Ich habe Angst davor wieder in die Schule gehen zu müssen, da mittlerweile garantiert jeder weiß was vorgefallen ist.

Oder weiß etwa davon keiner etwas?

„Warum solltest du nicht heim dürfen, Ru-chan? Nimm einfach alles an Therapien mit was du diese und nächste Woche bekommen kannst und dann sehen wir ja, ob du wieder heim kannst oder nicht. Mach dir einfach keine Gedanken um das alles, ja? Momentan wird sich um einen Plan für die Zeit nach dem Aufenthalt gekümmert und du solltest dich erst einmal darauf konzentrieren die Angst wieder in den Griff zu bekommen“, antwortet mir Fumiko mit einem Lächeln.

„Aber was ist, wenn ich noch einmal so einen Aussetzer habe?“, hake ich nach.

„Dann werden wir auch wie dieses Mal die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht doch irgendwann wieder eine Panikattacke in einem Selbstmordversuch enden wird. Diese Ungewissheit musst du akzeptieren, Ru-chan. Und ich glaube der Arzt und ich sind uns einig, dass der Aufenthalt hier dich einen ganzen Schritt vorwärts bringen wird“, versichert mir Fumiko.

Und was ist, wenn der Aufenthalt mir nicht weiterhilft?

Werden Sie mich hier auch so wie die anderen Kliniken voller Medikamente pumpen?

„Muss ich dann auch wieder zur Schule? Ich hab Angst vor der Reaktion meiner Mitschüler“, gebe ich ehrlich zu.

Ich traue mich nicht den wahren Grund zu nennen, dafür schäme ich mich zu viel.

Nachdem ersten längeren Aufenthalt in der Psychiatrie wegen der Essstörung wurde das Mobbing erst richtig schlimm. Alle hatten gedacht, dass ich wegen Bulimie behandelt wurde und nicht wegen etwas völlig anderem.

Voller Zuversicht antwortet Reita: „Die wissen von dem Aufenthalt hier nichts. Sie denken du wärst in einem Krankenhaus wegen deinem Arm und allem. Lediglich Aoi hab ich es erzählt und Jun, aber die beiden würden so etwas auch nicht weiter erzählen. Mach dir keine Gedanken um die Reaktion deiner Mitschüler. Ich glaub solang du mit mir befreundet bist, haben die eher Angst vor dir.“

Ich lächle ihn an und bin einmal wieder total froh darüber ihm begegnet zu sein.

Ich glaube noch ein weiteres Jahr bei meinen Eltern daheim hätte ich nicht überlebt.

Auch wenn ich gerade nicht weiß wie es weiter gehen soll, werde ich garantiert irgendwann eine Lösung für das Problem finden.

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Danke fürs lesen :) Wenn ihr Fehler findet, dann könnt ihr mir die gerne mitteilen.



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