Der Einsiedler
Manche Leute vertragen es allein zu sein. Sie verspüren keinerlei Unwohlsein oder gar Angst. Für sie ist es eine Wohltat von keinem Lärm und keinen Menschenmassen umgeben zu sein.
Manche suchen sogar die Einsamkeit, führen ein Einsiedlerleben - sei es im hintersten Winkel Kanadas oder in den weiten Ebenen Australiens. Sie sind damit zufrieden den Alltag mit sich selbst zu bestreiten. Wieso auch nicht?
Es bleibt viel mehr Zeit für ein gutes Buch, das schon lange darauf wartet gelesen zu werden, Zeit für Streifzüge durch die unberührte Natur gleich nebenan. Manche werden sich wohl sogar als Herrscher eines kleinen Fleckchens Erde fühlen, es einzäunen, überwachen - kein Fremder soll je einen Fuss darauf setzen können - und voller Stolz am Abend zu Bett gehen.
Sie werden den Überfluss an Freizeit freudig annehmen, Angeln gehen, gegebenenfalls noch nach dem angeschafften Vieh sehen - es füttern und tränken - und einen Großteil des Tages damit verbringen auf die sich vor ihnen ausbreitende wundervolle Natur zu blicken.
Doch es kommt die Zeit, da verliert all dies seinen Reiz. Die Tage werden lang, die wenigen Pflichten sind schnell erledigt, der bisher so überzeugte Einsiedler beginnt nachzudenken. Wäre jetzt eine Frau bei ihm - alles wäre anders. Er hätte Kinder, vielleicht schon Enkelkinder, er könnte ihnen die weite Welt zeigen, sie unterrichten und sich um sie sorgen, sobald sie auf sich selbst gestellt das Land erkunden.
Durch die Kinder hätte er wahrscheinlich auch Kontakt zu den - zugegeben weit entfernten - Nachbarn, da die Kinder doch Spielkameraden gleichen Alters vorziehen. Er hätte unbekümmert seinen alten Tagen entgegensehen können, mit Familie und Freunden den Lebensabend verbringen, lachen, diskutieren und auch einfach einmal gemeinsam schweigen können.
All dies kommt dem Einsiedler jedoch meist viel zu spät in den Sinn, zu sehr ist er schon vereinsamt, ist nicht mehr gesellschaftsfähig.
Manche Leute fürchten die Einsamkeit nicht, wenn sie genug von dem beengenden Alltag in dicht besiedelten Gegenden und Städten haben...
Die Furcht kommt erst, wenn sie, alt und gebrechlich, eine Stütze in der Gesellschaft suchen. Wenn sie plötzlich merken, dass niemand mehr da ist, der ein wenig Wärme ins dunkle Hinterland bringen kann.
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danke fürs lesen.