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Die Stimme im Dunkeln

FF-Autoren » Challenge X » Lichti
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Die Stimme im Dunkeln

Um mich herum war alles schwarz. Ich spürte die Leere, die mich umgab, und es war kalt. Eine Gänsehaut hatte sich auf meinen nackten Armen breit gemacht und ich versuchte ihr mit dem Reiben meiner Finger entgegen zu wirken. Doch es funktionierte nicht. Je länger ich in die Dunkelheit hinein starrte, desto einsamer und verlassener fühlte ich mich. Ich fühlte mich schlecht, mir fehlte etwas, doch ich konnte nicht genau sagen, was es war.

„Dean.“

Irgendjemand flüsterte leise meinen Namen und ich fühlte mich plötzlich wohler, geborgener. Diese Stimme erschuf ein wohlig warmes Gefühl in mir. Es war fast so, als hätte ich etwas wieder gefunden. Etwas, dass schon seit langer Zeit verschwunden war und dass ich schon fast vergessen hatte.

„Dean…“

Die Stimme wurde immer leiser, als würde sie langsam wieder verschwinden. Ich versuchte danach zu greifen, ihr hinterher zu laufen, doch die Dunkelheit lichtete sich nicht und alles um mich herum blieb schwarz… so einsam...
 

Dean erwachte Schweiß gebadet auf seinem Bett. Seine Augen starrten an die weiße Decke und seine Hände hatten sich beinahe unsanft in das Satinlaken unter ihm gekrallt. Er fühlte sich ausgelaugt, immer noch müde und das obwohl er fast 12 Stunden lang durchgeschlafen hatte. Doch immer nach diesem Traum fühlte er sich so schlecht. Immer wenn er diesen Traum hinter sich gebracht hatte, fühlte er diese Leere in sich, als hätte er etwas verloren und es einfach vergessen. Kurz danach kam diese Übelkeit in ihm auf und er seufzte tief.

„Ich hasse diesen Traum.“

Der Dunkelhaarige drehte den Kopf zur Seite und blickte aus dem Fenster, über seinen Balkon hinweg auf eine frisch ausgeruhte, kleine Stadt. Die Vögel zwitschern schon lange und die Marktschreier waren fast schon wieder heiser. Also musste es langsam den späten Morgen zu gehen. Und als hätte er es geahnt und als hätte jemand ihm gesagt, dass das gleich passieren würde, klopfte es an sein Zimmer und sein Name wurde viel zu piepsend und viel zu freudig ausgesprochen, ehe sich ohne Erbarmen die Tür öffnete und alle Vorhänge aufgezogen wurden.

„Guten Morgen!“
 

Meine Stiefmutter.

Chloe.

Brrr, wenn ich an sie denke, wird mir ganz übel. Eigentlich ist sie eine recht nette Persönlichkeit - Keine Frage. Wenn sie nicht gerade nur 5 Jahre älter wäre als ich, würde sie mich wahrscheinlich noch weniger stören. Doch zu ihrem Pech, und gerade auch zu meinem, war sie erst 25 Jahre alt, hatte keine Ausbildung, wenig Gehirn und war – Tatsache! – verheiratet mit meinem Vater.

Und jeden… verdammten Morgen musste sie hier hinein schneien, die Vorhänge von meinen Fenstern aufziehen, mir meine Bettdecke wegziehen und mir sagen, dass ich gefälligst aufstehen sollte… so wie heute.
 

„Dean! Steh endlich auf, na los!“ Freudestrahlend riss die Blondine alle Vorhänge auf, die sie finden konnte, zog Dean im gleichen Augenblick die Bettdecke vom Körper und trällerte immer noch, dass er gefälligst aufstehen und den Tag genießen sollte. Heute war schließlich Samstag! Samstag…

„Na los jetzt Dean. Du kannst nicht so lang schlafen. Mach dich fertig, genieß noch etwas den Tag. Heute Abend ist das große Fest deines Vaters. Und du musst darauf vorbereitet sein, immerhin bist du sein Sohn. Der Erbe seines gesamten Imperiums!“

„Buchstabier doch mal Imperium.“ Gelangweilt setzte der dunkelhaarige, junge Mann sich auf und strich sich durch die strubbligen Haare, ehe er die Beine aus dem Bett schwang und seine viel zu überschwängliche Stiefmutter anblickte.

„I… ähm… m…“

„Chloe… das war ein Witz.“

„Na, das weiß ich doch, du Dussel!“

„Raus jetzt.“

„Dean, jetzt stell dich doch nicht so an. Ich bin mit deinem Vater verheiratet.“

„Das heißt nicht, dass du ständig ungefragt in mein Zimmer darfst, meine Vorhänge zur Seite ziehen und meine Bettdecke klauen darfst. Das heißt auch nicht, dass wir zusammen duschen werden und wenn ich sage ‚Raus‘, dann meine ich nicht ‚Geh bitte‘, sondern dann meine ich ‚RAUS JETZT‘!“

Er blickte seine Teenie-Schwiegermutter mit leicht wütendem Blick an, bevor diese endlich das Zimmer verließ und Dean sich wieder in sein Bett zurück sinken lassen konnte. Sie sollte ihm doch einfach nicht auf die Nerven fallen. Eigentlich störte sie ihn nicht wirklich, wenn sie nicht gerade in seiner Nähe war oder den Mund öffnete. Dann war sie zu ertragen. Dean war es egal, was für Vögel sein Vater sich anlachte, immerhin schien er den Tod seiner Mutter ziemlich schnell verkraftet zu haben, was er ihm bis heute noch nicht verzeihen konnte.
 

Mein Vater ist Unternehmer. Er leitet ein riesiges Bauunternehmen, welches im Jahr wohl genug Kohle abwirft, dass er sich eine schicke Villa und ne 25 jährige Geliebte anschaffen kann. Gut, Chloe ist nicht die erste, junge Frau im Bett meines Vaters, aber zumindest die erste, die er geheiratet hat. Im Endeffekt natürlich seine Sache, er wird schon wissen, was er tut.

Aber zurück zu meinem Vater. Dieser ist nämlich vor drei Tagen 50 geworden und will es an diesem Samstag so richtig krachen lassen. Er hat die halbe Stadt eingeladen, plus seine merkwürdigen Geschäftspartner und alles, was eben zu seinem – ich zitiere mal eben Chloe – „Imperium“ dazu gehörte. Eigentlich war es mir egal, doch ich gehe meinem Vater schon 364 Tage im Jahr auf den Sack, da kann ich wenigstens einmal im Jahr den lieben, netten Sohn spielen.

Aber dabei bleibt es auch.
 

Eigentlich hatte er nicht wirklich Lust sich für so ein blödes Fest fertig zu machen, doch wie er schon selbst erkannt hatte, konnte er ja einmal im Jahr nett zu seinem Vater sein und deswegen beschloss er diesen Tag auf heute zu legen. Also war er mal so nett, stand von seinem Bett auf und verbrachte noch einmal zwei Stunden damit, sich im Badezimmer in die Wanne zu legen und es sich gut gehen zu lassen. Sie hatte doch gesagt, dass er den Tag genießen sollte, also tat er das auch. Ohne groß darüber nachzudenken, dass er ja schon in ein paar Stunden fertig sein musste. In ein paar Stunden müsste er in seinem schicken Anzug mit seinem Vater unten am Eingang stehen und wildfremde Menschen zu seiner komischen Geburtstagsparty begrüßen.

„Was soll das überhaupt?“, fragte er die Quietscheente in seinen Händen und pustete ihr dabei den Schaum vom Kopf.

„Warum ausgerechnet so ein blöder Kostümball? Wir haben doch nicht Karneval! Aber nein, er muss sich ja jung fühlen.“ Etwas seufzend schüttelte er den Kopf und tauchte dann komplett unter. Unter Wasser kniff er die Augen zusammen und fragte sich, ob er nicht einfach hier unten bleiben sollte. Ob es nicht besser wäre, dann müsste er sich die ganzen dicken Frauen nicht antun, die sich in viel zu kleine Kostüme quetschten, weil sie geglaubt hatten, dass sie noch abnehmen würden. Er müsste sich seinen Vater nicht antun, der hinterher betrunken mit allen Frauen unter 30 rummachen und morgen wieder das große Theater mit Chloe haben würde. Eigentlich müsste er sich dann um gar nichts mehr Gedanken machen. Rein gar nichts...
 

„DEAN!“ Ein lautes Poltern und die tiefe Stimme seines Vaters brachten ihn dazu unter Wasser die Augen zu verdrehen und aufzutauchen. Süßer Tod, er ist dir schon wieder von der Schippe gesprungen, obwohl er dich doch eigentlich gesucht hatte. Doch wahrscheinlich würde sein Vater ihn jetzt umbringen, ihn klonen, um ihn dann noch einmal umbringen zu können, nur damit es ihm besser ging und er wieder „Herr der Lage“ war, wie er es doch immer so treffend ausdrückte.

„Erst pennst du bis mitten am Tag und jetzt setzt du gleich noch Schwimmhäute an! Komm endlich da raus, ich hab keine Lust gleich bei Sea Life anzurufen, dass sie dich hier abholen können! Los jetzt, du bist nicht König Triton! Raus da!“

Etwas genervt verdrehte der junge Mann die Augen und schüttelte den Kopf. Womit hatte er so was denn verdient? Er hatte nichts gemacht, bei Gott, wirklich nicht. Womit hatte er einen Tyrannen als Vater, Barbie als Stiefmutter und dieses Leben verdient? Manchmal wünschte er, er hätte wenigstens einen Menschen auf der Welt, der ihn verstand. Nur einen einzigen.

„Dean…“

Ihm kam die Stimme aus seinem Traum in Erinnerung und er seufzte leise.

„Ist ja gut, ich mach ja schon.“
 

Ich bin Dean Thomas. Ich bin 20 Jahre alt und wohne in einer kleinen Stadt, irgendwo im Nirgendwo. Unser Haus ist das größte in dieser Stadt, obwohl ich nicht wirklich stolz darauf bin.

Mein Vater ist Jonathan Thomas, er ist Chef eines Bauunternehmens, aber das wisst ihr ja schon.

Meine Stiefmutter Chloe ist Barbie von Beruf und genauso dämlich. Aber da seid ihr ja auch schon hinter gestiegen.

Meine Mutter – Gott hab sie selig – starb vor 10 Jahren an einer schweren Krankheit. Seit diesem Tag führt sich mein Vater auf wie der Schürzenjäger vom Wunderland, aber keinen interessiert es wirklich.

Tja, herzlich Willkommen in meiner Welt, wenn ihr nicht schon längst drin steckt.
 

Es war noch nicht ganz Abend. Zumindest hatte die Sonne noch nicht den Horizont geküsst, als Dean in voller Montur - Anzug, Krawatte, blitz blanke Schuhe und so weiter - vor der Eingangstür stand und die ersten Gäste empfangen durfte. Alle, wie er es schon am Anfang befürchtet hatte, in unmöglichen Kleidern und Kostümen. Eines schrecklicher als das andere und wenn sein Vater jetzt noch auf die Idee kommen würde, das schrecklichste Kostüm zum Sieger zu erklären, dann musste man aus diesen ganzen Menschen erst einmal das schrecklichste heraus finden. Das wäre dann wahrscheinlich eine undankbare Aufgabe, die… Dean dachte lieber nicht weiter, hatte er doch schon häufiger den Verdacht gehabt, dass sein Vater Gedanken lesen konnte.

„Es ist schön Sie zu sehen. Schön, dass Sie es einrichten konnten. Danke, dass Sie hier sind. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau viel Spaß.“ Nach den ersten paar Pärchen und Familien hatte er das Gefühl, er habe Haare auf den Zähnen und er wollte sich am liebsten übergeben. Keiner von den ganzen Menschen hier war ein schöner Anblick. Die schönsten waren die, die die Einladung zwar angenommen, ihr aber nicht gefolgt waren. Eben die, die sich dem nicht hingaben, diesem ganzen Getue von „Wir sind was“ und „Wir haben was“. Die meisten von denen hatten nichts und konnten einfach froh darüber sein auf der Liste seines Vaters zu stehen, weil sie ihm mal die Schuhe geputzt, oder seinen Anzug genäht hatten. Lächerlich.
 

Innerlich vergingen für Dean Stunden, bis er das erste Mal sitzen durfte und sich das erste Glas Alkohol genehmigen konnte, ohne dass sein Vater mit dem Finger zeigte und „Du du du“ sagte. Eigentlich interessierte er sich doch überhaupt nicht dafür, was sein Sohn hier tat. Die Hauptsache war einfach, wenn er gebraucht wurde, hatte er zur Stelle zu sein. Mit so Sprüchen wie: „Das ist der Nachfolger meiner Firma!“ oder „Mein Sohn, der Student! Wenn er fertig ist, wird er mein Teilhaber!“ oder andere Lächerlichkeiten dieser Art. Dean hatte absolut überhaupt keine Lust auf diesen ganzen Schmarn und versuchte mit zwei Sektgläsern dem Ganzen zu entkommen, indem er sich auf den Balkon flüchtete. In die Nacht hinein, denn die Sonne hatte mittlerweile den Horizont geküsst und war dahinter verschwunden.
 

Draußen stellte er eines der Sektgläser auf das Balkongeländer und wandte sich mit dem Rücken der Party zu, um ein wenig in den Mond schauen zu können, der am Himmel leuchtete und nur darauf wartete, angesehen zu werden. Jetzt konnte der Abend beginnen - Mit ein wenig Champagner, dem Mond, seiner Ruhe.

Dean hatte gerade den letzten Schluck aus seinem Glas geleert, als er dieses einfach vom Balkon hinunter in den Brunnen warf, der sich darunter befand. Das Glas zerschellte am steinernen Rand des kleinen Engels und er grinste ein wenig, bevor ein leichtes Lachen sich seiner Kehle entrang und er seine rechte Hand ausstreckte, um das zweite Glas an sich zu nehmen. Doch es war weg!

Etwas entnervt lehnte er den Kopf zur Seite und blickte sich um. Das Glas konnte ja nicht plötzlich Beine bekommen haben und weggelaufen sein. Da musste doch irgendjemand hinter stecken. Und eigentlich konnte er sich nicht erklären, wer das sein sollte. Er hatte keine Freunde, die diesen Ball hätten besuchen können, und Chloe würde sich nach dem heutigen Auftritt in seinem Zimmer keine zwei Zentimeter mehr an ihn heran wagen. Wer also konnte so dreist sein und-

„Ich habe dein Glas entführt“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter einer Säule des Balkons und eine Frau schritt auf ihn zu. Sie trug ein blaues Kleid, nicht so schrecklich wie die Kleider der anderen Frauen. Es war unten sehr weit geschnitten und ließ einen Reifrock vermuten. Ihre Haare waren zu einer wunderschönen Frisur hochgesteckt und ihr Gesicht hatte sie hinter einer Maske versteckt, die passend zu ihrem Kleid den gleichen, blauen Ton hatte.

„Und warum, wenn ich fragen darf?“

„Mir war danach.“

Mit so einer Antwort hatte er bei Weitem nicht gerechnet und so stand er noch immer ziemlich verdutzt an diesem Geländer, hatte die Hände auf die Steine gelegt und lehnte mit dem Rücken an den Balkon, während seine Augen die Bewegungen der jungen Frau verfolgten.

„Was macht eine so schöne Frau wie du auf diesem langweiligen Fest?“

„Woher willst du wissen, dass ich schön bin? Du siehst mein Gesicht nicht.“

„Ich-“

„Sprachlos?“ Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen der Unbekannten ab und sie stellte das Glas wieder von dort zurück, von wo sie es genommen hatte, bevor sie sich auf das Geländer lehnte und zum Mond hinauf blickte.

„Meine Eltern haben mich her gebracht. Sie sind wohl alte Freunde deines Vaters.“

„Und da kennen wir uns nicht?“ Er blickte die braunhaarige Schönheit fragend an und ihr Lächeln wurde ein wenig trauriger.

„Tun wir nicht?“ Die Stimmlage verriet Dean, dass er etwas vergessen hatte, was er sich wahrscheinlich hätte merken sollen, doch er konnte sich einfach an kein Mädchen erinnern, dass solch eine Haarfarbe und Figur hatte und ihm nicht im Gedächtnis geblieben war. Wer war sie nur, dass sie sein Glas stahl, es ihm auf diese Weise wieder gab und dann tatsächlich immer noch diese Maske trug… Wer war sie?

„Ich wüsste nicht, dass ich dich kenne.“

„Schade.“ Lächelnd stieß sie sich vom Geländer ab und ihr Kleid wirbelte kurz, während sie sich einmal um ihre Achse drehte und mit den Händen hinterm Rücken zu ihm gewandt stehen blieb.

„Wirklich schade… Dean.“ Sie hauchte seinen Namen wie die Stimme in seinem Traum, doch bevor ihm genau bewusst wurde, dass es so war, war sie schon in der Menge der Menschen verschwunden.
 

Es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder aufraffen und mein Gehirn wieder einschalten konnte. Tatsächlich hätte man beinahe hören können, wie es vom Standby-Modus langsam wieder aktiver wurde und anfing zu arbeiten.

Diese Stimme hallte in meinen Ohren wieder, denn sie klang genauso verführerisch und traurig wie in meinem Traum, den ich seit Jahren immer wieder hatte, und ich nicht wusste warum. Immer und immer wieder stand ich in der Dunkelheit und hörte jemanden meinen Namen rufen. Manchmal konnte ich Schemenhaft ein Gesicht erkennen, blaue Augen waren irgendwann mal dabei gewesen, doch an mehr konnte ich mich einfach nicht erinnern. Ich hätte so viel dafür gegeben, dass die Stimme in meinem Kopf endlich ein Gesicht bekam…

„Wirklich schade… Dean.“
 

Seufzend stand er nun allein auf diesem Balkon. Ihm war nicht klar, wen er da gerade hatte gehen lassen, doch so wie es aussah, kannte dieses Mädchen ihn besser, als er sich selbst kannte. Er griff desinteressiert nach dem Glas Champagner, verfehlte es, streifte es nur mit den Fingern. Das Glas verlor den Halt und fiel samt Inhalt den Balkon hinunter.

Es geschah wie in Zeitlupe.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die unbekannte Schönheit gerade den Festsaal verlassen und wollte allem Anschein nach das Gelände verlassen, als Dean das Glas aus der Hand rutschte und es drohte auf ihren Kopf zu fallen.

„Vorsicht!“
 

Vor meinem inneren Auge spielte sich eine Szene ab. Ich war noch ein kleiner Junge, vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Ich hatte einen furchtbaren Streit mit meinem Vater gehabt, weil ich wieder einmal etwas nicht so machen wollte, wie er es gern gehabt hätte. Meine Mutter versuchte zwischen uns zu schlichten, doch es funktionierte einfach nicht. Wie immer. Wir waren schon immer unglaubliche Streithähne gewesen.

An diesem Tag war ich schrecklich sauer auf ihn. Ich hatte mich einfach davon gemacht und ging durch die kleine Innenstadt, die heute noch nicht anders ist als damals. Ich wollte mich einfach etwas abreagieren. Zwar war ich erst acht Jahre alt, aber ich war so unglaublich wütend auf ihn gewesen, dass ich mir das selbst heute nicht mehr erklären kann. Ich selbst kann mir nicht erklären wie ein kleiner Junge so viel Hass gegenüber jemandem empfinden konnte.

Und dann geschah es.

Ich hörte eine Stimme über mir, die ganz laut „Vorsiiicht!“ rief und Sekunden später zerschellte ein Glas vor meinen Füßen, aus dem einige Ameisen hinaus flüchteten. Die, die bei dem Aufprall nicht ums Leben gekommen waren.

Sekunden später stand ein Mädchen vor mir, nicht viel jünger als ich und keuchte, weil sie von oben bis hier hinunter gerannt war, nur um zu sehen, wie es mir ging.

„Tut mir leid“, hatte sie damals gesagt, „ich hab nicht aufgepasst.“

„Ist ja nichts passiert.“

„Na so ein Glück… Ich bin übrigens Calliope. Aber alle nennen mich Cally. Und wie heißt du?“

„Ich bin Dean.“

„Dean…“
 

Seine Augen weiteten sich und er blickte hinunter auf das Mädchen, neben dem vor wenigen Sekunden das Sektglas in kleine Splitter gesprungen war. Sie hatte eine Hand auf ihre Brust gepresst und zitterte, was er nur vermutete, denn von hier oben konnte er das nicht sehen. Doch eines war klar. Das da unten… das war seine alte Sandkastenfreundin. Calliope!

„Cally! Warte!“ Dean hatte gar nicht darauf geachtet, ob sie tatsächlich auf ihn wartete oder ob sie weiter ging, doch sofort stürmte er in den Festsaal hinein und rempelte einige Leute an, um sich an ihnen vorbei bewegen und endlich den Ausgang erreichen zu können.

„Dean, was soll dieses Verhalten?!“

„Für die Liebe, Vater!“

Er erinnerte sich langsam wieder. Die beiden wurden damals richtig gute Freunde und Cally kam fast jeden Tag zum Spielen. Sie hatte ihn getröstet, als seine Mutter damals starb. War bei ihm, als sein Vater ein halbes Jahr später eine Freundin mit nach Hause brachte. Doch dann musste ihr Vater einer anderen Arbeit nachgehen. Sie waren weggezogen und Cally hatte sich nicht getraut es ihm zu erzählen. Er hatte es durch Zufall mitbekommen, dass sie eines Abends klamm heimlich mit ihren Eltern wegfahren wollte… deswegen auch die Dunkelheit in seinem Traum und das Rufen.

Er fragte nicht danach warum er gerade jetzt diesen Traum gehabt hatte oder ob ihm irgendjemand etwas sagen wollte… er wusste nur, dass da draußen die schönste Frau auf der Welt auf ihn wartete – zumindest hoffte er das – und dass er sie jetzt nicht mehr gehen lassen würde.
 

Keuchend kam er vor ihm zum Stehen, hatte die Hände auf die Knie gelegt und den Kopf nach unten geneigt.

„Tut mir leid“, sagte er, „ich habe nicht aufgepasst.“

„Ist ja nichts passiert.“

„Na so ein Glück… Ich bin übrigens Dean. Alle nennen mich auch Dean. Und wie heißt du?“

Leicht grinsend stellte er sich wieder aufrecht hin. Seine Finger strichen sanft über die Wange an ihrer Haut und über den Rand der blauen Maske, die immer noch ihr wunderschönes Gesicht dahinter verbergen sollte.

„Ich bin-“

Doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen und nickte.

„Ich weiß.“

Seine Hand löste sanft die Maske von ihrem Gesicht und seine Augen sahen nach fast acht Jahren seine beste Freundin wieder, die noch schöner war, als sie ihn damals verlassen hatte und für die er immer noch so viel empfand, wie vor acht Jahren. Wenn nicht sogar mehr.

„Die brauchst du jetzt wohl nicht mehr“, hauchte er ihr zu.
 

Als sich ihre Lippen zu einem kurzen Kuss trafen, löste ein Windstoß die Maske aus seiner Hand und trug sie geradewegs zu den Scherben am Rande des Brunnens. Sie wollte wissen, ob er sich erinnerte. Jetzt erinnerte er sich wieder.

Und die Maske? Die brauchte sie jetzt nicht mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-04-03T12:23:07+00:00 03.04.2010 14:23
Hey Hey!
Danke für deinen Beitrag zur Challenges =)

Das erste, was mir bei deiner Geschichte aufgefallen ist, war die interessante Stileigenheit: Der Wechsel vom persönlichen Ich-Erzähler, der gleichzeitig die Gedanken von Dean darstellt und vom Er-Erzähler.
Soetwas hab ich in der extremen Art (ganze absätze) noch nicht gesehen, fand es aber höchst interessant, so etwas zu lesen.

Die Story an sich ist spannungsgeladen, mit dem Traum anzufangen und diesen als wiederkehrendes Motiv zu benutzen, fand ich richtig gut.
Das Thema- die Maske- war bei dir hier auf dem ersten Blick nur für den Maskenball wichtig, allerdings lassen sich zwischen den Zeilen mehrere andere Andeutungen erkennen. Finde ich wirklich gut!

Diese leicht sarkastische Art des Hauptprotagunisten, was dich auch durch den Er-erzähler zieht, fand ich wirklich amüsant, allerdings war für meinen Geschmack etwas zu viel Umgangssprache mit darin.
Gerade beim Ende hätte ich gerne noch mehr über die Beziehung der unbekannten Schönen zu Dean erfahren, die Ereignisse überschlagen sich ziemlich. Warum ist sie zurückgekommen, warum gerade jetzt? Sie bleibt mir ein wenig zu blass in der Geschichte.^^

Trotzdem finde ich sie durchaus gelungen, es war für mich mal etwas völlig neues, so etwas zu lesen und die Story an sich ist auch wirklich schön zu lesen^^


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