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Seelensplitter

von

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Ägypten X: Das Opet-Fest (zensiert)

„Papa! Papa!“ Amisi rannte so schnell durch die Eingangshalle des Palastes zu Atem, wie ihre kleinen Beine sie tragen konnten. Sie lachte und umarmte seine Beine mit aller Kraft. 
 

Nefertiti folgte ihr in einem angemesseneren Tempo, aber ihr Lächeln war ebenso breit wie das ihrer zweijährigen Tochter. „Endlich seid ihr wieder da! Wie war es in Harda? Ich habe mich hier fast zu Tode gelangweilt.“ Sie umarmte zuerst Atem, dann Heba. 
 

„Es lief alles gut in Harda“, erwiderte Atem und beugte sich hinunter, um Amisi hochzuheben. „Warst du auch schön lieb zu deiner Mama und deiner Kinderfrau, meine Süße?“ 
 

Amisi nickte eifrig, so daß ihre kleinen Ohrringe mit Glöckchen leise klingelten. 
 

„Wir hatten ein paar Probleme mit Antes’ Gefolgsleuten“, führte Heba weiter aus, „aber nichts, womit wir nicht fertig geworden wären.“ 
 

Atem hatte mit Heba und der Hälfte des Hofes einen längst überfälligen Besuch in Harda gemacht, um zu sehen, wie weit der Neuaufbau in dem Jahr seit der Vereinigung der beiden Reiche fortgeschritten war. Die unteren Schichten Hardas hatten sich schnell an die ägyptische Herrschaft gewöhnt, vor allem da Atem ihnen nicht nur das Getreide ihres eigenen Landes wieder zugänglich gemacht hatte, sondern sogar Getreide aus Ägypten nach Harda hatte transportieren lassen, um einer Hungersnot vorzubeugen. Nach der Senkung der Steuern auf ein angemessenes Maß mußte kein Aufstand des Volkes mehr befürchtet werden. 

Die Adligen und die Günstlinge Antes’ hingegen waren eine andere Geschichte. Zweiundzwanzig hatte Atem während des Besuches nach Beratung mit Heba zu Kerkerhaft oder Zwangsarbeit verurteilt. Heba hatte seinem Land weiteres Blutvergießen ersparen wollen und Atem war ihm, so weit möglich, entgegenkommen. Nur vier von Antes’ Gefolgsleuten hatten so große Schuld auf sich geladen, daß Atem Heba den Wunsch, niemanden zu töten, nicht hatte erfüllen können. 

Atem hoffte, daß das Exempel die restlichen Anhänger des alten Regimes von einem Aufstand abhalten würde. So schnell wollte er bei aller Liebe nicht wieder die anstrengende Reise nach Harda machen. 
 

„Das ist schön zu hören“, unterbrach Nefertiti Atems Gedankengänge. „Kommt, ich habe für euch Essen vorbereiten lassen.“ 
 

„Gute Idee, mein Magen knurrt schon“, erwiderte Heba lächelnd. 
 

„Du ißt seit einem Jahr ganz schön viel. Bist du sicher, daß du nicht schwanger bist?“ zog Nefertiti ihn freundschaftlich auf, während sie die Männer in den Speisesaal führte. 
 

„Also soweit ich das beurteilen kann, ist Heba ein Mann“, mischte Atem sich lachend ein. „Ich hätte es gemerkt, wenn es anders wäre.“ Er hob seine nackte Tochter auf seine Schultern, wo sie es sich mit einem zufriedenen Quieken bequem machte. „Hast du gerade gespielt?“ 
 

„Ja, im Garten!“ 
 

„Ja, macht euch nur lustig über mich!“ erwiderte Heba gespielt beleidigt. „Zum Glück kann ich nicht wirklich schwanger werden, obwohl... vielleicht hätte Mana dafür einen Zauber?“ Unsicher wandte er seinen Kopf zu Atem. 
 

„Wenn es so einen Zauber je gegeben hat, dürfte er tief im Wüstensand vergraben worden sein, zusammen mit seinem Erfinder“, lachte Atem. „Apropos Mana: Wie geht es ihr?“ 
 

„Sehr gut! Sie hat Isis als Oberste Heilerin ausgezeichnet vertreten“, antwortete Nefertiti. „Mahado geht es auch gut, er fängt schon an zu laufen.“ 
 

Die Familie betrat das Eßzimmer, wo bereits ein heißer Braten darauf wartete, verzehrt zu werden. Atem setzte Amisi neben sich, daneben nahm Nefertiti platz. Heba setzte sich, wie es sich inzwischen eingebürgert hatte, zu Atems Rechten. 
 

„Und gibt es sonst Neues?“ erkundigte sich Atem. 
 

„Die syrische Prinzessin, mit der du dich vermählen wirst, soll nächsten Monat ankommen. Von Bakura haben wir seit seinem Übergriff auf den armen Akunadin auch nichts mehr gehört. Sonst steht das Reich noch so, wie du es verlassen hast, lieber Bruder“, faßte Nefertiti zusammen. 
 

„Geht es Akunadin wieder gut?“ Heba wandte sein Gesicht Nefertiti zu. Auch wenn Heba und Akunadin kaum Berührungspunkte hatten, respektierte Heba diesen und der wiederum brachte Heba ein gewisses Maß an Sympathie entgegen, das sich zumindest teilweise darauf gründete, daß Heba Ägyptens Gebiete, Reichtum, Einfluß und Macht mit einer Unterschrift und ohne Krieg vergrößert hatte. 
 

„Er ist reichlich griesgrämig in letzter Zeit, aber körperlich hat er sich laut Mana gut erholt. Er wird schon wieder, der Gute“, antwortete Nefertiti mit einem leichten Lächeln. 
 

„Set hat ein Mädchen in seinem Zimmer!“ krähte Amisi, die sich sichtlich bei der Unterhaltung der Erwachsenen langweilte. 
 

„Das wurde ja auch mal Zeit“, murmelte Atem und verbarg sein Grinsen hinter seinem Weinbecher. Bis jetzt war Set wohl der einzige der Priester, der entweder keine Affäre hatte oder klug genug gewesen war, sie zu verheimlichen. 
 

„Amisi, so was schreit man nicht so durch die Gegend“, mahnte Nefertiti. „Sets persönliche Angelegenheiten gehen uns nichts an.“ 
 

Amisi schmollte und wandte sich ihrem Bratenstück und ihrer Milch zu. 
 

Atem grinste und streichelte über Amisis Kopf mit der seitlichen Jugendlocke in Magenta und Schwarz. Es war gut, wieder daheim zu sein bei seiner Schwester und seiner Tochter. Aus dem Augenwinkel sah er zu Heba. Und natürlich Heba an seiner Seite zu wissen. 
 

Auch wenn es nicht möglich war, daß Männer eine offizielle Ehe führten, schien inzwischen nicht nur der ganze Palast, sondern auch der Großteil Ägyptens und Hardas Atem und Heba als vermählt anzusehen. Atem gefiel es, entsprach es doch mehr als alles andere der Wahrheit, hatte doch Heba bereits selbst einmal gemeint, sie wären schon wie ein altes Ehepaar. 
 

Als alt würde Atem aber ihre Beziehung nicht bezeichnen. Keiner konnte vom anderen genug bekommen, obwohl sie schon mehr als ein Jahr zusammen waren. Sie wurden einander nicht müde und mit jedem Tag fühlte Atem mehr Liebe und Zuneigung für Heba. Wenn er in Hebas Augen sah, dann wußte er, daß es Heba genauso mit ihm ging. In Harda hatten sie vor lauter Arbeit nur wenig Zeit miteinander verbringen können, aber jetzt, wo sie wieder zuhause waren, wollte Atem das wieder ändern. Er vermißte die ruhigen Stunden mit seinem Geliebten. 
 

So sehr Bakura auch Unruhe stiftete und durch sein erneutes Eindringen in den Palast und seinen Angriff auf Akunadin noch mehr Schmerz verursacht hatte, hatte Atem das Gefühl, daß er den verdammten Grabräuber kriegen würde, solange er Heba nur in seiner Nähe wußte. Es war nur noch eine Frage der Zeit. 
 

Der Apophis-Kult bereitete Atem im Moment mehr Kopfzerbrechen. Durch Antes’ Absetzung hatten die Kultisten ihren einzigen Verbündeten außerhalb Ägyptens verloren, was die Gruppe wieder zurück in den Untergrund getrieben hatte. Die letzten beiden Spitzel, die Siamun eingeschleust hatte, waren spurlos verschwunden und Atem befürchtete, daß Tenghe und Halicon sich ihrer längst entledigt hatten. So blieben der Kult und seine Pläne weiterhin undurchsichtig. 
 

Bakura hingegen trug seine Absichten offen zur Schau. Er wollte alle Millenniumsartefakte für sich alleine und dabei der ägyptischen Krone möglichst viel Schaden zufügen. Atem wußte, er selbst stand ganz oben auf Bakuras Racheliste. Harda war wenigstens soweit unter Kontrolle und auch die anderen Reiche schienen gerade keine Kriegsabsichten zu hegen. Das sollte Atem die Zeit verschaffen, sich endlich um die eigenen innerpolitischen Querelen zu kümmern und diese hoffentlich bald zu bereinigen. 
 

„Alles in Ordnung?“ wisperte Heba Atem zu. „Du bist so seltsam ruhig.“ 
 

„Entschuldige, mein Kleiner, ich...“ 
 

„Ha, ich weiß ich es!“ unterbrach Nefertiti Atem mit einem triumphierenden Grinsen. „Heba, stehst du mal kurz auf?“ 
 

Heba hob verwirrt seine Augenbrauen. „Du weißt was?“ 
 

„Warum du soviel ißt! Tu mir den Gefallen und steh auf, ja?“ 
 

Heba wandte das Gesicht zu Atem und zuckte verständnislos mit den Achseln, dann stand er auf. 
 

„Sag mal, Heba, hast du einen Teil deiner Tunika abgeschnitten?“ erkundigte sich Nefertiti und kicherte. 
 

„Nein, wieso?“ 
 

„Weil sie plötzlich erstaunlich kurz ist und nicht mehr bis zu deinen Knien reicht“, erklärte Nefertiti und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust. „Du bist gewachsen.“ 
 

„Bin ich?“ 
 

Atem stand auf und lachte. „Ja, bist du! Du gehst mir schon bis zur Schulter und bist jetzt so groß wie Nefertiti. Warum habe ich das nicht bemerkt?“ 
 

„Weil du auch noch gewachsen bist, Atem“, informierte Nefertiti ihn trocken. „Deine Tunika reicht nämlich auch nicht mehr bis zu den Knien.“ 
 

Atem sah an sich hinunter und mußte feststellen, daß Nefertiti recht hatte. „Warum sagt mir das eigentlich keiner?“ seufzte er und setzte sich hin. 
 

Nefertiti ergriff ein Tuch, tauchte es in die kleine Wasserschüssel, die zum Waschen der Hände gedacht war, und wischte Amisis verschmiertes Gesicht und klebrigen Hände ab. „Weil du der Pharao bist und dich niemand verärgern will, indem sie so unverschämt sind, dir etwas zu sagen, das du von alleine bemerken müßtest“, erwiderte sie. „Soll ich den Schneiderinnen Bescheid sagen?“ 
 

„Bitte, ja, Nefertiti. Morgen früh hätte ich Zeit. Was ist mit dir, Heba?“ 
 

„Ich schließe mich dir an, Atem. Ich will nicht plötzlich im Freien stehen.“ Heba warf Atem, der sich nur mit Mühe einen Kommentar verkneifen konnte, einen wissenden Blick zu. 
 

„Dann morgen früh“, erwiderte Nefertiti. „So, Amisi, sag jetzt schön gute Nacht zu deinem Papa und Onkel Heba.“ 
 

Amisi schob ihre Unterlippe vor. „Aber...“ 
 

„Kein aber“, mischte Atem sich ein. „Wenn du jetzt nicht ins Bett gehst, kann ich morgen früh nicht mit dir schwimmen gehen.“ 
 

„Und die Schneiderinnen?“ 
 

„Gleich danach, Nefertiti.“ 
 

Amisis Gesicht erhellte sich bei der Aussicht, morgen allein mit ihrem Vater sein zu dürfen. „Gute Nacht!“ rief sie und stand auf. Die Kinderfrau kam auf Nefertitis Geheiß hinein und nahm Amisis bei der Hand, um sie aus dem Eßzimmer zu führen. 
 

„Gute Nacht, Amisi“, erwiderten Atem und Heba. 
 

„Ich komme gleich nach“, sagte Nefertiti noch zur Kinderfrau, dann sah sie zu Atem und Heba. „Ich denke nicht, daß ihr mich heute abend noch braucht, oder?“ 
 

„Nein, geh und steck deine Tochter ins Bett“, antwortete Atem. „Heba und ich werden auch bald ins Bett gehen.“ 
 

„Du kannst ja ins Bett gehen, aber ich will noch das Rätsel anfangen, das mir unser alter Wesir geschenkt hat.“ Heba strahlte. „Es ist ein tolles Rätsel!“ 
 

„Ach ja? Wie geht es?“ erkundigte Nefertiti sich neugierig. 
 

„Man setzt merkwürdig geformte Holzteile zusammen und am Ende kommt ein Bild dabei heraus“, erklärte Heba. 
 

„Klingt schön“, schwärmte Nefertiti. „Das mußt du mir morgen unbedingt zeigen.“ 
 

„Dann amüsier dich gut, ich gehe jetzt ins Bett“, verkündete Atem und küßte Heba zärtlich auf den Mund. „Gute Nacht, mein Kleiner. Dir auch, Nefertiti.“ 
 

„Ach ja, da fällt mir noch was ein...“ Nefertiti sah Atem ernst an. „Es ist bald wieder Zeit für das Opet-Fest und wir müssen uns morgen deshalb auch noch zusammensetzen.“ 
 

Atem stöhne. „Ich habe jetzt schon genug davon. Stundenlang auf einer Barke über den Nil zu fahren und dabei still wie eine Statue zu sitzen ist einfach nichts für mich.“ 
 

„Aber für das Volk.“ Heba steckte sich eine Weintraube in den Mund und fuhr unter leisem Schmatzen fort: „Schließlich sieht es dich, ihren König und Gott, sonst nur selten.“ 
 

„Du solltest nicht soviel Zeit mit Siamun verbringen, du hörst dich schon an wie er“, rügte Atem halb im Scherz. 
 

„Er hat trotzdem recht“, erwiderte Nefertiti und wusch ihre Hände bevor sie aufstand. „Gute Nacht, ihr zwei.“ 
 

„Ich habe nie behauptet, daß er nicht recht hätte. Gute Nacht.“ 
 

Nachdem Nefertiti das Zimmer verlassen hatte, rutschte Heba etwas näher zu Atem und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen an Atems Schulter. „Willst du wirklich schon ins Bett gehen? Wir könnten uns doch zusammen an dem Rätsel versuchen.“ 
 

„Nein, das Rätsel gehört dir.“ Atem küßte Heba auf die Stirn bevor er aufstand und seinen Liebling auf die Arme nahm. „Außerdem bin ich wirklich müde. Es war eine lange Reise und ich möchte zur Abwechslung mal wieder in einem richtigen Bett schlafen.“ 
 

Heba hielt sich an Atem fest und verbarg das Gesicht an dessen Brust. „Du hast recht. Morgen kommt wieder viel auf dich zu. Die Vorbereitungen für das Fest, neue Kleider und Amisi hat dich zu lange missen müssen.“ 
 

Atem spürte, daß Heba traurig war. Ihm fiel auf, daß das nicht das erste Mal war. Etwas schien in letzter Zeit Hebas Stimmung zu drücken. Seit sie Harda verlassen hatten, war Heba zeitweise sehr still. Der Besuch seiner Heimat in Kombination mit der langen Reise mußte ihm schwer zugesetzt haben. Atem könnte sich selbst ohrfeigen, daß er das erst jetzt bemerkte. 

„Geht es dir gut, Heba?“ Atem trug Heba den kurzen Weg zu ihren Gemächern, wo er Heba im Schlafzimmer auf dem Bett absetzte. 
 

„Wie du sagtest: Es war eine lange, unbequeme Reise“, erwiderte Heba und gähnte. 
 

Atem setzte sich neben Heba. „Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Du wirkst traurig auf mich.“ Er streichelte durch Hebas Haar und über dessen Wangen. „Und du bist noch blasser als sonst. Was bedrückt dich?“ Er hatte immer geglaubt, Heba würde ihm genug vertrauen, um eventuelle Probleme anzusprechen, aber auf einmal war er sich dessen gar nicht mehr so sicher. 
 

„Na ja, wir... wir...“ Heba senkte den Kopf. Wie so oft fiel es ihm schwer, einen Anfang zu finden. „Ich dachte, wir könnten in Harda auch ein bißchen für uns sein, weißt du? Einfach nur durch die Gärten spazieren, schwimmen gehen... Statt dessen sind wir fast die ganze Zeit im Palast gesessen und haben uns mit renitenten Adligen und haufenweise Schriftrollen herumgeschlagen. Bitte versteh mich nicht falsch, Atem, ich weiß, diese Arbeit muß gemacht werden, aber irgendwie war da keine Zeit mehr nur für uns beide allein übrig. Es ist schön, ein Bett mit dir zu teilen, aber ich fände es auch schön, wenn wir einfach mal tagsüber etwas für uns machen könnten, ohne daß wir ständig befürchten müssen, daß uns die nächste dringende Angelegenheit voneinander fortreißt.“ Heba zog seine Tunika aus und streckte sich befreit auf den Decken und Fellen aus. Dann ergriff er Atems Hand und strich mit seinem Daumen über die weiche Haut zwischen Atems Daumen und Zeigefinger. 
 

Atem sah Heba einen Moment schweigend an, dann zog er sich auch aus und ließ sich neben Heba sinken. „Wie wäre es mit einem kleinen Ausflug?“ erkundigte er sich. „Nur wir beide, keine Leibwächter, keine Beamten, Minister oder Priester. Wir beide ganz allein.“ 
 

Heba drehte sich auf den Bauch und starrte lediglich wortlos in die Luft. 
 

Atem wußte nicht, was das bedeuten konnte und dieses Gefühl der Hilflosigkeit gefiel ihm nicht. Hatte er vor lauter Arbeit Heba wirklich so vernachlässigt? Oder passender: Hatten sie beide wegen all der Arbeit ihre Beziehung so sehr vernachlässigt? Vielleicht hatte Heba recht und sie waren wirklich ein altes Ehepaar. Eines, das vor Ewigkeiten den wahren Bezug zueinander verloren hatte und nur noch aus lauter Gewohnheit miteinander lebte und dabei glaubte, alles sei in Ordnung. Atem mochte das nicht glauben wollen. „Heba? Was willst du?“ hakte er leise nach. 
 

„Das mit dem Ausflug ist eine schöne Idee, aber... Ich will vorerst auf keinem Pferd mehr sitzen. Mir tut mein Hinterteil jetzt schon genug weh“, klagte Heba. 
 

Atem starrte Heba für eine Minute verblüfft an, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend. 
 

„Was ist daran so lustig?“ Heba packte eines der Kopfpolster und warf es auf Atems Bauch. 
 

„Mal abgesehen davon, daß das auch meine Schuld sein könnte?“ scherzte Atem, woraufhin Heba ein empörtes Geräusch machte und errötete. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Sorgen, daß unsere Beziehung möglicherweise in der letzten Zeit zu sehr gelitten hat. Daß deine Gefühle für mich vielleicht weniger geworden sind und...“ 
 

Heba fiel Atem ins Wort: „Meine Gefühle sind nicht weniger geworden. Atem, ich liebe dich heute mehr als je zuvor und morgen... morgen werde ich wieder irgendetwas Neues an dir bemerken, das mich dich noch mehr lieben läßt als heute“ Er lächelte liebevoll. Er tastete nach Atem, um ihn an sich zu ziehen. 
 

Atem schloß die Augen und küßte Hebas Brustbein. „Wir brauchen kein Pferd. Wenn ich beim Opet-Fest meine Pflichten erfüllt habe, mischen wir uns in Theben einfach unter das Volk und machen uns einen schönen Abend.“ 
 

„Aber würde man uns nicht erkennen? Das könnte Ärger geben“, wandte Heba ein und streichelte über Atems Arme. 
 

„Mit ein bißchen Magie werden wir beide wie ganz normale Bürger aussehen“, erwiderte Atem grinsend. Solche Pläne zu schmieden gefiel ihm. „Ich war noch nie als jemand anderes als als Prinz oder Pharao dort draußen.“ 
 

„Wirklich nicht? Dann sollten wir das wirklich ändern. Das wird bestimmt spannend.“ Heba, der sich von Atems Begeisterung hatte anstecken lassen, grinste ebenfalls. 
 

„Oh ja! Du mußt mir aber vertrauen.“ 
 

„Du weißt doch, daß ich dir vertraue.“ 
 

„Genug, damit du deinen Stab für einen Abend zuhause läßt und dich von mir führen läßt?“ Atem zauste Hebas weiches Haar. 
 

„Natürlich.“ Heba strahlte nur so vor Freude und Atem konzentrierte sich auf diesen Moment und verdrängte den Gedanken daran, daß es etwas gab, indem Heba ihm noch immer nicht zu vertrauen schien. 
 

„Gut.“ Atem küßte Heba sanft und schmiegte seinen Körper an Hebas. „Bleib hier“, murmelte er sehnsüchtig. 
 

„Ich dachte, du wärst müde“, sagte Heba erstaunt. 
 

„Dafür bin ich nie zu müde“, mußte Atem schmunzelnd zugeben, bevor er Hebas Antwort mit einem weiteren Kuß verschluckte. 
 

*** 
 

Das jährlich gefeierte elftägige Opet-Fest diente dazu, die Götterstatuen Amuns, Muts und ihres Sohns Chons’ vom Amun-Tempel in Karnak über den Nil zum Amun-Tempel in Theben zu bringen, damit Amun und Mut dort ihre Ehe erneuern konnten. Auf einer vierten Barke folgte der Pharao als fleischgewordener Gott. Trotz der vergleichsweise kurzen Fahrt von zwei Meilen wurde die Prozession an jeder der sechs Stationskapellen unterbrochen, in denen den Göttern geopfert und zu ihnen gebetet wurde. 

Fröhliches Volk bejubelte die Prozession vom Nilufer aus, während Musikanten und Tänzer dem Zug mit Musik und Gesang folgten. Normalerweise hatte das Volk keine Möglichkeit, die Götterstatuen, in denen ein Teil der Götter lebte, zu sehen und so lief alles beim Opet-Fest am Nil zusammen, um den Göttern zu huldigen und ihnen ins Gesicht zu sehen. Ähnlich verhielt es sich beim Pharao, den das Volk sonst auch nur bei besonderen Anlässen zu Gesicht bekam. 
 

Zusätzlich wurden während des Festes gewisse Riten zur Erneuerung des Königs durchgeführt, um so die Herrschaft des Pharaos zu bestätigen und zu festigen. Atem würde heute abend mehr als glücklich sein, wenn er all das hinter sich gebracht hatte. So sehr er die Götter verehrte und er sich der Einbettung des Königtums in die mystischen Riten bewußt war, heute abend wollte er mit Heba die Stadt unsicher machen. Musik und Tanz würden Thebens Straßen erfüllen und es würde auf Kosten des Königshauses und der Tempel gut gespeist werden. Atem war neugierig auf das alles und er konnte es kaum abwarten, sich mit Heba davonzustehlen, um ein paar freie Stunden zu genießen. 
 

Am späten Nachmittag erreichten die Barken endlich den Amun-Tempel in Theben. Atem, angetan mit Galaschurz, der Doppelkrone und dem falschen Pharaonenbart, verließ seine Barke erleichtert. Nach dem stundenlangen Stillsitzen war er froh, sich wieder bewegen zu können. Hocherhobenen Hauptes und unter dem Jubel der Menschenmenge folgte Atem den drei Götterstatuen, die von Priestern getragen wurden, in den Tempel. Angenehme Kühle empfing ihn dort, eine Wohltat nach der Hitze auf dem Fluß. 

Die Statue Amuns wurde im Haupttempel aufgestellt, während die von Mut und Chons in ihre Schreine getragen wurden. Als Oberster Priester des Reiches war es Atems Aufgabe, dem gerade angekommenen Gott zu opfern und die Kleidung der Statue zu wechseln. Danach umarmte Atem Amun wie ein Sohn den Vater. 
 

Danach mußte die letzte Zeremonie dieses Tages ausgeführt werden: Die Erneuerung des königlichen Kas. Wenn die Priester wüßten, daß sich die letzten beiden Jahre außer Reden in der für den Pharao und seine Große Königsgemahlin vorbereiteten Tempelraum mit dem großen Bett nichts abgespielt hatte, sie wären wohl vor Entsetzen umgefallen. 

Aber Atem konnte nicht ändern, wie er funktionierte und nachdem Heba wieder in sein Leben getreten war, wollte er sich, was das betraf, auch gar nicht mehr ändern. Atem wurde von den Priestern zur Tür geleitet und trat ein. Das schwere Holz verschloß die Tür hinter ihm. Auf der Bettkante saß Nefertiti mit gesenktem Kopf, ein Tuch über Kopf und Schultern geworfen. 
 

„Grüß dich, Schlafmütze, erwartest du hier drinnen einen Sandsturm?“ scherzte Atem. Er streckte sich bis es knackte und verzog das Gesicht. „Sei froh, daß du nicht auf der Barke sein mußtest. Die Mücken sind dieses Jahr ganz besonders angriffslustig.“ 
 

Nefertiti senkte den Kopf noch mehr und zerrte verlegen an ihrem engen Rock. Sie sagte keine Wort. 
 

„Nefertiti? Geht es dir gut?“ Atem setzte sich neben sie auf die Bettkante. Nefertiti rutschte wie ein nervöses Tier von ihm fort und drehte ihren Kopf von ihm weg, schwieg aber weiterhin. 
 

Atem war verwirrt und auch verärgert. Sonst hatte Nefertiti doch auch keine Probleme, etwas zu sagen, wenn ihr etwas nicht paßte. „Hab ich irgend etwas falsch gemacht? Bist du wütend auf mich?“ versuchte er irritiert, Nefertiti zu einer Antwort zu bewegen. „Oder willst du mich jetzt die ganze nächste Stunde anschweigen?“ 
 

Nefertiti schüttelte den Kopf und seufzte sehr leise. Dann hob sie ihre blasse Hand und... 
 

Atem schoß hoch. „Du bist nicht Nefertiti!“ zischte er erzürnt. 
 

Die Hand zog das Tuch fort und Atem sah in zwei mitleiderregende große, violette Augen. 
 

„Nein. Es... es tut mir leid, Atem.“ Heba senkte erneut beschämt den Kopf. 
 

Atem brauchte eine Sekunde, um sich wieder zu fassen. Was ging hier vor? Er schwankte zwischen Heiterkeit und Wut. „Wieso bist du hier und nicht Nefertiti? Und warum trägst du eines ihrer Kleider?“ Er sprach möglichst langsam, um Heba nicht weiter zu erschrecken und um sich selbst wieder zu beruhigen. 
 

„Weil Nefertiti meinte, die Götter würden dir ihre Macht entziehen, wenn... wenn du nicht... Na ja, wenn du die Zeremonie zum dritten Mal nicht durchführst.“ Heba wurde rot bis über beide Ohren und zog wieder an seinem Rock. „Also hat sie mich zusammen mit Mana verkleidet und mich hier hineingeschmuggelt, damit ich sie vertrete. So wie die Priester teilweise bei Zeremonien die Götter vertreten, indem sie sich wie diese kleiden. Bitte sei nicht böse, wir wollen dir nur helfen.“ 
 

Atem setzte sich schwer neben Heba. Das hatte er nun wirklich nicht erwartet. Was sollte er jetzt tun? Das einfachste wäre freilich, nichts zu tun. Aber dann wiederum könnten Nefertitis Befürchtungen Realität werden. Seit dem Ketzer Echnaton war ihre Familie bereits genug gestraft worden, also wäre es sinnvoll, lieber auf Nummer Sicher zu gehen. „Würdest du das wirklich tun? Schließlich sind Leute im Zimmer vor diesem.“ 
 

Heba nickte, obwohl seine Ohren vor Hitze glühen mußten. „Die Wände sind dick“, erklärte er wohl eher, um sich selbst zu beruhigen. 
 

„Na ja, wieso dann nicht?“ überlegte Atem und zog Heba auf seinen Schoß, um ihn an sich zu drücken. Während ihrer Zeit in Harda hatten sie wirklich viel zu wenig Zeit miteinander verbracht. 
 

„Vorsichtig! Die Granatäpfel“, wisperte Heba. 
 

„Granatäpfel?“ erkundigte Atem sich verwirrt. Heba deutete auf seine Brust, wo sich unter dem Stoff deutlich zwei Rundungen abzeichneten. 
 

„Ah, die Granatäpfel also.“ Atem lachte. „Die brauchst du wohl noch.“ 
 

„Ja, sonst merken die Priester noch was.“ Heba verzog das Gesicht. „Das wäre mir sehr unangenehm. Es war ziemlich mühsam, das Kleid anzuziehen und das alles.“ 
 

„Dann laß das Kleid an“, schlug Atem vor und streichelte über Hebas Nacken. „Ich muß ja nur den Rock hochschieben.“ Er zog Heba näher und sein Schaft rieb sich an Hebas wohlgeformten Hintern. Er küßte Heba verlangend. 
 

„Uh! Das kratzt!“ beschwerte Heba sich wenig erbaut. 
 

„Hm?“ Atem sah ihn erstaunt an. „Oh, der Bart. Warte mal...“ Atem öffnete die Schnüre, nahm den Bart aus gefärbtem Ziegenhaar ab und legte ihn neben sich auf das Bett. Er nahm Hebas Hand und hielt sie an sein glattes Kinn. „Besser?“ 
 

Heba nickte zufrieden lächelnd. Seine Augenlider senkten sich, doch Atem konnte in den warmen Augen dennoch die Lust sehen, die Heba empfand, wenn der daran dachte, was sie gleich tun würden. 
 

Atem senkte seine Lippen auf Hebas zarten Hals. Mühelos fand er die kleinen Stellen, die aus Hebas Mund so wundervolle Töne kommen ließen, und leckte zärtlich darüber, um dann vorsichtig an Hebas Hals zu knabbern. 
 

Heba wand sich und keuchte leise. Seine Augen hatten sich geschlossen und er war völlig in der Welt versunken, die nur er erreichen konnte. 
 

Atem lächelte. Mit einer Hand streichelte er über Hebas Brust, bis er die harten Granatäpfel durch den Stoff spürte. Er wußte, wie empfindlich Hebas Knospen waren, also bewegte er einen der Äpfel etwas auf und ab. 
 

Heba preßte sich enger an ihn, sehnsüchtig, erregt und so wunderschön. „A-atem“, keuchte er. Er kniff seine Augen fast schon schmerzhaft zusammen. „B-bitte schnell...“ 
 

„Heute so ungeduldig?“ wisperte Atem in Hebas Ohr, aber er war schon dabei, den langen, engen Rock hochzuschieben, um Hebas Wunsch zu erfüllen. Er selbst hatte es ebenfalls eilig. 
 

„Ja, ich habe die ganze Zeit nur hier gesessen und mir überlegt, was du machst, wenn du endlich hier bist“, erwiderte Heba genauso leise. „Und... und ich will nicht, daß uns jemand sieht.“ Eine Hand glitt unter Atems Schurz. 
 

Atem unterdrückte ein Stöhnen. „Da hast du recht. Darauf... kann ich auch verzichten.“ Ungeduldig griff er unter den Rock, der sich um Hebas Hüften bauschte und fühlte bald Hebas Lust. Hitze, Leidenschaft, das Drängen ihrer Leiber, übermannte sie und riß sie fort, bis sie zu erschöpfend angenehmer Erlösung fanden. So schnell wie ihr Verlangen aufgeflammt war, so schnell wurde es auch wieder gestillt.

Kraftlos sackte Atem auf das Bett, Heba noch immer auf ihm. Atem schlang beide Arme um Hebas Rücken. 
 

Heba richtete sich auf und verteilte sanfte Küsse auf Atems Gesicht. Seine Augen leuchteten auf diese eine Weise, die nur Atem je zu sehen bekam. „Reicht das für die Zeremonie?“ 
 

Atem grinste und streichelte über Hebas feuchte Lippen und musterte den verschmierten Kohl um Hebas Augen. „Das sollte es“, flüsterte er. „Du gibst mir immer neue Kraft.“ Seine Hand glitt tiefer und er massierte Hebas Pobacke. „Alles in Ordnung da unten?“ 
 

Heba nickte. „Es hat mir gefallen“, erklärte er und legte seinen Kopf mit einem zufriedenen Seufzen auf Atems Brust. Seine Hand malte Muster auf die erhitzte Haut. 
 

„Mir auch“, erwiderte Atem und sah an Heba herunter. Der Kohl, den Heba sonst nie benutzte, die Granatäpfel, die Körperteile vortäuschten, die nicht da waren, das Kleid, das sich noch immer um Hebas Leibesmitte bauschte... Als Atem Heba so sah, traf ihn eine Erkenntnis, die er nicht für sich behalten konnte. „Heba? Ich liebe dich!“ 
 

„Ich liebe dich auch, Atem“, antwortete Heba glücklich. 
 

„Ich weiß, ich wollte damit sagen: Ich liebe dich, egal ob Mann oder Frau. Ich hätte mich immer in dich verliebt.“ Atem küßte sanft Hebas Stirn, auf dessen Gesicht sich zuerst Überraschung und dann Freude widerspiegelte. 
 

„Du bist lieb“, wisperte Heba, dann fügte er schelmisch hinzu: „Ich bin aber doch froh, ein Mann zu sein. Bei deiner Libido wäre ich sonst dauerschwanger.“ 
 

Atem knuffte Heba leicht und lachte. 
 

Zwei Stunden später hatte Atem es in der Zwischenzeit geschafft, Heba unbemerkt als Nefertiti aus dem Tempel zu schmuggeln, wo die echte Nefertiti und Mana an einer geschützten Stelle bereits warteten und Hebas normale Kleidung bereithielten. Während Atem auf Amisi und Mahado aufpaßte, zog Heba sich um und ließ sich von den jungen Frauen die Schminke abwaschen. 
 

Atem zog sich dann ebenfalls um und bereitete die zwei Onyxsteine vor, die er für den Illusionszauber brauchte. Seine weitere Anwesenheit war heute nicht mehr erforderlich. Es reichte, wenn Nefertiti als Vertreterin der Königsfamilie dem Tanz der Amun-Dienerin beiwohnte. Derweil würde sich Atem, mit Heba an der Hand, in die Stadt begeben, um dort einmal hautnah ein Fest zu erleben. 
 

Heba trug ebenso wie Atem jetzt einen einfachen Schendit und hielt sich an Atems Arm fest. „Was machst du?“ 
 

„Ich bereite nur den Zauber vor“, erwiderte Atem und hängte Heba einen der Steine um den Hals. Danach murmelte er einige leise Worte, zuerst erglühte das Horusauge auf seiner Stirn, dann die beiden Steine. Zufrieden betrachtete Atem danach sein Werk. „Du siehst süß aus mit langen schwarzen Haaren“, machte er Heba ein Kompliment. 
 

„Oh! A-aber wie...“ 
 

„Magie. Du hast jetzt wie gesagt schwarze Haare“, erklärte Atem. „Außerdem habe ich deine Haut dunkler aussehen lassen. “ 
 

„Und du?“ erkundigte Heba sich während er versuchte, seine neuen Haare zu fühlen. Vergeblich, da der Zauber sie nur vorgaukelte. 
 

„Ich habe kurze schwarze Haare und braune Augen.“ Atem nahm Heba bei der Hand und ging los. „Wir werden also nicht auffallen. Komm.“ Zusammen verließen die beiden die geschützte Stelle und tauchten in den Menschenmassen unter. 
 

Die Sonne war bereits untergegangen als die beiden Thebens Stadtmitte endlich erreicht hatten. Musik drang aus den Tavernen und auf den Straßen tanzten ausgelassene Menschen. Kinder rannten unter lautem Geschrei durch die Straßen und spielten Fangen oder Verstecken. An jeder Ecke standen Händler, die Waren oder Essen lautstark feilboten. Kurz gesagt war es ein buntes Treiben. 

Heba hielt sich weiterhin an Atems Arm fest, der ihm immer wieder Warnungen zuflüsterte und ihn um jedes Hindernis herummanövrierte. Er hatte den Kopf schiefgelegt und lauschte mit einem glücklichen Lächeln. 
 

Mit einem Auge beobachtete Atem Heba und fragte sich wie sooft, wie es wohl sein mochte, die Welt nur noch mit Ohren, Nase, Mund und Haut wahrnehmen zu können. Noch immer scheute er davor zurück, Heba nach einer Beschreibung zu fragen. Er wollte keine alten Wunden aufreißen, denn auch wenn Heba sich mit seinem Zustand arrangiert hatte, glücklich darüber war er sicher nicht. 

Atem dachte an gestern und wie Heba auf dem Boden ihres Wohnzimmers gekniet hatte, das Gesicht eifrig und voller Konzentration. Hebas Hände waren über die zahlreichen Teile des zusammenzusetzenden Rätsels geglitten, hatten jede Spalte, jede Form gründlich untersucht bevor sie Teile zusammensteckten. 

Atem war ehrlich beeindruckt gewesen. Er selbst hätte das Rätsel selbst mit seinen guten Augen nicht mal halb so gut oder halb so schnell lösen können. Siamun, der zu dieser Zeit gerade mit einigen Schriftrollen hereingekommen war, hatte lachend gemeint, Heba müßte wohl der Meister aller Rätsel sein und Atem hatte zugestimmt, während Heba vor lauter Verlegenheit rot angelaufen war und gestottert hatte. 
 

„Hier riecht was gut“, unterbrach Heba leise Atems Gedanken und schnupperte aufgeregt. 
 

„Da vorne gibt es kandierten Ingwer“, erwiderte Atem ebenso leise. „Magst du welchen?“ 
 

Heba nickte und lächelte strahlend. 
 

Atem kaufte zwei Handvoll der süß-scharfen Leckerei und zog Heba dann in eine kleine Gasse, wo es relativ ruhig war. Dann schüttete er die Hälfte in Hebas offene Hände. „Hier, laß es dir schmecken.“ 
 

„Danke dir!“ Heba nahm eines der Stückchen und steckte es in den Mund. Er schloß zufrieden die Augen und erinnerte Atem dabei an eines der zahlreichen Palastkätzchen, wenn sie gerade Milch gestohlen hatten. 
 

Atem zerbiß die Köstlichkeit, aber viel mehr als seine eigenen Ingwerstückchen und ihr Geschmack interessierte ihn Hebas Reaktion auf die seinen. Als Heba seine Stückchen aufgegessen hatte, drückte Atem ihm seine restlichen in die Hand. „Du siehst süß aus, wenn du so selbstvergessen ißt“, wisperte er grinsend. 
 

Heba errötete. „D-danke.“ 
 

Atem beugte sich vor und hauchte einen sanften Kuß auf Hebas süße Lippen. 
 

„He, ihr zwei!“ Die Männerstimme war laut und klang nach der Art von Mut, die man nur durch den übermäßigen Konsum von Alkohol erhalten konnte. 
 

Atem wußte sofort, das diese Begegnung nur Ärger bedeuten konnte. Er spannte sich an und drehte sich so, daß seine Schulter zwischen Heba und den, wie Atem jetzt sehen konnte, vier Neuankömmlingen war. Heba schmiegte sich automatisch an Atems Rücken. 

Die Männer, die sich um sie aufgestellt hatten, waren grobe, ungeschlachtene Kerle, die allem Anschein nach ihren Lebensunterhalt in einer der zahlreichen Minen Ägyptens verdienten. 
 

„Können wir euch helfen?“ fragte Atem kühl, die Augen zornige Schlitze. Er hatte keine Angst. Der Illusionszauber verdeckte auch das Millenniumspuzzle, das er um den Hals trug, also hatten er und Heba den Vorteil auf ihrer Seite. Dennoch würde Atem eine handgreifliche Auseinandersetzung lieber vermeiden. 
 

„Ich glaube schon, Bürschchen“, antwortete einer der Männer, wohl derselbe, der Atem und Heba aufgeschreckt hatte. „Ihr könntet damit anfangen, daß ihr eure Ärsche aus unserem Viertel schleift, ihr nutzloses Sodomistenpack.“ Er spuckte aus. 
 

„Ja, nur weil der Pharao mit einem Kerl fickt, heißt das noch lange nicht, daß zwei dürre Hunde wie ihr das ebenfalls tun dürft“, fügte ein zweiter mit einem widerwärtigen Grinsen hinzu. 
 

„Ich kann mich an kein Gesetz erinnern, daß irgendjemand gleichgeschlechtliche Beziehungen verbietet“, antwortete Atem mir erzwungener Ruhe. 
 

„Er kann sich an kein Gesetz erinnern... Oho!“ Der erste lachte spöttisch auf. „Wer bist du, ein Anwalt?“ höhnte er. „Hier machen wir unsere eigenen Gesetze, also haut lieber ab bevor wir euch die Fressen polieren, ihr Schwanzlutscher.“ 
 

Heba drängte sich zitternd noch mehr gegen Atem. „Laß uns hier verschwinden, das bringt doch nichts!“ wisperte er. 
 

Atems Zähne mahlten und er hätte dem Mistkerl vor sich gerne einen Faustschlag mitten in das feiste Gesicht verpaßt, aber noch beherrschte er sich. Heba hatte ausgesprochen, was er selbst bereits gedacht hatte. Sich in eine Prügelei verwickeln zu lassen war keine gute Idee. So spuckte Atem lediglich aus und bedachte die Trunkenbolde mit einem verächtlichen Blick. „Gehen wir“, sagte er knapp zu Heba und nahm dessen Hand. 
 

„Was, ihr wollt schon gehen?“ Einer der Kerle stellte sich direkt in Atems Weg. Er betrachtete Atem und dann Heba mit schwarzen Käferaugen. „Wir geben euch gerne Geleitschutz“, bot er boshaft grinsend an und entblößte dabei schwarze Zähne. 
 

„Danke, wir verzichten“, zischte Atem und hielt Hebas Hand noch fester. 
 

„Aber wir bestehen darauf“, mischte sich nun auch der Dritte ein, während der Vierte gröhlend lachte. 
 

Bevor Atem noch etwas sagen konnte, hatte Käferauge bereits ausgeholt und seine Faust traf Atems Nase so hart, daß der Sterne sah. Blut tropfte aus seiner Nase. 
 

„Ah! Nein! Laßt ihn in Ruhe!“ schrie Heba und zerrte Atem zurück und aus der Reichweite des Schlägers. Allerdings kamen sie nicht weit, denn sie stießen mit dem Rücken gleich darauf gegen eine Mauer. 
 

„Sieh mal an, der Gnom kann ja reden!“ Der Anführer trat vor und griff mit seiner Pranke nach Heba. „Komm her und zeig, ob du als Kämpfer was taugst, du hübsches, kleines Mädchen.“ 
 

Atem packte den Mann beim Arm und verdrehte ihn schmerzhaft. „Du faßt ihn an und ich bring dich um“, knurrte er erzürnt. Er rief die Schatten zu sich, bereit, alle vier Trunkenbolde in ewige Finsternis zu stoßen. 
 

„He!“ Eine wütende Stimme unterbrach den Tumult und die Angreifer drehten sich um. „Verschwindet, ihr Saufköpfe! Belästigt nicht meine Gäste.“ Ein Mann um die Fünfzig mit angegrautem Haar war aus der nächsten Taverne auf die Straße getreten. 
 

Der Anführer verzog angewidert das Gesicht. „Ha, paßt ja zusammen! Du und dieses widerliche Pack, das keine Frau anrührt.“ 
 

„Na und? Euch rührt ja auch keine Frau an, außer ihr bezahlt sie dafür. Jetzt geht, bevor ich die Wachen rufe“, schimpfte der Wirt. 
 

Atem ließ den Arm des Anführers los und die vier Säufer zogen fluchend von dannen. „Danke. Du hast uns gerettet“, wandte er sich danach erleichtert an den Wirt. 
 

„Nicht der Rede wert“, winkte der ab. „Aber deine Nase sieht schlimm aus. Kommt rein, ihr zwei.“ Er ergriff sowohl Heba als auch Atem am Arm und zog sie einfach hinter sich her in die Wirtsstube. 
 

Atem sah sich um. Mehrere Holzbänke und –tische standen in dem kleinen Raum. Außer ihnen dreien war niemand zu sehen. „Geht das Geschäft heute schlecht?“
 

„Morgen wird es wieder besser. Nachdem die Leute am Nil waren, um die Götter und den Pharao zu begaffen, gehen sie lieber in Schenken, die auch nahe am Nil sind“, erklärte der Wirt. Er bugsierte Heba und Atem an einen der Gasttische. „Ich hole was für deine Nase, Junge, und so verhungert wie ihr ausseht, könnt ihr beiden auch eine Suppe vertragen. Geht aufs Haus.“ 
 

„Wir können aber zahlen“, protestierte Atem, nur um mit einer herrischen Geste des Wirts abgeschmettert zu werden. 
 

„Nach der Begegnung mit diesem Schandfleck unseres Viertels habt ihr mehr als nur eine kostenlose Suppe verdient“, erwiderte er. Dann verschwand er im Hinterzimmer. 
 

„Laß ihn“, wisperte Heba. „Stoß seinen guten Willen nicht beiseite.“ Lauter fuhr er fort: „Wie sehr tut’s weh?“ 
 

Atem murmelte: „Wie du willst.“ Er betastete vorsichtig seine Nase und verzog vor Schmerzen das Gesicht. Das letzte Mal, das ihm jemand die Nase blutig geschlagen hatte, war während seiner Kampfausbildung als junger Prinz. „Ich werde es überleben. Gebrochen ist sie nicht.“ 
 

Der Wirt kam gerade zurück, um Atems letzten Kommentar zu hören. „Ja, aber das liegt mehr daran, daß ich euch rausgeholfen habe. Diesen vier Mistkerlen traue ich es zu, jemanden totzuschlagen, nur weil sie seine Nase nicht mögen.“ Er stellte ein Tablett mit zwei dampfenden Holzschüsseln vor den jungen Männern ab. „Hier, bitte.“ Außerdem zog er aus einem Beutel, der an seinem Gürtel befestig war, ein Töpfchen und ein Tuch. 
 

„Halt mal still“, wies er Atem, der gehorchte, an und tupfte mit dem Tuch das Blut weg. Dann öffnete er das Töpfchen, um eine grünlich-weiße Paste auf seinen Zeigefinger zu schmieren. Die strengriechende, aber kühle Salbe verteilte er auf Atems Nase. „Drauflassen, Junge“, befahl er. „Und jetzt eßt, sonst werdet ihr niemals groß und stark.“ Der Wirt gab Heba, der dabei sofort hochschreckte, einen Klaps auf die Schulter, woraufhin er gutmütig lachte. 
 

Heba setzte sich hochrot wieder hin und tastete möglichst unauffällig nach einer der Schüsseln. 
 

Atem schob Heba vorsichtig eine zu und nahm sich selbst die andere. „Wie heißt du?“ erkundigte er sich bei dem Wirt. 
 

„Pepi“, war die kurze Antwort. Er lächelte, so daß Atem die zahlreichen Falten sehen konnte, die sich in sein Gesicht gegraben hatten. 
 

„Danke, Pepi“, sagten Heba und Atem im Chor bevor sie vorsichtig einen Schluck der heißen Suppe tranken. 
 

Es schmeckte Atem, vielleicht gerade weil er sonst kaum so einfache Speisen vorgesetzt bekam. Heba lächelte glücklich und nahm mit einem zufriedenen Seufzen noch einen Schluck. 
 

Pepi setzte sich ihnen gegenüber und streckte die Beine mit einem Grunzen von sich. „Verdammtes Stehen!“ murmelte er. 
 

„Geht es dir gut?“ fragte Heba. 
 

„Meine Beine sind nicht mehr das, was sie mal waren“, winkte Pepi ab. „Nach mehr als dreißig Jahren als Wirt tun einem die Beine halt häufiger weh als als junger Mann.“ 
 

„Pepi?“ kam eine Männerstimme aus dem Hinterzimmer. „Ich hab die Bierkrüge gezählt. Wir brauchen noch ein paar mehr für nächste Woche.“ 
 

„Ich werd’ morgen noch welche einkaufen gehen“, rief Pepi nach hinten. „Geh du ruhig schon ins Bett, ich mache hier auch gleich zu.“ 
 

Ein bestätigendes Gemurmel kam von nebenan, dann entfernten sich schwere Schritte. 
 

„Dein Sohn?“ hakte Heba nach. 
 

„Nein, mein Sohn ist in Memphis“, erklärte Pepi. „Das war mein... Gefährte.“ Sein Blick huschte bezeichnend zwischen Atem und Heba hin und her. 
 

Atem senkte überrascht seine Schüssel. „Ihr seid ein Paar?“ 
 

„Du siehst aus, als wäre dir nie der Gedanke gekommen, daß es auch noch andere Männer gibt, die mit Männern zusammen sind.“ Pepi lachte amüsiert, aber nicht boshaft. „Aber ihr zwei seid ja auch noch jung, nicht wahr? Habt noch nicht viel vom Leben gesehen.“ 
 

„Wir... wir kennen außer uns niemanden, der...“ Heba errötete. 
 

„Kennen tut ihr sie sicher, aber sie werden es euch nicht unbedingt sagen“, erwiderte Pepi wieder ernster. „Und wenn ich an solchen Dreck denke, wie den, der euch gerade am liebsten zerquetscht hätte, kann ich es ihnen nicht verübeln.“ 
 

„Aber die Gesetze!“ wandte Atem ein. „So etwas durfte nicht vorkommen.“ 
 

„Mit Gesetzen kann man Menschen drohen, aber sie nicht festbinden, auch wenn das sicher manches Mal bequemer wäre.“ 
 

„Dennoch sind sie vor dir davongelaufen“, gab Heba zu bedenken. 
 

„Sicher! Weil die meisten Männer des Viertels bei mir ihr Bier trinken und über ihre Geschäfte reden. Die Arbeiter, die Schreiber, die Händler... Sie sind nur vier und die Menschen im Viertel sind viele. Solange mein Bier kalt ist und meine Suppe nicht versalzen, werden meine Gäste weiterkommen und sich einen Dreck um meine Privatangelegenheiten scheren. Das wissen die Mistkerle, also flüchten sie, wenn man sie erwischt. Sie wissen, sie würden keine große Unterstützung finden. Außerdem würden die wohl auf alles losgehen, was ihnen nach ein paar Bier nicht in den Kram paßt: Frauen, Schwule, Kinder, Ziegen...“ 
 

Atem nickte. „Darf ich dich etwas fragen? Du und dein Gefährte... Seid ihr schon lange zusammen?“ 
 

Pepi runzelte nachdenklich die Stirn. „Nächstes Jahr, wenn der Pharao achtzehn wird, dann sind es genau dreißig Jahre“, erklärte er schließlich. „Wie doch die Zeit vergeht!“ 
 

„Stimmt“, erwiderte Atem und sah Pepi beeindruckt an. 
 

„Das ist eine lange Zeit“, erwiderte Heba und lächelte. „Ihr scheint gut miteinander auszukommen.“ 
 

„Wir lieben, vertrauen und respektieren uns. Wir reden über alles, auch wenn es peinlich oder unmännlich ist.“ Pepi lachte. „Nicht, daß wir nicht oft genug am Anfang auf die Nase gefallen sind, weil wir eben nicht geredet haben.“ 
 

Atem leerte seine Schüssel und leckte sich über die Lippen. „Danke, das ist ein guter Rat.“ Er lächelte und sah zu Heba neben sich. Reden... Vielleicht wurde es wirklich Zeit, ein paar Dinge anzusprechen, zu ihrer beider Wohl, so schwer sie auch anfangs wirken mochten. 
 

Heba trank den letzten Schluck aus und wandte das strahlende Gesicht zu Pepi. „Das hat sehr gut geschmeckt. Vielen Dank!“ 
 

Pepi nickte nur und stand auf. „Keine Ursache. Ich helfe jungen Leuten gern. Am besten macht ihr, daß ihr zurück nachhause kommt. Es ist schon spät.“ 
 

„Du hast recht. Noch mal danke für alles.“ Atem stand auf und drückte Pepis Hand. Dann zog er Heba hoch, so daß der sich an Atems Arm hängen konnte. „Wir wollen dich auch nicht weiter aufhalten.“ 
 

„Die Götter sollen dir beistehen, Pepi“, fügte Heba warm hinzu. 
 

„Ach was! Ich erwarte keinen Dank oder irgendeinen Lohn. Wißt ihr, ich war heute nachmittag auch am Nil und hab gesehen, was für ein dünner Kerl der Pharao wirklich ist.“ Pepi schüttelte den Kopf. „Jede Rippe konnte man sehen. Ich hab mir die ganze Zeit gedacht, daß er eine Schüssel meiner Suppe gut gebrauchen könnte. Armer Junge.“ Er wischte sich über die Stirn, dann scheuchte er Atem und Heba mit einem wissenden Lächeln auf die Straße. „Es scheint, die Götter waren heute bereits bei mir“, sagte er zum Abschied, dann schloß er die Tür. 
 

Heba und Atem standen sicher mehrere Minuten sprachlos vor der Tür der kleinen Schenke bevor sie es schafften, ihren Weg Richtung Palast weiter fortzusetzen. 
 

„Dreißig Jahre“, murmelte Heba nach einer Weile. „Wirst du mich dann auch noch lieben, wenn ich grau und verhutzelt bin?“ 
 

Atem lächelte. „Ja, selbst dann wärst du noch immer das Niedlichste auf dieser Welt überhaupt für mich. Ich könnte nie aufhören, dich zu lieben. Und du, liebst du mich auch, mich dürren, armen Jungen?“ 
 

„Auf ewig! Auch noch in dreißig, ach was, in dreißigtausend Jahren.“ Heba drückte mit einem glücklichen Lachen Atems Hand liebevoll.



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