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Seelensplitter

von

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Ägypten III: Herzlos

Der ganze Palast summte vor Freude. In der großen Festhalle waren zahllose niedrige Tische aufgestellt worden, die sich unter den verschiedensten Köstlichkeiten nur so bogen. Wein und Bier flossen in Strömen, während Tänzerinnen, Musikanten und Gaukler die Festgäste unterhielten.
 

Auch auf den Straßen Thebens wurde gefeiert. Pharao Aknamkanon hatte die Kornspeicher öffnen lassen und ließ die gesamte Stadt heute auf seine Kosten schmausen. Die Heirat des Kronprinzen mit seiner Halbschwester sollte dem Volk schließlich noch lange als gutes Omen im Gedächtnis bleiben.
 

Atem saß mit seiner Schwester auf den Ehrenplätzen unter den kleinen Gasttischen, die der Königsfamilie und den höchsten Würdenträgern Ägyptens vorbehalten waren. Heute morgen war er mit Nefertiti in die große Zimmerflucht gezogen, in der sie von nun an gemeinsam leben würden. Am Nachmittag hatten sie die Palastschreine aufgesucht, Opfer dargebracht und für eine gute Ehe und einen großen Kindersegen gebetet.
 

Atem wußte, er sollte mehr Begeisterung und Glück zeigen, verheiratet zu sein, aber in diesem Moment hatte er nur das Bedürfnis, sich zu betrinken. Er hätte ihm vielleicht nachgegeben, wenn er nicht gehört hätte, daß der Genuß von allzu viel Alkohol sich negativ auf gewisse körperliche Aktivitäten auswirken würde. In Hinsicht auf die kommende Nacht war ein Rausch also keine gute Idee.
 

Noch vor ein paar Wochen hatte er kein Problem damit gehabt, Nefertiti zur Frau zu nehmen, aber je näher der Hochzeitstermin rückte, desto unsicherer wurde Atem. Wieso hatte er das Gefühl, daß er sich nicht würde überwinden können, die Ehe zu vollziehen? Noch vor einer Weile war er etwas nervös, aber dennoch begeistert gewesen, bald Sex zu haben, aber jetzt ängstigte der Gedanke ihn regelrecht.
 

Nefertiti hingegen schien keine Angst zu haben. Offen kuschelte sie sich an ihren Gemahl und zeigte dabei ein strahlendes Lächeln. Sie sah so glücklich aus, daß Atem sich noch schlechter als ohnehin schon fühlte. Er wollte sie nicht enttäuschen. Er trank seinen Wein aus und ließ sich sofort nachschenken.
 

Zu seiner Rechten konnte er sehen, wie Minnefer und Hetep-Heres turtelten. Sie küßten sich und sahen sich tief in die Augen. Kein Wunder, daß bereits ihr sechstes Kind unterwegs war. Atem hingegen fühlte sich als ob die Wände immer näher kommen würden. Dazu kam, daß es stickig und unangenehm warm war.
 

Atem war sehr erleichtert als das Festmahl schließlich mit einer letzten Tanzvorstellung beendet wurde. Er war auf den Füßen, sobald die letzte Note verklungen war. Da Nefertiti auch aufgesprungen war, fiel sein Benehmen allerdings nicht weiter auf.
 

Kichernd ergriff Nefertiti seine Hand und zog ihn aus dem Festsaal. Atem konnte hören, daß drinnen mehrere Stimmen ihnen noch etwas nachriefen, worauf dröhnendes Gelächter folgte.
 

„Ich bin völlig besoffen“, stöhnte Nefertiti, als sie Atems Schlafzimmer erreicht hatten, und ließ sich auf das Bett fallen.
 

„Bei mir fehlt nicht viel dazu“, erwiderte Atem. Seltsam, daß er jahrelang neben Nefertiti hatte schlafen können und ausgerechnet heute abend war ihm allein der Gedanke daran unangenehm.
 

Nefertiti gähnte und begann sich auszuziehen. Atem folgte ihrem Beispiel mit einer Begeisterung als würde er zum Richtblock geführt. Seinen Schmuck legte er in den dafür vorgesehenen Holzkasten bis nur noch die kleine Silberscheibe blieb, die er tagaus, tagein, um den Hals trug, wenn nicht öffentlich, so doch unter der Kleidung.
 

Sanft berührte er das Amulett und dachte an Heba. Er hatte so lange schon nichts mehr von seinem Freund gehört. Er wußte noch nicht mal, wie Heba jetzt aussehen mochte.
 

Das Platschen von Wasser hinter sich erinnerte Atem daran, daß er sich noch waschen mußte. Er wartete bis Nefertiti ihre Abendtoilette beendet hatte, bevor er sich ebenfalls wusch.
 

„Das ist schon irgendwie seltsam, daß wir jetzt verheiratet sind“, überlegte Nefertiti laut während sie unter die Leinentücher kroch.
 

„Stimmt“, seufzte Atem. „Bist du nervös? Ich bin es nämlich.“ Es war hart, das zuzugeben, aber wenn er es nicht sagte, würde Nefertiti es ja doch noch merken. Sie kannte ihn zu gut. Mahado hatte recht. Es gab Menschen, vor denen er sich nicht verstecken mußte und seine eigene Frau gehörte wohl dazu.
 

„Und ich erst!“
 

„Ich dachte, du hättest damit weniger Probleme.“
 

„Komisch! Ich hatte immer das Gefühl, daß Mädchen nervöser als Jungen sind.“ Nefertiti verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf und gähnte.
 

Atem gab keine Antwort. Was hätte er sagen sollen? Daß er bis vor kurzem noch dasselbe gedacht hatte? Daß er nicht verstand, wieso er nicht einfach glücklich und bereits damit beschäftigt war, sich mit Nefertiti zu vergnügen?
 

Er legte sich neben Nefertiti und versuchte, alle seine Zweifel in den hintersten Teil seines Gehirns zu verbannen. Was brachte es schon? Kinder fielen nicht vom Himmel und schließlich war es seine Pflicht, einen Nachfolger zu zeugen.
 

Atem war so mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er erst nach einer Weile bemerkte, wie ruhig es im Zimmer war. Er drehte den Kopf und sah, daß Nefertiti nach der ganzen Anstrengung des Tages eingeschlafen war. Das war unerwartet, aber nicht unwillkommen.
 

Er stand auf und löschte das Licht, dann kehrte er ins Bett zurück. Morgen war ein neuer Tag und sicher würde seine Aufregung dann soweit nachgelassen haben, daß ihm der Vollzug der Ehe gelingen würde.
 

Am nächsten Morgen, die ersten Sonnenstrahlen fielen gerade durch das Fenster, wurde Atem von lautem Klopfen geweckt. Nefertiti schlief allerdings noch immer wie ein Stein und rührte sich nicht.
 

„Schon gut!“ Das Klopfen verstummte. Atem stand auf und zog sich einen Schendit über, bevor er die Tür öffnete. Er hatte nicht gerade Set als seinen ersten morgendlichen Besucher erwartet. „Was ist los? Ist etwas passiert?“ Atem blinzelte bis er die Welt nicht mehr wie durch einen schlierigen Schleier sah.
 

Set verbeugte sich tief. „Verzeiht die Störung, Hoheit, aber Euer Vater wünscht Euch sofort im Thronsaal zu sehen. Die Hethiter haben die ägyptische Grenze überschritten!“
 

Atem fluchte. „Sag dem Pharao, ich komme sofort.“ Er schloß die Tür bevor er sich schnell wusch und richtig anzog. Nefertiti zu wecken wäre ein vergebliches Unterfangen, also ließ er sie schlafen und eilte in den Thronsaal.
 

Schon auf den ersten Blick konnte Atem sehen, daß die Lage ernst war. Die besten Generäle, darunter Minnefer, die Erwählten Priester, Kampfmagier und weitere Priester waren bereits anwesend. Berater, Minister und Diener eilten wie aufgescheuchte Hühner hinein und hinaus. Aknamkanon saß auf dem Thron und beriet sich leise mit seinem Wesir Siamun.
 

Als Atem eintrat, sah sein Vater auf und winkte ihn zu sich. Atem durchquerte den Thronsaal, bevor er sich vor dem Thron zu Boden warf. „Mein Pharao?“
 

„Steh auf.“
 

Atem folgte und sah seinen Vater fragend an. „Set sagte, die Hethiter wären in Ägypten eingefallen.“
 

„Das ist richtig. Sie sind unsere Grenzposten umgangen, was heißt, daß sie Hilfe hatten.“ Aknamkanon wirkte grimmig. „Antes hat in den letzten Jahren gute Beziehungen zum Großkönig von Hatti aufgebaut. Ich nehme an, das hethitische Heer ist über Harda gekommen, von wo wir sie nicht erwartet haben.“
 

„Das feindliche Heer hat sich getrennt und dringt nach den Berichten unserer Spione mit großer Schnelligkeit immer tiefer in Ägypten ein“, ergänzte Siamun. „Sie marschieren direkt auf Theben und wollen uns so in die Zange nehmen.“
 

„Bei allen Göttern der Unterwelt“, murmelte Atem wütend.
 

„Sie dürfen niemals hier ankommen“, sprach Aknamkanon weiter. „Wir müssen sie aufhalten, um das Volk vor ihnen zu schützen. Ein Teil des Hethiter-Heeres nimmt die Route am Nil entlang, um in den westlichen Teil Thebens einfallen zu können. Ich werde mich darum kümmern. Du, mein Sohn, wirst an der Seite Generals Ahmes gegen den Teil des Heeres vorgehen, der Thebens Osten aus der Wüste angreifen will. Ahmes wird auf meinen Wunsch auf dich achtgeben, also höre auf ihn.“
 

„Jawohl, Vater.“ Atem verbeugte sich.
 

„Geh jetzt“, sagte Aknamkanon knapp, doch seine Augen waren warm als er auf seinen Sohn hinunterblickte.
 

Atem nickte und wandte sich Ahmes zu, der ihn bereits erwartete.
 

„Wir brechen noch in dieser Stunde auf“, erklärte der. „Bleibt bei mir und hört auf mich, mein Prinz, wie der Pharao es befohlen hat. Ihr wart noch nie auf dem Schlachtfeld und Euch fehlt die praktische Erfahrung.“
 

Atem nickte. Er hatte nicht vor, sich Ahmes zu widersetzen. Der General war nicht umsonst einer der besten Krieger Ägyptens. Von ihm zu lernen konnte Atem nur nützen.
 

„Wir treffen uns beim Haupttor des Palastes, wenn Ihr soweit seid.“
 

„Ich werde mich beeilen, General. Es ist eine Ehre, an deiner Seite kämpfen zu dürfen.“
 

„Die Ehre ist ganz mein“, erwiderte Ahmes und entließ Atem vorerst.
 

Sobald Atem zurück in seinen Gemächern war, gab er den Dienern die nötigen Instruktionen. Nefertiti kam gähnend, aber angezogen, aus dem Schlafgemach. Offenbar hatten die Dienerinnen sie zwischenzeitlich geweckt.
 

Während Atem Brustpanzer und Arm- und Beinschienen angelegt wurden, erzählte er Nefertiti, was er soeben erfahren hatte.
 

„Diese hethitischen Hunde! Können sie nicht einmal bleiben, wo sie hingehören?“ Nefertiti drückte den Helm mit einiger Mühe auf Atems Kopf. „Du solltest dir wirklich mal wieder die Haare schneiden.“
 

„Ich werde dran denken, Mama.“
 

Nefertiti schnaubte lediglich.
 

Atem schnallte sich Schwert und Dolch um, bevor er sein Diaha Diank anlegte. Die Wahrscheinlichkeit, gegen ein Monster zu kämpfen, war nicht sonderlich groß, da die Hethiter sich lieber auf ihre Schwerter verließen, aber es war immer besser, für jede Eventualität gerüstet zu sein.
 

„Gib nur gut auf dich acht, ja, Atem?“ Nefertitis sanfte Stimme verriet ihre Besorgnis mehr als ihre Worte.
 

„Das werde ich. Und wenn ich zurückkomme...“ Er trat auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen langen Kuß. „Auf bald, meine Nefertiti.“
 

„Auf bald, mein Schatz. Mögen die Götter dich schützen.“ In ihren Augen glänzten die Tränen.
 

Atem drehte sich um und verließ die Gemächer. Wenig später war er beim Tor, wo ihn Wüstenläufer bereits gesattelt and aufgezäumt erwartete. Ebenso wie Mahado und Mana.
 

„Oh, Atem!“ Über Manas Wangen kullerten die Tränen nur so als sie sich ihm um den Hals warf. „Was soll das nur werden?“
 

Er erwiderte ihre Umarmung vorsichtig. „Mir wird schon nichts passieren. Hab keine Angst, Mana.“
 

„Ich wünschte, ich könnte mitkommen, aber ich bin noch lange nicht soweit.“ Traurig löste sie sich von Atem.
 

Mahado trat vor. „Das nächste Mal werden wir an seiner Seite stehen, Mana.“ Sie nickte nur. Dann wandte Mahado sich an Atem: „Wir werden uns wiedersehen.“ Es war eine Feststellung.
 

Atem grinste. „Natürlich! Schließlich schuldest du mir noch eine Revanche für unser letztes Spiel.“
 

Mahado nickte. „Eben.“
 

Atem saß auf, als die Fanfaren zum Aufbruch bliesen. Er setzte sich vorne an die Spitze neben General Ahmes und die Offiziere. Flüchtig kam Atem der Gedanke, daß er sich in seiner Eile gar nicht richtig von seinem Vater verabschiedet hatte, aber er schob ihn beiseite. Sie würden sich bestimmt bald wiedersehen. Wie lange konnte es schon dauern, die Hethiter dorthin zurückzuschicken, wo sie hergekommen waren?
 

***
 

Das ägyptische Heer war mit großer Geschwindigkeit aufgebrochen, um den Vorstoß der Hethiter im Keim zu ersticken. Schon nach fünf Tagen stießen die Männer Ahmes’ auf eine hethitische Vorhut. Das Scharmützel war kurz und blutig und ließ die Ägypter als Sieger zurück.
 

Atem, der noch nie zuvor getötet hatte, hatte sich dank Wüstenläufers Schnelligkeit durch die Reihen der Hethiter gemäht. Die unmenschlichen Schreie hingen ihm nicht nur an diesem Tag noch bis in den Schlaf nach, genauso wie die Bilder der verstümmelten, blutüberströmten Körper, die am Abend das Schlachtfeld bedeckten. Der vorher weiße Sand hatte sich rot gefärbt.
 

Die Ägypter bargen ihre Toten, um sie an Ort und Stelle zu begraben. Der heiße Sand würde die Leichen fast so gut konservieren wie ein Balsamierer. Die Hethiter hingegen wurden, nachdem man ihnen zur Zählung die rechte Hand abgeschlagen hatte, den Tieren überlassen.
 

Noch zu zwei weiteren Kämpfen kam es bis die Ägypter am zehnten Tag eine kleine Oase erreichten und der General Befehl gab, hier zu rasten. Die Wasserschläuche mußten frisch gefüllt werden und die Männer brauchten dringend eine Ruhepause, bevor man den harten Weg durch die Wüste weiterbeschreiten konnte. Ein Versorgungsschiff mit Nahrung wurde außerdem erwartet.
 

Atem war die Pause recht. Mal abgesehen davon, daß er nur noch schlecht schlief, schmerzte sein Rücken nach so vielen Tagen auf einem Pferderücken und er sehnte sich nach einem Bad. Seine Verpflichtungen hielten ihn aber solange auf, daß er erst nach Einbruch der Dunkelheit dazu kam.
 

Die Wasserstelle war, wie Atem dachte, verlassen, aber als er sich ausgezogen hatte, bemerkte er eine sitzende Gestalt unter einer der Palmen, die das Gewässer säumten.
 

„Schöner Abend, nicht wahr, Prinz Atem?“ Die Gestalt erhob sich und trat vor.
 

Atem erkannte den Mann als Neferkare, einen der Gruppenführer. Der Mann war ihm durch sein waghalsiges Verhalten in der Schlacht bereits mehrmals negativ aufgefallen. Außerdem ging im Lager das Gerücht um, er würde respektlose Reden gegen seine Vorgesetzten führen.
 

Neferkare mochte noch keine zwanzig sein, sein schwarzes Haar war kurzgeschoren und aufmerksame grüne Augen saßen über einer schmalen Hakennase. Er war mehr als einen Kopf größer als Atem. Erstaunlicherweise war er für einen Berufssoldaten wenig muskulös, aber dafür recht athletisch. Seine Schnelligkeit war wohl auch der Grund, warum er noch nicht gefallen war.
 

„Belauerst du öfter Leute, die baden wollen?“ Atem hatte kein Interesse an einem weiterführenden Gespräch und watete ins Wasser.
 

„Das würde mir doch nicht im Traum einfallen, Hoheit! Ich habe lediglich die Sterne beobachtet.“ Neferkare lachte und lehnte sich nachlässig gegen eine Palme, die näher am Wasser stand.
 

Atem beschloß, Neferkare für den Moment zu ignorieren. Statt dessen tauchte er unter, um seine Haare zu waschen. Als er nach Luft schnappend wieder hochkam, war Neferkare noch immer da. Dessen durchdringender Blick fing langsam an, an Atems Nerven zu zehren.
 

„Hast du nichts zu tun oder suchst du Probleme mit deinen Vorgesetzten?“ blaffte Atem. Er war wirklich nicht in der Stimmung, sich mit diesem seltsamen Kerl auseinanderzusetzen.
 

„Aber nicht doch! Ich dachte nur, ich könnte dir ein paar Ratschläge geben, Prinz.“ Das letzte Wort klang wie purer Hohn aus Neferkares Mund.
 

„Befolge meinen Rat: Verschwinde, bevor ich dich melde.“
 

„Und wegen was? Weil ich deine königliche Badestunde gestört habe?“ Neferkare lachte über seinen eigenen Witz. „Du bist neu im Kriegsgeschäft, hast dir gerade zum ersten Mal die Hände blutig gemacht. Da dachte ich, ich könnte mit meiner Erfahrung dienlich sein.“
 

Atem behielt den Gedanken für sich, daß Neferkare ihm am besten als ein Sandsack dienlich sein könnte, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hier ist dafür nicht gerade der beste Ort.“
 

„Kommt ganz auf die Art von Erfahrung an, die du suchst.“ Neferkare zuckte mit den Achseln und drehte sich um. „Wir sehen uns, Hoheit“, rief er über seine Schulter, bevor er zurück ins Lager ging.
 

Atem beendete sein Bad zwar äußerlich in Frieden, aber innerlich ließen ihn Neferkares Worte nicht los. Was hatte er gemeint? Vom Krieg schien er nur teilweise gesprochen zu haben. Mit diesem Rätsel im Kopf fiel Atem wenig später in sein Bett. Blutige Träume umspannen ihn und gaben ihn erst am nächsten Morgen frei.
 

Das Versorgungsschiff hatte Verspätung, weshalb die Truppen wohl noch mindestens einen Tag in der Oase verbringen mußten. Mittags kam die Nachricht eines Spähers, daß das Hethiter-Heer nicht unweit der Ägypter sein Lager aufgeschlagen hatte und sich nun zum Kampf gegen die Ägyptern rüstete.
 

Ahmes ordnete an, daß die Männer sich sofort ebenfalls rüsten sollten. Wenn man Glück hätte, könnte man die Hethiter einfach überrollen bevor sie sich genug gefaßt hätten, zurückschlagen.
 

Das Glück war, was das anbelangte, nicht mit den ägyptischen Truppen. Die Hethiter erwarteten sie bereits und die schiere Menge an Truppen hinter den hethitischen Standarten sprach für einen harten Kampf. Unter lautem Anrufen der Kriegsgöttin Sachmet stürzten sich die Ägypter auf ihre Feinde.
 

Atem ritt an vorderster Front. Er hielt sich in Rufweite zu Ahmes, während seine Klinge durch Fleisch und Knochen seiner Gegner glitt wie ein Messer durch warme Butter. Blut spritzte über seine Brust und sein Gesicht. Wüstenläufer unter ihm schnaubte und wieherte, schlug mit seinen scharfen Hufen nach den hethitischen Fußsoldaten und riß mehr als einen zu Boden, um ihn zu zertrampeln.
 

Aus dem Geruch nach Blut und Fleisch wurde unter der heißen Sonne bald ein übelkeitserregender Gestank, der Atems Nase verstopfte und durch seinen Mund in seinen Magen kroch. Der Schweiß tropfte ihm in die brennenden Augen und lief seinen Rücken hinunter. Das Gefühl widerte Atem fast so sehr an wie das, von frischem Blut bespritzt zu werden.
 

Ein Moment der Unaufmerksamkeit erlaubte einem hethitischen Soldaten nach seinem Bein zu schlagen. Das Schwert glitt zwar an der Beinschiene ab, aber die Wucht des Aufschlags ließ Atem aufstöhnen. Er riß Wüstenläufer herum und der Hengst schlug aus. Der Soldat gab ein Pfeifen von sich, bevor er mit zertrümmerten Rippen zu Boden sank.
 

Die Schlacht schien Atem ewig zu dauern. Immer mehr Tote, Ägypter wie Hethiter, konnte er auf dem Boden erkennen. Er spuckte den Sand aus, der ihm ständig in Mund und Nase drang, dann mußte er sich auf die nächste Welle feindlicher Soldaten konzentrieren. Ohne Unterbrechung stieß er mit seinem Schwert auf sie ein, durchbrach Rüstungen, wo er nur konnte, zerschnitt Kehlen, trennte Schwerthände ab. Bald war die einzige Farbe, die Atem noch wahrnehmen konnte, das Rot, das ihm den Blick verschleierte. Er spürte nichts mehr bis auf das Schwert in seiner Hand.
 

Als er die hethitischen Hörner hörte und die Feinde sich zurückzogen, sackte er auf Wüstenläufer zusammen. Sein Schwertarm schmerzte und seine Kleidung klebte ihm am Körper. Soviel Blut war auf ihm gelandet, daß er noch nicht mal sehen konnte, ob er selbst irgendwelche Wunden hatte.
 

Er ritt zurück zum Lager. Auf dem Weg dorthin sah er zu seiner Erleichterung viele ägyptische Soldaten. Sie hatten den Hethitern besser standgehalten als er geglaubt hatte. Dennoch waren viele verletzt und einige würden dem Anschein nach diese Nacht nicht überleben.
 

Ahmes erwartete ihn bereits am Lagereingang. Er musterte seinen Schützling kurz, dann nickte er. „Laßt Euch verarzten, mein Prinz, bevor sich die Wunde entzündet.“
 

Atem blickte auf seinen linken Oberarm, auf den Ahmes deutete. Eine lange, diagonale Wunde hatte sein Fleisch durchschnitten und warmes Blut floß seinen Arm hinunter. „Habe ich gar nicht gemerkt“, murmelte er. Er fühlte sich noch immer wie betäubt.
 

„Das kenne ich. Irgendwann verliert man das Gefühl für seine Verletzungen.“ Ahmes tätschelte den Hals seines erschöpften Streitrosses. „Geht schon, ich kümmere mich um die Männer. Mir ist heute nichts passiert.“
 

Atem nickte dankbar. Er brachte Wüstenläufer zu seinem Zelt, wo er diesen anpflockte und dem Stallburschen und einem Eimer Wasser überließ. Er selbst begab sich ins Lazarettzelt. Seine Wunde konnte zu seiner Erleichterung sofort geheilt werden und so trottete Atem schon bald zur Wasserstelle, um sich Blut, Schweiß und Schmutz vom Körper zu waschen.
 

Er war zu müde, um von Neferkares Anwesenheit überrascht zu sein. Dieser rieb sich gerade trocken und zog einen frischen Schurz an. Seine blutverschmierte und zerrissene Kleidung lag am Boden. „Gut gekämpft!“ rief er anerkennend als er Atem sah.
 

„Danke.“ Atem zog sich einfach aus und ließ sich ins Wasser fallen. Erst als sein Körper nach Luft verlangte, tauchte er wieder auf.
 

„Diese Bastarde sind zäher als Schakale.“ Neferkare lehnte wieder an einer Palme. „Ich hab’s im Urin, daß die nicht so schnell aufgeben werden. Heute sind sie zwar davongerannt, als wäre Ammit selbst hinter ihnen her, aber morgen kommen sie wieder.“
 

„Es sieht so aus, als würde es länger dauern sie zurückzuschlagen, als wir ursprünglich geplant haben“, stimmte Atem zu, während er sich abrieb.
 

„Solange sie über Harda weitere Truppen einmarschieren lassen können, werden die nicht aufgeben. Dafür sind sie viel zu versessen darauf, uns das Gebiet streitig zu machen.“ Neferkare spuckte aus. „Dem verdammten Großkönig von Hatti soll der Schwanz abfallen wie der einer Eidechse.“
 

Atem mußte lachen. Er wußte selbst nicht, wieso. Besonders lustig war Neferkares Verwünschung nicht. „Der Großkönig sollte eher zertreten werden wie eine Eidechse“, jappste er. Er watete zum Wasserrand. Seine Beine zitterten so sehr, daß er fast umgefallen wäre.
 

„Auch nicht schlecht.“ Neferkare ergriff Atems Unterarm und zog ihm aus dem Wasser. „Du siehst nicht gut aus, Hoheit.“
 

„Ich fühle mich auch nicht gut.“ Atem ließ sich ernüchtert auf den Boden fallen. „Jedes Mal, wenn ich die Augen zumache, sehe ich, wie einer tot zu Boden sinkt und das Blut, das wie feiner Regen auf alles fällt. Es ist wie ein Alptraum.“
 

Neferkare setzte sich neben Atem. „Ja“, erwiderte er nur. „Aber ein echter Alptraum wäre es, wenn sie in die Städte einfallen würden. Ich hab’s schon gesehen. Die ganzen Toten und die Frauen, die vor jedem Mann davonlaufen und wie verletzte Tiere schreien. Das ist schlimmer. Oder all die Geschichten über das Massaker von Kul Elna. Keiner weiß, was passiert ist und wer sie alle getötet hat.“
 

Atem schauderte. Noch zu gut erinnerte er sich an den Tag, als sein Vater den Zorn der Götter auf sich gezogen hatte, um ihm, seinem Sohn, dieses Schicksal zu ersparen. Aknamkanon hatte die Verantwortung übernommen für diesen einen schrecklichen Fehler, den er gemacht hatte. „Ja, ich habe davon gehört.“
 

„Wer nicht?“
 

„Tust du das hier nur für das Geld?“ wechselte Atem das Thema.
 

„Nicht nur, aber auch. Irgendjemand muß nun mal die Drecksarbeit machen, damit der Rest nachts gut und sicher schlafen kann. Ehre gibt es hier nicht, nur die Hoffnung, daß wir diese Scheißkerle zurückdrängen und wir morgen nicht als Sklaven nach Hatti verschleppt werden.“
 

„Sie würden uns eher töten.“
 

„Pah! Der Großkönig soll eine Vorliebe für hübsche Jungen haben.“ Neferkare sah Atem an. „Du wärst ihm sicher recht genug und noch dazu der Kronprinz Ägyptens.“
 

„Das ist widerlich!“
 

„Natürlich ist es das. Ist es doch immer, wenn’s Vergewaltigung ist.“
 

„Wohl wahr.“ Atem stand auf und schlang sich einen sauberen Schendit um die Hüften. „Es wird spät und der General wird sicher noch etwas zu besprechen haben.“
 

Neferkare ergriff plötzlich Atems Hand und zog diesen zu sich. „Hör mal, mein Angebot steht noch.“
 

„Ich weiß nicht, was du meinst.“ Atem machte sich indigniert los.
 

„Hier draußen gibt es keine Mädchen, also mußt du nehmen, was da ist, Hoheit.“
 

Atems Wangen wurden rot vor Zorn. „Ich bin verheiratet!“
 

„Na und? Das bin ich auch. Ich gehe bestimmt nicht herum und erzähle, was ich nachts im Krieg mache, also was soll’s.“ Neferkare stand auf und lachte. „Oder ist deine Schwester wirklich so gut im Bett, wie ich gehört habe? Sie soll es ja faustdick hinter den Ohren haben.“
 

Atem holte aus und seine Faust traf direkt Neferkares Kinn. Dieser taumelte zurück, stolperte und landete auf dem Rücken.
 

„Woher hast du diese Lügen? Meine Gemahlin ist ehrenhaft und tugendsam! Wage es ja nicht, ihre Reinheit noch einmal mit deinen groben Worten auch nur in Frage zu stellen.“ Atem stand keuchend über Neferkare. „Wir haben noch nie...“
 

„Wer weiß? Wenn du es nicht schaffst, sie zu besteigen, dann muß es wohl ein anderer tun“, nutzte Neferkare lachend Atems versehentliches Geständnis.
 

Atem dachte an seine Hochzeitsnacht und daran, wie sehr er das Gefühl gehabt hatte, versagen zu müssen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als Neferkare zu beweisen, daß der falsch lag. „Ich bin sehr wohl dazu fähig.“ Nur von Instinkt und Zorn geleitet, setzte Atem sich auf die Hüften Neferkares und packte dessen Arme in einem harten Griff.
 

„Ich schätze, du taugst nicht nur zum Krieg was, Jüngelchen.“
 

Atem knurrte. Ihm war heiß und er riß sich den Schendit vom Leib. Seine Erektion preßte sich nun ungehindert gegen Neferkares Bauch. „Ich werde dir zeigen, wozu ich alles fähig bin, du großmäuliger Mistkerl!“
 

Das war das erste Mal, daß Atem mit einem Mann schlief.
 

***
 

Neferkares Einschätzung bezüglich des Hethiter-Heeres stellte sich nur allzu bald als wahr heraus. Aus Wochen wurden schnell Monate. Die Ägypter hatten nicht geglaubt, daß dieser Feldzug solange dauern würde. Das einzig Gute war, auch die Hethiter hatten das nicht gedacht.
 

Zwar gelang es, Theben zu schützen, aber über Harda marschierten immer wieder hethitische Truppen direkt nach Ägypten ein. Antes hingegen behauptete, nichts über die Vorhaben der Hethiter zu wissen. Er stellte sich ebenfalls als Opfer dar.
 

Während das Blut den Wüstensand tagsüber rot färbte, war die Nacht der Erholung und den derben Scherzen gewidmet. Atem bekam viel mehr über das Liebesleben seiner Kampfgefährten mit als ihm lieb war, denn die Soldaten nahmen kein Blatt vor den Mund, wenn es um ihre weiblichen Eroberungen ging. Vielleicht lag es auch einfach daran, daß nichts davon eine Reaktion in Atem auslöste. Er blieb kalt und unberührt, selbst wenn er sich Nefertiti nackt und bloß unter sich vorstellte. Es erregte ihn nicht.
 

Was ihn erregte, waren die Dinge, die er mit Neferkare in aller Heimlichkeit und im Schutze der Nacht tat. Atem wußte, daß er ihn nicht liebte und ihn nur benutzte. Aber es war in Ordnung, dachte Atem, denn er wußte ebenfalls, daß auch Neferkare nur seinen Spaß wollte und wiederum ihn nur benutzte. Jede Nacht kämpften sie um Kontrolle und in der einen Nacht war Atem Sieger, in der nächsten der Verlierer.
 

Das beinahe tägliche Blutvergießen ließ Atem abstumpfen. Der Wahnsinn des Krieges hatte ihn schon lange erfaßt und mitgerissen. Es brachte nichts, sich zu wehren. Atem akzeptierte, was er mit Neferkare tat, als Ausgeburt dieses Wahnsinns. Nefertiti würde es nie erfahren, wenn er zu ihr zurückkehrte.
 

Wenn er einmal das Schlachtfeld hinter sich lassen würde, dann würde diese ungesunde Fixierung auf sein eigenes Geschlecht ebenfalls zurückbleiben. Als Kronprinz war es schließlich seine Pflicht, eine weitere Generation von Prinzen und Prinzessinnen zu zeugen, die ihm eines Tages auf den Thron nachfolgen konnten.
 

Der Krieg indes zog sich immer länger dahin und ermüdete die Männer. Zumindest bis zu dem Tag als bekannt wurde, daß der Großkönig von Hatti selbst einen Teil seines Heeres nach Ägypten geführt hatte. Ahmes’ Männer waren, laut Späherberichten, am nächsten am Großkönig und so kam der Befehl direkt vom Pharao, daß Ahmes das Heer stellen und den Großkönig zur Kapitulation zwingen sollte.
 

Die Soldaten überkam neue Kraft, als sie hörten, daß das mögliche Ende dieses Krieges endlich in Sicht war. Im Eiltempo legten die Truppen den Weg zurück, um dem Heer des Großkönigs noch vor Gizeh den Weg abzuschneiden.
 

Es war eine Falle.
 

Die Bogenschützen, die sich hinter den Dünen versteckt gehalten hatten, ließen einen wahren Regen aus Pfeilen auf das Ägypter-Heer niedergehen, sobald es Gizeh passiert hatte.
 

General Ahmes stürzte vom Pferd, ein Pfeilschaft ragte aus seinem linken Auge. Er war sofort tot. Viele Soldaten teilten sein Schicksal.
 

Atem fluchte, drückte Wüstenläufer die Hacken in die Seiten und preschte an der Linie seines Heeres entlang. „Zurück mit den Fußsoldaten! Hoch mit den Schilden! Vor mit den Bogenschützen und Speerwerfern.“ Atem riß gerade noch seinen eigenen Schild hoch bevor ein Pfeil in seinen Hals fahren konnte. „Wo sind die Magier? Bewerft die Hethiter mit Schwarzem Feuer!“
 

Innerhalb von Sekunden begannen die Ägypter sich zu wehren. Bälle aus schwarzem Feuer rissen die feindlichen Bogenschützen um und verbrannten ihre Leiber zu grauer Asche. Speere und Pfeile füllten die Luft mit ihrem zornigen Sirren.
 

Sobald die meisten hethitischen Bogenschützen gefallen waren, gab Atem den Nahkämpfern den Befehl, vorzurücken. Es wurde Zeit, diesen elenden Krieg zu beenden und die Hethiter ein für alle mal aus Ägypten zu vertreiben.
 

Mit Gebrüll und dem Klirren aufeinandertreffender Waffen trafen die Heere aufeinander. Der Staub wirbelte so hoch, daß es Atem schien, noch nicht einmal Ra, im Zenit seiner Reise über den Himmel, könnte jetzt noch den Boden sehen.
 

Das Blut floß in Strömen und die Soldaten auf beiden Seiten fielen in erschreckend hoher Zahl. Atem biß die Zähne zusammen und kämpfte sich mit Neferkares Hilfe durch bis zur Mitte des Hethiter-Heeres. Dort, feige und versteckt, saß der feiste Hethiter-König auf seinem braunen Hengst, umgeben von seiner Leibwache.
 

„Komm her, du Feigling!“ schrie Atem über den Kampfeslärm. „Bist du nicht Manns genug, selbst zu kämpfen? Mußt du dich hinter anderen verstecken? Ich bin Prinz Atem. Deine Verbrechen gegen mein Land sollen nicht ungesühnt bleiben.“
 

Der Großkönig starrte Atem zuerst mit seinen Schweinsäugelein verwundert an, dann brach er in Gelächter aus. „Schickt der Pharao jetzt schon kleine Knaben, um seine Aufgaben zu erfüllen? Vor dir fürchte ich mich nicht. Ich schlage dich in jeder Disziplin. Und wenn ich mit dir fertig bin, wird mir etwas Hübsches einfallen, was wir später zusammen machen können. Wie klingt das?“
 

Die Leibwache lachte über die anzüglichen Worte ihres Herrschers.
 

„Mich schlagen? Du bist alt, fett und hast keine Kraft mehr“, schmähte Atem seinen Gegner erzürnt. „Ich werde gewinnen. Nenne mir die Waffen. Wenn ich gewinne, ziehst du deine Männer sofort zurück.“
 

„Das wird nicht passieren“, erklärte der Großkönig und blähte seine Brust wie der Gockel auf dem Mist. „Ich werde gewinnen und dann, mein süßer, kleiner Prinz, wirst du mir für den Rest deines Lebens zu Willen sein.“
 

Atem spuckte angewidert aus. „So soll es sein! Neferkare und deine Leibwächter sind unsere Zeugen.“
 

Neferkare warf Atem einen warnenden Blick zu.
 

„Nun, ich wähle als unsere Waffe das Schwert.“ Der Großkönig ließ sich mit der Eleganz einer sterbenden Ente aus dem Sattel fallen.
 

„Wie du wünschst.“ Atem sprang mit Leichtigkeit von Wüstenläufer und überreichte Neferkare die Zügel. Ihm wurde jetzt erst bewußt, daß es erstaunlich leise um sie herum geworden war. Die Kämpfe hatten aufgehört und die Soldaten beider Heere hatten einen Kreis von mehreren Metern Durchmesser um Atem und den Großkönig gebildet. Die Stille war nach dem ganzen Lärm beinahe ohrenbetäubend.
 

Atem ging mit gezückter Klinge in die Mitte des Kreises, wo ihn bereits der Großkönig mit einem siegessicheren Lächeln erwartete. Atem hätte ihm dieses Lächeln am liebsten aus der Visage geschlagen, aber er zügelte sich. Leute wie der Großkönig machten immer einen Fehler, der sie alles kostete. Das würde er für sich auszunutzen wissen.
 

Atem stand dem Großkönig gerade gegenüber, als er auch schon den ersten Schwertstreich parieren mußte. Der Großkönig war schnell, aber nicht schnell genug. Atem tänzelte ihm mit Leichtigkeit davon, täuschte rechts an und schlug dann doch von links. Der Großkönig parierte diesen Schlag gerade so.
 

Atem wußte, er mußte nur auf Zeit spielen. Immer wieder vollführte er Finten und wich dem Schwert seines Gegners aus. Die Siegessicherheit des Großkönigs wich bald einem gehetzten, panischen Gesichtsausdruck, als dieser Atem einfach nicht zu fassen bekam.
 

Worauf Atem gehofft hatte, trat ein: Dem Großkönig ging die Puste aus und er vernachlässigte seine Deckung in dem Bemühen, seinen Gegner niederzustrecken.
 

Atems Schwert bohrte sich mit absoluter Genauigkeit in die Schwerthand seines Gegners. Dieser ließ seine eigene Waffe mit einem unterdrückten Schrei los. Schnell trat Atem darauf und richtete seine gleißende Schwertspitze auf den Hals des Großkönigs. „Du hast verloren, Großkönig. Nimm deine Männer und kehre zurück nach Hatti!“
 

Der Großkönig blickte Atem aus haßerfüllten Augen an. „Oh nein! So haben wir nicht gewettet, Bürschchen!“
 

Einer der Leibwächter riß seine Hand hoch und schleuderte ein Messer auf Neferkare. Dieser konnte sich nicht mehr rechtzeitig ducken und so fuhr ihm der blanke Stahl bis zum Heft in den Hals. Mit einem Gurgeln fiel er zu Boden.
 

„Dein Zeuge ist hinfällig, Prinz“, höhnte der Großkönig.
 

Atems Augen waren wie gehärteter Stahl als er den Großkönig ansah. „Du bist ein Betrüger!“ zischte er.
 

Innerhalb von Sekunden war die Sonne hinter schwarzen Wolken verschwunden und ein eisiger Wind peitschte den Wüstensand. Eine unangenehme Spannung lag in der Luft. Die Ägypter, ahnend was nun kam, zogen sich zurück.
 

Nur Atem blieb stehen und betrachtete, wie die Arroganz des Großkönigs in Angst umschlug. Das Auge des Horus leuchtete in so hellem Gold, daß Atems Gesicht nur noch wie das eines Schattens wirkte, in dem nur noch die Augen einen leichten Glanz hatten.
 

„Du hättest unsere Abmachung ehren sollen, Großkönig.“ Atem stieß sein Schwert vor sich in den knirschenden Sand, wo es stecken blieb. Ein Rinnsal Blut sickerte von dem weißen Stahl in den Sand. „Jetzt gehörst du den Schatten.“
 

Der Großkönig hatte noch nicht einmal mehr Zeit zu schreien. Die Schatten schossen aus dem Sand und wirbelten in einem wahnsinnigen Tanz um Atem, bevor sie sich mit einem schauerlichen Pfeifen auf den Großkönig stürzten. Sekunden später war es vorbei. Nur Stille und der Geruch von Blut blieben übrig.
 

Die Hethiter, die nicht spätestens beim Erscheinen des Auges des Horus die Flucht ergriffen hatten, waren jetzt so weiß wie die Palastwände in Theben. Panisch nahmen sie die Beine in die Hand und flohen so schnell es ging. Ohne jeden Zweifel würden sie nach Hatti zurückkehren, um dort ihre Schreckensmär zu erzählen.
 

Atem riß sein Schwert aus dem Boden und ließ es in die Scheide gleiten. Er wuchtete Neferkare mühevoll auf Wüstenläufers Sattel und führte den Hengst dann am Zügel zurück zu den restlichen Truppen. Seine linke Hand, in die er sich geschnitten hatte, pochte unangenehm, aber Atem ignorierte es.
 

„Vergrabt unsere Toten und versorgt die Verwundeten“, befahl er, sobald er das Heer erreicht hatte. „Dann kehren wir unverzüglich nach Theben zurück. Schickt Nachricht, daß der Großkönig tot und seine Armee besiegt ist. Die Soldaten, die tapfer gekämpft und für Ägypten gestorben sind, sollen von uns allen geehrt werden.“
 

Einige Stunden später saß Atem auf Wüstenläufer. Er hatte seine Hand nur verbinden lassen, da er sich geweigert hatte, die Heiler für eine solche Lappalie in Anspruch zu nehmen, wenn so viele Soldaten weitaus schwerer verletzt waren als er.
 

Atem war vollkommen erschöpft. Sein Körper fühlte sich an als hätte er seit Wochen nicht geschlafen und wenn er an die vielen Nächte dachte, in denen er aus furchtbaren Träumen über Tod und Verstümmelung aufgeschreckt war, war das auch kein Wunder. Aber auch sein Geist war müde. Er konnte den Krieg nicht mehr ertragen.
 

Ein Jahr lang war er von zuhause fortgewesen und er sehnte sich nur noch danach, mit seinem Vater lange Unterhaltungen zu führen und seinen Rat einzuholen, nachts neben Nefertitis weichem Leib einzuschlafen, mit Mahado zu spielen und mit Mana zu scherzen. Jetzt würde alles wieder gut werden. Jetzt würde er ein guter Ehemann sein und vor seinen ehelichen Pflichten nicht mehr zurückschrecken.
 

Als sie nach tagelanger Reise endlich Theben erreicht hatten, lag eine seltsame Ruhe über der Hauptstadt. Kaum ein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Dafür sah es so aus als seien die Tempel gut besucht.
 

Eine seltsame Unruhe ergriff Atem und er trieb die Männer zur Eile an. Bald tauchte der Palast vor ihm auf und Atem galoppierte in den Innenhof. Auch hier waren kaum Menschen zu entdecken.
 

Eine Dienerin, die ihn gesehen hatte, rief aufgeregt: „Es ist der Prinz! Holt den Wesir und die Prinzessin.“
 

„Den Göttern sei Dank!“ rief eine andere. „Es geht ihm gut!“
 

Atem blickte die Frauen mit gerunzelter Stirn an. Was war nur geschehen? Das war höchst eigenartig! Sie wußten doch, daß es ihm soweit gut ging und er auf dem Weg zurück nach Theben gewesen war. Er saß ab und tätschelte abgelenkt Wüstenläufers Hals. Ein schlechtes Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus.
 

Siamun und Nefertiti kamen gleich darauf auf ihn zu. Siamuns Miene war ernst und Trauer stand in seinem Gesicht. Über Nefertitis schmales Gesicht rannen Tränen. Ihre Augen waren rot und ihr Gesicht in einer Grimasse der Verzweiflung verzerrt.
 

„Was ist passiert?“ Atems Herz klopfte so hart gegen seine Rippen, daß er glaubte, der ganze Hof müsse es hören.
 

„Atem, es ist so schrecklich“, wisperte Nefertiti. Sie schluchzte und umarmte ihren Bruder. “Unser Vater ist vor einigen Tagen schwer erkrankt und letzte Nacht... Er ist tot, Atem!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KaitoDC
2010-04-25T19:33:18+00:00 25.04.2010 21:33
o.O
okay.... das hatte ich keineswegs erwartet! ich bin grad so ein bissl sprachlos...
diese beiden Kapitel waren interessant, muss ich schon sagen. dass Atem so früh in den Krieg ziehen würde, hätte ich nicht gedacht. war sicherlich auch... 'gruselig', als er den Großkönig umgebracht hat....
jedenfalls, tolle Kapitel!!
lg
KaitoDC


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