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A Totally Normal Story

von

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1. Kapitel

Seufzend betrachtete ich das Gebäude. Von außen machte es wenig Eindruck, aber zumindest war ich noch alleine. Es war eine halbe Stunde vor Schulbeginn und ich musste heute früher kommen. Ich war neu hier und erwartete nicht mehr viel von dieser Institution. In einem halben Jahr würde ich meinen Abschluss machen und danach würde ich wieder auf eine andere Schule müssen. Freunde würde ich mir hier nicht machen.

Ich betrat den Hof und kurze Zeit später auch das Gebäude, wo eine alte Dame wartete.

Sie fragte mich nach meinem Namen und führte mich dann in das Büro des Direktors. Sie war die Sekretärin und reichte mir gleich noch ein paar Unterlagen. Belehrungen und Stundenplan, ich kannte das ja schon. Und statt mir die Willkommensrede des Direktors anzuhören bat ich ihn diese zu überspringen und mir den Aufbau des Gebäudes zu erklären. Er war mir zuerst dankbar, aber als er merkte wie orientierungslos ich war, sah er seine gewonnene Zeit wieder dahinschwinden. Bald schon klingelte es und er erklärte noch einmal kurz den Weg zum nächsten Klassenraum, ehe er mich aus seinem Büro schob und meinte wenn ich etwas nicht wüsste könnte ich wiederkommen wenn ich noch fragen hätte.
 

Ich hatte den Mann schnell durchschaut. Gott sei dank war dieser Direktor endlich mal einer dem seine Schüler etwas zu bedeuten schienen, nur hatte er wenig Zeit, das sah ich gleich an seiner Unordnung auf dem Schreibtisch. Aber jetzt musste ich erst einmal den Raum finden. Ich hatte Glück, in meiner ersten Stunde konnte ich im Erdgeschoss bleiben.

Mit einer Bestätigung in der Hand steuerte ich zuerst das Lehrerpult an. Diese Frau war ebenfalls alt und sah mich über die Ränder ihrer dicken Gläser an. Ich wusste gleich, dass ich sie nicht würde leiden können aber ich war geübt genug um das nicht zu zeigen. Sie lächelte und zeigte mir ihre schiefen Zähne, ehe sie mir einen Platz in der vorletzten Reihe zuwies und mich kurz nach Stundenbeginn kurz vorstellte. Sie las eigentlich nur meinen Namen vor und sagte, dass ich neu war – hätte sich ja keiner denken können. Vor mir saß ein Halb-asiate, der ziemlich groß geraten war, sodass ich kaum etwas sehen konnte, aber das machte mir nichts aus. Ich lernte sowieso mehr aus den Lehrbüchern als im Unterricht.
 

Jetzt hatte ich aber noch keine Bücher und musste so versuchen den Unterricht zu folgen. Vom Unglück verfolgt kam ich natürlich kaum mit. Es war Mathe und gerade da musste ich mich immer anstrengen. Dass diese Klasse auch noch weiter im Stoff war als meine Alte, machte es mir nicht unbedingt leichter.

Irgendwann schrieb ich nur noch das ab was ich an der Tafel sah. Irgendwie würde ich das schon noch alles verstehen.

Regelrecht erleichtert seufzte ich auf als die Pause eingeläutet wurde. Ich war gerade dabei meinen Block wieder in die Umhängetasche zu stecken, da drehte der Riese vor mir sich um.

„Willst du auch eine Rauchen?“, fragte er grinsend und ich bemerkte, dass seine Augen braun waren. Und irgendwie richtig schön. Aber ehe ich mich in dem Blick verlieren konnte drängte sich mir eine Frage auf: waren sie vorhin nicht noch grün gewesen? Das waren sie doch, sie hatten mich doch verwirrt weil sie so geleuchtet hatten und ich nur daran gedacht hatte das der Junge doch arm dran sein musste mit so einer hässlichen Augenfarbe.

Hübsch war der Junge vor mir auf gar keinen Fall, aber mit ihm Rauchen zu gehen hatte durchaus seine Vorteile.

Also stimmte ich zu. Der Junge grinste breit und stand auf, nachdem ich meine Tasche verschlossen hatte. Ich folgte ihm wortlos und er schlug den Weg nach draußen ein und dann umrundeten wir das Gebäude fast, bis wir zu einem kleinen Raucherhof kamen, der noch recht leer war.

„Darf ich vorstellen, der Stolz unserer Schule: der Raucherhof…“, erklärte mein Begleiter überschwänglich, auch wenn ich die Worte etwas unpassend gewählt fand. Das sollte wohl Ironie sein. Der Hof war klein und von hohen Mauern umgeben und wir teilten uns den spärlichen Platz mit ein paar Mülltonnen. Irgendwie war dieser Ort beunruhigend klein um Raucherhof einer ganzen Schule zu sein.

„Ich bin übrigens Tora.“, riss mich der Große aus den Gedanken und hielt mir seine Hand hin. „Jui.“, antwortete ich knapp und erwiderte seinen Händedruck, auch wenn es sonst nicht mein Stil war.
 

„Mach dir keine Sorgen, die meisten verlassen das Gelände zum Rauchen weil es hier so schäbig ist, aber ich und meine Leute gehen lieber hier hin weil man am Ende doch mehr Platz hat als draußen und der Weg ist kürzer.“, erklärte mir dieser Tora und ich musste unweigerlich lachen. „Das dürfte dir mit deinen langen Beinen aber keine Schwierigkeiten bereiten!“ und auch er musste daraufhin lachen. Irgendwie konnte ich nicht verhindern, dass ich ihn sehr nett fand. Auch wenn ich immer noch ein merkwürdiges Gefühl bei ihm hatte. Immer noch beschäftigte mich die Sache mit seiner Augenfarbe und ich sah schon wieder hin. Selbst wenn ich mich am liebsten dafür geohrfeigt hätte. Was sollte dieser Tora nur von mir denken? Bestimmt nichts Gutes, denn er hatte meinen Blick bemerkt.
 

„Verdammt du hast es gemerkt! Also ja ich habe braune Kontaktlinsen drin. Als du mich vorhin so verwundert angesehen hast hab ich gemerkt das ich vergessen hab sie reinzumachen. Da hab ich das noch schnell nachgeholt.“

Seine Stimme klang irgendwie entschuldigend. Als würde er sich für seine grünen Augen schämen. Das gefiel mir und ich lächelte ein wenig. Er war beruhigt und ich suchte meine Zigaretten. Selbst rauchte ich nur gelegentlich, aber um in der Pause nicht alleine sein zu müssen war ich gern bereit etwas mehr zu rauchen.

Eigentlich war ich zufrieden mit meiner Rolle als Außenseiter. Nur in den Pausen störte es mich sehr wenn ich alleine dastand und ich versuchte immer mit einer Gruppe zumindest so warm zu werden das sie mich bei sich stehen ließen, damit ich nicht alleine war. Dann käme ich mir immer so beobachtet vor.

Schon eine Weile tastete ich meine Tasche und meine Hose, ja sogar meine Jacke nach der Zigarettenschachtel ab, diese aber blieb verschollen.

„Macht doch nichts, hier.“ Tora hielt mir eine Zigarette hin und als ich sie angenommen hatte, sogar Feuer. „Danke…“, antwortete ich leise.
 

„Wie kommts eigentlich das du mitten im Jahr gewechselt hast? Das Halbjahr ist noch nicht einmal zu ende.“, fragte er mich nach einem kurzem Moment der Stille. Da war aber jemand neugierig und offensichtlich kein bisschen höflich. Aber was konnte ich schon tun außer zu antworten?

„Das Haus, indem unsere Wohnung war, ist vollständig abgebrannt und mein Vater sah das als Chance, etwas näher an seinen Arbeitsplatz zu ziehen. Meine alte Schule ist zu weit weg, deswegen musste ich wechseln.“, antwortete ich knapp und hoffte jetzt wäre seine Neugier befriedigt. War sie aber leider nicht.

„Völlig abgebrannt? Das ist ja krass. Nja nicht krass, eher Scheiße. Aber ihr wart hoffentlich nicht gerade da drin oder?“, fragte er interessiert nach und vergas darüber fast das Rauchen. Und er war mir näher gekommen. War ich denn so spannend? Offensichtlich.

„Doch wir waren drin. Wir haben geschlafen, als uns der Feuermelder geweckt hat. Irgendwie hatte ich überhaupt keine Panik. Hab mir nur schnell ein paar Sachen übergezogen und hab mir meinen Laptop usw. gekrallt. Den Rauch im Zimmer hab ich irgendwie gar nicht wahrgenommen. Es wurde aber soweit niemand verletzt wir hatten alle bloß Rauchvergiftungen. Dann waren wir erst einmal ein paar Tage im Krankenhaus und dann mussten wir uns eine neue Wohnung suchen.“, erzählte ich lieber gleich etwas mehr, nicht das Tora noch mehr nachhakte. Und ich hatte Recht. Er war erst einmal geschockt genug um nicht mehr zu antworten und ich konnte genüsslich weiter rauchen. Was hieß genüsslich? Seit der Rauchvergiftung waren meine Atemwege empfindlicher als normal und der Rauch der Zigarette tat nach kurzer Zeit weh, sodass ich nicht mehr wirklich daran zog.
 

Tora bemerkte das allerdings nicht. Er starrte mich noch eine Weile an, bis seine Freunde kamen. Zuerst zwei Jungs, die etwas kleiner waren als ich. Der eine sah besorgt und der andere genervt aus. Nao und Hiroto hießen sie. Letzterer hatte sich gerade wieder mit einer Lehrerin angelegt. Die beiden waren eine Klasse unter uns. Es folgten noch zwei weitere, Saga und Shou. Sie waren beide etwas größer als ich und auch wenn ich die Pausen des restlichen Tages mit ihnen verbrachte, so richtig schlau wurde ich aus ihnen noch nicht.

2. Kapitel

Wie sich bald herausgestellt hatte, hatte ich nur drei weitere Kurse mit Tora. Eigentlich ein guter Schnitt, zumal wir auch die Hauptfächer zusammen hatten. In Kunst musste ich ohne ihn auskommen, hatte dafür aber Saga und Shou bei mir. Einmal war ich noch mit Saga alleine und zweimal mit Shou. Auch wenn ich mich mehr mit den beiden unterhalten hatte und auch schon so etwas ihre Stärken und Schwächen kannte, so richtig wohl fühlte ich mich bei ihnen nicht.

So richtig schön fand ich Unterricht nur wenn Tora mit da war. Eigentlich wusste ich das dass nichts Gutes zu bedeuten hatte, aber ich versuchte es zu ignorieren. Darauf würde ich mich nicht schon wieder einlassen.
 

Es war Mittwoch und schon wieder hatte ich mit Mathe zu kämpfen. Inzwischen musste mich die Lehrerin durchschaut haben, oder sie hatte ganz einfach ihre eigenen Antipathien gegen mich entwickelt und das bekam ich heute zu spüren. Erst musste ich an die Tafel und eine Aufgabe vom Montag rechnen, das ging gründlich daneben. Am Ende der Stunde verglich sie noch einige Ergebnisse, bei denen ich mir relativ sicher gewesen war das ich keinen Rechenweg genommen hatte der der Aufgabenstellung gerecht geworden wäre. Das war die höfliche Formulierung. Denselben Anstand besaß meine Lehrerin leider nicht. Peinlich, aber ich wollte nicht unbedingt an das denken was sie gesagt hatte.

Ich spürte Toras Blick auf mir als sie mit ihrer Schimpftriade fertig war aber ich erwiderte ihn nicht. Ihm fiel Mathe leicht, das hatte ich schnell bemerkt.

In der Pause sagte ich nichts, ging einfach voraus und erwartete, dass er mir folgte. Was er auch tat. Auf dem Hof angekommen zündete er sich eine Zigarette an und hielt sie mir hin. Ich wunderte mich, denn sonst hatte er mir immer so eine gegeben und vor allem hatte er sich auch eine angezündet.

„Warum rauchst du nicht?“, fragte ich ihn und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme unsicher klang. Ich verfluchte mich dafür. Er lachte mal wieder kurz und sah mich dann wieder so komisch an. Ich wusste das er mir in die Augen sah, das tat er öfter, aber ich wusste nicht warum er das tat.

„Ich rauche deinen Rest. Du schaffst keine Ganze und für mich wäre es nur gesund nur noch eine halbe zu rauchen.“

Betreten sah ich zu Boden. Er hatte mich durchschaut und ich fragte mich ob ihm das immer so einfach gelang.

Auf einmal tippte mir etwas auf die Schulter und ich zuckte unweigerlich zusammen.

„Verdammt Hiroto!“, schnauzte ich den Kleinen hinter mir an. Dieser zuckte zusammen und war ganz überrascht, dass ich so reagierte.

„Man ich wollte dir nur sagen das Tora es natürlich nicht selber mitbekommen hat, nicht das er dir versucht dir das als seine Errungenschaft zu verkaufen. Nu hab dich mal nicht so!“, ging mich der Kleine nun selbst an und ich wich unweigerlich zurück.
 

Das brachte mich dazu meinen Kopf zu senken. „Tut mir leid ich hab einen schlechten Tag.“, gab ich kleinlaut zu und reichte meine Zigarette an Tora zurück. So langsam kamen die anderen dazu, aber ich sagte heute nichts mehr und hob auch nicht mehr den Kopf, stattdessen vertiefte ich mich in mein Handy.

In der nächsten Pause waren wir mal wieder die ersten und erschrocken bemerkte ich, das Tora einen Arm um mich legte.

„Jui, mir ist aber aufgefallen das du ein Problem mit Mathe hast. Wenn du möchtest und Zeit hast kann ich dir nach der Schule die Sachen erzählen. Du hattest das Thema noch nicht, stimmts?“ Er war mir auf einmal ganz nah, aber irgendwie hatte ich keine Angst. Es war viel mehr prickelnd. Ich nickte nur, viel mehr hätte ich nicht herausgebracht. Tora löste sich daraufhin grinsend und setzte noch hinzu: „Prima, dann kannst du gleich heute mit zu mir kommen, wir haben heute schon um zwei Schluss das passt ganz gut.“

Ich stimmte ihm wieder zu und machte mich daran eine SMS an meine Mutter zu schreiben. Sie vertraute mir, aber so bereitwillig Informationen raus zugeben war natürlich immer hilfreich.
 

Die letzte Stunde hatte ich mit Shou zusammen. Wir schrieben gerade von einer Folie ab, als er mich mit dem Ellenbogen anstupste. „Pssst!“, setzte er noch unnötigerweise hinzu. „Ja, was ist denn?“, fragte ich leise, behielt dabei die Tür im Auge, unser Lehrer war gerade kurz verschwunden.

„Tora hat in genau einer Woche Geburtstag. Ich weiß du kennst ihn erst ein paar Tage, aber er würde sich sicher freuen wenn du ihm was Kleines schenkst…“ Er hörte sich unsicher an, das war unüberhörbar. Und er hatte Recht, jemanden den man erst eineinhalb Wochen kannte schenkte man nun wirklich nicht so mal eben etwas zum Geburtstag.

„Ich kann ja mal gucken ob ich was Passendes sehe. Ich kenne ihn ja noch nicht so gut.“ Eigentlich wollte ich mir so etwas vom Hals halten, es hieß ja doch nur wieder das ich einen ganzen Nachmittag mit Shoppen verbringen würde und am Ende all mein Geld für Dinge ausgab die ich für mich wollte und dann wäre ich wieder deprimiert gewesen weil es natürlich nicht gereicht hätte.

Allerdings fand ich die Idee schon süß ihm etwas zu schenken. Möglichst etwas über das er sich freuen würde. Ich stellte mir es sogar vor, wie er grinsen und sich bedanken würde, wie er mich dann in den Arm nehmen würde…

Nein, das durfte ich nicht denken, das könnte sehr gefährlich werden.
 

Nach Schulschluss wartete Tora mit wie immer guter Laune auf mich. Er freute sich das die Schule jetzt vorbei war, gestand er mir gleich.

„Dann tuts mir aber leid das du jetzt wegen mir noch Mathe machen musst.“, sagte ich scherzhaft.

„Ach, mit dir würde ich immer Mathe machen!“, gab er lachend von sich und mein schlechtes Gefühl löste sich in Wohlgefallen auf. Auch wenn es das nicht sollte.

Tora wohnte nicht weit entfernt von der Schule und wir waren schon bald angekommen.

Aber, seine Wohnung verwunderte mich etwas. Sie bestand nur aus einem Zimmer, das zugleich Wohnzimmer und Küche zu sein schien. Das Sofa diente zum schlafen, Tora räumte nämlich schnell sein Schlafzeug weg. Ein kleines Bad gab es noch. Die Wohnung war schön eingerichtet, aber trotzdem deutete hier nichts daraufhin das mehr als eine Person hier wohnte.

„Tora? Darf ich dich fragen wo deine Eltern sind?“ Gut es war unhöflich so etwas zu fragen, aber anders war er zu mir auch nicht gewesen.

Er lachte. „Natürlich darfst du fragen. Und ob dus glaubst oder nicht ich werde dir sogar antworten. Aber jetzt setz dich erst einmal. Möchtest du was trinken?“, fragte er mich, aber ich lehnte ab und setzte mich schnell.

Ich war jetzt zu neugierig. Tora setzte sich neben mich und streckte sich. Sein Arm legte sich auf die Lehne und ich musste lächeln. Das war so ein Klischee, aber ich spielte mit und lehnte mich ebenfalls an. Tora legte den Arm dann ganz um mich. Es fühlte sich einfach zu gut an.
 

„Ich wohne hier alleine, meine Eltern sind vor einigen Jahren in eine andere Stadt gezogen aber ich wollte hier bleiben. Da habe ich diese kleine Wohnung geschenkt bekommen. Gefällt es dir?“

es war unübersehbar, dass er immer näher rückte. Ich nickte und ließ es geschehen.

„Bist du dann nicht manchmal einsam?“, flüsterte ich leise und es dauerte nicht lange, bis er mir so nah war, das ich meinen Kopf auf seine Brust hätte legen können. Aber widerstand dem Drang. Ich spürte seinen Atem an meiner Stirn und begann zu zittern. Er durfte nicht näher können, er durfte einfach nicht!

„Ja Jui.“, hauchte er mir ins Ohr und ich erschauderte. Tora sah mich an, das bemerkte ich.

Dann stand er plötzlich auf.

„Wir sollten anfangen, du hast doch sicher viele Fragen, oder?“

„J-Ja, … natürlich!“, stotterte ich verwirrt zusammen und erhob mich. Er musste mir jetzt einiges beibringen.

3. Kapitel

„Alles Gute zum Geburtstag Tora!“, riefen wir alle im Chor. Saga, Shou und Hiroto waren eifrig dabei ihre Zigaretten-Schulden zurückzugeben, Nao war Nichtraucher und ich? Ich wusste von dieser Tradition noch nichts und stand dementsprechend dumm da.

Tora aber machte das nichts aus. Er wuschelte mir durchs Haar und meinte nur grinsend: „Für nächstes Jahr weißt dus ja dann auch!“

Wenn er nur wüsste das ich gar nicht plante ihn dann noch zu kennen. Anstatt etwas zu erwidern gab ich ihm nur meine angefangene Zigarette und schwieg. Es war also wieder Mittwoch.

Kurze Zeit später klingelte es und ich wollte zusammen mit Saga meinen Weg zur nächsten Stunde antreten, aber Tora hielt mich zurück.

„Kommst du heute noch mit zu mir?“, fragte er deutlich unsicherer klingend. Ich zog es vor ihn anzugrinsen. Genau das hatte ich mir doch gedacht!

„Na klar!“ Man konnte wirklich dabei zusehen wie sich Toras Miene wieder erhellte und ich freute mich, dass ich ihn so gut durchschaut hatte.
 

Nach der Schule wartete Tora schon ungeduldig auf mich. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber er verlagerte sein Gewicht immer wieder von einem auf das andere Bein und schwankte mit seinem langen Oberkörper dabei immer wieder hin und her. Irgendwie süß. Ich schüttelte den Kopf um den Gedanken zu vertreiben und ging lieber auf ihn zu. Er war nicht süß. Genau genommen war er nicht einmal gut aussehend und Manieren hatte er auch nur einige. Aber definitiv zu wenige.

Seine Nase gefiel mir nicht. Und seine Frisur musste er auch noch mal überdenken. Diese einfachen langen schwarzen Haare waren einfach zu eintönig und simpel.

Kurze Zeit später waren wir auch schon angekommen.

Tora hielt mir die Tür auf und half mir aus der Jacke. Da versuchte ja jemand höflich zu sein!

Wieder setzte ich mich auf die Couch und bat ihn, sich daneben zu setzen.

„Ich hab noch ein Geschenk für dich!“, sagte ich gutgelaunt, war aber auch etwas unsicher. Hoffentlich würde ihm das Geschenk gefallen.

Das Überraschungsmoment hatte ich auf jeden Fall auf meiner Seite. Toras Augen waren ganz groß, aber er schien sich auf jeden froh zu sein. Also holte ich eine kleine Geschenktüte und überreichte sie Tora. Der war immer noch verwundert, packte dann aber aus.

Es war ein kleiner, niedlicher Plüschtiger. Tora war zwar weder Plüsch, noch klein, noch niedlich, aber ein Tiger, das war er.

„Wow…“ Er war ganz offensichtlich sprachlos. „Damit hätte ich echt nicht gerechnet, Danke Jui!“

Obwohl das Geschenk nur klein war, freute er sich riesig und umarmte mich fest.
 

Er schien mich gar nicht mehr loslassen zu wollen, aber als ich mich mal wieder zu wohl fühlte, löste ich die Umarmung wieder. Das durfte ich mir nicht leisten.

„Ich weiß du hast Geburtstag, aber können wir trotzdem die Hausaufgaben von heute zusammen machen?“, fragte ich vorsichtig nach, um wieder etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Tora seufzte und ging dann zu seiner Tasche, um seinen Block und das Buch zu holen.

„Gomen…“, sagte ich noch einmal leise aber Tora schüttelte nur seinen Kopf.

„Dafür musst du nachher einen Film mit mir gucken. Damit machst du das wieder gut.“

Das hörte sich einfach an, also stimmte ich zu. Wäre sicher auch mal wieder schön in Ruhe einen Film gucken zu können. Momentan hatte ich ja nicht einmal einen Fernseher. Da fiel so was flach.
 

Die Hausaufgaben gingen uns leicht von der Hand und es dauerte nicht lange bis wir fertig waren. Tora rieb sich grinsend die Hände. „Jetzt bist du dran!“, sprach er und gab sich Mühe, einen bösen Unterton zu halten. Irgendwie schaffte er es sogar mir etwas Angst zu machen.

„Was hast du vor?“, fragte ich skeptisch und versuchte dabei desinteressiert zu wirken. Tora aber zog es vor nicht zu antworten und zog stattdessen lieber die Jalousien zu. Was zum Teufel hatte er vor?

„Setz dich.“, bekam ich nun gesagt und auch wenn ich noch immer nicht wusste was das alles werden sollte, setzte ich mich auf sein Schlafsofa. Er durfte einfach nichts Schlechtes im Schilde führen, so einfach war das.
 

Er legte in der Zeit eine DVD ein und setzte sich zu mir. Ziemlich dicht. Aber als ich den Titel des Films sah war mir klar warum Tora mir so nah war. Es war ein Horrorfilm und schon als ich die erste verheißungsvolle Musik hörte, quiekte ich auf und kuschelte mich von selbst an Tora. Der musste auch noch lachen.

„Hey! Das ist immerhin deine Schuld!“, meinte ich beleidigt und piekte ihn in die Seite. „Ich weiß. War auch volle Absicht!“, war seine Antwort.

Ich war empört über seine Antwort, allerdings vergas ich das schnell, als ich noch einen Blick auf den Fernseher warf.

So viel Blut!

Erschrocken verbarg ich meinen Kopf an Toras Schulter. Wie konnte man so etwas nur in einem Film zeigen? Als ich dann noch einen Schrei hörte, begann ich zu zittern. Seine Arme schlossen sich um meinen Körper und drückten mich an ihn. Er hatte immer noch die Frechheit zu lachen.

„Du bist gemein!“, nuschelte ich gegen sein Oberteil und drückte mich an ihn. Ich wollte diese Bilder nicht weiter diesen Film sehen. „Du bist einfach zu süß wenn du Angst hast…“

Ich musste ihn nicht einmal ansehen um zu wissen, dass er grinste. Das hörte man auch so.

„Ach und du bist süß wenn du lächelst!“ Rache musste ja schließlich sein. Tora versuchte als Antwort darauf bedrohlich zu knurren, brachte mich aber nur zum Lachen.

„Knurr nicht so, Tigerchen, oder hast du Hunger?“, fragte ich belustigt.

„Natürlich hab ich Hunger! Hunger auf dich!“

Mit diesen Worten stürzte er sich auf mich, schnappte erst nach meinem Ohr und versuchte mich dann zu kitzeln. Es dauerte nicht lange bis er über mir war und da er nach meinen Händen auch immer wieder schnappte konnte ich mich kaum wehren. Ich lag flach auf der Couch und versuchte mich gerade auf die Seite zu drehen um ihn weniger Angriffsfläche zu bieten. Irgendwie schaffte ich es dabei auch vom Sofa zu fallen und mit einem dumpfen Knall auf dem Laminatfußboden landete.

„Aua!“, jammerte ich und sah das Tora sich neben mich legte.

„Wo hast du dir denn wehgetan?“, fragte er ganz neutral und ich antwortete, ohne vorher nachzudenken: „Na der Hintern! Auf dem bin ich schließlich gelandet!“ Ich klang vorwurfsvoll und sah ihn schmollend an.
 

„Soll ich es wieder gutmachen?“ Tora war mir auf einmal ganz nah und seine Hand glitt über meine Seite herunter bis zu meinem Po. Sie war angenehm warm und groß. Erschrocken hielt ich seine Hand fest und schob sie wieder weg. Schnell war ich aufgestanden und hatte mich wieder auf die Couch gesetzt. Ich hätte ihm etwas sagen sollen, hätte erklären sollen warum er die Finger von mir lassen sollte, aber ich tat es nicht. Ich sah ihn einfach nur mit großen Augen an und brachte kein Wort heraus.

Es wäre auch unmöglich gewesen ihm zu sagen, dass er aufhören sollte, weil es eigentlich schön war. Und eigentlich hatte ich mir sogar gewünscht, dass er weitermachte, so plump dieser Annäherungsversuch auch gewesen war. Es war fast schon so, als könnte ich seinen heißen Atem noch immer auf meiner Haut spüren, die große Hand, die sich meinen Körper hinab bewegte…
 

Nein Jui! So etwas darfst du nicht einmal denken! Ermahnte ich mich selbst.

Irgendwie fehlten auch Tora die Worte. Er setzte sich nämlich nur neben mich und sah in den Fernseher. Dummerweise folgte ich seinem Blick und was ich da sah, war alles andere als appetitlich.

Ein junges Mädchen, auf der Flucht vor dem Mörder, stürzte und brach sich mit einem lautem ‚Knack’ das Bein. Ich fiepte erneut, griff nach Toras Hand und presste die Augen zusammen.

Dieser lachte erneut und schloss dann beide Arme um mich und drückte mich an sich. Das half mir.
 

Es war ein grausamer Film, aber ich bemerkte nicht mehr viel von ihm.

4. Kapitel

Weil Saga sich erkältet hatte, kam ich an diesem Tag alleine vom Unterricht. Ein Wunder das ich mich nicht verlief, immerhin war ich jetzt erst die dritte Woche hier. Vielleicht war mein Misstrauen meines Orientierungssinnes gegenüber, der Grund warum ich so langsam ging.

Dafür, dass ich anhielt und mich hinter der Mauer versteckte, als ich Toras Stimme hörte, gab es keine Erklärung.

„Ich weiß nicht Hiroto. Es lief ja alles gut und er ist auch so auf den Film angesprungen wie du es gesagt hast, aber als ich ihn versucht hab ihn zu befummeln hat er gleich abgebrochen, aber solange ich einigermaßen anständig geblieben bin hat er alles mit sich machen lassen. Wie soll ich das bitte deuten?“

Toras Stimme klang verzweifelt, das war das erste was mir auffiel. Bis ich den Sinn seiner Worte verstand. Er wollte mich. Und so verzweifelt wie er klang sicherlich nicht nur um einmal mit mir in die Kiste zu hüpfen.

Das war nicht gut, gar nicht gut. Mir wurde automatisch schlecht und ich lehnte mich an die Wand. Ich musste hier weg, mir war schlecht.

Nur am Rande hörte ich noch das Hiroto ihm gut zuredete, das er auf dem richtigem Weg war und das er nur etwas mehr Geduld mit mir haben müsse.

„Vielleicht hat er gerade erst eine Beziehung hinter sich, so was muss man erstmal verdauen.“, mutmaßte Hiroto noch. Wenn er wüsste wie Recht er damit hatte. Und wie weit seine Vermutung doch von der Realität entfernt war.
 

Ich schaffte es nur bis in den Flur, dort rannte ich in Nao hinein. Der hielt mich fest und musterte mich erschrocken.

„Geht es dir nicht gut? Du bist so blass?“, fragte er besorgt nach. Das war vielleicht die beste Erklärung für meine ungesunde Hautfarbe. Ich nickte. „Mir ist schlecht…“, fügte ich leise hinzu und ließ mich gegen ihn sinken. Ich fühlte mich gerade einfach zu schwach.

„Soll ich dich in das Krankenzimmer schaffen oder möchtest du erst einmal etwas frische Luft schnappen?“ Er stützte mich mit beiden Händen, auch wenn er kleiner war als ich. Es fühlte sich alles so merkwürdig an und obwohl er der letzte war den ich jetzt sehen wollte, ich wünschte mir fast das Tora jetzt bei mir wäre.
 

„Vielleicht etwas frische Luft…“ Meine Stimme blieb leise. In Gedanken war ich bei Tora. Fiel ich jetzt wirklich wieder auf einen Kerl herein?

Nao führte mich zu einer Bank, direkt vor dem Eingang. Dort setzten wir uns und ich ließ den Kopf in den Nacken sinken. Mir war inzwischen wirklich schlecht. Aus Angst. Ich wollte einfach nicht alles noch einmal durchmachen.

„Wenns dir schlechter geht, sag mir bescheid, ja?“, fragte Nao noch einmal nach und ich nickte nur noch.

Bald klingelte es und wir müssten wieder in den Unterricht. Nao aber sagte nichts und blieb bei mir sitzen. Bald schon kamen Tora und Hiroto an der Bank vorbei. Anscheinend hatten sie sich fertig darüber ausgelassen wie Tora mich bekommen konnte. Aber ich wollte ihm nicht gehören – ich wollte nie wieder jemanden gehören. Tora ging sofort vor mir auf die Knie und sah mich eindringlich an. „Jui was hast du? Du bist ja ganz Weiß!“ Nao klärte ihn auf.

„Du kannst doch nicht einfach hier Rumsitzen! Komm ich trag dich ins Krankenzimmer!“ Und da hob er mich schon hoch. Erschrocken krallte ich mich an seinem Hals fest.

„Bitte lass mich runter ich hab Angst!“, sprudelte es nur so aus mir und auch wenn es vielleicht lächerlich klang: die Höhenangst sprach aus mir.
 

Tora aber zog es vor nicht auf mich zu hören und mich fester an sich zu drücken. „Keine Sorge, ich lass dich nicht fallen.“, war alles was ich noch zu hören bekam und so richtig konnte ich dem nicht trauen. Immerhin war ich schwerer, als ich aussah und vielleicht verhob er sich ja. Gerade trug er mich die Treppen herauf, sein Atem wurde dadurch etwas schneller. Auf solche Kleinigkeiten achtete ich, um nicht zu sehr zu bemerken, wie schön es eigentlich war.

Das seine langen Arme meinen Körper umschlangen und das Gefühl eigentlich völlig hilflos zu sein und ihm ausgeliefert, das ich in diesem Moment nur ihm gehörte…
 

Stopp, Stopp, Stopp! Diese ach so tollen Gefühle hatten mir schon eine Menge Ärger und Leid eingehandelt und ich hatte mir geschworen sie nicht wieder zuzulassen! Auch nicht für Tora, wer wusste schon wie er war, wenn er die nette Maske erst einmal absetzte und sein wahres Gesicht zeigte?

Er legte mich auf eine Pritsche und ließ mich los, mir wurde auf einmal ganz kalt und ich öffnete vorsichtig die Augen, um zu sehen wo er denn hin war. Er suchte die Schwester, so viel war mir auch klar, aber mir fehlte nach so einem intimen Moment ganz einfach seine Nähe, die mir eigentlich nicht fehlen durfte.
 

Die Schwester fühlte als erstes meinen Puls und fragte dann einige Dinge, die ich so beantwortete, dass es meinem Krankheitsbild entsprach. Inzwischen fühlte ich mich sogar wirklich so. Mein Herzschlag hatte sich verlangsamt, ich fühlte mich schwach und schwindelig war mir sowieso. Vor meinen Augen flimmerten weiße Blitze. Mein Körper reagierte schon immer sehr heftig auf meine Gefühle und so sehr ich diese Eigenschaft manchmal verdammte, gerade jetzt war es gut. So musste ich immerhin nicht so tun als wäre alles in Ordnung.

„Willst du es erst einmal mit Tabletten versuchen? Die Lösung wirkt zwar schneller, aber dann musst du an den Tropf.“ Ich entschied mich für die Tabletten, von Intravenösen hatte ich genug seit meinem letzten Krankenhausaufenthalt. Nachdem ich die genommen hatte versuchte die Schwester die anderen herauszuscheuchen, aber Tora ließ sich nicht so einfach verscheuchen. Da musste ich mir also wieder etwas ausdenken.
 

Er hatte sich neben mir auf einem Stuhl niedergelassen und strich mir gedankenverloren über die Schulter, was mein Herz dazu brachte wieder schneller zu schlagen.

„Ich lass dich doch nicht alleine, nicht nachdem du mir fast abgeklappt bist und das vor meinen Augen!“, erklärte er sich. Eine Weile überlegte ich, bis mir etwas einfiel.

„Bitte Tora. Wir haben jetzt Mathe und wenn du den Stoff verpasst kannst du ihn mir nicht erklären und dann fehlt uns was. Bitte geh in den Unterricht. Ich bleib auch hier liegen bis zur Pause. Du verpasst hier auch nichts ich wird nur ein bisschen Schlafen damit die Tabletten besser wirken…“

Irgendwie hatte ich es sogar geschafft ihn während meiner Ausrede anzusehen. Eigentlich war es ja auch keine, es war vielmehr rational gedacht, wie so oft.
 

Er seufzte und erhob sich. „Du hast ja Recht, ich will nicht, dass du bei der nächsten Kontrolle eine schlechte Note bekommst. Aber du rührst dich nicht und sobald die Stunde zu Ende ist bin ich wieder bei dir!“ Seine Stimme war so fest und überzeugt, dass ich nicht wagte zu widersprechen. Was sollte ich auch tun? Aus dem Bett hüpfen und fliehen sobald er weg war? Nein, das machte mein Körper gerade nicht einmal mehr mit.

Er strich mir noch einmal durch die Haare und berührte meine Stirn dabei. Das war eine so schöne Geste, dass ich unweigerlich lächeln musste, auch wenn ich ihm damit falsche Hoffnungen machte. Mehr als Freundschaft konnte zwischen uns nicht sein, durfte zwischen uns nicht sein.
 

Nachdem Tora weg war schob die Frau mein Bett in ein kleines Zimmer, damit ich meine Ruhe hatte während sie arbeitete. Schlafen konnte ich trotzdem nicht, denn ich musste mir eine Strategie ausdenken. Ich konnte Tora entweder das Herz brechen, so wie man es in so einer Situation nun einmal tat, oder ich musste ihn dazu bringen sich mich aus den Kopf zu schlagen, ein weit weniger gut erforschtes Gebiet. Das Herz konnte ich ihm nicht brechen, zum einen da ich ihm das nicht antun wollte und zum anderen weil es auch für mich einiges an Arbeit bedeutet hätte.

Aber was konnte ich tun damit er seine Gefühle für mich wieder vergas? Vielleicht sollte ich mit ihm weggehen und hoffen, dass er eine andere oder einen anderen findet. Das wäre langwierig.

Eine andere, abwegige Idee formte sich in meinen Kopf: und was wenn ich ihm die Wahrheit erzählen würde? Wenn er von meinen Ex-Freunden wissen würde, würde er mich dann noch wollen? Bestimmt nicht. Dann würde er sich einen anderen Jungen suchen, einen der unschuldiger war als ich. Im ersten Moment hielt ich diese Idee noch für lächerlich. Dann aber, mit der Zeit, erschien sie mir immer sinnvoller …
 

Ich hatte keine Sekunde geschlafen, als die Tür wieder geöffnet wurde und Tora den kleinen Raum betrat.

„Jui? Geht es dir besser?“ Er stürmte sofort auf mich zu, beugte sich über mich und strich mir durchs Haar. Ich erschauderte und schloss automatisch die Augen. Warum musste sich das auch so gut anfühlen?

„Mir ist nicht mehr schwindelig…“, gab ich leise von mir. Tora setzte sich.

„Also ich hab gerade mit der Schwester gesprochen, du bist für den letzten Block auch noch freigestellt und sie würden deine Eltern anrufen um dich abzuholen wenn das geht. Arbeiten deine Eltern?“ Was für eine Frage!

„Ja alle beide. Und ich möchte sie eigentlich nicht damit belasten.“ Gut, das war mal wieder grenzenlos egoistisch von mir. Ich wusste, dass er mich nicht alleine lassen würde und ich wollte seine Nähe noch etwas auskosten.

„Kein Problem, dann kommst du zu mir, ich hab jetzt nämlich Schluss. Meinst du, du kannst gehen? Wenn nicht würde ich uns ein Taxi kommen lassen.“ Er redete schnell, weil er sich so sehr freute, dass ich mit ihm kommen würde.

„Schon gut, wir müssen ja nicht gleich rennen.“, beruhigte ich ihn und ließ mir von ihm aus dem Bett helfen. Das hätte er zwar nicht gemusst, aber er tat es ungefragt und außerdem berührte er mich. Unglaublich das ich dass hier aufgeben musste. Und ich dachte schon wieder: er ist bestimmt anders, was soll dann an ihm schlimm sein, er ist doch ganz normal. Es waren immer dieselben Gedanken die in mir tobten und versuchten mich umzustimmen. Aber ich musste das hier durchziehen. Ich durfte Tora nicht haben, nicht um meiner selbst Willen und schon gar nicht seinetwillen.
 

Aber ich wollte ihn ja doch … eigentlich. Wie immer… dasselbe Spiel.

5. Kapitel

In Toras Wohnung angekommen setzte er mich erst einmal auf einen Stuhl.

„Ich klapp nur schnell die Couch aus!“, erklärte er hastig und machte sic daran, besagtes zu tun und sein Bettzeug herauszukramen. Unglaublich das ich in seinem Bett, in seiner Bettbezug liegen würde. Das kam mir in diesem Moment einfach so intim vor.

Ich zog meine Schuhe und meine Jacke aus, wobei ich letztere auf den Tisch legte. Ich wollte und konnte mich einfach nicht mehr viel bewegen, dafür fühlte ich mich einfach zu schwach. Geistig zu schwach.

Als ich bemerkte das Tora fertig wurde, erhob ich mich und setzte mich auf die nun ausgezogene Couch. Tora drückte meinen Oberkörper gleich nach unten, sodass ich zum liegen kam, ehe ich widersprechen konnte. Sofort bemerkte ich wie weich und angenehm die Liegefläche doch war. Zuhause hatte ich bis jetzt nur eine Matratze auf dem Boden, unsere Möbel waren ja alle verbrannt.

„Kann ich dir irgendetwas bringen? Hast du Durst oder Hunger?“, fragte Tora besorgt nach, während er in der offenen Küche herumwuselte.

„Nein, ich brauche nichts.“, antwortete ich ihm, während ich die Decke etwas höher zog. Mir war kalt. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich wie Tora wiederkam und lächelte, denn immerhin hatte ich die Decke mal wieder bis zur Nasenspitze gezogen.
 

„Macht es dir was aus wenn ich mich zu dir lege? Dann ist dir bestimmt nicht mehr kalt.“ Eigentlich blieb mir bei diesen Worten das Herz stehen und etwas in mir schrie immer wieder Nein, Nein, Nein – aber über meine Lippen drang ein ganz anderes Wort: Ja. Ich wollte das er sich zu mir legte, ich wollte wieder in seinen Armen liegen, wieder den Schutz und die Wärme fühlen. Auch wenn ich mich in Gefahr begab.
 

Tora krabbelte mit auf die Liegefläche, lüftete meine Decke um mit darunter zu kommen und umschlang meinen Körper mit seinen langen Armen. Kurz hielt ich den Atem an, konnte all diese schönen Gefühle, die in diesem Moment auf mich einströmten, gar nicht alle auf einmal verarbeiten und so verkroch ich mich nur noch mehr an seiner Brust und schloss die Augen. Er war so warm, so voller Leben – im Gegensatz zu meinen Erinnerungen, die immer weiter in die Ferne zu rücken schienen und all meine Vorsicht bedeutungslos machen wollten.

Ich schlief sogar ein, in seinen Armen.
 

Als ich wieder erwachte war mir Toras Gesicht ganz nah. Panisch weitete ich die Augen. Denn so sehr ich mir diesen Kuss auch wünschte, so sehr fürchtete ich mich auch davor. Ich wandte mein Gesicht ab, verbarg es im Kissen.

„Nicht…“, nuschelte ich leise hinein. Er verstand es. Seine Arme lösten sich, seine Wärme verschwand mit ihnen. Aber das wollte ich doch auch eigentlich nicht! Es quälte mich diese Kälte zu spüren und es dauerte nicht lange, ehe mir wieder Tränen in die Augen schossen. Ich weinte einfach zu oft. Warum konnte das alles nicht das Leben eines anderen sein? Dann könnte ich mich einfach so von ihm küssen lassen, vielleicht sogar mit ihm schlafen, aber so? So scheiterte es schon im Ansatz.
 

„Jui? Bitte sag mir, was hast du?“ Seine Stimme klang verunsichert. Allerdings nicht nur ein bisschen. So wie eben hatte ich sie noch nie gehört. Vorsichtig und sicherlich auch etwas umständlich richtete ich mich auf, behielt ein Kissen aber in der Hand.

„Tora, du kannst mich nicht haben. Bitte lass es.“, versuchte ich möglichst fest zu sagen. Ich hatte nicht vorgehabt es ihm so direkt zu sagen, aber jetzt war es raus.

Damit hätte er nicht gerechnet. Verwirrt sah er mich an und sein Blick war so fragend, dass er gar nichts mehr sagen musste.

Aber was sollte ich schon sagen.

„Das mit uns. Das wird nichts. Bitte akzeptier das einfach. Wir können Freunde sein, aber nicht mehr.“

Tora brauchte eine Weile um mich zu verstehen und er tat es wahrscheinlich nicht einmal ganz. Ich senkte den Kopf um ihn nicht ansehen zu müssen. So bemerkte ich auch nicht wie er sich neben mich setzte und schon wieder einen Arm um mich legte. Wenn er das doch lassen könnte! So machte er es uns doch nur unnötig schwer.

„Bitte erklär mir warum. Warum möchtest du es nicht? Bitte entschuldige mich das ich es so direkt sage, aber eigentlich bist du doch gar nicht abgeneigt…“
 

Wie konnte er nur so etwas sagen? Entgeistert sah ich ihn an, versuchte in seinem Blick etwas zu finden, etwas was ich deuten konnte, etwas was mir vielleicht seine Motive verraten könnte.

„Es ist egal was ich dir erkläre, ich bleibe dabei das ich mit dir nichts anfangen werde…“, stellte ich fest und sah ihn durchdringend an. Nicht das er sich noch Hoffnung machte.

Ich verbarg das Gesicht in den Händen, jetzt hatte ich auch noch zugestimmt es ihm zu erzählen. Ich wollte das eigentlich nicht. Jetzt musste ich Glück haben das er danach von mir abließ.
 

„Mein erster Freund war toll. Zumindest bis ich mit ihm geschlafen habe. Es war mein erstes Mal. Es war nicht schön und er war danach weg. Hat sich nicht mehr gemeldet. Als ich ihn dann doch noch einmal gesprochen hab, hat er gemeint er braucht sich das mit mir nicht mehr anzutun…“ Ich hielt inne und senkte den Blick: Schon allein diese Erinnerungen wären genug gewesen um mich wieder zum weinen zu bringen. Er war der erste gewesen, der mich so benutzt hatte.

„Zum zweiten muss ich nicht viel mehr sagen, er war genauso und der dritte…“ Wieder fehlten mir die Worte.

„Weißt du, es war kein Zufall, dass unser Haus gebrannt hat…“

Es fiel mir immer schwerer, die Fassung zu wahren und das Sprechen selbst war auch immer schwieriger. Aber es musste jetzt raus.

„Anfang dieses Jahres kam er neu auf unsere Schule. Wir haben ihn zuerst gemieden, meine Freunde meinten auch ich solle aufpassen, sie hatten ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Aber ich hab nicht auf sie gehört. Er hat mir einen kleinen Brief zugesteckt und den fand ich damals sogar noch süß. Wir haben uns getroffen und waren auch schnell zusammen. Kurze Zeit später hab ich angefangen mich beobachtet zu fühlen. Er war einfach immer da, wenn ich mal die Bahn verpasste tauchte er plötzlich auf und unterhielt mich, bis die nächste kam, wenn es regnete, kam er aus dem Nichts und bot mir einen Platz unter seinem Schirm an. Das fand ich toll, bis ich herausfand woran das lag. Tora, er hat mich die ganze Zeit verfolgt, er hat sogar die Nächte im Busch im Hinterhof verbracht, er hatte dort einen Schlafsack, Taschenlampe und zusätzliche Decken! Er hat meine Freunde bedroht, wollte sie dazu bringen den Kontakt zu mir abzubrechen und das sagten sie mir auf. Ich hab es aber erst geglaubt, als er einen von ihnen mit einem Messer verletzte, das ich dann bei ihm gefunden hab. Ich hatte natürlich Angst und hab Schluss gemacht.“ Aber da war das Grauen noch nicht zu Ende.

Ich weinte inzwischen, konnte meine eigenen Erzählungen einfach nicht mehr ertragen. Warum gab es nur so viel Böses in der Welt? Tora hielt mich fest und ich kam nicht umhin es zu genießen. Nur durfte ich dem nicht nachgeben.
 

„Er hat das Haus angezündet, das weiß ich. An dem Tag hat er mir eine SMS geschickt, dass er mich umbringen will. Ich hatte so eine Angst, dass ich sie sofort gelöscht hab-“

„Hast du ihn nicht angezeigt? Bitte sag mir nicht das dieses Schwein noch immer frei rumläuft!“, unterbrach er mich. Sein Griff war nur noch fester geworden und seine Hände zitterten leicht vor Aufregung. Ich spürte diese kleinen Dinge ganz intensiv, nahm sie wahr und prägte sie mir ein.

„Wie sollte ich denn? Wenn ich das gestanden hätte, hätten alle gewusst, dass ich schwul bin. Meine Familie, die Polizei, die Nachbarschaft. Und wenn sie ihn nicht gefasst hätten, dann hätte er sein Werk vollendet. Weißt du es gab nämlich einen Toten. Einen alten Mann, der fast nie das Haus verließ. An die Presse wurde aber nur die Mitteilung gegeben das jemand gestorben ist. Ich glaube, dass er glaubt, dass ich derjenige bin. Er hat mir nie wieder aufgelauert.“
 

Kurz gab ich allen Widerstand auf und ließ mich einfach kraftlos gegen ihn sinken.

Aber nur für einen Moment. Dann löste ich mich, wischte mir die Tränen aus den Augen und erhob mich.

„Verstehst du jetzt warum ich keine neue Beziehung will? Ich hab einfach nicht die Kraft dazu.“, gab ich mit gesenkten Kopf zu. Ich schämte mich meiner Schwäche.

„Aber, ich bin nicht so wie die!“ Tora war empört und verzweifelt, das hörte man überdeutlich. Doch ich konnte mit solchen Worten schon lange nichts mehr anfangen.
 

„Warum sollte ich ausgerechnet dir das glauben?“, war alles was ich darauf noch erwiderte. Eigentlich war es eine Flucht. Ich wollte seine Reaktion nicht sehen, wollte nicht, dass er anfing zu diskutieren das ich falsch lag und ich wollte vor allem nicht riskieren, dass ich nachgab.

6. Kapitel

Am nächsten Morgen wäre ich am liebsten gar nicht erst aufgestanden. Heute in die Schule zu gehen bedeutete nur Tora wieder zu sehen und das Glück, dass die anderen immer um uns wären sodass er mich nicht auf gestern ansprechen konnte, hatte ich sicherlich nicht.

Aber einfach zuhause bleiben konnte ich nicht.

Also erhob ich mich und machte mich fertig. Vielleicht würde Tora mich auch gar nicht darauf ansprechen. Zumindest hoffen konnte ich das ja.

Ich kam spät in der Schule an und war auch der letzte, der den Klassenraum betrat. Tora hatte sich bereits über ein Buch gebeugt und las darin. Als ich an seinem Tisch vorbeiging, hob er den Kopf und sah mich mit einem durchdringenden Blick an.
 

Selbst das Stundenklingeln konnte ihn nicht dazu bewegen den Blick von mir zu nehmen, erst als der Lehrer ihn ermahnte, drehte er sich um und beachtete mich den Rest der Stunde nicht.

Jedoch machte ich zum Ende der Stunde einen Fehler. Ich verließ als erstes den Raum und stellte mich auf den Raucherhof. Inzwischen hatte ich wieder eigene Zigaretten, weshalb ich mir auch gerade eine anzünden wollte, als ich an der Schulter herumgerissen wurde und mich kurze Zeit später gegen die Wand gedrückt wieder fand. Tora stand vor mir, erschreckend dicht.

Mein Herz schlug mit einem Mal schneller und ich sah ängstlich zu ihm hinauf. Wieder ruhte sein durchdringender Blick auf mir. Wir waren ganz alleine und mein Herz pochte immer wilder in meinem Brustkorb, bis seine Hände von meinen Schultern auf meinen Rücken strichen und er mich statt an die Wand an sich drückte. Auch sein Herz schlug schnell, das spürte ich trotz der Kleidung, die wir beide trugen.
 

„Ich verstehe, dass du eine schwere Zeit hattest… aber ich lass dich nicht alleine und ich werde dir auch nicht wehtun.“, sprach er zittrig und drückte mich noch fester an sich. Ich versuchte ihn wegzudrücken, wollte schon protestieren, aber da spürte ich schon seinen Atem an meinem Ohr und erschauderte.

„Du musst mir das nicht glauben. Das verlange ich gar nicht von dir. Nicht nachdem, was du mir erzählt hast. Aber du wirst es schon sehen. Ich werde Recht behalte.“

Dann ließ er mich los und ich bemerkte erst jetzt, dass ich zitterte. Tora sah mich noch einmal an, diesmal eindeutig besorgt.

Ich musste meine Zigarette fallen gelassen haben, als Tora mich angefasst hatte. Er hob sie auf, zündete sie an und gab sie dann mir.

„Du musst keine Angst haben. Bitte glaub mir das irgendwann.“, sagte er leise und beobachtete wie er in seiner Tasche kramte und bald darauf ein Buch heraus zog.

Es war sein Hausaufgabenheft das er in den Händen hielt, seine Finger fuhren über einen Text, den er las.

„Hmm, da musst du wohl heute wieder mit zu mir kommen. Wir haben eine Menge Aufgaben, die du noch nicht erledigt hast.“, sagte er, fast schon etwas triumphierend.
 

Ich seufzte resigniert und hob meinen Kopf erneut. Er hatte mich mal wieder am Haken. Ich musste diese Aufgaben mit ihm erledigen.

Statt aber zu antworten, nickte ich nur stumm und rauchte weiter. Er grinste wieder einmal.
 

Nach der Schule hatte sich Tora daran versucht, uns beiden essen zu kochen, was erstaunlicherweise sogar gelangt. Er grinste breit als er mir den Teller mit Reis und Gemüse servierte.

Beim Essen saß er mir genau gegenüber, was mir sehr angenehm war. Beim Essen alberten wir herum und Tora schaffte es mehr als nur einmal mich heftig zum Lachen zu bringen.
 

Danach musste er mir wieder einmal Mathe beibringen. Dazu rutschte er mit seinem Stuhl zu mir herum und schien mir immer näher zu kommen, während er dieses oder jenes erklärte.

Es fiel mir zunehmend schwerer, seinen Erklärungen zu folgen und mein Herz pochte wieder schneller, einfach weil es mir unangenehm war. Unauffällig, rutschte ich auf meinem Stuhl immer weiter zur Seite und saß irgendwann nur noch auf der Kante.
 

Als Tora das bemerkte, musste er lachen und legte den Arm um mich. Erschrocken zuckte ich zusammen und versuchte ihn von mir zu schieben. Jedoch gelang es mir nicht.

„Bitte lass mich los!“, flehte ich, doch Tora lachte nur. Es war allerdings wirklich kein böses Lachen.

„Was ist denn schlimm daran wenn ich dich in den Arm nehme? Du hast es dir verdient und wenn du so lächelst wie eben, wie soll ich da die Finger von dir lassen?“, säuselte er in mein Ohr.

Der Druck auf meine Schulter nahm erneut zu, doch diesmal gab ich dem nach. Erneut seufzte ich, ehe ich meinen Kopf an seinen Hals legte.

Sein Körper war warm und weich. Lange saßen wir einfach nur da und ich konnte jede Regung seines Körper spüren.
 

Zuerst schlug sein Herz schnell und sein Atem ging nicht viel langsamer. Aber bald beruhigte er sich. Sein Herzschlag verlor an Intensität und wurde zunehmend leiser. Bald schon spürte ich, wie seine Wange sich an meinen Kopf lehnte und ich erlaubte mir die Augen zu schließen.

Als ich seufzte, begann er über meinen Schulter und bald schon meinen Arm zu streichen.

Aber ich durfte das doch nicht!
 

„Bitte Tora, so schön das auch ist. Es ist jetzt nicht richtig.“

Das ich es schaffte, ihm dabei in die Augen zu sehen, schien ihn zu verwirren – oder vielleicht fühlte er auch etwas anderes, das konnte ich anhand seines Blickes nicht ganz deuten. Er ließ von mir ab und seufzte erneut.

„Du tust dir nur selber weh, Jui... und zwar nicht nur dir...“, hauchte er leise und erhob sich um kurz im Bad zu verschwinden.

Aber diese Zeit reichte mir um meine Sachen zu packen und eine kleine Notiz auf seinen Hefter zu schreiben:

'Es tut mir leid aber ich kann einfach nicht anders.'
 

Dann machte ich mich daran, möglichst schnell zu verschwinden.

7. Kapitel

Tief atmete ich die frische Sommerluft ein. Unsere Prüfungen waren beendet, die letzte lag gerade hinter uns.

Tora legte einen Arm um meine Schulter.

„Na, hättest du dir vor einem halben Jahr vorstellen können heute hier zu stehen?“, fragte er grinsend.

Wieder atmete ich tief durch und schloss die Augen, während ich mich an ihn lehnte.

Das gefiel ihm, denn ich spürte seine Lippen, die er auf meinen Scheitel setzte. In den letzten Monaten hatte er das sehr oft getan.
 

Nachdem ich an jenem Nachmittag so einfach verschwunden war, dachte ich erst Tora hätte verstanden und würde mich ab sofort in Ruhe lassen.

Da hatte ich mich sozusagen zu früh gefreut. Eine Weile, vielleicht zwei Wochen, war es ruhig geblieben zwischen uns. Wir verbrachten immer noch die Pausen zusammen und er traute sich sogar wieder, mich ganz normal anzusprechen.

Ich habe diese Zeit genossen. Es wurde langsam wieder zur Routine, dass ich nach der Schule immer mit zu ihm ging und wir zusammen Hausaufgaben machten. Inzwischen hatte ich sogar seine schulischen Schwachstellen entdeckt. Japanisch fiel ihm ganz besonders schwer und so half ich ihm immer öfter.
 

An einem Nachmittag saß ich über einem seiner Aufsätze und verbesserte den Ausdruck. Lange konnte ich mich jedoch nicht darauf konzentrieren, denn ich spürte Toras Blick auf mir. Als ich den Kopf anhob bemerkte ich, dass er mich ansah. Seine Augen waren ungewöhnlich groß und sein Blick ruhte auf meinem Gesicht. Gerade wollte ich dazu ansetzen, etwas zu sagen, da erhob er seine Hand und strich über meine Wange. Am liebsten hätte ich dem nachgegeben und bei dieser Zärtlichkeit fiel es mir schwer noch stark zu bleiben. Allerdings konnte und wollte ich mir das nicht erlauben.

„Hast du es dir überlegt, mir doch eine Chance zu geben?“, flüsterte er und die Art, wie er es sagte, machte es mir unmöglich zu antworten. Obwohl seine Stimme so leise war, hörte ich den Schmerz und die Ehrlichkeit darin, oder meinte sie zumindest zu hören. Was sollte ich auch darauf antworten? Es ging weder ein Ja noch ein Nein.

Also blieb ich still und versuchte ihn nicht anzusehen indem ich meinen Kopf wieder senkte, vorgab seinen Text zu kontrollieren. Ich unterstrich sogar ein paar Schriftzeichen, konnte im Nachhinein aber nicht sagen, ob diese nun wirklich falsch waren.
 

Ich gab an diesem Tag keine Antwort, hob den Kopf aber noch einmal, nachdem ich unkonzentriert seinen Text korrigiert hatte. Wir sahen uns einen Moment einfach nur an, doch für Tora schien mein Blick zu bedeuten, das er wohl warten wollte. Dies war unsere stumme Übereinkunft. Tora blieb an meiner Seite und gab mir das Gefühl, ein vollwertiger Mensch zu sein.

Dank ihm ging es mir wieder gut, er gab mir sogar Kraft die schwere Zeit zu überstehen, die wir gerade durchmachten.
 

Und doch gestand ich mir meine Gefühle noch nicht ein. Ich redete mir ein das alles nur Mitleid war. Denn das hatte ich auch, immerhin schien er mich ja wirklich so dringend haben zu wollen. Aber nur aus Mitleid nachgeben? Das hörte sich irgendwie falsch an...
 

Es gab nichts mehr zu lernen und nach Feiern war mir nicht zumute, eigentlich hätte ich mich am liebsten sofort in mein Bett gelegt und erst einmal zwei Tage durch geschlafen, denn so müde fühlte ich. Und doch ging ich mit Tora zu sich nach Hause, wie fast schon jeden Tag.

Tora kochte, wie immer. Nur das er heute überraschenderweise ein paar Beilagen mehr im Kühlschrank hatte.

Er deckte den Tisch und wir aßen stumm. Und dennoch genoss ich die Stille. Tora aber wirkte nervös.

Ich genoss das essen und konnte gar nicht mehr so richtig aufhören, musste mich fast schon etwas zwingen, die Stäbchen weg zu legen. Um Tora zu zeigen, das es mir geschmeckt hatte, lächelte ich ihn an.

Er aber ergriff mein Kinn und hob meinen Kopf noch weiter an. Ganz sanft. Dann legte er seine Lippen auf meine. Ich wusste in diesem Moment nicht genau, was ich dachte, was ich fühlte. Vermutlich war mein Kopf auch einfach nur vollkommen leer gefegt und ich dachte erst einmal gar nichts mehr.
 

Der Kuss war ganz sanft, die Lippen ganz vorsichtig und doch spürte ich, das Tora noch ganz anders küssen konnte. Ganz sanft tastete seine Zunge meine Lippen entlang, zog sich zurück, als ich ihm den Zugang verwehrte.

Und ganz plötzlich spürte ich seine Arme um mich. Einer schlang sich um meinen Rücken, der andere unter meine Kniekehlen. Er hob mich einfach so hoch und ich quiekte erschrocken auf.
 

„Tora!“, fiebte ich, doch er antwortete nicht. Sein grinsen wurde nur noch breiter und er drückte mich etwas an sich.

Sein Gesicht näherte sich meinem erneut. Diesmal küsste er allerdings meine Augenlider, zwang mich so dazu sie zu schließen.

„Lass sie zu, ja?“, flüsterte er rau. Irgendwie schaffte er es so, das ich gar nicht wagte, die Augen zu öffnen.

„Was?-“

„Schhhh...“

Ich konnte hören, das wir nun durch seine Wohnungstür traten und in den Fahrstuhl stiegen. Es ging aufwärts. Einfach die Augen öffnen konnte ich nicht, zumal ich glaubte, seinen Blick auf mir zu spüren.

Dann war der Fahrstuhl offensichtlich da, wo Tora hin wollte und wir stiegen aus – beziehungsweise nur er stieg aus, ich hatte ja keinen Kontakt zum Boden.

Doch dann stiegen wir noch einmal eine Treppe herauf, Tora öffnete umständlich eine Tür und schon spürte ich frische Luft, die mir um die Nase wehte.

Wieder wollte ich die Augen öffnen und konnte es doch nicht. Er hatte gesagt ich solle sie zulassen, allein deswegen konnte ich es nicht tun.
 

Mein Herzschlag beschleunigte sich noch weiter, was hatte Tora hier vor? Wir waren doch auf dem Dach, oder etwa nicht? Hatte ich mich doch in ihm getäuscht und er war ein kranker Psychopath der mich jetzt hier herunter werfen würde?

Ich hatte Angst und versuchte mich augenblicklich aus seinen Armen zu befreien.

„Tora!“, schrie ich leicht verzweifelt, diese Vorstellung, jetzt von diesem Dach zu fallen, setzte sich in meinem Kopf fest und ich konnte einfach nicht mehr ruhig bleiben.

Angesprochener lachte aber nur leicht, was meinen Verdacht nur bestätigte.

Dann jedoch wurde ich wirklich wieder auf meine eigenen Beine gelassen. Vorsichtig stellte ich mich auf und musste zu meinem Glück feststellen, das da immer noch Boden unter meinen Füßen war.

Meine Augenlider waren allerdings immer noch geschlossen. Tora hielt sie nun mit beiden Händen zu.

„Ehe ich dich gucken lasse, möchte ich dir noch sagen, das du hier ran ganz alleine Schuld bist. Eigentlich bin ich überhaupt nicht so, aber du hast mir viel zu viel Zeit zum Nachdenken gegeben, also lebe damit.“
 

Nach dieser kleinen Ansprache, die meinen bösen Verdacht noch weiter schürte, nahm er die Hände aus meinem Gesicht und ich konnte meine Augen wieder öffnen, was ich jedoch nicht sofort tat.

Was wenn wir doch am Abgrund standen und er mich herunter stoßen würde sobald ich die Augen wirklich öffnete? Allerdings... von der Tür aus gesehen waren wir nur wenige Schritte gegangen, höchstens zwei oder drei, ich hatte genau darauf gehört und aufgepasst. Dann konnte man bei der Größe des Wohnkomplexes doch noch gar nicht an einer Häuserschlucht angekommen sein oder hatte ich doch nicht richtig aufgepasst?
 

„Na los, mach die Augen auf, es beißt dich auch nichts, außer du bittest mich lieb drum!“, hörte ich es hinter mir und es war wirklich nicht zu überhören, das Tora bei seinen Worten breit grinste.

Mit immer noch gesenkten Kopf öffnete ich die Augen. Schon mal gut, weit und breit kein Abgrund. Schön.

Vorsichtig hob ich den Kopf … was meine Augen erblickten, konnte ich gar nicht so recht glauben und ich rieb mir erst einmal verwundert die Augen.

Tora lachte wieder hinter mir.

„Ich sag doch du hast mir viel zu viel Zeit gegeben, um drüber nachzudenken.“, rechtfertigte er sich noch einmal und als ich mich umdrehte, bemerkte ich das Tora rot geworden war.
 

Vor uns lag eine große Picknick-decke, darunter eine Matratze, weil der Boden hart war, eine Kühltasche und – was es fast noch unglaublicher machte – eine ganze Hecke von exotischen Zimmerpflanzen, alle in strahlenden Grüntönen und so dicht gewachsen, das sie gegen fremde Blicke abschirmten. Nur der Eingang lag offen, und die Seite zum Ende des Daches war nicht so hoch bedeckt, sodass man noch eine Aussicht auf die Stadt hatte.
 

Tora führte mich genau hier her, brachte mich dazu mich zu setzen und als ich ihn ansah, bemerkte ich das er nicht mehr rot war. Er wirkte selbstsicher und grinste etwas, während er die Kühltasche öffnete und eine Flasche Orangensaft und Gläser zu Tage förderte.

Er sagte vorerst nichts, sondern goss den Saft ein und reichte mir ein Glas. Ich selbst wäre im Moment auch nicht in der Lage gewesen, etwas zu sagen.
 

In meinem Hinterkopf war es mir immer bewusst gewesen, das Tora wahrscheinlich mehr von mir wollte als einfach nur mal mit mir zu schlafen, doch all dies nun zu sehen, machte es mir fast unmöglich zu atmen, oder zu denken. Meine Hand, die das Glas hielt, zitterte.

Leise hauchte ich seinen Namen und als ich ihm in die Augen sah, wusste ich das, egal wie viel ich mich noch wehren würde, ich verloren hatte.
 

Ich und Tora, das würde passieren.
 

Ohne den Blick abzuwenden trank ich einen Schluck. Der Saft war kühl, sogar mit Fruchtfleisch und Toras Blick sagte mir eindeutig, dass er diesen selbst gepresst hatte.

„Tora...“, quängelte ich trotzdem noch und stellte das Glas weg.

„Das ist schön... das hast du toll gemacht...aber...“, ich kam nicht weiter, er seufzte und rutschte näher an mich heran. Es fühlte sich nicht mehr so schlimm an wie früher.

„Ich habe gewartet, ich habe dir gezeigt das ich anders bin. Wir haben einen der schwersten Momente unseres Lebens zusammen durchgestanden und alles war gut. Es bringt doch nichts das du dich wehrst. Ich weiß das du es auch willst, ich merke doch wie du reagierst wenn du dich mal nicht darauf konzentrierst mich abzuwehren. Also hör auf mir etwas vorzuspielen!“

Tora war laut geworden, etwas was ich so noch nie vom ihm erlebt hatte. Selbst in seinen Augen sah ich noch die fast schon flammende Wut.

Seine Worte setzten mich unter Druck, etwas, was er mir noch nie gegeben hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen, schon wieder Druck, von dem ich mich doch gerade erst für ein paar Monate befreit hatte.
 

Allerdings war dieser Gefühlsausbruch genau das was ich jetzt brauchte. Es war kein Spiel und ich konnte auch nicht ewig Toras Gefühle ignorieren und ihn damit verletzen. Die Tür stand offen und ich musste nun durch sie hindurch. Ich musste auch einmal auf ihn zu gehen, ganz gleich welche schlechten Erfahrungen ich gemacht hatte. Auch Tora mussten in seinem Leben schon Dinge passiert sein, die ihn dazu hätten veranlassen müssen den Menschen nicht mehr zu trauen und doch tat er es bei mir, selbst wenn ich ihm so wenig zurück gab.
 

„Du hast Recht.“, sagte ich leise, wagte es noch nicht, ihn anzusehen.

Er rückte eine Stück auf, schob sich so in mein Sichtfeld und hob meinem Kopf an. Mein Herz schlug mit einem mal ganz schnell.
 

„Du hast gewonnen...“, meine Stimme versiegte fast als ich die Worte aussprach, doch Tora verstand und lächelte. Es war nicht nur ein Grinsen, es war ein richtiges Lächeln.

Unsere Lippen trafen sich. Ganz vorsichtig, ganz schüchtern und langsam bewegte sie sich. Es war nicht unser erster Kuss, es war jedoch unser erster, den ich auch wollte.
 

Und in dem Kuss spürte ich noch etwas anderes, etwas, was Tora wohl von Anfang an gespürt hatte. Das wir zusammen gehörten.
 

Der Wind zerzauste unsere Haare und ließ uns grinsen. Vorsichtig berührte ich seine Wange und sah, wie er selbst diese Berührung genoss und musste selbst darüber lächeln.

Endlich war es wieder da, dieses schöne Gefühl, dass etwas richtig war.
 

Jedoch war ich noch immer viel zu melancholisch, weshalb ich Tora erneut küsste, ihn ganz neben mich zog.

Er legte seine Arme um mich und war glücklich.

Der Himmel war noch immer blau, dazu ein paar Schäfchenwolken und ich wusste, das ich diesen Tag nie vergessen würde.

8. Kapitel

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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  --Tsuki--
2013-04-04T18:03:27+00:00 04.04.2013 20:03
Obwohl der Titel meine eine total normale Geschichte erwarten ließ, muss ich sagen, dass sie gar nicht ganz so normal ist - und das meine ich positiv ;)
Mir gefällt dein Schreibstil und vor allem, dass deine Figuren eben nicht so klischeebeladen handeln wie sie es in viel zu vielen anderen Geschichten tun. Besonders lachen musste ich jedes Mal, wenn Jui erwähnte, dass Tora ihm nicht gefiel - angefangen bei seiner natürlichen Augenfarbe, seine Nase, der Bartwuchs bis hin zu seinen teilweise ungeschickten Annäherungsversuchen. :D ich find es super, wenn die Charaktere so menschlich bleiben, mit all ihren Fehlern. Wer braucht schon strahlende Helden in solchen FFs? :)
Und dass Jui sich dann aber nach und nach (und vor allem allmählich) doch in ihn verliebt hat und Toras Lachen dann mittlerweile doch gut findet, ist ein schönes Happy End. ^^
Was mir außerdem gut gefallen hat, ist, dass du auch die psychologischen Aspekte dabei gut beachtet hast, also Jui aufgrund seiner Vergangenheit zu einem vorsichtigen Menschen gemacht hast, ohne ihn zur jammernden Nervensäge verkommen zu lassen.
Daumen hoch! :D
Von: abgemeldet
2011-05-21T07:16:32+00:00 21.05.2011 09:16
ach meine süße ^^

ich danke dir für diese wundervolle ff
nach doch einiger schreibpause nun das grandiose und schöne happy end *_*
die beiden sind echt süß zusammen

du hast juis gedanken und gefühle sehr gut beschrieben
seine zweifel konnte man nachvollziehen
ich find es süß, dass er am anfang darauf bestanden hat, dass jeder in seinem zimmer schläft ^^

ich musste sehr schmunzeln, als ich gelesen habe, wie juis zimmer aussieht XD
und sehr herzhaft lachen konnte ich am ende ^^
du musstest natürlich toras bartwuchs mit einbauen XDDDD~

also die ff war wirklich toll
schade, dass sie jetzt schon vorbei ist

kannst du nich noch über eine fortsetzung nachdenken? ^^°

hab dich lieb <3
Von:  Kanoe
2011-05-19T14:49:15+00:00 19.05.2011 16:49
keine schöne kleine gescichte
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T20:05:14+00:00 16.05.2011 22:05
*dahin schmelz*
Wirklich wunderbar!!!
Ein so grandioses Ende!!
Echt klasse!!!
Wirklich eine außergewöhnliche und sehr schöne FF!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:50:00+00:00 16.05.2011 21:50
GENIAL!!!
Sooooooo romantisch!!!
Echt klasse!!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:40:12+00:00 16.05.2011 21:40
*mim Kopf schütteln tu*
Tora ist unglaublich süß!!!
Jui ist unglaublich blöde!!!
Und zusammen sind die Beiden einfach unglaublich klasse!!!
Geniale Idee!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:34:45+00:00 16.05.2011 21:34
Oha dramatisch!!!
Aber sou genial.....
Muss direkt weiter lesene....is ja wie ne Sucht hier!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:26:45+00:00 16.05.2011 21:26
Ui...welch Zwiespalt!!!
Klasse geschrieben!!!
Die FF fesselt einen richtig!!!
Echt super!!!
LG -^.^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:15:17+00:00 16.05.2011 21:15
Ich kann mich dem Kommi darunter nur anschließen...
Hab echt viel gelacht und bin genauso gespannt was Jui angeht!!!
Klasse Chap!!
LG -^-^-
Von:  klene-Nachtelfe
2011-05-16T19:08:52+00:00 16.05.2011 21:08
Oh nein Jui ist echt schnuggelig!!!
Putzgi, dass mit dem Armlehnenklischee!
Bin gespannt wie das MAthe-Lernen ausgehen wird!
Klasse Kappi!
LG -^.^-


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