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Stumm und blind

Weil wir es so wollen
von

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Wir befinden uns in meinem Zimmer; mein bester Freund Jasko und ich. Ich liege auf meinem Bett und tippe wahllos irgendwelche Nachrichten ein. Er sitzt daneben und schreibt meinen Englischaufsatz ab, den er eigentlich schon vor einer Woche hätte abgeben müssen.

Aber wofür sind Freunde denn da?

Krampfhaft versuche ich, mich auf den Bildschirm vor meinen Augen zu konzentrieren, auf die Tasten unter meinen Finger und auf die Worte, die ich meinem Gegenüber, einem Bekannten am anderen Ende der Welt, übermitteln will.

Es klappt nicht und der Grund ist nur ein paar Zentimeter von mir entfernt.

Jasko stört nicht durch die schabenden Geräusche seines Füllers auf dem Papier, nicht durch das leise Summen, das bei ihm immer einsetzt, wenn er etwas machen muss, worauf er gar keine Lust hat und nicht durch das gelegentliche Seufzen, wenn er meine unleserliche Schrift nur ganz schwer entziffern kann. Mich fragen wird er nicht, dafür hat er keinen Nerv.

Was mich wirklich stört, ist seine bloße Anwesenheit in diesem Raum.

Das ist nicht negativ gemeint, ich bin froh, wenn er bei mir ist und ich mich nicht allzu allein fühle. Aber immer, wenn er da ist, kommen diese Gefühle in mir hoch, die einfach völlig deplaziert sind, nicht in eine normale Freundschaft gehören und mir ständig ein schlechtes Gewissen bereiten.

Darf er es wissen? Muss er es wissen?

Eigentlich haben wir keine Geheimnisse voreinander, ich zumindest nicht vor ihm. Nur bei diesem Problem mache ich eine Ausnahme. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Dass er von dieser Offenbarung nicht besonders erfreut wäre, ist noch sehr positiv ausgedrückt.

Kein Kerl will von seinem besten Freund solche Geständnisse hören.

Außer ich vielleicht, ich würde nur allzu gern diese drei kleinen Wörter hören. Und ich bin mir im Klaren, dass das nie passieren wird.

Er legt die zwei Hefte zur Seite und blickt etwas ziellos aus dem Fenster. Das sichere Zeichen von ihm, dass er seine Aufgabe erledigt hat und nun wartet, was geschehen wird.

Meine Gedanken entfernen sich von dem belanglosen Buchstabenzeilen auf dem Bildschirm, sie haben entgültig den Sinn für mich verloren. Im Moment zählt nur Jasko neben mir. Ich könnte meine Hand ausstrecken und diese ihm auf das Knie legen. Oder eine Haarsträhne aus seinem Gesicht streichen.

Ich könnte noch viel mehr unternehmen und ringe mich trotzdem nicht dazu durch.

Es ist falsch und belastet ihn höchstens.

„Jasko...“, beginne ich zögernd und rücke so unauffällig wie möglich näher an ihn, bis meine Hüfte leicht seinen Oberschenkel berührt.

Sein Blick ist weiterhin aus dem fenster gerichtet. „Was ist, Tizian?“

Der Augenblick der Offenbarung wäre perfekt. Nur er und ich sind hier in diesem Zimmer. Wir sind allein, niemand kann uns stören.

In der letzten Sekunde, bevor der entscheidende Satz meinen Mund verlässt, beiße ich mir auf die Lippe und schüttele den Kopf.

Es funktioniert nicht.

Stattdessen schweige ich ihn an.
 

Hochkonzentriert versuche ich die unglaublich komplizierte Handschrift meines besten Freundes zu entschlüsseln. Manchmal frage ich mich, ob er absichtlich so schreibt, damit niemand anderes als er selbst weiß, was er aufgeschrieben hat.

Aber nach jahrelanger Übung weiß ich inzwischen, was vor mir auf dem Blatt steht.

Tizian, der mir netterweise seinen Englischaufsatz ausgeliehen hat, damit ich ihn kopieren kann, befasst sich neben mir per Internet mit jemandem, den ich noch nie persönlich kennen gelernt habe. Wie ein Specht hackt er auf die Tastatur ein, als will er sie zu Kleinholz verarbeiten. Normalerweise würde ich darauf tippen, dass er nervös ist, aber wieso? Er hat keinen Grund dazu, aber vielleicht liegt es seinem Gesprächspartner.

Ich habe keine Ahnung, aus Rücksichtsnahme beobachte ich nicht, was er ihm schreibt. Das gehört sich nicht, selbst unter guten Freunden.

Seufzend streiche ich ein Wort durch, das ich vor lauter geistiger Abwesenheit völlig falsch gelesen habe. Ich zwinge meinen Verstand, sich mit den vielen englischen Worten vor ihm auf dem Papier zu beschäftigen, obwohl ich nur zu gerne Tizian betrachtet hätte, wie er auf dem Bauch auf dem Bett liegt und seiner Tätigkeit nachgeht.

Ich würde ihn oft gerne beobachten, aber ich unterlasse es immer, weil er es bemerken könnte. Und dann müsste ich mein seltsames Verhalten erklären und das will ich nicht.

Wie soll ich das auch machen, ohne dass er nicht entsetzt von mir wäre?

Ich kenne ihn schon so lange und trotzdem ist da etwas in mir, was sich nicht so benimmt, wie man es unter Freunden akzeptieren soll.

Es stört, es belastet die Beziehung zwischen Tizian und mir und vor allem macht es mich selbst völlig fertig. Gefühle, die einfach nicht hier her gehören, die an jemand anderes bestimmt sein sollen, es aber leider nicht sind.

Sie gelten schon sehr lange nur Tizian, egal was ich unternommen habe.

Mehr oder weniger fehlerfrei wandert mein und sein Heft durch einen Schubs von mir auf dem Boden und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Landschaft außerhalb des Zimmers durch das Fenster zu bewundern. Es liegt auf der anderen Seite des Zimmers, am weitesten von Tizian entfernt und somit der einzige Ort, an dem ich ihn nicht mindestens aus den Augenwinkeln ansehen muss. Obwohl ich es nur zu gerne tun würde.

Das Geräusch der klappernden Tasten verstummt langsam, aber es reizt mich nicht, den Kopf in seine Richtung zu drehen. Ich würde sowieso nichts anderes als sonst sehen. Immer noch denselben Freund, der so nah und gleichzeitig so fern ist.

„Jasko...“, möchte er ein Gespräch eröffnen, aber ich blicke nicht an. Ich kann nicht, genau jetzt, wo meine überflüssigen Emotionen besonders stark in meinem Kopf herumschwirren und mein Denken beeinträchtigen.

Es wäre ungerecht ihm gegenüber.

Ein wenig deutlicher als vorher spüre ich ihn neben mir und ich verfluche mich innerlich, dass ich diesen Augenblick genieße. Wieder etwas, was man nicht macht. Ich bin unfähig, mich in seiner Nähe normal zu verhalten. Vor allem, wenn ein kleiner Funke in mir hofft, dass seine Näherung etwas zu bedeuten hat.

Auf keinen Fall hat sie das, höchstens in meinen kranken Wunschfantasien.

„Was ist, Tizian?“ Bei dieser Frage schaue ich ihn ebenfalls nicht an, weil man mir sicher nur zu gut mein schlechtes Gewissen an meiner schuldbewussten Miene ablesen könnte.

Dabei würde ich mich gerne zu ihm umdrehen, da ich nun einen Grund hätte, ihm meine vollkommene Aufmerksamkeit zu widmen und ihn ohne Heimlichtuerei zu mustern.

Aber meine Angst vor der Entdeckung ist zu groß.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  koennte-sein
2010-03-28T08:35:59+00:00 28.03.2010 10:35
oh, gott die armen.
ich hoffe ja irgendwie das sie es sich irgendwann sagen, auch wenn im suff, im streit oder ...
egal wie unwahrscheinlich.
die sprüche neben den charabildern sind heftig.
aber die geschichte ist einfach wow. du bringst das denken und fühlen der beiden sehr schön rüber.
<3
Von:  Inan
2009-12-20T15:30:02+00:00 20.12.2009 16:30
Die armen Beiden
*pattpatt*
Solche missverständnisse sind schon scheiße xD
Die OS ist gut geschrieben und schön zu lesen
Die story gefällt mir und was auszusetzen hab ich auch nicht also...
ist echt gut geworden^^
Ich wär im Übrigen auch für ne Fortsetzung =)
Von: Karma
2009-11-30T14:25:33+00:00 30.11.2009 15:25
Ein absolut perfekt gewählter Titel für die Story, das muss ich schon sagen. Aber die beiden Jungs möchte ich schlagen, weil sie beide nicht einfach den Mund aufmachen und sagen, was sie so beschäftigt und was sie fühlen. Klar, ich kann es nachvollziehen (die Phase, verliebt in einen Freund zu sein, hab ich auch schon hinter mir und es war besser, dass ich nichts gesagt hab), aber als Aussenstehende, die beide Seiten gesehen hat, möchte ich beiden einfach nur einen Schubs geben, damit sie es sich doch noch endlich sagen.
*seufz*

Übrigens hast Du sehr schöne Namen gewählt, finde ich. Gerade Tizian gefällt mir unheimlich gut, vom Klang her und generell.
*____*

Karma

P.S.: Magst Du nicht doch noch eine Fortsetzung schreiben, wo die Zwei endlich die Worte aussprechen, die sie beide die ganze Zeit denken? Ich weiss, dass ist ein One-Shot und eigentlich ist das Ende ja auch perfekt (so deprimierend es auch ist), aber mein Herz lechzt irgendwie nach einem Happy End für die Beiden. Irgendwie haben sie es doch verdient.


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