Zum Inhalt der Seite

Küss mich doch!

Der zweite Band von der Liebesreihe 'Lächel doch mal'
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ein Scheißtag

»Pumuckl, ich sag es dir zum letzten Mal: Zieh Leine!«

Zähneknirschend schluckte ich eine dieser weiteren Beleidigungen runter. Neben ‚Rotfuchs’, ‚rostiges Ding’ – einer seiner Lieblingsbezeichnungen – folgte meistens ‚Pumuckl’ oder ‚rote Pest’.

Dennoch ignorierte ich ihn eisern, schließlich war ich solche Spitznamen seit meiner Schulzeit gewohnt. Dauernd und zu jeder Zeit folgte, statt meinem Namen, einer dieser Beleidigungen.

Selbst meine Lehrer, die es eigentlich besser wissen sollten, nannten mich ab und an ‚Rotfuchs’.

Vielleicht weiß der Rotfuchs die Antwort darauf…’

Erneut knirschte ich mit meinen Zähnen und meine Finger verkrampften über der Tastatur.

Einfach tief durchatmen’, sagte ich mir, dann ging es wieder. Ich war es gewohnt. Mittlerweile hatte ich die Kunst des Ignorierens perfekt drauf. Jedes Mal, wenn jemand irgendeine Art Anspielung auf meine kupferroten Haare machte – ich konnte für meine rote Haare nichts und färben brachte leider auch nichts – ignorierte ich die Person gekonnt.

Außerdem stellte ich fest, dass es diesen Leonardo auf die Palme brachte.

Auch wenn der pikfeine Herr es nicht offensichtlich zeigen wollte, bemerkte ich es doch, wie er seine Finger in das Leder seines treuen Machosessels krallte.

„Ich sagte: Verschwinde ‚rostiges Ding’! Nur, weil mein Vater meint, ich bräuchte eine Assistentin! Geh!“

Ignorieren’ hieß das Zauberwort, allerdings tat die Bezeichnung ‚rostiges Ding’ oder ‚rote Pest’ schon ein wenig weh.

So wurde ich noch nie bezeichnet, als Ding, ein Gegenstand und auch noch rostig! Am liebsten hätte ich diesem Scheißkerl meine Faust in sein Gesicht befördert und ihm ein blaues Auge verpasst.

Dann würden Spitznamen folgen wie ‚blaues Feilchen’ oder noch besser ‚hochnäsiges blaues Etwas’.

Heimlich kicherte ich vor mir hin.
 

Wütend donnerte er seine Faust auf seinen teuren Tisch, der absolut Nichts für seine Wut konnte. Schon schlimm für einen Mann, einsehen zu müssen, dass er Mist baute.

Zu meinem Glück war sein Büro riesig und mein Schreibtisch einige Meter von seinem entfernt.

Vermutlich spuckte er zusätzlich beim Schreien. Abermals musste ich bei der Vorstellung kichern und würde beim nächsten Mal genauer hinschauen.

Dann bekäme er von mir den Spitznamen ‚Mr. Spuck’.

»Pumuckl!«, brüllte er; ich ignorierte ihn.

Fluchend erhob er sich und marschierte geradlinig auf meinen Platz zu. Reflexartig suchten meine Augen nach der Tür, die nicht weit von mir war. Ich konnte mit einem Sprung flüchten, falls dieser Mistkerl nun handgreiflich werden sollte. Meine Tasche war zu weit, um das Pfefferspray an mich zu nehmen. So ein Mist!

Meine Finger streckten sich unauffällig nach der Handtasche und stießen gegen die Kaffeetasse.

Scheiße!

Rasch hob ich die Tasse hoch und tupfte mit meinem Ärmel den Kaffee auf.

Wieso bin ich immer so tollpatschig! Verdammt!’

Mr. Unmöglich formte seine Lippen zu einem sehr dünnen Strich – fast als hätte er keinen Mund – und schnaufte durch seine Nase.

Was war er nun, ein Tier? Ein wilder Tiger, der zusätzlich, zu seinen Ausdrücken wie ‚Pumuckl’, mich auffressen wollte?

Komm nur, dann zeige ich dir meine Fäuste!’

»Das sind doch nicht kostbare Unterlagen?«

Ich starrte auf meinen Ärmel, der inzwischen eher braun als weiß war, und dann auf die Unterlagen. Sofort schüttelte ich meinen Kopf, auch wenn ich es anders war. Natürlich waren es die kostbaren Unterlagen, aber ich wollte diesen Job etwas länger behalten, als die davor.

Nur ein wenig länger, denn ich war Realist. Früher oder später würde ich so oder so wegen meiner Tollpatschigkeit rausfliegen.

Daher stand mein Entschluss fest, ich würde die Unterlagen mitnehmen und versuchen sie zu retten, was zu retten ging.

Ich war sehr gut darin. Es war schließlich eine Ausnahme, auch wenn es verboten war, ich wollte diesen Job behalten, auf Biegen und Brechen!
 

Bevor ich auch nur reagieren konnte, hatte Mr. Mistkerl eines der Dokumente an sich gerissen. Ich streckte die Hände nach dem Zettel aus und schnitt mir stattdessen an der Kante des Papiers den Finger. Zischend putzte ich am Ärmel meinen Finger ab und betete, dass es nicht wichtig war.

Bitte lieber Gott! Du hast mich schon mit meinem Aussehen gestraft!’

Seine dunklen Augen, eigentlich waren sie nur am äußeren Rand dunkelbraun und in der Mitte hellbraun – wie ein geschliffener Edelstein sahen sie aus – erkannten sofort, dass es sich um wichtige Vertragsdaten handelten.

Ich schluckte und gaffte stur gerade aus.

Gut, dass er größer ist als ich, so kann ich nur seine Brust anstarren…’

Allerdings musste ich mir eingestehen, dass das nicht wirklich das Wahre war. Es zeigte mir nur zu deutlich: Unter diesem Hemd befand sich ein durchtrainierter Körper, der mich niederschlagen könnte.

Ich wippte von einem Fuß auf den anderen.

Dieser Mann, der so schamlos war, machte mir Angst!

Nur mit starkem Willen – und weil ich den Job behalten wollte – blieb ich still vor ihm stehen.

»Das sind die Unterlagen des Smiths Konzern und sie lassen da Kaffee drauf schütten?«, brüllte er und ich saß in meinem Bürostuhl. Schluckend wagte ich es in sein Gesicht zu sehen und erblickte bösartige Augen, die mich zerfleischten.

Mehrmals kniff ich meine Augen zusammen, denn eine meiner Macken drohte ans Tageslicht zu kommen.

Dauernd musste ich heulen, immer und immer wieder.

Eigentlich wollte ich das nicht, aber ich spürte schon, wie meine eigenen Augen sagten: ‚Nicht mit uns, Amanda Mendes, du wirst heulen!’

Ich hatte den Job doch erst seit ein paar Stunden, und es war schon der Dritte diese Woche. Ich wollte nicht innerhalb von wenigen Stunden gefeuert werden. Einen Tag, nur einen Tag durchhalten, danach wäre es nichts Neues. Nur ein Tag.

Ich weiß, dass ich zwei linke Hände hatte, dennoch arbeitete ich gewissenhaft.

Aber ich kann doch nichts für meine Hände…’
 

»Wir brauchen einen neuen Vertrag. Fordern sie eine Kopie an!«, befahl er mir. Seine Stimme ging mir durch Rücken und Mark. Diese Stimme war ein Messerstich, kaum auszumalen, dass aus diesen vollen Lippen auch mal Nettigkeiten kommen sollten und würden.

Aus diesem Mund kam nichts anders, als Gemeinheiten, Gemeinheiten und, sagte ich bereits, Gemeinheiten!

Ich nickte einmal und wand mich fix dem Telefon zu. Eine Nummer konnte ich noch wählen, jedoch hatte ich gar keine Nummer von dieser Firma.

Ich versuchte auf einen der Verträge die Nummern zu lesen. Zu meinem Pech – wie sollte es auch anders sein – war genau dort der Kaffeefleck.

Kann Gott nicht einmal gnädig sein?’

Mr. Fürchterlich drehte mir den Rücken zu, schmiss den Vertrag vorher auf meinen Schreibtisch, und widmete sich seinen Sachen. Meine Chance flugs nach der Nummer zu suchen.

Gut, dass wir Internet hier hatten. Google, mein bester Freund, was hätte ich ohne ihn nicht geschafft.
 

Sicherheitshalber linste ich über meine Schulter. Mr. Mistkerl beugte sich über etwas. Rasch rief ich den Browser auf und tippte den Namen der Firma ein.

Ich bin gut!’ freute ich mich und schrieb die Rufnummer geschwind ab, gleichwohl gab es noch weit aus interessantere Sachen von der Firma. Der Sohn hatte wohl vor kurzem geheiratet und nun erwartete seine bildhübsche Frau ein Kind von ihm. Selbst ein Foto war von dem glücklichen Paar dabei.

Beneidenswert.

Er wirkte wenigstens nett, wäre doch mein Chef so…
 

Eine Faust donnerte direkt neben mir auf den Tisch; ich schrie vor Schreck auf.

»Was machen sie da?«, wollte Mr. Fürchterlich wissen und seine Nasenflügel blähten sich auf, als er das Foto von Emilia und Alessandro erblickte, wie sie lächelten.

»Machen sie das zu! Sofort!«

Ohne Widerworte kam ich dem eilig nach.

Ich hätte nicht gedacht, dass sein Ton noch schärfer klingen konnte als vorhin schon. Mein Herz pochte unaufhörlich gegen meinen Brustkorb. Ich nahm bloß das Dröhnen meines Herzen in den Ohren wahr.

Dieser Mann machte mir Angst; nicht nur das, ich hatte eine Heidenangst vor ihm. Niemals! Wirklich niemals wollte ich ihm nachts begegnen!

Vielleicht sollte ich den Job hinschmeißen?’, überlegte ich, ‚Allerdings zahlte sein Vater gut. Ach menno!’

Jetzt verstand ich, wieso mich jeder gewarnt hatte; wieso jeder mir viel Glück wünschte; wieso jeder mich bemitleidetet. Sie hatten alle Angst vor dem Mann!
 

Tief atmete ich erleichtert aus, denn dieser Mistkerl setzte sich an seinen Schreibtisch und rief nun selbst bei der Firma an, die prompt ein Fax mit einer Kopie des Vertrags schickte.

Vorsichtig nahm ich sie an und legte sie weit – äußerst weit – von der Kaffeetasse weg.
 

Erstaunlich!

Den ganzen Nachmittag blieb es ruhig, was vermutlich auch daran lag, dass Mr. Fürchterlich das Büro nach dem Fax verlassen hatte.

Ich scherte mich nicht darum, ihn schnell wieder zu sehen. Er verpestete die Luft; er war fürchterlich; er war der schlimmste Mann auf Erden!

Die Erinnerung an seine dunklen Wolfsaugen, die mich auffraßen, ließ mich erschaudern.

Soll er bleiben wo der Pfeffer wächst!’

Ich heftete die letzten Unterlagen ab, verstaute die Mappe in einen der Regale und schulterte meine Tasche.
 

Der erste Arbeitstag war wirklich ein Horror und würde morgen genauso weiter gehen. Daran wollte ich erst gar nicht denken.

Denk nur an das Geld, Amanda. Nur das Geld! Du brauchst das Geld!’

Ich schaltete meinen PC aus und verließ summend das Büro. Bloß, weil ich einen beschissenen Chef hatte, würde ich mir nicht die Laune nehmen lassen; außerdem gab es Starbucks. Kaffee und Zucker waren das beste Mittel für Entspannung!
 

»Deine Neue?«, grinste Alessandro, der nach dem Telefonat direkt zur Bank gefahren war. Leonardo knurrte aus voller Kehle, nichtsdestotrotz ließ Alessandro sich das Grinsen nicht aus dem Gesicht nehmen, dass Leonardo geneigt war hineinzuschlagen, wenn er nicht wüsste, dass eine schwangere Frau sehr jähzornig werden konnte und würde. Bei den Treffen durfte er einen Geschmack bekommen, was passieren konnte, wenn es nicht nach Emilia ging. Dennoch hatte er die Frau immer noch tief in sein Herz geschlossen und konnte ihr nicht böse sein.

»Klingt nicht sehr begeistert.«

»Frag nicht. Hast du den Vertrag?«

»Ja, hier«, Alessandro reichte ihm ein Dokument zu, »Ich war überrascht, nachdem Lia mir sagte, dass du angerufen hast und behauptet hättest, Kaffee über Vertragsdaten verschüttet zu haben.«

»Das ‚rostige Ding’ taugt einfach nichts. Ich weiß nicht, was sich mein Alter dabei gedacht hat«, fauchte Leonardo und huschte mit den Augen über den Vertrag.

»Schmeiß sie raus.«

»Geht nicht, dann schleppt er ‚Pumuckl’ sicher wieder an.«

Schmunzeln verzog Alessandro die Lippen.

»Was gibt es da zu Grinsen?«

»Nichts«, lachte Alessandro, »Ich muss dann auch. Lia wartet.«

»Grüß sie von mir«, seufzte Leonardo.

»Werde ich machen.«

Mit den Worten verließ Alessandro das Gebäude.
 

Leonardo schlich zurück in sein Büro, froh darüber, dass diese ‚rote Pest’ verschwunden war. Wenigstens machte sie pünktlich Feierabend. Dafür verdiente sie, seiner Meinung nach, einen Pluspunkt. Das konnte sie wenigstens.

Er lief an ihrem Schreibtisch vorbei und stoppte in seiner Handlung und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.

Gelangweilt wühlte er durch die Akten und stellte fest, dass keine von den durchnässten Unterlagen sich weder auf dem Schreibtisch noch im Mülleimer befanden.

Kritisch verzog er den Mund, widmete sich dann jedoch Wichtigerem.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

Mistkerl bleibt Mistkerl!

Stöhnend betrachtete ich das Chaos auf meinem Fußboden. Duzende von Papiere – alles wichtige Unterlagen – lagen auf dem Parkett verteilt.

Zuerst hatte ich versucht mit einem Fön den Kaffee trocken zu bekommen; leider hatte diese Idee das Ganze um einiges schlimmer gemacht. Rostige braune Flecken hatten sich wie Pocken über die Unterlagen verteilt. Da war nichts mehr zu retten.

Ich hatte es wieder geschafft, mich binnen weniger Stunden aus meinem Job befördert.

Ich hasste meine Hände!

Wieso kann ich nicht etwas geschickter sein. Mom und Dad haben doch geschickte Hände, wieso ich nicht?’

Seufzend widmete ich mich dem ersten Blatt.

Es würde die ganze Nacht dauern, das ordentlich abzutippen.

Mein Computer war längst an, der Drucker war bereit; jetzt musste ich bloß noch alles sauber abtippen.

Die einzige Eigenschaft, die ich wirklich sehr gut beherrschte, war das Kopieren. Ich konnte eins zu eins alles kopieren; daher war jedes Kunstwerk, welches in meiner bescheidenen Wohnung hing, eine Fälschung. Als ob ich mir jemals die richtigen Gemälde kaufen konnte.
 

Dadurch, dass ich ständig neue Jobs hatte, hatte ich nie Geld. Es reichte gerade zum Leben und ich war so froh, diesen Job bekommen zu haben. Endlich etwas mehr Geld, als sich dauernd Gedanken zu machen, wie ich mir Essen kaufen konnte.

Mein Geld reichte lediglich für meine Miete, und die Wohnung war noch nicht einmal sicher. Mit einer einfachen Kreditkarte konnte jeder die Tür knacken. Ich wusste es deswegen, weil ich es schon probiert hatte.

Und das Schloss, ja, das Schloss war ein Witz; ein kräftiger Tritt und man wären drin. Aber bei mir gab es zum Glück nichts zu holen. Vermutlich hätten Verbrecher aus Mitleid mir eher Geld dagelassen, als es zu nehmen.

Während der Fernseher lief – eine richtig alte Kiste, die noch in Schwarzweiß war –, widmete ich mich hochkonzentriert meiner Abschreibarbeit.
 

Gegen drei Uhr nachts, und einem unanständigem Programm, wo kleine Jungs mit hochrotem Kopf sitzen würden, hatte ich so weit über die Hälfte geschafft. Ich wäre noch schneller, würden mir nicht stetig die blöden Augen zufallen.
 

Endlich, um sechs Uhr morgens, hatte ich es geschafft, alle Unterlagen sauber abzuschreiben und mit Unterschriften zu versehen.

Geneigt mich für die eine Stunde hinzulegen, entschied ich mich sicherheitshalber dagegen. Wie ich mein Glück kannte, klingelte der Wecker nicht, und so machte ich mir einen Instand- Kaffee.

Der Gedanke, wieder einen Tag mit Mr. Fürchterlich zu verbringen, zog meinen Magen augenblicklich zusammen.

Sicher wird er mich pausenlos mit irgendwelchen Beleidigungen anschnauzen… rote Pest… Pah! Dann würde er wenigstens sterben, wenn ich ihn anstecken könnte. Schade, dass ich nicht die Pest bin!

Schließlich brachte alles Jammern nichts, ich musste ins Büro; also sammelte ich meine Unterlagen ein – nachdem ich meine Kaffeetasse weit weg gestellt hatte – stopfte sie lieblos in meine Tasche und setzte mich in meinen Smart.

Ein Geschenk meiner Eltern, ohne ihn würde ich sonst niemals nach Hause kommen. Alleine nachts in meiner Straße herumlaufen, war lebensgefährlich. Das machte jemand nur aus zwei Gründen: Entweder er wollte sich umbringen oder er war weit aus stärker als die anderen. Da ich weder auf das Erste stand, noch das Zweite war, behandelte ich mein Auto besonders liebevoll.
 

Gegen sieben Uhr – und vollkommen übermüdet – erreichte ich die Tiefgarage meiner Firma. Ich hoffte, und vermutete, um diese Uhrzeit würde Mr. Mistkerl sicher noch nicht da sein.

So wie ich ihn einschätzte, kam er immer nur, wann es ihm passte, und das war vermutlich erst sehr spät. Was ich bloß befürworten konnte!

Nicht, dass mir sein Anblick gefiele, schließlich beleidigte er mich unentwegt mit diesen scheußlichen Spitznamen.

Meine Hände umklammerten die Träger meiner Tasche. Die Unterlagen musste ich fix zu den anderen legen und alles würde gut enden.

Zumindest glaubte ich fest daran.

Wird schon schief gehen, im wahrsten Sinne der Worte…’
 

Die Fahrstuhltür ging zu beiden Seiten auf und ich huschte über den Marmorboden zu der riesigen Flügeltür; meiner persönlichen Hölle auf Erden.

Meine Hand umfasste die Klinke, tief atmete ich ein, dann öffnete ich sie mit einem Ruck.

Mir entglitt das Gesicht, als ich Mr. Fürchterlich an seinem Rechner vertieft sitzen sah.

Wie sollte ich da die Unterlagen unter den anderen mischen?

Der Mann hasste mich; er würde das hundertprozentig mitbekommen, dann wäre ich tot! Mehr als das!

Kann man mehr als tot sein?’, fragte ich mich und setzte mich lautlos an meinen Tisch. Der PC piepte einmal, was mir viel zu laut war. Er sah nicht auf.

Vielleicht würde er auch gleich gehen? Solange er die Unterlagen nicht haben wollte, musste ich mir keine Gedanken machen.
 

Allerdings verließ er nicht einmal seinen Tisch und widmete sich konzentriert seinem PC. Als ob dieser Mann denken würde! Ich knirschte mit meinen Zähnen.

Der hatte seine Leute, die die Arbeit für ihn taten, und er sammelte sich die Lohbeeren ein.

Wieso, verdammt noch mal, ist er immer noch hier?’

Mein Blick wanderte zu meiner Tasche. Die Unterlagen lagen weiterhin darin; ob ich sie flugs auf den Tisch packen konnte?
 

Heimlich linste ich abermals zu ihm rüber.

Selbst zum Mittag bewegte sich Mr. Fürchterlich nicht, stattdessen starrte er unentwegt auf ein Blattpapier. Höchstwahrscheinlich kannte er es längst auswendig.

Er rieb sich mit seiner Hand über die Stirn und legte seinen Kopf schließlich hinein, während er sich einem weiteren Blattpapier widmete.

Seine goldenen Augen passten perfekt zu den Hasselnussbraunen Haaren und verdrehten der einen oder anderen Frau sicher den Kopf; bis er den Mund aufmachte, denn sein Charakter war schwarz wie eine mondlose Nacht.

Seufzend wand ich mich meiner Arbeit zu.

»Wenn ihnen der Job so schwer fällt, dann sollten sie gehen!«, knurrte Mr. Mistkerl und löste sich aus seiner Pose. Ganz plötzlich lag seine Aufmerksamkeit auf mich. Wieso auf einmal, sollte er sich nicht seinen blöden Blättern widmen?

»Tschuldigung...«, nuschelte ich und verstand nicht, wieso ich mich zusätzlich noch entschuldigte. War es mir nun verboten zu atmen?

Ich konnte ja aufhören! Dann wäre er mich innerhalb weniger Minuten los.

Geben sie mir Zeit Mr. Unverbesserlich, ich bin gleich tot!’
 

Gegen Nachmittag bekam ich es langsam mit der Panik zu tun. Nach wie vor langen die Unterlagen ungerührt in meiner Tasche, dabei hätten sie längst in einem der Regale sein müssen.

»Rote Pest«, ich knirschte mit den Zähnen, »Wo sind die Unterlagen von Blacks?«

In meinem Kopf ratterte es. Der Name sagte mir etwas; dann wanderte mein Blick zur Tasche. Es waren die letzten Unterlage, die ich bearbeitete hatte.

»Ähm...«, setzte ich an und sah mich hilfesuchend um.

Wie soll ich jetzt daran komme!’ Ich kaute verzweifelt an meiner Unterlippe.

»Bring sie her!«, befahl er in seiner dominanten Art, als ob ich sein kleines Frauchen wäre. Zu meinem Glück verlor er das Interesse, mich weiter anzustarren. Ich drehte mich geschwind mit dem Rücken zu ihm, griff flugs zu meiner Tasche und zog den Stapel raus. Ich tat als hätte ich die Unterlagen aus einem Ordner genommen und suchte darin nach der Akte von den Blacks.

Als ich mich ihm wiederum zuwandte, erstarrte ich für einen Moment, weil sein Blick direkt auf mir ruhte. Langsam glaubte ich tatsächlich daran, dass er mich fressen wollte. Es hieß ja Menschenfleisch schmeckt wie Hündchen.
 

Ich huschte mit meinen Stilettos über diesen unmöglichen Teppich. Ab morgen würde ich Turnschuhe anziehen, falls ich den Job noch haben sollte.

Sobald der Schreibtisch in greifbare Nähe war, umklammerte ich mit einer Hand die Kante und mit der anderen reichte ich ihm die Akte.

»Linke Füße auch noch, rostiges Ding«, kommentierte er mein Schauspiel. Mit zusammengepressten Lippen ließ ich die Akte lautstark auf den Tisch fallen, in der Hoffnung, er bemerkte ersten nicht, dass ich sie kopiert hatte, und zweitens, dass seine Beleidigungen allmählich zu weit gingen.
 

Ich drehte mich um und versuchte mich darauf zu konzentrieren, gerade zu gehen, da rief er nach mir: »Rotfuchs.«

Irgendwann wird er dafür...’

Lächelnd drehte ich mich um, was mich buchstäblich sehr viel Überwindung kostete, und lobte mich innerlich dafür, dass ich selbst für Mr. Mistkerl und Arsch ein Lächeln übrig hatte.

»Was ist das?«, fragte er und hielt mir das Dokument hin.

»Der Vertrag?«, antwortete ich zögerlich. Mein Lächeln erstarb.

Er hat mich durchschaut. Wie… nein, das ist nicht möglich…’

»Dass es einer ist, sehe ich. Aber nicht der, der Blacks.«

Ich nahm das Papier an mich, kontrollierte den Namen; das war der Vertrag. Konnte er etwa nicht lesen? Das war der Vertrag; es gab keinen anderen.

»Die Blacks setzen nur Verträge auf ihrem eigenem Papier mit speziellem Wasserzeichen auf«, erklärte er und grinste mich hinterlistig an, »Also, wo ist der Vertrag?«
 

Er weiß es! Er weiß es!’

Ich kaute an meinen Fingernägeln – eine unangenehme Angewohnheit von mir, wenn ich mich erwischt fühlte – und sah mich nach einem verzweifelten Rettungsseil um, welches leider nicht existierte. Konnte nicht eine Bombe irgendwo hochgehen, dass wir aus dem Block stürmen mussten. Von mir aus konnte mich auch der Boden verschlingen.

Wer benutzte heutzutage noch ein Wasserzeichen?

Schweiß bildete sich auf meinen Innenhandflächen, den ich versuchte ihn an meinem Rock abzuputzen.
 

Ich hatte noch die Originale; zum Glück!

Eigentlich wollte ich sie entsorgen, aber mir blieb keine Zeit. Ich rannte, soweit das bei dem Teppich möglich war, zu meinem Schreibtisch und nahm das Originaldokument.

»Die anderen Unterlagen kannst du gleich mitbringen, Pumuckl. Bring am besten deine Tasche mit«, grinste er teuflisch. Ich schluckte.

Das war mein neuster Rekord, nach eineinhalb Tagen hatte ich meinen Job erneut verloren. Da brauchte ich auch nicht mehr höflich sein und knallte die Unterlagen auf seinen Schreibtisch, zusammen mit meiner Tasche; allerdings riss ich dabei fast den kompletten Schreibtischinhalt zu Boden.

Scheppernd knallten die Kladden mit den klirrenden Geräuschen von Kugelschreibern und einem Briefbeschwerer zu Boden. Lediglich den TFT Monitor konnte Mr. Unmöglich retten, indem er ihn rechtzeitig festhielt.
 

Wütend knurrte er aus voller Kehle. Eingeschüchtert über diesen Laut – vielleicht war er ernsthaft ein Wolf? – wich ich zurück.

Er zog den Stapel an sich, den ich sauber kopiert hatte, und warf einen kritischen Blick darauf. Meine Hände spielten miteinander. Am liebsten wäre ich aus dem Büro gerannt; vielleicht sollte ich das tun? Ich hatte meinen Job schließlich verloren. Was hielt mich noch hier zu stehen?

Jedoch fiel mir noch rechtzeitig ein, dass Mr. Mistkerl meine Tasche festhielt; also musste ich warten, bis ich diese hatte. Ohne Haustürschlüssel, obwohl ich nur den Autoschlüssel bräuchte, sowie meine Geldbörse – schließlich kam ich mit einer Kreditkarte in meine Wohnung – konnte ich nicht flüchten.
 

»Was ist das?«, wollte er von mir wissen, worauf ich bloß mit den Schultern zuckte.

Kopien von Originalen’, konnte ich schlecht sagen. Er widmete sich jedem einzelnem Blatt.

Die Originale wirkten mittlerweile spröde und durch den Kaffee vollkommen ruiniert, und der Fön hatte noch sein Schlimmstes beigetragen.

»Sind das die Unterlagen...« Perplex starrte er darauf und konnte seine Wut noch nicht einmal in Worte fassen. Ich hatte aber auch in die Vollen gegriffen; wenn dann richtig, denn ich hatte alle Verträge von aktuellen Projekten ruiniert.

»Du hast versucht, sie zu fälschen?“, zischte seine Stimme bissig.

Mein Körper zuckte unweigerlich bei dem Stimmenvolumen zusammen. ‚Fälschen’ klang bei ihm zu hart; ich wollte doch bloß meinen Job behalten. Ich wollte nicht wieder gefeuert werden.

»Ich wollte...«, setzte ich an und verstummte, als mich goldbraune Wolfsaugen erzürnt anfunkelten.

»Sie wollten was?«, keifte er. Fest presste ich meine Lippen aufeinander, weil meine Augen die nächste Sinkflut androhten. Vor diesem Mann würde ich niemals weinen! Niemals!

Er würde sich noch lustig darüber machen. Dann würde ich Spitznamen bekommen wie ‚die weinende rote Pest’; darauf konnte ich verzichten!
 

»Sie wollten was?«, wiederholte er seine Frage und donnerte mit der Faust zusätzlich auf den Tisch. Ich zuckte abermals zusammen und begann unweigerlich an zu schluchzen. Ich wollte das nicht und rammte meine Zähne in die Unterlippe; aber das Schluchzen kam erbarmungslos aus meinem Mund.

»Amanda Mendes!!!« Es war das erste Mal, dass er meinen Namen sagte, und ausgerechnet in so einer Situation. Ich setzte an, etwas zu sagen, stattdessen wedelten meine Arme wild in der Luft, nichtsdestoweniger verließ kein vernünftiger Satz meinen Mund.
 

»Ich... Nun...«, wimmerte ich und konnte nicht mehr. Ich sah lediglich verschwommene Punkte. Ich wollte bloß diesen beschissenen Job des Geldeswegs behalten! War er das wert?

»Jetzt hören sie auf zu weinen!«, zischte er scharf.

Ohne darüber nachzudenken, dass er weiterhin meine Handtasche hatte, drehte ich mich um und rannte zur Flügeltür.

Mein Fuß knickte um und ein Schmerz sauste durch meinen Körper, dennoch blieb ich nicht stehen. Ich riss die Tür auf und musste aus diesem stickigen Zimmer. Im Laufen zog ich meine Schuhe aus und lief Barfuss über den kalten Marmorboden. Den Kopf stur auf den Boden, damit niemand anderes mein verweintes Gesicht sah. Es reichte für heute schon, dass ein Mann, genau jener, der es nie sehen sollte, mich weinen gesehen hatte.

Daher nahm ich das Treppenhaus, weil ich wusste, niemand von dem faulen Pack würde die Treppe nehmen.
 

Zuerst wollte ich in die Tiefgarage flüchten, aber dann fiel mir ein, dieser Mistkerl hatte meinen Tasche mit meinen Autoschlüssel, und so rannte ich hinaus auf die Straße.

Der Bürgersteig fühlte sich rau unter meinen Füßen an und zusätzlich, als wäre meine Schande nicht genug, rammte ich mir einen dicken Glassplitter in den Fuß. Heulend ließ ich mich auf eine der Parkbänke im Central Park nieder und betrachtete meine Wunde.

Nicht einmal ein Taschentuch hatte ich, um wenigstens den Dreck aus der Wunde zu kratzen. Geld, Schlüssel, alles hatte dieser abscheuliche Mann, nicht zu vergessen meine Würde.
 

Scharf sog er die Luft ein und starrte auf seine offene Bürotür. Beinahe hätte er laut losgelacht, als ihr der Absatz abgebrochen war, hätten ihm nicht, ihre Träne die Kehle zugeschnürt. Das hatte er noch nie erlebt, dass jemand weinend vor ihm zusammen brach.

Nicht, dass er schon einmal eine Frau weinen gesehen hätte; aber es war selten, dass er dabei war, wenn er der Auslöser davon war.

Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte sie in seine Arme genommen. Er hätte sie unaufhörlich geküsst, bis sie sich besser gefühlte. Er hätte an ihrem Nacken geknabbert und ihr ein Lächeln entlockt.

Wütend über sich selber biss er sich auf die Lippe. Das Tier in ihm war anscheinend größer, als er dachte.

Seine Augen huschten auf die Unterlagen. Vielleicht war er doch etwas zu streng gewesen, allerdings hatte sie Urkunden gefälscht, sogar die Unterschrift hatte sie eins zu eins hinbekommen.

Ein weiterer Blick in die Tasche verriet ihm, dass all ihr Hab und Gut darin lag, also müsste sie wenigsten noch einmal zurückkommen. Gleichwohl zweifelte er daran und erhob sich seufzend.

Er schnappte sich ihre Tasche und nahm die Verfolgung auf.
 

Wimmernd saß ich wie ein Häufchen Elend auf der Bank. Von einer netten alten Dame bekam ich ein Taschentuch, damit ich meine Blutung etwas stoppen konnte.

Der Schnitt war nicht tief; aber es brannte höllisch, nicht zu vergessen, das unaufhörliche Pochen, was vom anderen Fuß ausging.

Diese billigen Stilettos hielten auch gar nichts mehr aus! Nun lagen meine Schuhe neben mir in einem Mülleimer und lugten hervor, als verspotteten sie mich.

Ein Räuspern ließ mich hochfahren, und goldbraune Augen blickten auf mich herab. Schlagartig sprang ich auf, um zu flüchten. Wie konnte dieser Mann mich finden?

Riecht er mich etwa?’

Ehe ich ihm davonlaufen konnte, packte er mich am Handgelenk und beförderte mich mit einer Leichtigkeit zurück auf die Holzbank.

Er stellte meine Handtasche neben mir ab.

Wenigstens muss ich so nicht mehr ins Büro…’
 

Zu meinem Entsetzten setzte er sich neben mir hin. Ich wagte einen weiteren Versuch aufzuspringen, den er spielendleicht verhinderte, in dem er dominant seine Hand auf meine Schulter legte, und mich sanft zurück auf die Bank drückte.

»Dein Fuß. Zeig her.«

Ich war doch schon gefeuert; war das nicht genug? Musste er mich außerdem hier vor den Leuten demütigen?

Ich rührte mich nicht.
 

Da ihm das zu lange dauerte, griff er nach meinem Fußgelenk und zog es an sich. Beinahe wäre ich von der Bank gefallen und hielt mich eben noch fest.

Liegend beobachtete ich ihn, wie er skeptisch meine Verletzung betrachtete. Mit einem Stofftuch wischte er behutsam den Dreck aus der Wunde.

»Wolltest du Barfuss durch die Stadt gehen, Rotfuchs?«, sprach er leise und kümmerte sich weiterhin liebevoll um die Wunde. Er hatte sogar ein Pflaster dabei, welches er unter meinem Fuß klebte, und es zweifelnd begutachtete.

»Träumst du, Rotfuchs?« Ich knurrte.

Ich hatte meinen Job schließlich nicht mehr, so konnte er ruhig wissen, dass ich seine Spitznamen für äußerst unpassend hielt. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Überrascht drehte ich den Kopf weg. Ich hätte nicht gedacht, ihn mal lächeln zu sehen. Und dazu auch noch mich.
 

Noch immer lag mein Fuß auf seinen Schenkel.

Geschwind riss ich ihn an mich. Dieser Mann hatte nicht das Recht, mich anzufassen, noch nicht einmal meinen Fuß.

»Schicken sie mir die Kündigung per Post!«, war das Einzige, was ich ihm höchstens zu sagen hatte, dann stand ich auf und ging mit meiner Handtasche.

Amüsiert sah er mir nach, wie ich in der Menge untertauchte.
 

Ich schleifte mich zurück in die Firma, setzte mich in meinen Smart und fuhr mit Schmerzen nach Hause.

Dort schmiss ich mich erst einmal auf die Couch und rührte mich nicht. Es war mir gleich, dass meine Sachen für das Büro – meine einzigen Sachen wohl gemerkt – knitterten. Ich war eh gefeuert, wieso sollte ich mir da noch einen Kopf um meine Klamotten machen.

Für mein nächstes Vorstellungsgespräch würde ich sie waschen lassen.
 

Ich schaltete den Fernseher ein und ließ mich davon berieseln, bis mir meine Augen zu fielen.
 


 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

Man glaubt es kaum, aber auch Männer haben einen Geschmack…

Ein ohrenbetäubendes Klingeln riss mich aus meinem traumlosen Schlaf.

Mit einem Ruck saß ich aufrecht auf der Couch und schaute mich fragend um.

Mein Telefon klingelte. Irgendwo in dieser Wohnung war mein blödes Telefon. Völlig übermüdet schlich ich durch das Wohnzimmer, durch die Küchennische, auf der Suche nach dem Telefon, und fand – natürlich, wo ich als Letztes suchte – das Telefon in meinem Schlafzimmer.

»Ja doch!«, schnaufte ich, in der Hoffnung, der Teilnehmer hörte meine Rufe, was vollkommen unmöglich war.

Flüchtig warf ich einen Blick auf meinen Wecker: Halb sieben morgens; wer bitte schön rief um diese Uhrzeit an?
 

Freunde hatte ich keine; also konnten die es schon einmal nicht sein.
 

Meine Eltern?

Quatsch, die würden sich nicht die Mühe machen, um diese Uhrzeit anzurufen. Die hatten besseres zu tun.

Ich nahm den Hörer in die Hand, drückte die Annahmetaste und knurrte lediglich in den Hörer. »Ja…?«

»Solltest du dich nicht besser mit Namen melden?«

»Der Teilnehmer, der meine Nummer gewählt hat, weiß schon, wer höchstens dran sein könnte.«

Ein Kichern war zu hören. Diese Stimme kam mir sehr bekannt vor; nur woher kannte ich sie noch einmal? Dieser tiefe vibrierende Ton…
 

Mit einem Schlag war ich hellwach.
 

Ich starrte mein Spiegelbild an; entsetzte Augen stierten mich an. Woher hatte der Kerl meine Telefonrufnummer? Ich hatte sie nirgendwo eintragen lassen. Selbst in der Firma hatte ich lediglich meine Mobilfunknummer geben lassen. Und auch nur, weil ich das musste.

»Wohl wahr«, weckte mich seine Stimme, »Ich hole dich um sieben ab, Rotfuchs. Wir müssen zu einer Konferenz.«

Mit den Fingern massierte ich meinen Nasenrücken.

Konferenz, sieben Uhr. War ich nicht gefeuert?

Ich war doch gefeuert! Ich hatte mich darauf verlassen, ich hatte…
 

Ich hatte nichts zum Anziehen!
 

»Ja…«, hörte ich mich sagen und war dabei längst mit meinen Gedanken viel weiter. Meine Bürosachen waren zerknittert. Ich hatte nichts mehr, außer ein paar Jeans und Pullovers, damit konnte ich doch nicht bei keiner Konferenz sitzen. Nicht zu vergessen, dass meine einzigen Stilettos – diese billigen Teile – gestern noch kaputt gegangen waren.

Was mache ich jetzt?’

Fertig mit der Welt, fertig mit allem, ließ ich mich auf mein Bett fallen und starrte meinen Kleiderschrank an.
 

Eine schwarze Jeans lächelte mich an; das würde gehen. Schwarz war immer elegant. Fehlte bloß noch das Oberteil; das würde schwieriger werden. Meine Bluse war ruiniert und ich konnte nur durch den abgetragenen Blazer den Fleck bedecken.

Ich hatte noch einen weißen Rollkragenpullover, der verdammt eng an mir saß.

Besser als gar nichts’, sagte ich mir und hatte beides bereits an.

Ein Blick in den Spiegel verriet zu deutlich, was nicht zu vermeiden war, dieses Outfit, war für den Alltag gut, aber nicht für das Büro.

Ich strich mit meinen Händen über die Oberschenkel, um den Schweiß davon abzubekommen.

Meine rote Mähne stach bei dem weißen Pullover besonders hervor und die Oberweite – von der Gott meinte, ich hätte sie nötig – ließ sich unter dem Pullover nicht verbergen.

Seufzend musste ich mich damit abfinden: Ich hatte nichts anders.

Für einen Moment wog ich ab, meine zerknitterten Sachen anzuziehen, was jedoch eher schlimmer aussah, als das jetzt.
 

Schuhe!

Die hatte ich ganz vergessen. Da gab es bloß Turnschuhe und meine schwarzen Stiefeln. Skeptisch verzog ich den Mund.

Ich konnte wenigstens unter der Jeans verbergen, dass es Stiefeln waren; wenigstens etwas.
 

Genau um Punkt sieben klingelte es an meiner Haustür.

Ich schnappte mir meine Tasche und schloss die Tür ab. Zwar machte ich mir die Mühe, die Kette ins Schloss zu hängen, obwohl ich wusste, das würde niemanden aufhalten, aber so hatte ich es wenigstens versucht, mein weniges Hab und Gut zu retten.

Ich öffnete die Haustür und glotzte direkt auf eine Limousine. Der Chauffeur sprang aus dem Wagen, sobald er mich entdeckte, und öffnete die hintere Wagentür.

»Miss«, forderte er mich auf und ich hielt mich verzweifelt an dem Träger meiner Tasche fest.

Wird schon werden!’, sagte ich mir ständig und kletterte sachte in den Wagen, selbstverständlich – wie sollte es auch anders sein – verhedderten sich meine eigenen Beine miteinander, und ich fiel mit dem Kopf voran in den Wagen.

Ich sah mich schon selber auf dem Boden liegen, während sich alle köstlich über mich amüsierten.
 

Jedoch blieb der Knall aus.

Langsam öffnete ich meine zugekniffenen Augen und fand mich in den Armen eines Mannes wieder. Spielendleicht hatte er mich aufgefangen und hielt seinen Arm weiterhin um meine Taille geschlungen.

»Also auch fester Boden ist tödlich für dich, Pumuckl.«

Reflexartig stierte ich in das Gesicht von Mr. Fürchterlich, der sich köstlich über meine Tollpatschigkeit vergnügte. Ich riss mich los und ließ mich auf einen der Sitze fallen. Die Tür schloss sich und wir fuhren los.
 

Er zog sich seine Krawatte zurecht und musterte mich.

Ja, ja, ich weiß!’, knurrte ich in Gedanken; ich hatte leider nichts anders.

»Interessante Klamottenwahl«, sagte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust. Wenn ich bis eben noch nicht gefeuert war, dann jetzt; sollte mir nur recht sein!

Er beugte sich zu mir vor.

»Man sieht deinen schwarzen Bh durch das Oberteil.«

Er wollte mich ärgern, sagte ich mir, gleichwohl blickte ich eilig an mir runter und musste feststellen: Er hatte recht!

Man(n) sah tatsächlich meinen Bh darunter!

Ich hatte vergessen, dass ich gestern statt dem Weißen den Schwarzen angezogen und bis jetzt nicht gewechselt hatte.

Wie peinlich!
 

Ich fragte mich schon nicht mehr, wieso gerade ich. Langsam war ich zu der Gewissheit gekommen, dass Gott seine Freude an mir hatte, sich an mir auszutoben. Weswegen sonst, verpasste er jemand wie mir die Farbe von Kupfer und dazu noch Sommersprossen.
 

Mr. Mistkerl hing einen Hörer zurück in seine Gabel, welches am Wagen befestigt war und die Verbindung zum Chauffeur zu sein schien, und ließ sich das breite Grinsen, in das ich gerne rein geschlagen hätte, nicht nehmen. Unterdessen schlang ich die Arme um mich, denn er sollte nicht alles von mir sehen!

Das schrie nach einem neuen Spitznamen für ihn, leider fiel mir keiner ein; aber sobald ich wieder klar denken konnte, würde er einen bekommen. Ganz gewiss!

Nun musste ich mir eher Gedanken machen, wie ich mich hinsetzen konnte, ohne gleich alles zu zeigen. Meine Unterwäsche ging nur mich was an und meinen nichtvorhandenen Freund.
 

Die Limousine hielt und die Tür wurde geöffnet.

Mr. Unmöglich stieg zuerst aus, überraschenderweise reichte er mir eine Hand, die ich nicht annahm.

Umständlich, wie es nur ging, stieg ich aus dem Wagen und presste die Arme weiterhin um mich. Ihm würde ich nicht meine Unterwäsche zeigen! Niemals.

Allerdings, wenn ich so darüber nachdachte, hatte er mich darauf aufmerksam gemacht, somit hatte er sie schon gesehen. Seufzend blickte ich auf.

Wir standen mitten auf der 5th Avenue, wo sich ein Modegeschafft nach dem anderen die Hände reihte.

Eine Person vor dem Eingang öffnete uns die Tür. Abschätzten betrachtete der Türsteher in seinem Armanianzug mich. Ehe er einen Ton sagen konnte, stieß Mr. Mistkerl mich ins Geschäft, worauf eine der Verkäuferinnen auf uns zu gedackelt kam. Während sie mich musterte, rümpfte sie ihr kleines hochnäsiges Näschen, und schenkte meinem Arsch an Chef ihr schönstes Lächeln.

»Wir brauchen Sachen für das Büro. Größe 8, oder?«, erwartungsvoll blickte mich Mr. Unmöglich an und ich nickte rasch, »Hosenanzug, sowie Rock und Blazer. Erstellen sie zwei Outfits, und lassen sie mich nicht zu lange warten. Eines soll sie schon tragen.«

Die Verkäuferin nickte und ihre Augen glitzerten vor Geldgier.

Ich war noch nicht einmal in der Lage Widerspruch zu erheben, da zerrte sie mich zu einer der Umkleidekabinen, rief eine weitere Kollegin zu Hilfe, die bereits an meiner Jeans rumfummelte.
 

Innerhalb von fünfzehn Minuten stand ich in einem schicken Damenblazer und einem passendem grauen Rock – der sich perfekt meinen Bewegungen anpasste – vor meinem Chef. Kritisch betrachtete er mich.

»Wunderbar, das nehmen wir.«

Die Verkäuferin hatte nichts anders erwartet, denn der weitere Anzug war bereits, neben meinen alten Klamotten, in einer riesigen Einkaufstasche verschwunden.

Statt die Tüte selbst zu tragen, brachte sie diese mit uns an die Eingangstür und reichte sie dem Chauffeur, der sie in die Limousine packte.

»Fehlen nur noch deine Haare«, kommentierte er mein neues Aussehen, als ich im Wagen saß.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen. An meine Haare würde ich keinen ranlassen. Da würde nichts geschnitten und nichts gefärbt werden!
 

Erneut hielten wir an, vor irgendeinem teuren Frisur, und ich fand mich null Komma nix dort drin.

Abschätzend betrachtete der Frisör meine Haare und ging mit seinen schmierigen Händen hindurch. Ich schlug seine Hand weg. Das war immerhin mein Haar.

»Wir können es färben…«, setzte er in einem französischen Akzent an, welches die amerikanische Sprache sehr verunstaltete. Vermutlich würde genau das Mr. Fürchterlich hervorragend gefallen; vermutlich sollten die Haare auch noch blond werden und dann konnten wir gleich noch Botox spritzen lassen.

»Nur eine Hochsteckfrisur. Kein Färben! Und kein Schneiden!«, unterbrach Mr. ‚Was- Für- Eine- Überraschung’ ihn.

Der Frisör kräuselte seine Lippen, nickt allerdings prompt, als Leonardo knurrte. »Hochsteckfrisur, kommt sofort.«
 

Solange ich auf dem Frisörstuhl saß und Paolo, wie sich Mr. Tunte nannte, sich an meinen Haaren zu schaffen machte, beobachtete ich durch den Spiegel aus meinen Chef. Er saß in der Sitzecke und scherte sich nicht darum, was um ihn herum passierte. Sein Bein lag locker auf dem Oberschenkel des anderen und er schaute desinteressiert aus dem Fenster.

Wahrscheinlich wollte er bloß nicht, dass ich mir die Haare färbte, weil er dann seine schönen Spitznamen nicht mehr benutzen konnte.

Blonde Pest’ passte ja nicht so gut wie ‚rote Pest’.
 

In wenigen Minuten hatte Paolo meine Haare zu einer schlichten, aber dennoch schicken, Hochsteckfrisur geformt. Nun sah ich tatsächlich aus, wie eine dieser Büromädchen, die ich heimlich im Starbucks beobachtet hatte, wie sie zusammen an ihrem Tisch saßen, kicherten und lachten.

Die mussten sich nie Gedanken um Geld oder ähnlichem machen. Wie ich sie doch das eine oder andere Mal darum beneidete. Ich hätte gerne Freundinnen gehabt, mit denen ich in meinen Pausen in ein Cafe ginge oder abends weg. Aber das war ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte.
 

Im Wagen saßen wir still dar.

Ich hatte nichts, womit ich mit ihm reden sollte. Ich wusste nicht, wohin es ging, und ich war vollkommen überfordert mit der Situation.

»Ich würde dir gerne einen Kaffee ausgeben, doch bezweifle ich stark, dass der Blazer sauber bleiben würde.«

Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze. War klar, dass Mr. Mistkerl weitere Scherze über meine linken Hände bringen würde.

»Es wäre sehr hilfreich zu wissen, wohin sie mich schleppen.«

»Wieso? Wir werden eh nur dumm da sitzen, Rotfuchs.«

»Dann hätten sie mich zuhause lassen können. Hätte ihnen ein paar hundert Dollar gespart.«

»Ein paar tausend«, korrigierte er mich und stützte seine Ellenbogen auf seinen Knien ab, »Ein Anzug alleine kostet über tausend Dollar.«

Eingeschüchtert, dass er so viel Geld für mich ausgegeben hatte, wandte ich meinen Blick dem Fenster zu.

Wahrscheinlich sollte ich ihm nach der Konferenz die Sachen wiedergeben. Es hieß schließlich, den guten Schein der Bank zu wahren, in der ich arbeitete, falls ich dort überhaupt noch arbeitete.
 

Der Wagen hielt ein weiteres Mal und die Tür öffnete sich.

Wir standen vor einem riesigen Hochhaus, dessen Wände fast vollständig aus Glas bestanden. Mir tat der leid, der sie putzen musste; vor allem bei der Höhe. Ich bekam schon bei der kleinsten Höhe Angst.

Wir passierten den Haupteingang.

Ein Mann mit einem goldenen Namensschild winkte uns lächelnd zu, was ich erwiderte. Wenigstens eine freundliche Person.
 

Wir fuhren in den zwölften Stock, was ich lediglich mit Mühe überstand, in dem ich mich am Geländer festhielt, weil dieser dumme Aufzug aus Glas bestand. Ich musste bloß nach unten schauen und blickte einige Meter in die Tiefe. Auf der ganzen Fahrt kniff ich meine Augen zusammen und redete mir ein, vor dem Mann niemals die Blöße zu geben. Oder besser gesagt: Nicht noch ein weites Mal.

Einmal reichte vollkommen aus.

Erleichtert atmete ich aus, als die Tür sich zu beiden Seiten öffnete.
 

Wir liefen einen weiteren Gang entlang zu einer Flügeltür. Sobald wir den Raum betreten hatten, lächelte mir ein Mann mit breiten Schultern und beinahe derselben Haarfarbe wie meiner – bei ihm war es eher ein rotbraun – zu.

»Roland Jackson«, stellte er sich unaufgefordert vor und reichte mir seine Hand.

»Amanda Mendes«, antwortete ich lächelnd. Es war schön, mal nicht angeschrieen zu werden.

»Darf ich sie, Amanda nennen«, ich nickte einmal, »Es ist mir eine Ehre die persönliche Sekretärin von Leonardo Andrews kennen zu lernen. Ich hätte immer gewettet, dass es ein alter Feuerspuckender Drache wäre.«

Ich musste mir das Kichern regelrecht verkneifen, besonders als ich Mr. Fürchterlich hinter mir knurren hörte.

»Pumuckl, setzt dich!«

Da ich nicht glaubte, er würde im Beisein eines anderen Mannes handgreiflich werden, ignorierte ich seine Aufforderung gekonnt, und widmete mich dem Mann mit den schönen grünen Augen zu.

»Immer noch so nett wie eh und je, nicht Leo?«

»Schnauze!«

»Wie ich sehe, werden schon Nettigkeiten ausgetauscht«, begrüßte ein hoch gewachsener Mann die Runde. Einen Arm hatte er lässig um die Hüfte einer wunderschönen Frau geschlungen. Sofort erkannte ich sie als das Paar, welches ich auf dem Foto gesehen hatte. Diese beiden waren Mr. und Mrs. Smith.

Die Frau lächelte mich an und ich konnte nur scheu erwidern. Heimlich beneidete ich sie, um ihre normale Haarfarbe und dem Sommersprossen freiem Gesicht.

»Emilia Smith. Nenne mich ruhig Emilia. Wenn Leo dich mitschleppt, werden wir uns öfters sehen.« Sie reichte mir eine Hand, die ich zögernd ergriff.
 

Nachdem ich allen vorgestellt wurde, was mir äußerst peinlich war, da mich jeder herzlich aufnahm – sie wussten leider nicht, dass ich bald gefeuert werden würde –, widmeten sie sich den Akten und dem eigentlichem Grund, weswegen sie sich trafen.

Ich hatte immer noch keine Ahnung von dem und hielt mich äußerst bedeckt. Sollte mir auch nur einer von ihnen etwas fragen, so würde er oder sie deutlich die Fragezeichen über meinem Kopf sehen.
 

Nach und nach reimte ich mir soweit alles zusammen, dass wir dieser Firma, ein Bauunternehmen, Geld gesponsert hatten. Irgendwelche Wohnungen für Frauen, die in New York sicher wohnen wollten.

Ich lächelte und spielte mit meinen Händen unter dem Tisch.

Die erste Regel lautete in meinem Fall, keine ruckartigen Bewegungen machen, weil das meistens in einer Katastrophe endete. Bei Kaffee sagte ich nein, beim Essen sagte ich nein. Alles potenzielle Gegner, die meine linken Hände verführten Dummheiten zu begehen.

»Amanda, was meinst du?«

Erschrocken zuckte ich zusammen und glotzte in das Gesicht von Emilia.

»Ähm…«, stammelte ich. Ich hatte gar nicht zu gehört. Verdammt!

»Du hältst es doch auch für eine gute Idee, wenn wir eine Bundesweite Werbekampagne starten würden? Die Herren meinen, es reiche nur die wichtigen Städte abzuklappern. Aber so bekommen Kleinstädte es nicht mit…«

»Leute in Kleinstädten bekommen eh nichts mit«, rutschte es mir raus, worauf ich mir auf die Lippe biss, und es soweit korrigierte: »Ich meine, wer in einer Kleinstadt lebt, ist meistens von allem abgeschnitten. Selbst Internet gibt es nur an zentralen Punkten…«

»Scheint, als kennst du dich sehr gut aus«, antwortete Emilia mit einem Lächeln und ich wich ihrem Blick aus. Natürlich kannte ich mich sehr gut aus, denn ich kam aus einer kleinen Stadt.

Mit lediglich vier Läden, einer kleinen Schule, die gerade aus hundert Schülern bestand; in dem jeder jeden kannte.

Die Großstadt war immer ein Traum von mir gewesen…

Ich erinnerte mich noch sehr gut an meinen ersten Tag in New York: Ich wurde völlig überrumpelt von all dem und starrte dennoch glücklich gen den Himmel, während ich von Geräuschen überfallen wurden. Von überall hörte ich Autos, Stimmen; diese Stadt schlief niemals.
 

»Ich würde mich hauptsächlich auf Kleinstädte beziehen«, fasste ich meinen ganzen Mut zusammen, »Leute aus Kleinstädten fühlen sich überfordert, wenn sie in eine riesige Stadt kommen, und so hätten sie eine Anlaufstelle…«

»Wunderbar. Damit ist es beschlossen«, unterbrach Emilia mich und grinste ihren Mann keck an. Wie ich sie um ihren Mann beneidete. Ich hatte niemanden…

»Du hast sie bewusst mitgeschleppt, damit sie für dich mehr einbringt«, zischte Alessandro, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen. Mr. Fürchterlich zuckte mit den Schultern.

»Rotfuchs ist nur dabei, weil mein Alter das verlangt.«

»Rotfuchs?«, wiederholt Emilia und hob fraglich ihre Augenbrauen, gefolgt von einem finsteren Blick.

»Ich denke, damit ist es für uns geklärt und ihr macht den Rest unter euch aus. Das Geld sollte kein Problem sein, solange der Anteil an den Häusern bei uns bleibt.«

Mr. Unmöglich hatte sich bereits von seinem Platz erhoben, was ich ihm gleich tat, denn wie vermutet, wartete er nicht auf mich, und verließ das Büro. Ich huschte ihm nach, als mein Name mich stoppen ließ.

Emilia lächelte mich an und meinte mit ruhiger Stimme: »Lass dich nicht von ihm ärgern. Männer hassen es leider zu verlieren.«

Ich schenkte dem weiter keine Beachtung und klackerte mit meinen Stilettos über den Boden zu den Aufzügen.

Eben noch erblickte ich Mr. Fürchterlich in einem davon zischen. Der Mistkerl wartete nicht einmal.
 

Nun musste ich alleine in diesem Glaskasten fahren. Geneigt die Stufen zu nehmen, entschied ich mich, trotz aufkeimender Panik, dagegen, da Mr. Mistkerl sicher nicht in seiner Limousine auf mich warten würde, falls er überhaupt wartete.

Ich stieg in den Aufzug ein. Die Kabine war zum Glück leer, dass keiner meine Angst zu sehen bekam. Meine Hände klammerten sich fest um das Geländer.

Ich durfte bloß nicht nach unten Schauen; nur nicht nach unten…

In wenigen Minuten würde es vorbei sein.

Hingegen ließ sich das leider leichter sagen, als es nicht zu tun. Mein Blick streifte den glasigen Boden und ich sah, wie tief bergab es ging.

Einen Sturz aus dieser Höhe, würde das wehtun, würde ich den Aufprall noch spüren? Würde ich meine Knochen brechen hören?
 

Meine Atmung ging schneller und mein Herz passte sich spielendleicht dem an.

Meine Hände klammerten sich noch fester um das Geländer, dass an den Knöcheln meine Haut sich weiß färbte.

»Das packst du…«, redete ich mir verzweifelt ein. Meine Knie zitterten und ich sackte schließlich weg. Stur war mein Blick auf den Boden gerichtet. Ich konnte nicht mehr wegschauen. Es hielt mich gefangen, als zwänge mich jemand, in die Tiefe zu schauen. Es war so unheimlich tief.

Ich drückte meine Hände an die Ohren und sah mich da unten aufschlagen.

Fest presste ich meine Lippen aufeinander und unterdrückte den Gedanken zu Schreien.

Wieso kam dieses dumme Ding einfach nicht an?

Plötzlich ruckelte es. Mein Herz blieb stehen.
 

Die Aufzugstüren öffneten sich und ich stürmte, ohne zu wissen auf welcher Etage ich war, hinaus.

Ich kroch zu einer nicht weit gelegenen Sitzecke und ließ mich auf einen Sessel fallen.

Dort zog ich die Beine an mich und versuchte verzweifelt das Zittern zu unterdrücken.

Ich lebte noch. Ich lebte noch!

Pausenlos wiederholte ich diesen einen Satz.

Ich war noch am Leben.
 

Erst sehr spät bemerkte ich die Hand um meine Hüfte, und dass ich nicht mehr auf dem Stuhl sondern auf etwas weicherem saß.

Jedoch war ich nicht in der Lage, jemanden jetzt anzusehen, so verharrte ich und starrte weiterhin auf den Boden.

Es war mir gleich, ob sie sanft mit ihrem Daumen über meine Wange strich oder ihr Gesicht in meine Haare vergrub. Ich wollte nur das Bild aus meinem Kopf bekommen, wie ich unten auf dem Pflaster aufschlug.
 


 

_____________________________________________________
 

Ich bedanke mich erst einmal für die treu gebliebenen Leser.

Indirekt spornt ihr mich an, zu schreiben. Wer weiß, wann ich eine Fortsetzung geschrieben hätte, wenn nicht die große Frage gewesen wäre: "Was ist aus Leo geworden?"
 

Auch entschuldige ich mich für meine Rechtschreibung. Das war nie meine Stärke. Vielleicht habe ich irgendwann mal professionelle Lektoren, die ich damit dann ärgern dürfen. XD

Aber solange die Geschichte spannend bleibt, verzeiht man mir hoffentlich die Fehler.
 

Eure

Jess
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

Vielleicht doch nicht so schlecht? Aber nur vielleicht!

Nur sehr langsam beruhigte sich mein Herz und schlug im selben Augenblick schneller, als meine Hand auf einer männlichen Brust lag. Die Hand auf meiner Hüfte strich sanft auf und ab, und ich fragte mich, ob sie das schon die ganze Zeit getan hatte.

Nach und nach kehrte ich zu einem normalen Zustand zurück, der es mir erlaubte, nachzusehen, wer es wagte, mich so frech auf sich zu ziehen.

Allerdings nagte neben der Neugier, wer mich penetrant in seinen Armen hielt, eine weitere Empfindung, nämlich Panik!

Denn wie ich mein Glück kannte, war das ein perverser alter Sack. Die Hoffnung, vielleicht von einem netten – und auch noch gut aussehenden – Mann umsorgt zu werden, starb an dem wirklichen Leben…

Langsam hob ich meinen Kopf.
 

Zwei goldene Augen fixierten mich und seine Stirn lag in Falten.

Schlagartig sprang ich auf, verhedderte mich mit den Beinen und knallte lautstark zu Boden.

Einerseits war ich glücklich, über die Tatsache, dass es kein fetter alter Sack war, anderseits war der Gedanke, dass ausgerechnet ER es war, der mir Trost spendete, eine ausgesprochene erschreckende Vorstellung.

Gerade er sollte mich niemals so sehen; niemals!

Niemals sollte er meine Schwäche kenne.

Ich war all die Jahre sehr gut alleine damit zurecht gekommen. Es war mein kleines Geheimnis. Wieso jetzt er?
 

Stillschweigend reichte er mir seine Hand. Als ob ich auf diesen Trick reinfallen würde. Ich rappelte mich ohne seine Hilfe auf; zwar zitterten die Knie noch leicht, doch nichts, was sich nicht bewerkstelligen ließe.

Mein Blick fiel auf die Anzeige des Aufzugs, ich war im vierten Stock ausgestiegen.

Wieso hatte der Kerl sich die Mühe gemacht, nach mir zu suchen? Wieso? Warum, wo er mich dauernd mit diesen Namen strafte. Warum?

Aber ich würde niemals fragen, denn die Antwort, das wusste ich hundertprozentig, war verletzend, und das würde ich nicht ertragen. Nicht jetzt…
 

»Wir sollten endlich losfahren, Pumuckl. Ich hab Hunger«, weckte er mich aus den Gedanken und lief auf die Aufzüge zu.

Weil ich diese Horrorfahrt nicht wiederholen wollte, suchte ich die Treppe auf. Der Notausstieg war nicht weit, und vom vierten Stock konnte ich getrost die Stufen nehmen.

Ich machte mir nicht die Mühe, ihn darauf aufmerksam zu machen, sondern marschierte schnurstracks zum Treppenhaus, und war bereits die ersten Stufen gegangen, als ich hinter mir die Tür hörte.

»Kann es sein, dass du Höhenangst hast, Rotfuchs?«

Ich antwortete nicht. Seinem Feind noch zu bestätigen, dass er Recht hatte, womit er sich zusätzlich – zu den hässlichen Spitznamen – daran weiden konnte; nein danke!

Ohne ein Wort von mir zu geben, lief ich weiter die Stufen runter.

»Du hast also Höhenangst.«

Ich blieb stehen.

»Nein!«, antwortete ich mit schneidender Stimme, »Es ist nur gesündern und billiger als ein Fitnessstudio!«

Er nickte verständnisvoll, dennoch sah ich sein Lächeln, was meine Aussage als Lüge betitelte. Er belächelte mich! Ich ballte meine Hände zu Fäusten.

»Nicht alle haben das Geld, solche Studios zu besuchen«, platzte es aus mir heraus und ich nahm den Weg weiter auf.

»Jetzt hast du die Möglichkeit. Wobei ein Selbstverteidigungskurz besser wäre, bei deiner Wohnlage.«

»Da gibt es nichts auszurichten!«, wollte ich das Gespräch beenden. Für einen flüchtigen Moment glaubte ich auch, dass er nicht weiter bohren würde, jedoch ließ er lediglich diesen Moment verstreichen, um mich glauben zu lassen, er würde mich in Ruhe lassen.

»Du kommst aus einer Kleinstadt, oder Pumuckl?«

»Nein!«, log ich.

Abermals nickte er und schenkte meiner Antwort keine Beachtung. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und lief einen Schritt schneller.
 

»Sobald ich meine Sachen wieder habe, bekommen sie diese wieder.«

»Sie gehören dir, Rotfuchs«, antwortete er und öffnete mir mit einem charmanten Lächeln die Tür zur Tiefgarage. Ich traute diesem Lächeln nicht, außerdem würde ich in seiner Schuld stehen, wenn ich sie behielte. Ich hatte keine tausende von Dollar, um das zu bezahlen.

»Danke, ich brauch das nicht«, flunkerte ich und war überrascht, dass mir noch keine lange Nase gewachsen war. Die Limousine wartete längst auf uns und der Chauffeur öffnete uns die Tür, sobald er uns sah.

»Ein Selbstverteidigungskurz wäre nicht schlecht…«

Ich schenkte ihm einen bösen Blick, dass er endlich mit dem Mist aufhören sollte. Niemand würde jemals bei mir einbrechen wollen. Es gab nichts zu holen. Die wenigen Wertsachen, die ich besaß, hatte ich stets dabei.
 

Da Mr. Unmöglich es nicht wirklich vorzog zu arbeiten, hatte ich so gut wie kaum etwas zu tun.

Allem und jedem zeigte er die kalte Schulter, nur bei den Akten von der Firma Smith schien er sich zu bemühen, dass alles reibungslos lief.

Weswegen er sich so begierig darum kümmerte, interessierte mich zwar, allerdings würde ich ihn nie danach fragen. Für heute hatte er genug von mir gesehen. Es war mir immer noch peinlich, dass jemand meine Höhenangst mitbekommen hatte. Selbst meinen Eltern hatte ich stets vorgespielt, dass es nichts weiter war als eine Lappalie, eine einfache Kleinigkeit…

Er war der Erste, der mich derartig erlebt hatte, und das verletzte meinen Stolz.

Ich war wütend auf ihn, wütend auf mich und gleichzeitig fühlte ich mich einsam. Wie oft wünschte ich mir in den Stunden, wo die Angst mich übermannte, dass jemand kommen und mich eiskalt an sich ziehen würde. Jemand der mich beschützte und auffinge.

Doch fand sich in meinen vierundzwanzig Jahren niemanden, der diesen Posten übernehmen konnte. Nicht einer…
 

Nachdem ich in Null Komma nichts alles erledigt hatte, saß ich vor meinem Computer, mit einer Tasse Kaffee von Starbucks – ich liebte das Zeug einfach – und spielte Solitär.

Seit über einer halben Stunde folgten keine Spitznamen wie ‚rostiges Ding kopier mal’ oder ‚rote Pest, komm mal her, aber reiß nicht alles um.’ Und ich musste gestehen, daran konnte man sich echt gewöhnen, wenn es doch bloß immer so sein konnte.

Allerdings fragte ich mich schon, was aus den Unterlagen geworden war, die ich kopiert hatte. Erstaunlicherweise befanden sich in den Ordner die Originale ohne Kaffeeflecken.

Weil ich eben perfekt kopieren konnte, konnte ich auch fix Fälschungen erkennen; aber das waren alles Originale. Rausgeworfen wurde ich auch nicht. Schon merkwürdig.

Aber das bedeutete: Ich würde Ende dieser Woche Geld haben. Vor mich hinlächelnd beendete ich den Spielzug und malte mir aus, was ich mir als Erstes damit kaufte.

Ganz oben stand Essen, allem voran leckeren Nachtisch. Ich hatte schon so lange nichts Süßes mehr gegessen. Schokolade! Himmlisch!
 

Die Flügeltür zu unserem Büro ging auf und eine vollbusige Blondine betrat das Zimmer. Ich linste über meine Tasse hinweg und machte mir nicht die Mühe, sie zu fragen, wer sie war oder was sie wollte.

Zielstrebig lief sie auf Mr. Mistkerls Schreibtisch zu und tänzelte seltsam beim Gehen.

»Leo…«, säuselte sie und Mr. Unmöglich hob seinen Kopf. Für einen flüchtigen Moment glaubte ich, seine Augen wanderten durch die Barbie hindurch direkt zu mir. Doch was gingen mich seine Affären an, und widmete mich meinem heiß ersehnten Kaffee. Der Duft war köstlich.

»…Hast du mich vergessen?«

Ihre Finger glitten über den Schreibtisch, weiter über seine Schulter zu seiner Brust.

Flittchen!’

Vermutlich glaubte sie, sie wäre mit ihm alleine, denn Sekunden später saß sie auf seinem Schoss und begann damit seinen Hals zu küssen.

Die werde es doch wohl nicht hier, vor meinen Augen, im Büro treiben?’, rief ich entsetzt im Geiste aus.

Das war einer der Dinge, die ich niemals sehen wollte! Die Vorstellung alleine war schon ekelhaft. Dieser Horrorfilm wäre für keine Altersklasse freigegeben.

»Du störst«, zischte Mr. Macho lediglich und wich mit dem Gesicht ihrem Kuss aus.

»Aber Leo… Seit wann so abweisend. Ein Quicky schadet niemanden.«

Gott, ist diese Barbie hartnäckig!’

Ihre Lippen waren viel zu auf geduzten und der Busen war bestimmt nicht mehr echt.

Das musst ich mir nicht ansehen!’

Ein Mann meinte zwar, dass er keine Lust hätte, aber am Ende gewannen doch die Triebe! Das war immer so und wird auch immer so bleiben.

Männer sind Schweine!’

Klamm und heimlich packte ich meine Sachen zusammen und erhob mich lautlos vom Stuhl. Sollten sie ihr Nummerchen ohne mich schieben.

»Wo willst du hin, Rotfuchs?«, die Frau blickte erschocken in meine Richtung, »Du hast noch Arbeit.«

»Diese kann ich auch nach eurem Quicky machen«, sagte ich einem Ton zu freundlich, dass der Sarkasmus einen förmlich ansprang, und verließ das Zimmer.
 

Geiler Bock!’, knurrte ich in Gedanken und machte mich auf zur Treppe.
 

Lächelnd schaute Leonardo zur Tür.

»Die hätte unbedingt mal Sex nötig«, fauchte die Frau und widmete sich weiter Leonardo. Sie setzte ihre Lippen gerade an seinem Hals an, als seine Hand sie stoppte, und er sie mit einer flinken Bewegung von seinem Schoss beförderte.

»Ich sagte: Jetzt nicht.«

»Und wann? Ich habe keine Lust ewiglich zu warten. So unwiderstehlich bist du auch nicht.«

Perplex über ihre eigenen Worte, biss die Frau sich auf die Unterlippe.

»Ich weiß, dass du bloß mit mir schläfst, weil du dir einen besseren Posten erhoffst. Daher macht es so einen Spaß, dass du dich derartig ins Zeug legst. Aber du langweilst mich.«

»Dann geh doch zu deinem ‚Rotfuchs’«, antwortete sie gekränkt und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Leonardo knurrte, worauf sie einige Schritte vom Schreibtisch zurückwich: »Unterstehe dich sie noch einmal so zu nennen.«

»Man könnte fast meinen, du siehst sie als deinen Besitz an!«, lachte die Frau und versuchte es noch einmal, sich bei ihm einzuschleimen. Sie strich mit ihrem Finger über seine Brust, weiter zu seinem Hals, doch die Wolfsaugen funkelten sie bösartig an, dass sie ihre Hand zurückzog.

»Sie gehört mir auch.«

Langsam begriff die Frau, sie würde bei diesem Mann nicht mehr landen können. Hochnäsig straffte sie ihren Rücken und ging elegant zur Flügeltür. Sollte er sehen, was er nicht mehr bekam. Allerdings blieb die erwünschte Hoffnung aus, dass er um sie betteln würde, sondern er saß mit einem Grinsen auf dem Gesicht weiterhin auf seinem Sessel.

Schmollend drehte sie ihm den Rücken zu und verließ lautstark das Büro, indem sie die Tür zuknallte.
 

Auf einem der eingesessenen Sessel von Starbucks hatte ich es mir bequem gemacht. Es war ein Vorteil, dass die Bank direkt in der Nähe von einer Filiale war. Vorteilhaft für meine Sucht, schlecht für mein Portemonnaie.

Aufmerksam beobachtete ich die Gäste, wie sie ihren Kaffee holten und schnell in den nächsten Bus verschwanden, oder es sich – so wie ich – bequem machten, nur mit dem Unterschied, dass ich alleine war.

Jeder hatte eine Begleitung, eine Freundin oder den Freund, der mit einem zusammen hier saß.

Meine Freunde waren alle in meinem Dorf, weit weg. Sie würden nie freiwillig in eine Großstadt gehen, wenn es nicht wirklich sein musste.

Ich dagegen wollte nicht in einer kleinen Stadt versauern. Ein Gefühl, in mir, trieb mich immer voran, weit in die Ferne zu reisen und etwas von der Welt zu sehen.

Nun saß ich hier, während mein unausstehlicher Chef einen Quicky mit einer Barbie hatte. Ich erschauderte.
 

»So kalt der Shake, Pumuckl?«
 

Ich blickte rauf und nussbraune Augen sahen zu mir runter. Er ging um den Sessel und ließ sich in den anderen fallen.

Ich hatte ihn gar nicht in das Lokal kommen sehen, und noch viel schlimmer war, dass mir nicht aufgefallen war, wie er sich einen Kaffee bestellt hatte, dennoch hatte er eine Tasse in der Hand und schlürfte daraus.

»Kurzer Quicky.«

Er belächelte mich, sah sich jedoch nicht genötigt darauf zu antworten.
 

»Du hast noch Arbeit, Rotfuchs.«

Langsam bekam ich den Verdacht, dass er es richtig genoss, einen dieser Kosenamen zu nennen. Zu jeder erdenklichen Gelegenheit benutzte er sie.

Vielleicht sollte ich mal damit anfangen, ihn dauernd mit irgendwelchen scheußlichen Kosenamen zu rufen; hingegen fiel mir nicht einer ein, womit ich ihn ärgern könnte.

Egal, wie lange ich ihn ansah, fand ich meinen Makel, womit ich ihn aufziehen konnte. Er war weder dick, noch hatte er eine Hakennase oder ein seltsames Kinn…

Das war nicht fair.

»Die ist in fünf Minuten erledigt. Durch sie habe ich nicht viel Arbeit.«

»Nicht? Lässt sich ändern, Pumuckl.«

»Lassen sie das!«, schnauzte ich. Was zu viel war, war einfach zuviel.

»Womit, Rotfuchs?«

»Damit! Dauernd nennen sie mich ‚Pumuckl’ oder ‚Rotfuchs’. Ich habe einen Namen!«

»Wie sie meinen, Amanda

Ich wollte gerade trinken, als ich abrupt stoppte. Er betonte bewusst meinen Namen so verführerisch, so tief, dass es in mir vibrierte. Das machte er absichtlich, damit ich von mir aus anbot, mich wieder beleidigen zu lassen. Niemals!
 

Damit war mir die Lust an meinem Getränk vergangen.

Ich stellte es lieblos auf den Tisch, sprang von meinem Sessel auf und plumpste zurück, weil ich zuviel Schwung nahm.

Mr. Unmöglich versteckte sein Grinsen hinter der Tasse, worauf ich aus dem Lokal flüchtete.

Wenn er wollte, dass ich arbeitete, dann würde ich das tun!

In wenigen Minuten saß ich in seinem Büro, erledigte die Arbeit und musste mich erneut langweilen, weil ich alles erledigt hatte.
 

Seelenruhig kam er mit einem Pappbecher ins Büro und lachte frech, was mich erinnerte, dass ich, wegen ihm, meinen heiß geliebten Kaffee stehen gelassen hatte.

»Wie ich sehe, hattest du tatsächlich Recht, Amanda. Es ist eine Arbeit von fünf Minuten.«

Ich knirschte mit den Zähnen.

»Dann hast du ja jetzt Zeit.«

Was kommt jetzt?’

Ich rollte mit den Augen und folgte ihm dennoch zurück auf den Flur, in die Tiefgarage, wo wir vor einem schwarzen Ferrari hielten.

Wie sollte es auch anderes sein. So ein Mann fuhr einfach ein derartiges Auto, weil nichts anders ihm Komplexe bereiten würde.

»Steig ein, Amanda.«

»Okay, ich hab’s verstanden! Dann lieber ‚Rotfuchs’!«, gab ich kleinlaut nach. Lieber diese Spitznamen, als pausenlos meinen Namen aus seinem Mund zu hören. Das war fürchterlich, denn es machte mich verrückt.
 

Er manövrierte den Wagen auf die Straße und hielt einige Blocks weiter auf einem kleinen Parkplatz. Aus seinem Kofferraum holte er eine schwarze Sporttasche und dazu eine Rote, die etwas kleiner als seine war, und drückte sie mir in die Hand.

Fragend folgte ich ihm treudoof wie ein Dackel.

Was hat er vor?’

Wir liefen in eine kleine Gasse und da leuchtete mir schon ein Neonschild mit der Aufschrift „Gym“ entgegen.

»Müssten wir nicht arbeiten?«, fauchte ich.

»Nicht am Dienstag.«

Er betrat das Fitnessstudio und die Frau an der Rezeption lächelte ihn sehnsüchtig an: »Leo, hier dein Schlüssel!«

Sie warf ihm fix einen Schlüssel zu. Anstatt gleich zu verschwinden, beugte er sich zu ihr rüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sich schlagartig ihre Wangen rötlich färbten und sie wie ein kleines Mädchen kicherte.

Die auch noch…’, war mein einziger Kommentar.

Zu meiner Überraschung reichte die Frau mir einen Schlüssel und zeigte in eine Richtung, während sie erklärte: »Die Frauenumkleide.«

Ich betrachtete den Schlüssel.

Leonardo war bereits in der Umkleide der Herren verschwunden und so schulterte ich die Sporttasche und suchte die Umkleide für Damen auf.
 

Skeptisch schmiss ich die Tasche auf die Bank und öffnete den Reisverschluss: Turnschuhe, Sporthose und ein Oberteil, neben Shampoo, Handtücher und alles, was ich nach dem Sport brauchen würde.

Ich soll mich doch jetzt nicht umziehen?’

Allerdings wüsste ich sonst nicht, wofür er mir die Sporttasche in die Hand gedrückt hatte. Vielleicht käme gleich eine weitere Barbie in die Umkleide und wollte die Tasche haben?

Weil nach etlichen Minuten immer noch nichts dergleichen passierte, zog ich mich um und verstaute meine Sachen, sowie die Tasche, in dem Schließfach. Den Schlüssel befestigte ich an meiner Sporthose.

Erstaunlicherweise passten die Klamotten perfekt.

Wann hat er die nur gekauft?’, fragte ich mich und konnte mich nicht erinnern, dass er auf unser Tour durch die Stadt an einem Modegeschäft mit Sportsachen gehalten hatte.
 

Schade bloß um die Hochsteckfrisur, die ich nun lösen musste, um meine Haare zu einem Zopf zusammenzubinden.

Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel und ging mit meinen Händen über die Sommersprossen an den Armen. Diese blöden Dinger waren wirklich überall.
 

Seufzend verließ ich die Umkleide und entdeckte Mr. Unmöglich mit einer weiteren Frau. Dieser Mann schnappte sich wirklich alles, was er bekommen konnte.

Geneigt wieder in der Umkleide zu verschwinden, drehte er sich zu mir um, als konnte er mich riechen.

»Rotfuchs!«

Ich knirschte mit den Zähnen und roch anschließend an meinen Klamotten. Vielleicht war da irgendein Duftstoff daran, dass er mich sofort wahrnahm, oder einen Peilsender, der piepte, sobald ich in der Nähe war.
 

Ich schlich durch den Flur und erhaschte einen Blick durch die Fenster, die zu einem Fitnessraum mit Geräten führten. Fahrräder standen an einem Fenster. Während man sich abstrampelte, durfte man die Straße betrachten.

Irgendwie bescheiden, wenn man doch nicht vorankam.

»Hat ja lange gedauert.«

Ich ignorierte ihn, um ihn nicht anzusehen, denn zu meinem Bedauern stand ihm das Sportoutfit wirklich ausgezeichnet. Wäre er nicht so ein Eckel würde ich glatt behaupten, ich finde diesen Mann anziehen. Aber auch nur fast…
 

Schweigend folgte ich ihm zu einem der Kursräume, wo bereits etliche Leute auf den Trainer warteten. Ich blieb weit hinten.

Sport war eines der schlimmsten Dinge in meinem Leben. Wenn ich nun dämliche Übungen machen musste, war ich eine Gefahr für jeden Teilnehmer.

Mr. Mistkerl freute sich dafür prächtig. Jeden begrüßte er und klopfte dem einen oder anderen Mann auf die Schulter und den Frauen schenkte er, neben seinem verführerischen Lächeln – was vermutlich bei jeder wirkte –, eine Umarmung.

Zu meiner Verwunderung stellte er sich vorne, direkt vor den Spiegel auf.

Natürlich wollte er auch in diesem Bereich ganz vorne stehen. Wie sollte es auch anders sein?
 

Mr. Ich- bin- ja- so- viel- besser- als- du klatschte in die Hände und alle stellten sich überraschenderweise auf.

Irritiert betrachtete ich das Spektakel, als er mir einen Platz neben einer Frau zeigte. Zögernd stellte ich mich dorthin und lächelte verlegend.

Ich werde sie alle umbringen…’, stöhnte ich in Gedanken, ‚Eigentlich wäre es ein Unfall, dafür kommt man doch nicht in den Knast, oder doch?’

Die Klänge von Musik ließen mich Hochschauen. Bitter reimte ich mir eins und eins zusammen und konnte nur mit meinem Kopf schütteln; das meinte er nicht ernst!

Heimlich rutschte ich immer weiter zur Wand; bloß weg.

Ich will nicht in den Knast!’

Er gab eine Anweisung und sofort machten alle die Bewegung nach, die er vorgab.

Wieso, verdammt noch mal, ist er ein Trainer in einem Fitnessstudio?’

Er hatte doch schon einen Job. Das war gemein! Ich dagegen musste bangen, morgen wieder auf der Straße zu sein, und er hatte gleich zwei Stück.

Ich rutschte noch weiter zur Wand. Vielleicht kam ich unauffällig zur Tür und konnte flüchten.
 

Die Realität sah leider anders aus.

Mr. Fürchterlich zog mich zurück auf den Platz und verlange von mir seine Schritte zu wiederholen. Allen anderen fiel es so leicht. Das schaffte ich nie.

Ich funkelte ihn wütend an, was ihm eher ein Lächeln auf den Lippen bescherte. Zusätzlich meinte noch ein eifriger Schüler mir helfen zu müssen und mischte sich mit schlechten Ratschlägen und Aufmunterungen ein.

Es ist nicht meine Schuld, wenn sie alle sterben!’, sagte ich mir und atmete tief durch, dann rief ich mir die Schritte in Erinnerung. Das Merken von Bewegungen war nie mein Problem, mein Problem war eher das Umsetzen.

Bitte Gott, wenn es dich gibt, lass mich niemanden töten.’

Die Musik setzte erneut an und ich streckte zuerst zaghaft meine Arme aus. Noch war keiner zu Schaden gekommen; jetzt hieß es die Beine dazu bewegen.

Ich will nicht!’

Allerdings gab es kein Entkommen und so begann ich nach und nach die Schritte abzutanzen.

Mein Herz schlug mir bis in die Ohren und ich musste mich zwingen meine Augen offnen zu halten, um nicht in jemanden rein zu laufen.

Gut, bis jetzt ist nichts passiert. Nun werden die Beats schneller…’

Ich schluckte den Klos runter und drehte mich. Innerlich jubelte ich, als ich nicht zu Boden ging und niemanden umwarf. Erstaunlicherweise machte es sogar nach der Hälfte Spaß, dass mir ein flüchtiges Lächeln über die Lippen kam.

Ich blendete alles um mich herum aus und dachte nur noch an den nächsten Schritt, den Nächsten und den Nächsten…
 

Vollkommen außer Atem stoppte ich in der letzten Pose.

Ich hatte es geschafft, eine Stunde Sport zu treiben ohne einen Menschen umzubringen, oder noch viel wichtiger, ohne über meine eigenen Füße zu stolpern.

Mr. Mistkerl schaltete die Musik und verabschiedete sich von allen.

Ich hatte es geschafft!

Ich lebte noch, löste mich aus der Pose und meine Beine verhedderten sich prompt. Mit einem lauten Knall lag ich auf dem Boden und gaffte zur Decke. Sofort stürmten die Teilnehmer in meiner Nähe zu mir und halfen mir auf.

»Hast du dir was getan?«, fragte der Übereifrige. Ich schüttelte den Kopf. Er wollte mir seine Hand reichen, als Leonardo ihm zuvorkam und mich einfach ohne Mühe hochzog.

»Anscheinend stellst du dich beim Tanzen nicht so ungeschickt an, Rotfuchs.«

Ich sagte dazu nichts; ich wollte lediglich duschen, denn meine Klamotten klebten an mir, und der Schweiß begann langsam zu stinken. Gleichwohl musste ich mir eingestehen, dass männlicher Schweiß schon verführerisch roch.

Diese Erkenntnis durch den Geruch meines Chefs zu bekommen, der ein Vollidiot war, war ein Schock. Fix riss ich mich los.

»Nichts passiert!«, zischte ich. Er grinste frech.
 

Inzwischen waren alle von den Kursteilnehmern aus dem Raum verschwunden.

»Du bist Trainier?«, stellte ich die dümmste Frage, auf die ich längst eine Antwort hatte. Er zuckte mit den Schultern.

»Wieso?«

Leonardo schmiss eine Matte auf einen Stapel, auf dem noch weitere von diesen dünnen Matten lagen.

»Wieso nicht?«

»Du arbeitest doch schon…«

Ich half ihm unbewusst beim Wegräumen der Matten.

»Ein Hobby«, antwortete er, »Ein Ausgleich zum Stress.«

»Welcher Stress?«, murmelte ich vor mir hin und erntete einen bitterbösen Blick. Er schmiss die Matte, die ich mit festhielt, auf den Haufen und beförderte mich gleichsam mit darauf.

Krachend lag ich am Boden und schnappte nach Luft.

Zweifelnd hockte er sich zu mir runter und musterte mich einschätzend.

»Wie hast du nur all die Jahre überlebt?«

»Das hat mich mein Bruder auch immer gefragt«, säuselte ich vor mir hin, daran erinnert, wie mein Bruder sich ebenfalls immer zu mir hinhockte, wenn ich wieder zu Boden gefallen war. Dann hatte er sets meinen Kopf getätschelt und in einem witzigen Ton gesagt: ‚Gut, dass es mich gibt.’

Vielleicht hätte ich doch dort bleiben sollen, bei meinem Bruder, bei meiner Familie und bei…

Ich riss meine Augen auf und starrte in goldene Augen, die mich eingehend studierten.
 

Sofort erhob ich mich, klopfte mir den Dreck von den Händen und suchte die Umkleide auf.

Niemals mehr wollte ich auch nur einen Gedanken daran verschwenden, was der eigentliche Auslöser war, um nach New York zuziehen. Niemals mehr!
 

_____________________________________________________
 

Einen schönen Nikolaus
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

Der Wolf erwacht…

Mit großer Anstrengung unterdrückte er das Pfeifen, als sie durch die Tür verschwand. Das Tier in ihm wäre liebend gern aufgesprungen und ihr nach gejagt, wäre da nicht dieser Blick gewesen.

Dieser Blick, den er nur von Frauen kannte, die tief verletzt worden waren.

Irgendetwas ging in seinem Rotfuchs vor und er würde dem nachgehen.

In dem Moment, wo sie sein Büro betrat und für ihn arbeiten sollte, gehörte sie ihm. Niemand anderes hatte mehr ein Recht auf sie!

Andere Männer, sollte es welche in ihrem Leben geben, hatten das Recht auf sie verwehrt. Sie war sein Besitz. Alleine die Vorstellung, dass ein anderer Mann sie berührt hatte, ließ ihn seine Hände zu Fäusten ballen. Er zischte durch die Zähne, löste sich aus seiner Pose und klopfte sich den Dreck von den Händen.

Was er jetzt vor allem brauchte, war eine kalte Dusche.
 

Er schnappte sich seine Trinkflasche, putzte sich an dem schweißgetränkten Handtuch seinen Nacken ab und suchte die Umkleide auf.

Die sexy Frau von der Rezeption passte ihn ab. Mit einem erwartungsvollen Lächeln begrüßte sie ihn. »Wie immer waren sie begeistert von dir.«

Leonardo sah sich nicht genötigt zu antworten und zuckte lediglich mit den Schultern.

»Wird die Kleine jetzt immer kommen?«

»Vielleicht«, brummte er.

»Du magst sie«, kicherte die Frau mit vorgehaltener Hand, »Hätte nicht gedacht, dass du auf Mauerblümchen stehen würdest.«

Leonardo zog seine Augenbrauen hoch und die Blondine erklärte: »Kommt sicher aus einer Kleinstadt, sowie sie sich Verhält. So zurückhalten.«

Er zuckte erneut mit den Schultern.

»Da wirst du keine Chance haben, Dickerchen.«

Sie klopfte ihm liebevoll gegen seinen durchtrainierten Bauch und huschte zurück zur Rezeption. Ehe Leonardo etwas erwidern konnte, war die Blondine verschwunden.
 

Die Dusche tat zu meiner Überraschung sehr gut und es hatte den Vorteil, dass ich es zu Hause nicht mehr müsste und somit meine Kosten fürs Wasser sparte. Allerdings erinnerte ich mich dadurch, dass ich noch nichts eingekauft hatte für heute Abend.

Eine billige Pizza wird es schon tun’, sagte ich mir und packte das Sportzeug ordentlich mit den Handtüchern in die Tasche.

Ob Mr. Macho schon wartet und fleißig am flirten ist?’

Vorsichtig lugte ich aus der Tür der Umkleide und entdeckte ihn an der Rezeption gelehnt. Er unterhielt sich mit der Frau, die ich schon bei meiner Ankunft gesehen hatte.

Seine Haare klebten an seinem Kopf und vereinzelt tropfte Wasser von den Spitzen, was ihn auf eine Art anziehend auf mich machte, aber rief ich mir rasch ins Gedächtnis, mit wem ich es zu tun hatte. Er war immerhin mein Chef!

Da winkte er mir bereits zu.

Wie machte er das bloß, dauernd entdeckte er mich. Irgendwo musste ein Peilsender in meinen Sachen stecken.

Ich schulterte die Sporttasche und verließ die Umkleide, nachdem ich mich vergewissert hatte, nichts liegen gelassen zu haben.

Mit einem Lächeln reichte ich der Frau den Schlüssel zurück, den sie an ein Brett mit Nummern hing. Als sie sich mir erneut zuwandte, schob sie einen Umschlag mit einer Karte rüber.

»Willkommen im Club«, sagte sie freundlich, wie sie es vermutlich bei jeden Kunden tat. Fragend nahm ich den Umschlag an mich und betrachtete die Karte, was sich als Mitgliedsausweis für dieses Studio herausstellte.

»Aber…«

Mr. Fürchterlich ließ mich das Missverständnis nicht aufklären, sondern drückte mich dezent Richtung Ausgang. Ich faltete gedankenverloren den Brief auseinander und hielt das Anmeldeformular in meinen Händen.

Interessanter war dabei die Frage, wie sie so schnell einen Ausweis machen konnte, dazu noch mit Foto.

Mein Blick fiel auf Mr. Unmöglich, der sich nicht die Mühe machte, irgendetwas aufzuklären.

»Das warst du!«

Er zuckte lediglich mit den Schultern.

»Ich kann mir das nicht leisten. Jetzt darf ich hier wieder hinrennen und das klären. Danke!«

Ich stampfte von dannen, bemerkte nicht, dass die Eingangstür nicht reagierte und knallte direkt davor. Mit einem ‚Rums’ lag ich auf dem Boden und rieb mir meine Nase.

Wieso immer ich?’

Stillschweigend zogen mich zwei Arme wieder auf die Beine und schoben mich durch die Tür, die natürlich bei ihm aufsprang.

Gott hasst mich!’

»Es ist wirklich erstaunlich, dass du im Kurs niemanden umgebracht hast, Rotfuchs. Hunger?«

Ja’ – »Nein«, log ich.

»Gut, ich hab nämlich auch Hunger.«

Verdattert starrte ich ihn an; ich war mir zu Hundertprozent sicher ‚nein’ gesagt zu haben.
 

Perplex starrte ich auf das Tablett mit einem Menü von einer Fast Food Kette, während er genüsslich seine Pommes mampfte.

Innerlich seufzte ich und sagte mir, einem geschenkten Gaul schaute man bekanntlich nicht ins Maul und so machte ich mich an den Bürger zu schaffen. Heimlich war ich froh, mal was anderes zu futtern, als nur billige Tiefkühlpizza.

Mir lief das Wasser schon beim Geruch im Mund zusammen, als eine weibliche Stimme meine Aufmerksamkeit weckte.

»Leo! Du bist auch mal wieder hier«, sagte eine Brünette mit einem Glitzern in den Augen, dass ich bloß mit den Augen rollen konnte.

Ist dem Mann nichts heilig?’

Nichtsdestotrotz wollte ich mir das Essen nicht madig machen lassen und biss Stück für Stück von meinem Bürger ab. Mir doch egal, was die beiden zu schnattern hatten. Von mir aus konnte er für einen weiteren Quicky verschwinden. Ich hatte nichts dagegen. Ich hatte schon genug Mr. Fürchterlich für heute.

»Zeit für ein Tänzchen?«, fragte sie, wobei mir die versteckte Andeutung nicht verborgen blieb. Mir doch egal!

»Keine Zeit«, antwortete Mr. Unmöglich mit einem Lächeln, womit er jede Frau bis auf mich zum Schmelzen brachte. Eine leichte Röte stieg der Bedienung ins Gesicht und sie wedelte sich mit einer Hand flüchtig Luft zu.

Gott, so unwiderstehlich, ist der da auch nicht…’

Mittlerweile hatte ich meinen Burger aufgegessen und widmete mich meinen Pommes. Zu meiner Überraschung hatte ich, statt dem üblichem Sodagetränk, einen Kaffee bekommen, wozu ich nicht nein sagte. Einerseits war ich überrascht, dass Mr. Unmöglich sich gemerkt hatte, was ich mochte, anderseits war meine Sucht nach dem Zeug kein Geheimnis. Jeder Fremde hätte das gewusst.

»Wer ist das?«, wollte die Frau wissen, die eindeutig ihren Bh mit etwas ausstopfte.

»Meine Sekretärin«, fiel seine Antwort knapp aus, worauf die Frau nickte und ihre Lippen zu einem Strich formte.

»Keine Angst, wir schlafen nicht miteinander. Sie können ihn ganz für sich haben«, säuselte ich in einen amüsierten Ton und widmete mich meinem Pappbecher.

Mr. Macho funkelte mich kurzlebig böse an und setzte sich wieder sein charmantes Lächeln auf. Verblüfft nickte die Frau lediglich.

»Wir müssen dann auch los«, unterbrach er das Gespräch und erhob sich von seinem Platz. Fix stellte ich mein Tablett in den dafür vorgesehenen Ständer und folgte ihm.
 

Mr. Unmöglich saß längst in seinem Ferrari. Sobald ich auf dem Beifahrersitz saß und die Tür geschlossen hatte, fuhr er los, ohne darauf zu warten bis ich angeschnallt war. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, er wäre sauer auf was auch immer. Dabei habe ich ihm doch noch geholfen, dass er weiterhin diese Aufblaspuppe poppen konnte. Da wäre eher ein ‚Danke schön’ angebracht gewesen und kein Knurren.
 

Nach kurzer Zeit erreichten wir die Firma. Ich stieg aus dem Wagen. Mr. Macho holte die rote Sporttasche aus dem Wagen und drückte sie mir, sowie die Einkaufstüten, wortlos in die Hände. Dann verschwand er in dem Wagen und fuhr davon.

Ohne darüber nachzudenken, verstaute ich alles in dem kleinen Kofferraum des Smart und fuhr nach Hause.

Wenn ich eines wusste, dann, dass es sich nicht lohnte, über das Verhalten meines Chefs zu grübeln.

Mein Blick fiel auf den Umschlag, der auf dem Beifahrersitz lag: Die Anmeldung für das Fitnessstudio. Es war noch früh und ich hätte die Zeit, das Missverständnis zu klären. Ich sollte es klären, denn ich hatte nicht das Geld und nicht zu vergessen, die Zeit dazu.

Doch bevor ich mich durchringen konnte, stand ich vor dem Wohnblock meiner Wohnung. Ich stieg aus dem Wagen, schnappte die Sporttasche, sowie die Einkaufstüten, und suchte mein Apartment auf.
 

Vom Fenster des Treppenhauses erblickte ich die üblichen Jugendlichen, die auf der Straße spielten, außerdem einem Mann, der durch die Straße schlich. Allerdings dachte ich mir nichts dabei, dauernd schlichen merkwürdige Leute durch meine Straße. Ich war in einem Getto, was sollte ich da anderes erwarten.

Wenn plötzlich Leute durch die Straße tanzen würden, dann müsste ich mir sorgen machen.

Solange ich sie ignorierte, ließen sie mich in Ruhe. Ich hatte in den ersten Monaten in New York als erstes gelernt: ‚Verhalte dich unauffällig, dann passierte dir nichts.’
 

Ich schloss meine Wohnungstür auf, schmiss die Tasche und Tüten in den Flur und zog meine Hausschuhe an. Danach betrachtete ich meine neuen Sachen, indem ich sie auf dem Bett ausbreitete. Ich besaß noch nie teure Anzüge, die genau auf mich angepasst waren.

Irgendwie war das toll. Es war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

Meine Finger glitten über den Stoff und er fühlte sich immer noch so leicht an. Das hier sollte nun meines sein. Irgendwie…

Einfach nur cool.
 

Ehe das Sportzeug anfing die Tasche mit meinem Schweiß zu verpesten, schmiss ich die Klamotten in die Waschmaschine und packte noch weitere Wäsche hinein, damit es sich lohnte, das Ding anzuschmeißen.

Es war das erste Mal, dass ich einen Nachmittag zu Hause verbrachte. Das war vollkommen ungewohnt. Ich hatte noch nie einen Nachmittag daheim verbracht; ich musste einfach etwas unternehmen. Ich wollte endlich New York kennen lernen!

Also setzte ich mich an meinen Computer, wartete bis das Modem sich mit dem Internet verbunden hatte und suchte mir ein paar Touristenattraktionen aus. Am Ende blieb ich bei dem ‚Museum of Natural History’ hängen, schnappte meine Tasche und war längst auf dem Weg.
 

Bis auf Schulklassen war das Museum leer, was wohl daran lag, dass alle anderen noch arbeiten mussten. Sollte mir nur recht sein. Neugierig betrachtete ich alles und las bei dem einem oder anderem noch die Information, aber im Grunde bestaunte ich einfach nur die Figuren. Ich hatte mal einen Film gesehen, da wurden die Figuren lebendig und beugte mich etwas weiter zu einer Wachsfigur vor. »Wenn du dich bewegen kannst, dann – «
 

»Amanda!«

Überrascht, meinen Namen zu hören, drehte ich mich um und blickte in das lächelnde Gesicht von Roland. Er hob zur Begrüßung die Hand und ich erwiderte mit einem freundlichen Lächeln, nachdem ich fix mich ordentlich davor stellte.

»Um die Uhrzeit schon frei?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Eigentlich soll Leo den Ruf eines Arbeitstiers haben.«

»Wirklich?«, rutschte mir unbewusst hinaus und ich verzog den Mund. Ich hatte lediglich ein paar Kopien zu machen und sonst nichts, was sollte daran ein Arbeitstier sein?

»Nicht?«

Erneut zuckte ich mit den Schultern. Ich kannte Mr. Fürchterlich nur als faulen geilen Bock, der bloß das Nötigste machte.

»Muss wahrscheinlich noch schwer schlucken«, lachte Roland auf und stellte sich zu mir. Fragend hob ich meine Augenbrauen, hingegen ging Roland nicht näher darauf ein.

»Lust auf einen Kaffee? Ich lade dich ein.«

»Gerne.«
 

Minuten später befanden wir uns in meinem Lieblingslokal wieder. Zuerst fand ich es etwas dreist von mir so schamlos zuzuschlagen, aber wenn ich schon einen teuren Kuchen ausgegeben bekam, sagte ich nicht nein. Außerdem konnte ich mich daran gewöhnen, dass Männer mir etwas ausgaben.

Genüsslich gab ich mich dem Käsekuchen hin und der Karamellkaffee roch so gut. Ich war einfach im Himmel.

Erst später bemerkte ich Rolands Blick auf mir ruhen. Sobald sich unsere Blicke kreuzten, lächelte er mich an.

»Schön, dass es schmeckt«, kommentierte er und ich sah das Schmunzeln in seiner großen Kaffeetasse verschwinden.

Verlegend stopfte ich mir das letzte Stück Kuchen in den Mund. Peinlich, peinlich, dass man es mir offensichtlich ansah, wie es mir gefiel.

»Ich werde mich dafür revanchieren, versprochen.«

»Musst du nicht«, meinte er in einem ruhigen und doch sehr viel sagendem Ton, von dem ich nicht wusste, ob der mir zusagte.

»Ich möchte aber«, protestierte ich.

»Dann freue ich mich schon darauf, wenn der Tag kommt.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln und fragte mich, ob wir überhaupt noch von Kaffee sprachen oder ob das Gespräch bereits eine ganz andere Bahn genommen hatte.

Jedoch verlief der weitere Abend lustig, dass ich nicht mehr einen Gedanken darüber verschwendete.
 

»Architekt, und macht das Spaß?«, wollte ich wissen und schlenderte mit Roland durch die Straße auf dem Weg zu mir.

»Nicht immer, aber meistens.«

Ich nickte.

»Die Architektur ist nichts anderes als Kunst«, erzählte er, »Nur meine Medien sind nicht die Farbe und der Pinsel, sondern Bausteine. Aber es kommt dem ungefähr nahe.«

»Zeigen sie mir vielleicht den einen oder anderen Entwurf? Ich würde gerne mehr sehen.«

Charmant lächelte Roland. »Gerne, wenn sie das nächste Mal mit Leo vorbeikommen, kann ich einige Skizzen zeigen.«

Meine Augen glitzerten. »Das wäre toll.«

Wir erreichten meine Haustür und ich klatschte nebenbei in die Hände. »Da sind wir.«

Kritisch sah sich Roland um. »Kein sicheres Viertel…«

»Das meinte, Mr. Für… ähm Andrews auch schon«, knurrte ich. Roland wandte sich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck mir zu. Geistiggegenwärtig schloss ich die Haustür auf und meinte dabei: »Als er mich zu der Konferenz abholte, meinte er, dass ich einen Selbstverteidigungskurz bräuchte. Als ob es bei mir etwas zu holen gäbe.«

Roland verzog skeptisch die Mundwinkel. »Er hat aber recht. Du solltest dir unbedingt in einem anderem Wohnviertel ein Apartment suchen.«

Ich zuckte bloß mit den Schultern. »Bis jetzt lief es doch ziemlich gut. Ich denke nicht, dass da etwas passieren wird. Danke für den Kaffee.«

Wir verabschiedeten uns und ich suchte meine Wohnungstür auf. Unter meinen Füßen knirschten die Stufen. Geräusche, die mich schon seit über acht Monaten begleiteten und die zu meinem normalen Alltag gehörten.

Wenn ich jemals eine Wohnung ohne knirschende Geräusche hätte, würde ich mich vermutlich fehl am Platz fühlen.

Vom kleinen Fenster im Flur sah ich Roland die Straße zurückgehen, sowie diesen Mann, der heute Mittag schon durch die Straßen geschlichen war.

Anscheinend ein neuer Nachbar, was kein Wunder war. Hier gab es täglich neue Nachbarn.
 

Ich schloss meine Tür auf und legte die Kette ins Schloss, nachdem ich die Wohnung betreten hatte. Völlig übermüdet, schaffte ich es eben noch meine Schlafsachen anzuziehen und mich ins Bett zu schmeißen.
 

_____________________________________________________
 

Der Weihnachtsstress macht auch nicht vor mir halt. Daher mit Verzögerung geht es nun weiter und ich versuche schnell, weitere Kapitel hochzuladen.
 

Ich wünsche alle ein besinnliches Weihnachtsfest und erholt euch gut.
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

Der Beginn von Katastrophen

Pünktlich um halb sieben klingelte mein Wecker. Benommen suchte ich mit der Hand nach dem Klirren und tastete mein ganzes Bett ab, bis ich endlich neben mir auf dem Nachttisch das Monster gefunden hatte.

Da konnte ich nicht mehr schlafen.

Schlimmer war der Muskelkater, der mich im Schlaf ereilt hatte. Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis ich es geschafft hatte aus meinem eigenen Bett zu zeigen. Ich schleifte mich unter Schmerzen ins Badezimmer und betrachtete meine Sturmfrisur im Spiegel.

»Guten Morgen, du Schönheitskönigin«, begrüßte ich mein Spiegelbild und versuchte verzweifelt mit der Haarbürste die Katastrophe auf meinem Kopf zu schlichten. Am Ende griff ich zu dem ältestem Mittel der Welt: Eine Mütze.

Die Temperaturen wurden kälter und es passte somit perfekt.

Dann zog ich mir fix den Hosenanzug an, betrachtete mich erneut im Spiegel und fand die Klamotten immer noch toll.
 

Weil die Zeit knapp war, ließ ich – wie eigentlich jeden Morgen – das Frühstück ausfallen. Ich konnte mir zur Not vor Ort etwas holen. Pfeifend schlenderte ich die Stufen runter, hinaus auf die Straße und suchte mein Auto.
 

Es war nicht mehr da…
 

Mein Auto war nicht mehr da!

Jemand hatte mein Auto gestohlen! Meinen kleinen Smart, mein Ein und Alles, mein Geschenk von meinen Eltern, bevor ich in die Stadt gezogen war. Es war weg.

Ich lief die Straße auf und ab. Hatte ich woanders geparkt, wie üblich? Doch ich fand nichts.

Mein Auto war verschwunden und ein Blick auf meine Uhr verriet: Ich hätte längst unterwegs sein müssen.

Was mache ich jetzt?’

Den Tränen nahe mich einfach auf den Bürgersteig hinzusetzen und loszuheulen, straffte ich meine Schultern und suchte die Bushaltestelle auf.

Ich wusste allerdings nicht, welchen Bus ich nehmen sollte. Wie kam ich jetzt pünktlich ins Büro?

Das schaffte ich niemals; nicht ohne ein Wunder.
 

Dann fiel mir der Central Park ein. Dahin würde ich schon finden und von dort kannte ich den Weg zu Fuß zur Bank.

Ich stieg in den Bus, fuhr ein Stück und wechselte. Insgesamt nahm ich drei, vier Busse – ich hatte nicht wirklich mitgezählt – bis ich in Manhattan war.

Ich war schon über eineinhalb Stunden unterwegs und war gerade erst in Manhattan, als endlich – Gott sei dank – der Bus vor dem Central Park hielt.

Ein Blick auf die Uhr verriet nichts Gutes. Es war kurz vor neun und ich hätte um sieben anfangen müssen.

Ein gefundenes Fresse für Mr. Fürchterlich, der würde bestimmt abgehen vor Freude. Der perfekte Grund mich noch mehr zu ärgern.

Sobald ich sein Büro betreten würde, wäre es die Hölle auf Erden.

Ob ich für heute es ganz sein lassen sollte? Noch konnte ich mich Krank melden.

Wieso war mir das eigentlich nicht daheim eingefallen?
 

Aber immerhin war ich jetzt vor dem Central Park, also suchte ich doch die Bank auf. Das Gebäude lugte schon zwischen den Baumkronen hervor, als riefe es nach mir, oder besser gesagt, als riefe Mr. Unmöglich und Frauenheld nach mir, um mir weitere Spitznamen zu geben.
 

Ich schlich in das Gebäude und nahm bewusst den Hintereingang. Bis jetzt begegnete ich niemand. Ich nahm das Treppenhaus. Die Leute, die sich hier hin verirrten, interessierten sich nicht für mich, viel zu sehr waren sie damit beschäftigt heimlich hier zu rauchen.

Ich hatte fast das Stockwerk erreicht, auf dem das Büro – meine Hölle – war, als ich eine Person am Geländer angelehnt entdeckte.

Wahrscheinlich einer der heimlichen Raucher und dachte mir nichts dabei. Sobald er meine Schritte hörte, drehte er sich nach mir um und ich blieb vor Entsetzen das Herz stehen.

Lässig am Geländer gelehnt stand er, mein persönlicher Alptraum, und sah grimmig zu mir runter.

Ob ich die Treppen runter rennen soll?’

»Denk nicht mal daran!«, ermahnte er mich. Konnte er etwa Gedanken lesen?

Meine Beine weigerten sich weiter zu gehen. Ich konnte nicht wegrennen und konnte auch nicht weiter an ihm vorbeigehen.

Da ich mich nicht bewegte, löste er sich aus seiner Pose und stieg die Stufen zu mir runter.

»Wofür hast du ein Handy, wenn du es nicht benutzt?«, zischte er und war eindeutig sauer. Eigentlich hatte ich eher damit gerechnet, dass er sich darüber freute, schließlich war das, ein perfekter Grund mich raus zu werfen.

»Ich hab die Nummer vom Büro nicht«, gab ich kleinlaut zu. Er streckte seine Hand nach mir aus, reflexartig zuckte ich zusammen. Wollte er mich etwa schlagen?
 

»Telefon!«

Ich starrte seine Hand an, die er nicht zurückzog, sondern er wartete solange, bis ich mich bereit erklärte, mein Telefon aus meiner Tasche zu holen und es ihm zu geben. Ich hatte es noch nicht auf seine Hand gelegt, da schnappte er es sich und tippte etwas ein. Dann drückte er mir das Ding wieder in die Hand und lief die Stufen, in dem er zwei gleichzeitig nahm, hoch.

Immer noch starr vor Angst glotzte ich auf das Display und entdeckte zwei neue Telefonbucheinträge.

»’Leonardo Andrews’ und ‚Büro’«, las ich und starrte verdattert zur Tür, denn Mr. Unmöglich war längst aus dem Treppenhaus verschwunden.

Geneigt die Nummer wieder zu löschen – ich würde sie eh nicht brauchen – verstaute ich das Telefon in meine Tasche und suchte das Büro auf.
 

Mr. Unmöglich saß an seinem Schreibtisch und widmete sich dem Nichts tun, was er mittlerweile zu perfektionieren schien.

Ich war weiterhin für ihn Luft.

Ohne ein Geräusch von mir zu geben, setzte ich mich und schaltete meinen PC an.

Vielleicht wird er mich diesen Tag mal in Ruhe lassen…’, hoffte ich, was im selben Moment erstarb.

»Wieso bist du zu spät?«

Sein Blick durchbohrte mich. Ich rutschte weiter in den Sitz, denn ich konnte ihm schlecht erklären, dass mein Wagen gestohlen wurde, mein schönes Auto, das Geschenk meiner Eltern. Mein Ein und Alles, einfach weg…
 

»Mein Wagen sprang nicht an«, log ich.

»Ich schick dir jemanden vorbei, der – «

»Nein!«, unterbrach ich ihn panisch. Er stoppte in seiner Tätigkeit und faltete seine Hände zu einem Gebet.

»Ich kann es mir nicht erlauben, dass du noch einmal zu spät kommst«, zischte er. Wieso er deswegen noch sauer war, verstand ich selber nicht, schließlich tat er nicht wirklich viel, besser gesagt, tat er gar nichts.

Nur durfte er niemanden vorbeischicken!

Er sollte nicht Recht behalten, dass dieses Wohnviertel nicht gut war. Ich hatte mich schon einmal lächerlich gemacht, ein weiteres Mal würde ich nicht verkraften.

Ich schluckte den Frosch in mir runter und unterdrückte das aufkeimende Gefühl zu weinen. Ich merkte, wie sich mein Hals zusammenzog und die Tränen sich ihren Weg nach draußen suchten. Ich war frustriert und wenn ich das war, weinte ich oft, aber dieses Mal durfte ich dem Gefühl nicht nachgeben, stattdessen biss ich mir auf die Zunge.

»Ich werde nicht mehr zu spät kommen«, antwortete ich bestimmend. Kritisch verzog er seine Lippen.

»Gut…« Dann widmete sich Mr. Mistkerl wieder seinem tagtäglichem Werdegang dem Nichts tun zu.
 

Dagegen konnte ich mich selber nicht auf die Arbeit konzentrieren, obwohl es schon so wenig war. Ich musste heute Abend irgendwie zurück zu meiner Wohnung, nur ohne Auto…

Ich hatte ehrlich gesagt große Angst. Viel zu große Angst.

Für einen Moment wog ich ab, ein Hotel in Manhattan zu nehmen, aber ich hatte kein Geld. Also musste ich mir meinen Weg nach Hause erkämpfen. Irgendwie…

Irgendwie käme ich schon zu Hause an.
 

Bei jeder weiteren Stunde, die verstrich, wurde mir bewusst, ich hatte eine so große Angst, dass meine Bewegungen von Mal zu Mal steifer wurden und ich bloß noch weinen wollte.

Selbst der Kaffee, den ich so liebte, beruhigte mich nicht annähernd, wie sonst. Ich hatte die Bank nur durch Zufall gefunden, aber mir nicht die Nummern der Busse gemerkt, um zurück zu fahren. Voller Panik nicht zu spät zu kommen, vergaß ich den Rückweg.

Meine Augen wanderten zur Uhr. Feierabend.

Ich schluckte.

Inzwischen waren meine Hände so feucht, dass ich sie minütlich an meinen Sachen abputzte.

Ganz gemächlich schaltete ich den PC aus und schlich durch den Flur. Der Wachmann kontrollierte bereits die Türen der anderen Büros, ob die ja abgeschlossen waren.

Der Gedanke, die Nacht in der Bank zu verbringen, lag daher flach.
 

Der Wind zischte durch mein Haar und ich blickte rauf in den Nachthimmel.

Überraschend Sterne in einer Großstadt zu entdecken, zog ich die Tasche enger an mich und schlenderte den Bürgersteig entlang.

Ob ich die Nacht einfach in Manhattan verbringen soll?’

Gedanken versunken lief ich an den Schaufenstern vorbei, da legte sich ein Arm, um meine Schultern.

»Komm«, brummte die tiefe Stimme von Mr. Unmöglich und führte mich zu seinem Wagen. Ohne ein Wort setzte ich mich auf den Beifahrersitz und legte die Tasche auf meinen Schoss.

Was sollte ich auch großartig erzählen?

Ich blickte starr aus dem Fenster und beobachtete die Menschen, die an mir vorbeizischten, bis ich vor der Eingangstür meiner Wohnung stand.

Meine Lippen setzten an mich bei ihm zu bedanken, jedoch kam kein Ton aus meinem Mund. Ich stieg lediglich aus dem Wagen und torkelte zu der Haustür. Auch bemerkte ich nicht, wie er mir folgte und mit mir in den Flur kam, bis er in meiner Wohnung stand.
 

»Ziemlich leer«, machte er auf sich aufmerksam. Verstört drehte ich mich zu ihm um. Er schloss die Tür und betrachtete skeptisch das Schloss, welches eher zur Zierde daran hing, als dass es seinen Zweck erfüllte. Seine Hände wanderten über das Holz der Tür und er zog einmal kräftig an der Klinke, was ihm sofort verriet, diese Tür war einfach nur angebracht, weil man den Türrahmen mit etwas füllen musste. Dann widmete er sich meiner Wohnung zu.

Geneigt ihn anzuschreien, er sollte verschwinden, starrte ich ihn bloß an.

Der Gedanke, mein Chef in meiner Wohnung stehen zu sehen, versetzte mich in Panik. Es war mir peinlich, weil er sah, wie wenig ich hatte, weil er sah, wie abhängig ich von dem Job war.

Neugierig lief er an mir vorbei und hatte mit wenigen Schritten, die Wohnung durchforstet.

»Das ist doch wohl ein Witz…«, meinte er und ich setzte schon an, ihn für diese Aussage zu beschimpfen, als ich noch rechtzeitig bemerkte, er bezog sich auf die Fenster, die sich ebenfalls nicht mehr richtig schließen ließen. Da ich jedoch im vierten Stock wohnte, war mir das egal. Niemand würde sich die Mühe machen, sich bis zu mir hinaufzukämpfen.
 

Ehe ich auch nur etwas sagen, geschweige denn mich bewegen konnte, griff er nach meiner Hand und zerrte mich aus meiner eigenen Wohnung.

Erst auf dem Flur fand ich meine Stimme wieder und riss mich los.

»Was soll das?«

Ich drehte mich um und marschierte zurück zu meiner Wohnungstür, doch er hielt mich fest.

»Da kannst du gleich auf der Straße schlafen, mit einem Schild am Hals: Überfallt mich.«

Das war zuviel. Ich holte zum Schlag aus. Zu meiner Überraschung traf meine Faust ihn auch direkt auf der Brust. Er selbst schien ebenfalls verblüfft von der Kraft in mir zu sein und schwankte zurück gegen die Wand.

Geschwind klopfte einer der Nachbarn gegen die Wand, mit den Worten, wir sollten verdammt noch mal leise sein.

Entsetzt, meinen Chef geschlagen zu haben, presste ich meine Hände auf den Mund und schluckte.

Ich setzte mehrmals an, mich zu entschuldigen, aber irgendwie hatte er es verdient. Nachdem er sich gefasst hatte, griff er nach meinem Handgelenk.

Er biss die Zähne zusammen und war nun richtig wütend. Ich war nicht mehr in der Lage, mich zu wehren. Ich hatte für heute viel zu viel durchgemacht und ließ mich einfach von ihm ziehen.
 

Er musste mich auf den Beifahrersitz lotsen. Ich war noch immer erschüttert, darüber ihn geschlagen zu haben und beobachtete im Augenwinkel, wie er mit der Hand über die Stelle ging.

Ich wusste, ich konnte zuschlagen, dass es wehtat und eigentlich sollte es mich glücklich machen, aber das tat es nicht. Stattdessen legte ich meinen Kopf gegen die kühle Scheibe und genoss die Kälte.

Ich schloss meine Augen und spürte die Vibrationen des Wagens. Ich hörte jedes noch so kleine Geräusch, das Knistern seiner Zähne, das Aufstöhnen beim Atmen. Er war eindeutig sauer.

Es war mir egal, ich versuchte an gar nichts zu denken. Sobald ich daran dachte, dass mein Wagen gestohlen wurde, stiegen mir die Tränen in den Augen und meine Kehle fühlte sich trocken an.
 

Der Wagen parkte und meine Tür öffnete sich. Ich blickte lediglich hoch, dass er sich genötigt fühlte, mich weiter aus dem Wagen zu ziehen. Meine Augen schweiften flüchtig auf den Wohnblock, der kein Vergleich zu meinem war. Wir waren im Herzen von Manhattan und ein Mann in einer schicken Uniform begrüßte Leonardo, was er grummelnd erwiderte.

Neugierig sah er uns nach, bis wir im Aufzug verschwanden.

Mein Blick ging ins Leere.

Ich hörte das Klicken einer Tür, die sich öffnete, und fand mich schließlich in einem großen Wohnzimmer wieder. Ich blieb da stehen, wo Leonardo mich abstellte.

Als er in einem anderen Raum verschwand und einige Minuten später wieder kam, stand ich noch immer dort, wo er mich gelassen hatte.

»Setz dich!«, befahl er. Ich blieb stehen, worauf er mich schließlich unsanft packte und auf die Couch verfrachtete.
 

Er schmiss mir ein Hemd hin und fügte hinzu: »Zieh dich um.«

Lange starrte ich darauf.
 

»Soll ich doch jetzt auch noch umziehen?«, fauchte er. Ich blickte auf. Die Tränen hatten inzwischen meinen Blick vernebelt und er war für mich einfach zu einem Punkt geworden, der sich bewegte.

Seufzend setzte er sich neben mir. Ich spürte, wie die Couch seinem Gewicht nachgab und er die Arme um mich schlang.

»Komm her«, flüsterte er in mein Haar und hatte mich längst an sich gezogen.

»Sie haben dir das Auto gestohlen, nicht wahr?«

Ohne es zu wollen – egal, wie sehr ich dagegen ankämpfte – musste ich anfangen zu weinen. Ich schlang meine Arme um ihn und begann laut zu Schluchzen, dann ließ ich meinen Tränen freien Lauf.

Es ärgerte mich, dass mein Auto gestohlen wurde, dass ich mit dem Bus durch ganz New York gefahren war, dass mein ganzes Leben so schrecklich war. Es ärgerte mich, dass ich einfach niemanden auf dieser Gott verdammten Welt hatte.
 

Ich heulte und heulte bis mir die Augen schmerzten und mir zufielen. Tief atmete ich den Duft eines verflogenen Parfüms ein, welches mir zu gefallen schien, bis ich schließlich eingeschlafen war.
 

Der angenehme Duft von Kaffee, Brötchen und anderen Leckerein lag in der Luft und weckte mich aus meinem traumlosen Schlaf. Benommen öffnete ich meine Augen und fühlte mich fürchterlich. Mein Gesicht fühlte sich geschwollen an und ich legte zum Kühlen meine Hände auf die Augen. Ich wollte gar nicht wissen, wie ich aussah. Außerdem war das Bett, in dem ich lag, so dermaßen angenehm, dass ich mich lediglich auf die andere Seite drehte und mich weiter in das Kissen kuschelte.

Mit einem Schlag kamen die Erinnerungen und ich saß aufrecht im Bett.

Das waren nicht mein Schlafzimmer, nicht meine Möbel, nicht meine Wohnung. Ich riss die Decke weg und war erleichtert darüber, meine Klamotten noch am Leib zu tragen.

Mürrisch erhob ich mich. Ich fühlte mich wie gerädert. Das Weinen hatte mich derartig müde gemacht, wenn ich mich jetzt wieder hinlegen würde, würde ich glatt erneut einschlafen.

Ich folgte den klirrenden Geräusche, die mich in die Küche führte. Von der Türschwelle aus beobachtete ich ihn heimlich, wie er dabei war das Frühstück zuzubereiten.

»Auch Kaffee?«

Erschrocken, woran er nun wieder bemerkt hatte, dass ich da war, nickte ich, was er nicht sah, da er mit dem Rücken zu mir stand.

Allerdings drehte er sich um und stellte eine Tasse mit Kaffee auf die Theke. Zaghaft näherte ich mich dem Getränk und nahm die Tasse mit beiden Händen. Sofort erklomm die Wärme meinen Körper und ich roch den angenehmen Duft, der mir eine leichte Linderung verschaffte.

In der Zwischenzeit hatte sich der Mistkerl zu mir umgedreht und lehnte lässig an der Kante des Herds.

Seine Bürosachen waren einem normalen Alltagoutfit gewichen, was ihm ausgesprochen gut stand. Er stellte einen Teller mit frischem Gepäck auf die Theke und ich liebäugelte mit dem Donat.

Da mein Magen eine größere Macht über mich hatte als meine Selbstachtung, war ich so dreist und nahm es mir.

Vorsichtig knabberte ich daran und fühlte mich bei allem, was ich machte, jedoch beobachtet.

Die Situation war unangenehm und ich hatte nicht eine Möglichkeit zu flüchten.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2009

http://www.jessicamonse.de/

In der aller letzten Sekunde kam der Prinz auf dem Ross

»Schokolade?«

»Ja… ähm nein…«, stammelte ich und verschluckte mich beinahe an meinem Donat. Ohne näher auf mein Gestammel einzugehen, legte er eine Tafel Schokolade auf die Theke, dennoch blieb mir das Glitzern in seinen Augen nicht verborgen.

Lautlos wanderten meine Finger zu der Tafel und versuchten ohne einen Ton sich etwas davon zu nehmen. Allerdings reichte wohl schon der Gedanke aus, um das blöde Papier zum Knistern zu bringen.

Leonardo stellte seine Tasse auf dem Herd ab und verschränkte die Arme vor seiner Brust, so dass seine Arme unter den Achsen verschwanden.

»Wolltest du jetzt immer mit den Bus durch ganz New York fahren?«

Ich zuckte mit den Schultern.

Was sollte ich sonst darauf antworten? Eigentlich hoffte ich, dass mein Auto wieder dort stand, wo ich es abgestellt hatte. Dass sich jemand einen Scherz erlaubte und es mir zurück brachte. Hoffen darf man doch? Ich war zwar Realist, aber Hoffnung gab es immer, ob ich wollte oder nicht.

»Es wurde einige Blocks weiter gefunden«, erklärte er und betrachtete mich weiterhin an. Unruhig verlagerte ich mein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.

»Es ist unversehrt. Was uns dazu bringt: Du musst von dort ausziehen.«

Ich setzte an, ihm zu widersprechen, hingegen kam er mir zuvor.

»Ich lasse dich da nicht mehr wohnen«, durchschnitt seine Stimme die Luft und damit war für ihn die Diskussion zu Ende.

Toll, und wo soll ich dann wohnen? Auf der Straße?’
 

»Bis du eine eigene Wohnung hast, kannst du hier wohnen.«

Ich kniff meine Augen zu schlitzen zusammen. Soweit würde es nie kommen lassen! Er hatte nicht über mein Leben zu bestimmen. Meine Wohnung war mein Zufluchtsort, zwar nicht ein sicherer, aber immerhin ein Zufluchtsort vor ihm!

»Ich kann mir aber keine andere Wohnung leisten und ich will auch nicht.«

Er lachte auf. »Du willst nicht. Das hast du nicht zu bestimmen.«

»Und ob ich das habe! Schließlich ist das mein Leben! Ich muss meine Miete bezahlen. Ich muss für mich sorgen. Das übernimmt keiner. Daher entscheide auch ich, wo ich wohne!«

Er legte seine Arme auf die Theke und war bloß noch wenige Zentimeter von mir entfernt, dennoch bot ich ihm weiterhin die Stirn. Wenn ich eines hasste, dann war es, wenn jemand meinte über mein Leben zu bestimmen. Deswegen war ich von zu Hause weggegangen…
 

»Bekomme du erst einmal dein Leben in den Griff!«, setzte ich einen drauf.

»In wie fern?«

Jedoch sah ich nicht ein, näher darauf einzugehen, sollte er sich seinen Teil denken. Ich war lediglich seine Sekretärin und das auch nur zu den Zeiten zwischen sieben bis siebzehn Uhr, der Rest ging mich nichts an und ganz wichtig: Ihn auch nicht!!!

»Rotfuchs…«, knurrte er. Ich drehte mein Gesicht von ihm weg. Dezent schob er mit zwei Fingern es wieder in seine Richtung, das ich ihm in die Augen sah.

»Mein Auto wurde nicht gestohlen«, log ich und wollte mich auf der Stelle für diese Lüge Ohrfeigen, weil wir beide die Wahrheit sehr gut kannte.
 

Seine Augen fixierten mich und zum ersten Mal fiel mir auf, dass seine Augen gar nicht dunkelbraun waren. Sie wurden zur Iris heller, fast golden. Jedoch gefiel mir nicht, was ich darin sah, mein eigenes jämmerliches Spiegelbild. Also entschied ich mich für das erstbeste: Losreißen und davon stürmen.

Denn das konnte ich ausgesprochen gut.

Aber als ob er es gerochen hätte, stellte er sich mir in den Weg und passte mich im Flur ab.

»Lass mich vorbei!«, forderte ich ihn auf, aber er machte sich nicht die Mühe, »Das ist Freiheitsberaubung.«

»Und wenn schon. Ruf doch die Bullen an.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich griff nach meinem Mobiltelefon, wählte und er hatte es prompt in seine Hände.

Sofort hechtete ich meinem Telefon nach, verhedderte mich und lag in seinen Armen.
 

Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr, worauf ich mich fix von ihm löste, zusätzlich von seinem Lachen angestachelt. Als ich sein grinsendes Gesicht sah, packte mich die eiskalte Wut und ich holte aus. Ehe mir bewusst war, was ich tat, hörte ich ihn aufstöhnen. Mich schleuderte es auf einen Stuhl, der sich im Flur befand, und er rieb sich mehrfach den Arm.

»Gott, kannst du zuschlagen!«, fluchte er und zog sich das Hemd aus. Während er seinen Arm genauer studierte, lächelte mich ein blauer Fleck auf seiner Brust an. Meine Augen wanderten weiter zu seinem Arm, genau zu der Stelle, die ich erwischt hatte und schien sich auch schon rötlich zu färben.

Wie Schuppen fiel es mir von den Augen.

»War ich das?«, fragte ich zaghaft. Leonardo widmete sich weiter seinem Arm, rieb ein weiteres Mal über die Stelle und beantwortete meine Frage brummend mit einem ‚Ja’.

»Wow.«

»Ich finde das gar nicht so ‚Wow’. Wie kann jemand, der so zierlich ist, so zuschlagen?«

»Mein Bruder«, antwortete ich stolz. Irgendwie gönnte ich ihm diesen Fleck. Schade, dass die Schmerzen zu schwach waren.

Leonardo hob auffordernd seine Augenbrauen und ich erklärte: »Er meinte immer, ich sollte lernen, wie man richtig zuschlägt, weil man glauben könnte, durch meine Tollpatschigkeit wäre ich ein leichtes Opfer.«

Seine finstere Miene wandelte sich in ein ehrliches Lächeln.

»Dein Bruder hat gar nicht so unrecht.«

»Ach, wieso mich nehmen, wenn es doch noch Vollblut Blondinen gibt, die weit aus attraktiver aussehen«, brabbelte ich vor mir her und bemerkte erst sehr spät, ich hatte zuviel preisgegeben.

Entsetzt biss ich mir auf die Lippen und starrte Mr. Mistkerl an. Seine Mundwinkel hoben sich noch weiter und das Bedürfnis, auf ihn ein weiteres Mal einzuschlagen, war unheimlich groß, dass ich es nur unterdrückte, da ich mich an dem Träger meiner Tasche festklammerte.
 

»Eifersüchtig?«

»Auf was? Auf dein Geld? Ja. Aber sonst, worauf sollte ich eifersüchtig sein?«

Er beugte sich zu mir runter und ich wich reflexartig zurück, allerdings packte er mich geschwind am Arm und zog mich zu sich.

Seine Lippen streiften mein Ohr, als er flüsterte: »Kann es sein, dass du mich magst?«

Erschüttert starrte ich ihn an. Ich war baff und konnte für Minuten nichts sagen. Dann wurde ich unheimlich wütend. Das war so etwas von klar, solche Kerle waren nur Ich- bezogen. Dauernd dachten sie bloß an sich. Sie kamen niemals auf den Gedanken, dass man sie vielleicht abstoßend finden würde. Nein, alle Welt würde sie lieben. Dieses verdammte Ego…
 

Meine Unterlippe zitterte.

Mit einem Ruck riss ich mich los.

»Das hättest du wohl gerne!«, fauchte ich lauter als gewollt, »Ihr seid doch alle gleich. Schon einmal daran gedacht, dass man euch vielleicht auch hassen könnte! Wenn ich eines weiß, dann ist es das, dass es das Letzte auf der Welt wäre, dass ich auch nur denken würde, dich, Abschaum, zu mögen.«

Ohne darüber nachzudenken drängte ich mich an ihm vorbei und stürmte aus der Wohnung. Ich rannte den Flur entlang und nahm die Treppen, da mir der Aufzug zu lange dauern würde und ich ihm nicht noch weiter ausgesetzt sein wollte.

Nicht einmal wagte ich es, mich nach ihm umzudrehen. Der Gedanke, er konnte mir nach Laufen, trieb mich unaufhörlich voran.
 

Ich lief auf den Bürgersteig und wusste nicht annähernd, wo ich war, dennoch blieb ich nicht stehen.

Irgendwann würde ich irgendwo hinkommen, wo ich mich auskannte. Zumindest hoffte ich das.

»Ihn mögen… Pah!«

Wütend kickte ich einen Stein weg. Als ob es jemals soweit dazukommen würde. Das war ein Unding der Unmöglichkeit. Er beleidigte mich ständig mit diesen Spitznamen und dann sollte ich ihn mögen?

In was für einer Welt lebte der Kerl eigentlich!
 

Verdattert blieb er im Flur stehen und starrte auf die offene Tür. Er hörte ihre Schritte, noch konnte er sie einholen, doch seine Beine weigerten sich.

Er blieb wie angewurzelt in seinem Flur stehen und spielte pausenlos ihre Worte ab, dabei konnte er ihren Blick nicht vergessen, der eine deutliche Abscheu ihm gegenüber zeigte.

Und aus einem unerklärlichen Grund zog sich sein Herz zusammen.

Er wusste, wenn er ihr nun nachrennen würde, würde er sie packen und schütteln, bis er sie anders ansah. Bis ihr Blick ihn begehrte.

Aber er wusste, dann würde sie eher Angst vor ihm bekommen und das war noch schlimmer, als dieser Blick jetzt.

Entrüstet schlug er mit seiner Faust gegen die Wand und tat sich dabei mehr weh, als seinem Frust Dampf abzulassen.

Er wusste, dass er nicht sehr nett zu ihr war, zu beginn. Er wollte sie auch verletzten, aber nun…

Er wollte ihr die Situation erklären. Eigentlich mochte er sie, er war lediglich verletzt gewesen, darüber dass eine Frau ihn damals einen anderen Mann vorgezogen hatte.
 

Mit einer kräftigen Handbewegung schlug er die Tür zu.

Wenn sie seine Hilfe nicht wollte, würde er ihr nicht nachrennen. Er würde einen Fehler nicht noch einmal machen. Am Ende ließe er sich nur wieder darauf ein und dann entschied sich dieses Weib auch noch für einen anderen Mann. Zumal sie ihn schließlich verabscheute.

Da wäre jede Mühe umsonst gewesen.

Wieso sich anstrengen? Es bringt doch eh nichts…
 

Wild tigerte er im Wohnzimmer auf und ab und blieb seufzend stehen.. Der Tag hatte längst begonnen und er musste ins Büro. Er hatte heute noch ein wichtiges Meeting. Er musste dorthin bedingt hin…

Unbedingt…

»Ach verdammt!«, knurrte er, schnappte sich seine Lederjacke und nahm die Verfolgung auf.

Sollte das blöde Meeting ohne ihn stattfinden, er hatte Wichtigeres zu tun.

Er musste seinem Rotfuchs in den Hintern treten. Sie sollte den Boden küssen, auf dem er lief.
 

Am Ende hatte ich mich auf eine Bank niedergelassen. Ich wusste immer noch nicht, wo ich war oder wie ich zu mir nach Hause finden sollte.

Ich war irgendwo in New York und wollte keinen fragen. So saß ich nun hier und beobachtete die Leute. In der Ferne erkannte ich den Eingang zu einer U-Bahnstation, allerdings war mir das Geld zuschade dafür.

Laut meiner Uhr hätte ich ins Büro gemusst, da wäre ich jedoch Mr. Unmöglich begegnet und er war zurzeit einer der Menschen, die ich gar nicht sehen wollte.

»Amanda!«

Überrascht meinen Namen zu hören, sah ich auf und blickte in das lächelnde Gesicht von Roland.

»Heute frei?«, fragte er, obwohl ich aus seinem besorgtem Blick erkannte, er hätte gerne etwas anderes gefragt.

»Ja«, log ich und zwang mich das Lächeln zu erwidern.

»Vielleicht Lust mitzukommen? Ich muss auf dem Bau etwas prüfen.«

»Klar«, antwortete ich ruhig und war froh, mich für einen Moment nicht mit meinen Gedanken zu befassen.

Die Woche war einfach eine Katastrophe und für jede Ablenkung – egal wie dämlich sie auch sein mag – war ich unheimlich dankbar.
 

Wir erreichten ein Geländer, was durch einen riesigen Zaun abgesperrt wurde und dessen Herzstück ein riesiges Haus war.

Schluckend blickte ich rauf.

»Roland!«, begrüßten ihn einige Handwerker. Lautlos folgte ich ihm, in das Gebäude. Ich hörte es von allen Seiten bohren und hämmern. Auch wenn etliches noch mit Abdeckplanen ausgelegt war, ließ sich doch erkennen, dass wir uns in einer prächtigen Eingangshalle befanden.

»Ist das dieses Bauprojekt?«

Roland nickte und legte auf einen Tisch seine Unterlagen ab. Er deutete mit seinem Finger auf eine offene Skizze. »Wenn alles klappt, wird es im Frühjahr fertig sein.«
 

Es sah wirklich sehr gut aus und wenn ich das Geld hätte, würde ich sofort einziehen. Das leise Surren eines Telefons ließ mich aufhorchen. Roland stellte sich etwas abseits, dass ich ihn kaum verstand. Angespannt spitzte ich meine Ohren, verstand jedoch nur Wortfetzen: »Ja… ist hier… sein muss… ihn hier…«

Ärgerlich biss ich mir auf die Lippen. Ich war einfach zu neugierig, aber anderseits gehörte es sich nicht zu lauschen und so versuchte ich mich auf die Skizzen zu konzentrieren.

Roland wandte sich lächelnd zu mir.

»Magst du mitkommen. Ich muss oben, was prüfen.«

Oben?’, schrie ich entsetzte auf und schüttelte sehr zaghaft meinen Kopf. Es reichte schon, wenn eine Person von meiner Höhenangst wusste.

»Ich warte lieber hier. Darf ich?« Ich deutete in Richtung eines Gangs und Roland zuckte flüchtig mit den Schultern.

»Schau dich ruhig um. Bin gleich wieder da.«

Er schenkte mir noch ein charmantes Lächeln, worauf mein Herz etwas schneller schlug und ich verlegend dem Flur widmete.
 

Ich schlich von Tür zu Tür und sah überall hinein, vereinzelt winkten mir Handwerker zu. Der eine oder andere zwinkerte, worauf ich erschocken weiter ging, was man eher als flüchten beschreiben konnten.

Am Ende hockte ich mich hin und strich mit dem Finger über den glatten Marmorboden. Es war ein angenehmes Gefühl, die Kühle zu spüren, als saugte sie alle Sorgen aus einem.

Schade, dass es nicht wirklich passierte…
 

»Wo ist sie?«

Erschrocken schreckte ich auf, denn ich hatte niemals mit dieser Stimme hier gerechnet. Von Panik ergriffen suchte ich mit meinen Augen nach einem versteck und fand lediglich die Theke, die später die Rezeption sein würde.

Fix sprang ich auf und flüchtete mich dorthin. Zusätzlich legte ich eine Plane über mich und hielt den Atem an.

Ich hörte Schritte in dem Raum rennen.

»Wo ist sie?«

»Schrei nicht so«, brummte Roland, der ebenfalls den Raum betrat, »Sie war gerade noch hier. Hast du nicht ein Meeting?«

»Ist eh nur belangloses Zeug.«

»Sie gefällt dir und lässt dich nicht ran«, lachte Roland. Plötzlich hörte ich es krachen und hätte mich beinahe durch einen Schrei verraten. Rechtzeitig presste ich meine Hände gegen den Mund und unterdrückte meine Neugier nach ihnen zu linsen.

»Hey! Beruhig dich! Ich hab keine Lust, alles neu renovieren zu lassen!«

»Wo ist sie?«, wiederholte Leonardo seine Frage.

»Sie läuft hier irgendwo rum. Oder vielleicht ist sie auch gegangen. Was hast du mit ihr gemacht? Sie sah fertig aus?«

»Geht dich nichts an.«

»Vielleicht schon.«

»Was willst du damit sagen?«
 

Mein Herz fing automatisch schneller an zu schlagen. Ich hörte es in meinen Ohren so laut schlagen, dass ich befürchtete, die beiden würden es hören.
 

»Du weißt, was ich damit meine.«

Etwas donnerte auf den Theken ein und ich zuckte zusammen. Gott sei dank, hatte ich die Plane über mich gezogen, sonst hätten sie mich spätestens jetzt entdeckt.

Nicht auszumalen, was dann passierte…
 

»Lass die Finger von ihr! Sie gehört mir

»Meinst du nicht, sie hätte da noch ein Wörtchen mitzureden?«

Schritte stampften von mir weg und waren irgendwann verklungen. Gespannt wartete ich, was passierte. Ich hätte gerne die Antwort von Leonardo gehört. Wenigstens hatte Roland ihm gekontert.

Ihm!

Wie kann man nur so Ich- bezogen sein?’
 

»Du kannst jetzt rauskommen.«

Ich schreckte auf und stieß mir den Kopf an der Theke.

Woher wusste er das?’, fragte ich mich und wusste, das wurde eine Beule geben. Die Plane hob sich und Rolands Kopf lugte von oben herab.

»Ich habe deinen Schatten am Boden gesehen«, erklärte er und mein Blick landete direkt zu Boden. Tatsächlich sah jeder sofort meinen Schatten, der in die Halle kam, wo ich war. Ich hatte die Lampe neben mir gar nicht bemerkt, die meine Silhouette abzeichnete.

Ob er es auch gesehen hatte?’

Panik durchströmte meinen Körper.

Wenn er es gesehen hat, dann wird er…’

»Willst du nicht rauskommen?«

Roland reichte mir eine Hand, die ich nur anstarrte. Der Mann hatte gerade Mr. Fürchterlich gestanden, dass er mich gern hatte und weit aus mehr als das. Wenn ich die Hand nun ergriff, würde ich dem zustimmen?
 

Schließlich erhob ich mich ohne seine Hilfe aus meinem Versteck.

»Ich habe ihn noch nie so hitzig gesehen«, fragend sah ich Roland an, »Leo. Meistens lässt er Arschloch Typen raushängen.«

Ich zuckte mit den Schultern. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich mich langsam auf dem Heimweg machen musste. Mein Auto wurde zwar gefunden, erinnerte ich mich an das Gespräch mit Mr. Unmöglich, doch das war Kilometer weit von mir entfernt.

»Soll ich dich nach Hause bringen?«, kam Roland mir zuvor, bevor ich mich verabschieden konnte. Ich nickte bloß und fand mich in den nächsten Minuten vor meiner Wohnung wieder.
 

Ich winkte Roland noch nach, dann lief ich durch die Haustür, die wie immer offen stand. Ich machte mir ebenfalls nicht mehr die Mühe zu schließen. Manches Mal geschah es aus Reflex, dieses Mal jedoch, wollte ich lediglich in mein Bett.

Ich war fertig mit der Welt. Am liebsten wollte ich die letzten Tage dieser Woche nur noch im Bett verbringen, und wir hatten erst Donnerstag.

Ich schleifte mich die Stufen hoch und kramte nach meinem Schlüssel, als ich meine Tür offen erblickte.

Das konnte doch nicht – ’

Ich hechtete die restlichen Stufen rauf und stürmte in meine Wohnung. Alles sah unverändert aus, nichts lag auf dem Boden verteilt und nichts wurde gestohlen. Es gab ja auch nichts, außer meinen Laptop, den ich sicherheitshalber immer bei mir trug. Erleichtert stellte ich die Tasche auf der Couch ab und suchte das Schlafzimmer auf, da packte mich etwas von Hinten.

Jemand legte eine schmierige Hand auf meinen Mund, ehe ich den Gedanken hatte zu schreien.

Ich wehrte mich und holte zum Schlag aus. Doch der Treffer ließ mich nicht aus meiner Lage befreien, stattdessen schleuderte mich jemand auf das Bett und drückte mein Gesicht ins Kissen.

Ich bekam kaum noch Luft.

Ich musste mich wehre und brüllte in das Kissen, was bloß wie ein unterdrücktes Stöhnen klang. Etwas streifte meinen Hals, was sie wie eine ekelige Zunge anfühlte.

Angewidert startete ich einen weiteren Versuch mich zu befreien, doch das Gewicht einer Person lag auf mir und ich konnte mich nicht mehr bewegen.

Warum ich!’

Ich kniff meine Augen zusammen und merkte, wie sich etwas, an meiner Hose zuschaffen machen. Weiterhin wandte ich mich in seinem Griff. So leicht wollte ich es dem Schwein nicht machen!

Hingegen ließ langsam meine Kraft nach.

Der Griff um meine Handgelenk wurde stärker und das Gewicht schwerer auf meinem Körper. Vor Schmerzen schrie ich auf.

Hasst Gott mich so sehr?’

Tränen rangen über meine Wangen und sickerten gleich ins Kissen. Ich hörte das Reißen von Stoff und spürte, dass mein Rücken freilag.
 

Plötzlich donnerte es und das schwere Gewicht auf mir war verschwunden. Blitzschnell sprang ich auf, ohne mich umzusehen und rannte aus der Wohnung. Ich hörte Schritte hinter mehr her rennen.

Vollkommen blind rannte ich weiter und merkte erst ein Stockwerk höher, dass ich nicht nach unten gelaufen war.

Angetrieben von Angst lief ich weiter, stolperte und schlug mit dem Knie gegen die Kante einer Stufe, dennoch kroch ich weiter, bis die Tür des Dachbodens mich aufhielt.

Ich zerrte an der Klinke, allerdings ließ sich die Tür nicht öffnen. Hinter mir hörte ich die Schritte immer näher kommen. Ich presste mich mit dem Rücken enger an das Holz und machte mich ganz klein.

»Geh weg!«, schrie ich, aber das scherte die Person nicht.
 

»Ich bin’s nur…«, sprach Leonardo leise und blieb auf der letzten Stufe stehen. Ich schlang die Arme um mich, während er sich stillschweigend zu mir setzte.

Eine Weile sagte niemand etwas. Wir saßen nur so dar, bis er seinen Arm um mich legte und ich mich weinend an seinen Hals schmiss.

Erst sehr langsam registrierte ich weitere Stimme, sowie das Geräusch von lauten Sirenen. Schritte rannten durch den Flur und brüllten sich unverständliches Zeug zu, am Ende widmete sich eine tiefe Männerstimme Leonardo zu: »Alles in Ordnung?«
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Ein frustriertes Herz weint

Obwohl ich alles um mich herum mitbekam, war es doch so, als schaute ich mir einen Kinofilm an. Ich sah, wie Polizisten einen Mann abführten, wie ein Mann in einem Mantel sich zu uns setzte und Fragen stellten, die Leonardo für mich beantwortete. Der Police Leutnant, wie sich der Mann vorgestellt hatte, erklärte etwas Leonardo, aber ich hörte nicht zu. Ich wollte nicht zu hören.

Es war, als wären dicke Wattebällchen in meinen Ohren, die jeden erdenklichen Ton in sich aufnahmen und nicht erlaubten zu mir durchzudringen, worüber ich unsäglich dankbar war.

Meine Hände klammerten sich die Fetzen, die mal meine Bluse waren, in meinen Gedanken realisierte ich nicht, dass der Stoff kaum noch das nötigste bedeckte. Jemand legte mir eine Decke über die Schulter und ich zuckte zusammen.
 

»Da hat sie wirklich Glück gehabt. Wenigstens haben wir das Schwein endlich«, nahm ich langsam ihre Stimmen wahr, »Das letzte Mal ging es tödlich aus. Hat sie Verwandte hier, wo sie solange bleiben kann?«

»Wir wollten eigentlich eh nächsten Monat zusammenziehen«, log Leonardo. Ich machte mir nicht die Mühe ihn zu unterbrechen, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, stattdessen sah ich ihn mit großen Bambiaugen an.

Der Polizist nickte und fügte hinzu: »Dann ist es ja gut. Eine Frau sollte nicht alleine in dieser Gegend wohnen.«

Ich spürte, wie mich jemand hochzog und durch den Flur hinaus in die Kälte führte. Der Wind wuschelte durch mein Haar und ich spürte die Kälte des Winters, der sich langsam ankündigte.

Leonardo setzte mich behutsam auf den Beifahrersitz. Ich stierte bloß ins Leere.

»Haben sie eine Nummer, damit ich sie erreichen kann«, fragte der Mann und Leonardo reichte ihm ein Kärtchen.

Gewissenhaft las der Leutnant und hob fraglich seine Augenbrauen. »Mr. Andrews von ‚Bank of Manhattan’?«

Leonardo nickte einmal und erklärte: »Sein Sohn.«

»Dann werden sie bestimmt von mir hören. Sie möchten schließlich wissen, was mit ihm passiert.«

Der Leutnant wippte mit dem Kopf zum Wagen, in dem Polizisten den Mann gezerrt hatten.

»Nicht unbedingt. Er sollte nur nicht mehr bei mir aufkreuzen«, knurrte Leonardo und ließ sich auf seinen Platz fallen. Er winkte dem Mann mit der Hand flüchtig zu, startete den Motor und fuhr die Straße entlang.

Mir entging es nicht, dass er sein Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Haut an den Knöcheln weiß schimmerte. Aber ich würde mich hüten, das Thema anzusprechen, stattdessen schlang ich die Decke enger an mich.
 

Auf der ganzen Fahrt und auf dem Weg in sein Apartment sprachen wir kein Wort. Ich ließ mich bereitwillig auf die Couch verfrachten und rührte mich nicht. Mein Blick fiel auf den ausgeschalteten Fernseher. Die Fernbedienung lag auf dem Glastisch und es hätte mich nur eine Bewegung gekostet, ihn einzuschalten, um die Stille zu vertreiben, aber ich wartete. Ich wartete auf was auch immer. Vielleicht schlug ein Blitz ein und sagte mir, was ich zu tun hatte? Vielleicht aber auch nicht.
 

Stöhnend setzte sich Leonardo neben mir und ging sich durch die Haare. Dann ließ er sich zurückfallen und betrachtete mich verzweifelt. Ich sah stur auf den ausgeschalteten Fernseher.

Seine Finger spielten mit meinen Haarspitzen.

Schlagartig schlang er seinen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. Ich wehrte mich nicht. Irgendwie war mir gerade vollkommen alles egal.
 

Am Ende war es Leonardo, der den Fernseher einschaltetet, worauf uns gleich eine Nachrichtensendung entgegen kam, in der berichtet wurde, dass der Vergewaltiger von New York gefangen genommen worden sei.

Es blätterte an mir ab. ‚Ist mir doch egal und wenn der Papst gestorben wäre…’

Sofort schaltete er um – irgendein Horrorfilm – wieder schaltete er um und er schaltete ein weiteres Mal um, bis er bei einem Teleshoppingsender hängen blieb.

Irgendein billiger Topf, der angeblich aus teurem Stahl sei, präsentiert von einer Verkäuferin, die mit diesen Fingernägel bestimmt nicht koche konnte.

»Sag was«, forderte Leonardo mich auf. Ich presste meine Lippen fest aufeinander. Ich hatte keinen Grund, etwas zu sagen oder zu bereden. Unter der Decke wurde es langsam stickig, dennoch zog ich sie enger an mich, dass lediglich mein Kopf hervorlugte. Ich spürte die Fetzen an meiner Haut und wollte sie mir am liebsten vom Körper reißen, dennoch rührte ich mich nicht.

»Amanda…«

Erbost meinen Namen zu hören, funkelte ich ihn wütend an. Es interessierte mich nicht, dass seine Stimme dabei wehmütig klang und er meinen Namen auf eine liebevolle Art und Weise ausgesprochen hatte. Die Tatsache, dass er es überhaupt wagte, meinen Namen zu nennen, ließ mich unvorstellbar wütend werden. Niemand hatte das Recht meinen Namen auszusprechen. Kein Mann dieser Welt!

Es ekelte mich an!

Er setzte erneut an, meinen Namen zu sagen, hingegen kam ich ihm zuvor und schlug ihm ins Gesicht. Ein lauter Knall durchschnitt die Luft und ich sah deutlich meinen Handabdruck auf seiner Wange.

Ich hatte keine Angst, dass er mich schlagen könnte oder dass er es wagte irgendetwas zu machen. Und selbst wenn, es war mir im Moment egal. Mein Blick fiel auf meine Hand, an der ich die Reste meiner Bluse betrachtete. Ich packte mit der anderen Hand nach dem Stofffetzen und zerrte daran.

Eigentlich hasste ich Blusen schon immer. Ich mochte viel lieber Pullover. Sie waren bequemer und bestanden nicht aus solch einem dünnen Stoff, der schon bei dem kleinstem Zerren riss.

Das Geräusch von Stoff, der zerriss, erfüllte – neben der quiekenden Stimme der Verkäuferin – den Raum.

Schließlich riss ich mir die Bluse vollständig vom Leib und schmiss sich angewidert weg. Sie landete gerade Mal vor mir auf dem Glastisch, worauf ich aufstand, zum Fenster stürmte und sie hinaus warf.

Sofort erfasste der Wind die Reste und wehte sie davon.

Mein Blick ging in die Tiefe und mir wurde schlecht. Meine Knie sackten weg und ich saß auf dem Teppich.
 

Leonardo stand stillschweigend auf und legte lediglich die Decke wieder um meine Schultern. Ich stieß ihn weg und schlang die Arme um mich.

Er hockte sich vor mir hin, und betrachtete mich wie ein Objekt, schließlich erhob er sich stöhnend und widmete sich seinem Telefon. Sollte er sich ruhig zu einer seiner Affären verziehen. Ich wollte ihn so oder so nicht sehen.
 

Nach einer Weile klingelte es an der Tür. Ich hörte weitere Schritte durch die Wohnung eilen.

»Wo ist sie?«, hörte ich eine weibliche Stimme, die ich als die von Emilia erkannte. Sobald sie mich erblickte, wandte sie sich zu Alessandro und Leonardo zu. Wild mit den Armen am Fuchteln scheuchte sie die beiden hinaus.

»Das übernehme ich jetzt. Geht!«

Brav folgten die beiden Männer und die Frau kam auf mich zu. Sie setzte sich neben mir und lächelte, was allerdings ihre Augen nicht erreichten.

»Weißt du was mir immer hilft, wenn ich richtig schlecht drauf bin«, sie wartete, dass ich etwas sagte, doch ich blieb stumm, »Süßes und gute Filme mit heißen Schauspielern.«

Sie nahm mein Handgelenk und forderte mich so auf, ihr zu folgen. Schweigend kam ich dem nach und setzte mich zurück auf die Couch. Kritisch schaute sie mich an und verschwand aus dem Wohnzimmer, um kurz darauf mit einem Pullover wieder zu kommen.

Bevor ich etwas sagen oder machen konnte, stülpte sie ihn dreist über mich. Dieses Ding war einige Nummern zu groß und eindeutig für einen Mann. Schlimmer dabei war, es roch nach ihm!

»Das müsste gehen«, meinte sie und sah mich an, »Das ist jetzt deiner.«

Noch immer saß ich einfach nur dar. Sie verschwand in der Küche und kam mit zwei Tassen Kaffee zurück.

»Was ist passiert?«, fragte sie und ich zuckte bloß mit den Schultern. Stöhnend setzte sie sich neben mir hin und spielte mit ihren Händen. Sie wartete gerade Mal ein paar Minuten ab, als sie erneut das Wort ergriff: »Du musst dich aussprechen! Glaube mir, danach geht es dir wieder besser.«

Doch ich wollte mich nicht aussprechen. Es war mir alles egal, mein Körper, ich selbst, und gleichzeitig war ich so wütend und angeekelt von mir.

»Ich weiß was.« Emilia sprang auf und huschte wiederum durch die Wohnung, als wäre es ihre. Skeptisch beobachtete ich sie dieses Mal. Ehe ich etwas sagen konnte, drückte sie mir ein Kissen in die Hände.

»Ich will, dass du all deinen Frust daran auslässt.«

Ich betrachtete das Kissen – was eigentlich nichts dafür konnte – und nahm es in meine Hände.

Emilia nickte und beugte sie zu mir vor. »Das wirkt wahre Wunder. Das mache ich immer, wenn Alesso mich auf die Palme bringt.«

Fraglich hob ich meine Brauen und sah auf das flauschige Kissen. Emilia zeigte mit den Händen auf das Kissen, dass ich zuschlagen sollte.

Ich kann doch kein…’

Tief atmete ich ein und schlug leicht gegen das Kissen.

Was soll das schon bringen?’

Die ersten zwei Schläge waren sehr zaghaft, als mich die Wut packte und ich noch einmal kräftiger zuschlug.

»Dieser blöder Mistkerl. Dauernd diese Spitznamen!!! Dann mein Auto!!!«, die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich schlug immer wieder auf das Kissen ein, »Und dann bricht ein Arsch in meine Wohnung ein!!! Das ist meine Wohnung! Meine! Meine…«

Ich schleuderte das Kissen weg, traf ein Regal, worauf einige Bilderrahmen scheppernd zu Boden fielen. Mir war es egal, dass Mr. Unmöglich böse auf mich sein würde. Ich war sauer!
 

Ich zog die Beine an mich, vergrub meinen Kopf unter den Händen und weinte bitterliche Träne.
 

Wie ein Tiger lief er auf und ab und es war ein Wunder, dass sich im Flur noch keine tiefe Riefe gebildet hatte. Alessandro hatte sich lässig gegen die Wand gelehnt und beobachtete seinen Kollegen amüsiert.

»Dass ich dich mal so sehe«, grinste er. Leonardo stoppte, um flüchtig zu knurren und tigerte erneut auf und ab.

Schließlich blieb Leonardo stehen, ging sich durch die Haare und blickte zur Tür. Er hatten die Haustür einen Spalt aufgelassen, um fix zurück in die Wohnung zu stürmen, falls nur der leiseste Verdacht gab, dass sie ihn brauchte. Es war zum Zerreißen. Das Gefühl der Hilflosigkeit war ein beschissenes Gefühl, wie Leonardo feststellen musste. Wütend ballte er seine Hände zu Fäusten.

Wenn ich nicht da gewesen wäre…’

Er knirschte mit den Zähnen.

Alessandro legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter.

»Emilia macht das schon.«

»Ach wirklich«, fauchte Leonardo.

»Du hast sie wirklich gern.«

Leonardo antwortete nicht, was er jedoch nicht musste, seine Reaktion war Alessandro genug, um zu wissen, wie wichtig im das Mädchen war. Leonardo wandte sich mit dem Gesicht ab und ging sich wiederum durch die Haare.

Ein lautes Schluchzen kam hinter dem Spalt hervor. Sofort stürmte Leonardo los. Sein Mädchen brauchte ihn.
 

Mehrfach entfleuchte mir ein lautes Schluchzen. Ich war derartig in Rage, dass ich nicht merkte, wie zwei starke Arme sich von hinten um mich schlangen. Ich weinte all meinen Frust von der Seele.

»Warum immer ich! Warum? Ich versuche doch nur irgendwie zu leben…«

»Ich bin da…«, flüsterte eine angenehme tiefe Stimme in mein Ohr. Sanft strich sein Daumen über meine Wange.

Vorsichtig blickte ich nach oben und sah in Leonardos besorgtem Gesicht. Das stand ihm ganz und gar nicht und ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass er zu so einem Gesichtsausdruck fähig sei.

Er wischte mit seiner Hand die Tränen weg. Es war mir peinlich und ich stieß ihn prompt weg.

Ich bin vor Fremden zusammen gebrochen! So etwas durfte nie passieren. Schockiert sprang ich auf und wollte aus der Wohnung stürmen, doch meine verweinten Augen ließen nicht zu, klar zu sehen. Ich stolperte über meine eigenen Füße und hielt mich eben noch irgendwo fest, was ich darauf zu Boden riss, dennoch drehte ich mich nicht um, sondern rannte weiter in den nächsten Raum. Die Tür knallte zu und ich lehnte mich mit dem Körpergewicht dagegen.

Es klopfte gegen das Holz, worauf ich zusammenzuckte. Ich schüttelte meinen Kopf, in der Hoffnung, sie sahen es. Es war peinlich, mich so gehen zu lassen.

Am Ende ließ ich mich zu Boden sinken. Das Klopfen auf der anderen Seite hatte nachgelassen.

Ich hörte, wie sich Emilia und Alessandro verabschiedeten, was mich daran erinnerte, dass ich nun alleine mit ihm war.

Er würde meinen Schaden sehen, er würde sauer werden. Ich war gefangen!

Schweigend saß ich dar, während einzelne Tränen über meine Wangen liefen.
 

Eine Weile saß ich einfach dar, bis mir bewusst wurde, dass einfach nichts passierte. Ich drehte mich zur Tür und legte mein Ohr an das Holz. Es raschelte dahinter. Meine Hände legten sich auf das Holz. Auch wenn ich es nicht sah, ich wusste, er saß direkt hinter der Tür und lauerte auf mich.
 

Etwas raschelte.

»Amanda?«, flüsterte er meinen Namen. Ich zuckte zusammen.

Meine Hände zitterten.

»Amanda, bitte mach die Tür auf…«

Ich nagte an meinen Fingernägel. Sollte ich seiner Bitte nachgeben?

Noch bevor ich zu einer Entscheidung kam, hatten meine Finger sich um die Klinke gelegt und die Tür geöffnet. Er saß vor der Tür und schaute mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an.

Ich setzte an etwas zu erwidern, hingegen schlang er die Arme um mich und zog mich an seine Brust.

Ich war nicht in der Lage mich zu wehren, fiel zu überrascht war ich über seine Reaktion.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Alles, was nicht gut war

Zärtlich strich er durch mein Haar und vergrub sein Gesicht in meiner Mähne. Langsam kehrte mein Verstand zu mir zurück und überschüttete mich mit Warnungen, doch meine einzige Handlung bestand darin, meine Hände gegen seine Brust zu drücken, um wenigstens etwas Abstand zu schaffen.

»Nein!«, rief ich laut aus, »Ich werde nicht eines deiner Trophäen

»Trophäen?«, fragte er und bemühte sich weiterhin, mich mit seiner Stimme zu beruhigen. Ich schaffte es mich loszureißen und rannte ins Wohnzimmer, mit ihm im Schlepptau.

»Wie meinst du das?«

»Du weißt es sehr genau!«, Ich wischte meine Tränen am Kragen des Hemdes weg, »Du sammelst Frauen wie Trophäen. Und das werde ich niemals sein. Es ist erbärmlich, dass du noch solch eine Situation ausnutzt!«

Leonardo presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Seine Hände, die vorher noch ruhig auf der Couchlehne lagen, krallten sich nun in das Leder, welches ein knirschendes Geräusch von sich gab.

»Das glaubst du?«, schnaufte er, sichtlich bemüht die Fassung zu behalten, »So schätzt du mich ein?«

Ich ruderte wild mit den Armen um mich, um nicht auf seine Frage zu antworten und auch, weil ich es nicht wollte.

Was sollte ich sonst von ihm denken. Bei den Frauen, die um ihn waren.

Ich drehte ihm den Rücken zu und schlang die Arme um mich. Eine Panikattacke überkam mich: Ich spürte die Hände dieses ekeligen Mannes an mir, auch wenn ich es besser wusste – sie waren nicht mehr da – und doch, spürte ich sie genau in diesem Moment deutlich an mir. Ich hörte, wie er nah an meinem Ohr atmete. Meine Hände drückten instinktiv gegen meine Ohren.

Meine Beine zitterten.
 

Weinend glitt ich zu Boden. Meine Lippe bebte, sowie alles an meinem Körper. Obwohl nichts passiert war, fühlte es sich an, als wäre es passiert. Die Tatsache, dass ich ausgerechnet noch von jenem Mann gerettet wurde, der Vergnügen daran hatte mich zu ärgern, das war einfach zu viel.
 

Sein Herz zog sich zusammen, sie derartig auf dem Boden kauern zu sehen. Er krallte die Finger noch fester in das Leder, um nicht zu ihr zu rennen. Er wusste, sie würde ihn wegstoßen und mit einem Blick ansehen, was ihm das Herz zerriss. Wieso machte ihn es so verrückt? Wieso nahm es ihn so mit?

Er wünschte sich bloß, sie wieder lachen zu sehen. Sie sollte nicht vor ihm kauend am Boden hocken und weinen. Sie war doch sein Mädchen und das sollte nicht in seinem Beisein weinen, nicht wegen so etwas.

Seine Finger lösten sich vom Leder und seine Füße bewegten sich von alleine. Ehe er sich versah, stand er vor ihr, ging in die Hocke und setzte sich hinter ihr.

Sie bemerkte es nicht einmal. Das Wimmern riss sein Herz in zwei.

Zaghaft legte er seine Hände auf ihre Schultern. Als sie ihn nicht zurückstieß, gab er sich einen Rück und schlang seine Arme um ihren Hals. Doch nicht fest, sein Griff war so locker, dass sie sich jeder Zeit entreißen konnte. Er wollte ihr nicht das Gefühl geben, wieder gefangen zu sein. Stillschweigend blieben sie sitzen. Er spürte ihre zarten Finger, die nach seinen Armen griffen und zudrückten, was viel zu schwach war.

»Ich bin da…«, flüsterte er in ihr Ohr und nahm ihren süßlichen Duft wahr, der ihm nicht das erste Mal aufgefallen war. Egal, wo sie war, sofort nahm er diesen einzigartigen Duft wahr. Eine Mischung aus Lilien und Erdbeeren.

»A – «

Ehe er ihren Namen aussprechen konnte, lag ihre Hand auf seinem Mund. Er musste sich zusammenreißen, um nicht begierig ihren Duft einzuatmen.

»Nicht…«, hauchte sie tonlos, »Sprich meinen Namen nicht aus.«

»Warum?«

Doch eine Antwort bekam er nicht, obwohl er sie zu gerne dazu zwingen würde. Er hatte einen Verdacht und sie sollte es endlich aussprechen. Sie sollte es sagen. Wieso konnte sie ihm nicht sagen, dass sie ihn mochte? Sogar mehr als das.

Er würde nicht aufgeben. Seine Lippen lagen dicht an ihrem Ohr. Sie hätte jeder Zeit wegrennen können. Jeder Zeit, sagte er sich, aber er musste es probieren.

»Du hast einen schönen Namen, Amanda«

Ihm entging es nicht, dass sie beim Klang seiner Stimme zusammenzuckte. Aber es war kein Zucken, was Angst signalisierte, es war etwas anderes.
 

Er sollte meinen Namen nicht aussprechen. Nicht er!

Ich sah wie sich seine Lippen ein weiteres Mal formten, um meinen Namen auszusprechen, hingegen ertrug ich das nicht.

Ruckartig sprang ich auf und rannte los, stolperte über meine Füße und drohte Kopf über zu fallen. Sofort war er zur Stelle.

Das ist nicht fair! Wieso rettet mich dieser Mann andauernd?’

Ich presste meine Lider zusammen, um die Tränen zu unterdrücken, doch sie fanden bereits ihren Weg nach Draußen. Wütend biss ich mir auf die Lippe.

Leonardo zog mich mit einer schnellen Bewegung hoch. Ich wich seinem Blick aus und obwohl ich mich mit Leichtigkeit wieder befreien könnte, hatte ich meine Kraft verloren.

»Ein Wort…«, hauchte ich.

Nur einmal meinen Namen und…’ Ich ballte meine Hände zu Fäusten.

Er setzte an zu sprechen und meine Hand erhob sich, als seine Lippen plötzlich auf meinen Lagen. Perplex vergaß ich mich von ihm loszureißen. Starr vor Schreck konnte ich mich nicht rühren und starrte in sein Gesicht. Er hatte seine Augen wie meine geöffnet. Ich spürte das Lächeln auf seinen Lippen. Das entfachte meine Wut und ich biss in seine Lippe. Nicht zu fest, aber so fest, dass er zurück wich und zischte.

Das hast du verdient!’ Ich funkelte ihn böse an, doch sein Zorn wandelte sich in ein tiefes Lächeln.

Jetzt belächelt er mich auch noch.’

Ohne darüber nachzudenken, boxte ich gegen seinen Arm und er fluchte leicht auf.

»Das solltest du unbedingt lassen…«, sein amüsierter Ton blieb jedoch, »Ich kann doch schlecht erzählen, dass ich von einer Frau verprügelt wurde.«

»Kannst du ja als Anmachmasche nehmen«, konterte ich und drehte ihm den Rücken zu, allerdings drehte der Mistkerl mich geschwind zu sich um.

Was will er denn noch?’

Es war schon schlimm genug, dass ich seine Wärme noch auf meinen Lippen spürte – auch wenn ich viel zu geschockt war, um es zu genießen. Eigentlich ging es viel zu schnell, als das ich etwas spüren konnte, als das ich es genießen könnte und ein Drang in mir wünschte sich, ich hätte mich gehen lassen.

Diese Einsicht war am schlimmsten, denn das würde bedeuten, ich würde den Vollidioten mögen.

Nein! Auf keinen Fall.’

»Versuch ich doch gerade«, weckte er mich.

»Bring mich nach Hause«, forderte ich ihn auf. Schlagartig spannten sich seine Gesichtsmuskeln an und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, stattdessen strafte er mich mit einem finsteren Blick. Entrüstet wich ich einen Schritt zurück.

»Nein!« Seine Stimme war wie die Klinge eines Messers, haarscharf und gefährlich.

»Du kannst mich nicht festhalten«, protestierte ich.

»Ich lasse dich nicht mehr da wohnen.«

»Das hast du nicht zu bestimmen!«

»Und ob ich das habe. Du gehörst mir

Ich setzte an ihn anzuschreien, als mir seine Worte bewusst wurden. Zuerst glaubte ich mich verhört zu haben, aber ich war mir sicher, er hat genau diese Worte benutzt: ‚Ich gehöre ihm.’

»Was?«

Auch er bemerkte jetzt, was er gesagt hatte und sah mich erschrocken an.

»Ich arbeite nur für dich, verwöhntes Söhnchen. Aber das ist alles Geld der Welt nicht wert. Ich kündige!«

Im selben Moment, wo ich die Worte ausgesprochen hatte, bereute ich es, gleichwohl würde ich keinen Rückzieher machen. Ich würde es durchziehen, kostete es, was es wollte.
 

Nach ein paar Minuten hatte er immer noch Nichts gesagt und ich drehte mich um. Das war meine Chance aus der Wohnung zu verschwinden, und diesen Mann und alles zu vergessen, anderseits wollte ich, dass er mich zurückhielt.

Amanda, bewegt deinen Arsch!’, stachelte ich mich an schneller zu gehen. Ich hatte nichts bei mir. Ich wusste noch nicht einmal, wann ich in seine Wohnung kam und ich trug noch immer sein Hemd.

Meine Füße spürten den Fußboden unter sich und ich bemerkte, dass man mir die Schuhe ausgezogen hatte. Meine Augen suchten nach meinen Schuhen, irgendwo mussten diese verdammten Dinger sein, wenn nicht ginge ich barfuss, wäre nicht das erste Mal.
 

Weil mir das Suchen und das Fragen nach meinen Schuhen zu blöd waren, riss ich die Haustür auf.

Wieso hält er mich nicht zurück?’

Gott, ich wusste selber nicht mehr, was ich wollte. Ob ich mal zu dem da oben beten sollte? Ich hatte die Türschwelle fast betreten, da hielt mich seine Stimme zurück.

»Warte…«

Fragend blickte ich über meine Schulter. Auch, wenn ich erleichtert war, ich wollte nicht unbedingt signalisieren, wie glücklich mich das machte.

»Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Mach die Tür wieder zu. Du willst doch nicht barfuss durch New York laufen?«

»Wir wissen beide, dass ich das tun würde«, antwortete ich viel zu bissig, als ich eigentlich wollte. Er schmunzelte und nickte flüchtig. »Dann sollten wir es bei dem einem Mal belassen.«

Gute Idee’, dachte ich mir, denn inzwischen war es kalt geworden.

»Willst du Kaffee?«

Skeptisch hob ich meine Augenbraue. Noch immer hatte ich mich nicht gerührt und musste lediglich einen Schritt tätigen und ich wäre aus dem Apartment. Seufzend ging sich Leonardo durch die Haare. »Nur ein Kaffee, danach sehen wir weiter. Okay?«
 

Ich nickte zaghaft und folgte ihm lautlos in die Küche.

Nur ein Kaffee’, sagte ich mir und war heimlich stolz auf mich, nicht die gewesen zu sein, die klein beigegeben hatte. Allerdings, wenn ich so darüber nachdachte, war meine ganze Handlung schon dumm gewesen, also war ich irgendwie doch die Dumme.

Verdrießlich verzog ich meinen Mund und betrat die Schwelle zur Küche, wo ich stehen blieb. Ich hatte eine kleine unsaubere Küche erwartet, aber nicht das.

Weder im Waschbecken noch davor stapelte sich das Geschirr, die Suche nach Reste von einem Bestellservice war vergebens und alles glänzte, dass es mich beinahe blendete.

Die Schränke waren aus schwarzem Glas, die Herdplatte, die Arbeitsfläche, alles passte perfekt zusammen. Meine Augen entdeckten eine typische Kaffeeverpackung von Starbucks, die Leonardo aus dem Schrank holte und öffnete.

»Ich hoffe, der genügt?«, fragte er, obwohl er wusste, dass er damit genau ins Schwarze getroffen hatte. Außerdem verriet sein Grinsen ihn, dass er genau das wusste. Doch ich blieb hart, souverän. Mehr oder weniger, denn ich spürte schon, wie sich meine Kehle darauf freute und mir das Mund im Wasser zusammenlief. Alleine der Duft war schon herrlich.

»Das ist kein Geheimnis, dass ich nach dem Zeug süchtig bin«, nuschelte ich und stellte mich zu ihm. Ich zupfte verlegen an den Ärmel meines Hemdes, die viel zu lang waren und begann sie geräuschlos hochzukrempeln.

Ohne ein Wort – aber weiterhin mit dem Lächeln im Gesicht – schaltete Leonardo die Kaffeemaschine an und ich starrte dieses Ding an, als würde ich so etwas zum ersten Mal sehen.
 

Minutenlang blieben wir schweigend nebeneinander stehen und beobachteten die Kaffeemaschine bei ihrer Arbeit.
 

»Du musst mich irgendwann nach Hause bringen«, unterbrach ich die Stille. Leonardo brummte und stützte seinen Kopf mit der Hand, während seine Ellenbogen lässig auf der Arbeitsplatte lagen.

»Du kannst mich nicht festhalten!«, zischte ich mit zu wenig Nachdruck.

»Wenn das hier deine Wohnung wäre, dann wärst du zuhause und ich würde dich auch nicht festhalten.«

Ich spitzte meine Lippen. Das meinte er doch nicht ernst? Das Knattern der Kaffeemaschine kündigte an, dass der Kaffee fertig war. Bevor ich auf seine Aussage antworten konnte, suchte er in den Schränken nach Tassen und fand zwei Stück erst im dritten Schrank.

»Du magst deinen Kaffee sicher gesüßt?« Zwar war es eine Frage, hingegen stand der Zucker bereits neben meiner Tasse. Er schenkte mir die braune Brühe ein und ich suchte mit den Augen nach einem Löffel.

»Hier.« Leonardo reichte mir grinsend einen Löffel.

Wie machte er das?

Murmelnd, was Danke bedeuten sollte, nahm ich den Löffel an mich und süßte meinen Kaffee.
 

Ohne einen Ton von uns zu geben, gingen wir zurück in das Wohnzimmer, wo ich meine Verwüstung zum ersten Mal voll wahrnahm. Es war mir peinlich, mich so gehen gelassen zu haben.

Bilderrahmen lagen auf dem Boden und ich vermutete, den einen oder anderen kaputt gemacht zu haben.

Wir setzten uns auf die Couch. Natürlich achtete ich auf Abstand. Nur weil er mir Kaffee machte, war nicht alles gut. Vielleicht ein wenig, aber nicht alles. Das machte gerade mal ein zwei Spitznamen weg.

Leonardo schaltete den Fernseher ein und erst jetzt bemerkte ich, dass es längst früher Abend war. Ein Spielfilm, den ich schon einmal gesehen hatte, aber dessen Name ich vergessen hatte, lief. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich den Film mochte oder nicht, während ich an meinem Kaffee schlürfte.
 

Mittlerweile überkam mich eine leichte Müdigkeit. Ich hatte meinen Kaffee leer getrunken und obwohl der Film spannend war – ich konnte mich jedoch immer noch nicht an den Namen des Films erinnern –, hielt mich weder das eine noch das andere wach. Ich legte meinen Kopf auf die Lehne und schloss immer wieder meine Augen, bis ich sie gänzlich schloss…
 

Das Licht der Sonne auf meinem Gesicht ließ mich aufstöhnen. Mein Hand tastete nach einem Kissen und fand etwas ganz anders, etwas Hartes und zugleich Weiches: Eine männliche Brust!

Erschrocken schreckte ich auf.

Neben mir schlief Leonardo mit nichts bekleidet außer einer Boxershorts.

Ich hatte doch nicht…’

Ich schaute unter die Decke. Ich trug noch das Hemd von ihm, sowie meine Hose. Es war Nichts passiert! Erleichtert atmete ich auf. Meine Hand lag weiterhin auf seine Brust. Sachte zog ich sie weg, als seine Hand hervorschnellte und sich um mein Handgelenk legte.

Vor Schreck schrie ich auf und wollte losschlagen, da packte er meine andere Hand und zog mich auf seine Brust.

Er nuschelte etwas in mein Haar und drückte mich bloß an sich. Anscheinend schlief er noch. Ich versuchte mich einige Male von ihm zu befreien, doch er gab mich aus dem Griff nicht frei. Also musste ich mich geschlagen geben. Leider.

»Gut so…«, verstand ich. Ich knurrte. Er war doch nicht am schlafen, dieser…

Seine Hand glitt über meinen Rücken und begann zärtlich diesen zu streicheln.

Ich war doch nicht einer seiner Liebschaften!

Noch einmal drückte ich mich von seiner Brust ab, aber er festigte lediglich seinen Griff.

»Lass mich los«, forderte ich ihn auf.

»Nein«, lachte er und zog es in die Länge, worauf es eher lächerlich klang. Der Mistkerl hatte auch noch Freude daran, mich zu quälen.

»Entspanne dich doch einfach mal.«

»Entspannen, wenn du da bist! Nein, danke!«

»Vielleicht sollte ich in Kaffee baden, dann würdest du – «

»Wag es nicht, das auszusprechen!«

Wütend funkelte ich ihn an. Ich war keine seiner Affären, ich war nicht eine von vielen!

Er lachte auf. Zum ersten Mal hörte ich ihn so voluminös Lachen, dass ich alles vergaß, auch meinen Protest ihm gegenüber.

Wenn ich ehrlich zu mir gewesen wäre – was ich nicht war – hätte ich mir eingestehen müssen, dass mir sein Lachen gefiel.

Er schlang seinen Arm um meine Hüfte. Eigentlich sollte ich seine Hand sofort weg schlagen, aber ich konnte es nicht. Es gefiel mir.

Stöhnend ging ich mir durch die Haare. Das durfte ich nicht zulassen, ich darf meinen Chef nicht mögen. Er war gemein! Genau, gemein! Unfair! Böse! Ein Macho!

Er war alles, was nicht gut war für mich.
 


 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Es könnte so schön sein...

Es fiel ihm unheimlich schwer, die Fassung zu bewahren. Wusste sie eigentlich, dass er in ihrem Gesicht alles ablesen konnte? In ihren großen grünen Augen, die wie ein scheues Reh auf ihn runter sahen und sich nicht entscheiden konnten, ob sie es gut oder schlecht fanden. Dauernd, wenn sie etwas abwog, spitze sie dabei ihre Lippen, was dann meistens zu einer Kurzschlussreaktion führte. Langsam durchschaute er seinen Rotfuchs.

Bevor sie bloß den Gedanken fassen konnte sich zu wehren, festigte er seinen Griff um ihre Hüften. Damit müsste sie sich – ob sie es wollte oder nicht - geschlagen geben, bis er es für gut hieß aufzustehen.

Seufzend warf sie ihren Kopf ins Kissen und im selben Moment jagte ihm ein Schauer durch den Körper.

Es war über seine Selbstbeherrschung überrascht. Normalerweise hätte er bereits jetzt sich über sie hergemacht.

Noch immer funkelten zwei Smaragdaugen ihn böse an, worauf er sich auf die Lippe biss, damit sie sein Grinsen nicht sah. Aber ihre Reaktion - ein lautes Knurren - sagte ihm zu deutlich, sie hatte seine Geste sehr gut verstanden.

»Lass mich los«, forderte sie ihn auf.

»Nein«, säuselte er und spielte mit ihrem Haar.

»Ich bin nicht eines deiner…«

»Na, na, keine Beleidigungen«, er legte ihr einen Finger auf ihre vollen Lippen, »Nachher bereust du es nur wieder.«
 

»Bestimmt nicht!«

Jedoch sah er ihre Skepsis im Gesicht.
 

Er lockerte seinen Griff, jedoch nur, um sich zu ihr zu drehen. Lange betrachtete er sie und sah ihr förmlich an, dass die Gedanken, die sie ihm gegenüber hatte, nicht die Nettesten waren. Anstatt sich darüber aufzuärgern, amüsierte es ihn. Eigentlich hätte er all seine Künste angewandt, um ihre Meinung über ihn zu ändern, hingegen bei ihr...

Bei ihr, fand er es verlockend, wenn sie ihm die Krallen zeigte.

»Ich habe noch ein Gästezimmer. Das wird ab jetzt dein Schlafzimmer«, sie rollte mit ihren Augen, gleichwohl gab sie keinen Widerspruch, was ihn hoffen ließ, dass sie sich langsam damit abfand, nicht gegen ihn zu gewinnen, »Wir richten es so her, wie du es dir wünscht.«

»Schwarz«, knurrte sie.

»Dann streichen wir es eben schwarz.«

Große Augen starrten ihn an, gefolgt von dem Spitzen ihrer Lippen.

»Oder vielleicht doch etwas anderes?«, hakte er nach, »Willst du es dir nicht erst einmal ansehen?«

Eine Antwort wartete er nicht ab, sondern erhob sich.
 

Aufseufzend erhob ich mich. Endlich hat mich der Mistkerl freigegeben, um dieses blöde Gästezimmer anzusehen. Wieso glaubte er, über mich entscheiden zu können? Was war ich? Eines seiner weiteren Weiber? Gott bewahre!

Wie liefen durch das Wohnzimmer zu einem Zimmer, welches auf den ersten Blick nicht ersichtlich war.

Was kommt jetzt? Die Rumpelkammer?’

Leonardo öffnete die Tür und ich linste vorsichtig ins Zimmer. In der Mitte stand ein breites Bettes, in dem locker zwei Personen hineinpassten. Und dennoch war es kein Doppelbett. Irgendwas dazwischen.

Die Möbel waren in einem dezenten Grün. Eine merkwürdige Kombination zu den hell gelben - fast weißen - Wänden, aber irgendwie schien es zu passen. Jeder Gegenstand war auf einander abgestimmt. Lediglich die Wände wirkten kahl, trotz ihrer Bilder von Blumen und Landschaften.

Es war - das musste ich leider zugeben - nicht schlecht. Zwar nicht gut, aber für einen Mann nicht schlecht.

Es sah besser aus, als mein Schlafzimmer. Was eigentlich nicht schwer fiel, da ich meine Möbel teilweise auf dem Müll gefunden hatte.

»Okay für dich?«, weckte mich seine Stimme, worauf ich flüchtig nickte und das Zimmer weiter inspizierte.
 

Inzwischen hatte ich mich an ihm vorbei geschlichen und schnüffelte in den Schränken herum. Hier und da waren einige Sachen von ihm, sonst waren die Schränke und der riesige Kleiderschrank leer. Ich hätte eher Klamotten von seinen Liebschaften erwartet. Irgendwo musste doch ein Beweis dafür sein. Irgendwo in diesem Zimmer. Neugierig öffnete ich eine Schublade nach der anderen und wurde nach der X-ten auch endlich fündig.

Ich zog einen Damenslip mit Spitze hervor.

»Das hat wohl eine deiner Liebschaften vergessen.«

Leonardo trat hinter mir, war aber nicht überrascht oder geschockt. Ein wenig enttäuscht war ich schon, anderseits war er ein Schürzenjäger, wieso sollte er schockiert sein? Er nahm den Slip in seine Hände und faltete ihn auseinander, dass ich ihn genauer betrachten konnte. Lässig legte er sein Kinn auf meinen Kopf und meinte amüsiert: »Das ist für dich. Der passende BH müsste da auch sein.«

Ehe ich danach suchen konnte, griff er in die Schublade und fischte das passende Teil heraus.

Verdattert glotzte ich auf den Hauch von Spitze, was mehr zeigte, als es bedecken würde. So etwas würde ich niemals, und ich betone niemals anziehen!

»Sieht doch hübsch aus?«

Ich riss ihm die Stücke aus der Hand und stopfte sie zurück in die Schublade. Obwohl es nicht meine Wäsche war - und ich es niemals tragen würde - ich sagte ja bereits ‚NIEMALS’ - war es peinlich. Mein Kopf musste wie meine Haare rot leuchten.

Eben noch zog er seine Finger weg, als ich die Schublade lautstark zurück in den Schrank beförderte.

»Ich will meine Sachen!«, brummte ich. Kichernd folgte Leonardo mir ins Wohnzimmer und beobachtete mich amüsiert, wie ich mich mit verschränkten Armen auf der Couch fallen ließ. Im Augenwinkel beobachtete ich ihn, wie er sich seine Lederjacke überzog und sich Papiere in die Jeanstasche steckte. Was passierte jetzt?

»Wollen wir?«, forderte er mich auf, worauf ich ihn irritiert angaffte, »Deine Sachen holen.«

Doch nicht jetzt?’

Aber ich erhob mich schon und war neben ihm auf dem Weg zu seinem Wagen.
 

Eine halbe Stunde später stand ich in meiner Wohnung und räumte eine Tasche mit meinen Sachen ein. Leonardo half mir, in dem er mir alles anreichte oder teilweise auf mein Bett warf, denn seine Aufmerksamkeit lag vor allem bei meiner Unterwäsche. Bevor er diese jedoch durchforsten konnte, hatte ich sie fix in die Tasche gestopft. Enttäuscht schmiss er alles weitere lediglich nur noch aufs Bett. Ein Schmunzeln huschte mir bei der Trotzreaktion über die Lippen.
 

»Kannst du den Weg zurückfahren?«, ich blickte auf, »Mit deinem Smart. Kannst du schon vorfahren, oder…«

»Ja, ich kann mir Strecken gut merken«, unterbrach ich ihn. Er widmete sich seinem Schlüsselbund und löste einen Schlüssel davon, den er mir in die Hand drückte.

»Mein Haustürschlüssel. Und nun, deine Haustürschlüssel.«

»Wieso?«

»Wieso wohl? Weil ich deine Wohnung ausräumen will«, ich verzog mein Gesicht zu einer bösen Grimasse, »Ich kündige die Wohnung und du fährst jetzt heim«, erklärte er und streckte seine Hand herausfordernd aus. Zögernd gab ich ihm meine Haustürschlüssel.

Bevor ich es irgendwie bereuen konnte, schulterte ich meine Tasche und wurde zusätzlich aus dem Apartment geschoben.

»Fahr schon.«

Ich drehte mich im Treppenhaus noch einmal zu ihm um und streckte ihm die Zunge raus, doch er war längst auf der Suche nach meinem Vermieter.
 

Ich setzte mich in den Smart und atmete als Erstes kräftig durch.

»Ich werde jetzt bei ihm wohnen«, flüsterte ich. Diese Worte hatten einen seltsamen Beigeschmack. Ich konnte nicht sagen, ob mir das gefiel oder nicht, und betrachtete den silbernen Schlüssel. Seinen Haustürschlüssen, und nun auch meiner. Dieses Wort war so surreal, denn ich hatte noch nie mit jemandem zusammen gewohnt. Weder mit einer Freundin, noch mit einem Freund.

Bevor ich noch weiter darüber nachdachte, was ich bestimmt getan hätte, startete ich den Motor und fuhr los.
 

Ich brauchte ein wenig länger für die Strecke, weil ich einmal falsch abbog und um einen freiem Parkplatz in der Straße zu finden, bis ich eine Tiefgarage entdeckte.

Ich lief die Stufen rauf zu seinem Apartment und stand einige Minuten vor der Tür.

Ich hätte schwören können, dass der Schlüssel nicht passen würde. Oder ich hoffte es. Zurzeit wusste ich eigentlich kaum etwas. Ich war vollkommen durch den Wind und war bloß froh, einen Schritt nach dem anderen zu gehen.

Ich steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn. Es klickte.

Obwohl ich nicht das erste Mal die Wohnung betrat, kam es mir in diesem Moment so vor. Eine Mischung aus Vorfreude und einem merkwürdigen Gefühl, als würde einem schlecht werden.

Selbst der Duft kam mir auf einmal anders vor. Vielleicht, weil ich genau in diesem Moment dachte, dieses ist ab jetzt auch mein Apartment. Vielleicht, weil ich heimlich erleichtert war, mir keine Sorgen mehr um das Geld zu machen. Vielleicht, weil ich endlich nicht mehr alleine wohnte. Und dieser letzte Gedanke erschreckte mich noch mehr, als die Tatsache an sich.
 

Ich legte meinen Schlüssel - sein Schlüssel - auf einen kleinen Tisch, der sich im Flur befand, und zog meine Schuhe aus. Ich strich mit meinen Fingern über das Leder der Couch, atmete kräftig durch und lief zu den Fenstern, was ich auf der Stelle bereute, es war viel zu hoch. Ich sackte zu Boden und robbte weit weg, um die Tiefe nicht zu sehen. Dennoch war ich froh darüber soweit oben zu sein, dass niemand von der Straße hineinschauen konnte. Dass niemand erkannte, wie sehr es mich freute, in so einem tollen Apartment zu leben.

Amanda, du hast auch mal Glück’, und ich lächelte.
 

Die Haustür öffnete sich und Leonardo betrat die Wohnung. Er brachte meine restlichen Sachen in das Gästezimmer, von nun an mein Schlafzimmer. Sofort folgte ich ihm, denn ich traute diesem Mann nicht über dem Weg. Wenn er die Gelegenheit hat, durchwühlt er nachher noch meine Sachen. Vielleicht hatte er es schon getan. Entsetzt ging ich einen Schritt schneller.

»Wenn ich hier wohnen soll, muss ich aber noch einiges verändern.«

»Kein Thema. Wollen wir dann anfangen?«

»Wie? Jetzt?«

»Wann denn sonst?«

Ich kaute auf meiner Lippe und nickte schließlich, weil es besser war, als sich weiterhin den Kopf darüber zu zerbrechen, dass ich nun mit meinem Chef zusammen in einer Wohnung lebte.
 

»Erst einmal müssen die Bilder weg«, sagte ich und suchte in meinen Sachen nach Poster, die ich irgendwann mal in meiner Wohnung aufhängen wollte, aber niemals dazu gekommen war.

Leonardo machte sich bereits dabei, die Bilder von den Wänden zu nehmen. Mit fixen Bewegungen hatte ich das Bild aus dem Glasrahmen entfernt und durch eines meiner Poster ersetzt: Der Körper eines attraktiven Mannes, ohne Gesicht, nur die Bauchmuskeln. Ich war schließlich auch nur eine Frau.

Leonardo hing es für mich zurück an seinen Platz.

»So, so, du stehst also auf so etwas

»Wer sagt das?«, ignorierte ich seinen Kommentar und verstaute meine wenigen Klamotten in dem großen Kleiderschrank, damit er meine rötlichen Wangen nicht bemerkte. Ich füllte diesen nicht mal annähernd aus, wie ich hoffte. Irgendwie peinlich. Ich war eine typische Frau, denn ich liebte das Shoppen, allerdings fehlte irgendwie dauernd das Geld, um mir all die schönen Sachen zu leisten.

Seufzend schloss ich die Kleiderschranktür und widmete mich weiteren Bildern, die ich im Zimmer aufstellte.

»Dein Bruder?«, wollte Leonardo wissen, als er eines der Bilderrahmen in die Hand nahm. Ich entriss es ihm und betrachtete das Bild, was zwei Jungs zeigte.

»Ja«, antwortete ich nach einer Weile.

»Und wer ist der andere Junge.«

»Sein bester Freund.«

Leonardo brummte, erstaunlicherweise fragte er nicht weiter nach, auch wenn ich ihm an der Nasenspitze ansah, dass ihn diese Antwort nicht gerade beruhigte. Statt mehr Informationen preis zu geben, stellte ich das Foto auf den Nachttisch ab.
 

Nachdem ich das Bett neu bezogen hatte - die Bettwäsche war einfach zu schlicht, auch wenn Leonardo meinte, es sei teure Seide - wollte ich doch meine eigene Bettwäsche haben. Hier und da zerstörte ich etwas die Ordnung, wodurch es immer mehr wohnlicher geworden war.

Zufrieden ließ ich mich auf das Bett fallen, während Leonardo in der Mitte meines Zimmers stand und sich durch die Haare ging.

»Tja…«, setzte er an und suchte nach den richtigen Worten, »Du liebst es chaotisch…«

»Du hast gesagt, das ist mein Zimmer.«

Er schenkte mir ein Lächeln, was mein Herz zwei Takte schneller schlagen ließ. »Stimmt.«
 

»Wir sollten schlafen.« Ich hatte gar nicht bemerkt, wie spät es geworden war. Erst seine Worte machten mich darauf aufmerksam, dass längst der Mond aufgegangen war. Von meinem Zimmer hatte ich einen herrlichen Blick darauf. Nicht einmal konnte ich den Blick von der vollen Sichel nehmen und starrte sie so lange an, bis ich glaubte, die Erde darin spiegelnd zu sehen.

»Badezimmer ist dort«, sagte er und nickte in eine Richtung, dann verschwand er. Erleichtert atmete ich auf und blieb noch eine Weile sitzen.

Mein Schlafzimmer…’

Mein Blick blieb bei meinem Handy stehen. Ich suchte im Telefonbuch nach der Nummer meiner Eltern, drückte Okay und hörte wie das Telefon wählte.
 

»Hallo, Bru – «
 

Ich hatte beinahe die ganze Nacht mit meinem Bruder geredet, bis mir die Augen zu fielen und ich es eben noch schaffte aufzulegen. Ich wachte da auf, wo ich eingeschlafen war. Mit meinen Sachen, vom Tag davor, auf dem Bett.

Jemand hatte das Licht eingeschaltet, draußen war es noch stockfinster und meine Augen waren noch nicht in der Lage Konturen wirklich wahr zu nehmen.

»Hey…«, jemand stieß mich leicht an, »Wir müssen ins Büro.«

»Gleich…«, murmelte ich und drehte mich zur anderen Seite.
 

Schlagartig ereilte mich die Realität und ich saß aufrecht im Bett. Die Bettdecke hatte ich weit nach oben gezogen und sah neben mir das lächelnde Gesicht meines Chefs. Er hatte seinen Kopf auf die Arme gelegt, die lässig auf der Matratze lagen.

»Was machst du in meinem Zimmer?«

Er schmunzelte in sich hinein, was ich nicht verstand, so lustig fand ich das nicht. Statt einer Antwort legte er mein Handy auf den Nachttisch, welches wohl neben mir im Bett lag oder unter mir. Ich rieb meine Wange und glaubte, die Abdrücke des Mobiltelefons darauf zu spüren.

»Du solltest dich fertig machen, wir werden im Büro erwartet.«

Dann ließ er mich alleine. Einige Minute lauerte ich darauf, dass er zurückkam, aber er blieb fern und so kroch ich aus dem Bett und zog mich fix um.

Meine Haare band ich mit einem Gummi zusammen und machte mir diesen Morgen überhaupt nicht die Mühe, weder fürs Büro gut auszusehen oder sonst was.

Ich hatte keine Lust!

Ich wollte mich ausruhen, schlafen, einfach nur den Tag genießen.

Allerdings beschlich mich ein Gefühl, er hatte genauso wenig Lust. Daher wunderte es mich gar nicht, dass er genauso leger gekleidet war wie ich. Ich stemmte meine Hände in die Hüfte und betrachtete ihn kritisch.

»Sagtest du nicht, wir müssen ins Büro?«

»Müssen wir auch«, säuselte er und griff nach seiner Jacke. Ich zog mir meine Mütze über und war damit beschäftig während des Gehens meinen Schal, um mich zu binden.
 

Als ich draußen auf der Straße war, blieb ich schockiert stehen.

Es lag Schnee!

Oh, mein Gott, es liegt Schnee.’ Eine potenzielle Gefahr für mich. Bestimmt landete ich an diesem Tag duzende Male auf meinen Po.

»Was starrst du so?«, fragte Leonardo und sah bereits selbst, was mir meine Lippen austrocknete.

»Ach das. Und es schneit sogar noch«, stellte er fest. Entsetzt blickte ich gen Himmel. Er hatte recht, wieso hatte er recht?

Bevor ich nachdenken konnte, wie ich mich durch den Schnee boxen konnte, legte er einen Arm um meine Taille und zwang mich dezent zum Gehen.
 

Lieber Gotte, bitte… bitte lass mich heile -’

Ich hatte den Satz noch nicht einmal ausgesprochen, da schlitterte ich schon. Ich krallte mich an Leonardos Jacke fest. Er lachte lautstark und schlang bloß seinen anderen Arm um meine Taille. Wenigstens flog ich dadurch nicht zu Boden. Aber ich konnte mich nicht dauernd an ihm festkrallen. Außerdem gönnte ich ihm das nicht!
 

»Amanda«, rief eine mir wohlbekannte Stimme und riss mich aus meinen weiteren Gedanken. Eine sehr bekannte Stimme, die ich zwar eine Zeitlang nicht mehr gehört hatte, jedoch zu gut kannte. Viel zu gut. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zur Person um. In meinem Kopf betete ich, nicht das zu sehen, was ich eigentlich bereits wusste. Ein Mann lächelte mir entgegen.

»Oliver…«, hauchte ich tonlos.
 

_____________________________________________________
 

Zurzeit gibt es wieder einigen terminlichen Stress, dass es sehr schleppend vorangeht mit dem Upload. Aber die Geschichte wird definitiv vollenden. Könnte nur etwas dauern. Aber langsam rängt sich alles privat ein und ich bekomme einen gleichmäßigen Rhythmus. Hoffe ich.

Planung ist wohl doch alles. Mehr oder weniger.
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Kriegserklärung

Es war eine der schlimmsten Situationen, die ich mir in meinem Leben vorstellen konnte. Oder besser gesagt, es war die schlimmste Situation.

Der gravierende Grund, weswegen ich aus meiner Stadt geflohen war, saß direkt gegenüber meinem anderen Alptraum.

Obwohl beide sich anlächelten, verrieten ihre Augen etwas ganz anders. Im Geiste führten sie einen Machtkampf aus und ihre verschränkten Arme vor der Brust tat noch ihr dazu bei, um das Lächeln lüge zu strafen.

Jeder, der die beiden zusammen sah, machte einen Bogen und sah mich mit einem fragenden und gleichzeitig mitleidigen Blick an. Ich dagegen versuchte die anderen Menschen in der Kantine auszublenden. Der einzige Vorteil an diesem Ort war, dass sie sich nicht die Köpfe einschlagen würde. Zumindest glaubte ich daran; aber ein Gefühl in meinem Inneren sagte klar was anderes. Es war nicht einmal annähernd ein Grund.

Minutenlang saßen wir einfach schweigend da. Ich wäre nicht der Dumme, der einen Ton von sich geben würde. Gekonnt ignorierte ich Olivers Blicke, der mich mit einem Lächeln bat, das Wort zu erheben, was verschwand als Leonardo knurrte.
 

»Und sie sind?«, sprach Leonardo ruhig, gleichwohl entging mir der scharfe Unterton nicht, der so etwas sagte wie: ‚Wie kannst du es wagen in mein Revier aufzutauchen.’

Innerlich seufzte ich.

»Oliver McBeck.« Leonardo nickte. Er dachte wohl nicht daran, sich selber vorzustellen. Nun musste ich mich doch einschalten, ob ich wollte oder nicht. Ich hob meine Hand und deutete auf Leonardo: »Leonardo Andrews, mein Chef.« Dann zeigte ich auf Oliver: »Oliver McBeck, Freund meines Bruder.« ,Und mein Ex’, dachte ich weiter, biss mir jedoch auf die Lippen, dass diese unerhörten Worte meine Lippen nicht verließen. Allerdings musste ich es nicht aussprechen, irgendwie musste es Leonardo wissen.

Wiederum verfielen wir in ein tiefes Schweigen, und ich betete, dass genau in diesem Moment neben unserem Haus eine Meteorit einschlug, ein Erdbeben ausbrach oder irgendetwas anderes, um aus dieser Situation heile hinauszukommen.

Das würde noch ein Nachspiel für mich haben.

Ich schluckte meinen Klos runter und versuchte ihn mit Kaffee noch etwas schneller herunter zu spülen.

»Immer noch so vernarrt in das Zeug?«, fragte Oliver, was eher nach einer Aussage war, als eine Frage.

»Das ist kein Geheimnis«, antwortete ich. Oliver lachte auf. Ich hatte vergessen wie voluminös sein Lachen war. Einige Frauen drehten sich neugierig zu uns um.

Kann sich der Boden auftun und mich verschlucken?’

Ich drückte mich mehr in den Sitz.

Es gefiel mir nicht, ihn wieder zu sehen. Er hatte sich kaum verändert. Noch immer dieses kupferrote Haare, diese grünen Augen, die an einen Wald erinnerten. Allerdings sein Gesicht war kantiger geworden. Bevor ich fuhr, hatte er noch einige jungenhafte Züge, die nun vollkommen männlichen Zügen gewichen waren. Wäre ich alleine gewesen, hätte ich bestimmt etwas Dummes getan oder etwas Dummes gesagt. Tausend Mal hatte ich mir ausgemalt, wie ich reagieren würde. Ich dachte, ich könnte ihn eiskalt abblitzen lassen. Leider war das nicht der Fall.

»Wie ist es dir so ergangen?«, weckte mich Olivers Stimme, die zusätzlich einen sanfter Ton einschlug, was ich gar nicht vermutet hätte. Nicht im Beisein von Leonardo. Außerdem keimten so Erinnerungen in mir auf, die ich tief vergraben hatte.

»G- Gut«, stammelte ich und setzte rasch die Tasse an meine Lippen.

»Sie wohnt jetzt bei mir«, beantwortete Leonarde mit einem süffisanten Grinsen. Ich wusste genau, dass er damit nicht sorgen wollte, dass Oliver sich beruhigt fühlte, sondern es sollte ein Anschlag auf seinen Stolz sein. Natürlich verfehlte es nicht seine Wirkung. Für einen Moment blitzten Olivers Augen eiskalt auf, wandelten sich jedoch in ein aufgesetzte charmantes Lächeln, welches er an mich richtete und soviel bedeutete wie: ‚Das klären wir noch.’
 

Lass einen Blitz hier einschlagen! Jetzt sofort! Irgendwas...’, schrie ich gen Himmel, ‚Ich muss hier raus!’

»Was macht mein Bruder?«, lenkte ich ab und dankte mir innerlich für meine Ruhe in den Worten.

»Du kannst ihn selber fragen«, meine Augen weiteten sich, »Er wird in einer Stunde in New York landen.«

Verdattert setzte ich mehrmals an zu sprechen, aber meine Stimme weigerte sich auch nur einen Ton von sich zu geben.

»Wir dachten, wir bleiben ein wenig in New York.«

Meine Hände umklammerten die Tasse, um das Zittern zu unterdrücken. Ich hatte ganz und gar vergessen, wie tief ihr Beschützerinstinkt in ihnen saß.

Ich zwang mich zu antworten. Ich musste antworten. Nur was?

Bevor ich mir eine Antwort ausdenken konnte, kam mir Leonardo zuvor: »Wir müssen los. Wir haben ein Meeting.«

Ich nickte. Mit einem Lächeln – ich hoffte, dass es eines war – verabschiedete ich mich von Oliver, und Leonardo und ich liefen durch die Kantine zum Ausgang. Ich kam mir vor, wie auf einem Präsentierteller. Man würde sich das Maul zerreißen. Ich war das Gesprächsthema Nummer eins. In meinem Kopf malte ich mir bereits aus, was sie sich sagen würde: ‚Wer ist dieser andere Mann? Kennst du denn? Interessant, anscheinend hat sie gleich zwei.’
 

Erleichtert atmete ich auf, als ich die Tür zum Flur passiert hatte. Doch diese Erleichterung wich erneuert Angst, beim Anblick von Leonardos Gesicht. Er presste seine Lippen fest aufeinander. Er war sauer. Was konnte ich dafür, dass mein E... ähm der Freund meines Bruders und mein Bruder nach New York kamen.

Auf dem ganzen Flur redeten wir kein Wort. Wir stoppten bei den Aufzügen und ich ließ es nur zu mit so einem Teil zu fahren, weil ich wusste, diese Kabine bestand nicht aus Fensterscheiben. Und weil ich mir nicht noch mehr unbegründeten Zorn auferlegen wollte. Allerdings war der Gedanke, der mir kam, als wir die Kabine betraten – ich alleine mit ihm – kein schöner. Es war ein schrecklicher.

Er drückte den Knopf zum Erdgeschoss. Nur zwei Etagen unter uns. Wir würden in Null Komma nichts da sein. Die Türen schlossen sich; der Aufzug bewegte sich. Mein Blick fiel auf die Anzeigetafel: Wir waren gerade zwischen dem ersten Stock und dem Erdgeschoss, da stoppte der Aufzug. Entsetzt registrierte ich, dass er die Stopp-Taste vom Aufzug betätigt hatte. Reflexartig wich ich vor ihm zurück und stieß gegen die Metallwand. Obwohl es eiskalt war, verlieh es mir nicht annähernd die Kühle, die hoffte, die ich wünschte, die ich brauchte.

»So«, schallte seine Stimme von den Wänden und sie klang schlaf wie ein Messer. Bestimmt würde ich mich daran schneiden. »Das war also dein Ex.«

»W- Wer hat das gesagt?«, brabbelte ich.

»Du musst es nicht sagen. Dein Gesicht verrät es.«

Schockiert blickte ich in das Metall und sah ein verzerrtes Gesicht, welches meinem überhaupt nicht ähnlich sah. Lediglich die panischen Augen eines Rehs, die ich vermutete, glichen denen von meinen.

Ein Schatten legte sich über mir. Ich schluckte und zwang mich weiter die Metallwand anzustarren. Link und rechts stützte sich Arme an der Wand ab. Ich spürte seinen Atem an meinem Ohr.

»War er der Grund, weswegen du unbedingt nach New York wolltest?«

Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte zaghaft den Kopf. Er war ein Grund, aber nicht der. Zumindest redete ich mir das ein.

»Verstehe.«

Was versteht er?’

Ich blieb weiterhin starr wie eine Marmorstatue stehen. Leonardo löste sich aus seiner Pose und ich spürte Minuten später, dass sich der Aufzug wieder bewegte.

Gott sei dank’, atmete ich auf, als sich die Tür zu den Seiten öffneten und folgte Leonardo stillschweigend. Sein Gesicht war nicht mehr so verbissen, aber etwas gefiel mir gar nicht daran. Wir erreichten die Eingangshalle, wo er stehen blieb. Ein Mann reichte ihm eine Akte, die er sich unter den Arm klemmte. Mit einer neutralen Miene wandte er sich mir zu: »Das Meeting kann ich alleine klären. In meinem Büro sind noch einige Unterlagen, die sortiert werden müssen.«

Dann war er auch schon durch die Eingangstür verschwunden und ließ mich zurück. Verlegend lächelte der Mann mich an. Ehe er etwas sagen konnte – was vermutlich höchstens ein ‚Tut mir leid’ war -, drehte ich auf dem Punkt um und stampfte wütend zurück zu den Aufzügen, daran vorbei und nahm die Treppe.

Wenn ich nicht mit sollte, hätte er es gleich sagen können! Aber nein, er musste absichtlich diese Show abziehen.

Lautstark stampfte ich die Treppen rauf und erreichte erschöpft die vierte Etage. Ich gab mir keine Mühe leise zu sein. Sollte es jeder hören, dass ich sauer war.

Ich riss die Tür auf und knallte sie geräuschvoll hinter mir zu. Dann ließ ich mich stöhnend in seinen Sessel fallen und betrachtete den Stapel an Akten.

Wie hat er es geschafft so viele innerhalb so kurzer Zeit hier abzulegen?’

Genervt nahm ich die erste Akte und betrachtete sie, in der Hoffnung, sie löste sich in Luft auf. Eigentlich sollte ich mich freuen, endlich mal Arbeit erledigen zu dürfen. Jedoch trübte der Beigeschmack die Freude, denn ich bekam diese bloß, weil Mr. Perfekt meinte mir eine Art Lektion verpassen zu müssen. Es hätte eh keinen Sinn, weil er bestimmte etwas fand, weswegen ich meine Arbeit nicht gut gemacht hätte. Also schmiss ich die Akte zurück auf den Haufen und drehte mich mit dem Stuhl zum großen Fenster. Eines der Fenster, die vom Boden bis zur Decke gingen, und betrachtete New York. Ich hatte einen perfekten Blick auf den Central Park. Damit konnte ich mich den ganzen Vormittag und Nachmittag beschäftigen.
 

Schnaufend klemmte er sich die Akte unter seinem Arm und stürmte aus der Vordertür. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Wagte es doch tatsächlich ihr Ex bei ihr aufzutauchen. Zwar war es nicht das erste Mal, dass er gegen einen Konkurrenten antreten musste; doch dieses Mal ärgerte es ihn. Es regte ihn regelrecht auf. Sonst hatte es ihm immer gefallen. Er wünschte sich sogar manches Mal einen Konkurrenten, damit das Spiel mehr Spaß machte. Aber jetzt? Jetzt verfluchte er diesen Mann, der es gewagt hatte, einen Fuß in New York zu setzen. Und damit es für ihn - diesen Oliver - leichter fiel, holte er sich noch ihren Bruder her. Pah, damit würde der Kerl nicht durchkommen. Er würde sich nicht so leicht geschlagen geben, wo er jetzt schon soweit gekommen war. Es hatte bloß noch ein Stück gefehlt, dem war sich Leonardo sicher, und Amanda hätte ihm voll und ganz vertraut. Nun, da diese Pest aufgetaucht war, war seine Arbeit, seine Bemühungen, vollkommen umsonst.

Er rannte die Stufen vom Haupteingang beinahe runter und setzte sich in die Limousine, die bereits auf ihn wartete. Knurrend ließ er sich auf den Sitz fallen, worauf Alessandro ihn mit einem Stirnrunzeln begrüßte: »Was ist denn dir für eine Laus über die Leber gelaufen?«

»Frag nicht!«

Alessandro nickte stumm und rief dem Fahrer etwas zu, bevor er die Kabinen durch eine getönte Trennwand voneinander trennte.

»Geht es um das Geschäft?«, hakte Alessandro nach, denn der Anblick den Leonardo bot, war nicht der Beste. Die Akten litten in seinem Griff und hielten wohl nur deswegen stand, da es sich um einen Stapel von Papier handelte.

»Das läuft bestens!«, fauchte er zurück.

»Es geht um sie.«

»Nein!«

Getroffen’, schmunzelte Alessandro in sich hinein und beschloss erst einmal nicht weiter zu fragen.
 

Der Wagen hielt und beide Männer stiegen vor dem Gebäude aus, an dem seit einigen Monaten gebaut wurde. Mittlerweile machte die Außenfassade schon einiges her. Im Eingangsbereich war mehr und mehr die Rezeption zu erkennen. Der schwarz weiße Marmor, der ebenfalls in der Theke eingearbeitet war, zierte den Fußboden. Drei Fahrstühle, dessen Metalltüren noch unberührt glänzten und aus Sicherheit vor Farbkleckse mit Planen abgedeckt waren, waren direkt vom Eingang aus zu sehen.

Leonardo suchte auf der Theke nach einem Platz, wo die Plane nicht mit Farbe bespritz war, und legte die Akten darauf.

»Wie ich sehe, kommt ihr gut voran«, kommentierte er das Gesehene nüchtern.

»Hast du was anderes erwartet?«

»Nein«, murmelte Leonardo und suchte in dem Stapel etwas, während er sich ermahnen musste, ruhig zu bleiben, »Kann ich die oberen Stockwerke schon inspizieren?«

Alessandro nickte und deutete auf das Treppenhaus. Beide liefen die Rezeption entlang vorbei an den Fahrstühlen zu einer großen Glastür. Das Treppenhaus war soweit fertig und brauchte nur noch den ersehnten anstrich. Von oben hörten beide die Maler, die zu lauter Musik sich auf Spanisch unterhielten. Leonardo ignorierte sie und verließ das Treppenhaus im zweiten Stock. Ein langer Flur, der lediglich durch drei einfache Glühbirnen erhellt wurde, spendete gerade genügend Licht, um zu erahnen, wo sich was befand.

»Ihr hinkt ein wenig hinter her.«

»Nicht direkt. Roland war der Meinung, die Lampen passten nicht zum Flur, woraufhin Neue bestellt wurden.«

»Ein Fehlkauf.«

»Wenn du es sagst«, antwortete Alessandro grinsend.

»Frag endlich«, knurrte Leonardo und blieb im Flur stehen, dass beide im Schatten standen. Doch bevor Alessandro auch nur ein Wort sagen konnte, kam ihm Leonardo zuvor: »Ihr Ex-Freund ist aufgetaucht. Heute. Und ihr Bruder kommt auch noch. Der Mistkerl hat die Frechheit - «

»Klingt irgendwie nach deinen Methoden«, lachte Alessandro und musste dafür eine kräftige Rüge einstecken.

Das musste sich Leonardo nun wirklich nicht bieten lassen. Wütend stampfte er weiter und durchschritt die Türschwelle eine der offenen stehenden Apartments. Die im Gegensatz zum Flur und der Rezeption schon fertig gestrichen waren. Lediglich die Elektronik musste noch geprüft werden.

»Ich hatte sie schon soweit. Und nun? Garantiert zieht sie dann bei ihrem Brüderchen ein. Und rate mal, wer da genau wohnen wird. Die Pest!«

»Das weißt du doch gar nicht«, meinte Alessandro und lehnte sich lässig an der Türschwelle.

»Wen versuchst du zu belügen?«

Seufzend ließ Alessandro die Schultern hängen.

»Wo ist sie denn jetzt?«

»In meinem Büro. Unsinnige Akten sortieren«, erzählte er.

»Sicher?«

»Natürlich. Glaubst du sie wäre so blöd und – «, mitten im Satz brach er ab, denn er wusste zu gut, sein Rotfuchs würde und hat vermutlich das Büro verlassen. Ehe Alessandro reagieren konnte, zischte Leonardo an ihm vorbei und stürmte die Stufen runter. Die letzten Worte, die Alessandro vernahm, waren »Ich muss weg...«
 

Nach einer Weile war ich eingeschlafen. Ich hatte die Füße an mich gezogen und mich in dem riesigen Ledersessel eingemurmelt. Die gleichmäßigen Geräusche von draußen wirkten so hypnotisch, dass meine Augenlieder schwerer und schwerer wurden. Wer hätte gedacht, dass man in einem Stuhl bequem schlafen konnte? Allerdings war das kein Wunder, bei so einem gepolstert wie das Ding hier.

Erst als etwas Lautes zu Boden knallte, schreckte ich erschrocken hoch und blinzelte verzweifelt ins Licht. Meine Augen suchten nach der Quelle, während ich meine Hände schützend vor dem Licht über meine Stirn hielt. Nach und nach nahm ich die Konturen wahr und erkannte in dem Schatten bei den Vorhängen eine Gestalt. Vor deren Füßen lag ein Stapel mit Papier verteilt, wo sich vereinzelt einige Blätter gelöst hatten. Mein Blick folgte den Füßen hoch, weiter zu einer Brust und zu einem Gesicht, welches mich mit seltsamen Augen musterte. Ich kniff meine Augen zu schmalen Schlitzen und war auf einen Schlag sauer, auf die unsinnige Strafarbeit, die er mir verpasst hatte.

»Solltest du nicht Akten sortieren?«, fragte er, schien jedoch nicht böse zu sein, über die Tatsache, dass ich Nichts gemacht hatte. Ich zuckte mit meinen Schultern. Dann drehte ich den Stuhl zum Schreibtisch, warf einen flüchtigen Blick drüber und antwortete in einem viel zu sarkastischen Ton: »Erledigte Fälle von vor zehn Jahren sollten auch unbedingt sortiert werden, da die Firmen sich noch an uns wenden könnten. Ich denke, – das kann warten.«

Ich hörte es hinter mir rascheln, und dann leise Schritte, die direkt auf mich zukamen. Meine Vernunft sagte mir, ich sollte verdammt noch mal aufspringen und abhauen, aber mich hatte die Wut gepackt, ihn dafür bluten zu lassen. Ich wollte ihm so richtig die Stirn bieten, weil ich wütend über sein Verhalten war. Und wenn ich damals ehrlich zu mir gewesen wäre, weil es mir gefiel. Allerdings würde das bedeutet, dass ich ihn mochte, und das war etwas, was ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingestehen wollte.

Ein Arm ging knapp über meine Schulter und eine Hand griff nach einer der Akten, während eine Stimme säuselte: »Sind die tatsächlich schon über zehn Jahre alt?«

Ich sparte mir die Antwort, da er es wusste. Sein anderer Arm ging ebenfalls knapp über meine andere Schulter, dass ich nun eingekesselt war. Dreist wie er war, legte er seine Arme auf meine Schultern ab, sowie sein Kinn auf meinen Kopf, und tat als studierte die Akte. Er wusste erstens sehr gut, was darin stand, und zweitens, glaubte ich nicht, dass er überhaupt eine der Zeilen las.

»Tatsächlich. Zehn Jahre. Diese ist sogar schon dreizehn Jahre alt.«

Ich hielt meine Klappe. Er schmiss die Akte zurück auf den Stapel, blieb jedoch in seiner Position.

»Mhm... Wie konnte das passieren?«

Gott, war das schlechtes Schauspiel!’, fluchte ich und nach den Bewegungen zu urteilen, vermutete ich, ein breites Grinsen auf seinen Lippen. Ich wettete, er wusste selbst, wie gestellt das Ganze klang.

Plötzlich spürte ich seinen Atem direkt an meinem Ohr. Seine Lippen waren kaum wenige Zentimeter davon entfernt, beinahe konnte ich sie schon auf meiner Haut spüren. Der gestellte Ton war verschwunden, als ich seine Worte vernahm: »Du kannst deinem Freund ausrichten, dass ich den Krieg nicht verlieren werden. Egal, zu welchen Mittel er auch greift.«

Schlagartig ließ er von mir ab und wich zurück.

»Übrigens, geh nach Hause. Nach dem ganzen Stress gebe ich dir frei.«

Noch völlig fertig von seinen Worten, zwang ich mich aufzustehen und so gelassen, wie es mir möglich war, zur Tür zu gehen. Zu sprechen, war ich nicht in der Lage, da ich an dem Inhalt zu knabbern hatte. Er hatte Oliver den Krieg erklärt und ich sollte ihm das übermitteln. Dachte er etwa, ich würde mich mit ihm treffen? Und wie stellte er sich das vor? Sollte ich einfach so zu Oliver gehen und beiläufig im Gespräch erwähnen ‚Ach übrigens, mein Chef will dich töten’? Wieso sollte ich die Drecksarbeit machen?

Ich hatte die Tür gerade erreicht - erleichtert, darüber nicht mit meinen Schuhen über den Teppich gestolpert zu sein - da hörte ich meinen Namen. Fragend drehte ich mich mit dem Kopf zu ihm und starrte direkt in sein Gesicht.

War er mir gefolgt? Hatte ich durch das Rauschen meines Blutes in den Ohren – nicht zu vergessen das Pochen und Hämmern meines Herzens – ihn nicht bemerkt.

Er stand direkt neben mir. Meine Hand lag bereits auf der Klinke und ich musste bloß runter drücken, stattdessen hörte ich mich selber krächzen: »J- Ja?«

»Ach, Nichts«, sagte er mit einem Grinsen, in das ich am liebsten hineingeschlagen hätte, wäre ich nicht völlig durch den Wind gewesen. So ließ ich es über mich ergehen, dass er es war, der mir die Tür öffnete, und wartete, dass ich sein – mein - Büro verließ. Die Tür schloss sich geräuschlos und ich stand Minuten lang einfach nur dar und versuchte mit meinem wenigem Hirn zu erfassen, was sich da gerade abgespielt hatte. Allerdings gelangte ich zu gar keinem Entschluss, außer dem: Ich brauchte Kaffee!
 

Schnurstracks machte ich mich auf dem Weg zu dem Ort, wo ich mich immer beruhigte: Starbucks.

Dort kaufte ich mir erst einmal einen riesigen Becher Latte Macchiato, ließ mir noch einen dicken fetten Schokobrownie einpacken und suchte meine Wohnung auf. Beinahe wäre ich den üblichen Weg gefahren, erinnerte mich jedoch noch rechtzeitig daran, dass wir gestern meine Wohnung gekündigt hatten.

Also machte ich kehrt und kam in Leonardos – beziehungsweise mein – Apartment an, schloss auf und schmiss mich auf die Couch. Dort ließ ich mich von den dümmsten Programmen beschallen, die ich im Fernseher finden konnte.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Die Ruhe vor dem Sturm

Noch immer lag der Schokobrownie unberührt auf dem Tisch, und egal, wie verlockend er mich anlächelte, ich konnte ihn einfach nicht essen. Alleine der Gedanke daran ließ meinen Magen umdrehen. Ich hatte innerhalb eines Tages gleich drei Probleme: Meinen Chef, meinen Ex und meinen Bruder in einer Stadt.

Da wurde es mehr und mehr verlockender, einfach zum Flughafen zu stürmen und weit, weit weg zu fliegen. Nur hatte ich irgendwie das Gefühl, dass sie mich selbst da – wo auch immer der Ort wäre, wohin ich flüchtete - finden würden. Gab es denn gar kein Entkommen mehr?
 

Es war einfach ein Schock, ihn vor mir zu sehen. Dieses Lächeln; dieser Körper. Einfach tödlich für eine Frau. Mehrfach hatte ich mir bei meiner Ankunft in New York ausgemalt, wie kalt mich seine Anwesenheit lassen würde. Innerhalb von einer Sekunde kam die Gewissheit, dass dem nicht so war. Ich war noch immer schwach. Ich setzte mich steif hin und rieb mit meinen Innenhandflächen über meine Oberschenkel. Mir musste was einfallen, doch meine Gedanken wurden bruchstückartig zerstreut, als ich das Klicken der der Haustür hörte. Wie von der Tarantel gestochen, schnappte ich mir den Rest meines Kaffees und den Brownie und flüchtete ins Schlafzimmer. Ich schloss die Tür ab, stellte die Sachen lautlos auf meinen Nachttisch ab und lauschte. Ich hörte Schritte durch die Zimmer laufen. Hektische Schritte, die anscheinend in jedes Zimmer gingen und vor meiner Tür stoppten. Ich hielt den Atem an. Ein leises Klopfen kam von der anderen Seite. Ich ermahnte mich bloß die Klappe zu halten. Keinen Laut. Nicht einen Mucks.

Die Türklinke drückte sich runter und ich betete zum Himmel, für meinen geistesgegenwärtigen Einfall, die Tür abzuschließen. Denn ich ertrug keinen von ihnen. Ich hatte nicht die Kraft mit ihnen zu reden, und sehen, wollte ich sie schon einmal gar nicht.

»Amanda?« Ich zuckte zusammen. »Bist du da?«

Ich biss mir auf die Lippe. Zwar wäre ich eh nicht in der Lage gewesen zu antworten, dennoch musste man es nicht heraufbeschwören.

Die Schritte entfernten sich von der Tür. Dann folgten polternde Geräusche aus der Küche. Ich legte meinen Kopf auf das Kissen und wusste nicht, was ich machen sollte. Ich kannte niemanden mit dem ich über mein Problem reden könnte. Was für eine blöde Situation!
 

Schlagartig kam mir doch eine Person in den Sinn. Allerdings, wenn ich es genauer betrachtete, war das ein dummer Einfall, schließlich hatte ich sie bis jetzt bloß ein oder zweimal getroffen. Hinzu kam, ich hatte gar nicht ihre Nummer. Wobei: Das wäre das kleinste Übel gewesen. Aber die Frage war eher, würde die Person mit mir sprechen wollen?

Es war mein einziger Strohhalm, auf den ich hoffen konnte. Ich griff nach meinem Handy und wählte die Nummer der Auskunft. Eine freundliche Stimme vermittelte mich prompt weiter, nachdem ich alle wichtigen Daten genannt hatte, und hörte bereits das Freizeichen, ehe ich ‚Danke’ sagen konnte. Geneigt wieder aufzulegen, nahm genau in jenem Moment jemand ab. Eine männliche Stimme – eindeutig Alessandro – meldete sich. Verdattert bekam ich minutenlang Nichts raus. Erst nachdem er ein weiteres Mal nachfragte.

»Amanda!«, brüllte ich beinahe in die Muschel, räusperte mich und drosselte meine Lautstärke, »Ähm... Amanda Mendes. Ist Emilia Smith da?«

Ich erwartete nicht, er würde mich an seine Frau weitergeben, jedoch binnen von Minuten war plötzlich eine weibliche Stimme am Apparat und lachte ins Telefon. »Hallo, Amanda.«

Eingeschüchtert antwortete ich automatisch darauf und versuchte mir die Worte in meinem Kopf zu recht zulegen. Mit der Tür ins Haus fallen oder weit ausholen? Wie erklärte man so etwas, den man gerade erst kannte?

»Was hat er angestellt?«, wollte Emilia wissen und kam mir damit entgegen.

»Eigentlich gar nichts«, gab ich kleinlaut zu und holte tief Luft, bevor ich zu erzählen begann. Aufmerksam hörte mir Emilia zu und stellte hier und da einige Fragen. Am Ende war ich dort angelangt, was ich mich schon die ganze Zeit fragte: »Was soll ich machen?«

»Das ist wirklich«, Sie machte eine kurze Pause, als suchte sie nach den richtigen Worten, »eine sehr komplizierte, aber auch faszinierende Situation. Wobei sagtest du nicht, dass die beiden nur gekommen sind, um zu sehen, wie es dir geht?«

Ich nickte erst und zwang mich dann knapp zu antworten: »Ja.«

»Wenn sie sehen, dass es dir gut geht, werden sie wieder gehen.« Ich verzog meine Lippen, denn ich hatte in Olivers Augen gesehen, dass dem nicht so war. Ich seufzte in den Hörer. Bevor Emilia genauer fragen konnte, beichtete ich die Sachen mit Leonardo und Oliver. Als ich endete, herrschte Totenstille. Ich dachte schon Emilia hätte aufgelegt, bis sie lediglich ein ‚Oh’ von sich gab.

Mehr hatte sie darauf nicht zu sagen, bloß ein simples ‚Oh’. Das half mir auch nicht unbedingt weiter.
 

»Das ändert natürlich Einiges.«

»In wie Fern?« Ich schluckte meinen Klos runter und war nur froh, nicht ihr Gesicht zu sehen, denn ich ahnte, ihre Antwort gefiele mir nicht.

»Das bedeutet, das wir Spaß haben werden und sie leiden.« Ich hätte schwören können, das Schmunzeln durch das Telefon zu hören. Völlig baff stammelte ich irgendwelches Zeug, bis sie erklärte: »Nutzen wir ihre Eifersucht einfach für uns aus. Oder besser für dich.«

»Wie ausnutzen?«

»Kommst wirklich vom Lande, oder?« Ich presste meine Lippen fest zu einem Stich zusammen. »Erstens Männer stellen viel dummes Zeug an, wenn sie eifersüchtig sind, aber...«, sie holte tief Luft, »...sie machen auch vieles, um uns zu überzeugen, das sie genau der Richtige für uns sind.«

Fraglich hob ich eine Augenbraue. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl. Ein sehr ungutes Gefühl.

»Ich habe eine sehr gute Idee. Ich hol dich ab. Rühr dich nicht vom Fleck.«

Ich hörte mich noch ‚Ja’ sagen, da hatte Emilia bereits aufgelegt. Das Besetztzeichen schallte mir entgegen und mein Blick fiel auf die Tür.

»Ob das gut endet?«
 

Tatsächlich klingelte es zwanzig Minuten später an der Haustür. Leonardo war vollkommen überrascht, Emilia grinsend in der Türschwelle zu sehen. Ich musste mich regelrecht zwingen nicht auch zu grinsen, bei seinem verdutzten Gesichtsausdruck. Gezwungenermaßen schaute er uns nur hinter her, wie Emilia mich entführte. Er setzte einmal zum Protest an, den sie durch ein dezentes Knurren beseitigte.

Ehe ich es mir also anders überlegen konnte, saß ich längst in einem schicken Sportwagen.
 

Eingeschüchtert setzte ich mich steif auf den Beifahrersitz. Irgendetwas sagte mir, es würde noch ein ganz großer Knall folgen. Diese Frau neben mir war wirklich sehr suspekt.

»Ich denke, dein Bruder wird am JFK Flughafen ankommen, oder?« Zwar fragte sie mich das, war jedoch bereits auf den Weg dorthin. Schweigend starrte ich aus dem Fenster und beobachtete die Leute, die mich zu meinem Glück durch die getönten Scheiben nicht sahen, sonst hätte sie meine Verzweiflung erkannt.

»Das wird ein Spaß.« Ich blinzelte Emilia an. Mehr und mehr bereute ich es, sie angerufen zu haben. Sie würde mein Problem verschlimmern, nicht erleichtern. Sie schenkte mir ein Lächeln, das mich in den Sitz drückte. Wie konnte jemand so lächeln?

»Tschuldigung. Ist noch alte Gewohnheit«, sagte sie und massierte flüchtig ihre Wangen. Ich nickte. Sie lachte auf. »Lange Geschichte. Aber mit Happy End.«

Ehe ich weiter fragen konnte, was sie meinte, hielt der Wagen. Ich stieg aus und sofort prasselten tausende von murmelnde Laute auf mich ein. Ich blinzelte mehrmals gegen die Sonne und sah das dicke Schild überm Eingang des Flughafens. Die tosenden Geräusche der Düsen weckten ungeahnte Gefühle in mir. Ohne auf Emilia zu warten, ging ich durch die Schiebetüren. Schlagartig erinnerte ich mich an mein Ankommen. Ich fühlte mich damals so alleine und gleichzeitig hatte ich das Gefühl in mir: Jetzt würde alles gut werden. All mein Missmut war wie weggeblasen.
 

Ich blickte rauf zur Tafel: Etliche Flüge wurden angepriesen und in einem saß mein Bruder. Eine Vorfreude, ihn wieder zu sehen, kam in mir auf. Irgendwie konnte ich es nicht mehr erwarten. Ein Teil meiner Familie würde endlich - nach so langer Zeit - wieder in mein Leben treten. Aufmerksam schaute ich mich um. Vielleicht war er schon da?
 

Da entdeckte ich eine Person, die aus einen dieser Sicherheitsschleusen kam. Er zog einen Koffer hinter sich her und grüßte freundlich. Dieses rötliche Haar erkannte ich überall. Es glich meinem, allerdings war seines noch ein Touch mehr ins Braun.

»David«, flüsterte ich, und obwohl er mich eigentlich nicht hören dürfte, wandte er genau in jenem Moment den Kopf zu mir. Seine grünen Augen leuchteten auf und mein Bruder schenkte mir ein breites und herzliches Grinsen. »Mein kleiner Fuchs.«

Instinktiv packte ich mir an die Hüften, versuchte groß zu wirken – was mir überhaupt nicht gelang, da er zwei Köpfe größer war als ich – und antwortete: »Der Pumukel.«

Er lachte auf.

»Das ist dein Bruder. Sexy«, kommentierte Emilia. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie sie sich zu mir gestellt hatte. Sie streckte meinem Bruder die Hand hin. »Emilia Smith. Freut mich.«

»David Mendes. Die Freude liegt ganz auf meiner Seite«, erwiderte er charmant.

»Sie ist verheiratet«, mischte ich mich ein.

»Das ist kein Hindernis für mich.«

Für die unverschämte Antwort gab ich meinem Bruder einen Seitenhieb, der ihm kaum etwas ausmachte. Er zuckte lediglich mit den Schultern, dann schlang er den Arm um mich und drückte mich erst einmal an sich. »Lange nicht gesehen.«

Ich atmete tief ein und sofort hatte ich Heimweg. All die Düfte, die ich von zu Hause kannte – der Duft nach frischem Heu, nach Grün, nach Pferde und vieles mehr – fielen über mich ein. Nach einer Weile erinnerte ich mich jedoch, was mein Bruder getan hatte, riss mich los und sah ihn zornig an. »Du hast es ihm gesagt.«

Er seufzte. »Er hat es aus mir heraus gequetscht.«

»Eine Warnung wäre schön gewesen«, redete ich meinem Bruder Schuldgefühle ein. Ich versuchte es zumindest.
 

»David!« Diese Stimme kannte ich zu gut. Automatisch zuckte ich zusammen. Ich wagte es nicht, mich nach der Quelle umzudrehen. Es reichte, als ich Emilia sah, die kritisch die weitere Person musterte. Ihre Lippen formten sich zu einem Grinsen, welches sie unter ihrer Hand versteckte. Auch wenn ihre Stimme nicht den Mund verließ, so konnte ich es deutlich ablesen, was sie dachte: ‚Ich verstehe, da würde ich auch schwach werden.’

Ich rollte mit meinen Augen. Natürlich war es klar, dass Oliver meinen Bruder abholen würde, aber ich hatte es völlig verdrängt. Wieso war mir das nicht eingefallen, als Emilia auf dem Weg zum Flughafen war? Hatte Oliver nicht so etwas gesagt? Wie kamen wir eigentlich auf die beknackte Idee zum Flughafen zu fahren?
 

Emilia klatschte zu meinem Schreck lautstark in die Hände und weckte mich so aus meinen Gedanken.

»Das ist aber schön, dass du nun abgeholt wirst. Dann können wir Damen ja shoppen gehen.«

Irritiert hob ich meine Augenbrauen. Hatte ich etwas nicht mitbekommen? Bevor ich was machen konnte, packte sie mich am Arm und zog mich durch die Eingangshalle zurück zum Wagen. Erst dort wagte ich es die Stimme zu erheben. Allerdings verließ bloß irgendein Gebrabbel mein Mund. »Was...? Wieso...? Häää!«

»Ich wollte ihn sehen«, erklärte Emilia dreist, »Hättest ihn mir sicher nicht vorgestellt. Ich muss doch wissen, um was für ein Kaliber es sich handelt«, sie wedelte mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht hin und her, »Schließlich darf man seinen Feind niemals unterschätzen. Und einen gut aussehenden Mann erst recht nicht.«

Ich spitzte meine Lippen, weil ich das nur halb so lustig fand, wie sie. Wenn überhaupt.

»Amanda. Was bist du so steif? Du siehst Probleme, wo keine sind.«

»Tu ich das?« Ich setzte mich in den Wagen und schmollte. Jeder konnte nur so leicht daherreden, wenn es ihn nicht betraf. Emilia setzte sich vors Lenkrad und startete den Motor.

»So wie ich das sehe, hat dieser Mann dir das Herz gebrochen. Willst du es ihm dann nicht heimzahlen?«

Okay, da war was dran, allerdings zuckte ich bloß mit den Schultern. Emilia lächelte. Eines, dieser trügerischen Lächelns. Diese Frau konnte wirklich gefährlich werden.

»Okay«, antwortete ich schließlich.

»Da wir ja wissen, wem dein Herz gehört - «

»Moment!«, unterbrach ich sie und sah ihr kritisch an. Dann dämmerte es mir, wen sie meinte. »Nein. Nein. Nein!«

Mit jedem ‚Nein’ wurde meine Stimme verzweifelte und lauter.

»Ich wohne nur bei ihm, weil er mich nicht zu Hause wohnen lässt. Er ist im Grunde herzlos und gemein. Und ein egoistischer Mistkerl! Er hat mich mit ins Sportcenter geschleift! Einfach so! Und dann war er es noch, der mich gefunden hat, als... als...« Ich kniff meine Augen zusammen. Gott bewahre, ich liebte doch nicht diesen...

Schon alleine der Gedanke war absurd. Nein, auf keinen Fall!

»Weißt du, die betreffenden Personen sind immer die Letzten, die wissen, das sie sich eigentlich lieben.«

»Ich...«

Emilia beugte sich zu mir vor, und erst jetzt bemerkte ich, dass wir standen. Ich schaute mich um. Direkt vor uns war mein Lieblingslokal.

»Du musst mir nichts sagen. Das heben wir für ihn auf. Jetzt erzählst du mir erst einmal ganz genau, was mit Oliver war, und dann schmieden wir einen Racheplan.«
 

_____________________________________________________
 

Endlich Urlaub... Urlaub. XD

Daher folgt auch bald die Auflösung der Umfrage.
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Ein Entschluss steht fest

Baff schaute er bloß Emilia und seinem Rotfuchs nach. Zu der Überraschung, dass Emilia aus heiterem Himmel an seiner Tür klingelte, musste er mit ansehen, wie sie seinen Rotfuchs entführte. Einmal hatte er es gewagt, den Mund zu öffnen, allerdings hob Emilia warnend ihren Finger, worauf ein Gefühl in ihm sagte, es war besser nichts zu sagen.

Nun stand er im Flur und starrte seine Haustür an. Ein wenig erleichtert war er schon, denn so wusste er, sie wäre nicht bei diesem Oliver. Alleine der Gedanke an diesen Mann, und dass er seinen – SEINEN – Rotfuchs berühren durfte, ließ die Wut in ihm aufwallen.

Tief atmete er ein und aus. Er musste sich ablenken, zumal sein Kaffee fertig war. Eigentlich wollte er sie damit aus dem Zimmer locken, aber nun...
 

Er ging in die Küche, griff sich eine Tasse und füllte sich die braune Brühe in die Tasse. Erstaunlich sein Konsum an Kaffee war alleine durch sie gestiegen. Er schmunzelte in die Tasse und pustete dann sanft gegen die Oberfläche.
 

Da die beiden Frauen unterwegs waren, fiel ihm genau eine Person ein, die genau wie er nun Zeit hatte. Er nahm das schnurlose Telefon von der Ladestation und wählte mittlerweile eine allzu bekannte Nummer. Nach ein paar Freizeichen meldete sich genau jene Person.

»Ist deine Frau ausgebüchst«, begrüßte er Alessandro, der zuerst in den Hörer lachte, ehe er antwortete. »Du weißt doch, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat...«

»Und was hat sie sich in den Kopf gesetzt?«

»Ah, neugierig?«

»Sie hat es dir also auch nichts gesagt«, antwortete Leonardo amüsiert. Auf der anderen Leitung war es still. Er kannte seinen Freund, auch wenn er es nicht zugeben würde, er knirschte ein wenig mit den Zähnen.

»Ich glaube, sie hat in der Zeit mehr schlechte Eigenschaften von mir abgeschaut, als ihr gut tut.«

»Vielleicht sollte ich sie nehmen?« Ein gespieltes Knurren ertönte. Leonardo lachte. »Wie wäre es mit einem Bier? Ich gebe dir eines aus.«

»Ich nehme dich beim Wort.«

Nachdem sie ein Lokal ausgemacht hatte, legte Leonardo auf und machte sich auf den Weg. Zwar war es noch früh am Abend, aber er brauchte eindeutig eine Ablenkung. Sein Leben war zurzeit ein reines Durcheinander. Seit wann war es so chaotisch geworden? Sein Blick wanderte zum Schlafzimmer von Amanda.

Und seit wann gestattete er eine Frau hier zu wohnen?

In all den Jahren war ihm noch nie der Gedanken gekommen, eine Frau länger als eine Nacht in seinem Apartment zu lassen. Jetzt wohnte eine Frau – eine unheimlich heiße Frau – in seiner Wohnung. Unweigerlich zuckten seine Mundwinkel, denn seine Phantasie ging mit ihm durch. Deutlich sah er sich mit ihr in einem Bett. Splitterfaser nackt und er würde Dinge tun, von denen sein Rotfuchs noch nicht einmal wagte zu träumen.

Oh, er brauchte jetzt unbedingt einen Drink. Und zwar sofort.
 

Genau zwanzig Minuten später saßen Alessandro und Leonardo zusammen in John Street Bar & Grill und ließen sich bereits die ersten Drinks bringen. Nachdem die Kellnerin mit der weiteren Bestellung zur Küche verschwand, beugte sich Alessandro über den Tisch. »Dann erzähl mal.«

Leonardo nippte an seinem Bier. Natürlich ließ sich Alessandro davon nicht abhalten. Seine Lippen formten sich zu einem schiefen Grinsen. »Wir treffen uns doch nicht aus reiner Freundlichkeit. Hast du ihn schon niedergeschlagen, und sie will dich nicht mehr sehen?«

»Natürlich nicht!«, fauchte Leonardo und räumte die Getränke beiseite, damit die Kellnerin ihnen das Essen auf den Tisch stellte. Er griff nach einer Pommes und stopfte sie sich lieblos in den Mund, während seine Augen sich im Lokal umsahen.

»Nicht? Wow, und ich hätte gedacht, du wärst damals abgehauen, um ihn zu verprügeln.«

Leonardo strafte ihn mit einem bösen Blick und fügte hinzu: »Ich könnte, aber - « Er wusste nur zu gut, wenn er Oliver eine reinhauen würde, würde sie ihn meiden. Und das war etwas, das er ganz und gar nicht ertrug. Verzweifelt vergrub er seinen Kopf unter den Armen.

»Also willst du von mir Beistand?« Leonardo winkte mit einer Handbewegung ab. »Rat? Du willst tatsächlich einen Rat? Von mir? Der Casanova von uns möchte – «

»Noch ein Wort, und ich probiere meine Fäuste an dir aus.«

»Schon gut.« Alessandro nippte an seinem Cocktail. Leonardo traktierte sein Essen mit der Gabel. Irgendwie hatte er auf einmal gar keinen Hunger mehr. Wieso noch mal hatte er sich Essen bestellt und das Bier schmeckte ihm heute auch nicht. Er verstand sich selber nicht mehr. Dieses Gefühlschaos in ihm machte ihn wahnsinnig. Seit wann hatte das begonnen?

Genau, es war der Tag, an dem sein eigener Vater ihm diesen Rotfuchs präsentierte mit den Worten ‚deine neue Sekretärin’. Im ersten Moment war er unheimlich sauer auf seinen Vater und die Welt gewesen, aber je mehr er sie heimlich beobachtete – ihre schlanke Gestalt, die Art, wie sie dauernd über ihre linken Füße stolperte – desto mehr brachte sie ihn zum schmunzeln, ob er wollte oder nicht. Er konnte sich kaum noch an ihr satt sehen. Das war ihm noch nie passiert. Verdammt!

Und dann diese Tränen. Er könnte sich heute noch Ohrfeigen für seinen schroffen Ton damals. Tief atmete er durch und schob sich geistesgegenwärtig eine Pommes in den Mund.

Wenn er es nicht besser wüsste, würde er behaupten, er –
 

Seine Gedanken stoppten abrupt. War er wirklich so blind gewesen? Mit großen Augen starrte er Alessandro an, der sich seinem Essen widmete.

»Ich glaube, ich liebe sie.« Beinahe hätte sich Alessandro an seinem Bissen verschluckt. Hustend trank er seinen Cocktail leer und klopfte sich noch zusätzlich gegen die Brust.

»Du glaubst, was? So, wie bei deinen Affären?«, röchelte er, worauf Leonardo schüttelte den Kopf. Er konnte sich selber kaum mit den Gedanken anfreunden, dennoch verriet sein pochendes Herz, dass es nur diese eine Lösung gab. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

»Leider nein. Dieser vermaledeite Rotfuchs hat es als Einzige geschafft.«

»Klingt nicht sehr...«, Alessandro suchte nach dem passendem Wort, »...überzeugend.«

»Nicht?«, Leonardo sah sich im Lokal um, als hätte er das Gefühl belauscht zu werden, »Ich dachte eher, dass du es mir unter der Nasen reiben würdest.«

»Das mache ich noch«, sagte Alessandro, »Wenn du vor dem Altar stehst.«

Unbewusst schluckte Leonardo. Heiraten?

»Wer hat von - ?«

»Doch nicht?«, hakte Alessandro grinsend nach, »Du wirkst auf einmal so bleich. Vielleicht noch ein Bier?«

Alessandro bestellte für seinen Freund noch ein Bier, welches prompt geliefert wurde. Grübelnd strich Leonardo sich das Kinn. ‚Heiraten.’

Im Grunde war der Gedanke gar nicht so schlecht. Er war sogar sehr verlockend. Sein Rotfuchs würde ihm ganz alleine gehören, und jeder würde es sehen. Das Zeichen seines Besitzes an ihrem Finger.
 

»Vielleicht werde ich das tun.« Alessandro hob eine seiner Brauen. »Heiraten.«

Je mehr er darüber nachdachte, desto begieriger wurde er, es zu tun. Am liebsten noch heute. Sein Entschluss stand fest: Er wird sie heiraten!

Selbst Gott würde das nicht verhindern können und erst recht nicht ihr EX!
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Ein dämlicher, dummer, guter Plan

Ich rührte mehrmals mit dem Löffel in der kalten Brühe, von der ich gerade Mal zwei Schlucke getrunken hatte, mehr bekam ich einfach nicht runter, obwohl es mein Lieblingskaffee war. Es tat immer noch weh, über die Vergangenheit zu reden.

Emilia ließ sich zurück in den Sessel fallen und hatte skeptisch den Mund verzogen. Es war faszinierend der Frau zu zusehen, wie sie über alles nachdachte. Sie behielt dennoch ihr Lächeln im Gesicht, egal, wie verzwickt die Lage war. Sie ließ sich nichts anmerken. Schließlich beugte sie sich vor. »Ich habe da eine Idee.«

Ich blinzelte. Sie setzte sich wieder aufrecht hin und lächelte einem Kellner zu, der verlegend den Kopf senkte. Diese Freundlichkeit war doch gespielt. Niemand konnte so freundlich sein.

»Weiß dein Mann, dass du so nett zu anderen Männern bist«, rutschte es mir raus, bevor ich über meine Worte nachdachte. Zuerst sah sie mich verdutzt an, dann lachte sie. Ein ehrliches Lachen.

»Er weiß es.« Ich wartete, dass sie es mir erklärte. Sie tat es mit einer Handbewegung ab. »So ganz kann ich diese Art nicht ablegen. Eine alte Macke. Aber das ist nicht schlimm, denn Alesso durchschaut mich sofort.«

»Ist das nicht nervig?«

»Ein wenig schon«, gestand sie, dennoch grinste sie dabei, also konnte es nicht so schlimm sein.

»Aus mir kann man lesen, wie aus einem Buch«, kommentierte ich und fand meine Aussage mehr als dämlich. Wie kann man sich selber schlecht machen? Ich seufzte.

»Finde ich nicht.« Der Kellner brachte uns eine weitere Tasse Kaffee, obwohl ich noch nicht einmal meinen Ersten angerührt hatte. »Sie glauben nur, dass du es bist. Und das nutzen wir aus. Nun zu meiner Idee: Du behauptest bei Oliver, dass du verlobt bist - «

»Verlobt? Das glaubt der niemals!«, unterbrach ich sie. Meine Stimme war um einige Oktaven höher und neugierig drehten sich einige im Lokal nach uns um. Verlobt, mit wem bitte? Welchen Mann sollte ich nennen? Ich kannte doch bloß Leonardo?

Schlagartig ereilte mich die Erkenntnis, worauf Emilia abspielte. Meine Augen weiteten sich und glichen beinahe wie der Teller auf dem unser Kuchen stand. Hingegen nickte Emilia amüsiert. Ich senkte meine Stimme, dass es bloß noch ein Hauchen war – lauter konnte ich eh nicht mehr sprechen: »Ich soll behaupten, dass ich mit Leonardo verlob bin? Das glaubt Oliver mir niemals. Und wenn das rauskommt, dann...«

Instinktiv packte ich mir am Hals. Was der Mann mit mir alles anstellen würde, weil ich behauptete, ich wäre mit ihm verlobt. Er würde mich quälen, mit noch neueren Spitznamen, vermutlich entwickelte er zusätzlich noch etliche Taktiken. Ich würde nie wieder ein normales Leben führen können. Ich war am Ende.

»Wieso nicht? Hatte er euch beide nicht zusammen im Arm gesehen?«

»Das war nur, weil ich beinahe hingefallen wäre, hätte Leonardo mich nicht festgehalten.«

»Ja und. Das muss doch dieser Oliver nicht wissen. Es passt doch alles zusammen. Ihr wohnt zusammen, er hat euch eng umschlungen erwischt.« Ich spürte, wie die Röte in meine Wange stieg und drückte meine Hände dagegen, in der Hoffnung so die Röte zurück zu halten.

»Das wird auffliegen«, stammelte ich, »Ganz bestimmt, wird das auffliegen.«

»Ach was, ich helfe dir. Und wir weihen Alesso ein. Durch ihr Projekt müssen die beiden eh zusammenarbeiten.«

»Er wird es Leonardo sagen.« Ich spitzte meine Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. Nein, das würde nicht gut gehen. Ich wollte mein Leben erleichtern, nicht verkomplizieren.

»Amanda«, sagte sie mit sanftem Ton, »Es wird schon gut gehen. Wir müssen ab jetzt nur aufpassen, dass Leo und Oliver sich nicht begegnen.«

»Und was ist mit meinem Bruder?«

»So wie ich ihn einschätze, würde er mitmachen.«

»Bestimmt nicht.« Ich schüttelte vehement meinen Kopf.
 

Doch ich hatte mich geirrt. Gewaltig geirrt. Emilia hatte Alessandro noch am selben Abend eingeweiht. Ich saß bloß stillschweigend auf dem Sessel und sah zu, wie Emilia mit solch einer Leidenschaft ihrem Mann ihr Vorhaben erzählte, während er einfach nur da stand und lächelte. Irgendwie war ich eifersüchtig. Ob mich Leonardo auch mit so einem Lächeln ansehen würde? Ein Hauch von Stolz, dass sie ihm gehörte, aber auch dieses Verruchte. Beschämt wandte ich den Blick von ihnen und sah mich in ihrem Wohnzimmer um. Ihr Hund Bruno saß direkt vor mir und legte seinen Kopf schief. Er saß lediglich da und starrte mich abschätzend an.

»Was meinst du, Bruno?«, wollte Alessandro wissen. Der Hund hob seinen Kopf. Er sah zu ihm, dann zu mir, und schließlich trottelte er zu seinem Herrchen. Alessandro ging in die Hocke und kraulte ihn am Kopf, gleichzeitig sprach er mit dem Mischling: »Was meinst du, mein Dicker? Meinst du, dass es klappt?«

Hund und Mann sahen zu Emilia auf. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, hingegen lächelte sie. »Selbstverständlich.«

»Und, was meinen sie, Miss Mendes?«

Ich? Was sollte ich dazu, zu sagen haben? Dieser Plan würde nicht aufgehen. Er war ein Reinfall. Zum Scheitern verurteilt. Das würde niemals gut gehen.

»Sie scheint nicht wirklich überzeugt zu sein«, stellte Alessandro kritisch fest, aber hatte plötzlich dasselbe amüsierte Lächeln im Gesicht wie seine Frau.

Ehe ich antworten konnte, machte ich einen surrenden Laut aus meiner Tasche aus. Das Handy! Blitzschnell kramte ich danach. So musste ich mich nicht weiter mit diesem lächerlichen Plan auseinander setzten. Denn genau das war er! Einfach lächerlich!
 

Ich sah auf dem Display. Die Nummer meines Bruders. Ich ging dran. »Ja?«

»Kannst du mir sagen, wieso eine Emilia Smith mich unbedingt noch heute Abend sprechen möchte?«, kam er gleich auf den Punkt. Mein Blick wanderte zu ihr. »Ist irgendetwas passiert? Sie meinte – ich zitiere – ‚Es sei ein Notfall von äußerster Wichtigkeit!’. Also was ist es?«

»Warte kurz.« Ich legte eine Hand auf die Sprechmuschel und widmete mich ihnen zu. »Du hast mit meinen Bruder gesprochen?«

»Wunderbar. Schick ihn gleich hier her.«

Da ich es für ratsamer hielt, nicht zu widersprechen, war er einige Minuten später ebenfalls da und saß neben mir.

Wenn ich schon dachte, dass im Cafe mein Kopf hochrot war, war er es spätestens jetzt. Es ist derartig peinlich, über seine Liebesbeziehung mit seinem Bruder zu reden. Und es war ärgerlich dazu, dass er so ein Interesse daran bekundete. Kannte er keine Privatsphäre!

»Ich bin dabei.« Mein Mund formte zu einem O. Wie konnte er! Er war mein Bruder. Mein eigen Fleisch und Blut. Er sollte auf meiner Seite stehen.

Jetzt nahm mein Bruder auch noch meine Hand. Was kam jetzt?

»Oliver ist ein guter Freund, aber er verdient es mal einen Dämpfer zu bekommen.«

»Du findest das auch noch gut? Wie könnt ihr das nur zulassen. Wenn das rauskommt. Ich könnte niemals mehr mich in der Bank sehen lassen.« Ich zog meine Beine an und legte mein Kinn auf das Knie. »Dabei mag ich den Job. Auch wenn mein Chef...«

Ich beobachtete im Augenwinkel, dass Alessandro sich zu seiner Frau beugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte, worauf ihre Augen zu strahlen begannen. Irgendwie zerriss es mir das Herz, und die Einsicht, dass ich genau dasselbe wollte, tat weh.
 

»Ich werde Oliver für euch von diesem Leonardo fernhalten.«

»Und ich kümmere mich um Leo. Durch unser Projekt schöpft er keinen Verdacht.«, bestätigte Alessandro seiner Frau. Emilia nickte amüsiert. Für sie war das alles ein Spiel, für mich war es purer Ernst. Mein Bruder legte einen Arm um mich und drückte mich, wie er es in Kindertagen immer getan hatte. Immer wenn ich mich einsam fühlte, nahm er mich in den Arm und drückte mich. Das gab mir zwar Kraft, doch mit der Zeit stellte ich fest, dass es einfach nicht reichte. Dieses Mal war es so intensiv, dass ich mir wünschte, es wäre ein gewisser anderer Mann. Ob ich es wollte oder nicht, meine Gedanken verselbstständigten sich: Ich malte mir aus, wie er meinen Nacken liebkoste, weiter zu meinem Hals glitt und nur ganz leicht daran knabberte. Wie ich mit meinen Finger über seine Brust strich. Ich wusste durch den Studiobesuch, wie gut gebaut er war.
 

»Amanda!« Verdattert blinzelte ich. Wie lange war ich weggetreten? »Komm, ich bring dich nach Hause«, schlug ihr Bruder vor. Das Ehepaar verabschiedete sich von uns und wir liefen durch die New Yorker Straßen. Zu meiner Überraschung wohnte sie nicht weit voneinander entfernt. Wenn man von der beknackten Idee absah, wäre es doch sehr schön, sich mit Emilia anzufreunden.
 

Er würde es tun. Er würde sie fragen, dem war er sich sicher. Noch nie war sich Leonardo so sicher gewesen, wie in diesem Moment. Sein Rotfuchs würde seine Frau werden. Gleichwohl musste er sehr behutsam umgehen, sie zu fragen. Bei ihr wäre es nicht einfach. Sie musste erkennen, dass genau er der Richtige für sie war. Dazu brauchte er einen Ring. Aber nicht irgendeinen. Es musste etwas besonderes sein. Nicht einfach ein Diamantring. Dieser kleine Ring musste ihre Persönlichkeit widerspiegeln und seinen Besitz ausdrücken. Genau in dem Moment kam ihm der passende Stein in den Sinn: Es musste ein Rubin sein. So feurig, wie die Haare seines Rotfuchs.
 

Noch ehe die Haustür sich öffnete, wusste er, dass sie es war. Sie winkte jemanden zu, dann schloss sie mit einem Lächeln die Tür. Geneigt sofort zur Tür zu stürmen, um zu sehen, wer es war, zwang er sich auf der Couch sitzen zu bleiben.

Verlegend sah sie ihn an und dann zu Boden. Ihre Finger spielten miteinander. Skeptisch hob er seine Augenbrauen.

»I-Ich wünsche eine gute Nacht«, murmelte sie. Was verdammt noch Mal war passiert? Sie wirkte völlig verwirrt. Bevor er etwas antworten konnte, war sie bereits in ihrem Schlafzimmer verschwunden. So konnte er nicht schlafen. Er sprang von der Couch auf und folgte ihr.

Sie war gerade dabei ihr Oberteil auszuziehen, als er die Tür öffnete. Verschreckt kreischte Amanda auf und drückte ihr Oberteil notdürftig auf ihre Brüste. Wie er vermutet hatte, war sie schlank, aber nicht dürr. Sie hatte genau die weiblichen Rundungen, die er an einer Frau liebte.

»W-Was?«, stammelte sie.

»Ist was passiert?«, fragte er und hatte beinahe vollkommen sein Vorhaben vergessen, weswegen er ihr gefolgt war. Seine Augen konnten sich nicht von ihr lösen. Am liebsten würde er das Stück Stoff, das sie begierig an sich presste, von ihr reißen. Für ihren Körper musste sie sich nicht schämen. Er hätte es ihr am liebsten sofort gesagt – nein, er hätte es ihr vielmehr gezeigt, allerdings durfte er nichts übereilen.

»N-Nichts ist passiert«, antwortete sie und drehte sich mit dem Rücken zu ihm.

»D-Darf ich mich jetzt umziehen? I-Ich möchte ins Bett.«

»Natürlich.« Seine Lippen zuckten amüsiert. Er dachte ganz und gar nicht daran, nun das Zimmer zu verlassen.

»Leonardo!« Schlagartig hob er seinen Kopf. Die Schärfe in ihrem Ton gefiel ihm eigenartigerweise. Ein wenig schroff, aber darunter war noch etwas anderes. Seinen Namen derartig auszusprechen, hatte etwas. Er räusperte sich und schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln.

»Ich wünsche eine erholsame und ruhige Nacht.« Amanda nickte, dennoch war für sie die Nacht gelaufen. Ihr Herz pochte so laut gegen ihre Brust, dass sie befürchtete, er würde es hören.

Einen Moment genoss er noch ihren Anblick, dann endlich verließ er das Schlafzimmer. Heute Nacht würde er besonders gut schlafen können.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Die Auswirkungen der Vergangenheit

Die Nacht sah so aus, dass ich einfach wach auf dem Bett lag. Denn mit jeder Minute die verstrich, wurde mir mehr bewusst, wie viel Mr. Fürchterlich von mir gesehen hatte. Oder gesehen haben konnte, keine Ahnung. Es war auf jeden Fall zu viel!

Was fiel ihm ein, plötzlich in mein Zimmer zu stürmen; wie ein Bulle? Erneute Wut stieg in mir auf, ich richtete mich im Bett auf, um ihm die Leviten zu lesen, schmiss mich jedoch zurück ins Kissen, da ich keine Chance hätte. Sobald ich vor ihm stehen würde, müsste er mich bloß böse anschauen und ich renne aus dem Zimmer. Seufzend drehte ich mich zur Seite und wünschte ihm stattdessen die Pest am Hals. Zumindest sollte er nicht gut schlafen. Aber wie Männer nun einmal waren; er schliefe wahrscheinlich prächtig.
 

Ein weiteres Mal erhob ich mich – ich konnte schon nicht mehr zählen, wie oft ich das getan hatte – dieses Mal stand ich jedoch auf. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, könnte ich mich auch mit etwas beschäftigen. Also schaltete ich mein Notebook an und surfte aus Langeweile im Internet. Aber um diese Uhrzeit war überhaupt Nichts los.

So befasste ich mich mit etwas, dass ich eine halbe Ewigkeit nicht getan hatte, ich begann zu zeichnen. Ich suchte in meinem Koffer nach dem alten Grafiktablett, schloss es an und setzte mich daran ein Gesicht zu skizzieren.

Nach einer Weile war ich so vertieft in der Arbeit, dass ich die aufgehende Sonne erst bemerkte, bis sie direkt auf meinem Display schien. Grummelnd drehte ich mich zur Seite. Ich war gerade so schön drin, der Gedanke Aufzuhören gab es nicht.

»Sieht hübsch aus.«

Ich schrie auf, direkt in sein Gesicht. Erst Sekunden später erkannte ich Leonardo. Wann war er in mein Zimmer gekommen? Reflexartig klappte ich den Deckel des Notebooks runter, doch es war zu spät: Er hatte bereits mein Werk gesehen. Meine Hände lagen zwar schützend über der glatten Oberfläche, aber ohne große Mühe schob er sie beiseite und klappte den Deckel auf.

»An wen erinnert mich nur dieser Kerl?«

»An niemanden.« Verzweifelt versuchte ich, den Deckel meines Notebooks runter zu klappen. Allerdings ließ Leonardo das nicht ein Stück zu. Obwohl er lediglich leicht mit zwei Fingern dagegen drückte, hatte er doch mehr Kraft als ich. Hinzukam, dass ich meinem Schätzchen – das Notebook – nicht wehtun wollte. Ich konnte mir keinen Neuen leisten, außerdem mochte ich es, so wie es war.

Kritisch verzog er die Lippen und studierte jeden einzelnen Strich. Ich dankte Gott auf Knien in Gedanken, dass ich bis jetzt nur eine grobe Skizze geschafft hatte, jedoch konnte man schon am Ansatz erkennen, wer meine Vorlage war. Ich kaute auf meiner Unterlippe. Ob ich wollte oder nicht, ich musste geduldig warten, bis er genug davon hatte.

»Und dennoch, irgendwoher kenne ich diesen Typen.«

»Vielleicht, weil er einfach ein Gesicht wie jeder andere hatte«, log ich. Er stimmte mir flüchtig zu und schien das Interesse zu verlieren. Erleichtert atmete ich innerlich auf. Ein Glück, ich wäre im Boden versunken, wenn er...

»Wenn du keine Ärmel malst, muss hier an der Schulter ein Tattoo hin.«

Schlagartig wurde ich schneeweiß im Gesicht, selbst meinen Lippen drohte die Farbe zu verlieren. Er hatte meine Vorlage erkannt! Ein dicker Kloß saß in meinem Hals und egal, wie viel ich schluckte, er wollte einfach nicht verschwinden.

Lässig tippte er mit dem Finger die Kurve der Schulter entlang. »Es sitzt hier. Und ist ein Schmetterling.«

Meine Augen starrten stur auf den Finger und verboten sich irgendetwas anderes anzusehen. Nicht einmal würde ich es wagen, in sein Gesicht zu sehen. Nachdem der Schock überwunden war, schlug mein Herz nun so schnell, dass all mein Blut in mein Gesicht schoss. Zumindest kam es mir so vor. Ich brauchte keinen Spiegel, um zu ahnen, wie rot meine Wangen leuchteten. Bestimmt übertraf ich sogar die saftigste Kirsche. Er nahm seinen Finger vom Display und automatisch folgte ich seiner Hand, die bedauerlicherweise sich seiner Schulter näherte und den Ärmel seines T-Shirts hochschob. Ein kleiner schwarzer Schmetterling prangte zwischen Schulter- und Armansatz.

Wieso war mir dieses Ding nicht schon im Fitnessstudio aufgefallen? Vermutlich, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, ihm meine Verwünschungen an den Hals zu hetzen.

Frech grinste er mich an, worauf ich nur zurückstarren konnte. In dem Moment konnte ich nichts anderes, als einfach dämlich zu glotzen. Schließlich ermahnte ich mich, seinem Blick auszuweichen, schaltete mein Notebook aus und verstaute es in einen der etlichen Schublade unter einem Berg von Wasche. Jedoch wagte ich mich nicht umzudrehen, sondern tat höchst konzentriert damit, nach neuen Sachen zu suchen. Er sollte endlich aus dem Zimmer verschwinden! Es war mehr als peinlich. Im Grunde nur peinlich für mich, und das erzürnte noch meinen Ärger.

War er etwa immer noch da?
 

»Du zeichnest?«, fragte er, obwohl die Antwort doch offensichtlich war und seine Frage fadenscheinig war, um weiterhin im Raum zu bleiben. Ein dämlicher Grund!

»Wie man sieht: Ja.« Noch immer wagte ich mich nicht umzudrehen und machte mich indessen an den Schubladen zu Gange.

»Hast du noch mehr arbeiten?«

»Daheim«, antwortete ich knapp. Ich glaubte, er nickte stumm, da ich das Rascheln von Stoff wahrnahm.

»Schade.« Überraschender Wiese klang er wirklich enttäuscht, als hätte er sich dafür interessiert. Aber dieser Mann interessierte sich bloß für sich selber. »Ich hätte deinen Bruder bitten sollen, welche mitzubringen.«

Ich wusste, er wollte mich ärgern, und obwohl ich das wusste, funktionierte es und ich drehte mich um.

»Nichts da!«

»Wieso nicht?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und grinste fies. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Überhaupt nicht. »Sind da vielleicht einige Aktzeichnungen darunter?«

Schlagartig schoss mir noch mehr die Röte ins Gesicht. »Erwischt.«

»Nein!«, protestierte ich, eine Spur zu Laut und mäßigte meine Stimme, ehe ich fortfuhr: »Nein, habe ich nicht. Schließlich braucht man dafür Modele.«

»So? Braucht man das?«

Oh nein!’

Meine Augen weiteten sich und bevor er das hervorbringen konnte, das ich vermutete – anders konnte es nicht sein – stürmte ich aus dem Zimmer. Ich musste schließlich vor der Arbeit noch Frühstücken.
 

Zielstrebig lief ich an ihm vorbei direkt auf die Küchennische zu und suchte mir in den Schränken alles zusammen. Mit der Zeit bekam ich ein Gefühl dafür, wo was war. Natürlich folgte er mir auf dem Fuße. Hoch konzentriert tat ich das Kaffeepulver in die Maschine, schaltet sie an und widmete mich meinem Tost. Mit vollem Mund konnte ich nicht sprechen und auch nicht auf etwas antworten, dass ich zwar noch vermutete, aber das Glitzern in seinen Augen bestätigte meine Vermutung.

»Du bist ein wenig prüde«, stellte er fest und klaute mir meinen Toast. Ich antwortete nicht und kaute demonstrativ. Aber seine Aussage bedurfte auch keine Antwort. Mehrmals kaute ich die Bisse, ehe ich sie runter schluckte.

»Oder so unprofessionell?«

Er will mich ärgern. Ärgern’, sagte ich mir im Stillen pausenlos, doch er packte mich bei etwas, von dem ich glaubte es nicht zu haben: Meinem Stolz.

Ich schnaufte und verschluckte mich beinahe an meinem Bissen. Wild hustend klopfte ich gegen meine Brust und schluckte unter kräftigem Einsatz den Bissen runter. Meine Augen tränten und meine Stimme hörte sich kratzig an, dennoch antworte ich mit so viel Wut, die ich in mir aufbrachte: »Ich bin so professionell, wie man nur sein kann. Ich habe eben nur kein Interesse an Aktbildern.«

Er nickte stumm. Da der Kaffee fertig war, goss er davon erst die Flüssigkeit in meine Tasse und dann in seine Tasse und stellte mir den Zucker hin.

»Nicht mal ein klein wenig?«

Darauf würde ich mich nicht einlassen! Er versuchte nur einen Grund für seinen dämlichen Vorschlag zu finden, daher würgte ich ihn mit dem Einzigem ab, was plausibel war: »Wir müssen arbeiten.«
 

Ich nahm zwei kräftige Schlucke, verbrannte mir die Zunge und verschwand in mein Zimmer.

In Rekordzeit zog ich mich um, denn mein Zimmerschlüssel war irgendwie seit letzter Nacht verschwunden, und wer ahnte schon, dass nicht jemand ganz Gemeines ins Zimmer stürmte.
 

Amüsiert sah er ihr nach, während er sein Grinsen in der Tasse verschwinden ließ. Er hätte sie darauf hinweisen können, dass er ihr Chef war, und im Grunde er die Zeiten bestimmte, wann sie im Büro erscheinen müsste. Aber das Spiel war doch um einiges lustiger. Diese sadistische Ader, die sich mehr und mehr zu entwickeln schien, gefiel ihm. Es war merkwürdig, denn dadurch dass er sie neckte, war irgendwie das Gefühl von Vertrautheit vorhanden. Bei ihr musste er nicht darauf achten, einen gewissen Typen zu spielen, er war einfach er selbst.

Sobald er den letzten Schluck getrunken hatte, stellte er die Tasse in die Spüle und fand es ebenfalls an der Zeit sich umzuziehen.

Sie hatten zwar noch Zeit zum Meeting mit seinem Vater, aber irgendein ungutes Gefühl trieb ihn an, doch zur Bank zu fahren.
 

Und sein Gefühl sollte ihn nicht im Stich lassen. Sie betraten gerade sein Büro, da erwartete schon die persönliche Sekretärin seines Vaters ihn. Bedauerlicherweise unterstand sie seinem Vater, sonst hätte er dieses Weibstück direkt rausgeworfen. Es gab nicht viele Frauen, die er nicht mochte, aber wenn, dann waren ihre Charaktere so schwarz und lieblos, dass es ihm heißestem Sommer selbst fröstelte.
 

Schwungvoll – als gehörte ihr alles, drehte sie sich zu ihnen um. Mit einem abschätzendem Blick betrachtete sie Amanda, das Leonardo gar nicht gefiel. So eben unterdrückte er ein Knurren aus seiner Kehle.

»Was willst du?«, wollte er wissen und gab sich nicht sichtlich Mühe, seine Abneigung zu verbergen. Statt darüber verärgert zu sein, lächelte dieses dumme Weib ihn nur an. Sie hob eine Hand an ihrem Kinn, als müsste sie überlegen, weswegen sie sein Büro aufgesucht hatte. Doch Leonardo wusste es besser. All ihre Gestik und Mimik war nur Fassade, um das zu bekommen, das eigentlich jeder – außer seinem Vater – sah: Sie hatte es abgesehen, ganz oben in diesem Unternehmen zu sitzen.

»Ich wollte dich sprechen«, erinnerte sie sich. Auch Amanda bemerkte diese schwarze Aura um diese Frau, denn instinktiv blieb sie einige Schritte hinter Leonardo.

Es überraschte ihn selber, dass er auf diese leichte Bewegung so heftig reagierte und der Sekretärin seines Vaters am liebsten die Augen ausgekratzt hätte. Hingegen blieb er einfach schützend zwischen den Beiden stehen und verschränkte die Arme.

»Du weißt, dass es mein Büro ist.«

»Ich weiß.« Grinsend neigte sie den Kopf ein wenig zur Seite.

»Also?«

»Ach ja«, sie umrundete den Schreibtisch und ließ ihre Finger über die glatte Oberfläche gleiten, »Dein Vater will dich sprechen.«

»Das weiß ich.« Leonardos Blick verfinsterte sich, weil diese Frau vor ihm irgendetwas ausheckte oder es bereits getan hatte.

»Nicht wegen dem Meeting.« Jetzt war er noch wachsamer. Nun war er sich sicher, da stimmte etwas nicht. »Es betrifft deine Sekretärin.« Die Frau nickte zu Amanda und rümpfte gleichzeitig mit der Nase. »Wie es scheint, geht es wohl um irgendwelche Dokumente, die gefälscht sind.«

Schlagartig wich Amanda noch einen Schritt zurück, weg von Leonardo. Entsetzt ging er sich durch die Haare. Er hatte doch alle Dokumente vernichtet. Wie konnte sein Alter davon Wind bekommen? Er war so sorgfältig damit umgegangen. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, eines der Dokumente, welches sie besonders hervorragend kopiert hatte, hatte er aufbewahrt. Aber es war in seinem Schreibtisch, in seiner Schublade, wovon nur er den Schlüssel hatte.

Sofort stürmte er zu seinem Tisch und riss an der Schublade, die sich erstaunlicherweise öffnete. Das Dokument war nicht mehr drin. Dann wanderte sein Blick zu dem verdammten Weibstück.

»Du hast meinen Schreibtisch aufgebrochen?« Es kostete ihn erhebliche Mühe nicht zu brüllen. Er musste sich beherrschen, sonst würde er der Frau den Schädel einschlagen. Garantiert würde er das. Seine Hände hatten sich bereits zur Faust gebildet. Jedoch zeigte sich dieses Miststück nicht eine Spur davon beeindruckt. Sie lief zur Tür und warf Amanda einen weiteren vernichtenden Blick zu und ging lachend aus dem Zimmer.
 

Wie ein Messerstich traf mich ihr Blick, der alles sagte, der einen solchen Hass gegen mich hatte, was ich einfach nicht verstand. Ich hatte diese Frau bisher nur einmal getroffen, und das war als ich hier eingestellt wurde. Wie konnte eine Person mich so hassen?

Vor Schock konnte ich mich nicht rühren. Ich wagte es noch nicht einmal, auf zu schauen.

Plötzlich donnerte es. Reflexartig zuckte ich zusammen, aber ich blickte weiterhin zu Boden. Die Tränen bahnten sich schon ihren Weg nach oben, dabei war ich doch sauer. Sauer auf diese Frau.

Scheppernd knallte etwas zu Boden. Ich zuckte erneut zusammen. Im Augenwinkel erkannte ich einen zerstörten Monitor.

»Komm hier!«, befahl Leonardo. Zuerst starrte ich ihn an, geneigt zu widersprechen, dann folgte ich doch seinem Befehl. Langsam schritt ich auf den Schreibtisch zu. Meine Kehle fühlte sich rau an, ich schluckte meine Tränen verzweifelt runter. Ich kam mir vor, wie auf dem Weg zum Galgen.

Doch statt der Rüge, Beschuldigungen, griff er bloß nach meinen Handgelenken und zog mich in seine Arme. Fassungslos ließ ich es einfach geschehen. Er drückte mich fest an sich und legte sein Kinn auf meinen Kopf. Er hauchte mir einen Kuss ins Haar und murmelte unverständliches Zeug von sich hin. Vermutlich einige Flüche. Zwar sah ich sein Gesicht nicht, allerdings wurde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Mann sich ausdachte, was er mit dieser Frau anstellte und noch viel schlimmer: Er überlegte sich, wie er mir helfen könne!
 

Ein seltsames Gefühl. Unangenehm, da mir - bis auf mein Bruder und Oliver - kaum jemand geholfen hatte. Aber irgendwie auch beruhigend. Es bewarte mich davor, loszuheulen wie ein kleines Kind.

Anderseits wollte ich nicht in seiner Schuld stehen, also tat ich das Unüberlegteste, das mir in dem Moment einfiel: Ich stieß seine Hilfe weg.

»Ach, so schlimm ist das nicht. Wäre nicht der erste Job, den ich verliere«, meinte ich in meinem Leichtsinn, »Zum Glück ist ja mein Bruder da. Praktisch, dann kann ich gleich mitfahren.« ‚Und müsste nicht den Plan von Emilia in die Tat umsetzen.’

Ehe er antworten konnte, löste ich mich von ihm und lief mit eiligen Schritten durch das Büro.

»Ich sollte dann besser geh- «

»Du gehst nirgendwo hin.« Blitzschnell war er mir gefolgt und drückte seine Hand gegen die Tür. »Du bleibst hier. Ich bestimme, ob du gefeuert wirst oder nicht.«

Schmeichelhaft, hingegen so besitz ergreifend, dass mir ein Knurren aus der Kehle stieg. Leonardo grinste. So witzig fand ich das nicht.

»Die Krallen am Ausfahren? Wir packen das schon. Schließlich hab ich mit dir noch was vor.«

Dann war er es, der das Büro verließ und mich mit solch einer Aussage einfach im Raume stehen ließ.

Ich habe mir dir noch was vor. Pah!’ Ich wollte gar nicht wissen, was das war. Ich wollte, es mir noch nicht einmal ausmalen.
 

_____________________________________________________
 

Das erste Zwischenergebnis von der Umfrage. *Trommelwirkbel*

Alessandro Smith - 35 %

Emilia Walter/Smith - 26 %

Leonardo Andrews - 13 %

Amanda Mendes - 9 %

Roland Jackson - 4 %

Natasha Kayley - 0%

Bruno - Der Hund - 13 %

Miss Brandon - 0
 

Auflösung gibt es am Ende der Geschichte.
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Kein Zurück mehr

Tief atmete er ein, ehe er die schwere Bürotür zum Zimmer seines Vaters öffnete. Es gab nur einen Mann, den er wirklich fürchtete, und vor den trat er jetzt. Die Tür öffnete sich lautlos.

»Jetzt wirst du sie endlich los«, begrüßte sein Vater ihn. Er lachte, als hätte er einen Scherz gemacht. »Das wolltest du ja die ganze Zeit.«

Leonardo ballte seine Hände zu Fäusten. Widersprechen wäre eine Lüge gewesen, aber zustimmen ebenso.

Sein Vater lehnte sich gegen die Lehne seines Sessels. Schweigend blieb Leonardo vor dem Tisch stehen. Mittlerweile war er größer, konnte auf den Tisch herabsehen, nichtsdestotrotz hatte er Angst. Angst aus alter Kindheit, doch auch Angst sie zu verlieren. Und diese Angst war um einiges größer als die Angst vor seinem Vater.

»Wieso schickst du dein Ding in MEIN Büro?«

»Du machst kein Hehl daraus, wenn du jemanden nicht magst, oder?«

Leonardo pustete lediglich Luft aus seinen Lungen. Ein Wort und er hätte nicht mehr aufhören können. Er hätte vermutlich etwas zerschlagen. Dann noch die Erinnerung, wie dieses Weibstück seinem Rotschopf – seiner Frau; bald – Angst machte. Das ertrug er nicht.

»Warum?«, fragte er, nachdem er etliche Male tief durchgeatmet hatte.

»Du weißt sehr wohl, warum?« Sein Vater warf das Dokument auf den Schreibtisch. Dort lag es, die einzige Kopie, die er behalten hatte, die eigentlich gut verschlossen in seinem Schreibtisch liegen sollte.

»Das solltest du nie sehen.« Sein Vater löste sich aus der Pose und beugte sich über den Schreibtisch. Nun ging der Kampf los und Leonardo wusste nicht, wie er dagegen gewinnen sollte, dennoch durfte er nicht klein bei geben. Wenn er das tat, verlor er sie.

»Das«, die Faust seines Vaters donnerte auf den Tisch, während die Stimme bei jedem Wort lauter wurde, »sollte ich nie sehen?! Leo, wenn das bekannt wird, wären wir verloren! Das ist Betrug.«

»Die Akte war in meinem Schreibtisch eingeschlossen, aber dein Ding hat meinen Schreibtisch aufgebrochen. MEINEN Schreibtisch!«, konterte Leonardo.

»Der verzeiht das hier nicht!«

»Es war meine Schuld! Sie wollte doch nur ihren Job behalten.«

»Und dann erklärt es das hier!«

Stöhnend erhob sich sein Vater vom Platz. Kein gutes Zeichen, bemerkte Leonardo. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren. Wie sollte er aus dieser Situation hinauskommen?

»Nenn mir einen Grund, der mich dazu bewegen sollte, dieses Mädchen vom Wachpersonal nicht aus dem Gebäude zu verweisen.«

Ihm musste etwas einfallen, schnell. Er hatte nur diese eine Chance. Sonst nie wieder. Was sollte er sagen?

Seine Lippen setzte an etwas zu sagen, am Ende biss er darauf. Er wusste nicht, was er dem widersetzen konnte. Sein Vater hatte recht: Es war ein Skandal. Aber...

»Ihr höre!« Ohne darüber nachzudenken, sagte er das erstbeste, das ihm einfiel: »Sie ist meine Frau.«
 

Diesen Gesichtsausdruck hatte er in all den Jahren noch nie bei seinen Vater gesehen. Wenn er es nicht besser wüsste, war sein Vater zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos. Mehrfach setzte er an zu sprechen, hingegen wirkte es er, als hätte sein Gesicht Zuckungen.

»Frau?«, hauchte er und plumpste in den Sitz.

»Wann? Wie? Seit wann denn das?« Kritisch betrachtete sein Vater ihn und fixierte natürlich Leonardos Hände. Bevor sein Vater etwas erwiderte, kam sein Sohn ihm zuvor. »Ich trage keinen, weil wir es geheim halten.«

»Heiratsurkunde?«

»Verbrand.«

»Dann lass dir eine Kopie geben.«

»Wir wissen leider nicht mehr in welcher Kirche das war.«

»Leo, ich merke, wenn du lügst.«

»Ich lüge aber nicht.« Um seinen Worten Kraft zu geben, beugte sich Leonardo ebenfalls über den Schreibtisch und hielt dem Blick seines Vaters stand.

Im Grunde war es keine Lüge, er flunkerte nur etwas bei der Zeit, nichtsdestotrotz würde sie seine Frau werden.

»Ich greife ungern zu diesem Mittel, aber du lässt mir keine andere Wahl. Deine Mutter.«

Leonardo konzentrierte sich dabei weiter seinen Vater zu fixieren. Lediglich ein Zucken in seinen Finger genehmigte er sich bei der Drohung. Nein, er würde nicht klein bei geben. Seufzend ließ sein Vater die Schulter hängen.

»Wochenende, wir erwarten euch. Und jetzt geh, bevor ich es mir anders überlege.«
 

Nicht einmal hatte ich mich bewegt. Ich wagte es noch nicht einmal mit meinen Augen zu zwinkern. Aufmerksam hörte ich der Person vor mir zu, die eindeutig wie Leonardo aussah, allerdings waren die Worte, die seinen Mund verließen so gar nicht typisch für ihn.

»Hey, Rotfuchs, hörst du mir überhaupt zu?« Mehrmals blinzelte ich. Ich hatte mich verhört. Eindeutig verhört.

»Du wirst am Wochenende mit mir zu meinen Eltern fahren und dabei so tun, als wären wir verheiratet.«

Er wollte mich ärgern! Ärgern! Irgendwie bestrafen, dafür was ich getan hatte. Da ich das Zittern meiner Hände kaum noch verbergen konnte, presste ich sie hinter meinen Rücken. Emilia würde vor Freude sicher in die Hände klatschen. Das passte bestimmt hervorragend zu ihrem Plan. Wieso dachte ich jetzt an diesen blöden Plan? Oh mein Gott, was würde mein Bruder sagen?

»Du zitterst?« Verdattert glotzte ich ihn an. Wann hatte er nach meiner Hand gegriffen? Er legte meine zwischen seine Hände und ich könnte schwören, er wollte mich beruhigen.

»Du willst den Job doch behalten?«, flüsterte er, und irgendwie war ich enttäuscht. Eigentlich sollte ich glücklich darüber sein, dass er sich so für mich ins Zeug legte, für meinen Job. Doch irgendwie reichte mir das nicht. Ich entzog ihm meine Hand und sah ihn skeptisch an. Ich glaubte nicht daran. Bei meinem Glück ginge diese Schnapsidee niemals auf. Hatte ich jedoch eine Wahl?

»Einverstanden«, nuschelte ich. Ehe ich auch noch einen Ton von mir gab, durfte ich zeuge werden, wie er mir einen der schönsten Ringe an den Ringfinger steckte. Ein weißgoldener Rubinring mit Brillianten. Ich trug an meinem Finger ein Vermögen! Zusätzlich glaubte ich gleich, an meinem Finger ein unheimlich schweres Gewicht zu fühlen. Schluckend starrte ich auf dieses Teil.

»Mrs. Andrews?« Weiterhin starrte ich das Ding an, bis ich einen leichten Stoß gegen meine Stirn spürte. Verwundert schaute ich auf. Leonardo lächelte. Zuerst der Ring und nun auch dieses Lächeln; mein Herz flatterte wie ein kleiner Spatz.

»Gewöhne dich daran, dass du das ganze Wochenende mit Mrs. Andrews angesprochen wirst.« Ich nickte, zu mehr war ich nicht fähig.
 

Den ganzen Tag spürte ich dieses unheimlich schwere Gewicht an meinem Finger. Egal, was ich tat oder was ich machte, ich fühlte es. Außerdem sprach sich unsere angebliche geheim gehaltene Heirat so schnell rum, dass die ganze Bank es binnen Minuten wusste. Leute, die mich damals nicht einmal angesehen hatten, kamen nun auf mich zu und gratulierten. Frauen wollten meinen Ring sehen und schmeichelten mit irgendwelchen Komplimenten, denen ich kaum zu hörte.

Erstaunlicherweise trug Leonardo ebenfalls einen Ring an seinem Finger. Seiner war dezenter, lediglich mit Brillanten, aber er trug ihn. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, sah ich unsere Lüge.

Am Ende musste ich mit jemanden darüber reden. So wollte ich das nicht. So durfte es nicht gehen. Ich wollte keinen Job durch eine Lüge!

Also saß ich in meinem Lieblingscafe zusammen mit Emilia. Auch ihr fiel sofort der Ring an meinem Finger auf und die Worte sprudelten nur so über meine Lippen. Natürlich achtete ich darauf, dass niemand meine Worte hörte. Sicher war sicher.

Lächelnd saß Emilia vor mir, wo ich mich manches Mal fragte, ob sie noch zu hörte oder längst abgeschaltet hatte. Sobald mein letztes Wort ausgesprochen war, stellte sie ihre Tasse auf den Tisch ab. »Das ist noch weit aus besser, als mein Plan. Jetzt musst du noch nicht einmal mehr lügen.«

»Aber das tue ich doch. Wir. Ich... Ach, seit wann ist es so kompliziert geworden?«

»Es wird immer dann kompliziert, wenn Gefühle im Spiel sind«, kommentierte Emilia grinsend. Natürlich verstand ich ihre Anspielung, doch ich ignorierte sie.

»Amanda, mach dir keine Kopf. Alles wird gut.«

»Das sagt sich so leicht.«

Es war frustrierend. Genau das war es. Wenn es ein Wort dafür gab, dann hieß es ‚Chaos’.

»Fahr erst einmal das Wochenende da runter und warte ab, was passiert. Vielleicht - «

Ruckartig sprang ich auf. Diese Frau, die eben aus dem Laden lief, kannte ich doch. Das war...

Blitzschnell rannte ich ihr nach auf den Bürgersteig. Doch auf der 5th Avenue jemanden noch zu sehen, war unmöglich. Sie war irgendwie unter der Menschenmenge verschwunden.
 

»Amanda?«

»Das war sie. Das war dieses Miststück!« Mein Verstand begann zu rattern. »Oh Gott, wenn sie unser Gespräch gehört hat? Dann weiß sie, dass... Dass alles eine Lüge ist. Wegen ihr ist das doch alles passiert. Emilia, was soll ich tun?«

Es war einfach zu viel für mich. Viel zu viel, da liefen schon die ersten Tränen. Ob ich wollte oder nicht, sie liefe weiter und weiter. Wimmern versuchte ich verzweifelt sie zu unterdrücken.

Ich bemerkte gar nicht, dass Emilia bereits ihren Mann angerufen hatte, ich vermutete es, weil er Minuten später bei uns war und mich zu meiner Wohnung brachte.
 

Die Tage bis zum Wochenende vergingen wie im Fluge, während ich Panik hatte, dass dieses Miststück uns belauscht hatte.

Aber es passierte nichts.

Am Freitagmorgen begann Leonardo damit die Koffer zu packen. Ich ignorierte es, solange es ging. Allerdings ließ es sich nicht mehr ignorieren, als wir abseits von New York auf ein Grundstück eines Hauses fuhren.

»Denk daran, du bist meine Frau.« Ich nickte. Dann stiegen wir aus und liefen den Weg von der Garage zum Hauseingang. Ich musste noch nicht einmal klopfen, denn die Tür ging von alleine auf und eine ältere Frau lächelte mich an. Ehe ich sie begrüßen konnte, schlang sie die Arme um mich und drückte mich. Perplex ließ ich es einfach geschehen.

»Dass es doch noch ein Mädchen gibt, dass ihn heiratet.« Verlegend betrachtete ich den Boden. Bestimmt sah man in meinen Augen die große fette Lüge. Leonardo trug die Koffer in den Flur. Sobald er die Koffer abgestellt hatte, stürmte seine Mutter auf ihn. Wer hätte das gedacht, wie zahm er sein konnte, wenn seine Mutter in der Nähe war.

»Ich bin übrigens Edith. Meinen Mann – Arthur – kennen sie ja bereits.« Ich nickte erneut.

»Zimmer«, brummte Leonardo.

»Natürlich dein Zimmer.« Edith drehte sich zu mir um. »Da ihr schließlich verheiratet seit, könnt ihr euch auch ein Zimmer teilen.«

Diese Aussage beruhigte mich überhaupt nicht. Ich ahnte, was mich erwartete, und genau das sollte ich auch vorfinden: Nur ein – zwar breites – Bett. Ich sollte mit ihm in einem Bett schlagen.

»Tja, das sollte für euch ja kein Problem sein«, grinste Arthur. An seinen Augen sah ich, er glaubte dieser Geschichte sowenig wie ich.

»Überhaupt nicht«, erwiderte Leonardo und zog mich vor seinen Eltern an sich. Es war so etwas von peinlich. Stur blickte ich zu Boden.

»Na dann.« Das Lächeln blieb in Arthurs Gesicht, er glaubte seinem Sohn nicht, und ich glaubte ihm auch nicht. Der Klunker an meinem Finger füllte sich so schwer an, worauf ich meine Hand in die Hosentasche packte und erst tief durchatmete, nachdem wir in seinem Zimmer alleine waren.

»Und nun?«, flüsterte ich, für den Fall der Fälle, jemand von den beiden lauschte an der Tür. Leonardo ließ sich aufs Bett fallen. Ich wollte auf gar keinen Fall mit ihm ein Bett teilen. Eine Wohnung okay, da waren dicke Wände dazwischen. Bei einem Bett jedoch nicht. Da gab es lediglich eine hauchdünne Decke. Nicht gerade der Schutz, den ich mir vorstellte.

»Was denkst du denn?«

»Wir sollten einfach das Versteckspiel aufgeben. Ich meine, was ist schon dabei? Es ist nicht mein erster Job, den - «

Perplex lag ich auf dem Bett, während Leonardo über mir lag. Grimmig – nein, er war sauer. Zornige Augen stierten mich an. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Tief atmete er ein und aus, so intensiv, dass ich seinen Atem sogar hörte. Wieso war er dermaßen sauer? Ich sagte doch nicht Falsches.

»Rotfuchs«, presste er durch zusammengebissenen Zähnen hervor, »Wenn dir das Versteckspiel so zu wider ist, dann machen wir daraus ernst.«

Wie meinte er das nun wieder? Ehe ich antworten oder fragen konnte, erhob er sich, zog mich ebenfalls hoch und war mit mir auf dem Weg nach draußen. Neugierig sah Arthur uns nach, während Edith besorgt wirkte.

»Wir sind gleich wieder da«, murmelte Leonardo und war bereits aus der Haustür. Vermutlich hatte Edith lediglich die ersten Worte gehört, denn sie verfolgte uns, sah jedoch nur noch mich und ihn im Auto davonfahren.
 

Erst etliche Straßen später wagte ich es endlich, meine Stimme zu erheben. »Was hast du vor?«

Leonardo antwortete nicht. Indessen verließen wir den Vorort und entfernten uns immer weiter. Mindestens eine halbe Stunde waren wir schon unterwegs, dann bog er endlich eine Ausfahrt hinauf. Eine ziemlich lange Ausfahrt. Neben uns gab es nichts als Felder und Bäume. Es sah erschreckend ähnlich wie bei mir zu Hause aus, allerdings tröstete mich die Tatsache, dass wir dazu dann noch ein paar Kilometer weiter fahren müssten, als die wenigen.

Wir fuhren weiter die Auffahrt hinauf bis zu einem weißen Holzhaus. Eine Frau hockte vor ihrem Vorgarten und bearbeitete einige Blumen. Sobald sie uns hörte, richtete sie sich auf. Aus der Haustür kam ein Mann mittleren Alters und lächelte. Er eilte die Stufen hinab, direkt auf uns zu. Leonardo stoppte und schaltete den Motor aus. Ich blieb im Wagen sitzen und beobachtete von meinem Platz aus, wie er den Mann begrüßte, nachdem er ausgestiegen war. Die Frau lächelte zu mir rüber, ich drückte mich mehr in den Sitz. Mein Bauchgefühl sagte mir deutlich, es nehme kein gutes Ende für mich.

Leonardo unterhielt sich mit dem Mann, dessen Lächeln sich in Verwunderung wandelte und dann in ein breites Grinsen. Langsam – da es wohl länger dauerte – öffnete ich die Wagentür und trat hinaus ins Licht. Die Sonne fiel schlagartig auf mich und ich hatte das Gefühl, als fiele es mir von Minute zu Minute schwerer, mich aufrecht zu halten. Schluckend ging ich auf die beiden Männer zu. Die Frau hatte sich in der Zwischenzeit zu ihnen gesellt.

»Und?«, hakte Leonardo nach. Kritisch verzog der Mann sein Gesicht und untermalte sein grübelndes Gesicht, indem er sich mit der Hand am Kinn kratzte.

»Nur, wenn sie ebenfalls zustimmt.« Ich musste nicht erst zu fragen, um zu erfahren, dass die Person ich war, die sie meinten, denn drei Augenpaare waren Antwort genug, die auf mir lagen. Automatisch wich ich einige Schritte zurück.

»Sie wird.« Leonardos Ton war wie immer bestimmend. Nichts anderes, wenn es um mich ging. So langsam ging mir das echt auf die Nerven, immer bestimmte er, was ich zu tun oder zu sagen hatte. Trotzig verschränkte ich die Arme vor meiner Brust und wich dem Blick aus.

»Sieht nicht aus, als ob sie begeistert ist.« Grimmig betrachtete mich Leonardo, dann wandelte sich seine Miene erstaunlicherweise zu einem bettelnden Blick. Seine Augen wirkten traurig und bittend zugleich. Nun war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob meine trotzige Reaktion gerechtfertig sei. Zaghaft ließ ich die Arme nehmen mich fallen.

»Also, wenn ihr es immer noch in die Tat umsetzen wollt.« Der Mann und dessen Frau waren bereits einige Schritte gegangen. Leonardo reichte mir seine Hand. Zögernd kam ich dem nach und ergriff seine Hand. Wir folgten dem Paar hinter das Haus in eine Scheune. Im Augenwinkel beobachtete ich Leonardo. Sein Kiefer war angespannt, irgendwie zerbrach er sich über etwas gewaltig den Kopf. Die Frau hielt uns die Tür zur Scheune offen. Allerdings musste ich mich eines besseren belehren lassen, statt Tieren reihten sich Stuhlbänke, einer nach der anderen, auf und am Ende war ein Altar, sowie ein Kreuz aus Holz an der Wand. Das hier war eine kleine Kathedrale. Typisch für so kleine Dörfer, selbst in meinem gab es so eine Kleine. Langsam ratterte es in meinem Kopf. Schlagartig blieb ich stehen, das meinte er nicht ernst. Ich blickte zum Altar und dann zu Leonardo.

»Du wolltest kein Versteckspiel«, flüsterte er mir zu, als erklärte dieses sein Handeln. Leicht schüttelte ich meinen Kopf. Die Wahrheit zu sagen, wäre doch um einiges einfacher, aber nicht das hier.

»Ihr beiden?«, forderte der Mann uns auf, der inzwischen nicht mehr eine Jeans und sein Hemd trug, sondern ein Gewand darüber. Ich riss mich von Leonardos Hand los und ging mir mehrmals durch die Haare. Nein, das war nicht gut. Das...

Ehe ich klar denken konnte, schlang Leonardo die Arme um mich und drückte mich an sich. Das war nicht gut. Ich musste meinen Verstand wieder einschalten, und so gelang es mir bestimmt nicht, wenn er nett zu mir war.

»Wir schaffen das.« Seine Stimme war kaum hörbar an meinem Ohr. Zum ersten Mal glaubte ich so etwas wie Unsicherheit in ihm zu spüren. Er war sich selbst nicht sicher, ob er das wollte, ob es richtig war. Jederzeit hätte er es unterbinden können, dennoch tat er es nicht. Ich nickte zaghaft.

Dann traten wir vor dem Altar. Es waren die längsten fünfzehn Minuten, und gleichzeitig die Kürzesten in meinem Leben. Lächelnd stand die Frau des Pfarrers neben uns. Ich konnte es immer noch nicht fassen, was ich hier tat, was gerade passierte, und dennoch passierte es.

Ich hörte mich ein leises »Ja« nuscheln, nur noch wage nahm ich die Worte des Mannes auf. »...Damit erkläre ich sie zu Mann und Frau...« Eigentlich bekam ich so gut wie gar nichts mit. Ich erinnerte mich nur noch an den Kuss, der erst zaghaft war, dann dominanter wurde, bis schließlich besitz ergreifend. Ob das ein gutes Zeichen für mich war, anderseits fühlte es sich gut an. Tausende von Schmetterlingen waren in meinem Bauch und ein Kribbeln jagte durch meinen Körper, dass ich immer mehr wollte.

Ich spürte an seinen Lippen, dass er lächelte. Leonardo entfernte seine Lippen bloß so weit, dass er sprechen konnte. »Damit musst du nicht mehr lügen.«

Ich lächelte. Ein ehrliches Lächeln. Ich konnte und wollte gar nicht anders. Dann beugte er sich erneut zu mir runter, um mir einen weiteren Kuss zu geben und am Ende einen auf die Stirn.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/

Zaghafte Schritte eines Ehepaares

Wie Nebel legte sich ein Schleier vor meinen Erinnerungen. Irgendwie saß ich auf dem Beifahrersitz und blinzelte vorne aus der Fronscheibe. Ich sah die Felder an mir vorbeizischen. Was war passiert?

Nur sehr langsam kamen Fragmente der letzten Stunden zurück: Eine alte Scheune, eigentlich eine Kapelle, ein Ehepaar. Der Ehemann war Priester. Genau, ich hatte geheiratet!

Mein Blick fiel auf meine Hand, besser gesagt auf den Ring. Der Stift lag zitternd in der Hand, dennoch war meine Unterschrift nicht einmal zittrig. Damit hatte ich es besiegelt. Noch hätte ich es unterbinden, einen Rückzieher machen können, doch ohne darüber nachzudenken, besiegelte ich mein Schicksal. Von seinem Kuss blind gemacht für klares logisches Denken.

Meine Zunge leckte über die Lippen. Es war diese eine Sache, die meinen Verstand binnen von Sekunden ausknockte.
 

Vorsichtig wagte ich ihn im Augenwinkel zu beobachten. Sofort bemerkte ich den Ring an seinem Finger, der mich von zusätzlich daran erinnerte, wir waren verbunden auf ewig. Ich war nun eine Ehefrau. Ein sehr grotesker Gedanke.

Meine Finger spielten mit meinem Ring, der nun meinen Ringfinger zierte. So unvorstellbar es auch war, irgendwie gewöhnte ich mich an den zusätzlichen Ballast. Vermutlich, weil es nicht mehr eine Lüge war, es war jetzt eine Tatsache, eine Gewissheit. Unsere Unterschriften auf der Heiratsurkunde belegten es: Ich war nun seine Frau.

Obwohl sich ein Gefühl von Zufriedenheit ausbreitete, war ich gleichzeitig frustrierend, denn ich war mit jenem Mann verheiratet, welcher der größte Mistkerl auf Erden war, trotzdem gab es da diesen einen Teil in mir, der sich darüber unheimlich freute. Irgendwie schon seltsam?
 

Das Geräusch des Motors verstummte. Leonardo zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und wendete sich mir zu. Irritiert blinzelte ich mehrmals, bis ich ihn deutlich vor meinen Augen sah. Seine Lippen waren leicht zu einem scheuen Lächeln geformt, aber seine Augen waren genauso geistesabwesend wie meine. Ob er sich während der Fahrt ebenfalls den Kopf über sein Handeln zerbrach?
 

»Da seid ihr ja endlich!«, begrüßte Edith uns und hatte bereits die Tür vom Wagen aufgerissen. Leonardo drehte sich zu ihr um, statt zu antwortet, wartete er brav den weiteren Wortlaut seiner Mutter ab. Anscheinend sah er keinen Sinn darin, irgendwelche Widersprüche von sich zu geben.

»Wir haben uns Sorgen gemacht!« Sie stemmte die Händen in die Hüften und betrachtete ihren Sohn böse, hielt diesen Blick jedoch nicht lange durch. Seufzend ließ sie die Hände neben sich sinken und schüttelte leicht den Kopf. »Wenigstens seid ihr noch gekommen, bevor wir weg sind.« Leonardo öffnete seinen Mund, doch seine Mutter unterbrach ihn mit einem Handwink. »Dein Vater hat mich in die Oper eingeladen. Der Schlawiner dachte, wenn ihr kämt, müsste er nicht hin.« Ich sah über die Schulter von Leonardo hinweg zur Türschwelle. Fix biss ich mir auf die Lippen, um mein Grinsen zu verbergen, denn in der Türschwelle erblickte ich einen resignierten Arthur. Pik fein herausgeputzt, wirkte er wie ein geschlagener Hund.

»Wir sind gegen Mitternacht wieder da. Im Ofen steht noch der Braten. Ich muss mich jetzt erst einmal um deinen Vater kümmern.«

Leonardo nickte. Mittlerweile ahnte ich, wieso er schweigend alles schluckte. Im Grunde war Edith wie meine Mutter. Mehr oder weniger. Eigentlich waren alle Mütter irgendwie ähnlich. Egal, wie alt man war, man blieb einfach das Kind.

Edith warf den Schal über ihre Schulter, der schwungvoll durch die Luft flog, ehe er sich ruhig auf ihre Schulter legte, und pfiff ihren Mann zu sich, der brav schlürfend ihr folgte. Ein Hund, und ich musste fester zubeißen, um nicht zu lachen.

»Er mag die Oper nicht besonders?«, nuschelte ich, wobei selbst ein Blinder dieses gesehen hätte.

»Es ist für ihn der langweiligste Ort auf der Welt. Nach seinen Worten würde er sich lieber zwei Stunden lang eine Doku über Verpackungen anschauen als die Oper«, murmelte Leonardo. Ich beugte mich weiter vor, da ich von meinem Platz kaum etwas sah, weil ich es einfach bemerkenswert fand, wie ein Mann, der ein riesiges Unternehmen leitet, einfach so einfach bei seiner Frau klein bei gab. Automatisch wanderte mein Blick zu Leonardo.

»Wir sollten reingehen.« Stumm stimmte ich ihm mit einem Kopfnicken zu. Wir gingen den schmalen Weg, der Haus und Garage miteinander verbindet. Ich blickte noch einmal über die Schulter, sah den Wagen die Straße entlang fahren bis er in eine Nachbarstraße einbog. Dann betrat ich das Haus, schloss die Tür und blieb im Flur stehen. Es war nicht mein Haus, irgendwie fühlte ich mich immer noch völlig fehl am Platz.

»Hunger?« Leonardo war bereits in der Küche verschwunden. Zaghaft folgte ich ihm, durch das Wohnzimmer weiter in die Küche. Dort beugte sich Leonardo über den Ofen, zog den Braten heraus und stellte diesen auf die Theke ab. Kritisch betrachtete er das Teil, danach suchte er den Kühlschrank nach Beilagen ab.

Am Ende betrachtete er die Theke, die mittlerweile zwei Teller mit Belägen aufwies, eine kleine Schüssel mit Soße und Pudding als Nachtisch.

»Tja, zwar keine Torte, aber doch als Hochzeitsessen auch akzeptabel.« Mit dem Finger ging er in den Pudding und probierte. Ich spitzte die Lippen.

»Oder doch lieber etwas anderes?«

»Schon okay«, nuschelte ich. Leonardo schmunzelte. Eine Weile blieben wir einfach still stehen. Er vor der Theke, die Hände darauf stützend, ich in der Türschwelle, den Blick stur auf das Essen. Schließlich deutete er mir an, zu ihm zu kommen. Skeptisch sah ich mich um. Obwohl wir alleine waren, zwang mich etwas dazu. Jeden Moment erwartete ich seine Eltern zurück, gleichwohl wäre dieses nicht schlimm gewesen. Für sie waren wir schließlich verheiratet, dennoch fühlte ich mich wie ein Teenager, der zum ersten Mal etwas Verbotenes tat. Mein Herz flatterte wie ein kleiner Spatz im Käfig. Nur sehr zaghaft schlich ich zu ihm. Sobald ich in seiner Reichweite war, packte er mich und drückte mich sanft gegen die Theke. Eingekesselt in seinen Armen, blickte ich auf den Braten und spürte ihn dicht hinter mir. Spürte wie sich seine Brust hob und senkte. Sachte legte er sein Kinn auf meinen Kopf.

»Ich denke mal, die Hochzeitsnacht werden wir auf New York verschieben müssen.«

Mein Herzschlag setzte aus, dann pochte es schlagartig ungestüm. Erleichtert, in unserer Position nicht meinen entsetzten Gesichtsausdruck zu sehen, zwang ich mich mein Herz zu beruhigen. Daran hatte ich gar nicht gedacht!

Ich wusste doch, dass es da einen Haken an der Sache gab. Verdammt, wieso war ich nicht eher darauf gekommen? Wieso musste er mich daran erinnern? Ich saß so dermaßen in der Falle, wie eine Katze im Käfig.

»A-Aber...«, stotterte ich, prompt biss ich mir auf die Lippen. Er lachte. Vermutlich lächelte er schon die ganze Zeit. Natürlich wusste er, wie sehr mich diese Aussage aus der Fassung brachte.

»Dachtest du etwa, ich verzichte darauf.« So ein Mistkerl! Ohne darüber nachzudenken, stieß ich mit meinen Ellenbogen gegen seine Brust, hingegen blieb die gewünschte Reaktion aus, stattdessen lachte er nur lauter.

»Meine Ehefrau ist eine kleine Wildkatze.«

Ehefrau! Meine Lippen öffneten sich ihm zu widersprechen, aber er hatte Recht. So verdammt Recht! Mein inneres Gleichgewicht war völlig hin. Ich presste meine Lieder zusammen.

‚Ehefrau’! Er bezeichnete mich als seine ‚Ehefrau’. Es war etwas vollkommen anderes, wenn ich mich so bezeichnete, doch aus seinem Mund hörte es sich fremd an. Es bekam etwas Wirkliches. Es war wirklich!

»M-Mach dich nicht lustig über mich«, stammelte ich.

»Mach ich nicht.« Seine Stimme war ganz nah an meinem Ohr, dann begann er zusätzlich noch daran zu knabbern. Wehren, ich müsste mich wehren, aber irgendwie fühlte es sich gut an. Viel zu gut. Von meinem Magen ging ein kribbelndes Gefühl aus, von dem ich gar nicht genug bekam. Es war eine Weile her, als ich es das letzte Mal spürte. Leise schmatzte ich und erschrak augenblicklich über meine eigene Reaktion. Beschämt, über meine Naivität, drehte ich mich um und schaute ihn mit festem Blick an. Ich war wütend auf ihn, eigentlich auf mich. Über meine Reaktion.

Bevor ich den Mund öffnete, schluckte ich mehrmals und betete, meine Stimme versagte nicht mittendrin.

»Das funktioniert nicht!«

»Nicht?« Provozierend leckte er sich über die Lippen. Dieser Mann machte einen rasend. Meine Augen funkelten ihn böse an, aber jedes Wort wäre vergebene Mühe gewesen, deswegen drängte ich mich an ihm vorbei und flüchtete ins Wohnzimmer, während sein Lachen mir nach klang.

Blöder Idiot!

Ohne darüber nachzudenken, ich war eigentlich nur Gast, schmiss ich mich auf das Sofa und starrte auf den ausgeschalteten Fernseher. So eben erkannte ich meine Silhouette auf dem pechschwarzen Bildschirm.

Hinter mir raschelte es, vermutlich stand er in der Türschwelle. Jedoch verbot ich es mir, mich umzusehen. Das wollte er bloß.

Eine Weile passierte nichts. Selbst die Geräusche von draußen schien verstummt zu sein. Dann bewegte er sich, was ich an den leisen Schritten hörte, und hockte sich neben mir hin. Ich beachtete ihn immer noch nicht, gleichwohl sah ich sein Grinsen im Augenwinkel.

»Keinen Hunger?«

Stille.

»Was soll ich meiner Mom nur sagen, wenn wir ihr Essen nicht angerührt haben?«

»Dann sag ihr, du hast mir nichts angeboten«, gab ich kontra. Statt einer Antwort lag ein allwissender Blick in seinem Gesicht. Er nickte und stimmte sich innerlich zu etwas zu, von dem ich wusste, ich würde ihn deswegen schlagen. Und wie ich ihn dafür verprügeln würde. Ich feixte ihn mit meinen Augen an.

Minutenlang starrten wir uns an. Es war so gemein, egal, was ich tat oder sagte, es ließ ihn kalt. Einfach so pellte alles an ihm ab. Wie schaffte dieser Mann das nur?

Mein Blick wanderte zur Hand, wo der Beweis an mir haftete, wie verloren ich doch hatte. Nun hatte er mich im Grunde voll und ganz in seinen Händen. Meine Finger drehten den Ring. Dieses blöde Teil! Wer hätte je gedacht, wie sehr mein Leben aus den Fugen geraten könnte.

»Worüber denkst du nach?«

»Nichts«, antwortete ich geistesgegenwärtig. Leonardo stieß mit der Schulter gegen meine.

»Du spielst an deinem Ehering«, das Wort ließ mich unweigerlich zusammenzucken, »und sagst, es wäre nichts, während dein Blick ins Leere geht? Irgendwie glaube ich dir das nicht.«

Ich brummte. Was sollte ich auch sonst darauf antworten? Ich könnte die Wahrheit sagen, dass dieses ganze Hochzeitsding eine total beknackte Idee war und wir alles annullieren sollten.
 

»Bereust du es?« Nun war ich hell wach; woher wusste dieser Mann immer, was ich dachte? Verdutzt blinzelte ich ihn an. Das Grinsen war von seinen Lippen verschwunden und wich einer ernsten Miene. Geneigt mit einem vorschnellen ‚Ja’ zu antworten, sagte mir mein Bauchgefühl, dass diese Antwort den weiteren Verlauf bestimmten.

In meinem Kopf hatte ich so perfekte Sätze, sobald ich meinen Mund öffnete, glitten sie mir aus den Händen wie Wasser.

Es war Leonardo, der die Stille durchbrach. Seine Stimme klang hohl in meinen Ohren, unwirklich.

»Es tut mir leid.« Verblüfft setzte ich mich aufrecht hin, statt sich neben mir hinzusetzen, kniete er sich vor mir hin und ergriff mit beiden Händen meine Hand.

»Damals war ich ein wenig unfair zu dir. Die Spitznamen...«

»Du meinst Pumukel, rostiges Ding, rote Pest - «

Mit einer Handbewegung wischte er meine Worte weg, stimmte mir allerdings mit einem stummen Nicken zu und sah verlegend zu Boden. »Es war wohl nicht so nett.«

Zwar zuckte ich lediglich mit meinen Schultern, tat es als Lappalie ab, dagegen kochte ich innerlich geradezu. Leonardo schmunzelte. »Ich weiß, dass du gerade sauer bist.«

»Woher - «

Er legte mir einen Finger auf die Lippen und sprach in sanften Tönen weiter: »Mittlerweile kann ich sehr gut aus dir lesen. Wenn du richtig wütend bist, beginnen deine Augen zu funkeln.« Ich spitzte die Lippen. »Und du spitzt die Lippen, wenn man dich durchschaut.«

Ich presste meine Lippen zu einem dünnen Strich. Überraschender weise presste Leonardo ebenfalls die Lippen aufeinander. Seine Finger tippelten über meine Hand. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich behauptet, der Mann war zum ersten Mal nervös.

»Amanda...« Was war denn jetzt passiert? Kam jetzt das Geständnis, der Priester war gar nicht echt? Alles nur ein Spiel. Mal wieder...
 

»Zwar ist der Ablauf eigentlich ein anderer, aber. Amanda Andrews, mein kleiner Rotfuchs, willst du dein ganzes Leben mit einem Mann verbringen, der deine Nerven mehr als einmal strapazieren wird.«

War das sein Ernst?! Mir blieb die Luft weg, ich musste mich ermahnen, weiterhin zu atmen. Tief sog ich die Luft ein und pustete sie aus mir wieder aus.

»Du weißt, dass wir schon verheiratet sind.« Wunderbar, meine ersten Worte waren zugleich die dümmsten Worte. Er grinste frech. »Deswegen sagte ich auch ‚Andrews’ und nicht ‚Mendes’.«

Er küsste meine Hand, die er weiterhin zwischen seinen Händen hielt.

»Und? Wie lautet deine Antwort?«

»Habe ich eine Wahl?«

»Die hat man immer. Aber nach deiner Resination behaupte ich einmal dreist, du willst es mit mir aufnehmen.«

Plötzlich wusste ich, was ich wollte. Meine Zweifel waren wie weggeblasen. Auch wenn ich in meinem Leben so manches Mal nicht wusste, was ich wollte, in diesem Moment war ich mir mehr als Hundertprozent sicher. Nichtsdestotrotz wollte ich ihn auf die Folter spannen; gegen ein bisschen Quälen war nichts einzuwenden. Anscheinend hatte selbst ich eine sadistische Ader, außerdem wollte ich es ihm einmal heimzahlen. Ein klein wenig.

Ich seufzte. Leonardo hielt den Atem an. Noch nie hatte ich ihn derartig unsicher erlebt. In seinen Augen lag eine gewisse Angst vor meiner Antwort, also erlöste ich ihn von dieser mit einer einfachen Geste. Ich beugte mich vor und küsste ihn.
 

_____________________________________________________
 

Dieses Material wird von Jessica Monse urheberrechtlich geschützt. Jede Widerabschrift oder Vervielfältigung sind verboten und illegal.
 

© Jessica Monse 2010

http://www.jessicamonse.de/



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (47)
[1] [2] [3] [4] [5]
/ 5

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  capricious
2010-08-25T12:22:29+00:00 25.08.2010 14:22
Soooo heute Morgen angefangen und jetzt bis hierhin durch und fix und fertig!
Die Geschichte ist genauso wunderschön, wie schon der Vorgänger! Ich bin einfach vollends begeistert.
Bevor ich aber noch weiter Sülze hätte ich da ein paar Kritikpunkte anzumerken.
Also als aller Erstes wäre es total wichtig, dass du dir die Geschichte nochmal duchliest denn es verstecken sich zahlreiche Flüchtigkeitsfehler in der Rechtschreibung. Hast du sonst eventuell jemanden der für dich Beta liest? Sowas lohnt sich auch immer sehr, denn viele eigene Fehler überlist man einfach immer wieder ;)
Zudem schreibst du sehr oft "dar" anstatt von "da" und einige andere Wörter passen nicht immer. Ich erinnere mich da an "knisternde Zähne" und musste erstmal überlegen was das sein soll*g*
Zudem verwechselst du oft mir/mich, und sie/ihr. Diese Fehler sind total schade denn sie behindern den Lesefluss total. Oft musste ich unterbrechen und den Satz mehrmals lesen. Das ist schade denn deine Geschichte ist so schön. Da muss das ja einfach nicht sein. Es macht deine Phantasie und deinen schönen Schreibstil kaputt.
Zudem störte mich, dass du ab und zu sehr umgangssprachlich geschrieben hast. Dies aber nicht in allen Situationen machst, deswegen macht es meiner Meinung nach den Stil etwas kaputt, wenn du dann plötzlich so Wörter wie "raus" und Ähnliches benutzt. Ist natürlich nur mein eigener Eindruck aber ich denke du kannst gut damit umgehen, wenn ich dir das jetzt sage*g*

Jetzt nochmal zu deiner beeindruckend schönen Geschichte:
Ich habe ja zuerst nicht gedacht, dass mich eine Geschichte zu Leo fesseln könnte, denn ich fand ihn doch sehr unsympathisch im ersten Teil. Aber du hast mich eines besseren belehrt, denn die Story hat mich vom ersten bis zum letzten Wort gefesselt! Naja letztes Wort ist es ja Gott sei Dank noch nicht denn sonst würde ich jetzt vermutlich von Spannung sterben! Ich kann es gar nicht fassen, dass sie geheiratet haben und finde es einfach so eine geniale Wendung in deiner Geschichte.
Bitte schreib ganz schnell weiter!!!

Ich würde mich echt freuen wenn du mir Bescheid sagst wenn das nächste Kapitel online ist.
Lg susi
Von:  Essi
2010-06-20T12:13:51+00:00 20.06.2010 14:13
So, ich lasse jetzt auch mal einen Kommentar hier. Ich bin begeistert! Dein Schreibstil ist ausgezeichnet, mal ganz abgesehen von der Handlung :) Es ist herrlich, Leonardo mal unsicher zu sehen, das macht ihn gleich viel sympathischer :D Ich hoffe, dass es schnell weiter geht und dass vielleicht noch ein bisschen mehr Oliver drin vorkommt?
Liebe Grüße :)
Von:  Jacky280791
2010-06-13T10:23:16+00:00 13.06.2010 12:23
Arrr...oh Gott ich kann net mehr is das romantisch x3
Leonardo mal so...."schüchtern" zu erleben is wirklich eine Wonne xD
Und ihre Reaktion am Ende das Kappis..GOOOTTTTT war die Hammer xDDDDD

Ich kanns kaum mehr erwarten wie es weitergeht bitte lass und nicht mehr lange warten ja ;)

Ganz liebe Grüße deine Jacky^^
Von:  P-Chi
2010-06-13T09:57:59+00:00 13.06.2010 11:57
Hach :'D
Wie immer total schön geschrieben.
Und auch so romaaantisch. Ich finds gut, dass die selbst nach der Hochzeit eher auf Abstand gehen. Sehr realistisch, find ich. :D
Und Leonardo mal so nervös zu erleben, hat auch was ;D *hehe*
Uiuiii, ich freu mich schon darauf wie es weitergeht XD

glg Angels
Von:  il_gelato
2010-06-13T05:00:37+00:00 13.06.2010 07:00
AHHHHHHHH!!!!
So romantisch und süß und herzerweichend und wundervoll und amüsant und noch so vieles mehr!!!

Mehr, mehr, mehr, mehr davon!
Von:  Jacky280791
2010-05-21T10:24:56+00:00 21.05.2010 12:24
Ach du heilige Mutter Gottes die haben echt geheiratet ich brech zusammen xDDDD

Soooooo süß verdammt du weißt es wie man mich in den Wahnsinn treibt oder ich hab bis zum Ende angenommen das das garnichts passieren wird das sie nein sagen wird aber aaaaah xDDDD

Und ich geb Angels_Should_Die vollkommen recht das DING gehört in ne Schublade zu anderen unnützen DINGERN die aus PLASTIK bestehn ;)

Gaaanz liebe Grüße diene Jacky^^
Von:  P-Chi
2010-05-20T12:26:36+00:00 20.05.2010 14:26
WAAAAAAAH~~~~~ <3 <3 <3 <3 <3 <3
YAAAAY, das ist ja so SÜÜÜÜß!!! x3
Woah, was für Wendungen! O.O
Ich bin entzückt!! XD
Das ist so toll, Amanda und Leonardo endlich verheiratet...MUAHAHAHA XDD
Das ist zu cool um wahr zu sein! xD
Ich freu mich total darüber und hoffe, dass die beiden jetzt den Familienbesuch durchstehen können xD
Und diese fiese Zicke, alias das DING (XDD), bekommt ihr Fett hoffentlich auch noch ab. ò__ó
Wieder super geschrieben. :D
Habe lediglich einen Fehler gefunde: -> Ich sollte mit ihm in einem Bett schlagen. (*hust* schlafen, schätze ich mal xD)
Bin schon wahnsinnig gespannt auf das nächste Kapi!!

glg Angels
Von:  Sin
2010-05-06T18:27:44+00:00 06.05.2010 20:27
hahahaa welch feiner Auftritt :D
Sie hat es sicher schön gedreht, dass man die gefälschten Unterlagen auch noch als Originale ausgegeben hat. Hoffentlich bricht er der Lady beide Beine. Sehr süß dein Leo, glatt zum knutschen :*
Von:  P-Chi
2010-05-05T13:23:02+00:00 05.05.2010 15:23
Mom...Bruno hat dieselben Prozente wie Leo????!! xDD""" (*noiiiin* wie gemein! x'D)
Äh, naja, egal.
Wer zur Hölle war eigentlich dieses Weibsstück?! ò_ó
Boah, echt jetzt, der hätt ich in den Hintern getreten! Groar, da wird man ja richtig sauer! >.<
Arme Amanda D:>
Und jetzt hat Leonardo auch noch mit dem Alten was zu rupfen xD
Oh man, die tun mir leid. Und zu der ganzen Aufregung noch Leos Pläne... ;) *grins*
Na das kann ja was werden!
Bin schon sehr gespannt auf das nächste Kapitel!
Ps.: Du hast "Tost" statt "Toast" geschrieben.^^

glg Angels
Von:  Jacky280791
2010-05-05T13:01:18+00:00 05.05.2010 15:01
Oh Gott wie ich diese Ische haaasssse X_x
Kleines Miststück wischt sie unserem Rotschopf einfach eine aus soll Ihr Absatz doch abbrechen und Sie vom zehnten Stock ab runter bis ins EG kullern und sich mördermäßig die Fresse anditschen -.-,


Zurück