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The middle of nowhere

In the end, there's nothin' to worry bout, right?
von

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Die Ruhe vor dem Sturm

Ich schlug die Augen auf. Wiedereinmal ging mir durch den Kopf, was für ein Wunder es doch war. Das passierte mir oft. Anders als die Meisten, die ich beim Schlafen beobachtet hatte, brauchte ich nicht unendlich viel Zeit um wieder in Gang zu kommen, wenn ich erst aufgewacht war, meine Gedanken liefen sofort auf Hochtouren. Und das war schon merkwürdig, nicht wahr? Aber nicht weiter verwunderlich. Ich war eben anders. Ein häufiger erster Gedanke von mir war, dass mir diese Situation viel zu vertraut war. Sogar ziemlich regelmäßig. Und ich träumte, ich träumte sogar eine ganze Menge. Viel Blut und viel Feuer, viel Schatten... Das waren Träume, die ich niemals jemandem erzählen würde, das konnte ich gar nicht. Das alles war zu wirr, es waren so viele zusammenhangslose und chaotische Bilder, die ich niemals ich in die richtige Reihenfolge hätte bringen können. Es war schon gut so, dass ich schwieg. Dass ich immer schwieg. Ich dachte an DuCraine. Wie lange war ich jetzt hier...? Zu lange. Es würde mir wieder einfallen. Vielleicht konnte ich Sally fragen. Sie würde antworten ohne Gegenfragen zu stellen. War sie wohl schon immer so gewesen, oder erst seit sie von Doktor DuCraine kennen gelernt hatte? Ich wusste es nicht, ich hatte keine Ahnung von ihrer Vergangenheit, oder auch nur von seiner. Und trotzdem war ich jetzt hier. Und ich würde hier bleiben. Mein Leben würde kein Ende nehmen, es hatte einen Anfang, aber das Ende würde... würde blutig sein. Das wusste ich zwar noch nicht, aber ich würde es bald herausfinden. Die Chance einfach friedlich zu entschlafen, nachdem ich ein langes, erfülltes Leben geführt hatte war mir an dem Tag meiner Geburt genommen worden. Eigentlich schon davor. Nun, lang würde mein Leben jedenfalls voraussichtlich sein, und das war doch schonmal etwas. Das war logisch.

Ich setzte mich auf. Ich musste nach unten gehen, ich hatte lange geschlafen, das spürte ich. Ich musste die Treppe nach unten steigen, die ich noch oft nach unten steigen sollte. Eine schmale, und ziemlich unsichere Konstruktion, und ich hatte Glück, dass mein Gleichgewichtssinn in Ordnung war. Auf den ersten Blick hätte man meinen sollen, dass die DuCraines eine ziemlich arme Familie waren, aber der Doktor hatte mir verraten, dass das nicht so war. Er hatte vor einiger Zeit eine ganze Menge Geld von einem 'entfernten Verwandten' geerbt, ein kleines Vermögen, das jetzt sein Dasein gut verzinst auf einem einfachen Konto fristete. Er sparte, aber der Frage wofür er sparte, war DuCraine geschickt ausgewichen. Das hatte er mir noch am Tag meiner Adoption gesagt... alles war so schnell gegangen... Ich schnappte mir das Oberteil vom Vortag, zog es mir über den Kopf und kämpfte für einen Moment mit den Ärmeln. Ich brauchte etwas mit Knöpfen, irgendetwas. Bei Gelegenheit musste ich Sally darauf ansprechen. Es war zwar niemand da, der zugesehen hätte, aber es hatte etwas ungemein Erniedrigendes in seinem eigenen Pullover festzuhängen.

Als ich in die Küche kam und beinahe am Türrahmen hängen geblieben wäre- in diesem Haus schien alles auf eine spezielle Art klein zu sein, vielleicht auch nur zu vollgestellt-, blickte Sally automatisch auf und lächelte. Dann zuckte sie zusammen und sah wieder auf ihre Hände, nicht ohne dass ich gesehen hatte, wie sie das Gesicht verzog. Sie hatte sich in den Finger geschnitten. Ich blieb ein wenig unbehaglich stehen, glaubte aber nicht, dass sie bemerkt hatte, wie unwohl ich mich fühlte. Während DuCraine für dieses Haus geschaffen zu sein schien, das so zweckmäßig, unordentlich und verwinkelt war, blieb jeder bei Sallys Anblick ersteinmal überrascht stehen, und das hatte einen einfachen Grund. Sie war schön. Nicht auf eine kalte, unantastbare Art, wie beeindruckend viele von DuCraines Geschäftspartnern, die ich bis jetzt zu Gesicht bekommen hatte, aber sie schien dennoch eher auf das Titelblatt eines Magazins zu gehören, als in diese heruntergekommene Küche, und ich konnte nur raten, warum sie blieb. Sie strahlte selbst am frühen Morgen und in einer Kochschürze noch genügend Glamour aus, um den Raum ein wenig heller werden zu lassen.

Sie legte mit einer Hand, die überraschend wenig zitterte, das Messer weg, und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Schon wach?“ Sally machte sich überhaupt nicht die Mühe Überraschung zu heucheln. Für meine Begriffe hatte ich lange geschlafen. Dann zuckte sie die Schultern. „Umso besser, ich hätte dich so oder so gleich geweckt.“

Der Augenblick kam mir reichlich unwirklich vor, abgeschottet von der Welt, vielleicht weil draußen, hinter den Fenstern, noch eine blasse Dunkelheit herrschte. Nichts regte sich. „Möchtest du frühstücken?“ Diesmal schüttelte ich den Kopf, und obwohl sie sich abgewandt hatte und sich wieder ans Obst schneiden machte, fragte sie nicht weiter, denn sie kannte meine Antwort. Ich bemerkte durchaus ihre ständigen Bemühungen Konversation zu machen, aber ich konnte einfach nicht darauf reagieren. Wie auch. Was sollte ich schon reden, wenn es gar nichts zu sagen hatte?

Meine Situation war so unabänderbar wie merkwürdig. DuCraine hatte mich von der Straße geholt, und als sich herausstellte, dass niemand mich kannte, niemand mich vermisste, hatte er mich adoptiert. Die Wochen zwischen dem Aufsammeln und der Adoption verschwammen widerwillig und lückenhaft zu einem hässlichen Brocken Zeit, und was davor war... Meiner Meinung nach konnte ich genauso gut vom Himmel gefallen, wie aus der Hölle entsendet worden sein. Aber es verstand sich von selbst, dass sich damit niemand zufrieden gab- niemand außer mir. Und deshalb war ich jetzt Jess, Jess DuCraine genau genommen. Dieser Name war für mich so gut wie jeder andere. Wieder sah ich nach draußen und ging langsam zum Fenster. Stille. Monatelang. Drei Monate. Drei Monate und zwei Tage, jetzt wusste ich es wieder. Deshalb wurde es auch über den Hausdächern langsam hell. Es war der sechzehnte Februar, ein Montag, und ich würde wieder anfangen in die Schule zu gehen. Das hatte man entschieden, nachdem sie mir einen Test auf einem lachhaften Niveau vorgesetzt hatten. Und ich hatte nun die Hoffnung, dass Schule die Stille durchbrechen konnte, eine Stille die weder DuCraines offensichtliche innere Ruhe und seine äußere Nervosität, noch Sallys freundliches Wesen durchbrechen konnten. Vielleicht würde es funktionieren. Vielleicht.
 

Die Schule war eine einzige Enttäuschung. Es herrschte abwechselnd eine sehr viel schlimmere Stille als Daheim und ein entsetzlicher Lärm. Laute Stimmen, viele Wörte, viel Streit, und alles schrecklich sinnlos. Ich bekam nicht viel mit, schon gar nichts Interessantes, und wurde dafür größtenteils in Ruhe gelassen. Die ständigen verstohlenen Blicke störten mich nicht weiter. In diesem engen stickigen Raum saßen Menschen, mit denen zu reden die größte Zeitverschwendung meines Lebens gewesen wäre, und ich hatte bisher ein kurzes Leben und viel zu viel Zeit.

Als ich die Haustür öffnete und den Kopf einzog um damit nicht gegen den Türsturz zu laufen, ertappte ich mich bei dem Wunsch, der Doktor möge zu Hause sein. Sally war in Ordnung. Sally war sogar sehr in Ordnung. Nur kam mir Sally, mit ihrem hübschen herzförmigen Gesicht und ihren ein wenig verträumten Augen so unendlich unwissend vor, und Fragen hatte ich schließlich selbst genug. Jetzt wollte ich nur noch reden, und es gab eine einzige Person mit der zu reden sich lohnte. Das war DuCraine, trotz seiner leicht verschrobenen Art.

Die Stimmen die ich schon am Anfang der Straße gehört hatte wurden hier ungleich lauter. Ich hatte erwartet, dass sie aus einem der Nebengebäude kamen, aber ich hätte es besser wissen sollen. Mein Gehör trog mich nicht, nie. Ihr Ursprung lag mitten in unserem Wohnzimmer. (Wie schnell es einem doch schon so leicht fiel 'uns' zu denken!)- oder eher stand. Falls man diesen Raum überhaupt ein Wohnzimmer nennen konnte. Er war mehr ein Lager für sämtliche Bücher, Notizen und andere Papierberge, die man nicht mehr in den Schränken unterbringen konnte. Sie türmten sich überall: Auf dem Boden, auf Tischen und Stühlen, unter und auf sämtlichen Sitzgelegenheiten... Irgendwann sollte ich mich vielleicht daran machen all das Material durchzuarbeiten. Dadurch würde ich womöglich endlich einen Einblick in die Arbeit unseres Doktors bekommen; er hasste Fragen die seine 'Forschungen' betrafen, fast als wäre es ihm unangenehm.

Und jetzt stand eben dieser ausgeglichene Meister der Geheimniskrämerei knie- bis hüfthoch in den Früchten seiner misteriösen Arbeit und funkelte wütend einen Mann an, den ich - es überraschte mich nicht wirklich- nie zuvor gesehen hatte. Vielleicht war es auch nur ein Junge, schwer zu sagen. Er schien nicht bedeutend viel älter als ich zu sein, aber das änderte nichts an der Energie die er auszustrahlen schien. Anstatt wie gewohnt hinzugehen und mich vorstellen zu lassen, blieb ich wie angewachsen stehen, leider an einem Punkt, von dem aus ich keinen Blick mehr auf den Doktor erhaschen konnte. Der beinahe ein wenig mädchenhaft zierlich gebaute Besucher stand mit verschränkten Armen in der Zimmertür. Ich wartete ab. Die Welt hielt den Atem an.



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