Wettlauf gegen die Zeit - Kiras Sicht - Teil III
Schnaubend setzte sich Shinn neben Kira. Dann wurde seine Miene wieder ernst. „Die Schnittwunden an Athruns und deinen Armen... Wo habt ihr die her?“
Kira schmunzelte, als er an das verrückte Manöver seines besten Freundes dachte. „Das Fenster in der Tür, wo sie Nicol eingesperrt hatten. Athrun hat auf es geschossen.“
„W- was?“, stotterte der junge Pilot, „Ist er lebensmüde?“
Freedoms Pilot schüttelte seinen Kopf. „Ich glaube nicht. Aber hätte er es nicht getan, wäre Nicol jetzt wahrscheinlich tot. Ich weiß nicht, ob er es noch länger ausgehalten hätte...“
Shinn grinste frech. „Ihr seid verrückt, alle beide! Kein Wunder, dass ihr beste Freunde seid.“
In diesem Moment sah Kira in einiger Entfernung Leute auf sie zukommen. Als er genauer hinsah, erkannte er Mwu, Cagalli, Kisaka und die beiden gefälschten Soldaten. Er winkte ihnen zu. Sofort kamen Mwu und seine Schwester auf ihn zugerannt.
Orbs Repräsentantin musterte die vier völlig durchnässten Personen besorgt, während der Oberst sich seine Kommentar nicht mehr verkneifen konnte. Er warf Freedoms Pilot einen belustigten Blick zu. „Du scheinst das Wasser wirklich zu mögen. Jedes mal, wenn welches in der Nähe ist, kann ich dich völlig durchnässt abholen!“
„Mwu-san!“, beschwerte sich Kira, doch da hatte der Mann ihn auch schon am Arm gepackt. Skeptisch musterte er die Schnittwunden. „Wo hast du die her?“
„Frag lieber nicht...“, entgegnete Kira.
Shinn rettete die Situation. „In der Ruine ist noch einer der Männer. Als ich das Wasser abstellen wollte, ist er mir in die Quere gekommen. Ich habe ihn bewusstlos geschlagen und an einen Stuhl gefesselt.“
Mwu nickte. „Wir holen ihn, sobald die Verstärkung ankommt.“
Inzwischen hatte Kisaka mit dem Verhör der anderen beiden Männer begonnen. „Wer ist euer Auftraggeber?“, fragte er sachlich.
Kira stand auf und mischte sich ein. „Ich glaube nicht, dass sie reden. Sie hatten das Ganze wahrscheinlich schon lange geplant. Außerdem habe ich da so eine Vermutung, wer den Befehl hierzu gegeben haben könnte.“, dann wandte er sich an seine Schwester, „Cagalli, brich die Verhandlungen mit Skandinavien ab. Sie haben dich betrogen. Sie hatten nie vor, die Erdallianz zu verlassen.“
Die junge Frau starrte ihn geschockt an. „W- was? Das glaube ich nicht!“
„Solltest du aber.“, entgegnete Freedoms Pilot ruhig, „Was hätten sie sonst für einen Grund, Nicol zu entführen?“ Dann wandte er sich auch an die anderen. „Seid vorsichtig mit dem, was ihr von dem Rat hört oder ihnen sagt. Am besten, ihr gebt ihnen keine wichtigen Informationen. Sie könnten sie sonst gegen uns benutzen.“
„Was sagst du da, Kira?“ fragte Cagalli. Sie klang geschockt.
„Woher glaubst du, hatte die Erdallianz die Informationen über Nicols Aufenthaltsort? Von der Archangel kann es ihnen keiner gesagt haben. Das habe ich bereits überprüft, außerdem wissen sie nicht, wer er ist, also hätten sie auch keinen Grund.“
Eine Weile war es still. Orbs Repräsentantin nickte. „Da hast du wahrscheinlich Recht.“ Dann stockte die junge Frau. „Moment mal: Heißt das, du weißt inzwischen wer er ist?“
Kira schüttelte seinen Kopf. „Ich habe nicht weiter nachgefragt, deshalb...“
„Verstehe...“, murmelte Cagalli, „Sobald du etwas herausfinden kannst, lass es mich wissen.“
Freedoms Pilot senkte seinen Blick. „Ich werde diesbezüglich nicht recherchieren.“
Stille. Alle starrten ihn geschockt an. Cagalli, Mwu und Shinn hatten ihre Augen weit aufgerissen. Kisaka hatte es nicht so schwer erwischt. Er schaute nur etwas verdutzt. „Was hast du gerade gesagt?“, kam es ungläubig aus seinem Mund.
„Wir haben bereits alle Informationen, die wir benötigen.“, begann Kira zu erklären, „Der Rest hat Zeit. Außerdem werden keinerlei Recherchen notwendig sein, um das herauszufinden. Athrun, Dearka und Yzak wissen es. Das einzige, was wir tun müssen ist, zu warten, bis einer von ihnen es uns sagt.“
Der Mann starrte ihn ungläubig an, bevor er seufzte und nachgab.
Einer der beiden gefälschten Soldaten, der dünnere, lachte höhnisch. „Ihr seid vielleicht blöd! Lasst euch so eine perfekte Chance einfach entgehen.“
Im Augenwinkel sah Kira, wie Nicol zusammenzuckte. Er sah zuerst den Mann dann auch die anderen ängstlich an. Athrun warf einen besorgten Blick auf ihn, sagte etwas, was Kira aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Cagalli schaute auf Kiras Arme. Die Einschnitte der Scherben waren an der Kleidung fast nicht zu erkennen, aber das Blut hatte diese dunkelrot verfärbt. „Wie ist das passiert?“, fragte die junge Frau vorsichtig. „Und keine faulen Ausreden!“
Freedoms Pilot sah sie verwundert an, bevor er schwach lächelte. „Du willst es nicht wissen.“
„Will ich doch!“, motzte ihn seine ältere Zwillingsschwester an, bevor sie nach einem seiner Arm griff und vorsichtig den Ärmel seines Oberteils zurückschob. Zum Vorschein kamen mehrere tiefe und weniger tiefe Schnittwunden. Besorgt begutachtete Cagalli diese.
„Ich erklär es dir später, ok?“, versuchte Kira, etwas Zeit zu gewinnen. Irgendwie hatte er das Gefühl, er sollte es jetzt lieber nicht vor allen sagen.
Freedoms Pilot ging auf den dünneren der zwei gefangenen Männer zu und sah diesen gespielt siegessicher an. „Sie sind ziemlich unvorsichtig, hier einfach aufzutauchen, obwohl ich ihr Gesicht bereits gesehen habe.“
Der Mann starrte ihn verwirrt an. „Ich habe Sie noch nie gesehen. Wer sind Sie?“
„Sie haben ein sehr schlechtes Gedächtnis.“, entgegnete Kira kühl. Eigentlich war das nichts eine Art, aber so würde er vielleicht herausfinden, ob er mit seiner Vermutung über ihren Auftraggeber Recht hatte. Insgeheim wünschte er sich, es wäre nicht wahr.
Der gefälschte Soldat musterte ihn von oben bis unten. Dann riss er seine Augen erschrocken auf. „U- unmöglich! D- das kann nicht sein! Fr- Freedom?!“
Sein Kamerad gab einen überraschten Ton von sich.
Kira nickte. „Hat Halberton-san es Ihnen etwa nicht gesagt? Wer dafür verantwortlich ist, dass Nicol sicher in Orb ankommt?“
Der Mann schüttelte seinen Kopf. „Darüber wurden wir nicht informiert.“
Innerlich zuckte Kira bei diesen Worten zusammen. Er hatte Recht gehabt. Admiral Halberton steckte hinter der Sache. Kein anderer außer ihm und Marco hatte genug Informationen, um so etwas zu planen. Aber warum sollte der Mann so etwas tun? Kira verstand es nicht. Hatte Halberton nicht gesagt, er hege keinen Groll gegen die Coordinator? Warum gab er dann den Befehl, einen Achtzehnjährigen Jungen zu entführen und als Geisel zu benutzen. Den Aussagend er Männer zufolge hatte er nicht befohlen, Nicol ordentlich zu behandeln. Es schien eher so, als sei der körperliche und seelische Zustand des Jungen egal, solange er nur noch am Leben war. Das passte nicht zu Halberton, außer es hatte damit zu tun, wer Nicol war. Entweder das oder ein anderer gab die Befehle, aber so viel war sicher: Halberton gehörte zu den Entführern!
Kira ging ohne ein weiteres Wort zurück zu Athrun und setzte sich neben seinem besten Freund auf den Boden. „Wie geht es Nicol?“, fragte Freedoms Pilot vorsichtig.
„Er steht noch etwas unter Schock, aber er wird schon wieder.“, antwortete Athrun.
Kira atmete erleichtert aus. Nicol ging es den Umständen entsprechend gut.
„Danke...“, murmelte Athrun leise.
Verwundert sah Freedoms Pilot ihn an. „Athrun?“
„Dafür dass du gesagt hast, es sei nicht nötig, über Nicol zu recherchieren.“
Freedoms Pilot lächelte schwach. „Du sagtest es sei nicht nötig, deshalb...“
Athrun sah ihn dankbar an. Dann warf auch er einen Blick auf Kiras verletzte Arme. „Sorry deswegen.“
Freedoms Pilot winkte ab. „Ist schon ok. In ein paar Wochen sieht man nichts mehr davon.“
Zwei Hubschrauber landeten vor ihnen und einige Orb Soldaten stiegen aus, unter ihnen Murdock, Miriallia und Murrue.
Mwu rannte auf sie zu und wechselte kurz ein paar Worte mit ihnen. Danach machten er und zwei weitere sich auf den Weg in das halb verfallene Gebäude, wahrscheinlich um den dritten der Männer zu holen.
Miriallia verteilte Decken an die völlig durchnässten Leute. Shinn, Kira und Athrun warf sie diese einfach grinsend an den Kopf. Vor Nicol kniete sie sich hin, lächelte ihn freundlich an, bevor sie ihm die Decke vorsichtig um die Schulter legte.
Murdock war inzwischen auf Athrun zugelaufen und baute sich direkt vor ihm auf. „Ist es Zufall, dass du immer dabei bist, wenn wir Probleme haben oder in Schwierigkeiten stecken oder machst du das mit Absicht?“, fragte er gespielt streng.
Murrue lachte. „Es ist ja wohl kaum seine Schuld, dass sie den Jungen entführt haben, meinen sie nicht auch? Und was die Sache mit den Schwierigkeiten betrifft: Was hast du von Kiras bestem Freund erwartet? Dass er still in der Ecke sitzt und jeden Befehl einfach so ausführt?“
Jetzt schaute Murdock in Kiras Richtung. „Konntest du dir nicht einen pflegeleichteren besten Freund suchen?“
„Diesmal war ich es wirklich nicht!“, unterbrach Athrun den Mann.
Murdock lachte. „Aber die ganzen Male davor.“
Athrun stand auf, wickelte sich die Decke um die Schultern und wendete beleidigt seinen Kopf ab.
Murdock, immer noch lachend, ignorierte das und redete weiter mit Kira. „So und jetzt zu dir, Kleiner: Sagtest du nicht, der Junge sei Pflegeleicht?“
„Das habe ich nie gesagt!“, meinte Freedoms Pilot daraufhin leicht eingeschnappt.
Eine Weile sagte der Mann nichts mehr, dann sah er Nicol mit einem wissenden Gesichtsausdruck an. „Eigentlich hätte ich es mir denken können. Ein Freund von Elthman und dem ZAFT Jungen ist, kann er nicht pflegeleicht sein!“
„Der ZAFT Junge hat auch einen Namen.“, hörte Kira seinen besten Freund wütend sagen, als Mwu und die anderen Männer mit dem dritten der gefälschten Soldaten wieder aus dem Gebäude kamen und in ihre Richtung liefen. Sie brachten alle drei Männer in einen der Hubschrauber. Danach ging Mwu auf Kira, Athrun, Nicol und Murdock zu.
Vor dem Jungen mit den grünen Locken blieb er stehen. „Kira willst du uns nicht mal langsam aufklären, wer er ist. Das mit dem Kriegsgefangenen der Erdallianz kaufe ich dir nicht mehr ab! Wer ist er?“
Freedoms Pilot seufzte, bevor er laut und deutlich begann zu sprechen. „Er heißt Nicol, ist 18 Jahre alt und war der Pilot vom Blitz.“
