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failed.

Erfolglos glücklich.
von

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- Von der Zeit -

Vorgegebenes Thema: Ein Grund, nicht in die Vorlesung zu gehen
 

Von der Zeit
 

„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.“

(Albert Einstein)
 

…und der Gedanke hängt über mir, kalt und blass – Nebelfratze – frisst sich in den Luftzug vom Fensterspalt und zerstört die Illusion von Frische.

Bücherfratzen grienen von der Seite, fleckige Augenhöhlen starren von der Decke durch den Nebel. Und so staubig.

Ich schließe die Liderfenster und sperre blasse Nebelgedanken der Realität aus. Riechen kann ich sie noch, trocken, grau. Doch es flimmert bunt in mir, keine starrenden Flecken und vom Staub zerfressene Bücher bremsen mich hier aus.

Bunt, bunt und es ist egal.

Nicht mehr sehen müssen, was jeden Tag neu und ewig gleich vor mir steht, den Geruch ignorieren können – es stinkt nach stickigem Zwang - , doch hören kann ich’s noch.

Das Ticken.

Die Zeit zerfrisst die Stille, der Zeiger, sein unaufhaltsames Bild braucht keine Augen, um gesehen zu werden. Die Zeit, die Zeit und es ist egal. In mir steht es still.

Es flimmert bunt und bunt sind die Bilder, frisch und luftig, es duftet fliegend nach Freiheit. Und nein, da ist keine Zeit, keine Zeit unterbricht den Strom, kein Ticken ruft zur Eile. Keine Zeit und doch jede Sekunde der Welt.

Nichts, nichts und doch alles. Und alles ist egal.

Gedanken kommen und gehen, nehmen mich mit auf eine farbenfrohe Reise fernab. Weit weg von allem, was so egal ist, von schnellen Schritten, hastigen Sprüngen, voreiligem Hetzen – von Kopf und grau und E = mc² und kalt.

Hier tanz ich mit dem Licht durch die Wolken, beschreite leichtfüßig die Straßen des Windes und lache all den staubigen Schlössern ins alltägliche Angesicht.
 

Doch halt.

Das darf ich nicht. Darf nicht vergessen, was noch wartet, darf nicht einfach aussteigen und Grau grau sein lassen. Die Fensterlider sind wieder offen, der Blick wandert weiter, unaufhaltsam das Ticken. Die Schritte schon geplant. Es wird wohl immer so sein.

Nein, nein, stopp. Halt!

Das hättest du wohl gern, denk ich bei mir, streck der Pflicht die Zunge raus und verbanne den bösartigen Anblick der Fratze über mir. Wie Schwaden aus giftigem Rauch ziehen Klauen eines Gewissens ihre Kreise – eines Gewissens, ganz geprägt von der Hast, der Eile, der Angst vor dem Stehenbleiben. Der Angst vor der eigenen Farbe. Aber ich will nicht mehr grau sein!
 

Und wieder streck ich meine gedanklichen Fühler, entlaste sie von allem Alltagsballast. Ich kann das.

Wieder freie Weite, blau, so blau und keine Grenzen. Weit reichen meine Arme, die keine Arme mehr sind, weit geht mein Blick, der nie mehr sieht und nichts riech und hör ich. Nichts und alles und alles ist egal.

Wie könnte es je einen Grund geben, der mich von hier fort brächte?

Welche Pflicht kann so schwer lasten, dass sie die Macht hätte, mich zu zwingen?

Und doch. Und doch passiert es. Ich kann es nicht aufhalten, die giftigen Klauen haben sich in die Wolken eingenistet, ihre grauen Alltagsschwaden greifen nach meinen Füßen, die wieder Füße sind.

Der Wind und all seine freien Straßen blasen mir entgegen, nicht mehr mit mir, gegen mich. Und ich riech’s, ich rieche den Zwang, wer hätt’s gedacht?

Doch nicht mit mir, kein Grund wiegt schwer genug, um mich am Boden zu halten. Nichts, nichts, keine Welt, kein Mensch, kein Grau. Nur das Licht.

Ich strecke mich, ich löse mich, es hält mich niemals hier.

So grau ihr sein mögt, so böse es nach mir fasst, so hämisch es von der Seite feixen mag, so lastend all die graue Pflicht auf mir ruht. Ich geh mit dem Licht.

Schon vergessen?

Ich lache die Staubschlösser aus, lass meine Füße wieder weit sein, meinen Blick unendlich. Weit, so weit und keine Grenzen.

Denn warum?

Warum sollte ich gehen? Warum muss es immer müssen, warum darf es nie dürfen? Warum darf ich nicht bunt und frei und gegen das Grau sein?

Versteh mich nicht falsch, ich mag das schon. Irgendwo muss das Müssen wohl und das niemals Dürfen ein Teil von mir sein. Das ist wohl ganz normal, auch wenn normal so schrecklich blass ist.

Und die Nebelfratze hat Besitz ergriffen von der Frische, Gedanken dringen in mein schlösserfreies weites Nichts, in dem alles egal war, in dem Farben lachen und Freiheit klingt. Laut, es wird laut, die Hast hat ihren Weg gefunden.

Staub rieselt und dämpft das Licht.

Graue Gedanken erinnern an Pflicht.

Klauen packen nach dem Gewissen,

und nichts, das Nichts –
 

Ich will nicht.

Wieder sucht der Blick nach einem Halt, Liderfenster wiegen schwer, sehnen zurück sich nach gedankenfreier Weite. Denn Gedanken sind unaufhaltsam, stürzen nieder, drücken, erdrücken mich und jeden Atemzug machen sie grau.

Jetzt hab ich Angst.

Angst, dass es mich wieder ergreifen konnte, dass ihr wieder siegreich wart. Angst, die mich nur noch düstrer werden lässt, die jeden Lichtschimmer mit stickigem Staubdach überzieht.

Und das Ticken.

Die Zeit, die Zeit, sie bremst mich aus. Mahnt und schreit und drängt. Beeil dich, sagt sie, beeil dich, du kommst zu spät. Beeil dich, haste, renne, werd wieder zu dem, was du sein sollst. Denn das Müssen muss sein.

Sonst wirst du nichts, sonst bist du nichts, sonst wirst du niemals dies und das und überhaupt. Du musst lernen und wissen und ja nicht aus der Reihe tanzen, denn bunt ist eben nicht grau und grau ermöglicht dir Sicherheit.

Aber ich kann nicht.

Konnte nie, sollte immer und Dürfen durfte nie sein.

Aber ich bin es manchmal, heimlich bin ich bunt, heimlich lache ich und kotze all den grauen Staub eures Alltags vor die Türe meines weiten heimlichen Nichts.

Heimlich. Nichts so, wie es sein sollte.

Wieder sollte. Aber ein anderes Sollen, das nichts mit Müssen und Dürfen zu tun hat. Ein gerechtes Sollen, ein faires, das ich wie einen Virus in den Alltag tragen sollte. Und nicht tue.

Denn Zeit, die Zeit, sie scheint egal. Dort, nicht hier.

Lass mich bunt sein, lass mich grau sein, lass mich, lass mich –
 

- und das Nichts hält stand.

Ich löse mich auf in ihm, im Licht und steige einfach weiter hinauf, hinein, weg. Die grauen Gedankenklauen bauen ihre Staubschlösser in ihrem Kriegsgebiet, wähnen sich siegessicher und giftiges Grienen blinzelt zu mir herauf.

Aber ich bin weg.

Jetzt hab ich mich gelöst, das Gewissen kann mich mal und die graue Pflicht mag bis morgen warten. Bis ich bereit und gewillt bin, einmal mehr den grauen Deckmantel anzulegen und den kleinen normalen Teil nach außen zu kehren. Bis ich gewillt bin, einmal mehr blass zu sein, Wissen aufzusaugen, gelehrig zu nicken und Ja und Amen und Danke.
 

Und mein ach so gerechtes Sollen hat keine Chance im Hier, denn ich bin nicht so fair, wie ich glaube, hoffe zu sein. Hoffen nein, vielleicht, ich sollte, wollte, kann nicht und eigentlich ist es doch egal. Denn alles ist dort egal.

Eine Flucht, das mag es sein.

Eine Flucht, die eigentlich keinen Grund hat.

Ich fliehe, fliehe, laufe weg. Immer wieder, statt mich umzudrehen, Halt zu machen, standzuhalten. Ich kämpfe niemals, ich entziehe mich nur, dem Grau, der Hast. Der Welt.

Sie dreht sich zu schnell. Und dort ist kein Schnell, kein Langsam, keine Zeit.

Dort ist Zeit etwas, das nur im Hier existiert. Es ist nichts und alles und alles ist egal.

Weil ich nicht will.

Weil ich nicht kann.

Weil ich nicht müssen und sollen und niemals dürfen will.
 

Ich kann drauf verzichten, denk ich und bin doch dumm. Denn was tät ich, was wäre ich, was wär’ mein Nichts ohne euer alltägliches Hier? Wie könnte ich fliehen und kritisieren, meckern und doch niemals was ändern, wenn es das Grau gar nicht gäbe?

So greifen die Schwaden nach oben in mein Licht, giftige Klauen wie eh und je und doch –

was tun sie? Was können sie mir anhaben? Dort, nicht hier?

Und doch – ich hasse sie, grau, gleich, ewig gleich, Zeit, die Zeit und Hast und Angst und Qual. Doch kann ich nicht ohne sie sein, ohne euch, kann immer nur fliehen weiter hinauf, hinein, weg. Denn ohne euch gäb’s mich nicht.

So bleib ich also bunt, heimlich bunt, heimlich spei ich Grau in graue Staubschlösser und lache mit klingender Freiheit, tanze mit Lichtspielen durch nebelfreie Wolken und schreite Wege, die mir mein duftender Wind zu Füßen legt. Füße, die so weit, so weit sind, Arme, die keine Arme mehr sind.

Weit so weit und alles egal. Dort, nicht hier.
 

Das ist mein Grund.

Das Dort, das niemals hier ist. Das ist mein Warum. Das Warum, das mich manchmal, von Zeit zu Zeit, wenn ich das unaufhaltsame Ticken im grauen Lärm nicht mehr ertrage, festhält.

Ein schöner Grund ist das. Vielleicht ein ehrbarer, doch ich nehme ihm jede Ehre, wenn ich nur heimlich bunt bin. Wenn ich eure Staubschlösser, die auch meine sind, von oben herab, aus meinem weiten Nichts heraus, verlache.

Denn dort ist dort und niemals hier.

Und niemals wird bunt gleich grau sein, niemals wird bunt gleich sicher sein und niemals, niemals wird dort die Zeit vergehen.

Und so frag ich mich, ob es wohl sein kann.

Ob Müssen nur einmal Dürfen sein könnte, ob ein Sollen, die faire Variante, wohl auch euch manchmal quält. Ob mein Dort vielleicht gar nicht so heimlich ist, ob graue Gewissensmonster und kalte Nebelfratzen auch euer, unser Nichts vergiften und doch scheitern.

Weil wir alle ein Dort haben, das niemals hier sein wird und doch soll.

Weil wir alle so gerne heimlich bunt sind und unserem Warum die Ehre nehmen.

Weil wir die Zeit manchmal hassen.
 

Zeit, die Zeit, sie ist egal. Es gibt sie nicht, denn sie ist alles und alles ist egal.
 

Ende
 


 

Muffis Mom: "Den raff' ich nich'."



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