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Kaktus

von

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Man wird nass, wenn es regnet

Kaktus
 

Titel: Kaktus
 

Kapitel: 1/1
 

Autor: Asaliah
 

Email: Siberian173@yahoo.de
 

Genre: Shonen ai, Drama
 

_________________________________________________________________________
 

Er fühlte sich ausgeruht wie schon lange nicht mehr, als er sich unter der warmen Bettdecke streckte und den neuen Tag mit einem herzhaften Gähnen begrüßte.

Es fühlte sich eigenartig an ohne Sorgen oder, was er an dem Erwachen stets am meisten gefürchtet hatte, ohne diese Leere seine Augen zu öffnen. Im Moment fühlte er sich wohl, beinahe leicht und er räkelte sich in dem Bett.

Samstag. Es war ein Samstagmorgen und es handelte sich nicht nur einfach um einen beliebigen Wochentag, sondern auch um einen gefühlten Zustand. Samstage sollten sich leicht anfühlen. Sie waren der Beginn des Wochenendes. Der Beginn einer kurzen Zeitspanne, in der man einfach man selber sein konnte.

Samstag.

Draußen schien bereits die Sonne und das Blau des Himmels wurde nur von wenigen Wolken gebrochen.

Samstag.

Und er fühlte sich gut.

Es war beinahe perfekt. Aber etwas fehlte.

Kaffee!

Dieses Gefühl zu wahren war wichtig und Andreas war nicht willens, es durch kleine Schönheitsfehler einzubüßen.
 

Er schwang seine Beine aus dem Bett, streckte sich ausgiebig in seinem verwaschenen und zu großen T-Shirt und genoss die kühlen Fliesen unter seinen nackten Füßen. Heute wunderte er sich darüber, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der Fliesen die sich als Bodenbelag durch jedes Zimmer der Wohnung zogen, ein Grund gewesen war, sich lieber noch ein bisschen nach was anderem umzusehen.

„Du solltest dich wirklich von mir überreden lassen, Andreas.“, hörte er Matthias mit einer Stimme sagen, die verriet wie sehr er für diese Wohnung war.

„Sie sind weiß.“

„Ich habe blonde Haare. Und?“

Andreas stutzte.

„Was ist das denn bitte für ein Argument?“, fragte er missmutig und schüttelte den Kopf.

„Sie sind weiß.“, äffte Matthias ihn nach.

„Komm schon. Die Wohnung ist toll. Da sind zwei Parkplätze vor der Wohnung. Zwei. Für jeden einen. Wo findet man so was schon? Die Lage ist gut, die Zimmeraufteilung auch und es ist hier nicht zu groß und nicht zu klein. So ein Mittelding eben. Und du stellst dich wegen Fliesen an?“

Es war an Matthias den Kopf zu schütteln.

„Fliesen sind leicht sauber zu halten und so putzfreudig sind wir beide ja nun wirklich nicht. Eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein.“

Und mit dieser Prophezeiung sollte Matthias Recht behalten, wenn auch aus einem anderen Grund als den, den er genannt hatte.

Es war die angenehme Kühle, die Andreas gerade jetzt im Sommer sehr zu schätzen wusste.
 

Seine Schritte führten ihn in die Küche, in der er Kaffee aufsetzte und sich dann Richtung Badezimmer bewegte.

Es war an sich nicht notwendig einen Blick in den Spiegel zu riskieren, denn er kannte das Bild welches sich ihm dort bot bereits. Zerzauste Haare, die nach allen Seiten abstanden und ihr Möglichstes taten um so auszusehen, als wären sie Zeuge eines enormen Sturmes gewesen. Dunkle Augenringe, die nur noch einmal unterstrichen, dass der Körper viel zu wenig Schlaf abbekommen hatte. Müde Augen, glänzende Haut und ein zerknittertes T-Shirt.

Eigentlich mied er diesen Anblick, heute aber brauchte er genau dieses Bild des Elends.

Einen Augenblick noch betrachtete Andreas sein Spiegelbild, ehe er dafür sorgte, dass aus dem zotteligen Etwas ein Mensch wurde.

Ein Außenstehender würde glauben, Andreas wäre ein Gewohnheitsmensch und diese Bezeichnung war bisweilen durchaus zutreffend. Zumindest am Morgen brauchte er ein Aufwachritual. Kaffee war dabei der krönende Abschluss, dessen Duft inzwischen die ganze Wohnung zu füllen schien.

Voller Vorfreude atmete Andreas diesen wunderbaren Geruch ein und ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen, ehe er sich rasch abtrocknete und in eine Hose und ein Shirt schlüpfte.

„Ich werde wohl nie begreifen, warum du dich in unserer Wohnung anziehst.“

Matthias schüttelte den Kopf und schob sich an Andreas vorbei in die Dusche.

„Sind doch nur wir hier. Und es ist ja nicht so, als hätte ich dich noch nie nackt gesehen.“, ließ er Andreas wissen, als er grinsend aus der Dusche sah und ihm zuzwinkerte.

Andreas schob dieses Gespräch beiseite und verließ das Badezimmer.

So allein war er hier gar nicht. Und so unbeobachtet schon gar nicht.

Zum einen gab es da die Gräfin und die beiden Schildkröten, die nun aufgeregt in ihrem Aquarium herum schwammen und versuchten die Scheiben hinauf zu krabbeln, weil sie Andreass Schritte gespürt hatten.

„Raubtierfütterung.“, grinste Andreas und die Schildkröten sammelten sich an der Stelle, an der der junge Mann über das Aquarium gebeugt stand.

„Ihr dürft bald wieder in den Teich von Mama.“, erzählte er den beiden, die sich gar nicht um seine Worte kümmerten sondern sich über das Futter hermachten, während die Gräfin ihm um die Beine strich.

„Auch Hunger? Ihr wollt mir meinen Kaffee nicht gönnen, was?“, lächelte Andreas und hob die Katze auf seine Arme.

„Das magst du, mhm? Nur ja kein Schritt zuviel.“, murmelte er und kraulte sie im Nacken, wofür er mit einem zufriedenen Schnurren belohnt wurde.

„Wir haben heute viel zu tun, Gräfin. Und volles Haus. Frank kommt auch. Das freut dich, mhm? Dann kannst du den ganzen lieben langen Tag auf seinem Schoß liegen und ihn bezierzen.“

Er vergrub seine Nase in das dichte Fell der Katze, die es über sich ergehen ließ und weiter schnurrte, bis sie auf den Boden gesetzt und gefüttert wurde.
 

Die Kaffeemaschine gab gurgelnde Geräusche von sich und erinnerte Andreas lautstark an sein Kaffeeverlangen, welches nun umgehend gestillt werden musste.

Schwarz, heiß ungesüßt und stark genug, um Tote zu wecken.

Der perfekte Kaffee.

„Heute müssen wir stark sein.“

Wir bezog sich dabei mehr auf Andreas selbst.

Den Schildkröten war es ohnehin egal wer noch in der Wohnung war und die Gräfin würde den ganzen Tag von Frank verwöhnt werden, der eigens dafür dabei sein sollte.

Stark sein musste nur Andreas, der nun an seinem Kaffee nippte.

„Wir lassen es uns gleich noch einmal gut gehen, was Gräfin? Eine richtig schöne Kuschelrunde.“

Sein Blick glitt von der Katze die ungerührt ihr Futter vertilgt zur Wand.

„Heute machen wir aus unserer Wohnung wieder ein Heim. Wir trennen uns von unseren Geistern.“
 

Dieses Vorhaben war allerdings allein nicht zu bewältigen und bedurfte Verstärkung, die in Form von Frank dem Katzenbändiger, seiner Freundin Marion und Leon, der dafür sorgen sollte, dass auch wirklich etwas passierte.

Alle zaghaften Versuche es allein zu tun, waren kläglich gescheitert.

Am Anfang war es Trauer und Sehnsucht gewesen. Doch mit der Zeit wurde daraus Angst, Schuldgefühl und Einsamkeit. Heute sollte dies nun ein Ende haben.

„Steh da nicht so rum und glotz mich an wie die Kuh wenn es donnert. Schwing mal deinen Hintern und komm in die Gänge.“

Leon legte seine Stirn in Falten und bedachte Andreas mit einem missbilligenden Blick.

Und Andreas lächelte dankbar dafür, dass Leon nicht zuließ, dass er wieder rückfällig wurde und erneut kniff.

„Danke das du gekommen bist.“, lächelte er und die Schildkröten paddelten augenblicklich aufgeregt herum, als Leon an ihnen vorbei ging.

„Ich komme nicht wegen dir, sondern wegen der kostenlosen Mahlzeit.“

Leons Blick bleib bei den Schildkröten hängen, die ihr möglichstes taten, um den Eindruck eines baldigen Hungertodes zu vermitteln.

„Die gibt es doch, oder?“

Ohne ein Wort zu verlieren verschwand Andreas in der Küche und kam mit einem Teller Frikadellen zurück.

„Mit Käse.“, lockte er den anderen.

„Du bist ein Geschenk des Himmels.“, frohlockte Leon und tat so, als würde er sich gerührt eine Träne aus dem Augenwinkel wischen.

„Magst du mir helfen ein paar davon zu verdrücken?“, fragte er die Katze, die mit großen Augen zu ihm aufsah.

Andreas sagte dazu nichts. Auch nicht, als tatsächlich ein Stückchen Frikadelle in Gräfins Napf landete und Leon der Katze erzählte, dass die Frikadelle über alles gehen würde. Die Frikadelle war wichtig. Man aß sie nur mit Senf. Aber wenn kein Senf da war, hatte man sie nackt zu essen. Wichtig war nur die Frikadelle. Eine Lebensweisheit.

Leon war nicht sein bester Freund. Er war Matthias Freund. Immer gewesen. Andreas und Leon kamen miteinander zurecht, vermieden Worte wie Freundschaft aber so gut wie möglich, wenngleich diese Bezeichnung inzwischen durchaus zutreffend war.

Leon war schroff und behauptete, es läge an seiner Faulheit. Eine Argumentation der Andreas nicht zustimmen konnte, da gerade Faulheit ein Wort war, welches ihm nie im Zusammenhang mit Leon einfallen wollte. Er sei einfach zu faul, als das er sich die Mühe machen würde um die Wahrheit herumzureden. Außerdem sei Taktgefühl völlig überschätzt.

Und genau das war es, was Andreas jetzt brauchte.

Ehrlichkeit.

Eine klare Linie.

Eine weiche Wattewelt in der jeder um ihn herumtanzte als sei er ein rohes Ei, hatte er lange genug gehabt.

Heute brauchte er jemanden wie Leon.
 

Allerdings noch nicht jetzt.

„Ich bin im Schlafzimmer.“, entschuldigte Andreas sich und Leon winkte kurz ab, zu sehr darin vertieft die Frikadellen zu genießen und der Katze immer mal wieder ein kleines Stückchen zuzustecken.

Andreas Schritte führten ihn zurück in das Schlafzimmer, welches er heute Morgen wegen seiner Kaffeesucht verlassen hatte.

Die Sonne fiel in den eher kleinen Raum, den seine Mutter immer als Kinderzimmer bezeichnet hatte, weil er wohl auch ursprünglich dafür vorgesehen war. Matthias und Leon hatten ihn als Hobbyraum genutzt, was sich jedoch als Fehler erwies. Rumpelkammer war die treffendere Bezeichnung gewesen, da für Leons Bücher kein Platz mehr war und Matthias CDs und DVDs auch untergebracht werden sollten. Nach einem Jahr hatten sie schließlich aufgeben und die Zimmer getauscht. Das größere Schlafzimmer wurde zur Bibliothek umfunktioniert und Leon räumte eine Wand für Matthias Sammlung ein. Sie selber zogen in den kleineren Raum, der nun von dem großen, bequemen Bett dominiert wurde, das sie recht mittig an die Wand geschoben hatten.

Andreas sah auf den Berg von zerwühlten Kissen.

Matthias hatte Kissen geliebt. Es konnte nie genug Kissen geben und er hatte keinerlei Hemmungen gehabt, immer wieder mal ein neues mit nach Hause zu bringen.

Leon setzte sich auf das Bett und ließ das Zimmer auf sich wirken.

Das Zimmer wie es jetzt war, nicht wie es nach diesem Tag sein würde.

Erinnerungen gingen durch Andreas hindurch wie Regen auf ein Blätterdach. Er erinnerte sich an gute Dinge die in diesem Raum passiert waren und an ganz banale Dinge.

Er erinnerte sich an den Tag, an den er die Gräfin mitgebracht hatte und sie sowohl Matthias als auch ihm klargemacht hatte, wem dieses Bett wirklich gehörte, welches mit viel Fluchen in das Zimmer gewuchtet worden war.

Zärtlich strichen seine Finger über das kühle Laken.

„Wir sollten dieses Zimmer wirklich einweihen.“

„Ach komm schon, Matthias. Wir sind von einem Zimmer in das andere gezogen.“, stöhnte Andreas und vergrub seine Hände in dem Gesicht, während er vor dem Bett saß und sich dagegen lehnte.

„Und? Du bist verschwitzt. Ich bin verschwitzt. Und es bringt Unglück, wenn wir das Chi dieses Raumes nicht augenblicklich durch anstrengende, wenn auch erregende Körperaktivitäten testen.“, lachte Matthias.

„Ich glaube nicht, dass Chi wirklich so getestet wird.“

„Du weißt es aber nicht besser. Gut geraten ist halb gewusst und das bedeutet, dass in meiner Vermutung immerhin mehr Wissen liegt als in deiner Unkenntnis.“, triumphierte Matthias, der auf dem Bett lag und begann Andreas fortlaufend mit dem Fuß an der Schulter anzustoßen.

Sie hatten das Zimmer eingeweiht und sich dafür nur zur Sicherheit bis zur Abenddämmerung Zeit gelassen.

Und nun saß Andreas auf diesem Bett und sah wie das Sonnenlicht in den hellen, warmen Raum fiel.

Die Erinnerungen schmerzten nicht mehr. Sie verloren an Schärfe und bluteten nicht mehr. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ein kleiner Gedanke an Matthias dafür sorgte, dass Andreas sich vor Schmerz krümmte. Nun aber lächelte Andreas, als er an die Dinge dachte, die sich hier zugetragen hatten.

Er dachte daran, wie zärtlich Matthias und er zueinander sein konnten, dachte an die liebevollen Gesten, an Nächte, in denen sie nicht einfach Sex hatten, sondern wirklich Liebe machten. Und er dachte an Nächte, an denen sie genau das Gegenteil taten. Oder daran, wie sie sich gestritten hatten.

Sie beide hatten immer die Meinung vertreten, dass Streit dazu gehörte. Guter Streit, der die Luft reinigte.

Und sie hatten sehr guten Streit gehabt.

Er dachte daran, wie Matthias getobt hatte, als die Katze sich auf seiner Seite des Bettes übergeben hatte und sie es erst bemerkten, als es bereits Körperkontakt gab.

Er sah sich und Matthias in diesem Bett liegen. Matthias blätterte in irgendeiner Zeitung herum, er selber las ein Buch und Gräfin lag am Fußende, bis sie sich langweilte und das Zimmer verließ.
 

Andreas atmete ein und wieder aus. Die Erinnerungen fielen weiter wie Regen auf ihn hinab.

Ein und aus.

Du wirst nass, wenn du regnest. So ist es nun einmal.

Er sah sich wieder in dem Zimmer um und dachte an die Zukunft.

Hier könnten immer noch gute Dinge passieren.

Er hatte Freunde, Familie und lebte.

Die Vergangenheit war der Senf. Aber das Leben jetzt, war die Frikadelle. Die Frikadelle war wichtig.

Wichtiger als der Senf.

Und dennoch…

Andreas seufzte und fuhr sich durch seine dunklen Haare. Sich einzureden, dass das Hier und Jetzt wichtig war und es ihm nicht half in der Vergangenheit zu leben war die eine Sache. Die Umsetzung war etwas völlig anderes und er scheiterte immer wieder daran.

Genau aus diesem Grund war Leon hier, würde Frank mit Marion kommen.

„Ich war noch nie in eurem Schlafzimmer.“

Leons Stimme schreckte Andreas auf und er sah sich zu ihm um.

Der andere stand in der Tür, hielt in der linken Hand eine Frikadelle und kaute genüsslich das Stück, welches sich in seinem Mund befand.

„Zu wissen, dass Matze auf Kerle stand und seinen Typen zu kennen ist okay. Aber ich muss es nicht vorgeführt bekommen.“

Er hob die Schultern und betrat das Zimmer, ließ seine Blicke umherschweifen.

„Hätte nicht gedacht, dass ihr die Wand echt grün macht.“, meinte er dabei.

„War doch ein guter Mittelweg. Dein Vorschlag.“, lächelte Andreas.

„Ja, deshalb wundert es mich ja.“, grinste Leon.

Eine Weile schwiegen beide und Leon nutzte diese Gelegenheit und nährte sich langsam dem Bett, bis er sich neben Andreas setzte.

„Bequem ist es ja.“, meinte er, fügte dann aber sofort hinzu: „Details brauche ich aber nicht.“

Wieder ein Lächeln.

„Ich vermisse Matzes Pfannekuchen.“, sagte Leon unvermittelt, als sich erneut eine behagliche Stille zwischen ihnen ausbreiten wollte und Andreas seine Aufmerksamkeit gerade dem einfallenden Sonnenlicht widmen wollte.

„Ja, seine Pfannenkuchen waren klasse.“, stimmte er Leon zu und sah zu ihm.

Leon saß ganz in Gedanken versunken da und starrte vor sich hin.

„Mit Zimt und Äpfeln.“, seufzte er schließlich und Andreas lachte wieder.

Danke. Die Pfannenkuchen habe ich wirklich vergessen…

„Ich finde es gut, dass du hier bist. Danke.“

„Ach.“

Leon winkte ab.

„Entweder das hier oder ich schaue mir die Wiederholung irgendeiner Serie an. Du fütterst mich immerhin durch. Punkt für dich.“

Andreas sagte dazu nichts mehr.

Manchmal brauchte man keine Worte und Leon war nie der Typ für lange Dankesreden gewesen.
 

„Wie geht es dir?“

Marion und Frank waren noch keine zehn Minuten hier und Gräfin hatte sich den jungen Mann schon Untertan gemacht und ihn zum Schoß degradiert. Sie lag sichtlich zufrieden ausgestreckt auf ihn und zwang Frank in eine für ihn offenbar unbequeme Position, die er jedoch klaglos hinnahm und die Katze mit Streicheleinheiten verwöhnte. Leon leistete ihm dabei Gesellschaft, so dass Marion und Andreas allein in der Küche saßen.

„Ich weiß es nicht.“

Andreas hob seine Schultern und malte mit seinen Fingern Kreise auf den Küchentisch.

„Die ganze Zeit über schiebe ich diesen Moment vor mir her und auf einmal…“

Wieder hob er seine Schultern.

„Ich weiß ja, dass es richtig ist. Senf und so. Aber es fühlt sich trotzdem wie Verrat an.“

„Senf?“

Marion schüttelte den Kopf, als wolle sie die Worte die sie gerade gehört hatte verscheuchen um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„Verrat weil du lebst und er nicht?“

„Nein.“

Die Antwort war vor wenigen Monat ohne zu Zögern ein Ja gewesen. Beide wussten das. Und wenn Frank und Leon nicht so abgelenkt gewesen wären von der Katze und den Frikadellen, wüssten sie es auch.

„Nicht nur.“, räumte Andreas ein.

„Es fühlt sich einfach komisch an, dass auf einmal der Tag da ist, an dem ich hier allein wohne.“

Matthias Sachen waren alle noch da, lagen an den Stellen, an denen sie immer gelegen hatten. Als wäre er noch da. Seine Kleidung hing noch immer in dem gemeinsamen Schrank, sogar die Zeitschrift die er zuletzt gelesen hatte lag unangetastet auf seinem Nachttisch, dessen Schubladen Andreas nie geöffnet hatte.

„Ich denke immer noch, dass es besser wäre, wenn du in eine andere Wohnung ziehen würdest.“

„Weißt du… Ich war nie an seinem Grab. Also schon. Mal ein Strauß hinbringen und Unkraut zupfen. Sowas eben. Aber zum trauern war ich nie da. Ist mir zu unpersönlich. Erde, irgendwelche Blumen, der Friedhof an sich… Das ist alles so gar nicht Matthias. Diese Wohnung hier schon. Ich habe nie verstanden, wie man jemanden auf dem Friedhof nahe sein kann. Ich kann es nur hier.“

Die Schildkröten stürzten sich von ihrem Holzstück und paddelten hektisch im Wasser herum. Frank war offenbar auf den Weg zur Küche.

Marion lächelte. Ein warmes, ehrliches Lächeln, das viel Farbe hatte und Andreas dazu brachte ebenfalls ein bisschen zu lächeln.

„Genug geschwatzt? Können wir loslegen? Ich schlage ja gleich Wurzeln.“, drängelte Frank und stellte den leeren Teller auf die Spüle.

„Klar.“, nickte Andreas.

„Gut. Dann sag uns was wir machen.“, lächelte Marion.

Die Katze stolzierte in die Küche, strich einmal um Marions Beine und trollte sich dann zu ihrem Wasserschälchen. Unweit später betrat Frank die Küche.

„Also. Es ist jetzt gut ein Jahr her, seid Matthias gestorben ist. Ich vermisse ihn noch immer, aber…er wohnt nicht mehr hier. Ich möchte die Erinnerung an ihn nicht aussperren. Es wird nichts weggeworfen. Ich behalte jedes Foto, jeden Film. Aber persönliche Sachen, Klamotten…Sowas möchte ich wegpacken und in den Keller bringen.“, erklärte Andreas.

Frank nickte.

„Sag uns was wir tun sollen. Teilen wir uns auf?“, fragte Marion.

„Wir gehen gemeinsam durch die Zimmer.“, antwortete Andreas.

„Wo fangen wir an?“, wollte Leon wissen.

Andreas fühlte sich wie angekettet und glaubte, dass alle drei genau das bemerkten und ihn deswegen drängten.

Na los. Beweg dich.

„Im Schlafzimmer.“
 

Eine bunte Auswahl von Kisten füllte das Schlafzimmer und der Geruch von Karton stieg Andreas in die Nase.

Stille legte sich auf das Zimmer und Andreas fühlte, wie es ihm zunehmend schwerer fiel zu atmen.

„Hier drin ist es viel zu ernst.“

Mit entschlossenen Schritten geht Leon zu dem Fenster und öffnet es mit einer fast schon wütenden Bewegung. Es schwingt auf und eine kühle Brise bewegt die leichten Vorhänge und trägt die Geräusche von draußen herein. Vögel. Ein vorbei fahrendes Auto. Schritte. Und den Geruch des Sommers.

„Wartet.“

Leon verließ das Schlafzimmer und Marion hob fragend eine Braue. Andreas erwiderte ihren Blick und Frank fischte die Katze aus einem der Kartons. Leons Schritte wurden leiser. Andreas hörte wie er sich im Wohnzimmer bewegte. Die Lautstärke der Schritte nahm wieder zu und schließlich erschien Frank mit dem kleinen CD-Player, den Andreas aus nur einem Grund fast nie benutzte: Faulheit.

Er sah Leon dabei zu, wie er den CD-Player anschloss und eine CD einlegte. Kurz darauf wurde die Stille von einem eingängigen, vertrauten Rhythmus vertrieben, bis die Musik alles auszufüllen schien und Andreas dazu brachte mit dem Fuß den Takt zu tappen.

„Musik aus den 70ern bis 90ern. Gut für die Laune.“, grinste Leon triumphierend, wohl wissend, dass er es geschafft hatte einen Raum, der auf einmal dunkel und schattig wirkte, in ein warmes, helles und völlig normales Schlafzimmer zu verwandeln.

Lächelnd sah Andreas zu seinen Freunden, ehe er zu dem Schrank ging und ihn öffnete.
 

Der Sonnenschein, die Geräusche von draußen und die Musik hatten zumindest in dem Schlafzimmer geholfen.

Matthias Geruch schien überall zu sein. Als stünde der andere direkt hinter ihm, während Andreas ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Schrank nahm. Wie ein Geist.

Es war anders als Andreas erwartet hatte. Weniger bedrückend und schmerzhaft,. sondern vielmehr bereichernd. Zu jedem Kleidungsstück tauchte auf einmal eine längst vergessen geglaubte Erinnerung auf.

Er hatte sich dieses Hemd nur für eine Party gekauft, die sie dann doch nicht erlebt hatten, weil Andreas krank wurde. Als er versucht hatte diese Krawatte zu knoten, hatte Matthias einen Lachkrampf bekommen. Dieses Shirt hatte er zum ersten Date getragen und sich mit Ketchup beschmiert.

Sie schafften das Schlafzimmer und das Bad.

Alles landete in den Kisten und Frank und Leon brachten sie ohne zu murren in den Keller, wo sie Kartons Staub ansetzen würden.

Tut mir leid, Matthias.

Ein unsinniger Gedanke, wusste er doch genau, dass es Matthias nicht stören würde. Es hätte ihn auch nicht gestört, wenn er wirklich in diesem Zimmer gewesen wäre. Für ihn waren es immer nur Gegenstände gewesen, für Andreas hingegen, waren sie alles was er an Halt hatte, bis er sich langsam wieder ins Leben zurückkämpfte. Das hier, war dafür ein wichtiger Schritt.

Einer von vielen.

„Ich wusste gar nicht, dass du auf Wüste stehst.“

Frank unterbrach Andreas Überlegungen und lenkte dessen Aufmerksamkeit auf sich.

„Was?“

„Ich habe dich eher für den Typ Mensch gehalten, der an Meer fährt.“, meinte Frank und hob ein Bild hoch, auf dem eine schier endlose Landschaft aus Sand zu sehen ist.

Ein leuchtend blauer Himmel bildet einen Kontrast zu dem satten Braunton des Sandes und auch ohne zu wissen, dass diese unzähligen Dünen dem Betrachter die karge Schönheit einer Wüste zeigen, sieht man den strahlenden Sonnenschein, dessen Hitze die Luft flimmern lässt.

Gand am Rade des Bildes, sieht man einen einsamen Kaktus, der sich voller Stolz gegen die Hitze auflehnt.

„Es gehört Mathias.“

Andreas beißt sich auf die Unterlippe.

„Gehörte.“, korrigierte er sich selber.

„Es gehörte Matthias. Er stand irgendwie auf Kakteen, so lange sie nur auf Bildern zu sehen waren.“

Selbst nach dieser langen Zeit, fiel es Andreas noch immer schwer von Matthias in der Vergangenheit zu sprechen.

Kein Wunder. Hier ist alles so wie damals. Ich lebe mit einem Geist zusammen.

„Mhm.“, machte Frank und betrachtete das Bild noch einmal.

„Keller?“, erkundigte er sich schließlich.

Matthias mochte dieses Bild.

„Ich finde das ziemlich cool. Überleg mal. Da ist ja nichts.“

„Sand.“

„Ja, Sand. Davon dann in Massen. Und trotzdem sind Kakteen da und guck dir diesen Prachtkerl doch mal an.“

Diese Begeisterung für eine Pflanze die nicht gerade kleine Stacheln aufwies konnte Andreas nicht teilen, tat aber dennoch was Matthias sich wünschte und betrachtete das Bild.

„Ich finde 20 € für ein Foto von einer Pflanze dennoch ziemlich happig.“

„Ist aber trotzdem beeindruckend. Ich will gar nicht wissen wir das ist, unter solchen Bedingung zu leben.“

„Keller?“

Franks Stimme riss Andreas ein weiteres Mal aus seinen Gedanken auf und sein Blick war wieder auf den Beweis gerichtet, dass Matthias ein ziemlicher Dickkopf gewesen war, der seinen Willen sehr oft durchgesetzt hatte.

„Nein. Wohnzimmer.“

Ein Dickkopf, der Recht hatte.

Unter so erschwerten Bedingung aufrecht zu wachsen, zu gedeihen und nicht aufzugeben, erforderte einiges an Stärke.

Etwas, was gerade bei Andreas zu schwinden begann.

Die Vergangenheit wegzupacken, war wesentlich schmutziger und schlimmer, als er erwartet hatte.
 

Je mehr persönliche Habe von Matthias verschwand, desto schwerer fühlte Andreas sich.

Sich von den Dingen zu trennen, die jemanden gehörten, der hier einfach nicht mehr wohnte, sollte ihm mehr Freiheit schenken. Ein Stückchen mehr Normalität. Ein bisschen mehr Leben.

Es sollte ihm seine Schuldgefühle nehmen, weil er den Unfall überlebt hatte, während Matthias starb.

Doch das Gegenteil war der Fall.

Ihm war, als würde er Matthias etwas wegnehmen und ihn gleichzeitig fortjagen.

Wie eine Trennung.

Konnte er sich vorher dadurch ablenken, dass immer etwas von Matthias da war, so sah er nun dabei zu, wie immer mehr von diesem Schutz bröckelte. Sehnsucht und Schuld überrollten ihn mit immer stärker werdenden Wellen.

Das Badezimmer überstand er noch besser als erhoff, obwohl Matthias Geruch ihm auf einmal wieder in der Nase lag, dass Rauschen des Wassers, wenn er duschte und dabei völlig neben der Tonlage eines Songs sang ihm in den Ohren klang und er sich für einen Moment dem Traum hingab, die Arme des anderen wieder um sich spüren zu können.

Als es jedoch danach in das Wohnzimmer ging, geriet seine Selbstbeherrschung vollendens ins Schwanken.

Da stand er.

Der Computer.

Drink186Milk1710.

„Trink Milch?“

„Mache ich doch gern. Und irgendwie muss ich mir doch mal ein Passwort merken.“, lächelte Matthias und zog Andreas zu sich.

„Du hast ein Passwort für alles? Mails, Internetseiten und Dateien? Ist das nicht etwas…“

„Leichtsinnig?“, half der andere ihm auf die Sprünge.

„Ich wollte dumm sagen, aber leichtsinnig trifft es auch.“, grinste Andreas.

„Ach was. Dumm. Das ist schon durchdacht. Wer rechnet schon damit, dass es überall dasselbe Kennwort ist? Und wer kommt schon auf Drink Milk. Okay. Unsere Geburtsdaten sind leicht zu erraten, aber das war es auch schon.“

Einige Monate nach Matthias Beerdigung, wollte Andreas irgendetwas tun, um sich aus der Starre zu befreien, die ihn das Leben zunehmend schwerer machte. Sein Vorhaben war gewesen, sich an den Computer zu setzen um im Internet zu gucken, ob es noch andere gab, die bei einem Autounfall überlebt hatten, während der Partner verstarb. An sich war dies etwas, was er nicht mochte. Es war nicht seine Art mit Erlebten fertig zu werden und er hatte Angst davor gehabt, sich dann an Fremde zu klammern.

Doch sein Vorhaben war bereits gescheitert, nachdem sich der Computer hochgefahren hatte.

Der Desktop zeigte wogendes Gras und das Meer schimmerte zwischen den Dünen hindurch. Ein Urlaubsfoto von der Nordsee.

Und in der linken oberen Ecke war ganz unschuldig ein Ordner zu sehen, der mit Matze benannt war.

Andreas hatte ihn angeklickt, noch ehe er sich wirklich damit befasst hatte, dass er noch nie in Matthias Sachen rumgeschnüffelt hatte, ganz gleich ob sie sich anfassen ließen oder sich auf den PC befanden.

Er schaute sich ein paar gespeicherte Emails an, klickte sich durch ein paar Dateien und stieß dabei auf ein Verzeichnis, das Privat benannt war und die Eingabe eines Kennwortes einforderte.

Drink186Milk1710.

Seine Finger lagen bereits auf der Tastatur. Gerade wollte er das Passwort eintippen, als er innehielt und erstarrte.

Was wenn Privat auch wirklich privat bedeutet? Privat wie „Finger weg! Das geht dich nichts an!“?

Die Vorstellung war erschreckend gewesen. Unerwartet und gnadenlos. Andreas Fantasie schäumte über und ließ schockierende Bilder in seinem Kopf herumspucken.

Gab es jemand anderen? Irgendwelche Geheimnisse? Irgendwas Abartiges?

Und diese Überlegungen waren noch einmal weitaus schockierender, als der Fund auf der Festplatte.

[Wie kann ich nur so über meinen Matthias denken? Es ist doch Matthias. Mein Matthias.

Schuldgefühle schlichen sich ein und er fuhr den PC wieder herunter und verscuhte nicht mehr an das Passwort zu denken.

Doch ab und an tauchte es auf, lockte ihn und machte ihm gleichzeitig Angst.

So wie in diesem Augenblick.

Es war, als würde Matthias nur auf ihn warten.
 

Keiner rührte den Computer an.

Frank, Marion und Leon nicht, weil sie gar nichts von Privat wussten und Andreas nicht, weil er wusste, dass er dafür allein sein musste.

Allein.

So wie jetzt.

Die anderen waren weg. Leon hatte den kümmerlichen Rest der Frikadellen mitgenommen, nachdem er mit Frank das Kakteenbild im Wohnzimmer aufgehängt hatte. Marion und Frank waren noch eine Weile geblieben. Nicht nur um Andreas Gesellschaft zu leisten, sondern schlichtweg, weil die Katze ihr Recht einforderte, nachdem sie den ganzen Tag geduldig auf Franks Schoß gewartet hatte.

Nun aber war niemand mehr da.

Gräfin lag auf dem Sofa. Die Schildkröten dösten zufrieden auf ihrer Insel, da sich ja niemand bewegte und damit die Wahrscheinlichkeit noch mehr Futter zu bekommen eher gering war.

Andreas saß auf dem Computerstuhl und starrte auf den Monitor.

Des Passwortes wegen, hatte er sich ein Glas Milch eingeschenkt, welches nun neben der Tastatur stand und darauf wartete ihm helfen zu können. Flüssiger Mutmacher.

Andreas hebt das Glas an seine Lippen und nimmt einen Schluck.

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

Nur nicht zuviel auf einmal.

Drink186Milk1710.

Die Wohnung war fremd ohne Matthias Sachen.

Zum ersten Mal seid seinem Tod, war Andreas wirklich allein.

Aber einer seiner Geister war noch da.

Er setzte das Glas ab und starrte weiter auf den Monitor.

Er akzeptierte, dass Matthias ihm wohl immer fehlen würde. Vielleicht würde es weniger werden im Laufe der Zeit, aber das Gefühl unvollständig zu sein, würde nie ganz verschwinden. Und dieser Gedanke spendete Trost Es gab eine Möglichkeit dem damit verbundenen Schmerz zu entfliehen.

Matthias vergessen.

Aber das wollte Andreas nicht. Er war nicht bereit auch nur eine Sekunde seines Lebens auf Matthias zu verzichten.

Matthias Tod hatte Spuren in Andreas hinterlassen. Er war ernster geworden, älter.

Früher hatte er sich davor gefürchtet einen Unfall zu haben und dadurch vielleicht in seinem Leben eingeschränkt zu sein. Er hatte einen Unfall gehabt und er war bis heute eingeschränkt. Doch anders als damals, hatte er nun Angst, noch jemanden zu verlieren.

Vor dem Fahren hatte er sich nie gefürchtet. Matthias und er waren beide begeisterte Autofahrer gewesen und Andreas war danach oft lange herumgefahren, weil ihm so war, als wäre Matthias gar nicht fort.

Andreas war sich sicher, dass er die meiste Zeit seines Lebens glücklich sein würde. Er hatte gute Freunde, eine Familie.

Aber Matthias würde ihm immer fehlen.

Und nun waren seine Sachen aus der Wohnung verschwunden.

Bis auf zwei.

Das Bild und Drink186Milk1710.

Die Angst vor dem, was sich in Privat verbarg, rührte nicht allein von dem was er dort finden würde. Es war etwas ganz anderes.

Man liebte einen Menschen und lebte mit ihm zusammen. Jeden Tag lernte Andreas etwas Neues über Matthias. Jeden Tag. Jede Woche. Jeden Monat.

Mit dem Öffnen von Privat, war das Lernen endgültig vorüber, denn es würde das Letzte sein, was er jemals von Matthias erfahren würde.

Diese Endgültigkeit war es, die ihn erschreckte. Damals wie heute.

Vielleicht sollte ich noch warten. So…bis ich alt und faltig bin…

Wenn er es auf sich beruhen ließ, wenn er noch wartete, dann würde sich das Lernen noch etwas hinauszögern. Nur noch ein bisschen.

Andreas löste den Blick von dem Bildschirm und sah zu dem Bild mit dem einsamen Kaktus in dieser kargen, unwirklichen Landschaft.

Sei so wie er. Wenn du jetzt aufgibst, kommst du nicht mehr hoch.

Noch einmal holte Andreas tief Luft, gab das Passwort ein und erhielt zugriff.

Bei den Dateien die er fand, handelte es sich um Fotos und er zögerte ein weiteres Mal.

Was würden diese Bilder ihm zeigen?

Wollte er das wirklich wissen?

Er hatte Privat geöffnet. Mehr wollte er doch nicht. Nun konnte er die Fotos doch auch einfach so löschen.

Doch das tat er nicht sondern führte seinen Mauszeiger auf eines der Bilder und klickte es an.

Das Foto zeigte ihn, wie er schlief. Sein Haar war zerzaust und hing ihm wirr in das Gesicht.

Eine Welle der Erleichterung erfasste Andreas, gefolgt von neuerlichen Schuldgefühlen, weil er wirklich angenommen hatte, dass Matthias irgendetwas vor ihm verborgen hatte. Etwas Dunkles.

Das nächste Bild trieb ihm die Schamesröte ins Gesicht.

Matthias und er beim Sex.

Ein Amateurfoto und ein kleines bisschen unscharf. Es ist nicht künstlerisch oder anrüchig. Nichts dergleichen.

Matthias Augen sind geschlossen, sein Mund leicht geöffnet und Andreas sieht sich selber, wie er auf den anderen hinab sieht.

Erinnerungen werden wieder wach und er entsinnt sich daran, dass Matthias und er einmal eine Phase hatten, in der Sex der Gegenstand konzentrierte Faszination und gegenseitigen Erkundens war. Man probierte andere Dinge aus, experimentierte und verließ kurzweilig die vertrauten, behaglichen Wege um ein klein wenig den Bereich außerhalb des eigenen Behagens zu erkunden.

Matthias und er hatten während dieser Zeit Fotos von sich gemacht, während sie zusammen waren. Zuerst fanden sie es aufregend, dann aber ebbte das Interesse ab und es hörte schließlich ganz auf. Sie hatten es probiert, abgehakt und sich wieder anderen Dingen zugewandt.

Andreas klickte jedes Foto an, erinnerte sich an jeden einzelnen Moment.

Momente die niemals wiederkommen würden.

Er würde nie wieder so sein wie auf diesen Fotos, die Matthias und ihn nach einen Konzert zeigten, auf einer Party und mit Gräfin.

Das hier gehörte Matthias. Nur ihm.

Andreas Augen brannten und er wischte sich darüber.

„Trink Milch…“, flüsterte er und berührte mit den Fingerspitzen ein Foto von Matthias, auf dem er im Bett liegt und ihn schelmisch anfunkelt.

Andreas brauchte dieses Foto nicht.

Er hatte das Bild auch so vor Augen.

„Leb wohl…“

Andreas schloss den Ordner und sah zu dem Kakteenbild, auf dem sich der Kaktus stolz dem Himmel empor erhob.
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  HollyGolightly
2009-09-04T21:11:48+00:00 04.09.2009 23:11
einfach nur *seufz* bittersüß und total schön. und so eindringlich geschrieben, dass man andreas gedanken und gefühle genau nachvollziehen kann. die story läßt mich bestimmt noch eine ganze ecke nicht in ruhe und ich werde sie immer wieder lesen. einerseits würde ich nach einer fortsetzung lechzen, wie es mit andreas weitergeht, andererseits finde ich die story genau so vollkommen. es ist alles gesagt und genau so ist es perfekt.
kompliment und liebe grüsse
hollygolightly


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