„Es gibt da etwas, das Ihr über unseren Captain wissen solltet, Missy.“ Hector Barbossa beobachtete sie nun schon seit einigen Minunten, fand jedoch erst jetzt den Mut, sie anzusprechen. „Er ist ein großer Vogelliebhaber, doch es würde ihm nicht im Traum einfallen, ein solches Tier für sich zu behalten.“
Elizabeth Swann antwortete nicht. Stattdessen senkte sie den Kopf und starrte über die Reling, unter der sich die dunklen Wasser von Shipwreck Cove am Rumpf des Schiffes brachen. Oh ja, er hatte gesehen, wie sie Sparrow ansah, wenn sie sich selbst unbeobachtet glaubte. Ihr Blick gierte nach einem unbekannten Schatz, den nur er zu besitzen schien, und Barbossa sah es als seine Pflicht an, über seinen Schatten zu springen und sie zu warnen. Auch wenn er es sich selbst nicht eingestehen wollte: Er mochte sie. Sie war mutig und jederzeit bereit, das Notwendige zu tun. Wenn es jemals einen wahren König der Piraten gegeben hatte, so war sie es. Gerade deshalb musste er sie davor bewahren, dem verdrehten Geist eines Mannes zum Opfer fallen, den er zeitlebens verachtet hatte.
„Damals, als ich Jack Sparrows erster Maat war“, begann er, während er sich beiläufig neben sie an die Reling lehnte, „gingen wir einmal in einer kleinen Stadt vor Anker. Fragt mich nicht, wo genau dieses Nest lag, ich glaube, es könnte auf einer Insel irgendwo vor der afrikanischen Küste gewesen sein. Wollten eigentlich nur ein paar Vorräte besorgen, wenn ich mich richtig erinnere. Also gingen wir über diesen stinkenden Markt – nicht ein Stand hatte Äpfel zu verkaufen! Und da kam dieser abgerissene alte Kerl auf uns zu und hielt uns einen Vogelkäfig vors Gesicht. So weit ich das beurteilen, saß ein ziemlich hübscher Vogel drin – hübsch natürlich nur, sofern man sich für Vögel begeistern kann. Bunte Federn und so’n Zeug! Ich hab den Käfig weggeschoben, aber Jack – wisst Ihr, was Jack tat? Kaufte den Vogel, ohne auch nur darum zu feilschen. Ich fragte ihn: ‚Was willst du mit dem Vogel? Bisschen mager für ein Abendessen, wenn du mich fragst!’
‚Ich will ihn nicht’, antwortete er. ‚Er gehört mir schließlich nicht.’ Und öffnete den Käfig. Was für eine Verschwendung, natürlich typisch für unseren lieben Jack, doch der Vogel sah nicht unbedingt so aus, als wäre er besonders erpicht auf seine Freiheit. Also griff Jack in den Käfig, packte den kleinen Kerl und warf ihn in die Luft. Naja, da ist er natürlich weggeflogen. ‚Warum hast du das getan?’, fragte ich ihn. Und er antwortete: ‚Weißt du, das war verdammt noch mal der schönste Vogel, den ich jemals gesehen habe – und wäre es nicht eine Schande, so einen Vogel am Fliegen zu hindern?’“
Als er seine Erzählung beendet hatte, wurde es still zwischen ihnen. Die Dunkelheit der Nacht schien beinahe greifbar und Barbossa stellte verwundert fest, dass Elizabeth ihn nicht ein einziges Mal unterbrochen hatte. Erstaunlich! Er hatte erwartet, dass sie seiner unerwarteten Annäherung ein wenig mehr Widerstand entgegenbringen würde. Allein die Tatsache, dass sie nicht einmal vorgegeben hatte, nicht an Sparrow interessiert zu sein, erschien ihm vielsagend.
Als sie aufsah, zog sich das Mondlicht wie ein silberner Faden über ihr Gesicht und Barbossa fragte sich für einen Augenblick, ob sein Rivale diesmal nicht selbst an seine Grenzen stoßen würde.
„Aber ich habe Vögel gesehen, die bei ihren Besitzern bleiben – ohne Käfig!“, sagte Elizabeth, und er wusste, dass sie bereits verloren war.
„Aye, genau das habe ich Jack auch gesagt. Und wollt Ihr seine Antwort hören?“
Sie sah ihn erwartungsvoll an und er kam nicht umhin, Mitleid für sie zu empfinden.
„Sie würden wegfliegen – aber sie können es nicht, denn man hat ihnen die Flügel gestutzt.“
