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Kühe am Horizont

TomTom Go! OS
von

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TomTom GO!

Windräder, die sich nicht drehen, bringen Unglück, sagt man, genauso wie schwarze Katzen, zerbrochene Spiegel oder jemandem zu früh zum Geburtstag zu gratulieren.

„IIIIK!!“

Erschrocken zuck ich zusammen, werde jäh aus meinen Gedanken gerissen „MEIN GOTT, FLOH! Was ist denn nun wieder?“, müffel ich meine kleine Schwester an, woraufhin sie beleidigt die Arme vor der schmalen Hühnerbrust verschränkt und die Unterlippe extrem beleidigt hervor schiebt.

„Ist ja gut, musst doch nicht gleich beleidigt sein“ lenke ich ein. Als sie hartnäckig weiterschweigt, greife ich zu härteren Mitteln. „HUUUBSCHRAUBERLANDEPLATZ!!“ krakeel ich und näher meinen Finger, Brummlaute erzeugend, Flohs Schmollschippchen. Sie kann nicht anders, als zu lachen, damit bekomm ich sie immer. „Also was ist denn nun los?“ frag ich noch mal.

„Du hast da ein Monster an deinem Bein“, behauptet sie unverfroren.

„Ja, klar“ erwidere ich unbeeindruckt und wate weiter durch das schlickige Flussbett, während sich der Schlamm zwischen meinen Zehen hindurchquetscht. Glaubt sie ernsthaft, dass ich ihr so was abnehme? Warum erzählt sie nicht gleich, dass ein rosa Elefant vorbeifliegt.

„TomTom, wirklich da ist eins!“ Sie stampft empört mit dem Fuß auf, so dass das Wasser um sie herum aufspritzt und ihre Kleidung durchnässt. Angeekelt verzieht Floh das Gesicht „Ihhh“ schrillt sie, wie ein besonders nervtötender Jamba-Klingelton und wischt sich hektisch übers Gesicht. „Selbst schuld“ erwidere ich gnadenlos. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, so ist das nun mal, liebes Schwesterchen, denk ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Allerdings sehen ihre Augen zunehmend verdächtig feucht aus.

„TomTom, es frisst dich.“ Sie schnieft geräuschvoll. Die Kleine sollte wirklich Schauspielerin werden, ihr gebührt ein Oskar für diese Darbietung. Ich glaube zwar immer noch, dass sie mich veräppeln will, aber damit das Gör endlich Ruhe gibt, streck ich ihr mein Bein entgegen, um das Nichtvorhandensein des Monsters zu beweisen.

Und da pappt er, ein dicker fetter, schwarzer Fleischschlauch. Fast hätte ich aufgeschrieen, doch ich bleibe betont cool. „Oh Floh, das ist doch kein Monster, sondern nur ein harmloser Blutegel“, belehr ich sie und pflück das widerliche Teil von meiner Wade, um es meinem Schwesterchen zu präsentieren. „Guck, ganz harmlos.“

Sie beäugt den sich nun hilflos windenden Schmarotzer kritisch und rümpft ihre winzige Stupsnase. Kurz darauf schwirrt sie um mich und fiepst: „Blutekel! BLUUTEKEL!“

„Es heißt EGEL, Floh, nicht Ekel, es hat mit eklig rein gar nichts zu tun“, klugscheiße ich sie an. „Ekeeel, EEEKEL.“ Natürlich fährt meine unmögliche Schwester ungerührt mit ihrem Kriegstanz fort.

„Du bist echt ein hoffnungsloser Fall“, schüttel ich den Kopf. „Und jetzt komm raus da, du Minimonster, in dem Fluss schwimmen bestimmt noch mehr deiner Artgenossen.“

Floh oder Florentine, wie sie eigentlich heißt, ihren Spitznamen hat sie ihrer mickrigen Größe zu verdanken, kann manchmal wirklich ganz schön anstrengend sein. Ich bin froh, dass ich nur heute Morgen auf sie aufpassen muss. Ab Mittag übernimmt meine Mum sie wieder, ist ja schließlich auch ihr Balg, nicht meins.

Aber Tomas sie ist deine Schwester – Ja, ja, Mum, schon gut.

Die Stimme der Vernunft hat in meinem Gedächtnis das Organ meiner Mutter. Ich hasse es, sie ständig in meinem Kopf zu haben. Nicht, dass ich meine Mum nicht mögen würde, nein, sie ist schon echt okay, aber wer hat schon gerne eine Erziehungsberechtigten in seinen Gedanken rumschwirren? Ich jedenfalls nicht.

Schnell schnapp ich mir eins der mit Wasser gefüllten Einweckgläser aus dem Fahrradkorb, die wir mitgeschleift haben und schmeiß den Egel hinein. An unserer morgendlichen Flussaktion ist meine Tante schuld. Sie hat Floh ein Buch mit dem Titel „Entdecken und Verstehen: Erkunde die Natur mit Pit und Pat“ geschenkt. Pit und Pat sind eine knallbunt gesprenkelte, ziemlich faule Made und ein altkluger Tausendfüßler. Wer davon Pit und welcher Pat ist, konnte ich bislang nicht ergründen, aber Floh behauptet es „gaaaaanz genau“ zu wissen. Auf jeden Fall hat die fette Made, ich nehme jetzt einfach mal an, sie sei Pat – klingt irgendwie fetter –, keine Ahnung von nichts. Sie erinnert mich ein bisschen an Patrick aus Spongebob Schwammkopf, man könnte also auch mal die gewagte These aufstellen, sie sei einfach ein bisschen dumm. Pädagogisch korrekt, wie diese Vorschulbücher nun mal sind, kann man das natürlich nicht so lassen. Deshalb gibt es dann ja wohl Pit, der ihr alles erklärt. selbstverständlich dürfen die Kinder mitmachen.

Dem Buch beigelegt waren nämlich einige, für meine Schwester sicherlich hochwissenschaftlich wirkende, Gerätschaften mit denen man lustige und natürlich vor allem lehrreiche Versuche machen kann. Besonders fasziniert war sie von den bunten Lagmusstreifen, mit denen sich unter anderem der PH-Wert des Wassers in Tümpeln, Flüssen, Pfützen oder sonstigen Feuchtgebieten ermessen lässt. Dabei verfärbt er sich. ITS MAGIC! Ich glaub Floh hält sich für The next Uri Geller oder so ähnlich.

Na ja, ich werde ihr die Illusion nicht nehmen, Chemie lernt sie noch früh genug. Um aber diese ganzen tollen Experimente durchführen zu können, braucht man natürlich Material und das durfte ich, wer sonst, beschaffen gehen. Allerdings bin ich jetzt doch recht stolz, weil wir zu zweit eine beachtliche Menge an Getier und verschiedenen Wasserproben zusammengetragen haben. Jäger und Sammler halt – ich muss grinsen.

Floh kommt quietschend wie ein Gummiball auf Extasy aus dem Wasser gehopst und schüttelt sich wie der Pyrenäenhund meiner Oma, so dass ich auch ganz nass werde

„Pass doch auf, du Bauer“ motz ich sie sogleich an. Die Temperaturen liegen heute zwar über zwanzig grad, also ist es nicht sonderlich schlimm, aber trotzdem: Strafe muss sein! Also schnapp ich mir meine Schwester am Kragen und klemm sie mir unter den Arm. Natürlich fängt sie sofort an zu zappeln und ich muss aufpassen, dass mir nicht eine ihrer Blümchensandalen die Nase zermatscht.

„Lass mich runter, TomTom“ kreischt sie hysterisch. „Wenn du mich nicht sofort runterlässt, petz ich es Mama!“

„Das traust du dich nicht“, erwidere ich, stell Floh aber lieber wieder auf den Boden. Bei ihr weiß man nie.

Ohne weiter mit ihr zu diskutieren, platziere ich meinen Hintern auf dem Drahtesel „Du fährst voraus“, befehle ich und ausnahmsweise gehorcht das kleine Bist sogar mal. Stolz wie Oskar schwingt sich Floh auf ihr Tigerenten-Puppenfahrrad und düst mit wild schwingendem Fähnchen los. Sie kann nämlich seit einer Woche „OHNE! Stützräder!“ fahren. Und damit prahlt sie, wo auch immer es möglich ist. Floh ist nämlich die „allereinzigste“, die das in ihrer Kindergartengruppe schon kann. Tjaha, ist mein Schwesterchen nicht toll?! Ich verdrehe die Augen und fahr ihr hinterher.

Wir brauchen circa eine halbe Stunde bis zu unserer Ferienwohnung, die sich zentral zwischen Kuhfladen, Hühnerscheiße und dem Schweinestall befindet. Das ist hier Toplage, die Crème de la Crème des Bauernhofurlaubs sozusagen. Meine Eltern meinten, das sei genau das richtige für „unsere Familie“, besonders natürlich für Floh, die gerade ihre Das-Glück-der-Erde-findet-man-auf-dem-Rücken-der-Pferde-Phase durchmacht, ich nenn es auch gerne Pony-Kreisch-Mania. In ihrem Zimmer stapeln sich diese knallbunten Wendyhefte und überall hängen kitsch-kitschige Fohlenposter. Wie auch immer, ich sitz hier jetzt fast die kompletten Frühlingsferien in geruhsamer Landidylle fest.

Wir passieren die hauseigene Biogasanlage, bei der es immer ganz besonders lecker schnuppert. Zum Glück liegt sie etwas vom Bauernhof und somit auch unserer Bleibe ab.

Trotzdem, die Landschaft ist schön, das muss ich schon zugeben. Überall blüht irgendwelches Grünzeug und hätte ich Heuschnupfen, wäre ich schon längst verreckt. Allerdings gibt es auch mindestens genau so viele Mücken, wie Blütenpollen in der Luft. Zwar hat meine Mum dieses Teufelszeug, „Mügga“ aus Schweden importiert, dass so eine Art Hardcore-Autan ist, aber erstens riecht es echt widerlich und zweitens hält es eben auch nicht ewig, also sind wir alle ziemlich zerstochen. Besonders Floh hat überall blutige Striemen, weil sie es nicht lassen kann, an den roten Quaddeln zu kratzen.

„TomTom, kommst du noch mit zu den Kätzchen?“ Floh quietscht aufgeregt.

„Muss das sein?“, schnauze ich zurück. „Du kannst da doch auch alleine hin.“ Ich weiß natürlich, warum sie will, dass ich mitkomme. Die Hofkatze hat in einem Futterlager geworfen, das man nur über den Kuhstall erreicht. Floh hat Angst vor den Kühen und traut sich alleine nicht an ihnen vorbei.

„Bitte, bitte, bitte“, nervt sie rum

„Na, gut“, seufze ich, stell mein Fahrrad ab und lauf in die gewünschte Richtung. Sobald wir das dunkle Gebäude betreten, hab ich Floh an meinem Arm pappen. Sie blickt sich gehetzt um und zittert ein wenig. „Mensch, es sind doch nur Kühe, die tun dir nichts“, versuch ich sie etwas zu beruhigen. „Blöde Rindviecher“, grins ich sie an.

Mein sonst so freches Schwesterchen ist immer noch ein Häufchen Elend, also leg ich einen Zahn zu, damit wir schnell bei den Tierbabys ankommen. Schließlich stoße ich die schmutzige Tür zu dem kleinen Raum am Ende der Stallungen auf. Sofort ist Floh wie ausgewechselt.

„Kätzchen, Kätzchen, Kätzchen“ fiepst sie aufgeregt und pfeift dazu, wie es ihr die gemütliche Bäuerin gezeigt hat. Meine Schwester hat schlimme Stimmungschwankungen, wirklich. Inzwischen hat ihr Gesicht einen enttäuschten Ausdruck bekommen, weil sich die Tierbabys offenbar nicht zeigen wollen. Na ja, wäre ich eins, würde ich bei Flohs wildem Gekreische auch nicht rauskommen, macht einem ja Angst.

„Wenn du weiter so brüllst, kommen die nie raus“ erläutere ich.

„Kannst du es besser?!“, keift sie, deutlich in ihrer Tierfreundehre verletzt, zurück.

„Klar“, behaupte ich und knie mich auf den Boden, um einen der Strohhalme aus dem Futterhaufen zu ziehen. „Sieh zu und lerne“.

Die Katzen haben sich unter einer Palette mit Kisten verkrochen, also wedle ich mit meiner „Maus“ wild vor ihrem Versteck hin und her. Schon schnellt eine kleine Pfote unter dem Holzgestell hervor und patzt nach der Pseudo- Beute. Ich zieh das Spielzeug weiter weg und schleudere das Ding wieder wie irre über den Boden. Der Jäger ist zuerst etwas unschlüssig, springt jedoch nach einigem Zögern aus seinem Unterschlupf und krallt sich den Strohhalm. Verwundert glubscht mich die mickrige Raubkatze an, da ihr vermeintliches Mittagessen keins ist. Mit siegessicherem Grinsen dreh ich mich zu meiner Schwester um. Allerdings ist Floh nicht beeindruckt bis gekränkt, wie ich es mir erhofft hatte, sondern gluckst amüsiert. Neben ihr steht ein älteres Mädchen, das mich mindestens genauso belustigt mustert.

„Na, hast du den Tiger erfolgreich gebändigt?“, grinst sie mich rotzfrech an. Plötzlich fällt mir auf, wie unglaublich lächerlich ich aussehen muss. Den Oberkörpern nach vorne gebeugt und den Hintern steil in Richtung der zwei Mädchen gestreckt, knie ich auf der Erde. Schnell rappel ich mich auf, um mir den Staub von der Hose zu klopfen. Draußen tuckert ein Trecker vorbei, was mir ein wenig Zeit gibt, über eine genauso taffe Antwort nachzudenken.

„Ich bin in Übung“, erwidere ich und nicke in Flohs Richtung. Na toll, was Besseres fällt mir nicht ein? Ich bin enttäuscht von mir selbst und sie offenbar auch. Das fremde Mädchen mustert mich mit abschätzendem Blick. Ich seh schon ein bisschen komisch aus, zumindest für die meisten Leute, aber offenbar erachtet sie mich für würdig ihren Namen zu erfahren.

„Hi, ich bin Jule.“ Sie streckt mir ihre Hand entgegen.

„Tomas“, würge ich hervor, schüttle und halt sie vielleicht einen Moment zu lange fest. Ich hasse Jule vom ersten Moment an.

„Kommst du, Floh?“ Ich stapf demonstrativ in Richtung Tür. Nichts wie weg von hier, mein ganzer Körper schreit nach abhauen – pass auf Tom, die Frau ist gefährlich, die macht nur Ärger – und momentan höre ich nur zu gerne auf meinen Körper. Allerdings macht mir meine Schwester mit wasserfestem Permanentmarker einen dicken Strich durch die Rechnung.

„TomTom, ich will bleiben. Juli füttert jetzt die Katzen und sie hat gesagt, ich darf helfen.“ Dabei strahlt sie aus allen Knopflöchern.

„Kannst du dann nicht mit Jule zusammen zurückgehen?“, brummel ich ungehalten und werfe einen Blick in ihre Richtung, um abzuschätzen, ob sie dazu bereit ist.

„Nein, ich will, dass du bleibst“, beharrt Floh und krallt sich jetzt an meiner Hand fest. Ihre feuchtkalten Grabscher schließen sich um meine mindestens doppelt so große Pranke. Umständlich pul ich ihre Fingerchen wieder von meiner Hand ab, um sie frei bewegen zu können.

„Ist ja gut, aber nur kurz“, schnauz ich und flack mich auf einen der umliegenden Strohballen. Das pieksige Zeug sticht mir in den Hintern und andere empfindlichere Körperteile. Eigentlich möchte ich sofort wieder aufstehen, aber das sähe blöd aus, also leide ich lieber weiter.

Während die zwei Mädchen sich damit beschäftigen, das Buffet für die Stubentiger anzurichten, hab ich Möglichkeit Jule mal genauer in Augenschein zu nehmen. Da sie das bei mir vorhin auch gemacht hat, fühl ich mich nicht mal schlecht dabei. Eigentlich ist sie recht hübsch. Kurze schwarze Haare, die ihr vereinzelt ins Gesicht fliegen, eine freche Stupsnase und steile Augenbrauen, die dem Mädchen einen dauerhaft leicht sarkastischen Ausdruck sowie eine gewisse Entschlossenheit verleihen.

Plötzlich guckt sie mir direkt in die Augen, durchbohrt mich quasi mit ihrem Blick, doch ich grinse frech zurück, was sie definitiv wütend macht. Doch statt eines bissigen Kommentars, folgt nur ein, wie es schient, verschüchtertes zur Seite schauen. Ich bin verwundert, aber tolle Augen hat sie, das muss man ihr lassen. Das Grinsen in meiner Fresse wird breiter und ich versuche es runterzuschlucken, bevor mich jemand sieht und irgendetwas Falsches daraus deutet.

„Hältst du die Schüssel?“ Jule ist gar nicht mal so doof, sie hat offenbar schon kapiert, dass man meine Schwester ständig beschäftigen muss. Floh nimmt den flachen Napf entgegen und hält ihn beflissen fest, während ihre neue Freundin Milch und irgendetwas haferflockenartiges hineinfüllt.

„So jetzt kannst du es auf den Boden stellen.“ Sie lächelt meiner Schwester aufmunternd zu, diese beendet voller Begeisterung ihr Werk und hockt sich in unmittelbarer Nähe der Schüssel auf den Boden. Tatsächlich kommen die Kätzchen, sobald es was zu futtern gibt, aus ihren Löchern gekrochen, wie die Ratten – geiler Vergleich – und Floh kann die Viecher endlich streicheln.

Kurz darauf stehen wir wieder auf dem sonnigen Hof und ich kann Floh endlich, mitsamt den Wasserproben-Marmeladengläsern, meiner Mum übergeben, die mit ihr und ohne die Gläser zur Reitstunde geht. Zwar bin ich froh das kleine Biest endlich vom Hals zu haben, allerdings hab ich keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Eigentlich wollte mein Dad mit mir angeln gehen. aber dazu ist es zu spät, außerdem will er Flohs Premiere auf dem Pferderücken nicht verpassen. Also steh ich etwas unsortiert vor dem Schweinestall rum.

„Am Fluss gibt es ein Kanu, es gehört zum Bauernhof und ich wollte es mal ausprobieren, aber das geht nur zu zweit. Hast du Lust?“

Wie von der Tarantel gestochen, fahr ich herum und blicke in die Wow-Effekt Augen von eben. Vor mir steht Jule, leicht auf die Zehenspitzen gestellt und nach vorne gebeugt. Erwartungsvoll sieht sie mich an.

„J-ja“, stammel ich total perplex. Die hat ja Nerven, mich nach der Pöbelei von vorhin einfach so anzuquatschen. Aber gut, ich hab ja wirklich nichts zu tun.

„Gut! Hast du ein Fahrrad oder so was? Meins ist nämlich Schrott und zu Fuß brauchen wir ewig.“ Jetzt soll ich sie auch noch auf dem Rad mitnehmen? Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken, ihr Flohs Drahtesel anzudrehen, beschließe dann aber mal den Gentleman raushängen zu lassen.

„Mylady, es ist mir eine Ehre, sie auf meinem bescheidenen Gefährt mitnehmen zu dürfen“, höfel ich und verbeuge mich übertrieben.

„Soll ich auf deinen Rücken reiten oder was?“, macht sie meine Bemühungen nett zu sein, lachend zunichte.

„Nein, auf dem Rad, du Pfosten“, maul ich sie an. Irgendwann reicht es mir, also steig ich auf und warte ungeduldig, bis sie hinter mich auf den Gepäckträger gekrakselt ist. Sobald mein Mitfahrer meiner Meinung nach sicher genug sitzt, treppel ich los.

Erschrocken schlingt Jule ihre Arme um meinen Hals und drückt ihren Oberkörper an mich. Ich spüre, wie ihr Herz ob dem Schock schnell und kräftig schlägt und höre wie sie erschrocken die Luft einzieht. Wieder muss ich grinsen, irgendwie gefällt mir das, ich verlangsame mein Tempo nicht, frag aber vorsichtshalber mal nach, ob alles in Ordnung ist.

„Ja, alles okay“, flunkert sie. Klar, dass sie keine Schwäche zeigen will, das passt zu ihr.

„Wirklich?“, frag ich noch mal.

„Wirklich!“, antwortet sie und ich spüre, wie sie ihren Kopf auf meine Schulter legt. Es scheint ihr tatsächlich gut zu gehen, zu gut. Irgendwie bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ihr Herz wirklich wegen meines rasanten Starts so schnell schlägt und ob sie sich um Halt zu finden an mich klammert.

Wir fahren an gelben Rapsfeldern vorbei und ich frag mich wie immer, ob die Blumen jetzt gut riechen oder nach Hundescheiße stinken. Irgendwie ist es so ein Zwischending.

„Sag mal, magst du mich?“ Zack, ich spüre einen Ellenbogen, der sich schmerzhaft in meine Rippen bohrt

„Aua, man verdammt, was soll die Scheiße?!“, brülle ich und bremse ab. Allerdings bekomm ich statt einer Antwort gleich noch einen Schlag versetzt.

„Fahr weiter“, knurrt es vom Gepäckträger. Meine Güte, man wird ja wohl mal fragen dürfen, so wie sie sich grad an mich geknautscht hat. Allerdings tue ich, um weitere Schmerzen zu vermeiden, erstmal wie geheißen und schweige bis wir das Flussufer erreichen. Dort warte ich bis das Gewicht auf dem hinteren Fahrradteil verschwindet, um mich dann selbst vom Drahtesel zu schwingen und ihn achtlos in die Büsche zu schmeißen.

„Wo ist denn nun das Boot?“ Mein Blick schweift suchend über die Uferböschung, kann aber nichts entdecken.

„Da hinten.“ Jule zeigt in irgendeine unbestimmte Richtung.

„Du hast keine Ahnung, oder?“ Ich grins sie blöde an, dreh mich um und fange an zu suchen. Fünf Minuten später hab ich das Kanu gefunden. Es liegt umgedreht unter einem Wacholderbusch und gammelt vor sich hin. Als ich es auf die richtige Seite rolle, entkriecht dem Rumpf allerlei Getier und meiner Kehle ein schriller Schrei.

„Was ist los? Hast du eine Leiche entdeckt?“ Jules Gesicht erscheint zwischen dem Blattwerk.

Ich brummel etwas von wegen Boot, auf Fuß gefallen, man darf ja wohl mal und trete ungehalten gegen die blau gestrichenen Planken, von denen die Farbe schon abblättert. Dank meines dezenten Klopfens, kriecht nun eine ganze Armee an glibberigen Weichtieren, Insekten und sonstigem Krabbelkram in meine Richtung. Panisch mache ich einen Hechtsprung nach hinten und behalte die kleinen Monster weiterhin im Blick.

Ein Paar grüner Augen mustert mich belustigt. „Hast du etwa Angst vor denen?“ Ich sehe, dass sie mit sich kämpft, um nicht lauthals loszuprusten.

„Hmpf, was? Ich? NEIN! Wie kommst du denn darauf?“ Ich strecke mich und platziere eine Überdosis Luft in meinem Brustkorb, um möglichst stark und männlich auszusehen und mache wieder einen Schritt auf das Boot zu.

Oh mein Gott, TomTom da krabbelt was an deinem Knöchel hoch!! Nerven an Hirn, Nerven an Hirn! Hirn an Muskeln. TomTom, renn weg! Danger! Ich wiederhole: RENN WEG! SOFORT! Herz alias Zentrum für Peinlichkeiten, an Muskeln NEIN! Stehen bleiben, diese Schmach wird er nicht überleben! Befehl zurück, nicht bewegen! Fazit: TomTom verwirrt.

Unter Hochspannung bleib ich stehen, stiere überall hin, nur nicht auf den Boden. Wenn ich euch nicht sehe, seht ihr mich auch nicht.

„Sicher?“ Jule taucht, mit einem süffisanten lächeln auf den Lippen, vor mir auf. Ihrer Visage folgt eine Hand, in der sie einen fetten, sich windenden, mit den Beinchen zappelnden Tausendfüßler hält.

Das ist zu viel!! Meine Stimmbänder erzeugen einen nichtmenschlichen Klang, der sicher sämtliche Gläser zum Platzen gebracht hätte, wären denn welche anwesend gewesen. Kurz darauf rast Adrenalin durch meine Venen und ich Richtung Straße. Weg! Bloß weg von diesem schrecklichen Ort.

Als ich wieder Asphalt und somit Zivilisation unter den Füßen habe, lass ich mich erstmal fallen und schnappe nach Luft.

„Du hast echt Angst vor denen, oder?!“ Besorgt legt sich eine Hand auf meine Schulter. „Es tut mir Leid.“

Beleidigt drehe ich mich weg. „Du bist ein Junge, gibs zu!“

„Wieso das jetzt?“ Irritiert zieht Jule ihre Finger wieder zurück und die Augenbrauen verärgert zusammen, so dass sich eine winzige Falte dazwischen bildet.

Sofort bereue ich meine Worte. Nicht wegnehmen, ich kann momentan ein bisschen Zuneigung gebrauchen.

„Naja, weil du...“, ich schlucke, „dieses DING“, ich spucke das Wort aus, schon bei dem Gedanken an das, was sich dahinter verbirgt, knotet sich mein Magen zusammen, „einfach so, na, du weißt schon, anfassen kannst. Mädchen haben Angst vor Insekten, sie finden sie eklig.“ , „Und Jungs nicht“, schiebe ich kleinlaut hinterher.

Jule tut etwas vollkommen unerwartetes, sie lacht, laut und schallend. „Oh man, bist du dumm!“

Na, danke.

„Das hat doch nichts damit zu tun!“ Immer noch prustend haut sie mir auf den Rücken, was meine Annahme, sie sein ein Junge, nur bestätigt.

„Das ist so“, sie sucht offenbar nach Worten, „Altmodisch“.

„Na und, steht ihr Frauen nicht auf altmodische Sachen? Bälle und Tanzen und so? Ich vergrabe meine Fingernägel im von den hohen Temperaturen ganz weich gewordenen Asphalt der Straße. Diese Mädchen treibt mich noch in den Wahnsinn. Ich hatte es ja gleich gemerkt, es war ein Fehler gewesen der Kanufahrt zuzustimmen. Mein Kinn sinkt in die Lücke zwischen dem linken und dem rechten Knie, die angewinkelt an meinem Oberkörper lehnen. Die Röhrenjeans kratzt an meinem

Gesicht entlang und ist viel zu warm. Am liebsten würde ich sie von mir schmeißen, was natürlich nicht möglich ist, dank Jule. Schwarz war wohl keine so gute Farbwahl. Der dicke Stoff kuschelt hartnäckig weiter mit meiner Haut.

„Kann schon sein...“ die freche Stupsnase, inklusive Sommersprossen, taucht wieder vor mir auf. Ich spüre Jules Zeigefinger auf der Nasenspitze. Er riecht nach Lehm, Gras und gut. Trotzdem stoße ich ihn zur Seite. Das Loch in meinem Selbstbewusstsein ist noch zu groß, da muss ich mich von meinem Peiniger nicht noch antatschen lassen.

„Nimm deine Tausenfüßlergrabscher da weg“, herrsch ich sie an und beginne damit sehr konzentriert die Rückstände des Teers unter meinen Fingernägeln hervorzupulen.

Ich spüre wie sie neben mir in die Hocke geht und gucke augenblicklich demonstrativ zu Seite. Pieks, etwas bohrt sich genadenlos in meine Taille, ich ignoriere es. Pieks, Oh da ist ein besonders großes Stück schwarze Masse unter meinem Daumen. Pieks..

„VERDAMMT was willst du?!“, ich fahre herum.

Jule quetscht ihre Lippen seitlich zusammen und formt ihre Mundpartie wie die eines Fisches. „Mach nicht so ein Schmollmuuund“ sie glotzt dabei wie die Fette Flunder im „Sealife“, das Floh ständig besuchen möchte. Ungewollt ziehen sich meine Mundwinkel hoch und in meiner Sauerstoffröhre ein Lachen auf. Erstickt glucker ich rum und versuche weiterhin ein trauriges Gesicht zu machen, was allerdings reichlich daneben geht. Fahrich schiebe ich meinen Pony in die Stirn um die Gefühlsregung zu verbergen aber es ist zu spät Juli weiß, dass sie gewonnen hat.

„Jetzt hör endlich auf hier die beleidigte Leberwurst zu geben. Wollten wir nicht Kanu fahren?“ Sie grinst mich freundlich an und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich ergreife sie und grinse zurück. Was soll's, mein Hirn schaltet erstmal auf Standby.

„Aber nur wenn du das Boot sicherst“ schieb ich so beiläufig wie möglich nach.

„Mit Vergnügen“, sie entsichert ihre imaginäre Pumpgun und streckt den Daumen in die Luft. Im Geiste mache ich ein Foto davon und verspreche mir, es zu bewahren...irgendwo da beim Bauch.

Wenige Zeit später schiebe ich das Boot mit Jule darin ins Wasser uns springe hinterher. Der Tag neigt sich schon langsam seinem Ende zu. Trotzdem ist es noch brühend warm und über der Wasseroberfläche schwirren abertausende von Mücken und anderen, winzigen Insekten. Zum Glück sind sie ganz klein. Allerdings bin ich meiner Mum in diesem Moment sehr dankbar für die Überdosis Mügga auf die sie heute Morgen, bestanden hatte. Das satte Licht der Sonne dringt durch die Bäume und Sträucher, die das Ufer säumen, und lässt die kleinen Tiere leuchten, als seine sie Wesen aus einer anderen Welt. Tief sauge ich die, hier auf dem Fluss, angenehm kühle Luft ein. Als ich zu Jule herüberschaue hat sie die Augen geschlossen und ein seliges Lächeln auf den Lippen. Ich verkneife mir meinen bissigen Kommentar, weil ich keine Lust habe die Stimmung auf Grund meiner Rachegelüste zu versauen. Stattdessen schließe ich sie auch und lasse mich treiben bis ich einen stechenden Schmerz an meinem Kopf spüre. Entsetzt reiße ich die Augen auf und versuche die Situation zu verstehen. Was ist los? Wo bin ich? Gestresst schlage ich um mich, auf meiner Haut kratzt es schmerzhaft. Endlich verstehe ich was passiert ist. Wir sind mit unserem Boot in einen tief hängenden Ast gefahren. Jule lacht hinter mir.

„Bist du noch nie Kanu gefahren?“

Bin ich nicht, aber zugeben will ich das auf keinen Fall.

„Doch doch, schon oft“, flunker ich munter drauflos. Was muss ich auch immer gleich so übertreiben, das geht doch nie gut.

„Na dann ist es ja kein Problem. Da vorne kommen nämlich ein paar Stromschnellen“ meint sie beruhigt.

Ok, spätestens jetzt, wäre es Zeit zuzugeben, dass ich keine Ahnung habe, aber die Worte bleiben penetrant in meinem Hals stecken. Das ist das gemeine an Lügen. Hat man einmal angefangen, kommt man nicht mehr heraus. Eine Unwahrheit folgt der anderen und am Ende steht man vor einem riesigen Trümmerhaufen. Ich habe das schon oft genug erlebt. Besonders bei den Beziehungen meiner Freunde. Ja, meiner Freunde, nicht meinen eigenen, ich hatte nämlich noch keine. Wo wir gerade beim Lügen sind: Eingestehen würde ich das natürlich nie.

Bis zur neunten Klasse habe ich vehement behauptet, ich würde das andere Geschlecht ekelig finden, was zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht mehr der Fall war. Als mir das keiner mehr abnahm, ging ich dazu über, die Tatsache auszunutzen das ich mit meinem Eltern mehrmals umzog. In der neuen Stadt sagte ich, ich habe in der alten eine Freundin gehabt und meinen ehemaligen Freunden, ich habe eine in der neuen.

„PASS AUF!“ das ist Jule.

Ich habe die gefährliche Lage unseres Bootes total vergessen und merke jetzt, wie ich die Kontrolle über das Gefährt verliere. Der Rumpf schwankt zunehmend heftiger und es schlagen dumpf Steine gegen die Decke. Dann bin ich auf einmal schwerelos, nur einige Sekunden, bis ich keine Luft mehr bekomme und tausende von Luftbläschen um mich schwirren. Mit einigen gezielten, Bewegungen der Arme bin ich wieder an der Oberfläche. Ich hätte nie gedacht, dass ich meinem Vater irgendwannmal für die Schwimmstunden dankbar sein würde. Prustend leere ich meine Luftröhre und huste einige Male, bis die Lunge nur noch brennt und im Mund ein kalkiger Geschmack bleibt. Suchend schweift mein Blick über die Wassermassen. Das Kanu ist längst davongeschwemmt worden. Und Jule... VERDAMMT JULE! Immer schneller suche ich die blaue Einöde nach einem schwarzen Haarkranz oder irgendeinem Lebenszeichen ab. Wieso hab ich das nicht gleich gemacht? „JULEEE!!!“ Ich brülle, schlucke wieder Wasser aber kann sie nicht finden. Dann plötzlich taucht mehrere Meter entfernt von mir eine Hand auf, in Sekundenschnelle taucht sie wieder unter, aber das reicht mir. Sofort kraule ich in die Richtung und werde nicht nur von den Wassermassen sondern einem Arm erfasst. Jule krallt sich an mich wie ein Verhungernder an ein Stückchen Brot.

„Hilf mir“, flüstert sie mit erstickter Stimme. Es klingt fast wie in einem kitschigen Hollywoodfilm. Ihr Gewicht zieht mich nach unten und ich muss fast sämtliche Kraft aufbringen, um nicht selber untergetaucht zu werden. Mit irgendwelchen, versteckten Energiereserven schaffe ich es dann aber doch noch, sie bis an das Ufer zu ziehen. Vollkommen erschöpft schmeiß ich mich ins Gras und schnappe nach Luft.

„Alles okay?“ bringe ich unter Würgen hervor.

„Nein, beschissen“ stöhnt es neben mir.

„T-Tut mir leid“, ein leichter Wind streicht über meine nasse Haut und ich betrachte die sich aufstellenden Härchen.

Aus Jules Richtung kommt nur ein ungehaltenes Brummeln. Offenbar hat sie nicht vor, bald wieder mit mir zu kommunizieren also rappel ich mich auf um mir mein Shirt über den Kopf zu ziehen. Das Teil ist klatschnass und pappt an der Haut, also wringe ich es so gut wie möglich aus und schmeiße es über einen tief hängenden Ast. Die Hose behalte ich lieber an. Anschließend lasse ich mich wieder auf die Wiese sinken und riskiere einen Blick in Jules Richtung. Erst jetzt bemerke ich das sie sich leicht zitternd in Embryonalstellung zusammengekauert hat und, ich muss schlucken, ein dank der Nässe ziemlich durchsichtiges Oberteil anhat. Schnell fixiere ich ein totes Blatt, das vor mir auf der Erde liegt, und versuche meinen trocken gewordenen Hals wieder feucht zu bekommen. Ich gebe mir zwar wirklich Mühe, aber mein Blick wandert immer wieder in ihre Richtung und mein ganzer Körper wird irgendwie kribbelig. Schließlich spring ich erneut auf und reiße mein T-Shirt von dem Baum, laufe zu Jule und strecke ihr das Teil wortlos entgegen. Als sie keine Anstalten macht es zu nehmen, wedel ich damit vor ihrer Nase herum und als nach Gefühlten 15 Minuten der gewünschte Effekt weiterhin ausbleibt schmeiße ich ihr das bunt bedruckte Kleidungsstück einfach vor die Füße und stapfe davon. Blöde Ziege, soll sie doch bleiben wo der Pfeffer wächst, ich hab schließlich kein.., arg, ach scheiße! Das muss ich mir doch jetzt echt nicht geben lassen. Entschlossen dreh ich mich um und lauf zurück

„WAA...“ am liebsten hätte ich doch sofort wieder auf dem Absatz kehrtgemacht. Jule ist gerade dabei, ihr Top auszuziehen. Ihr Kopf fährt zu mir herum und schon hab ich den nassen Stoffezen in der Fresse. Wütend schmeiß ihn auf die Wiese. Er kommt mit einem leichten Flatsch auf dem Boden auf. Was muss sie auch wieder so über reagieren. Ich mach nochmal zwei Schritte auf sie zu, ungerührt dessen das sie halbnackt vor mir steht. Momentan bin ich viel zu aufgebracht, um Jule erotisch zu finden.

„WAS? WAS VERDAMMT NOCHMAL SOLL ICH MACHEN? Ja ich hab gelogen, ja ich hätte sagen sollen das ich keine Ahnung davon habe, wie man ein Kanu fährt. Aber ich hab dich gerettet und rückgängig machen kann ich es auch nicht. Ich hab mich entschuldigt, also WAS VERDAMMT NOCHMAL SOLL ICH NOCH TUN?“ Verzweifelt recke ich meine Hände gen Himmel, um sie kurz darauf wieder herunterfallen zu lassen, sodass sie nutzlos an meinem Körper hängen als sei ich eine Marionette, deren Fäden gekappt worden sind.

„Frag mich nochmal“, Jule hat sich mein Shirt inzwischen über den Kopf gezogen.

„Hä? Was?“, jetzt bin ich verwirrt.

„Frag nochmal!“ Ja verdammt, aber was? Sie guckt mich ungeduldig an. Dann schnippt sie mir gegen die Stirn.

„..na, ob ich dich mag“, ein Hauch von Rot schleicht sich auf die feine Haut über ihren Wangenknochen. Trotzdem verdreht sie die Augen. Jetzt bin ich vollkommen perplex und merke, wie ich heiße Ohren bekommen. Hab ich das richtig verstanden? Was soll das jetzt? Will sie mich verarschen?

„M-M-Magst du mich?“, frag ich in monotoner Stimmlage und verknote meine Finger auf unnatürliche Weise. Ich komme mir gerade unheimlich dumm vor, wie ich da schmächtig, groß und schlacksig mit nacktem Oberkörper vor diesem Mädchen steh, und sie frag ob sie mich eigentlich mag. Mein Gesicht hat inzwischen garantiert die Farbe von einem in Säure getauchten Lackmusstreifen aus Flohs Pit und Pat Buch angenommen. Gott, lass H2SO4 regnen, damit ich mich auflöse, bitte.

Sie nickt stumm. Wirklich jetzt? Mein Körper kribbelt wieder.

„A-also so richtig?“, vergewissere ich mich ungläubig.

„JA VERDAMMT! Ist das so schwer zu begreifen?“, sie schubst mich grob nach hinten und ich lande mit meinem Hosenboden, dank Gleichgewichtsverlust, auf der in rotes Licht getauchten Wiese.

„Guck nicht wie eine Kuh!“, weist sie mich zurecht „TomTom du bist ein abartiger Idiot! Aber ich hab mich trotzdem in dich verliebt.“

„Aber wie kannst du mich lieben? Wir kennen uns-...“ Okay das war jetzt nicht sehr einfühlsam aber ist doch wahr. Ok ich hab zuerst gefragt und ja, verdammt ich steh auf sie, aber eigentlich stell ich mir die Frage eher selber. Immerhin kennen wir uns erst seit heute Morgen, auch wenn ich ein anderes Gefühl habe.

„..schon seit dem Kindergarten. Du hast mich also wirklich nicht erkannt?“ sie lässt sich frustriert ins Gras sinken.

„Jule? Du, du… DIE Jule?“ ich stammel verwirrt vor mich hin und jetzt erkenne ich sie auch. Natürlich! Jule die mich mit Nutella eingeschmiert und vor einen Bienenkasten gestellt hat. Die mich mit einem Rasierer beinah skalpiert hätte und mir alle ihre Streiche in die Schuhe geschoben hat.

„Aber wo sind deine Haare?“ platz es aus mir heraus. Ich kann mich nur an eine blondgelockte, engelsgleiche Jule von zarten 5 Jahren erinnern.

Sie lacht. „Ach die...“, zuckt mit den Schulten und lacht nochmal „Tja Farbe, Friseur und Glätteisen machens möglich.“

„Aber wieso...?“

„Einfach so...“, sie zupft an ihren kurzen, schwarzen Fransen herum. „Gefällt's dir nicht? Ich kann sie auch wieder wachsen lassen wenn du magst.“

Das würde sie für mich tun? Ich grinse herüber. „Nein die passen so besser zu deinem Charakter.“

„Was soll das denn heißen?“, gespielt verärgert kräuselt sie die Nase. Ich ignoriere ihre Frage einfach und spüre kurz darauf wiedermal ihren Zeigefinger in meiner Seite.

„Wieso?“ Pieks.

„Sag ich nicht.“

„Sag schon!“ Pieks.

„Nö.“

Und dann krampft sich mein ganzer Körper zusammen und ich muss lachen. Sie hat doch tatsächlich damit angefangen mich zu kitzeln. Ich pruste und versuche, ihren flinken Fingern zu entkommen.

„Nein...bitte...!Genade!“, japs ich und strampel mit allen Vieren. Aber Jule denkt gar nicht dran, also setzte ich zur Gegenattacke an.

„Na warte!“

Immer wilder raufen wir uns und auf einmal spüre ich ein Paar weiche Lippen auf meinen. Jules paar Lippen. Ich halte kurz inne hab das Gefühl, dass jemand die Stopptaste auf der Fernbedienung gedrückt hat und der Fernseher in dem wir uns befinden, Standbild zeigt. Langsam wandert meine Hand in ihren Nacken, streichen über die kurzen, weichen Härchen. Meine Finger verschwinden in der kleinen Senke zwischen dem letzten Halswirbel und dem Hinterhauptsbein, fahren sanft darüber. Dann öffne ich den Mund, atme warme Luft ein die nach Mirabellen schmeckt. „Ich schätze ich hab mich auch in dich verliebt“, flüstere ich und hab keine Ahnung ob sie mich versteht, da meine Lippen immer noch auf ihren ruhen oder in diesem Moment daran reiben. Ich ziehe sie noch ein Stückchen näher an mich heran, dann setzt mein Verstand aus und meine Eingeweide spielen Twister.

Als wir uns wieder voneinander lösen, hab ich das Gefühl, alles um mich herum viel intensiver wahrzunehmen. Gierig sauge ich die kühle Abendluft ein die nach Gras und einem Hauch Kuhdung riecht. Währenddessen roll ich mich auf die Seite und spüre, wie die Halme sich in meine Haut drücken. Ich habe nachher sicher ein lustiges Karomuster auf dem Rücken.

„Wollen wir langsam zurückgehen?“ frage ich mit belegter Stimme.

„Mhm, ja.“ Jule richtet ihren Oberkörper auf, indem sie sich auf ihre Unterarme stützt. Mein Shirt hängt schlapp daran herunter so das sich ihre Figur nur schemenhaft erkennen lässt. Es ist immer noch nass und der Abend inzwischen kühl.

Als ich aufstehe schmerzen die meisten meiner Muskeln, die ungeplante Schwimmeinlage von vorhin fordert ihren Tribut. Ich lese Jules Top von der Wiese auf und helfe ihr anschließend auf die Beine.

„Gehts?“

„Ja, alles Ok.“

Die sonne steht schon ganz tief am Himmel, hält sich mit letzter Kraft an dem gekräuselten Rand der Welt fest. Als wir auf den schmalen Kiesweg stoßen, der entlang des Baches verläuft, ist er in goldenes Licht getaucht und ich spüre Jules Hand, die nach meiner greift. Ich drücke sie kurz löse die Finger aber schnell wieder um die schlotternde Gestalt neben mir in den Arm zu nehmen.

„Wir sind bald zurück dann kannst du dir was Warmes anziehen. Da hinten sind schon die Hofkühe. Kühe am Horizont“, ich lache leicht.

„Zum Teufel mit den Kühen TomTom, ich möchte nie ankommen. Es ist einfach zu schön hier.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-04-08T19:44:40+00:00 08.04.2009 21:44
hey, ich find deine story echt lustig und würd mich freuen, wenn du sie fortsetzen würdest. ^.^
da steckt noch viel potenzial für den rest der story drin, so nach dem motto "mein schönstes ferienerlebnis" ^.^
dein stil gefällt mir sehr gut und der humor is auch klasse!
freu mich mehr von dir zu lesen!

lg wollmaus


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