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Die Kinder der Amaterasu

Ein Wettbewerbsbeitrag
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Die Kinder der Amaterasu
 

Ich höre sie noch ganz genau, die Stimmen, oder vielmehr das leichte Surren des verblassenden Geflüsters, dass immer noch in meinem Ohr schwirrt. Sie erzählten von ihrer Größe, von ihrer Anmut, ihrer Güte, ihrer Schönheit. Genau habe ich mir das Bild eingeprägt, dass mir die Worte damals vor meine Augen malten, doch ahne ich nicht im geringsten, ob meine Fantasie Wirklichkeit ist.
 

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Finsternis umgab mich. Nicht ein kleinster Lichtblitz erleuchtete mein Umfeld. Der vertraute, bläuliche Schimmer der Sterne umgab mich nicht mehr und auch der sonst so ruhige Wind war nicht mehr zu spüren. Auch nicht, als ich beschloss meine Augen zu öffnen. Die Herbste waren in meinem Leben schon 17 mal vorbeigegangen, auch wenn ich mich an einige nicht erinnerte. Immer nur spürte ich die Kälte des nie enden wollenden Winters auf meiner Haut. Die kurze Zeit des Herbstes dauerte nur 14 Tage, der Rest der Zeit lag im tiefen Schnee vergraben und fast keine Farbe erhellte die Welt. „Herbst“. Das bedeutete für uns nur ein kurze Zeit eines leicht wärmeren Windes, der über das Land strich.

Monochrom strahlte der Schnee wiedermals vor meinen Augen, wie er es immer tat. Es war völlig geräuschlos, kein Laut drang durch die weiße Stille vor mir. Erdrückend und doch das Einzige, was ich kannte. Doch heute war es schlimmer. Ich verspürte Schauer auf meinem Rücken und den Armen. Selten kamen diese Tage. Tage, an denen selbst das trostlose und doch hoffnungsvolle bläuliche Himmelslicht fehlte und eine schwarze, schwere Masse über der Welt hing, in der ich lebte. Meine Augen kannten die Dunkelheit schon seitdem sie das erste Mal eine Regung in meiner Umgebung wahrnahmen, doch war es selbst für diese erfahrenen und doch naiven Seher schwer eine Reflektion, die über die ebenmäßige Fläche um mich hätte huschen können, auszumachen. Stille Schönheit und doch eine Grausamkeit, die ich je anders nicht empfand.

Oft hatte mir meine Großmutter davon erzählt. Wie Sie jeden Morgen erschien und jeden Abend wieder in ihr Himmelreich verschwand, wie Sie strahlte und das Land mit Grün überzog. Grün. Ich kannte die Bedeutung dieses Wortes nicht. Mehr als die Worte, die Bezeichnungen der Dinge, die zu Ihrer Zeit existierten, sind nicht geblieben. Amaterasu. Das war alles, was ebenfalls überlebt hatte. Dieses eine Wort oder vielmehr ein Name, der immer einen kaum wahrnehmbaren Glanz in den Augen meiner Großmutter zauberte. Sie war Leben, hatte meine Großmutter immer geflüstert, während langsam Tränen ihre Wangen herabglitten. Auch als sie für immer beschloss die Augen zu schließen und keine Träne mehr zu vergießen, war dies das Letzte, was sie tat. Ein Flüstern und eine stille Träne.

Sie konnte diese Welt nicht ertragen, in der keine Farbe lebte, strahlte. Die Göttin habe sie verlassen, seufzte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, als wollte sie es nicht wahrhaben, nicht begreifen und blickte immer wieder zum Horizont. Ich wusste nicht, was meine Großmutter Sie so schmerzhaft vermisste. Neugierig lauschte ich immer wieder ihren Reden und immer wieder erzählte sie mir von der erhellten Welt durch die Göttin Amaterasu. Doch nun war Sie seit fast 100 Jahren fort. Wie schon einst, als die Erde unglaublich jung wahr, dass sich kein Mensch je daran erinnert hatte.

Melancholisch nannte uns meine Großmutter. Jedes Kind, das sie nach der Flucht der Sonnengöttin sah. Kein Lächeln erhellte die Gesichter dieser. Ich selbst erinnere mich nicht je gelacht zu haben. Manchmal sah ich die Alten hoffnungsvoll zum Himmel lächeln, doch ihr verklärten Blicke fixierten nichts. Ich war ein sehr stilles Kind gewesen. Nicht umsonst nannte mich meine Mutter Shizuka, die Stille. Neugierig betrachtete ich die Welt. Immer auf der Suche nach etwas, dass mir das Bild meiner Großmutter näher bringen könnte, doch bisher fand ich nichts, außer dem bläulichen Licht, das vom Himmel herabschien, wenn die Sterne in die Dunkelheit unseres Lebens leuchteten.
 

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„Shizuka!“, hörte ich es rufen. Ich fuhr zusammen. Durch die Stille hindurch klang mein Name erschreckend laut. Ich vernahm Schritte, die sich mir schnell näherten. Ich versuchte auszumachen, woher sie kamen und wand mich nach links um. Ich sah nur schmale Umrisse eines dunklen Etwas, das sich mir näherte. „Katsu...“, flüsterte ich nur leise. „Shizuka!“, rief er wieder und viel mir um den Hals, als er mich erreicht hatte.

Katsu war einer dieser Menschen. Einer dieser wenigen Menschen, die Lächeln konnten, obwohl sie nie das Antlitz der Göttin gesehen hatten. Vielleicht lag es daran, dass er einfach anders war? Er hatte einen seltsamen Charakter, ein

anderes Aussehen und eine ungewöhnliche Art die Dinge und das Leben zu betrachten.

Leben. Das ein Leben ohne die Göttin möglich war, hatte vor 99 Wintern noch keiner geglaubt. Feuer hatte die Menschen vor 90 Jahren noch gehabt, aber da es immer weniger Bäume gab, hörte es auf zu existieren und ein immer währender Winter überzog die Welt. Bis heute.

„Shizuka. Ich hab dich schon überall gesucht“, keuchte Katsu mir ins Ohr, während er mich immer noch an sich drückte. Ich wand meine Kopf so weit wie möglich um, damit ich ihn besser sehen konnte. „Katsu“, sagte ich, „Was ist los?“ Er ließ von mir ab und sah mir in die Augen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Verwundert sah ich ihn an, obwohl ich nicht wusste, ob er mich erkennen konnte. Ich sah ihn ja selbst kaum und sein Schatten machte es nicht besser. „Du musst sofort mitkommen! Schnell!“, rief er und griff mich bei meinem Handgelenk. Er zerrte mich in Richtung des Dorfes, zudem ich gerade mit dem Rücken gestanden hatte und versuchte mich wegzubewegen. „Hey! Das tut weh“, sagte ich und wurde hinterher geschleift.

„Kannst du mir mal bitte erklären, was los ist?“, fauchte ich leicht, als wir auf dem Dorfplatz stehen blieben. „Sieh doch nur!“, jubelte er fröhlich und mein Blick folgte seinem Finger, der auf den Horizont deutete. Der Himmel nahm eine seltsame Farbe an, die ich nicht kannte, aber sie schien dem weiß des Schnees ähnlich zu sein. Es war ebenfalls ein wenig bläulich und es schien vom Boden herauf zu strahlen. Sollte das Licht sein? Aber warum war dort Licht? Oder viel mehr, woher kam es? „Komm! Das muss ich dir unbedingt zeigen“, schallte es aus Katsus Mund und schon lief er weiter. Katsus Hand umschlang fest meinen Arm, dass es langsam wirklich stark schmerzte. Wir näherten uns immer weiter dem hellen Ort und meine Augen begannen zu tränen. Sie waren diese Helligkeit nicht gewöhnt. Diese veränderte sich dazu noch stetig. Manchmal konnte ich blau erkennen, aber die anderen Farben kannte ich nicht. Als wir den Hügel erreichten, der das Farbspektakel noch einigermaßen zurückgehalten hatte, wurde ich stark geblendet. Ich riss meinen Arm vor das Gesicht, um meine Augen zu schützen. Katsu ließ meinen Arm los und lief ein Stück weiter. „Jetzt hab dich nicht so! So hell ist es nun auch wieder nicht!“, rief er. Es schien so, als sei er etwas weiter unten. Rein theoretisch mussten wir uns an der Meerküste befinden, die aber meist zugefroren war. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit und ich ließ den Arm langsam sinken. Ich blinzelte noch ein wenig, aber ich begann Katsu langsam zu erkennen. Er stand unten am Strand und winkte mir zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass es rauschte. Das Wasser rauschte! Dabei war es Winter und eigentlich müsste alles vereist sein?! Verwundert blickte ich zum Horizont. Das ganze Meer war aufgetaut.

„Aber?! Wie ist das möglich?“, presste ich verwirrt hervor. Katsu kam inzwischen wieder zu mir heraufgerannt. „Shizuka! Von hier oben sieht man das Ganze doch gar nicht! Komm schon“, schimpfte Katsu und schwang mich auf seine Arme. „Katsu?!“, rief ich entsetzt. „Lass mich runter!“ Aber schon war er losgelaufen und trug mich zum Wasser hinunter. Im Sand setzte er mich ab und setzte sich dann selbst. Er begann seine Schuhe zu öffnen. „Das ist unglaublich, Shizuka! Schnell! Zieh die Schuhe aus!“ Und schon warf er Seine zur Seite und rannte in die herantreibenden Wellen. Das Wasser reichte ihm schon bis zu den Knien, als er stehen blieb. Ich folgte ihm mit meinen Augen und nach kurzer Zeit, schnürte auch ich meine Schuhe auf. Ich stellte sie hin und schlich langsam über den Sand. Er war ungewöhnlich warm. Vor dem Wasser blieb ich stehen. „Katsu?“, rief ich ihn leicht ängstlich, doch er hörte mich und kam zu mir gelaufen. Das Meerwasser plätscherte unter seinen schnellen Bewegungen und trieb neue Wellen auf. Keuchend blieb er vor mir stehen. „Shizuka, bitte! Das musst du unbedingt sehen“, sagte er als er meine Hände griff und mich heranzog. Meine Beine berührten das Wasser und ich schrie auf. Doch dann bemerkte ich, dass es warm war. „Was?!“ Verwirrt sah ich vom Wasser auf zu Katsus grinsenden Gesicht und wieder zurück. Er musste lachen. „Was ist daran so lustig?“, blaffte ich ihn an. „Ist das nicht unglaublich?! Du musst aber noch ein Stück weiter ins Wasser“, sagte er strahlend und zog mich weiter ins Nasse. Langsam fanden auch andere Dorfbewohner zum Strand und riefen erstaunt auf, als sie in das Licht blickten.

Es war das Wasser. Nein, das, was im Wasser war, ließ es so farbenfroh leuchten, dass es einen erschreckte. Als meine Knie schon fast gänzlich im Strom versunken waren, bemerkte ich die Bewegung in ihm. Katsu legte seinen Arm um meine Taille und deutete auf das Licht, das zu uns hinauf strahlte. „Das sind Fische!“, rief er begeistert. „Und dort draußen sind noch viel größere. Ich glaube, Großvater nannte sie Wale! Alle leuchten total....“bunt“! Das ist das richtige Wort.“ Ich sah ihn mit großen Augen an. „Aber...wie ist das nur möglich?“, flüsterte ich. „Vielleicht wollte die Göttin uns doch nicht ganz allein lassen und schickt uns ihre Kinder“, strahlte Katsu und sein Griff wurde fester. Das war unglaublich. Einfach unglaublich!



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