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Der ewige Göttername

von

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Der Gott der Zerstörung

Zetsu meldete sich nicht mehr. Egal wie oft Nozomu versuchte, ihn anzurufen oder ihm Kurznachrichten schickte, der Silberhaarige hob nicht ab und beantwortete auch nichts. Jatzieta schien das alles nicht weiter zu kümmern, auf Nozomus Besorgnis erwiderte sie stets, dass Zetsu sich gern von allen anderen zurückzog und sich tagelang nicht meldete, doch sie schaffte es damit nicht, den Braunhaarigen zu beruhigen.

Dass Salles immer weiter gedanklich fortzuwandern schien und Rehme auch nicht mehr mit ihm sprach, sorgte auch nicht gerade dafür, dass Nozomu sonderlich gut gelaunt war.

Entsprechend gedrückt war seine Laune dann auch, als er am Morgen des zehnten Augusts für den Sommerunterricht geweckt wurde, zu dem Salles alle Bewohner des Wohnheims angemeldet hatte.

Die Luft war schon auf dem Weg zur Schule ekelhaft drückend als ob sie unter einer Glaskuppel leben würden, selbst ohne die blaue Jacke über seinem weißen Hemd hatte er das Gefühl, als würde ihm etwas die Kehle zuschnüren und er würde jeden Augenblick daran ersticken.

Er beneidete Nozomi und Yumiko, die fröhlich plaudernd neben ihm herliefen und für den frühen Morgen mitten in den Ferien überraschend gut gelaunt zu sein schienen.

Suzume dagegen, die auf der anderen Seite lief, blickte genauso genervt wie er sich fühlte und es hätte nur noch eine „Ich wäre im Moment wirklich lieber ganz woanders“-Plakette an ihrer Kleidung gefehlt, um Nozomu wissen zu lassen, dass sie sich wirklich genau wie er fühlte.

Unterwegs begegnete ihnen so manch anderer Schüler, der ebenfalls ohne jeglichen Elan zum Sommerunterricht unterwegs war – darunter entdeckte Nozomu auch Thalia und den braun-gebrannten Jungen, mit dem er sie an seinem ersten Schultag bereits gesehen hatte. Immerhin war sein roter Pony noch vorhanden und er war ihm noch nicht von Thalia ausgerissen worden.

Keiner von beiden wirkte sonderlich erpicht auf den kommenden Unterricht, aber wer könnte sich auch schon auf so etwas freuen?

Diese Frage beantwortete sich geradezu von allein, als sie die Schule betraten und direkt Satsuki begegneten, die enthusiastisch wie immer Anweisungen verteilte. Nichts deutete mehr darauf hin, dass sie noch vor einer Woche verletzt gewesen war. Nozomi nahm das mit einem Strahlen zur Kenntnis, doch noch ehe sie die Schulsprecherin ansprechen konnte, wurde diese von einem anderen Schüler zu einem dringenden Notfall gerufen, dessen genaue Natur Nozomu nicht verstehen konnte.

„Satsuki-chan scheint es wieder gut zu gehen, ai~“

Während Nozomi ihr enttäuscht hinterhersah, lächelte Yumiko immer noch. Nozomu musste ehrlich zugeben, dass er sehr erleichtert war, Satsuki wieder so dynamisch zu sehen. Was auch immer der Grund für ihre schnelle Genesung war, es tat gut, in die Schule zu kommen und sie quasi als das Herz davon zu erblicken, wie sie eifrig am Arbeiten war.

Er wünschte nur, sie hätte ihm etwas von dieser Energie abgeben können. Inzwischen wollte er zwar nicht mehr in sein Bett zurück, aber dafür in eine Badewanne oder an den Strand... Hauptsache, diese Hitze würde ihm nicht mehr so sehr zusetzen.

Suzume verabschiedete sich von den Dreien, um in ihr Klassenzimmer zu gehen, während Nozomu den anderen beiden Mädchen hinterher trottete. Er beneidete Zetsu geradezu, der sich mit Sicherheit gerade an einem kühlen Ort befand, weil er schlau genug gewesen war, sich einen derartigen Job zu suchen und nicht im Wohnheim zu leben.

Immerhin hatte jemand daran gedacht, im Klassenzimmer die Fenster zu öffnen, so dass eine angenehme Brise den Raum kühlte – dabei windete es nicht einmal draußen. Aber Nozomu war zu erleichtert und dankbar, um sich einem solchen Gedanken hinzugeben, lieber konzentrierte er sich auf etwas, was wesentlich offensichtlicher für ihn war. „Seit wann gehst du eigentlich auf diese Schule, Yumiko?“

Sie lachte vergnügt, während sie sich auf den Platz neben seinem setzte, sehr zum Unwillen von Nozomi, die auf der anderen Seite Platz nahm. „Seit heute. Salles-sama hat das so mit der Schulleitung geklärt, ai.“

Erneut wunderte er sich über den Einfluss, den der Heimverwalter offenbar genoss. Nicht nur bei dem Krankenhaus, das ihn anrufen sollte, sobald Katima aufwachte, sondern auch bei der Schule, um neue Schüler mitten im Jahr einfach so mal eben einzuschleusen. Dabei war er nicht einmal sonderlich charismatisch, wie hatte er seinen Einfluss nur erworben?

„Und dann gleich zum Sommerunterricht“, seufzte Nozomu. „Du bist nicht zu beneiden.“

Statt einer Antwort lachte sie nur noch einmal.

Damit entschied sein Gehirn, dass es fürs Erste genug getan hatte und schaltete auf Leerlauf. Immer noch müde betrachtete er gedankenverloren einen Punkt an der Wand, der durch sein konzentriertes Starren alsbald zu flimmern begann. Die anderen Schüler plapperten munter durcheinander, unterhielten sich über ihre Ferienerlebnisse oder versuchten Yumiko in ein Gespräch zu verwickeln, doch alle Stimmen verschmolzen in seinem Inneren zu einem einzigen Summen, so dass es ihm nicht möglich war, Informationen dazu herauszuziehen.

Er schloss die Augen, um seinen Blick wieder zu klären und hörte, wie die Tür aufging und das Gerede der anderen Schüler schlagartig verstummte. Gleichzeitig spürte er, wie ein unangenehm kalter Schauer über seinen Rücken fuhr, etwas unsagbar Frostiges betrat den Raum und ließ den Schweiß auf seiner Haut augenblicklich erkalten.

Nozomu wollte die Augen nicht öffnen, er wollte nicht sehen, was diese Kälte mit sich bringen konnte – doch schließlich gewann seine Neugier, die ihm einen heftigen Tritt verpasste und ihn die Lider wieder öffnen ließ.

Nozomu kannte den Mann nicht, der mit hinter den Rücken verschränkten Armen und einer gehörigen Portion Selbstverständlichkeit an den Reihen von Schülern vorbei zum Lehrerpult nach vorne ging. Die hochgeschlossene Kleidung und die Handschuhe verbargen bis auf sein Gesicht jeden Millimeter Haut an seinem Körper, die braunen Haare mit dem leichten Rotstich fielen offen über seine Schulter und wirkten nicht sonderlich lehrermäßig und hinter einer Brille glitzerten amüsierte rote Augen, die sofort die gesamte Klasse musterten, als er sich vorne angekommen endlich zu ihnen umwandte.

Nozomu glaubte, wie Rehme in seinem Inneren panisch Luft einsog, doch sie reagierte nach wie vor nicht auf seine Impulse, die sie zum Sprechen animieren sollten, weswegen er sich wieder dem fremden Mann zuwandte, der den Mund öffnete, um etwas zu sagen.

„Guten Morgen, Klasse~“

Obwohl Nozomu deutlich die Kälte in der Stimme des Mannes hören konnte, wurde er von den Worten sofort eingefangen, genau wie der Rest der Klasse offenbar, der diesen Mann anstarrte als wäre er die Verkörperung der Erlösung.

„Es freut mich, heute bei euch sein zu können. Mein Name ist Nathanael Voss, ich bin einer der Lehrer für den Sommerunterricht.“

Schon wieder so ein seltsamer Name, schoss es Nozomu durch den Kopf. Also noch ein Ausländer.

Nathanael trat hinter den Pult und nahm dort ein Blatt in die Hand, das offenbar die Anwesenheitsliste war – zumindest konnte Nozomu das anhand der durch das Papier scheinenden Kanji sagen. Doch statt sie abzufragen, ließ der Lehrer nur den Blick darüber schweifen, ehe er es zerknüllte und zielsicher in den Papierkorb warf, was zu einem leisen Raunen der Schüler führte.

Lächelnd wandte Nathanael sich wieder an die Klasse. „Eigentlich sollte ich diese Liste abfragen und dann den Lehrplan gemeinsam mit euch abarbeiten – aber ich habe eine bessere Idee.“

Leises Murmeln wurde laut, daraus erklang die Hoffnung, dass er sie einfach wieder nach Hause schicken würde, doch er lachte leise, als er das mitbekam. Mit einer betont langsamen Bewegung schob er seine Brille zurecht – eine Geste, die Nozomu unangenehm an Salles erinnerte – ehe er widersprach: „Nein, nein, ihr werdet mir den ganzen Vormittag Gesellschaft leisten müssen, fürchte ich. Aber keine Sorge, wir werden eine sehr interessante Zeit miteinander haben.“

Sein Blick richtete sich auf Nozomu, durchbohrte diesen geradezu auf eine Weise, dass der Junge tatsächlich Schmerzen zu spüren glaubte. Gleichzeitig begann ein seltsames Pochen hinter seiner Stirn als ob jemand tatsächlich versuchen würde, aus seinem Kopf herauszukommen.

„Wir werden heute über eine Geschichte sprechen, von der die meisten von euch mit Sicherheit noch nie gehört haben.“

Nathanaels Stimme erfüllte das Klassenzimmer und überdeckte alle anderen Geräusche, obwohl er nicht sonderlich laut sprach. Es klang beruhigend, ohne dabei einschläfernd zu sein, aber in Nozomus Inneren löste es eher Übelkeit aus statt Ruhe.

So entging ihm aber auch das ratlose Murmeln der anderen Schüler, welche Geschichte das wohl sein mochte – was das mit dem regulären Unterrichtsstoff zu tun haben könnte.

„Es ist die Geschichte eines Mannes, der als Gott der Zerstörung bekannt wurde.“

Wieder leises Murmeln, während man rätselte, für welches Fach diese Geschichte wohl von Belang sein könnte.

„Dabei ist unerheblich, wie lange diese Ereignisse bereits her sind“, fuhr Nathanael fort, um das Flüstern zu unterdrücken und begann, langsam zwischen den Tischen entlangzulaufen, die Arme immer noch hinter dem Rücken verschränkt. „Wichtig ist nur, dass ihr glaubt, dass sie stattgefunden haben. Denn das kann ich euch versichern. Vielleicht... kennen einige die Geschichte ja tatsächlich schon.“

Sein Blick streifte Nozomi und Yumiko, blieb für einen Moment erneut an dem kaum merklich zitternden Nozomu hängen und richtete sich dann wieder nach vorne, als er seinen Weg fortsetzte.

„Zu der Zeit, als dieser Mann lebte, gab es viele Kämpfer wie ihn, die allesamt als Götter bezeichnet wurden. Und sie alle bekriegten sich, um eine ganz bestimmte Auszeichnung zu erhalten: den Ewigen Göttername.“

Nozomi sog erschrocken die Luft ein und hielt sich die Hand vor den Mund. Yumiko dagegen machte den Eindruck als kannte sie die Geschichte bereits. Und Nozomu... seine Übelkeit nahm noch einmal zu, er war sich sicher, es nicht mehr lange verbergen zu können, besonders da er trotz der Kälteschauer, die über seinen Rücken liefen, wieder zu schwitzen begonnen hatte.

„Diese Auszeichnung gewährt ihrem Träger die Macht, das komplette Universum zu verändern, ja sogar, es zu zerstören. So trafen Götter aufeinander, die nach Vernichtung strebten, jene, die das verhindern wollten und sogar solche, die das Universum in ein neues, goldenes Zeitalter ohne jedes Leid führen wollten.“

Bei dem letzten Punkt erklang begeistertes Tuscheln, offenbar waren einige von Nozomus Mitschülern dafür, dass diese Götter gewannen.

„Es kam wie es kommen musste und sie alle starben bei diesem Kampf. Einer. Nach. Dem. Anderen.“

Die Art, wie Nathanael jedes Wort des letzten Satzes betonte, erweckte den Eindruck als würde jedes davon für sich selbst stehen. Gleichzeitig zeigte er damit die Endgültigkeit dieser Aktion – und nach jedem einzelnen Wort war es Nozomu als würde er einen Schrei hören, so erschütternd, verzweifelt und voller Agonie als wäre es der Todesschrei einer Person. Tief in seinem Inneren gab ihm etwas zu verstehen, dass diese Einschätzung auch vollkommen korrekt war.

„Zum Schluss waren nur noch zwei Götter übrig. Jener, der Zerstörung brachte und sein Gegenstück, der aus ihm geschaffen worden war und gemeinhin als Erlöser galt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde sah Nozomu einen Blitz zucken und in diesem erleuchteten Moment konnte er ein eisblaues Auge erkennen, das ihn spöttisch anblickte, während das andere durch sein langes Haar verborgen war. Doch bevor Nozomu sich mehr einprägen konnte, verschwand das Bild wieder in seinem Unterbewusstsein.

Das Etwas in seinem Inneren wurde bei dieser Erinnerung von kaltem Zorn erfüllt, es begann lautstark zu kreischen und versuchte mit aller Macht auszubrechen, seinen Körper zu übernehmen. Leise keuchend krümmte Nozomu sich zusammen, bemerkte in seinem inneren Kampf, diese Übernahme zu verhindern auch nicht die verwirrten und besorgten Blicke, die seine Mitschüler ihm zuwarfen. Doch hielt die Aufmerksamkeit nicht lange an, schon einen Wimpernschlag später richteten sich sämtliche Blicke wieder auf Nathanael, der gemäßigt, fast schon gelangweilt, wieder in Richtung Pult schritt.

„In diesem Kampf töteten die beiden Götter sich allerdings gegenseitig – und so bekam keiner den Götternamen und alles verlief seinen gewohnten Gang, wie wir ihn sicherlich alle kennen.“

Während alle dem Nachhall seines letzten Wortes lauschten, war es still in der Klasse. Nozomu hielt krampfhaft den Blick gesenkt, eine Hand auf seinen Bauch gelegt, um den rebellierenden Magen zu besänftigen. Doch weder dieser noch das wild gewordene Etwas wollten sich durch diese einfache Geste beruhigen lassen.

Es war Shinsuke, der schließlich ungewohnt schüchtern die Hand hob. Nathanael nickte ihm aufmunternd zu, worauf der Junge aufstand, um seine Frage zu stellen: „Wie hieß dieser Gott der Zerstörung denn?“

Offensichtlich bestand bei den Schülern noch Hoffnung, dass man mit dem Namen etwas anfangen konnte oder dass ihr Lehrer an dieser Stelle zugeben würde, dass er sich das alles nur ausgedacht oder es als Metapher für irgendeinen komplexen Zusammenhang zu verstehen war.

Nathanaels Lächeln schwand nicht, als er Shinsuke für diese Frage lobte. „In der ganzen Erzählung habe ich ihn nicht einmal erwähnt, stimmt's?“

Die anderen nickten zustimmend, lediglich Nozomu saß unbeteiligt da, die Hand immer noch auf seinen Bauch gepresst, die Augen zusammengekniffen, um die ineinander überlaufenden Kontraste nicht mehr in aller Deutlichkeit sehen zu müssen.

Mein Gehirn muss durchgebrannt sein...

Doch Nathanaels Blick, der sich erneut auf ihn richtete, brauchte er auch nicht zu sehen, um dessen Intensität zu spüren.

„Euch wird dieser Name vermutlich nichts sagen, aber es schadet nicht, wenn ihr ihn kennt.“

Noch einmal machte er eine Pause, für die anderen Schüler genug Zeit, um ihn gebannt anzusehen, für Nozomu lediglich eine erneute Spanne, in der er dem Toben in seinem Inneren ausgesetzt war.

„Sein Name war... Jiruol.“

Während die anderen sich fragende Blicke zuwarfen, stand Nozomu so abrupt auf, dass sein Stuhl nach hinten fiel und mit einem lauten Knall auf dem Boden landete. Er verschwendete keinen Blick an seine Umwelt, sah nicht einmal Nathanael an, als er auf die Tür zustürmte. Egal, wohin, Hauptsache fort von diesem Ort, diesem Mann und dieser Geschichte, die er soeben erzählt hatte. Vor seinen Augen drehte sich alles, ein dunkler Schleier hatte sich zusätzlich davor gelegt und erleichterte es ihm nicht unbedingt, den Weg hinaus zu finden.

Doch an der Tür angekommen, riss er diese hastig auf und sprintete hinaus.

Hätte er noch einmal zurückgesehen, wäre ihm nicht nur das zufriedene Lächeln auf Nathanaels Gesicht aufgefallen, nein, er hätte auch beobachten können, wie er sich siegessicher die Brille zurechtschob, ehe er so tat als wäre Nozomus Flucht nicht geschehen und er mit dem Unterricht fortfuhr.



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