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Früher war eh alles besser

von

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Als ich zuhause ankam, war niemand da. Das bedeutete also, wenn ich Mittagessen haben wollte, musste ich es mir selbst machen. Meine Kochkünste machten meinem Zeichentalent kaum Konkurrenz; vielleicht reichte eine Tiefkühlpizza für den Anfang.

Eine Viertelstunde später lag eine leicht angekokelte Pizza auf meinem Teller; Operation fast erfolgreich, ich konnte sie irgendwie essen, nur sollte ich lieber das schwarze Zeug an der Unterseite abkratzen. Das schmeckte nämlich absolut eklig.

Während ich an einem Pizzastück knabberte, hockte ich mich vor den Fernseher und ließ mich davon berieseln. Als Entspannung taugte es immerhin etwas, obwohl ich nachher nicht einmal mehr wusste, was genau ich mir überhaupt reingezogen hatte. Theoretisch hätten die Fernsehfuzzis irgendeinen schlechten Porno zeigen können und ich hätte es nicht gemerkt. Naja, ich stand sowieso nicht auf solche Sachen, die waren in den meisten Fällen noch unlogischer als die übrigen Sendungen.

So vertieft in meine Nachmittagsbeschäftigung bemerkte ich den Besuch vor unserer Haustür erst, als er anfing Sturm zu klingeln und lautstark zu rufen. Toll, da versuchte man sich gerade zu entspannen und wurde sofort wieder durch die Gegend gescheucht, wie unverschämt.

Um wen es sich handelte, der momentan kurz davor stand, unsere Klingel zu demolieren, konnte ich mir denken, besonders viele Leute kannten wir immerhin noch nicht und jemand aus Mainz hätte sich sicher vorher bei uns angemeldet.

Noch mit einem Rest Pizza in der Hand schlurfte ich in den Flur und öffnete meinen zwei Lieblingsnachbarn die Tür. Wie erwartet waren sie gut gelaunt und Charly wieder am Grinsen, der Normalzustand also. Natürlich fragten sie mich sofort über meinen ersten Schultag an ihrer Kaffschule aus.

Dieses Mal freundlich ließ ich sie rein und lotse sie ins Wohnzimmer, in dem immer noch die Flimmerkiste vor sich hindudelte und eine ziemlich penetrante Frauenstimme den Zuschauern unverschämt teure Haarpflegeprodukte andrehen wollte. Hatte ganz vergessen, es auszuschalten vor lauter plötzlicher Hektik.

„Und, wie wars? Gut überstanden?“, erkundigte sich Vivi und warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu, damit er genauso cool die Füße von unserem Tischchen nahm, wie er sie daraufgelegt hatte. Natürlich inklusive Schuhe.

„Ja, einigermaßen. Unterricht war halt langweilig, aber das war in Mainz auch schon.“ Gab es überhaupt durchgängig richtig interessanten Unterricht? Wenn ja, durfte er sich gerne mal hier melden und aushelfen, die Schüler wären sicher alle dankbar.

„Und wie bist du wieder nach Hause gekommen? Hast du dir den ganzen Weg gemerkt?“ Das konnte sich Charly nicht vorstellen. Da hatte er auch Recht, dazu war ich gar nicht in der Lage mit meinem grottigen Orientierungssinn.

„Nein, Nils hat mich nach Hause gebracht.“

Sofort tauschten die Zwillinge nicht besonders begeisterte Blicke aus, was mir verriet, dass sie mit diesem Namen nichts Gutes verbanden. Kein Wunder, so wie sich Nils über die zwei geäußert hatte. Das behielt er sicher nicht für sich, nahm ich einfach mal an.

„Bist du bei ihm in der Klasse?“ Vivi rammte ihren Bruder den Ellbogen in die Seite, damit er sich endlich anständig verhielt und aufhörte, an unserem Couchbezug herumzuzupfen.

„Ja, ich hab mich neben ihn gesetzt, weil ich keinen besseren Platz gefunden habe“, erklärte ich ihr, worauf sich Charlys Mine noch eine Spur verdüsterte. Anscheinend bedeutete das für sie so ungefähr den Weltuntergang. Na super und ich wusste nicht einmal, wieso. Zugegeben, falls Nils tatsächlich so oft wie möglich schlecht über sie redete, verstand ich es ja, aber das hieß nicht automatisch, dass ich mich ihm anschloss. Da wäre ich kein Fünkchen besser als die Leute, über die ich mich gerne aufregte.

„Hör mal, Dennis.“ Vivi wusste nicht so recht, wie sie anfangen sollte. „Nils und wir, wir haben sozusagen ein persönliches Probleme miteinander. Er ist nämlich etwas...naja, seltsam.“

„Er ist ein verdammter Idiot!“, rief Charly dazwischen, hielt aber gleich wieder die Klappe, nachdem Vivi mit einer Geste klar gemacht hatte, dass sie momentan erklären wollte.

„Du kannst natürlich mit Nils machen, was du willst, das geht uns nichts an, aber ich will dich nur vorwarnen, dass er nicht besonders gut auf uns zu sprechen ist.“

„Ich weiß, er hat es mir heute morgen ziemlich deutlich gezeigt“, seufzte ich und knabberte am Rand des Pizzastückchens herum. Wenn er ein Problem mit Homosexualität hatte, würde eine Freundschaft zwischen uns sowieso nicht funktionieren, das stand fest. Was sollte ich mit Freunden, die nicht akzeptieren, wie ich war? Wahrscheinlich war das auch ein Grund gewesen, weshalb es mit mir und Gabriel irgendwann nicht mehr geklappt hatte: wir hatten die gegenseitigen Veränderungen nicht hinnehmen wollen, uns an die früheren Erinnerungen gehängt und damit eigentlich alles kaputt gemacht.

Nein, an Gabriel wollte ich nun wirklich nicht denken, das gehörte in die Schublade 'abgehakte Dinge‘.

„Was hat er denn wieder Nettes über uns behauptet?“, fragte Charly ein wenig nervös. „Eine Zeit lang hatte er die kranke Idee, überall zu erzählen, Vivi würde mit einem Lehrer schlafen, um bessere Noten zu bekommen. Und ich wäre ein Satanist, der sich mit ein paar aus unserem Jahrgang regelmäßig auf dem Friedhof trifft, um Gräber zu zerstören. Der Junge hat echt einen an der Waffel.“

„Nein, so schlimm war es ganz sicher nicht.“ Zumindest klang es für mich nicht ganz so abgedreht wie das, was Charly gerade gesagt hatte. „Er wollte mich vor dir warnen, weil du mich angeblich belästigen könntest und Vivi das so toll findet, dass sie davon Fotos macht.“ So ungefähr hatte Nils es meiner Meinung nach gemeint. Wenn er wüsste, das mir das so was von gar keine Angst machte.

„Ach so, jetzt versucht er es so. Hofft sicher, dass es genügend Leute gibt, die Schwule am liebsten dezent in die Anstalt einweisen lassen würde“, brummte Charly und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und, hat er in dir jemanden gefunden?“

„Wärt ihr dann hier? Ganz bestimmt nicht.“ Damit war für mich das Thema abgehakt. Die beiden wussten, dass ich mich nicht von Nils Kommentaren beeinflussen lassen würde und ich selbst nahm mir vor, ihn etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, bevor ich mir ein festes Bild von ihm machte.

„Wollt ihr was trinken?“, fragte ich die Zwillinge, um auch ihnen zu zeigen, dass ich im Moment nicht mehr über meinen neuen Klassenkameraden sprechen wollte. Außerdem hatte ich selbst auch Durst, lag mit großer Wahrscheinlichkeit an diesem trockenen Rand, den ich meistens einfach liegen ließ.

Charly entschied sich für ein Glas Wasser, Vivi hingegen fragte etwas zögernd, ob wir zufällig Orangensaft ohne Fruchtstückchen im Kühlschrank hätten. Hatten wir, meine Mutter trank ihn immer, weshalb mein Vater und ich uns daran gewöhnt hatten, immer welchen zu kaufen, obwohl meine Mutter nicht mehr bei uns wohnte. Oder besser gesagt, wir nicht mehr bei ihr.

Während ich in der Küche die Getränke vorbereitete, hörte ich, wie Vivi Charly zusammenstauchte, weil er sich nicht so wie zuhause benehmen sollte, und er ihr daraufhin vorwarf, andere Menschen mit ihren Sonderwünschen auf den Geist zu gehen.

Leicht musste ich grinsen, manchmal hatte es doch Vorteile, keine Geschwister zu haben, die seltsamerweise in den unpassendsten Augenblicken alles besser wussten.

Mit noch einem Teller Butterplätzchen in der einen und ihren Gläsern in der anderen Hand kam ich wieder zurück, unterbrach ihren kleinen Streit, versuchte nicht unbedingt das Sofa mit Saftflecken zu bespritzen – das kam davon, wenn man zu faul war, zweimal zu gehen – und wurde gleich belagert, ob ich in den Ferien nicht Lust hätte etwas mit ihnen zu unternehmen. In Urlaub fahren war ihren Eltern nämlich viel zu stressig und allein nervten sie sich nach eigener Aussage sonst noch zu Tode.

Da mein Vater sowieso höchstens ein paar Tage mit mir nach Mainz fahren wollte, damit ich wenigstens meine Großeltern besuchen konnte – eher musste, besonders erfreulich fand ich diesen Plan nicht – hatte ich genügend Zeit dafür und sagte zu.

Bevor die zwei sich wieder von mir verabschiedete, plünderte Charly noch den Keksvorrat, wurde dafür natürlich von Vivi wegen seiner in ihren Augen misslungenen Erziehung kritisiert, und ich erklärte ihnen schließlich, dass sie sich hier einfach wie normale Menschen verhalten sollten, etwas anderes tat ich auch nicht. Immerhin wollte ich wissen, wie sie wirklich waren und nicht wie sie versuchten zu sein, um einen guten Eindruck zu machen. Das kaufte man ihnen sowieso nicht unbedingt ab.

Nachdem ich noch mindestens eine Stunde das Wohnzimmer belagert und mir mit dem TV Programm meine tägliche Portion Schadenfreude über andere Menschen reingezogen hatte, räumte ich das Geschirr und die Krümel in die Küche, begutachtete meine Arbeit, damit ich nichts übersehen hatte und verschwand in meinem Zimmer, um mich dort zu langweilen.

Ab jetzt würde ich mich wohl daran gewöhnen müssen, den ganzen Nachmittag allein zu sein. Früher war ja fast immer meine Mutter dagewesen, weil sie nur vormittags gearbeitet hatte, aber die saß sicher in unserem alten Haus und mit etwas Pech bekam ich in ein paar Jahren ein Halbgeschwisterchen, weil meine Mutter wieder jemanden gefunden hatte.

Ich sollte besser aufhören, ständig an sie zu denken, niemand hatte mich gezwungen, hier her zu ziehen, alles meine eigene Entscheidung, von der ich langsam nicht mehr ganz so überzeugt war.

Schluss damit, rumheulen deswegen half nichts, ein Zusammenleben mit ihr allein hätte auf Dauer wirklich nicht funktioniert; wenn ich das Beste aus meiner momentanen Situation machte, würde ich bald nicht mehr meinem alten Leben hinterher trauern.

Um mich endlich komplett abzulenken, schaltete ich meinen MP3-Player an, legte mich aufs Bett und bearbeitete weiter meinen armen Block, der seine schönen leeren Seiten für meine talentfreien Zeichnungen opfern musste. Gelitten, hätte er lieber etwas anderes werden sollen.

Gegen acht Uhr kam mein Vater ziemlich kaputt von der Arbeit zurück und weil ich wenigstens einmal nett sein wollte, bereitete ich das Abendessen vor. Zwar tat er das sonst immer, aber die Ausrede, der erste Arbeitstag sei so anstrengend gewesen, ließ ich durchgehen. Ich wusste nämlich nicht, wie so ein Arbeitstag in der Sparkasse ablief, interessiert mich auch nicht besonders, das gehörte nicht gerade zu meinen Traumberufen.

Natürlich berichtete ich ihm von meinem ersten Schultag in der 10 A, über den kurzen Besuch unserer Nachbarn und über ein paar andere Kleinigkeiten. Nur Nils ließ ich aus, sonst bedeutete das wieder ein potentieller fester Freund mehr auf der Liste meines Vaters. Und so wie es aussah war Nils nicht schwul, wäre auch sehr unrealistisch, immerhin hatte schon Charly sozusagen zugegeben, dass er auf Jungs stand.



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