Süßigkeitensucht mit Weltrettungscharakter
Es ist schlimm, wenn mein Freund schlechte Laune hat.
Und zur Zeit ist es furchtbar... L Lawliet hat eine verfrühte Midlife-Crisis.
Die Sonne geht gerade unter, und taucht eine alte kleine Steinkirche in der malerischen Landschaft der Provence in ihr orangenes Licht.
Ein warmer Wind weht, ich habe meine Jacke ausgezogen und halte sie an meiner Seite, ich lasse meine Füße durch das bunte Laub rascheln, während ich auf ihn warte.
Es ist ein wirklich schöner Tag. Frankreich gefällt mir.
Mir gefällt jeder Ort, an den er mich bringt.
Er, mein Freund, mein Bruder, mein Konkurrent, mein Kamerad, mein Plagegeist, mein Geliebter.
Er ist gestern 30 geworden und damit hat seine Meckerei angefangen. Zwar behauptet er, er hätte nichts, aber ich sehe sein miesepetriges Gesicht, höre seine barschen Antworten und weiß, was er denkt.
Er ist 30. Ich bin 23.
Er denkt, er wäre zu alt für mich und das finde ich unglaublich... süß? Naja, vielleicht lustig.
Liebenswert. An diesem Kauz etwas liebenswertes zu finden, das schafft, glaube ich, sowieso niemand außer mir. Vielleicht Mr. Wammy noch.
Aber das ist ganz gut so, so gehört er nur mir.
Wie kann er bloß denken, dass er zu alt für mich ist, wenn er doch das einzig Wichtige in meiner Welt ist, meine Sonne, mein Herz.
Das würde ich ihm natürlich nie so sagen, aber ich habe alles für ihn aufgegeben, da sollte er es doch wissen... Und ich habe bis jetzt keine einzige Sekunde gedacht, dass ich etwas verloren hätte, als ich alles für ihn zurückgelassen habe. Obwohl ich meine Mutter und meine Schwester schon manchmal vermisse.
Er ist zu spät, wir wollten uns um 18 Uhr an der Kirche treffen. Aber das ist nichts neues, dass er zu spät ist, also lasse ich meine Füße weiter durch das Laub rascheln und erfreue mich am schönen Wetter.
Neben der Kirche ist ein kleines Cafe, in dem es "den besten Erdbeerkäsekuchen der Welt" geben sollte, so wie in jeder anderen Stadt auch. Ich verdrehe die Augen.
Seit er in mein Leben getreten ist, habe ich immer etwas, worüber ich mich ärgern kann.
Worüber ich lachen kann.
Worüber ich traurig sein kann.
Worüber ich glücklich sein kann.
Apathie, was ist das? Langeweile? Ist mir jemals in meinem Leben langweilig gewesen? Ich kann mich nicht erinnern... Langeweile, so etwas kenne ich nicht.
Eine gebeugte Gestalt erscheint am Horizont, läuft gemächlich den Hügel hinauf, als ob ich hier nicht warten würde, als ob er es nicht eilig hätte.
"Beweg deinen Arsch!", brülle ich.
Ein dünner Arm hebt sich zum Winken, und ich verschränke meine Arme und seufze.
Plötzlich höre ich ein Laubrascheln, das nicht von mir verursacht wird. L ist auch noch zu weit weg.
Ich drehe mich in Richtung Kirche, einige hundert Meter von mir entfernt.
Da liegt etwas, genau vor den schweren Holztüren des alten Steingebäudes.
Das kann nicht sein... Ist gerade ein kleines schwarzes Notizbuch einfach so vom Himmel gefallen?
Ich will es mir näher ansehen, doch mein Freund ist schon fast bei mir, und ich will jetzt keinen Streit anfangen, nicht an diesem schönen Tag.
Denn er und seine Midlife-Crisis werden womöglich aggressiv gegen jede, nicht von ihnen selbst ausgelöste Verzögerung des Kuchennachschubs.
Eigentlich lasse ich mir so etwas nicht bieten, aber... Heute ist so ein schöner Tag. Und wenn man mit diesem Menschen zusammenlebt, muss man einfach manchmal nachgeben können.
Und wie sagt man so schön? Der Klügere gibt nach.
Trotzdem drehe ich mich nochmal zu dem Buch um, als der zerzauste Mann fast vor mir steht.
Das Buch... ich will es haben. Ich weiß nicht warum, aber alles zieht mich zu ihm hin. Wie seltsam.
"Raito-kun, hallo." Das "-kun" wird er sich wohl nie abgewöhnen. Er ist da und sieht mich mit diesem Blick an. Warm, zärtlich, besitzergreifend und trotzdem nett, ich bin der einzige, der keine Ausdruckslosigkeit bekommt.
Seine Stimme ist genug, um mich alles andere vergessen zu lassen, und egal, wie sehr er mich zur Zeit nervt, ich muss mich umdrehen und seinen Anblick in mich aufsaugen. "Ryuuzaki", sage ich mit einem Lächeln. "Ryuuzaki" werde ich mir auch nicht abgewöhnen. "Du bist zu spät."
Gekonnt ignoriert er mich und meint: "Lass uns Kuchen essen gehen! ... Wohin schaust du denn?"
Mein Blick hat sich wieder dem Notizbuch zugewandt. "Da liegt etwas, ich will es mir ansehen."
"Und ich will Kuchen essen!" Damit zieht er mich an meinem Ärmel in Richtung des kleinen Cafes.
Ich schüttele verärgert den Kopf, lass es aber nicht zu einer Diskussion ausarten.
Ich werfe dem Buch nur einen letzten sehnsüchtigen Blick zu, und dann folge ich meinem Lebensgefährten.
Auf dem Nachhauseweg sehe ich das Heft nicht mehr.
Morgen werde ich es vergessen haben.
***
Searching for Passion - ENDE