Ein Sommernachts(alb)traum
Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, als sich Kens Bande an einem alten
Kriegerdenkmal in der Stadt traf. Obwohl es für die Zeit sehr warm
war, trugen die drei schwarze Kapuzen-Shirts und Sonnenbrillen,
ein Bisschen wie ein paar erfolglose Graffiti-Sprayer.
Ohne viel Worte zu verlieren, gingen sie unauffällig richtung
Friedhof; die einzigen Laute, die von ihnen kamen, waren Gekicher
und Osamus Fürze.
Auf den Friedhof zu gelangen, war für die drei kein Problem, weil
der alte Friedhofswärter das Tor in der Regel nie abschließte.
Nach ihrer Aktion würde er wahrscheinlich für seine Fahrlässigkeit
entlassen werden, aber daran dachten Ken und seine Freunde gerade
nicht; sie waren viel zu sehr in Rage, viel zu aufgewühlt, als
dass sie jetzt einen Rückzieher machen konnten.
"Also, sucht das Grab dieser verdammten Nutte, verstanden? Und
macht nichts anderes, wie wir es vereinbart hatten!"
"Yeah, Ken-kun!" flüsterte Nori und setzte sein fuchsartiges,
listiges Grinsen auf.
Es verging gute 5 Minuten, als die ganze Aktion scheinbar schief
gegangen wäre.
Die drei hatten sich aufgetrennt um ihr Ziel schneller zu finden.
Es war sehr finster und Osamu hatte keine Lust, seinen müden Augen
weiter zu fordern und schaltete seine kleine Taschenlampe ein.
Als Ken das Blitzen des Lichts 20 Meter von sich entfernt sah,
durchfuhr in ein kurzer, aber dafür umso schmerzvollerer Schock.
Er bermerkte jedoch schnell, was Sache war:
"Du Nichtsnutzt, du verdammter Idiot!" zischte er und zeigte die
Zähne, als er auf Osamu zuging.
"Aber was denn, Ken - "
Ken haute Osamu als Antwort erstmal eine ins Gesicht, sodass sein
Pickel augenblicklich aufplatze und Eiter sowie Blut in seinem
Gesicht klebte. Angewidert wischte Ken sich die Hand an seiner
Jeans ab.
"Was sollte das? Willst du, dass wir gesehen werden?! Weißt du,
dass mir fast das Herz in die Hose gerutscht ist, weil du der
Friedhofswärter hättest sein können?!" fauchte Ken.
Osamu antwortete nichts, denn jede Form von Protest war bei Ken
zwecklos. Ken war wie ein Elektroherd: War er erst einmal warm,
kochte die Suppe auch erstmal eine ganze Zeit und war so schnell
nicht wieder abzukühlen.
"Weiter an die Arbeit!"
Nori war eifrig bei der Sache, man konnte schon fast von einer
Gier sprechen. Seine Augen blitzten auf, als er das Grab fand.
Sofort holte er seine Kumpanen zu dem gesuchten Grab, seine Freude
und sein Stolz waren schier grenzenlos, wie ein kleines Kind, dass
seinen Eltern zeigen wollte, was es tolles auf der Straße gefunden
hat.
"Ah...sehr, sehr gut..." murmelte Ken vor sich hin, als er das
Grab fand.
"Das ist es doch, oder?"
"Ja, die Beschreibung passt genau!"
"Zeigt es dieser verdammten Schlampe und ihrem nichtsnutzigen Sohn
einmal so richtig, Leute!"
Bevor die drei anfangen konnten, ihre "Arbeit zu erledigen, hörten
sie Schritte und ein Husten.
"Verdammt, diesmal ist es wirklich der Wärter! Los, versteckt
euch!"
Das Adrenalin der drei stieg in kurzer Zeit ins Unermessliche.
Nori schlich sich sofort in ein Gebüsch. Für ihn war das immer
noch ein Spiel, das beste Spiel der Welt.
"Boah, ich fühl mich wie Solid Snake!" dachte er. Er grinste
leicht manisch.
Osamu hatte große Probleme sich zu verstecken, weil er der größte
und lahmste der Bande war. Er stolperte hinter einem Baum und
musste vor lauter Aufregung keuschen. Nur Ken hatte die Ruhe weg
und verkroch sich hinter eine Reihe Bäume.
Der Friedhofswärter schwenkte die Taschenlampe umher und horchte.
Er glaubte, in der Ferne ein Winseln zu hören, oder irgendein
andere Laut, vielleicht von einem streunenden Hund.
"Ist da wer? Hallo? Ist da wer?" fragte er in die Dunkelheit.
"Wieso ist der um die Zeit verdammt nochmal hier?!" dachte Ken
angestrengt nach und versuchte so lange wie möglich die Luft
anzuhalten.
Der Wärter kam an dem Gebüsch vorbei wo Nori kauerte. Nori sah die
abgetretenen Stiefel des Mannes, roch den Gestank von Schweiß und
Erde und konnte sich nicht mehr halten.
"Hier ist wer!" zischte er und riss dem Mann die Beine weg. Der
Wärter landete auf seinem Hinterkopf und wurde auf der Stelle
bewusstlos. Seine Taschenlampe fiel auf den Boden und rollte den
Weg entlang, die Scherben des aufgesprungen Glases
verteilten sich.
Nori kicherte und trat auf den Wärter ein, welcher genau so gut
hätte tot sein können.
"Was tust du da, du Irrer?" krächzte Ken und rannte wie Osamu zu
Nori. Sie packten ihn und hielten ihn fest wie ein wildes Tier,
dass in Rage gekommen war und beruhigt werden musste.
"Es...fühlt...sich so...LEBENDIG!" jauchzte Nori voller Glück und
Freude.
"Was ist wenn er tot ist, du Spinner?!"
"Na und? Uns kriegt man nicht! Niemand hat uns gesehen!"
"Scheiße, was sollen wir machen?"
"Schieben wir ihn erstmal ins Gebüsch und bringen unsere Sache so
schnell wie möglich über die Bühne."
Osamu und Nori hörten auf Ken und verrichteten die Arbeit schnell.
Die Schändung des Grabes von Katsu Mutter, ihr eigentliches Ziel,
verkam zur Nebensache, dennoch machten die drei ihr Werk
gründlich. Graffiti, faules Obst und Urin verunstaltete das Grab.
"Okay, das reicht."
"Schade, es war grade so schön."
"Und jetzt? Was machen wir nun?! Wer weiß, was er gesehen oder gehört hat. Er wird alles ausplaudern."
Sie starrten in das Gebüsch, wo der Körper des Friedhofswärters
lag.
Plötzlich hatte Ken eine Idee.
"Durchsucht seine Taschen, ich will seinen Führerschein sehen!"
"Aber wie-"
"Macht es einfach, ich erklär' es gleich..." sagte Ken gelassen.
"Hier ist es, da ist sein Schein! Aber..."
"Her damit! Gute Leistung!"
"Sag uns doch, was du damit willst? Ihr seht euch echt nicht
ähnlich!" sagte Nori und grinste.
"Nori...der Typ hier heißt Daiki Yoshi, dass sagt sein Führerschein."
"Und?"
Ken entspannte sich merklich zur Verwunderung seiner Genossen. Er kramte sein Handy hervor, ging ins Internet damit (Gott sei dank waren Akku und Empfang noch gut genug hierfür, dachte er). Er wartete kurz, bis es Mitternacht war und ging auf die Seite Jigoku Tsushin.
"Nori, du hast doch sicher von dem Höllenmädchen gehört, oder?"
"Klaro, ich weiß alles über so 'nem Kram!"
"Sehr gut...hier, willst du den alten Sack nicht in die Hölle befördern?"
Für einen kurzen Augenblick schwiegen alle drei, doch Nori hatte rasch seine Entscheidung getroffen.
"Jau, her mit dem Handy, ich mach's, ich heiz' dem ein!"
Er tippte sofort den Namen in das Eingabe-Feld der Seite ein und drückte auf Senden.
Nori grinste hämisch, schloss die Augen, grinste noch breiter, und als er sie aufmachte...