Schneekirschblüte
~15~
Schon seit einigen Tagen war das Dorf Konohagakure in einen weihnachtlichen Glanz gehüllt. Alle Häuser waren mit Lichtern, Misteln und Tannengrün geschmückt und der Duft von Zimt und Gebäck lag in der Luft. Selbst zur späten Abendstunde, wenn der Tag längst der Schwärze der Nacht gewichen war, war es niemals wirklich finster.
Immer noch spazierten ein paar Menschen durch die Straßen und erfreuten sich an dem schönen Weihnachtsschmuck und dem Schnee, der das Dorf in ein strahlendes Weiß tauchte.
Von all den kleinen, wundervollen Dingen, die die Weihnachtszeit in das kleine Dorf gezaubert hatte, bekam er nicht mehr mit, als dass ihn das ungewöhnliche Licht zu blenden schien. Mürrisch zog er an den lachenden Gesichtern der anderen Passanten vorüber und starrte auf seine Schuhe, an denen ein paar vereinzelte Schneeflocken klebten.
„Tsss“, kopfschüttelnd bog er um die nächste Ecke und hoffte dass er hier von all den fröhlichen Menschen und dieser Weihnachtsmaskerade verschont bleiben würde.
Tatsächlich, es war, als er hätte er eine völlig andere Welt betreten.
Die Welt, einer grauenvollen Realität, seiner Realität.
Vorsichtig bewegte er sich weiter, darauf bedacht, den finsteren Gebäuden zu seiner Linken und Rechten keine Beachtung zu schenken. Ein frostiger, schneidender Wind fuhr ihm ins Gesicht und ließ ihn erzittern. Der junge Shinobi zog den dicken Wollschal noch etwas fester um seinen Hals und versuchte das Gefühl der Kälte zu ignorieren. Aus dem Augenwinkel heraus nahm er immer wieder das Uchiha Wappen wahr, welches sozusagen die gesamte Straße säumte.
Dann endlich erkannte er aus der Ferne die Umrisse der Residenz der Uchiha Familie, zu der diese unbeleuchtete Straße letztlich führte.
Wohin alle seine Wege ihn führten.
Vorsichtig stieg er die wenigen Treppenstufen herauf und verharrte einen Augenblick vor der Tür, jedoch nur, um sie im nächsten Moment aufzuschieben.
Für einen Moment schien ihm der Atem stehen zu bleiben, als er den finsteren Raum vor sich sah. Sasuke blickte noch einmal über seine Schulter zurück, dann streifte er seine Schuhe ab und betrat den Wohnraum. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und er langsam die Umrisse der alten Möbelstücke und die wenigen Wandverzierungen erkennen konnte. Er schaute sich um und glaubte für einen Moment seine Mutter zu sehen, wie sie dunkelrote Christbaumkugeln an den Weihnachtsbaum hängte und wie sein Bruder ihn hochhob, sodass er den Weihnachtsstern auf die Spitze des Baumes setzen konnte. Ein flüchtiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als der eiskalte Wind ihn wieder zurück in die Realität holte.
All das war nun viele Jahre her, doch immer noch kam es ihm seltsam wirklich vor und wie jedes Mal schmerzte ihn der Gedanke, dass es tatsächlich einmal wirklich gewesen war.
Das Lächeln in seinem Gesicht gefror. Er ließ die Arme hängen, ballte seine kalten Hände zu Fäusten und biss sich auf die Zähne.
Plötzlich griff eine Hand nach seiner und hielt sie vorsichtig fest.
Sasuke schreckte leicht zusammen und schaute über seine Schulter.
Sakura sah ihn nicht an, stattdessen schaute sie sich in dem kleinen Wohnraum um.
Wie er es immer tat, wollte er ihre Hand abschütteln, doch aus irgendeinem Grund konnte er es nicht. Es war ihr Blick, der ihn gefangen hielt. Ein warmes Lächeln, frei von Verachtung und Mitleid.
Er sah sie nicht an, als er fragte: „Warum bist du hier, Sakura?“
„Weil niemand an Weihnachten alleine sein sollte, deshalb.“
Nachdenklich schweifte sein Blick durch den Raum, erst jetzt fiel ihm auf, dass er in einem warmen Licht erstrahlte, dass die kalte Finsternis vertrieben hatte. Nun drehte er sich vollständig um und betrachtete sein Gegenüber. Sakura hielt immer noch seine Hand, in der anderen hielt sie eine kleine Kerzenlaterne.
„Was macht es schon für einen Unterschied, ob jemand, der den Großteil seines Lebens allein ist, auch an Weihnachten alleine ist!?“
Die junge Kunoichi schaute ihrem Teamkameraden in die Augen und lächelte: „Einen sehr großen.“
„Tss.“, kopfschüttelnd entzog er ihr seine Hand und ging an ihr vorbei nach draußen.
Auf der Treppe des Anwesens blieb er stehen und richtete seinen Blick in den Himmel, an dem tausende kleine Lichtpunkte hingen. Die Sterne hatte er auf seinem Weg hierher gar nicht bemerkt, obwohl sie eigentlich kaum zu übersehen waren.
Sakura, die ihm langsam gefolgt war, beobachtete Sasuke immer noch mit demselben Lächeln, als ihr plötzlich ein Baum, ganz in der Nähe des Anwesens auffiel. Vorsichtig stieg sie an ihrem Teamkameraden vorbei die Treppenstufen hinunter und ging langsam auf den einzigen Baum zu, der in dieser schon lange verlassenen Gegend blühte.
Er trug weiße Blüten, mit einem leichten Hauch rosé, die sich im Wind langsam hin und herwogen. Wie ein Wunder kam es ihr vor, als sie die Blütenbläter betrachtete.
Sasuke war ihr mit den Augen gefolgt und musterte die Schneekirsche mit einem nüchternen Blick. Langsam ging er ebenfalls darauf zu, während sein Blick zu seiner Teamkameradin schweifte. Es war wirklich nicht schwer Haruno Sakura zu begeistern, dachte er sich.
„Wow, eine Schneekirsche!“, kichernd drehte sie sich um, „es ist doch einfach unglaublich, dass sie blüht, obwohl es finster und kalt ist.“
Ja, es war einfach Sakura zu begeistern, weil sie die Fähigkeit besaß, das Wunderbare in den kleinen Dingen zu sehen.
Uchiha Sasuke schaute sie noch einmal an, wie sie im Licht ihrer kleinen Laterne stand und ihm ein Lächeln schenkte, dass ihn die Finsternis, die ihn umgab, vergessen ließ.
Ein leichtes Lächeln legte sich auf sein Gesicht.
„Sie ist wie du, Sakura-chan.“
~ Es gibt viele Gründe zu sterben, aber es genügt ein einziger, um weiterzuleben. ~