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be my magician

von

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1870: Hinter den Schatten

1870

3. Hinter den Schatten
 

In einer dunklen Ecke in einem engen Raum im Nordflügel des Hauptgebäudes der RA wurde eben ein junger Zauberer unsanft aus seinem unruhigen Träumen gerissen. »Wer hat dir eigentlich erlaubt in meinem Bett zu schlafen?« fragte der andere in gewohnt unterkühltem Tonfall. »Es ist Zeit für die Ratssitzung, du solltest aufstehen.«

Zenon French setzte sich langsam auf, rieb sich das Gesicht. »Jetzt wo ich endlich mal zur Ruhe gekommen bin.«

»So ist das. Zauberer sind unbarmherzig.« Sein Freund Servas Essex hatte sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch niedergelassen. »Aber wenn du mich fragst, ist es deine eigene Schuld. Was hörst du das Ding auch so elendig laut.«

»Wenn ich das wüsste. Freiwillig hab ich mir das sicher nicht ausgesucht.« Seine dunkelgrünen Augen blickten müde durch das kleine Zimmer, das durch eine einzelne Ölleuchte auf dem Schreibtisch erhellt wurde. Die Wandseite des Bettes bedeckte ein Vorhang aus grobem Stoff, ein Fenster dahinter gab es nicht. Auf dem großen dunklen Schrank zeichneten sich die Schatten diverser Bücher ab. Die Tür lag kaum sichtbar in der nahen Wand gegenüber. Der Gang von Tür zu Schreibtisch und Bett war so schmal, dass nicht einmal zwei Personen nebeneinander Platz hatten. Aber gerade diese Enge, das hellgelbe Licht und die Schatten, die seit Jahrzehnten unberührt schienen, gaben dem Ganzen eine Sicherheit, die Zenon in seinem eigenen Zimmer oft nicht finden konnte. Dieser Raum war angefüllt mit der dichten Atmosphäre, den Gedanken und Erinnerungen, die Servas in den bald fünfzig Jahren, die er hier wohnte, angehäuft hatte, die Zenon als verlässlicher und beruhigender empfand als seine eigenen. Er seufzte und kletterte aus dem Bett. »Ist Rue eigentlich da?«

Servas folgte Zenon zur Zimmertür, vor welcher sich dieser die Schuhe anzog, für die drinnen kein Platz war. »Sicher. Alle sind da. Einschließlich Cecil. Nur bezweifle ich, dass sie ihn hineinlassen.«

»Wirklich? Cecil?« Zenon war verwundert, dass der hitzige junge Zaubererschüler an solchen Dingen Interesse zeigte.

»Liegt wohl an der Sache zwischen ihm und Harmony Snow von vor zwei Jahren «, zuckte Servas mit den Schultern. »Wer weiß, was in ihm vorgeht. Schick ihn her, wenn du ihn siehst.«

»Das werde ich.« Bereits im Gehen hielt er noch einmal inne. »Was würdest du mit dem neuen Wächter tun?«

»Huuuh …«, machte sein Freund gleichgültig. »Ich habe ja nicht das Recht, die Meinung eines wichtigen Ratsmitgliedes zu manipulieren. Und ich habe auch nicht das geringste Interesse am Holy Dark. Aber wenn du mich als Dämonenjäger fragst, sage ich, lasst ihn in Frieden. Den Dämonenprinzen als Gegner zu haben ist nicht lustig.«

»So.« Zenon fühlte sich gerade, als hätte er doch zu lang geschlafen. Es gab offensichtlich Entwicklungen, von denen er noch nichts wusste. Er nickte Servas zu und eilte durch die große Tür, die die Privaträume des Zauberers vom öffentlichen Bereich abtrennte, den weiten Gang entlang Richtung Versammlungsraum. Servas zog sich ein sein Schlafzimmer zurück und ließ sich auf dem Bett nieder. Die Decke anstarrend wusste er, dass es nur noch eine Frage der Zeit war bis zum ersten Kampf zwischen der RA und dem neuen Wächter. Zauberer waren unbarmherzig.
 

*
 

Die Stimmung in dem dunklen Raum war angespannt. Die Kerzen auf dem ovalen Tisch flackerten und spielten unruhig mit dem klaren Quellwasser in den Gläsern, die vor den neun Männern standen. Die Diskussion war bereits heftig im Gange, schließlich war das Holy Dark keine Trivialität.

»Aber du kannst es doch deutlich hören, Zenon, oder nicht? Solltest du das nicht als Zeichen verstehen, wem der Zauber wirklich bestimmt ist?« fragte Blackleath Rabenstein, der rechts von Zenon saß, grimmig.

Dieser erhob sich mit beiden Händen flach auf Tisch gestützt und funkelte den anderen ärgerlich an. »Zuerst einmal heißt es nicht Zenon, sondern Master Zenon für Sie. Behandeln Sie mich nicht mehr wie einen unmündigen Schüler. Ich bin voll ausgebildeter und anerkannter Zauberer und handele ganz nach meinem Ermessen. Wenn ich also sage, ich lehne das Holy Dark ab, dann ist das meine Entscheidung, die Sie zu akzeptieren haben, Master Blackleath.«

»Haha. Aber meinen Sie nicht, Master Zenon, dass der junge Harmony Snow ebenfalls abgelehnt hat?«

»Wenn Sie mich nur ausreden lassen würden«, entgegnete Zenon scharf. »Der einzige, der einen neuen Wächter bestimmen darf, ist der Wächter selbst. Master Vane hat sich für Harmony Snow entschieden. Jetzt ist es an dem Jungen zu entscheiden, was mit dem Holy Dark geschieht. Wenn er sich entschließt, es mir zu übertragen, werde ich es natürlich annehmen. Aber dafür müssen wir ihn fragen.« Er schickte einen letzten bösen Blick zu Master Blackleath bevor er sich wieder setzte. »Master Rue, konnten Sie bereits mit ihm über seine Pläne sprechen?«

Rue Levian nickte und faltete die Hände. »Das konnte ich. Harmony denkt keinesfalls daran, das Holy Dark abzugeben. Im Gegenteil. Er hat vor, es zu trösten.«

Ein aufgebrachtes Raunen ging durch die Runde. Erstaunte, ungläubige, empörte Gesichter. Einzig Lord Ardath blieb regungslos. »Wie bitte, Master Rue, hat er vor das zu schaffen?« fragte Jacob Ayrs skeptisch.

»Nun, wie Sie wissen, meine Herren, ist Harmony Schriftgelehrter. Er kann das Holy Dark lesen und wird früher oder später sicher auch in der Lage sein, über das Buch den Inhalt des Zaubers zu verändern.«

Master Blackleath nickte, aber sein Gesicht war voll Antipathie. »Aber wer garantiert uns, dass er nicht inzwischen andere Ideen entwickelt? Er ist jung und sein Charakter ist noch nicht geformt. In Besitz einer solchen Macht kann er leicht noch mehr verderben und sein Talent ungehörig einsetzen.«

»Das ist es also, was Sie tun würden?« grinste Rue spöttisch.

Doch der alte Rozen Meyers pflichtete Master Blackleath bei. »Zudem kommt, dass auch Master Vane die Kontrolle über den Zauber mit Gewalt an sich gerissen hat. Das bedeutet im Grunde, dass seine Auswahl überhaupt kein Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Wächters ist.« Zustimmendes Nicken der meisten anderen.

»Natürlich kann niemand wissen, wie er sich in den nächsten Jahren entwickelt, aber ich denke, dass es eher schädlich wirkt, wenn die RA ihn jetzt bedroht. Wir alle wissen, was damals mit Faron Navere geschehen ist.« Und bei diesem Satz blinzelte der junge Zauberer hinüber zu Lord Ardath.

»Oh kommen Sie, Master Rue!« Master Thureau hob die Arme. »Das ist ja nun wirklich eine Geschichte, die mit dieser nicht im Geringsten zu vergleichen ist!«

»Oh doch, das glaube ich schon«, widersprach Zenon. »Auch Harmony Snow möchte einfach nur ein guter Zauberer sein.«

»Master Zenon, Sie haben eigentlich gar nicht mehr das Recht über gute Zauberer zu reden, oder?« lächelte Blackleath selbstgefällig.

»Aha. Aber sie etwa?« entgegnete Zenon mit einem ebenso kalten Lächeln.

»Der Punkt ist doch«, unterbrach Master Jacob die beiden. »dass das Holy Dark in guten Händen ist, die es ordentlich gebrauchen. Was ich mir bei dem fünfzehnjährigen Schüler eines kriminellen Schwarzmagiers nicht vorstellen kann.«

Noch bevor Zenon oder Rue antworten konnten, erhob sich plötzlich die helle Stimme der schmalen Gestalt, welche zu Lord Ardath’s linker Seite saß und bisher nur leise und stetig geschrieben hatte. »Was verstehen Sie bitte unter gut und ordentlich?«

»Augustine!!« fuhr Blackleath Rabenstein seinen jungen Verwandten an.

Doch dieser ließ sich nicht beirren. Als Chronologist war es zwar eigentlich seine Aufgabe nur stumm aufzuzeichnen, was sich in den Kreisen der Zauberer und eventuell der Welt abspielte, seine Meinung war dabei nicht gefragt, aber wusste er durch die zwanzig Jahre, die er seinen Beruf jetzt gelernt hatte, genau, was in den Köpfen der einzelnen Anwesenden vorging. »Für Sie ist gut und ordentlich doch einzig das, was Ihnen persönlich nützt. Darin unterscheiden Sie sich nicht vom Rest der Welt. Auch wenn Sie sich Zauberer nennen. Der Grund, aus dem Sie Master Vane anfeinden und Master Juno, dem er den Zauber entwendet hat, gutheißen, ist doch, weil Juno das Holy Dark für Dinge benutzt hätte, die Ihnen letztendlich gelegen gekommen wären. Wogegen sich Aubrey Vane damit zurückzog und gar nichts tat. Ungeheuerlich nicht wahr? So viel Macht zu haben und sie nicht zu nutzen.« Er blickte säuerlich in die Runde. »Wer sagt denn überhaupt, dass die RA die einzige ordentliche und rechtmäßige Gilde ist? Warum ist das Holy Dark nur dann gut aufgehoben, wenn es in ihren Händen ist? Weil es dann in Ihren Händen liegt, so ist es doch, meine Herren, oder nicht?« Er begann ruhig sein Papier zu ordnen. »Tatsache ist aber, dass Sie mit Master Zenon als Wächter ebenso wenig Kontrolle darüber hätten wie jetzt.«

»Augustine …«, zischte Master Blackleath ein weiteres Mal. Ansonsten blieb es still. Zu entrüstet waren die Herren noch, dass der junge Chronologist es gewagt hatte, die Ratssitzung derartig zu stören und sie als Mitglieder anzugreifen. So viel Wahrheit hatte er aber auch gesprochen, die keiner offen zugeben noch abweisen mochte.

»Nun denn«, ergriff Lord Ardath schließlich gleichgültig das Wort. »Dann haben wir ja bald alle Anwesenden gehört. Fehlt nur noch Master Lirith.« Er nickte dem schlanken ruhigen Mann zu, der zwischen Master Blackleath und Master Jacob saß und dessen Anwesenheit an sich eigentlich sehr erstaunlich war, da er wie der Chronologist kein Mitspracherecht im Rat hatte. Die Wizardry, die er leitete, war fast vollkommen souverän von der RA.

Lirith May räusperte sich und richtete seine leise Stimme an Rue Levian. »Master Rue, können Sie etwas zur Beteiligung des Dämonenprinzen sagen, von welcher ich aus sicheren Quellen erfahren habe?«
 

*
 

Wenig später schlürfte Master Zenon auf einer Bank vor der Bibliothek müde an einer Tasse Earl Gray Tee, während sich über den weiten Hof geschäftig junge Zaubererschüler und die Schatten kleiner Wolken schoben, und er ihnen ab und zu zunickte, wenn sie ihn grüßten. Irgendwie hatte er das Gefühl als ginge sein Leben seit dem Tod Master Veil’s vor wenigen Jahren stetig bergab. Dann wiederum hatte er sich eigentlich niemals anders gefühlt. Aber wenigstens waren die gelegentlichen Besuche der Bibliothek mit Master Veil immer interessant gewesen und hatten ihn aufgeheitert. Ganz anders als jetzt. Überhaupt schien alles, obgleich es wie immer war, plötzlich ganz anders. Er seufzte und lehnte den Kopf an die Wand. »Es war wirklich mutig dir, den Alten mal richtig die Meinung zu sagen«, stellte er irgendwann fest.

Augustine, der neben ihm stand, nickte zaghaft. »Auch wenn es am Ende nichts gebracht hat. Aber ab und zu muss ich meinen Namen und Status doch ausnutzen.«

Jetzt schmunzelte Zenon. Die Rabensteins waren eine weit verzweigte Familie mit langer Geschichte und einer der Gründerväter der RA. Augustine war dazu noch ein junger Chronologist, der eben erst offiziell mit seiner Arbeit begonnen hatte. »Leider helfen angesichts eines Wächters, der sich mit einem Dämon verbündet, auch die vernünftigsten Begründungen nichts mehr.«

»Wird dann eigentlich Master Servas die Operation leiten?«

Zenon schüttelte den Kopf. »Nach dem, was er mir vorhin gesagt hat, hat er keine Intention gegen den Dämonenprinzen zu vorzugehen. Was ich durchaus nachvollziehen kann. Die letzten Auseinandersetzungen mit dem Dämonenkönig haben immer viele Opfer auf unseren Seiten gefordert. Die Kombination Wächter – Dämonenprinz sollte auf uns eher abschreckend wirken als einladend.«

»Das stimmt. Aber wie Sie sagten, sobald es um einen Dämon geht, vergessen die meisten Menschen ihre Vernunft. Für einen Zauberer, der sich für gut und stark hält, heißt das „Auf in den Kampf, vernichte den Dämon!“« Er seufzte und glitt die Wand hinab in die Hocke. »Ich mag es nicht Todesanzeigen zu schreiben.«

Der Ältere stimmte ihm zu. Lehnte sich zurück und blickte in den Himmel. Gerade läutete die Glocke zum Unterricht, das Gelächter der Schüler ebbte ab und auf dem leeren Hof kehrte Stille ein. Die Wolken zogen nun allein über die Steine, sie waren dichter geworden und dunkler. Ganz langsam trieben sie voran als trügen sie schwere Lasten mit sich. Einsame Geschichten, namenlose Träume. »Es regnet bald«, stellte man fest. Und wenn die Geschichten herunterfielen, wuchsen aus jedem Teil der Erde, den sie berührten, neue heran, ebenso dunkel und bekümmert, und türmten sich auf bis sie den Himmel erreichten und sich vom Wind erfasst erneut in grauen Wolken vereinten. Immer wieder. Bis endlich jemand kam und sie einsammelte. Gerade noch roch die Luft leicht und süßlich nach den ersten Blumen, die in der weiten Gartenanlage hinter dem Hauptgebäude blühten. Doch auf der anderen Seite des Haupttores der RA saß in einer Mauernische ein Junge von fast dreizehn Jahren mit weißblauem Haar, wippte mit den Beinen und knotete Grashalme aneinander. Wie die empfindliche Nadel eines Messgerätes spürte er in den Fingerspitzen bereits das Zittern der Luft durch den entfernten Regen. Er war es gewohnt inzwischen. Cecil Loco verkroch sich tiefer in das alte Gemäuer, richtete die Augen in die Ferne der grünen Hügel so weit es ging und begann auf die Geschichten dieses Tages zu lauschen.
 

*
 

Die Luft war frostig von einem Netz aus feinen Eiskristallen. Harmony sprang seitwärts, holte Schwung mit der Linken und blockte einen neuerlichen Strahl Eis mit der Rechten während über seinem Kopf die Klingen surrten und sich die Luft plötzlich rapide erwärmte. Das war sie, Master Rue’s Spezialität. Wie kein zweiter dieser Zeit beherrschte er die Elemente und zählte so trotz allem als hervorragender Weißmagier. Trotz allem, weil er das eigentlich einem groben Fehler seiner Jugend zu verdanken hatte. Weißmagie, das war Fähigkeit zur Manipulation der Umgebung, Natur, Elemente, bis hin zu den kleinsten Bestandteilen aller Dinge. Sofern man wusste, wie etwas funktionierte. Sie basierte auf Wissen. Im Gegensatz zur Schwarzmagie, die allein durch Vorstellungskraft funktionierte. Sie war um einiges mächtiger als Weißmagie, aber auch gefährlicher, da sie die eigene Lebensenergie verbrauchte und man schnell zehn Jahre altern oder gar sterben konnte, wenn man sich verrechnete. Master Rue war während seiner Ausbildung an einem solchen Zauber gescheitert. Er war zwar mit dem Leben davon gekommen, doch war seitdem die Struktur seines Körpers gestört. Seine eigentümliche Haar- und Augenfarbe kamen daher sowie die übermäßige Empfindlichkeit gegen Hitze und Kälte, nachlassende Sehkraft und schlechtere Heilung von Wunden. Kurz, er war zerbrechlicher. Doch genau diese Empfindlichkeit, die ihn unfähig machte seine Ausbildung aus Schwertschmied zu beenden oder den Anforderungen von Schwarzmagie standzuhalten, erwies sich für die Weißmagie als ungemein förderlich, da er jede Regung der Luft spüren konnte, jede Temperaturschwankung. Also hatte Rue genau das zu seinem Fachgebiet gemacht und handhabte Feuer und Eis exakt so, dass um ihn selbst herum stets eine konstante Temperatur herrschte, während sie überall anders nach seinem Belieben wechselte. Für Harmony bedeutete das, dass er magietechnisch eigentlich kaum eine Chance gegen seinen Meister hatte. Die Kontrolle des Klimas der Umgebung lag ganz bei Rue und war so umfassend, dass beinahe jeder Versuch irgendwas anderes mit den Elementen anzustellen zum Scheitern verurteilt war. Doch er hatte gelernt dem zu begegnen. Zwar hatte Master Ellary ihm bisher nur ein Minimum an Grundprinzipien der Schwarzmagie beigebracht, aber eines davon zusammen mit dem Wissen für Weißmagie hatte ihn zur Lösung geführt. Wo Luftschichten unterschiedlicher Temperatur aufeinandertrafen, entstand Wind, welcher wiederum auf die Luft wirken konnte, wenn manipuliert. Und wie die Zauberer damals, als Magie noch gesprochen worden war, ihre Stimme als Verstärker nutzten, benutzte Harmony den Wind aus sich selbst, seinen Atem, um Wind zu erzeugen, der Master Rue’s Magie entgegen wirken konnte.

Eben noch wich er geschickt einem weiteren Schwerthieb aus, dann holte er Luft, drehte seine eigene Klinge und zielte genau dorthin, wo sich heiße und kalte Luft trafen. Er kannte Master Rue’s Wind gut.

Ich kenne dich auch, dachte sich Rue und änderte flink seine Felder. Doch auch für ihn war Harmony’s Wind oft schwer vorhersehbar. Er schob es auf jugendliche Spontaneität. Nachdem die Windschneiden von vorn leicht negiert waren, spürte er trotzdem in seinem Rücken noch kleine Wirbel, die im Zusammenspiel mit der direkten Attacke des Jungen gerade schnell zum Sturm heranwachsen konnten. Er entschied sich, die Felder aufzulösen und konterte stattdessen allein mit seiner Waffe.

Die Klingen trafen aufeinander. Genau wie in der Magie hatte Harmony auch mit dem Schwert noch nie gegen seinen Meister gewonnen. Plötzlich kräuselte sich aus dem Nichts dünner schwarzer Nebel, das weiße Metall der Klinge verschwand, Harmony fiel nach vorn und rauschte nur haarscharf mit dem Gesicht an der Schneide Master Rue’s vorbei.

»Woah«, machte dieser und half seinem Schüler flink wieder auf die Beine. »Dein Dämonenschwert will immer noch nicht ganz so wie du, was?«

»Hm«, brummte der Junge und rieb sich die Stirn. Einmal mehr hatte er sich erinnert, dass auch Training schon gefährlich war. Er betrachtete missmutig den Schwertstumpf.

»Und wenn du Juval fragst, wie man es richtig benutzt?«

Er zog eine Grimasse. »Lieber nicht … Er scheint mich so schon nicht ganz ernst zu nehmen.« Er legte die Hand auf den Stumpf und entfernte beide wieder langsam voneinander als zöge er das Schwert aus der Scheide. Aus der entstehenden Distanz wuchs erneut die Klinge. Eigentlich wusste er, wie er es zu handhaben hatte. Ein Dämonenschwert war aus einem bestimmten Gefühl geschmiedet worden, einer Resolution, die ihm seine Form und seine Stärke gab. Es resonnierte mit den Emotionen seines Führers und war immer ein Spiegel seines wahren inneren Zustands, denn im Gegensatz zu Menschen waren Dämonen einfache Wesen, die nicht lügen konnten. Ein Dämonenschwert führen konnte nur derjenige, der die entsprechende Einstellung besaß. In Harmony’s Fall war das „Ich werde nicht verlieren“. Das aber umzusetzen stellte für ihn eine nicht kleine Herausforderung dar, war er bisher doch eher der Typ gewesen, der Hindernissen gerne aus dem Weg ging, statt über sie hinweg zu steigen.

Master Rue ließ sein Schwert in die Scheide gleiten und glättete seinen Mantel. »Wir sollte für heute Schluss machen.«

»Huuuh …«, machte Harmony unbegeistert.

»Ruh dich aus, solange du noch kannst«, Rue tippte ihm auf die Stirn. »Meine Intuition sagt mir, dass du deinem Schwert nur vertrauen musst. Auch wenn ihr jetzt noch Schwierigkeiten miteinander habt, wird es dich in einer kritischen Situation sicher nicht im Stich lassen, oder? Ich kenne deine Resolution zwar nicht, aber da der Prinz selbst das Schwert vorher benutzt hat, muss es doch sicher eine gute sein.«

Der Junge schaute erst ihn an, dann das Schwert in seiner Hand. Daran hatte er nicht gedacht. Juval hatte es für sich selbst geschmiedet, mit seinen eigenen Gefühlen. Das Schwert war also wie ein Teil Juval’s selbst. Wenn er ihm so vertraute wie er dem Dämon vertraute, sollte alles gut werden, oder nicht? Er nickte. »Aber es wäre mir lieber, wenn so eine kritische Situation gar nicht erst kommt.«

»Natürlich«, lächelte Rue und stieg die Kellertreppe hinauf. »Aber das wird sich wahrscheinlich nicht vermeiden lassen. Ich weiß von der RA, dass sie auf jeden Fall etwas planen. Und dann sind da noch die handvoll anderer Gilden, die an dem Zauber interessiert sind …«

Harmony schloss die Tür hinter sich ab und folgte seinem Meister durch den dunklen Korridor in die Küche. Dank des Siegels um das Haus war es bisher ruhig geblieben. Aber das konnte nicht für immer so bleiben. »Von welcher Gilde waren die beiden überhaupt? Sie haben sich nicht einmal vorgestellt. Vielleicht wäre ich viel netter zu ihnen gewesen, wenn ich gewusst hätte, wer ihr Meister sein soll.«

»Ha«, machte Rue und warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Wohl eher nicht. Ich denke, sie wussten genau, dass sie bei uns nicht mit Freundlichkeit zu rechnen haben.« Der zarte Geruch von Rosentee zog durch den Raum. »Hast du das Zeichen auf ihren Mänteln gesehen?«

Er überlegte. »Eine Sonne oder so …«

»Richtig.« Master Rue malte mit dem Finger und magischer Farbe auf den Tisch: Einen Halbkreis mit drei Dreiecken herum wie abgehende Sonnenstrahlen und im Inneren eine Sichel wie der Halbmond. »Das ist das Crest of Gotis.« Harmony’s Augen weiteten sich plötzlich. »Je später du auf ihren Meister triffst, umso besser. Jedes Wort von ihm ist gefährlich.«

Der Junge nickte. Er hatte viel über diese Gilde gehört. Ihr derzeitiger Anführer Eiru Roche war Meister der Flüche und maßgeblich beteiligt gewesen am Tod von Ellary’s Meister und dessen Tochter. Wegen ihm war … Er würde ihm nicht vergeben. Je eher er ihn traf, desto besser.

»Oi oi«, machte Rue misstrauisch, als er den Funken in Harmony’s Augen leuchten sah. »Komm nicht auf dumme Gedanken.«

»Sicher nicht.«

»Und lüg nicht!« Er verpasste ihm eine Kopfnuss. »Wirklich, du bist so anstrengend. Wer hätte gedacht, dass aus dem niedlichen kleinen Jungen mal sowas wird.«

Harmony schlürfte seinen Tee extra laut. »War das nicht von Anfang an klar? Kein normaler Vierjähriger kommt aus so einem Grund auf die Idee von zu Hause wegzulaufen. Außerdem mit Vorbildern wie euch beiden … Und überhaupt, was meinst du mit sowas?«

»Ja, wirklich. Das muss der fehlende weibliche Einfluss sein …«

»Um ehrlich zu sein, Rue«, sagte plötzlich eine grimmige Gestalt neben ihm und legte bedrohlich eine schwere Hand auf seine Schulter. »Bist du weiblicher Einfluss genug.« Besagter machte ein empörtes Gesicht, woraufhin Harmony kichern musste. »Wie erklärst du mir sonst, dass er auf einen Jungen steht?« Harmony’s Lachen erstarb. Das Gespräch nahm eine unangenehme Wendung. Rue dagegen grinste.

»Ein Dämonenkörper ist eigentlich geschlechtslos. Er könnte sich genauso gut in ein Mädchen verwandeln.«

»Das ist ja das schlimmste!! Er hat ja noch nicht mal einen menschlichen Körper!! Das Mädchen vom Lebensmittelladen hast du nie angeschaut, wieso gerade einen unmenschlichen, männlichen Dämon?!!«

Rue lachte fröhlich, Harmony wollte sich am liebsten unterm Tisch verkriechen. Es war immer furchtbar, wenn sein Meister anfing von solchen Dingen zu sprechen. »Ja … also … Es ist nicht so …«, begann er.

»Und wieso …«, unterbrach ihn Ellary dröhnend. »wieso zur Hölle wirst auch noch rot dabei?!!« Rue lag schon halb auf dem Tisch und hielt sich den Bauch vor Lachen. Es war immer furchtbar amüsant, wenn Vivyan anfing über solche Dinge zu sprechen.

»Genug jetzt!« schimpfte Harmony und stand auf. »Und Rue, hör endlich auf zu lachen!! Wirklich, ihr seid diejenigen, die anstrengend sind! Kein Wunder, dass ich „sowas“ geworden bin! Hmpf.« Er stapfte die Treppe nach oben in sein Zimmer. Dort ließ er sich erleichtert vor seinem Bett nieder und legte den Kopf auf die Matratze. Sein Meister konnte wirklich lästig sein. Als ob jetzt die Zeit wäre über solche Dinge nachzudenken. »Furchtbar …«, murmelte er und schloss die Augen, suchte etwas Ablenkung und Beruhigung in den Stimmen des Holy Dark. Selbst wenn es ihm seltsam vorkam, da er sie normalerweise als unangenehm empfand. Aber dann wiederum waren sie schon zum Alltag geworden und alles was Alltag und Routine war, bedeutete Beruhigung. Er lauschte. Irgendwo von tief drinnen drang ein Gurgeln, das er bisher noch nie gehört hatte. Auch die Stimmen selbst wurden langsam lauter. Es kam ihm vor, als hätten sie bis eben auf das gehört, was in ihm vorging, und erst jetzt, da es umgekehrt war, begannen, aktiv zu werden. »Schhh«, machte er beruhigend. »Es ist alles wie immer, oder nicht?« Doch auch ihn machten die Gurgelgeräusche unbehaglich. Er seufzte. »Sollen wir dann etwas lesen?« Er setzte sich auf sein Bett, zog das schmale Büchlein unter seinem Hemd hervor und schlug eine zufällige Seite auf. Vor einigen Tagen hatte er damit begonnen das Buch näher zu studieren um zu verstehen, was darin geschrieben stand. Was ohne Worte nicht einfach war. Aber den Zauber zu verstehen war für ihn ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu dem Ziel, das er sich gesetzt hatte, das Holy Dark zu trösten.

Unten hatten sich die beiden Zauberer inzwischen nach draußen begeben, saßen auf der Treppe und genossen die kühle Abendluft.

»Glaubst du wirklich, dass er für den Dämonenprinzen das fühlt?« fragte Rue und beobachtete die Vögel im Himmel. »Ich meine, ist es überhaupt möglich sich in einen Dämon zu verlieben?«

Ellary brummte. »Als ob ich das wüsste …«

»Du hast im Gegensatz zu mir immerhin einige getroffen, sogar den König persönlich …« Rue stoppte. Es war nur eine kleine Reaktion von Ellary’s Seite, aber er wusste dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Ellary hatte eine schwierige Vergangenheit und der Tag, an dem er dem Dämonenkönig begegnet war, war definitiv der schlimmste gewesen. Auch wenn die Hauptakteure damals zwei andere gewesen waren. »Wirst du ihm Shai noch vorstellen? Du weißt, dass uns so oder so nicht mehr viel Zeit bleibt. Mir hast du ja nie verraten, wo du sie versteckt hast, aber du wirst sie sicher nicht allein zurücklassen, oder?« Der andere schwieg. »Hättest du übrigens schon längst mal machen können.«

Ellary zog eine Grimasse. »Sprich nicht so leichtfertig über sie.«

»Oho~«, neckte ihn Rue. »Nein im Ernst, das ist es doch, woran du gedacht hast, als du ihn als Schüler aufgenommen hast. Dass er ihren Fluch überschreiben kann?«

Der alte Zauberer in seinem alten verblichenen Mantel schüttelte den Kopf. »Das kann er nicht. So wie er jetzt ist, kann er das nicht. Das ist mir schon lange klar. Was das Holy Dark daran ändert, weiß ich noch nicht. Aber wenigstens wird sie in den Händen des Wächters in guten Händen sein. Also lass uns dafür sorgen, dass er lange genug lebt, um ein guter Wächter zu werden.« Er erhob sich und wollte gerade wieder in die Küche treten als er Rue’s Ausdruck bemerkte.

»Ein Gewitter zieht auf. Mein Siegel wird nicht halten.«
 

*
 

Harmony starrte an die Kante zwischen Wand und Decke. Auf seinem Schoß lag das aufgeschlagene Buch, die Seiten waren leer. Es stand nichts darin geschrieben und doch, gab es so viel zu lesen. Was sollen wir lesen, fragte er sich? Was wollt ihr hören? In dieser Seite stand so viel, was er in dem Gewirr aus unzähligen Stimmen und Geschichten nicht ausfindig machen konnte, soviel was er nicht verstand. Aber da war etwas, was alle umhüllte, was sie gemeinsam zu haben schienen. Er schloss die Augen und suchte in sich selbst nach einem Gefühl, was diesem ähnelte. Eine Geschichte, die so ähnlich klang, die er in Worte fassen konnte. Nicht gerade wie die Kante der Wand, eher ellipsenförmig. Leise ein bisschen, aber an manchen Stellen laut. Aufgebracht manchmal, aber sanft. Kühl wie Sand in der Nacht. Sand, der aus vielen feinen Kügelchen besteht, die sich an die Füße schmiegen, bei jedem Schritt knirschen und manchmal vom Wind fortgeweht werden. Sie wird wahrscheinlich dort sein. In ihrer Stube mit den rotgrünen Möbeln. Sie wird vielleicht Handarbeiten machen. Weil sie mit ihren schlechten Augen nichts anderes mehr machen kann. Der dunkelgrüne Vorhang ist schwer und riecht nach Staub und im Kamin liegt noch die letzte kalte Asche vom Winter. So wird es sein, aber … ich möchte sie trotzdem mit meinen eigenen Augen sehen. Sie sehen und sie umarmen und ihr sagen „Es ist alles gut, Mama, dein Sohn ist jetzt ein richtiger Zauberer.“ Aber das ist nicht etwas, das ich tun kann. Ich habe zu viel Angst davor, was sie antworten könnte. Mein Sohn ist vor elf Jahren gestorben. Wenn du Zauberer bist, wieso kannst mir mein Augenlicht nicht zurückgeben? Du hast deinen Vater dafür gehasst, wieso macht du dasselbe wie er? Mich kümmert nicht, ob du Zauberer bist oder nicht, ich wollte nur, dass du bei mir bist … Oder … gar nichts. Das ist nicht etwas, das ich tun kann. Ich würde weinen. Ich wäre nicht in der Lage sie noch einmal zu verlassen. Ich wünsche mir, dass sie einsam ist ohne mich. Ich wünsche mir, dass sie nicht einsam ist. Ich frage mich, ob der alte Mann mit der Katze immer noch in dem Haus auf der Klippe wohnt. Ich frage mich, ob er die Fische sehen konnte. Ich frage mich, ob er traurig war, als sie starben. Ich frage mich, ob er vielleicht noch immer darauf wartet, dass sie wieder fliegen. Ich warte noch immer …

Er öffnete die Augen. Es war ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust. Eine leere Seite. Aber er hatte das Gefühl, er verstand etwas, was in ihr geschrieben stand. Soviel wie er mit seinem jungen Herzen verstehen konnte. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus. Das Gurgeln war geblieben. Und es fühlte sich seltsam an. Wie der aufrollende Lärm bevor eine Panik losbrach. »Was bist du nur?« fragte er und rieb sich das Gesicht, als plötzlich die Tür aufflog und Master Ellary hereinstürmte.

»Harmony! Zieh dich an, wir müssen gehen.«

»Was? Wieso?« Der Junge schlüpfte verwirrt in seine Schuhe und warf seinen Mantel um.

»Sie kommen heute Nacht. Rue’s Siegel ist im Begriff zu …«

In diesem Moment krachte der erste Donner. Harmony riss die Augen auf. Auf einmal war ihm klar, was er vorher gehört hatte. Und auch dass Master Rue’s Siegel nicht halten würde. Es war so stark, weil es die Energieflüsse der Umgebung nutzte. Langsame Wechsel konnte es vertragen, aber nicht etwas Abruptes wie ein Gewitter mit Wind und Regen und elektrischen Entladungen. Er beeilte sich das Buch sicher unter seinen Sachen zu verstauen und schnallte sich sein Schwert an den Gürtel.

Ellary zuckte zusammen. Gerade hatten sie sein eigenes Siegel durchbrochen und schon im nächsten Augenblick hörte man Stimmen vor dem Haus. »Schnell!« zischte er.

»Was ist mit Rue?«

»Rue ist immer noch Mitglied des Rats, sie können ihn nicht einfach so umbringen.« Mit diesem Satz legte er den Arm um seinen Schüler und teleportierte beide aus dem Haus. Harmony war von der Wortwahl überhaupt nicht angetan. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er auch gegen die RA sein Leben verteidigen musste. Die Zauberer der RA durften nicht töten.

Sie landeten auf einem Grasfeld. Der Regen war hier bereits vorüber gezogen und aus dem feuchten Gras stieg weißer Nebel auf, der im Mondlicht leuchtete. Es war totenstill. »Wo sind wir hier?« fragte Harmony angespannt.

»Ich wollte, dass du wenigstens einmal hier warst. Vergiss diesen Ort nie. Vergiss sie nie.«

Sie? wunderte er sich, doch sein Meister hatte ihn schon wieder gepackt und das Gras und der Mond waren verschwunden. Stattdessen füllte sich der Himmel wieder mit Wolken und in der Ferne erklang das Donnergrollen.

»Wo wir auch hingehen, solange du das Holy Dark bei dir hast, werden sie uns überall finden. Wir haben also keine andere Wahl als uns ihnen zu stellen, aber …« Ellary schaute seinen Schüler eindringlich an. »Versuche nicht, gegen sie zu kämpfen. Kein Schwert, keine Magie. Gib ihnen keinen Grund dich als Gefahr zu sehen.«

Harmony nickte langsam während sein Blick von seinem Meister hinüber zu der Gestalt glitt, die sich hinter diesem näherte. Ein zweifarbiger Mantel, ein breiter Gürtel und ein schweres Schwert sowie ein Schal von der Art wie ihn auch Master Rue besaß, wie ihn jeder Inhaber eines offiziellen Amtes der RA trug. Die Stickerei zeigte eine schemenhafte schwarze Katze.

»Keine Gefahr«, echote Blackleath Rabenstein. »Dafür ist es leider zu spät. Wenn sich der Wächter des Holy Dark mit dem Dämonenprinzen verbündet, ist das natürlich eine Gefahr für die Menschheit.«

Seine Art zu sprechen widerte Harmony vom Grund seines Seins aus an. Was für eine Dunkelheit musste dieser Mann in sich tragen. Was für ein Zauberer konnte er sein? Er schüttelte sich und antwortete trotzig. »Juval hat nichts damit zu tun.« Doch Master Ellary schnippte ihm ins Gesicht und verbot ihm den Mund.

»Wenn das hier so sehr über Dämonen ist, warum stehen Sie dann vor uns und nicht Servas Essex und seine Elitetruppe von Dämonenjägern? Der Dämonenjunge ist doch nur ein glücklicher Zufall, ein willkommener Vorwand für euch, das Holy Dark zu „retten“.«

Blackleath schüttelte lächelnd den Kopf und trat näher. Weiter hinten zeichneten sich nach und nach immer mehr Schatten weiterer Personen ab. »Vielleicht ist es so, vielleicht ist es nicht. Wer weiß das schon. Ich bin nur hier um die Mission zu erfüllen, die mir vom Rat aufgetragen wurde. Ich frage dich hiermit, Harmony Snow, Sohn eines unbekannten Zauberers, Schüler von Ellary Mare, Wächter des Holy Dark. Wirst du den Zauber freiwillig abgeben und der RA, respektive Zenon French, überlassen?«

Harmony kniff die Augen zusammen. Er war verärgert. Die ordentliche Anrede samt Vater und Meister hörte sich einfach mies an. »Werde ich nicht«, antwortete er. »Oder sollte ich sagen: Ich, Harmony Snow, Sohn eines unbekannten Zauberers, Schüler eines kriminellen Zauberers, Freund des Dämonenprinzen, würde eher sterben als der RA irgendetwas zu überlassen?«

Sein Meister schnippte ihn erneut und schob ihn hinter sich. »Er hat bisweilen ein loses Mundwerk, aber die Welt in Unglück zu stürzen gehört sicher nicht zu seinen Plänen. Wenn Sie uns also einfach in Ruhe lassen …«

Doch Master Blackleath machte keine Anstalten dergleichen. Stattdessen zog er sein Schwert aus der Scheide. »Warum sind Sie überhaupt weggelaufen, frage ich mich dann. Und wie ich bereits sagte, ich habe meine Mission und mag meine Kollegen nicht enttäuschen. Wenn du meinst, was du sagtest, Harmony Snow, und das solltest du als Zauberer, dann stirb hier und jetzt!« Er sprang auf die beiden und schwang sein Schwert. Aber Ellary stieß seinen Schüler augenblicklich zur Seite, zog sein eigenes Schwert und dicker Nebel begann aufzuschäumen. »Wie richtige Zauberer«, hörte Harmony seinen Meister noch lachen. »Das hab ich beinahe vermisst!« Er konnte sie nicht mehr sehen. Nur das Aufeinandertreffen der Klingen und ihre Schritte waren zu hören. Und ihr Wind, den er deutlich spürte und der ihm ungefähr verriet, was vorging. Der Nebel musste Blackleath’s Werk sein, um ihn vielleicht irgendwann aus dem Hinterhalt zu überfallen. Zudem war da noch eine Horde Untergebene, die was auch immer taten. Auch wenn er sich schlecht dabei fühlte, seinen Meister zurückzulassen, helfen konnte er ihm im Moment wahrscheinlich doch nicht. Einmal wollte er auf ihn hören. Wenn er sie nicht sah, dann sahen ihn die anderen vielleicht auch nicht und er hatte eine Chance sich ein Versteck zu suchen. Solange bis … ja, wie lange eigentlich? Was war notwendig um diese alberne Auseinandersetzung zu beenden?

Er rannte. Die feuchte Erde machte es ihm nicht einfach, aber er vertraute seinen Füßen. Von hinten drangen stetig Geräusche und Wind zu ihm heran. Der Nebel pulsierte von Magie. Seit jenem Tag, als Ellary in die Ewige Bibliothek eingebrochen um sie zurückzuholen, hatte er sein Leben als Schwarzmagier verwirkt, zuviel Kraft hatte es ihn gekostet. Er würde der Magie von Master Blackleath nicht standhalten können. Sein Siegel war schon so leicht zu brechen gewesen. Er würde nicht … und wenn doch … Und sie … Harmony stolperte und fiel. Und das nicht nur, weil ihm von vorne die Wärme fremder Körper entgegenströmte. Er entwand sich den Händen, die versuchten ihn zu greifen. »Meister!!« brüllte er. »Meister!!« Warum? Warum?! Das Kribbeln in den Fingerspitzen und die Hände und Magie, die ihn festhielten und auf den Boden drückten. Ganz deutlich spürte er den rauen Atem seines Meisters und seine Worte für ihn. Die Stimme, die ihn fragte, aber war eine andere. »Soll ich sie essen?« »Nein! Nein!!« rief er verzweifelt. Wenn du das tust, dann … »Dann stirbt er.« Harmony krümmte sich und schloss die Augen. Eine Feuerwalze fegte über ihn hinweg, fraß den Nebel auf. Stimmen schrien durcheinander, die Hände ließen von ihm ab um sich selbst vor den Flammen zu schützen. Der Junge fühlte die Hitze nicht. Es war warm. Angenehm warm, wie zuhause, wenn er sich im Winter vor dem Kamin in die Schafsdecke gekuschelt hatte und den Gesprächen seiner Meister lauschte … Er erhob sich. Das Feuer war erloschen und Asche schwebte langsam durch die Luft. Die Wolken am Himmel waren verschwunden und aus der unendlichen Dunkelheit des Universums leuchteten Millionen Sterne. Die auf dem Feld kauernden Zauberer kamen langsam wieder zu Sinnen. Irgendwo darin stand Master Blackleath Rabenstein. Mit Verbrennungen und Schnittwunden, aber eindeutig lebendig. Von Ellary Mare dagegen war keine Spur.

Harmony richtete seine tiefblauen Augen fest auf die Gestalt Blackleath’s und stapfte über die versengte Erde auf ihn zu.

»Nur falls du denkst, vielleicht ist er nicht tot, vielleicht ist er noch irgendwo hier, er ist es nicht. Dein Meister hat seine letzte Kraft aufgebracht, um … was weiß ich anzustellen. Uns zu töten vielleicht? Dich zu beschützen? Keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hat, es war völlig unnütz.« Blackleath lachte, doch etwas in der Erscheinung des Jungen ließ ihn schaudern. »Übergibst du mir jetzt das Holy Dark, Wächter?« Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander.

»Er mag weg sein, aber ich bin noch da«, antwortete Harmony kühl. Er hasste es. Wie es seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden immer nur darum ging. Wer war stärker, wer hatte mehr Macht, mehr Geld, mehr Kühe … Andere für die eigenen Zwecke ausnutzen ohne Rücksicht. Wie Zauberer auch nach Jahrtausenden keine bessere Lösung wussten, ihre Probleme zu lösen. »Ich brauche weder Schwert noch Magie.« Auch das Holy Dark hatte Lebendiges in sich, auf das man acht geben sollte. Er ballte die Fäuste, machte einen Satz und schlug dem anderen mit aller Kraft ins Gesicht. »Ich werde sie nicht euch überlassen.«

Master Blackleath fiel auf die Knie vor Schmerzen. Der vorangegangene Kampf hatte doch seine Spuren hinterlassen. Blut tropfte auf die schwarzen Schuhe des Zaubererschülers. Wind verwehe seine Haare. Der Zauberer der RA fühlte die eigenartige Sensation des nahen Todes. Wie sein Herz mit aller Macht versuchte zu leben und stattdessen das Gegenteil erreichte und das Blut stetig aus den Wunden herauspresste. Wie aufregend. Das hatte er schon so lange nicht mehr empfunden. Er atmete tief durch und richtete sich wieder auf. Doch da wurde Harmony von hinten am Arm gepackt und weggerissen. Es war Rue, der nun an seiner Stelle vor dem Zauberer stand und ihn böse anblickte.

»Es ist vorbei, Master Blackleath«, sagte er. »Jacob und Williams sind bereits zurückgekehrt. Nehmen Sie Ihre Handlanger und verschwinden Sie auch. Für heute haben Sie genug angerichtet.«

»Ich bin so nah dran, das Holy Dark in meine Hände zu kriegen. Wäre es nicht töricht, jetzt umzukehren?« antwortete dieser herausfordernd.

»Ihre Hände …«, entgegnete Rue ruhig, griff flink nach besagten und mit einem hässlichen Krachen verdrehten sich Blackleath’s Finger in alle Richtungen, dass sogar Juval einen Moment große Augen machte. »Welche Hände?« Rue Levian wandte sich um, zog seinen Schüler hinter sich er, welcher den anderen immer noch anstarrte, bis er und Rue sich ein paar Schritte weiter in Luft auflösten.

Nur kurz herrschte noch Stille, dann eilten die auf dem Feld verstreuten Zauberer zu ihrem Meister. Der stand noch wie gelähmt, vor ihm blutverkrustete Erde. Er hatte längst aufgegeben den Schmerz zu fühlen, die Aufregung war gewichen. Ruhig erteilte er seine Befehle. Die Verletzten wurden zusammengetragen und nicht lange danach kehrten auch die Zauberer der RA dem Feld den Rücken und verschwanden. Zurück blieb nur der Dämonenprinz, unsichtbar für Menschenaugen, pflückte, was noch übrig war, und fütterte seine Kleinen damit. Zauberer, so hatte er festgestellt, waren unbarmherzig.
 

*
 

Endlich zuhause ließ sich Harmony auf sein Bett fallen und erwartete schon den üblichen Geräuschschwall, der aufkam, sobald er seine Augen schloss. Stattdessen blieben die Stimmen leise und nur eine einzelne hob sich deutlich hervor. Der Junge riss erschreckt die Augen wieder auf und blickte sich um. Das Zimmer hatte sich nicht verändert. Dann lauschte er erneut. Versucht ihr mich aufzuheitern, fragte er das Holy Dark und lächelte traurig. Wie oft hatte er vergeblich versucht, sich an diese Stimme zu erinnern … Er zog die Decke bis zur Nasenspitze, vergrub sein Gesicht im Kissen und schlief das erste Mal seit langem ohne die Hilfe des Dämonenprinzen einen alptraumlosen Schlaf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kazu-chanX
2009-09-04T14:06:08+00:00 04.09.2009 16:06
Die Kapitel werden immer besser, bin gespannt, wies weitergeht. :)
Obwohl ich zugeben musst, dass es iwie immermehr Namen werden und man langsam wirklich überfordert ist... ich zumindest.O.O Nja,ich versuche mitzukommen.
Ich fand Ellarys Tod jetzt schon so etwas undramatisch. Also, es muss ja nicht kitschig werden, aber das war so... "Er ist tot??? Ah, das wars jetzt also..." Hm... Aber ich liebe deine Geschichte trotzdem!^^
Du hast eine unglaubliche Fantasie. Irgendwie wirkt alles so logisch, als gäbe es diese Welt wirklich. :D
Was ich nicht verstehe... Zauberer werden also älter als normale Menschen... aber Harmony ist wirklich erst 15, Cecil ist... 13? *nicht mehr sicher* Und Zenon und Servas sind... 70 oder so? Ich dachte, die wären im gleichen Alter. Da war ich irritiert.
Von:  mikar
2009-04-20T17:32:01+00:00 20.04.2009 19:32
Gut, ich hatte ja wohl echt ein Brett vorm Kopf. Vor den Kapiteln stehen ja Jahreszahlen >.<
Also gut, Kapitel 1 spielt vor dem hier, ich habs gesehen xD
Von:  mikar
2009-04-20T17:27:00+00:00 20.04.2009 19:27
Ui, es geht weiter *-*
Das hab ich ja völlig verpasst. Das Kapitel ist wieder einmal richtig tollig. Wenn auch am Ende ziemlich traurig...
Hm, also am Anfang gefällt mir die Beschreibung des Zimmers von Servas, besonders die Atmosphäre. Du schaffst es, sogar durch das Zimmer etwas über die Beziehung der beiden zueinander zu verraten (Zenon fühl sich in dem Zimmer mit Servas Gedanken wohler als in seinem Zimmer mit seinen Gedanken). Das finde ich bemerkenswert.

An der Ratssitzung mag ich die Diskussionen bzw. Streitgespräche, vor allem zwischen Zenon und Blackleath. Die beiden scheinen sich ja mal gar nicht ausstehen zu können. Aber der Knaller ist natürlich Augustine Rabenstein. Fast nicht zu glauben, dass er mit Blackleath verwandt ist... Vor allem das "Ungeheuerlich, nicht wahr? So viel Macht zu haben und sie nicht zu nutzen." hat mich nachdenklich gemacht.. Wohlmöglich ist es besser, diese Macht gar nicht zu benutzen, als in Gefahr zu laufen, sie zu missbrauchen...

Interessant ist, dass Cecil den Regen spüren kann. Mit dem Regen scheint er ja eh eine Art besondere Verbindung zu haben, wo doch die Wolken ihm Geschichten erzählen. Und sitzt er immer bei Regen in dieser einen Niesche? Im ersten Kapitel macht er das ja auch... Jetzt frag ich mich allerdings, ob dieses Kapitel vor oder nach dem ersten spielt, weil er hier ja noch recht jung zu sein scheint, während er im ersten Kapitel ein wenig älter zu sein scheint...

Traurig machen mich Harmonys Gedanken an seine Mutter... Dabei schaffst du es aber echt gut, seine Hintergrundgeschichte in Verbindung mit dem Holy Dark zu bringen. Aber am traurigsten finde ich das Ende, gerade weil das nicht von dieser typischen Kitsch-Traurigkeit strotzt, sondern irgendwie ruhig ist.


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