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Herren der Winde

von

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Wüstennacht

Es war kalt.
 

Obwohl die Sonne wie jeden Tag erbarmungslos auf die Sande der Ewigen Wüste geschienen hatte, begann es nach Einbruch der Dunkelheit eindeutig abzukühlen, und ein kalter Wind strich über die Häuser, die sich flach an die Erde duckten.

Wolkenlose, heiße Tage brachten wolkenlose, kalte Nächte.

Jeder Stern am Himmel war kristallklar zu sehen, und hell stand die Mondsichel des verschwindenden Mondes über den Dünen. In der Ferne rief ein Steinfuchs seine Jungen.
 

Es war kalt.
 

Dunkelheit hatte sich wie Watte über die Häuser gelegt, so samtig und vollkommen, dass sich Viele nicht trauten, die kleine Laterne vor den Haustüren anzuzünden. Diese kleine Insel aus purem Licht hätte die Dunkelheit nur noch bedrohlicher erscheinen lassen.

Dennoch leuchteten stumme, trotzige Lichter auf dem großen Platz in der Mitte der Stadt. Die weißgekleideten Menschen um sie herum bewegten sich langsam, leise und sparsam, sie stachen aus der Nacht hervor wie weiße Fische in einem Nachtschwarzen See. Hier und dort zogen einige Frauen ihre Kleider enger um sich.
 

Es war kalt.
 

Es wurde Nacht.
 

Medusa Rah-Xjunta bemerkte die Kälte nicht.

Stumm und starr stand sie da, die Hände in die Ärmel ihres weißen Kleides geschoben. Fest umklammerten ihre beiden Hände die Ellenbogen, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Ihr Blick war momentan auf den Scheiterhaufen vor ihr gerichtet.

Es war schon merkwürdig, wie viele Menschen doch noch gekommen waren, um Abschied vom verstorbenen Rah-Ten zu nehmen. War es Respekt? Schadenfreude? Medusa wusste es nicht, und es interessierte sie auch nicht.

Medusa biss sich auf die Lippen, bis es schmerzte. Der Ausdruck in ihren Augen war klar und hart.

Sie wusste, worüber die Frauen auf der anderen Seite des Holzstoßes sich das Maul zerrissen. Warum sie wohl nicht weinte?

Immerhin handelte es sich bei der Person, die heute bestattet wurde, um ihren Vater.

Aber die Prinzessin wusste genau, dass dies hier nicht mehr ihr Vater gewesen war. Sie konnte nicht um diesen Fremden weinen, zu dem ihr Vater geworden war, nachdem ihre Mutter gestorben war, und sie würde es nicht tun. Die Figur auf dem Scheiterhaufen ähnelte weder charakterlich noch äußerlich ihrem Vater.

Sie hatte den zerschmetterten Körper gesehen, obwohl Zirkon sie hatte davon abhalten wollen, und sie hatte den Mann gekannt. Die im Tod geöffneten Augen, sie irgendwie friedlich wirkten, als hätte der Rah-Ten endlich die Person gesehen, der sein Herz immer gehört hatte. Die Glieder zerschmettert und verdreht.

Das war nicht ihr Vater gewesen.
 

Kein Grund zum Weinen.
 

Langsam, fast widerwillig, löste sie ihren Blick vom Podest und liess ihn über die Menge schweifen.
 

Spinell stand im Schatten einer Säule unter den Arkaden und beobachtete Anthrazit Vega-Ban, wie immer, ohne es selbst zu bemerken. Was für ein Graben wohl zwischen diesen Männern existieren mochte, die sich doch so ähnlich waren?

Anthrazit war ein guter Mann und ein begnadeter Politiker. Er würde eine gute Ergänzung für den Rat sein. Er hatte sogar schon damit begonnen, das allgemeine Chaos, welches nach dem Tod des Herrschers entstanden war, halbwegs wieder auszusortieren. Dabei hatten ihm Malachit Spica-Ban und Aventurin D’un Jatcha sehr geholfen... Die Drei waren ein perfektes Team, auch wenn sie sich die ganze Zeit nur in den Haaren lagen.

Jedyt Sirius-Ban und Serpentin Orion-Ban konnte sie nirgendwo entdecken. Vermutlich waren diese bereits zu Hause und organisierten eine Wahlkampagne für ihre Wahl zum Ratsmitglied.

Medusa machte sich da keine Illusionen. Sie würden mit Sicherheit nicht gewählt werden, dafür hätte sie eine Heuschrecke gegen ein Pferd gewettet. Aber durch solche Geld- und Machtorientierten Leute im Staat merkte man erst, was man an den anderen Menschen hatte.
 

Ihr Blick wanderte hinüber zu Pyroxen, der mit einer jungen Frau auf einer niedrigen Steinmauer saß. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er lachte leise auf und sah sie an.

Ob das seine Schwester war, oder seine Cousine, oder gar Verlobte? Oder einfach eine Zufallsbekanntschaft? Sie wusste es nicht.

Aber Medusa wusste, dass Pyroxen in Zukunft besonders im exekutiven Bereich ihrer neuen Demokratie arbeiten würde. Dafür war er wie geschaffen...

Die vier älteren Ladys auf der anderen Seite des Feuers musterten sie stirnrunzelnd, und sie schenkte ihnen ein zuckersüßes Lächeln. Es erfüllte sie mit Genugtuung, zu sehen, wie sie sich verlegen abwandten und ihr den Rücken zudrehten. Palasttratsch war ärger als ein Bürgerkrieg, dachte sie. Deshalb bevorzugte sie die Gesellschaft der einfacheren Leute so sehr. Gemeines Volk konnte noch so verfeindet sein, schlechte Dinge über den Feind zu verbreiten war jedoch allerunterste Stufe.
 

Mit hochgezogenen Brauen registrierte sie das Ankommen einer Person, die sie schon vermisst hatte, und ihr Herz wurde leichter. Zirkon schritt über den Vorplatz, ein Mädchen im Schlepptau... Welches die selbe Augen- und Haarfarbe, das selbe Gesicht und den selben Gang hatte wie er.
 

Das musste wohl seine Zwillingsschwester sein.
 

Ängstlich hielt sie sich einen Schritt hinter Zirkon, ihre Hände vor sich gefaltet und verkrampft. Anscheinend fühlte sie sich genauso fehl am Platz wie Medusa dies empfand, sie nahm sich vor, nachher noch einmal mit ihr zu sprechen.

Zielstrebig steuerte Zirkon auf Kameen zu, der an einer Säule lehnte und gedankenverloren in den Himmel starrte. Medusa hatte gelernt, ihn sehr zu schätzen. Hinter seiner schweigsamen Fassade verbarg sich ein Geist erster Klasse, der Klugheit, Schweigsamkeit und sein Wissen gekonnt einsetzte. Kameen würde noch einmal unverzichtbar für den Rat werden, dessen war sie sich sicher.
 

Unverzichtbar für Xjunta.
 

Als Zirkon direkt vor ihm stand und ihn ansprach, zuckte er zusammen und Medusa konnte förmlich den Knall hören, mit dem er wieder in der Realität landete. Medusa grinste. Wo er nun wieder gewesen war?

Aber als Kameen das Mädchen sah, hellte sich sein Gesicht sofort auf. Zirkon schob das Mädchen vor, und sie wagte kaum, aufzusehen, aber als sie merkte, dass auch Kameen lächelte, erblühte ein Lächeln auf ihrem Gesicht – schön wie eine Rose. Medusa hielt den Atem an. Welchen Effekt dieses Lächeln wohl auf Kameen haben würde?

Sie grinste in sich hinein, dankbar für die Ablenkung, und wandte ihr Gesicht wieder dem Scheiterhaufen zu.

Er wurde nun entzündet.

Lodernd fraßen sich die Flammen an dem trockenen Holz empor, der typische Geruch von Zandyir-Holz lag in der Luft. Die Gespräche versiegten, als alle dem Feuer ihr Gesicht zuwandten.

Kameen und Spinell und ihre Väter verbeugten sich ehrerbietig. Pyroxen wandte sich nur ab.
 

Keinen Respekt für den Tyrannen.
 

Medusa konnte ihn verstehen.

Ohne zu blinzeln starrte sie in den Flammen, bis ihre Augen tränten. Obwohl sie diesem... Mann... Im Feuer nicht nachtrauerte, da sie ihn nie gekannt hatte, legte sich ein eiserner Ring um ihr Herz, hinderte sie am atmen und am lachen. Medusa ballte die Faust, die andere Hand legte sie sich auf ihr Herz. Es tat so weh...

Das war nicht ihr Vater. Dies hier nicht. Aber das Wissen, dass es einstmals ihr Vater gewesen war, schmerzte fürchterlich.

Sie schloss die Augen, um das Gesicht auszublenden, welches vor ihren Augen hing.
 

„Geht es euch nicht gut, Prinzessin?“
 

Eine Stimme sprach sie an, eine Stimme, die sie unter Tausenden wiedererkannt hätte.

Zirkon stand vor ihr und sah sie aus besorgten Augen aus an, seine blonden Haare glänzten im Feuerschein.
 

„Ich bin müde, Zirkon“, sagte sie mit leiser Stimme und drehte ihm den Rücken zu. „Ich werde dir nicht noch einmal sagen, dass du aufhören sollst, mich Prinzessin zu nennen. Verstanden?“
 

Sein Grinsen war fühlbar. „Wie ihr befehlt, Prinzessin.“
 

Sie lächelte zurück und spürte, wie sie anfing zu weinen. Die Kälte, die Dunkelheit und nun seine freundliche Stimme und sein unwiderstehliches Grinsen... Dies alles wirkte von allen Seiten auf sie ein. Sollte sie lachen? Oder emotionslos bleiben? Wie fühlte sie sich überhaupt? Am Liebsten hätte sie geweint, aber hier in der Öffentlichkeit wollte sie sich keine Blöße geben. Trotzdem spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Schnell wischte sie diese weg.

„Schau nicht hin“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Ich will nicht, dass du...“
 

Vorsichtig nahm Zirkon ihre Hand in seine und wischte mit der anderen Hand liebevoll eine Träne weg. Die nächste liess er laufen. Die Übernächste auch.

Stattdessen zog er sie an sich und legte die Arme sacht um sie, und Medusa klammerte sich an ihn, als wäre er der letzte und einzige Ankerpunkt in dieser Welt für sie, während auf dem Scheiterhaufen langsam die Überreste ihres Vaters, den sie so sehr geliebt hatte, verbrannten.

Sie hatte ihn selbst dann noch geliebt, als er herrschsüchtig und wahnsinnig wurde.

Langsam verbrannte Osidian D‘u Tral zu Asche und Staub, der im Nachtwind verstreut herumwirbelte, bevor er in die Weiten der Wüste verschwand.
 

Das Feuer erwärmte die kalte Wüstennacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2013-02-05T02:47:40+00:00 05.02.2013 03:47
so... es hat ein wenig gedauert... aber ich habe nun doch alles gelesen und ich muss sagen.... ich bin froh das du diese geschichte nicht gelöscht hast! du hattest da so eine andeutung in einem kapitel. denn wenn du sie gelöscht hättest, hätte ich sie nun nicht mehr lesen können, und mich von den worten so weit fort tragen lassen können.
ich muss sagen, deine art dinge zu beschreiben und ins geschehen ein zu binden, gefällt mir ganz gut. es ist eine ruhige art und dennoch ist spannung drin, die so schnell auf einem übergreift, das ich an manchen momenten das gefühl hatte, es würde alles zu schnell gehen. dabei ist das geschehen einfach nur so schnell, das man es gar nicht langsammer lesen konnte. (gott... ich hoffe das war jetzt irgendwie verständlich ausgedrückt)
der konflikt war jedenfalls gut dargestellt und auch ausgearbeitet, bei ein paar punkten hätte ich mir persönlich zwar noch mehr gewünscht, aber das liegt wohl einfach daran, das ich immer nicht aufhören kann zu lesen, wenn ich dann angefangen habe :-D
die dialoge haben mir auch gut gefallen, sie wirkten sehr lebendig und nicht irgendwie aufgesetzt. wie die einzelnen charaktere agieren und denken war auch sehr passend geschrieben.
was mich gestört hat waren manchmal diese falshbacks, also das flashback selbst nicht, das fand ich passend und erklärte vieles auch einfach noch mal, aber ich hätte da nicht hin geschrieben das es ein flashback ist, sondern es vielleicht einfach umschrieben, das man sich halt gerade an diese situationen erinnert, oder ähnliches. also einfach das wort 'flashback' streichen und eben die erinnerung (letztendlich ist es ja eine) einfach ins gesammt geschehen eingearbeitet. so wirkte es irgendwie abgehackt beim lesen. aber das ist nur meine persönliche meinung, und sollte jeder handhaben wie er es mag :-)
zum verlauf selbst, ich finde schon, das es wirklich sehr flüssig war. die handlungsstränge waren logisch erzählt. es gab ein flut zum lesen, wurde davon aber nicht erschlagen, sondern einfach sanft mit genommen, so das man einfach nicht aufhören konnte zu lesen.
ich finde es zwar schon ein bisschen schade, das es schon vorbei ist. aber es hat sich gelohnt, ich hatte meinen spaß beim lesen :-)
und mir gefällt deine einstellung, etwas zu ende zu bringen, was man angefangen hat :-)
du hast jetzt zwar nur einen kommi mehr.... aber vielleicht verirrt sich der ein oder andere noch hier her und lässt auch noch ein paar worte da :-) verdient hättest du es auf jeden fall :-)


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