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The Hellman

The new Messiah
von

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Das Schweinchen

„Ich will nicht“, murmelte Joshua, als Angela ihm die Hundeleine in die Hand drückte. Sie hörte ihn trotz leiser Stimme.

„Du musst aber.“

„Der Köter mag mich nicht.“ Er schaute auf den Blindenlabrador, der die Zähne fletschte. Wahrscheinlich dachte er dasselbe, wie Joshua. Wenn Angela den Unmut beider sähe, würde sie ihr Vorhaben zurückziehen.

„Einmal“, stöhnte sie, „einmal, wenn mein Hausarzt vorbeischaut, kannst du doch so lieb sein und mit Clover gassigehen. Entgegen deiner Versprechen, tust du eh nichts im Haushalt, sondern treibst dich Nach um Nacht...“

„Ja, ja, ich beuge mich deinem Willen.“ Aber auch nur, weil er keine Vorwürfe bezüglich seiner nächtlichen Streifzüge hören wollte. „Erklär mir aber, warum kommt dein Arzt zu dir nach Hause?“

„Wieso lernst du nie für die Uni, lieber Anthony?“

Wunder Punkt, Joshua murmelte eine Verabschiedung. Angela verschwand in der Küche, schwafelte irgendetwas von Geheimnissen, und Joshua öffnete die Tür.

Direkt vor seinen Füßen steckte ein Schwert.

Joshua kniete sich nieder. Erst glaubte er es nicht, doch dann erkannte er Discordia. Ungläubig nahm er den Griff in die Hand und zog es aus dem Boden. Irgendwie hatte er das Schwert in seiner Hand vermisst.

Kaum fünf Schritte entfernt lag auch seine Pistole. Sie war jedoch umwickelt von einem Zettel, auf dem FÜR DEN ABSCHAUM gekrakelt worden war.

Clover drängte zu gehen, doch Joshua entfaltete die Nachricht ohne auf den Köter Rücksicht zu nehmen. Obwohl die Schrift äußerst elegant war, war sie dennoch schwer zu entziffern – Joshua konnte tatsächlich nur den letzten Satz lesen: ICH WILL MICH NICHT ALS UNFAIR BESCHMIPFEN LASSEN.

Auch wenn die Unterschrift noch einen Grad undeutlicher war, wusste Joshua genau, wer ihm die Botschaft hinterlassen hatte – Liam Warrick.

Er lächelte. Anscheinend hatten die paar Informationen, die er Liam im Supermarkt zugesteckt hatte, etwas in ihm bewirkt. Er bezweifelte zwar nicht, dass der Trottel weiterhin versuchen würde ihn umzubringen, aber das Bewusstsein Unsicherheit in ihm erregt zu haben, schenkte ihm Befriedigung. Auf einmal war auch nicht mehr so schlimm diesen dämlichen Köter an der Leine zu halten.
 

Als Dämon machte ihn der helllichte Tag schon genügend aggressiv, ein störrischer Labrador verbesserte seine Laune nicht ansatzweise. - Clover setzte sich auf den Straßenrand und weigerte sich weiterzugehen. Zerren an der Leine und inniges Flehen, endlich den Hintern zu bewegen, half nichts. Vielleicht drohen.

„Wenn du nicht auf der Stelle deinen Arsch in die Höhe hebst, lass ich dich hier alleine“, knurrte Joshua.

Clover blickte ihn überheblich an. „Ich find den Weg auch alleine heim“, sagten seine Augen.

Joshua zog noch einmal an der Leine, fester, doch auch diesmal blieb der Köter regungslos, als wäre er eine Bleistatue. „Wieso tust du mir das an?!“, knurrte Joshua. „Warum hasst du mich?“

Als Antwort fletschte der Labrador die Zähne.

Joshua vergrub das Gesicht in den Händen. Der Köter hatte ihn geknackt. Und jetzt nahm er sich vor den Köter zu knacken. Er beschloss einfach nicht mehr auf seine Sturheit zu reagieren, und so lange zu warten, bis das Vieh bereit war, aufzubrechen. Zum Glück befand sich keine drei Meter, so lange wie die Hundeleine war, entfernt ein Kiosk. Er kaufte sich eine Zeitung. Und eine Packung Zigaretten, da sich nur mehr drei in der alten Schachtel befanden.

Rauchend und lesend saß er inmitten eines runden Platzes, wo Autos nicht fahren durften, rings um sie herum befanden sich Gebäude mit belebten Einkaufsgeschäften. Einige Passanten hielten ihn für einen Bettler, weswegen er relativ schnell das Geld, das er eben ausgeben hatte, wieder einnahm.

In der Politik gab es seit Tagen nichts Neues. Der Präsident der USA befand sich gerade in Scheidung wegen Ehebruch und es gab Diskussionen um seine Absetzung, ein neues Alkoholgesetz wurde erlassen, das kaum Änderungen brachte. In Burma wurde Aung San Suu Kyi freigelassen. Alles Themen, die man schon vor einer Woche lesen konnte. Der Chronikteil berichtete von einem jugendlichen Amokläufer in London, der vier Mitschüler erschossen hatte. Ein brutaler Raubüberfall war in New Orleans vorgefallen. Und ein weiteres Mädchen war dem pädophilen Triebtäter zum Opfer gefallen.

Sie war schon die vierzehnte in drei Wochen. Stets waren die Opfer bis zur Unkenntlichkeit entstellt und wiesen Spuren grausamster Folter auf. Das FBI stand vor einem Rätsel, denn außer den Leichen hatte der Täter nie etwas von sich hinterlassen. Der Artikel wies darauf hin, dass schon die Angst bestand, dass dieser Perverse niemals verhaftet werden konnte. Dazu kamen noch Ratschläge, in nächster Zeit Kinder zwischen fünf und fünfzehn nicht mehr alleine auf die Straße zu lassen.

Joshua begutachtete das Foto des Mädchens, unter dem ihr Name, Anita Perres, und ihr Alter, 8 Jahre, standen. Ihr Haar war schwarz und ihre Haut relativ dunkel, weswegen ihre blauen, zum Typ unpassenden Augen sehr heraus stachen, obwohl sie von einer Brille getrübt wurden. Etwas zu dick für ihr Alter geraten, lächelte sie auf dem Foto und präsentierte eine Zahnlücke. Das auffälligste an ihr waren jedoch ihre spitzen Ohren.

Eine Albin war vergewaltigt und ermordet worden? Auch wenn sie wahrscheinlich noch wie ein Kind benahm, musste das Mädchen über hundert Jahre alt sein und genug Erfahrung haben, Menschen abzuwehren. Es konnte sich nur um einen paranormalen Triebtäter handeln. Ein weiteres Indiz dafür war, dass es am Tatort keinen Hinweis auf den Täter gab. Nicht einmal Spermaspuren.

Er schaute noch einmal auf das Foto.

Der blaue Hintergrund war verschwunden. Stattdessen erschien plötzlich das Gesicht eines fetten Mannes, der lüstern auf den Hinterkopf des Mädchens, das weiterhin regungslos war, starrte. Seine fette Hand umschlang ihren Hals. Begierig streckte er die Zunge heraus, züngelte. Er öffnete den Mund. „Dreh dich mal um“, sprach er mit einer ekligen Eunuchenstimme.

Erschrocken schlug Joshua die Zeitung zu. Zum ersten Mal hatte er über ein Medium paranormales gesehen. Ob das ein Hilfeschrei war? Soll der Hellman weitere Mädchen vor dem grausamen Tod retten?

Clover bellte. Gab der Köter langsam nach? Es schien nicht so. Joshua kraulte ihm den Kopf. Der Hund mochte dies zwar sichtlich nicht, doch er ließ es zu.

Joshuas Magen knurre. Wie es der Zufall wollte, ertönte plötzlich die Melodie eines Eiswagens hinter ihm. Eis war zwar keine gute Nahrung, aber besser als gar nichts. Geld hatte er ja wieder.

Um den Eiswagen hatten sich schon einige Kinder versammelt. Bis er dran sein würde, würde es wahrscheinlich kein Eis mehr geben.

Aber dann wurde sein Appetit sowieso verdorben.

Der Eisverkäufer war nicht der harmlose, dickliche, kleine Mann, den die Kinder sahen, sondern ein sabbernde Fettwanst, in eine schwarzen Kutte gehüllt, mit gelber Haut und grünen Augen, der sich die Lippen leckte. Derselbe Kerl, den er eben in der Zeitung gesehen hatte.

Joshua wurde schlecht. Er sprang auf, von dem Plan übermannt, diesen Perversen den Hals umzudrehen. Den Hund musste er in dieser Zeit eben alleine lassen. Er wollte Clover an einem Hydranten festbinden, doch noch immer verhielt sich der Köter wie eine Bleistatue. Er rührte sich nicht von der Stelle.

Panisch zerrte Joshua an der Leine, während der Hund zynisch hechelte.

„Bist du ein beschissener Dämon, oder was!“, kreischte er, worauf einige Eltern mit angewiderten Blicken reagierten. „Warum machst du mir das Leben so schwer?“ Und in diesem Moment konnte er seine Wut nicht mehr zügeln – Elektrizität floss durch die Leine und verpassten Clover eine tödliche Dosis Volt.

Joshua erschrak. Hatte er den Hund gerade umgebracht?

Nein – zwar war Clover geschwächt, doch mit bebeugten Kopf saß er noch immer lebendig auf dem Boden. Keine Verletzungen hatte er abgekommen.

Joshua verbannte jeden Impuls darüber nachzudenken, zerrte an der Leine und riss den Hund auf die Beine. Clover winselte. Als Joshua ihn an dem Hydranten festband, wollte er ihn ins Bein beißen. Im letzten Moment sprang Joshua so weit weg wie möglich.

Von der Leine zurückgehalten, kam er ihm nicht näher als einen halben Meter. Er schnappte mit dem Maul, bellte und knurrte. In seinen Augen funkelte Hass.

Erschrocken blickte Joshua auf den Hund. Was war mit diesem Vieh nur los?

„Ich glaube, ich habe kein Bananeneis mehr... ich weiß aber, wie noch eins bekommen kannst.“

Joshua zuckte zusammen. Die Eunuchenstimme in seinem Oh, war so laut, dass sein Trommelfell schmerzte. Er schlug sich die Hände auf die Ohren, doch das Lachen des Perversen hallte noch in derselben Lautstärke. Und der Köter bellte noch immer. Warum mussten immer so viele Probleme auf einmal auf ihn zukommen? In Momenten wie diesen, fühlte er sich wie einem schlechten Film. Oder Roman.

„Wirklich?“, fragte eine Mädchenstimme.

Der Schall erdrückte ihn fast. Irgendwer schrie den Hellman um Hilfe – anders konnte er sich diese Wahrnehmung nicht erklären.

Um den Köter konnte er sich später kümmern. Den Fettwanst zu stoppen, war nun die wichtigere Aufgabe.

Zu dem Perversen hoch sah ein blondes Mädchen, das in einem Mantel mit Blumenmuster gewickelt war. Dünne Beine verrieten, dass sie untergewichtig sein musste. Genau die Art Mädchen, die diese Kreatur bevorzugte.

Verdammt, woher hatte er diese Informationen?

Als der Fettsack den Eiswagen wenden wollte, packte Joshua ihn. Mit aller Kraft hielt er ihn fest und er konnte nicht mehr von der Stelle bewegt werden.

„Hey, was machen Sie da?“, fragte das Mädchen. Joshua schätzte sie auf sieben Jahre. Als er jedoch ihre Ohren sah, wusste er, dass sie über hundert Jahre alt sein musste. Eine Albin wieder... und wieso sah sie dann nicht, dass der Eisverkäufer ein Dämon war? Oder besser, warum macht es sie nicht stutzig?

„Genau, was machen Sie da?“, fragte der Fettsack mit ähnlich kindlicher Stimmlage.

„Ich will ein Erdbeereis“, sagte Joshua, halbwegs gelassen, doch der Dämon erkannte seine Aggressionen.

„Tu mir leid, zuerst ist das Mädchen dran.“ Die Albin nickte.

„Ich hab aber nur mehr eine Minute Zeit, bis... mein Arbeitgeber kommt. Ich will jetzt ein Erdbeereis.“ Joshua warf die erbettelten Münzen auf die Ablageplatte. Der Fette fegte sie mit dem Handballen herunter und sie landeten auf dem Asphalt.

„Kinder haben trotzdem Vorrang.“

Joshua knurrte. Er schaute zu dem besserwisserisch wirkenden Mädchen, die schmollte. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was für ein Monster der Kerl ist?“

„Nur weil er ein Dämon ist, ist er noch lange kein Monster, sagt meine Mami.“ Joshua schlug sich auf die Stirn. War das die weltoffene Beziehung der Alben, oder was?

„Und sie sind ja auch ein Dämon, oder irre ich mich da?“

Er ignorierte die treffsichere Aussage des Mädchens und richtete sich wieder an den Fettsack. „ICH weiß aber ganz genau, was du bist, Arschloch. Und ich werde nicht zulassen...“ Er konnte nicht weiter sprechen, denn in dem Moment spürte er einen Druck um sein Bein, dass er seine Kraft verlor und den Eiswagen los ließ.

„Und ich weiß, wer du bist, Messias.“

Auch wenn er nicht wusste, was er sagen sollte, machte Joshua den Mund auf. Wie erwartet kam kein Laut aus seinem Mund. Ein schleimiges Seil wickelte sich um seinen Mund. Und schließlich wurden auch seine Hände umwickelt. Ein Blick genügte und er wusste, es handelte sich um Ranken einer Pflanze.

Joshua versuchte das Grünzeug in Flammen aufgehen zu lassen, doch das Feuer zeigte keine Wirkung.

„Wooow“, staunte das Mädchen.

Der Fettsack grinste. „Komm mit, Kleines. Der böse Dämon ist außer Gefecht gesetzt.“

„Willst du ihn nicht töten?“

„Freundliche Dämonen töten nicht.“ Das zauberte ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht des Mädchens.

Der Fettsack fuhr mit dem Eiswagen davon und die kindliche Albin folgte ihm.

Und Joshua kämpfte weiter mit den Ranken, die ihn festnagelten. Fast bewegungslos nutzte er verschiedene Naturerscheinungen um diese Kreatur zu schwächen. Zu einem Effekt führte keine, er büßte nur selbst viel seiner eigenen Kraft ein.

Clover bellte ihn noch immer an.

Als er schon fürchtete, er würde nie wieder frei kommen, lösten sich die Fessel um seine Armgelenke, Fußknöcheln und um seinen Mund. Er ging in die Knie, keuchte, beobachtete wie die Ranken sich in Risse im Beton zurückzogen.

„Scheiße“, fluchte er, versuchte die Schmerzen an seinen Gelenken zu verdrängen. Den widerlichen Geschmack, den die Ranke in seinem Mund verursacht hatte, konnte er allerdings nicht ignorieren.

Aber glaubte dieser perverse Fettsack wirklich, dass er aufgeben würde, weil er mit dem Mädchen verschwunden war? Er würde die beiden finden und er würde das schlimmste verhindern. Allein schon deswegen, weil gerade eine Vision durch seinen Kopf schoss, wie der Perverse dem Mädchen die Klamotten vom Leib riss.

Joshua wurde übel.

Er sprang auf die Beine, rannte in die Richtung, in die die beiden verschwunden waren. Doch leider war dies eine Straße ins nirgendwo.

„Entschuldigen Sie!“, sprach er einen älteren Herren an, leider mit so aggressiver Stimme, dass dieser erschrak. „Haben sie einen Eisverkäufer und ein blondes Mädchen gesehen?“ Der Greis schüttelte den Kopf. Joshua eilte zum nächsten Passanten. Wieder keine Auskunft. Lange nicht. Er verplemperte gut fünf Minuten mit Nachfragen.

Doch schlussendlich konnte ihm ein ebenfalls paranormales Wesen weiterhelfen. „Im Gebäude links von Ihnen“, sagte die rothaarige Magierin und zeigte auf einen Neubau. „Keller.“ Pause, sie musterte Joshua. „Sie wollen ihn aufhalten? Wenn Sie sich trauen gegen einen Feldwebel kämpfen? Sie sind nicht mal Söldner.“

„Irgendwer muss doch was tun!“, fauchte er zurück. Ohne weitere Worte ließ er die hochnäsige Frau zurück.

Ein schmales Kellerfenster war offen, Joshua bezweifelte, dass er durchpasste.

Er trat mehrmals gegen die Mauer, bis sie brach und ein Loch entstand, durch das er in den Keller eindringen konnte. Seine Bewegungen waren hektisch – viel Zeit war vergangen seit die beiden verschwunden waren. Hoffentlich konnte er noch das schlimmste verhindern.

In der Tat.

Joshua sprang durch die Luke und landete direkt vor dem Fettsack, der seine Kutte abgelegt hatte und nun mittelalterliche Henkerskleidung aus Latex trug. All seine Schwimmreifen waren zu sehen, der Perverse hatte die Körperform einer Kugel. Er peitschte das Mädchen aus, das nur mehr einen knappen Kleidungsfetzen an hatte.

Ohne zu Überlegen zog er seine Eris und Joshua schoss dem Perversling in den Kopf.

Der Fettsack gab einen weinerlichen Laut von sich und seine Glieder zuckten. Doch tot war er nicht. Amüsiert drehte er sich schließlich zu ihm um. „Da bist du ja wieder. War Dakota zu dumm und hat dich losgelassen, bevor ich fertig war? Tja, kommt davon, wenn man als Sklaven eine Kreatur ohne Hirn hält.“ Er fasste sich an den Hinterkopf, fummelte an der Einschusswunde und zog schließlich die Kugel heraus. „Ich hab ‚ne Metallplatte am Hinterkopf aus demselben Material. Da kannst du nicht durchschießen.“

Mal wieder eine Kugel verschwendet.

Joshua richtete wieder die Pistole auf den Perversen. „Ich hab keine Skrupel dich zu erschießen...“

„Das habe ich gemerkt.“

„Lass das Mädchen frei!“

Der Fettsack kicherte wieder. „Du weißt schon, dass du große Probleme bekommen kannst, wenn du einen Dämon während seiner Prüfungszeit ermordest.“ Pause. „Überhaupt – auch wenn du nur einen Sklaven ermordest, kann’s Probleme geben.“

„Ich bin...“

„...der Messias, schon klar, aber auch bei dir gibt es eine Toleranzgrenze.“

Der Fettsack redete, als würde er Joshuas Lehrer sein. Er fühlte sich verarscht. Er mochte zwar ein Anfänger sein, doch den Eindruck, den er von der Hölle gewonnen hatte, war ausreichend genug um die Spielregeln zu durchschauen.

Toleranzgrenze... er wusste, dass es so eine führ ihn gab. Sonst hätte er nicht permanent Angst vor Lillith und Erik dem Roten, da die Gegenspieler von seiner Klassifizierung als Messias erfahren hatten.

Konnte er nun noch viel mehr verlieren, wenn er verbotenerweise einen anderen Prüfling erschoss? Wohl nicht...

Joshua drückte wieder ab – da war’s nur mehr zwei Patronen – und traf den Fettwanst an der Stirn.

Sein Kopf kippte nach hinten und aus der kleinen Einschusswunde spritze rosafarbenes Blut. Doch auch dieser Treffer hatte den widerlichen Typen nicht erlegt. Grinsend richtete er seinen Kopf in gerade Haltung.

„Dummkopf...“, kicherte er. „Riskierst dein Leben für diese kleine Fotze da hinten?“ Er zeigte auf die Albin, die zitternd das Geschehen beobachtete. „Eine kleine Hilfestellung für dich. Fast mein ganzer Körper ist mit diesem Metall geschützt, mit deinen Waffen wirst du mich nicht aufhalten können.“

Scheiße, dachte Joshua, aber nicht, da seine Chancen nun minimiert waren, sondern weil er erneut eine wertvolle Patrone verschossen hatte.

Er steckte Eris zurück in den Holster, wollte auf den Fettsack zurennen, doch nach dem ersten Schritt umwickelte etwas sein Fußgelenk und zog es in die Höhe. Joshua fiel wie ein Holzbrett auf den Boden. Seine Stirn erlitt eine Platzwunde.

Der Fettwanst kicherte.

Die Ranke hob ihn in die Höhe. Verkehrt baumelte Joshua in der Luft und er sah nun die Blüte des Gewächses, das ihn schon zum zweiten Mal behinderte. Wobei „Blüte“ ein zu schönes Wort ist, um diesen Auswuchs zu beschreiben – Die Tepalblätter waren violett und tausende Augen mit roter Iris zierten sie, die in verschiedene Richtungen glupschten – einige glotzen Joshua an. Die Enden der Blätter liefen in Menschenhänden aus, die lange Krallen anstelle von Nägeln hatten. Im Zentrum, wo sich üblicherweise der Blütenstaub befand, sah man eine er ovalförmige Öffnung, umrahmt von kleinen, spitzen Zähnen. Die Öffnung führte in einen schwarzen Tunnel, wobei nicht ersichtlich war, wohin dieser führte.

Joshua wurde übel, als er das ekelhafte Gebilde vor sich sah. Immerhin warnte der Perverse seinen Sklaven ihn nicht zu fressen, doch auch, sein Gesicht zu ihm zu drehen.

Der Fettsack näherte sich wieder der kindlich Albin. Joshua sah es nicht, doch er hörte, wie er seinen Hosenstall öffnete. Wieder kicherte seine Eunuchenstimme. „Hab keine Angst. Das Schweinchen wird ganz lieb zu dir sein.“

„LASS DAS, DU ARSCHLOCH!“, schrie Joshua, so laut, dass seine Kehle schmerzte. Er spürte den Groll und die Abscheu, die er für dieses Ekel erregende Subjekt empfand, immer größer werden. Doch mehr brachte er nicht aus seinem Mund – wieder umschlang eine Ranke seinen Mund, damit er nicht mehr schreien konnte.

Er wollte kotzen...

Parallel dazu, verklebte „das Schweinchen“ die Lippen des Mädchens mit seinem Speichel.

Joshuas Körper wurde zwar auseinander gezogen, er hatte das Gefühl kurz vorm Zerreißen zu stehen, doch seine Hände waren noch frei. Er versuchte sein Schwert zu ergreifen. Eine Ranke erwischte zwar seine rechte Hand, doch mit der linken ergriff er Discordia. Ehe auch dieser Armen gefesselt werden konnte, zerschnitt Joshua den Auswuchs.

Die Pflanze gab ein Geräusch von sich, das wohl einen Schrei darstellen sollte. Er nutzte den Moment der Verwirrung und durchtrennte die Ranken, die ihn fesselten. Er fiel zu Boden – irgendwie schaffte er es sicher auf den Füßen zu landen.

Der Fettsack unterbrach seine Handlung, zur Erleichterung der kleinen Albin. Er drehte sich zu seinem Sklaven und dem Messias um. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er sah, wie der Messias einen Auswuchs nach der anderen von seiner Dakota trennte.

„Was machst du da?“

Nach was sieht es aus, dachte Joshua und wehrte mit Discordia erneut eine Ranke ab. Feuer nutzte gegen dieses Ding leider nichts.

„Hör auf, oder du bist bald waffenlos!“, schrie „das Schweinchen“ Dakota zu. Und kaum hatte er gesprochen, ruhte die Kreatur. Joshua ließ das Schwert noch erhoben, vielleicht überlegte es sich die Pflanze noch einmal anders.

„Okay, ich hab dich doch unterschätzt“, murmelte der Fettsack, was Joshua tatsächlich mit ein wenig Stolz füllte. „Aber Dakota ist keine Sklavin, die zum Kämpfen gedacht ist – nein – sie ist meine rechte Hand.“ Der Fettsack holte tief Luft. Sein Dicker Bauch blähte sich noch mehr auf. „ICH bin ein anderer Kaliber!“

Er holte noch einmal Luft, und noch einmal und noch einmal. Aus seinen Nasenlöchern wiederum entwich kein Hauch. Dementsprechend blähte sich sein Körper zu einer noch größeren Kugel auf, als er sie schon war. Um den Anblick noch mehr zu verunstalten, zerriss auch noch sein Latexanzug.

Joshua wich einen Schritt zurück. Schützend streckte er die Klinge zum dem Dämon.

Seine nächste Handlung überdachte er nicht. Mit der Klinge voraus warf er das Schwert auf den Fettsack zu, in der Hoffnung, dass er durchbohrt werde und die Luft aus ihm wiche. Von wegen – das Schwert prallte an ihm ab.

„Du bist nicht lernfähig!“ Du Worte des Perversen waren abgehakt und angestrengt.

Der Fettsack hatte seine volle Größe erreicht. Und nun zuckten um ihn herum kleine Blitze. Nicht tödlich, aber stark genug um den Messias zu betäuben.

Er rollte auf Joshua zu – sein breiter Körper nahm so viel Platz ein, dass es keine Möglichkeit gab, unbeschadet auszuweichen.

„Verfickte Scheiße...“, murmelte er. In letzter Sekunde sprang er hoch, wollte über den Fettsack springen, doch er hatte bei Weitem zu wenig Kraft in den Sprung gelegt. Seine Füße landeten Mitten in dem Gesicht des Fettsacks.

Ein grässliches Prickeln durchfuhr seinen Körper und lähmte seine Extremitäten. Die Qual schien Minuten zu dauern. Dann wurde er irgendwie aus dem Stromfeld gerissen. Wie eine Stoffpuppe viel Joshua neben das gefesselte, halbnackte Albenmädchen. Er rang nach Luft.

Doch auch der Fettsack war nicht unbeschadet davongekommen. Der Tritt ins Gesicht verwirrte ihn. Und dann bemerkte er auch noch, dass seine Nase blutete.

Mit dem Fuß tippte die Albin gegen Joshua, der vergebens versuchte sich aufzusetzen. Er konnte kaum den Kopf heben.

„Das Schweinchen“ formte seine Lippen zu einem O und blies die Luft aus seinen Körper, die ihn zur Kugel geformt hatte, und schrumpfte langsam auf seine ursprüngliche Form zurück – die sch aber kaum von seiner aufgeblähten Version unterschied. Er wischte das Blut von seiner Nase: „Pisser...“, knurrte er. „Aber du bist zäher, als ich dir zugetraut hätte. Ein Versager, hältst aber viel aus. Immerhin bist du noch wach. Selbst Erik den Roten hat der Stromschlag niedergestreckt.“

Der Fettsack packte sein Haar und schmiss ihn über seinen Rücken.

Joshua schrie kurz. Wie eine Schildkröte lag er auf dem Rücken und kam nicht mehr hoch. Doch ein Hoffnungsschimmer schenkte ihm Mut – neben ihm lag Discordia.

„Das Schweinchen“ bedrängte wieder die Albin. Unter ihrem Knebel hörte man ihre weigernden Schreie.

Der Messias sammelte die letzte Kraft, die ihm verblieben war. Er streckte sich nach dem Schwert, doch das Schwert rückte zu ihm. War er das? Wahrscheinlich. Erik der Rote hatte einmal angedeutet, dass er einem zu psychokinetischen Kräften fähig sein würde. Und schließlich befand sich Discordia in seiner Hand.

Sein Schwert half ihm auf die Beine zu kommen. Seine Beine zitterten. Langsam humpelte er auf den Perversen zu. Dieser war so beschäftigt, dass er den Messias gar nicht bemerkte. Erst, als sich eine Klinge durch seinen Mund bohrte.

Joshua stand neben ihm. Er hatte den Moment genutzt, als der Fettsack den Mund aufgerissen hatte und in die einzige Stelle gestochen, wo Joshua vermutete, dass er hier nicht von dem Metall geschützt war. Seine Vermutung hatte sich zum Glück bewahrheitet.

Kaum Kraft mehr im Körper, keuchte er: „Ich warne dich... ich werde nicht zulassen, dass du dieses Mädchen vergewaltigst. Die einzige Chance mich aufzuhalten ist mich zu töten.“ Der Fettsack wollte etwas sagen, doch das einzige, was aus seinem Mund kam, war ein undeutliches Röcheln. „Und was denkst du – wenn der MESSIAS für die Ermordung eines Prüflings bestraft wird, was passiert mit einen PRÜFLING, der den Messias ermordet!“ Er konnte nicht fassen, dass er noch fähig war seine Stimme zu erheben. „HAST DU MICH VERSTANDEN!?“

„Das Schweinchen“ nickte und bohrte die Klinge nur weiter in seine Kehle. Doch kurze Zeit später zog Joshua das Schwert aus seinem Mund.

Der Fettsack rollte sich zur Seite und würgte Blut. Joshua stellte sich vor das verängstige Mädchen, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen.

Mit angewiderten Augen drehte sich der Perverse zu dem Messias. „Du hast nicht gewonnen. Ich nehme deine Drohung nur ernst.“ Lief das nicht auf dasselbe hinaus? „Aber das hat ein Nachspiel.“

„Das Schweinchen“, auf dessen Rücken sein wahrer Name tattooviert war, William Morley, was Joshua entging, humpelte weg. Er verschwand im Schatten.

Joshua grinste. Nun wollte er schlafen. Doch ihm war bewusst, dass nun nicht der Zeitpunkt dafür war. Er musste das Mädchen erst in Sicherheit bringen, der Fettsack konnte zurückkommen, wenn er fest schlief.

Vorsichtig löste er die Fesseln des Mädchens. Klamotten konnte er ihr leider keine geben.

Mit großen, verweinten Augen musterte sie ihn. „Es tut mir Leid...“

„Was denn?“ Eigentlich wollte er nicht reden. Er wollte sich nur freuen, dass das Albenmädchen alleine stehen konnte, und er sie nicht tragen musste.

„Dass ich dich für den bösen Dämon gehalten habe.“

Joshua lächelte. „Schon gut. Merk dir eher, dass alle Dämonen böse sind.“

„Du bist lieb.“ Deswegen trug Joshua sie auch, als sie sich weigerte zu gehen.

„Sag mal, hast du gehört, wie mich das Schwein genannt hat?“

„Messias. Ist das dein Name?“

Schön wär’s. „Äh, ein Spitzname, den ich hasse, vergiss ihn und sag allen, dass ich... Anthony heißen.“

„Okay.“

„Findest du alleine heim?“ Er fühlte sich wie ein Arschloch, als er das Mädchen an den Platz absetzte, wo sie entführt worden war. Doch sie sagte, sie findet alleine heim. Außerdem habe sie ihre Eltern schon telepathisch gerufen.

Das war gut.

Aber dennoch konnte er das Mädchen nicht alleine mit diesen zerrissenen Klamotten in der Kälte alleine lassen. Er schenkte ihr seinen Kapuzenpulli.

Als Joshua eine Bank zum ausruhen suchte, fand er den an einen Hydranten geketteten Köter Clover, der vor sich hinwinselte. Da er endlich von hier weg wollte, blickte er Joshua mit flehenden Augen an, auch wenn man ihm ansah, dass so sein Stolz verletzt wurde.

Joshua setzte sich neben ihn, kraulte ihn den Kopf hob den Mittelfinger. „Vergiss es!“, fauchte er. „Ich ruh mich jetzt aus.“

Und sofort nickte er ein.
 

Und schon wieder wiederholte sich das, was in der APEHA als „Unterredung mit dem Chef“ bezeichnet wurde, aber Jonathan Letherman fand, dass „Gigantomachie“ eine bessere Bezeichnung war.

Sobald er sich gesetzt hatte und die Blicke von Gabriel X. Paradiso und dem Alben sich trafen, erlitt Jonathan einen Schweißausbruch. Dass er nicht alleine war, da Toraira neben ihm saß, half über seine Nervosität nicht hinweg.

„Ich weiß, was ihr treibt“, knurrte Gabriel.

Jonathan seufzte und probiert es zuerst mit Lügen: „Okay, wir geben es zu, Wir ermorden regelmäßig Klagegeister.“

„Es ist seit einem Monat kein Klagegeist mehr umgebracht worden.“

„Wir haben auch seit einem Monat keinen mehr erlegt.“

Gabriel schlug mit der Faust auf den Tisch. „Verarscht mich nicht!“, schrie er und Jonathan zuckte zusammen. „Ich weiß alles!“

„Was denn?“ Wahrscheinlich war es unklug den Boss zu reizen, aber Jonathan war so verzweifelt, dass er keinen anderen Ausweg fand.

Seine nächste Aussage war so laut, wie erwartet: „DASS IHR BEIDE KONTAKT ZUM MESSIAS HABT!“

Diese Worte erschreckten selbst Toraria – ihre Augen wurden groß und ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. Sie fragte sich, wie das möglich gewesen war – schließlich hatte sie doch Schutzschilder errichtet, um die Wahrheit vor Gabriel zu verheimlichen.

Nun mäßigte der Chef seine Worte, doch er war noch immer gereizt: „Ich weiß auch, dass ihr von der Apostel-Legende wisst.“

Jonathan schluckte.

„Und ich weiß, wer der erste Apostel ist.“

In dem Moment zerriss Jonathans Leinenhemd und auf seiner nackten Brust glühte die Kreuznarbe, die von verkrustetem Blut umziert war. Zum Glück verursachte sie keine unerträglichen Schmerzen, sondern juckte nur leicht.

Dafür stieg Panik in ihm auf. Jonathan sprang vom Sessel auf, schlug beide Fäuste auf Gabriels Schreibtisch und schrie: „Sie dürfen ihn nicht umbringen!“ Er hatte Tränen in den Augen. „Wenn Joshua stirbt, dann sterbe ich auch! Und ich...“ Er war unfähig die Worte „Ich will nicht sterben“ vor seinem Chef auszusprechen. Es war ihm peinlich. Doch Gabriel konnte sich denken, was dem Alb auf der Zunge lag. Er sprach es nur nicht an.

„Setzen.“ Eine Druckwelle ließ Jonathan wieder auf den Sessel fallen. Gabriel knallte eine hohle Glaskugel auf den Tisch, in der sich eine rosa Wolke aufbauschte, und kleine Blitze abgab. Jonathan schluckte und Torarias Iriden wurden klein.

„Euer Genus bricht unter dem kleinsten Druck zusammen.“ Er kicherte finster. „Eine kleine Drohung hat gereicht und er hat mir gegeben, was ich brauchte, um die Wahrheit zu erfahren.“

Jonathan zitterte. Schweißperlen rannen über sein Gesicht. Er sah zu seiner Gattin und, doch auch sie war perplex.

Zufrieden lehnte sich Gabriel zurück. „Da du ihn Joshua genannt hast, scheinst du ja ein innigeres Verhältnis zu ihm zu haben...

„Nun, ja... also dicke Freunde sind wir nicht, aber ich glaube, er mag uns mittlerweile recht gern und...“

„Schweig!“ Jonathan zuckte zusammen. Er war etwas beleidigt, dass Gabriel X. Paradiso ihm das Wort abschnitt, obwohl er freiwillig Informationen herausgab.

Das Lachen des Chefs wurde erneut dunkel. „Ich wusste, dass ihr etwas Großes vor mir verheimlicht, doch dass es von solchen Ausmaßen ist, hätte ich nie vermutet.“

Jonathan zog eine Rotzglocke in seine Nase zurück. Der Chef durfte nicht merken, dass er den Tränen nah war. „Wir dachte, wir können...“

„Ihr könntet ihn auf eure Seite ziehen, das ist mir klar, ich habe alles in der Glaskugel gesehen.“ Er seufzte. „Wie konntet ihr er nur wagen mir derartige Vorhaben zu schweigen.“

Weil es ein Privatunternehmen, und keine berufliche Angelegenheit ist, wollte Jonathan sagen, doch er schwieg, da es nur die Halbwahrheit war, als nickte er beschämt. Mit Gabriels nächster Aussage hätte er aber nicht gerechnet: „Doch so sehr ich eure Untreue missbillige, so gut gefällt mir euer Plan.“

Diese Worte klangen wie Musik in den Ohren des Ehepaars– allerdings tönte in Torarias Ohren Zwölftonmusik.

Auf Jonathans Gesicht bildete sich ein hysterisch zuckendes Grinsen. „Sie bestrafen uns nicht?“

Gabriel lehnte sich in seinen gut gepolsterten Schreibtischsessel zurück. „Im Gegenteil. Ihr dürft weiteragieren, als hätte ich nie etwas von erfahren.“

Skeptisch sah Toraria zu ihrem Gatten, doch der grinste noch immer wie ein Honigkuchenpferd. Allerdings fiel ihr auch der etwas verzweifelte Unterton in seinen Augen auf. „Und die Sache hat keinen Haken?“, fragte er, nachdem er den Satz fünfmal angefangen hatte, aber immer nach dem zweiten Wort abgebrochen hatte.

„Nein.“

„Und Sie sind ehrlich?“

„Wieso Ihr plötzlicher Zweifel, Jonny.“ Jonathan mochte es nicht, dass der Chef einen Kosenamen für ihn verwendete, den sonst nur Leute gebrauchten, die ihn zum ersten Mal sahen. „Sollte die Freude über meine gnädige Entscheidung nicht jede andere Gefühlsregung verdrängen.“

Der Alb biss sich auf die Lippen, die noch immer ein Grinsen bildeten. Er musste genau überlegen, was er sagte. Doch das einzige, was ihm einfiel, war: „Ich kenne Sie leider nur als Arschloch.“ Und das verkniff er sich besser.

Nachdem fünf Minuten keiner der drei einen Ton von sich gab, stand Gabriel X. Paradiso auf und streckte die Hand zur Verabschiedung hin. „Meine Dame, mein Herr, es war eine sehr aufschlussreiche Unterredung. Die nächste setzen wir an, wenn der Messias seine Entscheidung getroffen hat. Bis dahin, viel Erfolg, vor allem für Sie, Jonathan. Ich hoffe, Sie können überhaupt zur nächsten Unterredung erscheinen.“ Jonathans Grinsen verschwand. „War nur ein Scherz.“ Ein sehr makaberer und beleidigender Scherz.

Das Ehepaar stand synchron auf. Jonathan nahm die Hand des Chefs, Toraria erwiderte die Abschiedsgeste allerdings nicht. Gabriel X. Paradiso schaute sie perplex an, als sie sich einfach umdrehte, als er ihr die Hand unter die Nase hielt. Zum Abschied erhielt er dafür eine starke Gesichtsregung – die er gar nicht wollte.

Jonathan was schon aus der Tür, als ihre Augen rosa glühten, wobei die Iriden und die Puppillen in dem Licht verschwanden. Eine ihre rechte Mundhälfte bildete ein Lächeln – man hätte nicht glauben können, dass ihre Mundwinkel so weit nach oben zucken konnten.

Der Anblick dauerte nur eine Sekunde und für alle anderen Wesen – normal, abnormal oder auch paranormal – unbemerkbar, doch der mächtige Gabriel X. Paradiso hätte diese Demonstration auch gesehen, wenn sie nur eine Makrosekunde gedauert hätte.

Er setzte sich.

Sie warf ihm oft diesen Blick zu und er fragte sich, was das sollte... eine Drohung? Noch nie waren negative Folgen eingetreten. Eine Warnung? Sie sah ihn auch so an, wenn eine Situation risikoarm bis harmlos war. Einschüchterung? Als er das erste Mal dieses rosa Glühen gesehen hatte, war er leicht erschrocken, doch noch nie so, dass er Angst vor dieser Frau hatte. Und jagte ihm dieses Phänomen überhaupt keinen Schrecken mehr ein. Eine Demonstration ihrer Macht? Niemals... das benötigte keine genauerer Erklärung.

Wahrscheinlich schlicht und einfaches Zurschaustellen.

Wie sehr er diese Frau manchmal hasste. Und vom Alb wollte er gar nicht anfangen. Als ob er während der Schweigeminute nicht bemerkt hätte, was ihm auf der Zunge lag. Der Versuch seine Todesangst zu verbergen. Und die Zweifel... berechtigt, aber einen Haken gab es an der Sache nicht.

„Trottel...“, fauchte er.
 

Vierzehn Stunden waren vergangen, seit sie in dem Loft eine grausige Unterhaltung mit William Morley, das Schweinchen genannt, geführt hatte. Ihr Arm schmerzte noch immer, aber der Rest ihres Körpers war schon geheilt – die seelische Unruhe herrschte aber noch immer in ihrem Kopf.

Plainacher saß alleine auf dem Balkon eines Apartments einer Familie, die sie erst nicht bemerkt hatte, doch nun lagen ihre zerfetzten Leichen in dem Zimmer, das zur Terrasse führte. Wie nannten die Menschen diesen Raum? Esszimmer? Egal. Jetzt sah das Zimmer aus wie ein Folterkeller, blutbesundelt und stinkend nach Exkrementen, sodass man es nicht mehr als solches erkennen kann, als was auch immer es bezeichnet wurde.

Sie lehnte sich über das Gitter und betrachtete die Passanten. In ihrer Hand befand sich ein Ziegelstein, dem sie irgendwem auf den Kopf fallen lassen wollte. Doch irgendwie konnte sie kein passendes Opfer auswählen.

Es hatte fast keinen Spaß gemacht diese vierköpfige Familie erschrecken, zu foltern und schließlich den Gar aus zu machen, ihnen die Organe zu entreißen und ihre Leichen zu schänden. Wieso sollte es dann Spaß machen, einen Menschen aus der Ferne unspektakulär zu erlegen?

Sie seufzte. Geile Fantasien, wie die Hölle diese mindere Spezies endlich bis zum letzten Mann eliminierte, konnten sie nicht aufheitern. Und auch konnte sich an solche Wahnvorstellungen nicht konzentrieren – immer wieder kamen Erinnerungen an den Kampf mit der Magierin und dem Alb hoch. Und Joshua.

Plainacher warf den Ziegelstein in die Höhe, fing ihn und spürte dann einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen.

„Werden Sie das heute noch aufräumen?“, fragte Erik der Rote.

Plainacher drehte sich erschrocken um. Fast hätte sie den Ziegelstein gegen ihren Chef geworfen. Seinem Körper hätte dies zwar nicht geschadet, aber seiner Autorität.

Sie schüttelte schließlich den Kopf. „Wozu?“

„Damit nicht irgendwann ein zweiter Liam Warrick in dieser Sphäre wandelt.“

„Ich bin nicht so dämlich, wie dieser Flachwichser, der damals Warfick Senior abgeschlachtet hat.“

Erik der Rote kicherte: „Ja, das hat Lewis Burke auch gesagt, und dann erkennt der Sohn an der Leiche, dass das Mord an seinem Vater das Werk paranormaler Kreaturen war.“ Er lehnte sich über das Gitter und schaute auf die untergehende Sonne. „Ein guter Mann war Lewis Burke, aber viel zu sehr von sich eingenommen. Schließlich wurde er unvorsichtig. Nun arbeitet er im Bergwerk.“

Er sah Plainacher an. Nur ein Auge verdeckte der Schatten seines Hutes und sie kniff sofort ihre Lider zusammen, als sie das grelle Rot, das zu viele Informationen an einen weitergab, direkt anstarrte. Niemals würde sie sich an diesen Anblick gewöhnen können.

„Es gibt eine Befehlsänderung“, sprach Erik der Rote. „Lillith ist nicht mehr davon überzeugt, dass der Messias wirklich beschaffen genug ist, um den unsrigen den Sieg über den Himmel zu schenken.“

Plainacher verzog das Gesicht. Das waren ja seltsame Worte. Sie hatte mitbekommen, dass Lillith stetig von Joshua geschwärmt hatte, obwohl sie von seinen miserablen Forschritten, wenn man optimistisch sprach, wusste. „Und die lautet.“

„Der Tod.“

Zuerst dachte Plainacher, sie hätte sich verhört, doch Erik der Rote sprach immer so klar, dass man sich nicht verhören konnte. „Bitte, was!“, kreischt sie. Aus irgendeinem Grund rann ihr plötzlich Schweiß von der Stirn.

„Joshua Nazara darf nicht mehr weiterleben.“ Erik der Rote spielte ein wenig mit seiner Melone, dann sprach er weiter: „Deswegen obliegt es Ihnen, dass Sie den Messias ermorden.“

Plainacher brauchte lange, bis sie die Worte wieder fand: „Wieso?“

„Weil Sie sich schon in dieser Sphäre befinden und ich so keinen dritten Schützling in dieses grauenhafte Gebiet schicken muss.“

Warum machst du Wichser dich nicht selbst die Hände dreckig, hätte sie fast gesagt konnte aber noch rechtzeitig ihre Zunge zügeln: „Nein, nein, nein, ich meinte, wieso muss der Messias ermordet werden?“

Erik der Rote seufzte: „Sie haben mehr Kontakt zu ihm, als jeder andere, aber dennoch bemerken Sie seine innere Einstellung nicht?“ Pause. Anscheinend doch keine rhetorische Frage. „Er hat Mitleid mit diesem Gewürm, das sich Mensch nennt. Keiner hat solche Probleme sich von nun an als eine andere, bessere Spezies zu sehen, wie er.“ Pause. „Und es besteht die berechtigte Annahme, dass er diese schlechte Angewohnheit nie ablegen wird. Was gezwungener Maßen dazu führen wird, dass wir die letzte Schlacht verlieren werden.“ Pause. „Wir haben zu viel Wert auf diese Prophezeiung gelegt. Er ist nicht das Ass im Ärmel, von dem die sie spricht.“

Plainacher schluckte und nach mehreren Anläufen sagte sie: „Aber er ist doch noch... jung. Das kann sich ändern.“ Wusste sie überhaupt, was sie da sagte? Und wie mädchenhaft ihre Stimme klang? Was war in sie gefahren, dass sie sich so bescheuert benahm? Keine Zeit für solche inneren Fragen, sie redete weiter: „Ich bin schon zu ihm durchgedrungen... wenn Sie mir Zeit lassen, kann ich ihn...“

„SCHWEIG!“, schrie Erik der Rote und Plainacher zuckte zusammen. „Bedenke auch, welch ein Versager er ist. Er konnte Liam Warrick nicht einmal einen Kratzer verpassen, und... WIESO RECHTFERTIGE ICH MICH VOR EINER UNTERGEBENEN, WIE ES SIE ZU TAUSEND GIBT!“ Seine Hand holte aus und ging knapp an Plainachers Wange vorbei.

Als sie den Kampf gegen die Magierin und den Alb verloren hatte, hatte sie sich hilflos gefühlt – gegenüber Erik dem Roten fühlte sie sich unterlegen, machtlos und wie ein Wurm. Wie sie das hasste. Und wie sehr sie ihn plötzlich hasste...

„Verzeih meine unsensible Art, doch haben Sie vergessen, dass ich Ihnen, als Ihr Lehrer und Befehlshaber, keine Rechenschaft schulde.“ Pause. „Unter diesen Umständen muss ich mir überlegen, ob ich Ihnen die entsprechende Entlohnung gebe, die Ihr bei geleisteter Arbeit erhalten würdet.“ Plainacher wurde hellhörig. „Ich hätte Ihnen den Generalstitel geschenkt.“

Plainacher schluckte. Ihr Traum... der Generalstitel. Und das Jahre früher, als sie es sich eigentlich erhofft hatte.

„Hundert Jahre, bevor Sie berechtigt wären, die Prüfung zu absolvieren. Als erste Frau, die sie machen darf. Sie wären die erste Generalin, die nicht als solche geboren worden ist.“

Sie holte tief Luft. Der Kerl wusste, wie man sie ködern konnte.

Nun durfte sie nicht lange Nachdenken – sie musste aus dem Bauch entscheiden, denn nur diese Antwort konnte die sein, die sie wirklich wollte.

Und nachdem sie länger gezögert hatte, als sie gewollt hatte, sagte: „Einverstanden!“

Egal, wie ungern sie den Bengel tot sehen wolle, egal, dass sie wegen ihm doch tatsächlich Mitleid empfunden hatte – sie wollte diesen verdammten Generalstitel. Dann stand sie in der Hierarchie auch wieder über William Morley.

„Das freut mich“, sagte Erik der Rote. Er reichte ihr das Kuvert, in der sich die Prüfungsaufgabe befand. „Ich wusste, dass Sie dieses Angebot nicht abschlagen werden können.“

Er wandte seinen Kopf zu der ermordeten Familie. „Säubere aber vorher noch dieses Chaos.“ Dann verwand Erik der Rote m roten Nebel.

Beenie Plainacher machte den Dreck nicht weg. Dazu war sie zu euphorisch – und zu unsicher.



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