Zum Inhalt der Seite

The Hellman

The new Messiah
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ehrenreich im Wortfluss

„Ich bin Tausendmal mit der Ausrede durchgekommen, dass die Ohren eine Fehlbildung sind.“ Mit diesen Worten entschuldigte Jonathan Letherman seinen Auftritt im Fernsehen.

Gabriel X. Paradiso hämmerte mit seinen Nägeln gegen die Schreibtischplatte. „Danke. Aber das war nicht die Frage, Sie Trottel.“

Jonathan grinste ängstlich. „Ach, echt jetzt? Ich muss zugeben, ich hab nicht zugehört. Könnten Sie die Frage noch einmal wiederholen?“

Der Chef schlug sich auf die Stirn. Keiner, wirklich keiner zeigte so wenig Respekt ihm gegenüber und versuchte ihn so oft für dumm zu verkaufen, wie dieser Alb mit der zu großen Klappe. Und er hasste Respektlosigkeit. Und dämlich war er erst recht nicht. Zum Glück hatte Gabriel X. Paradiso herausgefunden, warum der Alb zu widersprechen wagte. Seine Widerspenstigkeit hatte vor sieben Jahren begonnen – zusammen mit seiner Ehe mit dieser verschwiegenen Magierin. Ihre Kraft war das Rückrad, das der Trottel brauchte, ohne sie würde er keine große Klappe riskieren. Deswegen hatte er die Dame in Schwarz auch aus seinem Büro geschickt.

Mehr als gereizt, sprach Gabriel X. Paradiso: „Wo waren Sie und ihre Gattin gestern die ganze Zeit?“

„Auf Streife.“

„Und was habt ihr da gemacht?“

„Einen Prüfling registriert.“ Jonathan reichte ihm die Glasplatte mit der Blutprobe des dicken Dämons, den er gestern ausgefragt hatte. „Er macht gerade seine Leutnantsprüfung.“

„Ist mir egal. Ich will wissen, wie lang das gedauert hat?“

„Och, fünf Stunden. Der Kerl war sehr inkooperativ. Aber wir haben ihn geknackt.“

„Das ist mir im Augenblick egal! Wo wart ihr die restliche Zeit?“

„Auf Streife.“

Gabriel X. Paradiso schüttelte den Kopf. „Wieso habt ihr dann nicht gemerkt, dass eine unangemeldete Dämonin hundertsieben Menschen ermordet hat, als sie ihren Sklaven beschworen hat, und Liam Warrick plötzlich mit Waffen hantiert hat, zu denen er gar keinen Zugriff haben dürfte?“

„Wir haben den Fettsack registriert.“

„Fünf Stunden! Was ist mit den anderen dreizehn Stunden?!“

Jonathan schluckte, bemerkbar am sich heftig bewegenden Adamsapfel. „Die Dämonin hat einen Schutzschild aktiviert – wir konnten nicht merken, was sie tat.“

„Ein schwächerer Kollege hat von weiterer Entfernung ihre Aktivität bemerkt. Wo wart ihr?“

„Nun ja, genau zu dieser Zeit haben wir den Fettsack registriert. Wir haben nicht abbrechen können, weil wir vermuten, dass der Typ gefährlich ist.“ Pause. „Und überhaupt, wieso hat der Kollege nicht eingegriffen?“

„Weil er noch dazu Anfänger ist.“

„Können Sie ihm dann überhaupt glauben, dass er diese Beschwörung bemerkt hat? Vielleicht wollte sich wichtig machen.“

„Hören Sie auf, mir zu widersprechen!“ Gabriel X. Paradiso hatte diese Wahrscheinlichkeit allerdings nicht berücksichtig, er war zu fixiert auf das Versagen von Jonathan und Toraria Letherman, doch zugeben würde er das nicht. „Wieso waren Sie dann doch am Tatort?“

„Schadensbehebung. Wir ahnten, dass Sie ausrasten würden und haben versucht den Täter zu analysieren. Doch die Presse war schon da und hat mich als Finder hingestellt.“ Er zeigte auf seine Ohren. „Die Ausrede mit der Missbildung funktioniert jedes Mal.“

„Nicht ausweichen.“

„Okay, okay. Nun ja, weil so viele Menschen dort waren, haben wir keine Recherchen anstellen können.“

Gabriel X. Paradiso verzog das Gesicht. Diese Erklärung klang ausnahmsweise glaubhaft. „Und Sie wurden sogar davon abgehalten, die Schwingungen der Dämonin zu erkennen und sie daraufhin zu suchen?“

„Ja.“

Weniger glaubwürdig, denn Toraria erkannte jede Eigenart eines paranormalen Wesens aufgrund kleinster Hinweise binnen Sekunden auf großer Entfernung, aber wenn sie nichts gesagt hatte, war auch der Gatte machtlos. „Nun gut. Ich belasse es einmal bei dieser Version. Aber ich warne Sie, wenn ich herausfinde, dass Sie gelogen haben...“ Er zog seinen Finger übe die Kehle. Jonathan schluckte wieder sichtlich. „Nächstes Problem. Wieso haben sie nicht eingegriffen, als dieser Liam Warrick mit Waffen hantierte, die er nicht einmal kennen dürfte?“

Jonathan zuckte mit den Schultern. „Woher hätten das wir wissen sollen? Warrick ist ein Mensch, den können wir nicht spüren.“

„Die Waffen aber.“

„Sowohl ich, als auch Toraria haben keine Ahnung von Handfeuerwaffen, wie sollen wir unbekannte oder großartig gefährliche Waffen erkennen?“

„Woher wissen Sie, dass die Waffen entweder unbekannt oder als großartig gefährlich bekannt sind?“

Zum ersten Mal wusste Jonathan heute nicht, was er antworten sollte. Er wollte laut fluchen. So gut hatte er argumentieren können, ganz ohne Hilfe seiner Frau, doch nun schien alles für’n Hugo gewesen zu sein.

„G...Geraten“, stotterte er.

„LÜGNER!“

Jonathan verzog das Gesicht. Egal, was er jetzt sagen würde, Gabriel X. Paradios Verdacht würde er heute nicht mehr entkommen können. Er ging das Ereignis durch, das er und Tori aus der Ferne beobachtet hatten. Liam Warrick hatte einen Dämon attackiert. Durfte er sagen. Der Dämon wurde von einer Dämonin gerettet, von der er wusste, dass es sich um jene handelte, die für den Massenmord verantwortlich war. Ersteres durfte er sagen, zweites nicht. Und er durfte erst recht nicht erwähnen, dass der Gerettete der Messias war.

„Okay, wir haben gesehen, dass Liam Warrick einen unregistrierten Dämon angegriffen hat, der aber dann gerettet wurde, weswegen wir ihn nicht registrieren konnten. Wir haben uns nichts dabei gedacht, ich meine, nie hat man uns beauftragt Liam Warrick zu stoppen, warum hätten wir es jetzt tun sollen? Und wie gesagt, meine Gattin und ich haben zu wenig Ahnung von Waffen, als das wir uns ein genaueres Urteil hätten erlauben dürfen.“

„Das klingt auswendig gelernt.“

Nein, ich habe nur fünf Minuten über die Formulierung nachgedacht, schoss es Jonathan durch den Kopf, doch er schwieg.

„Ist das die Wahrheit?“

In diesem Moment wurde die Tür aufgeschlagen.

Toraria stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und starrte von unten herauf auf ihren Chef, sodass ein kalter Schauer über seinen Rücken lief.

„Das ist die Wahrheit“, sagte sie.

Jonathan kicherte. Zwei Sätze in einem Monat... das war ein neuer Rekord!

Gabriel X. Paradiso schnaufte. Jetzt konnte er nichts mehr ausrichten, er würde die Magierin nun nur mehr schwer vertreiben können. Egal. Seiner Erfahrung nach führten Verhöre nie zu einem befriedigenden Ergebnis. Warum er es dann noch immer versuchte, lag wohl daran, dass er sich nur ungern von alten Methoden trennte.

Er lehnte sich in den Schreibtischsessel zurück. „Gehen Sie“, sprach er und machte eine abwertende Geste.

Jonathan grinste breit. Wieder war er dem Strick entkommen. Knapp, ungerechtfertigt und erlogen, aber das war ihm egal. Er sprang regelrecht vom Sessel auf und drängte seine Ehefrau zu gehen.

„Sie verheimlichen etwas, das weiß ich. Und wenn ich herausfinde, was, seid ihr erledigt“, sagte Gabriel X. Paradiso, kurz bevor die beiden das Büro verließen. Als Antwort zuckte Toraria Letherman mit den Schultern.
 

Er wurde von einem unangenehmen Sonnenstrahl, der direkt auf sein Auge zielte, und den folgenden Kopfschmerzen geweckt. Irgendwer hatte vergessen die Vorhänge zuzuziehen. Für Dämonen waren Sonnenstrahlen noch unangenehmer, als für Menschen, die einen Kater hatten.

Joshua setzte sich auf. Seine Augen schmerzten, sein Kopf dröhnte, seine Muskeln waren angespannt, seine Haut juckte – alles an seinem Körper verursachte irgendein Leid. So beschissen hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Und dann erinnerte er sich auch noch an den gestrigen Abend. Die Schamesröte erfüllte sein Gesicht.

„Dieses verdammte Arschloch, Liam Warrick“, murmelte er und setzte sich auf. Und erst jetzt verstand er, dass er sich in seinem Zimmer befand. In Angelas Wohnung. Plainacher hatte ihn nicht nur gerettet, sie hatte ihn auch nach Hause gebracht.

Die Menschen hassende Plainacher hatte ihn zu seiner Schwester gebracht...

„Angela!“, schrie er und sprang vom Bett auf. Alles tat nun noch mehr weh, doch für seine Schwester litt er gerne. Auch, wenn es eventuell schon zu spät war. Er hatte Stunden geschlafen. Plainchacher hatte sie bestimmt schon umgebracht.

„Nein!“, brüllte er und rannte ziellos in der Wohnung umher. Nur in die Küche lief er nicht, bis ein schrilles Lachen von dort erklang.

Das war nicht Angelas Lachen. So lachte Plainacher.

Er riss die Küchentür auf. Er sah sie rothaarige Dämonin breit grinsend auf einem Barhocker sitzen, in der Hand hielt sie einen Teebecher mit einer roten Flüssigkeit darin. Blut? In der anderen Hand hielt sie ein Herz. Sie sah ihn heimtückisch an.

Joshua wurde schlecht. „Du... verdammtes... Biest.“ Er wollte losheulen und dieser Wahnsinnigen den Hals umdrehen.

„Hey, endlich bist du wach“, sagte Angela.

Joshua zuckte zusammen. Gut versteckt hinter der Tür räumte Angela gerade diverse Einkäufe in den Kühlschrank. Sie lächelte Joshua an. „Du hast zehn Stunden geschlafen. Scheint ja ’ne lustige Nacht gewesen.“ Sie nahm Plainacher das Herz aus der Hand, das sich allerdings als in einen Plastikbeutel eingepacktes Hackfleisch handelte. Und in dem Teebecher befand sich tatsächlich Tee.

Seine Angst hatte ihm einen optischen Streich gespielt.

Warum zum Teufel hatte Plainacher Angela nicht zur Strecke gebracht?

Joshua hielt sich den Kopf. „Was ist passiert? Und wieso bist du da!“ Er zeigte auf Plainacher, die schrill zu lachen begann.

„Och, herrlich, er hat ’nen Blackout. Hättest doch drei Whiskeyshots weniger trinken sollen“, lachte sie und fiel dabei fast vom Barhocker.

Er verstand gar nichts mehr. „Ja, wow, anscheinend hast du mich heimgebracht. Vor zehn Stunden. Warum bist du noch immer hier?“

Angela antwortete: „Sie war selbst von der durchzechten Nacht so fertig, da hab ich sie nicht mehr heimgehen lassen und sie hat auf dem Sofa gepennt. Will ja nicht, dass ne gute Freundin von dir vergewaltigt wird. Das ist ne gefährliche Gegend.“

Gute Freundin von ihm?

„Und als Dankeschön habe ich ihr beim Einkauf geholfen“, ergänzte Plainacher.

„Ja, und dabei hab ich herausgefunden, dass du ’ne richtig anständige und normale Freundin gefunden hast. Ich meine, früher hast du immer diese Tussis angeschleppt, die nichts in der Birne hatte, aber Beenie ist wirklich nett.“

Beenie? Anständig? Normal? Nett?

„Und ich hätte dir nie zugetraut, dass du so ’ne sympathische Cousine hast.“

Plainacher war ein Mensch sympathisch?

„Danke. Traut man mir gar nicht zu, gell?“

Die beiden Frauen kicherten.

Joshua verstand die Welt nicht mehr. Freundete sich seine Schwester gerade mit einer Dämonin an, die Menschen hasste und einhundertsieben Unschuldige gestern Nacht umgebracht hatte, geschweige denn von den dutzenden, die sie zuvor schon im Spazieren umbrachte?

„K...Kann ich kurz mit Plai...eenie alleine sprechen?“, stammelte er.

Angela schloss den Kühlschrank. „Klar, ich wollte eh gerade duschen.“ Und ohne weitere Worte marschierte sie aus der Küche.

„Meine Güte, hast du gesehen, wie Angela den doofen Kühlschrank einräumt? Man erkennt, dass das ’ne Blinde gemacht hat“, kicherte Plainacher und trank den Teebecher leer.

Joshua sagte nichts darauf. Er holte tief Luft. „Was zum Teufel hast du hier zu suchen?“ Seine Stimme bebte vor Zorn.

„Was denn? Kein Danke, dass ich dir das Leben gerettet habe?“

„Was hast du hier zu suchen, du Biest?“

Plainacher verdrehte die Augen. „Angie hat’s dir gesagt. Sie hat mich nicht gehen lassen, ich bin eingeschlafen und dann hab ihr beim Einkaufen geholfen.“

Aus ihren Mund klang das noch absurder. Übrigens: Angie?

Joshua schrie: „DU HAST DICH MIT MEINER SCHWESTER ANGEFREUNDET!“ Hoffentlich hörte Angela seine Worte wie geplant anders, er wusste nicht, ob er in dieser Verwirrung seine Stimme ordentlich überspielen konnte.

Plainacher verzog das Gesicht. „Na ja, anfreunden würde ich das nicht unbedingt nennen. Aber sie ist sympathisch. Sehr selbstbewusst.“ Sie kicherte. „Und das muss schon was heißen, wenn ich das über einen Menschen sage.“ Es war faszinierend, wie abwertend sie das Wort „Mensch“ aussprechen konnte.

Joshua begriff die Welt nicht mehr. Er setzte sich auf den Boden.

„Und du hast ihr nichts angetan?“

„Nein.“

„Das ist kein Hologramm oder Double oder so was?“

Sie lachte wieder. „Ich hab den ersten Eindruck bei dir verschissen, glaubst du wirklich ich würde in dieser beschissenen Situation deine Schwester umbringen?“

Das leuchtete ein. Wenigstens etwas Vernunft schien diese Irre zu besitzen. „Aber... woher zum Teufel weißt du, dass sie meine Schwester ist? Und das ich mich als ihr Cousin ausgebe?“ Ein Schweißausbruch überkam ihn. „Hast du was ausgeplaudert?“

Plainacher sprang vom Barhocker und wusch den Teebecher aus. „Ich weiß mehr über dich, als du ahnst.“ Sie legte den Becher in den Geschirrspüler, den Angela seit ihrer Erblindung allerdings nicht mehr genutzt hatte. „Aber, dass sie glaubt, du bist ihr verfickter Cousin, darauf hat sie hingewiesen. ‚Anthony’ hat sie nämlich geschrieen, als sie dich bewusstlos vor der Tür liegen sah.“

Bewusstlos vor der Tür liegen? Egal... Es lag ihm eine Frage auf der Zunge, doch da Plainacher einfach weiterredete und ihn nicht zu Wort kommen ließ, vergaß er sie.

„Ich glaube allerdings, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt. Ich denke, sie hat labile paranormale Kräfte, die allerdings so schwach sind, dass sie nicht mal dem beschissen erfahrensten Magier auffallen würden, wenn man sie nicht explizit darauf untersucht. Aber die Halbschwester des Messias sollte man nicht unterschätzen. Ich meine, sie hat zwar nicht dieses beschissene jungfräuliche Blut der Mutter, das dich so besonders macht, aber sie ist die verdammte Nachfahrin des Mannes, den die jungfräuliche Mutter erwählt hat, also ist ihr Paranormalität... nein, der Begriff ist zu stark, eher Abnormalität ist ihr quasi in die Wiege gelegt.“

„Halbschwester!?“, platzte Joshua plötzlich heraus.

Plainacher verzog das Gesicht. „Ja...“

„Sie ist nicht meine Halbschwester. Sie ist meine Vollschwester.“

Die Dämonin schüttelte den Kopf und blies sich genervt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wie kann deine Mutter dich jungfräulich geboren haben, wenn du eine ältere Schwester von derselben Mutter hast?“ Ihr Gesichtsausdruck hatte einen mitleidigen Schatten bekommen. „Sie ist die Tochter aus der ersten Ehe deines Vaters. Angelas leibliche Mutter ist bei der Geburt gestorben. Joseph Nazara hat sie in die Ehe mitgebracht.“

Joshua schüttelte den Kopf. „Man hat mir immer erzählt, wie wären Vollgeschwister.“

Das Lachen, das sie von sich gab, war vollkommen mitleidig und herablassend. „Auch als du erfahren hast, dass deine Maria Nazara dich jungfräulich empfangen hat, hast du das noch geglaubt.“ Er nickte. Sie schlug sich die Hand auf den Kopf. „Heilige Scheiße, und so ein denkfaules Arschloch soll die Hölle in den ultimativen Krieg führen?“ Sie kicherte. „Du weißt aber schon, wie Babys gemacht werden?“

Er knurrte. Als er in die Hölle gekommen war, hatte er so markerschütternde Dinge erfahren, dass er keine Zeit hatte, Tatsachen anzuzweifeln, die man ihm sein Leben lang in den Kopf gedroschen hatte. Während der Ausbildung war er zu müde zum Denken gewesen. Und nun war er so glücklich Angela wieder gesehen zu haben, dass er die Lüge nicht anzweifeln wollte. Konnte dieses Dämonin kein bisschen darauf Rücksicht nehmen?

„Plainacher...“

Sie unterbrach ihn mit einem Knurren. „Deine Schwester nennt mich Beenie, Angela glaubt, du nennst mich Beenie, Erik der Rote nennt mich Beenie, selbst Lillith nennt mich Beenie... bitte, Arschloch, nenn mich Beenie.“

„Okay, Beenie“, den Namen auszusprechen war schwerer, als es wirkte, „ist der einzige Grund, warum du hier geblieben bist, der, dass du dich mit Angela anfreunden wolltest.“

„Nein. Ich bleib doch nicht wegen so einem Scheißdreck wie Freundschaft bei einem Menschen, abnormal hin oder her.“

„Was zum Teufel treibst du dann noch hier?“, schrie er. Am liebsten hätte er ihr den Hals umgedreht. Er fand es widerlich, dass seine Schwester glaubte sich gut mit einer Dämonin zu verstehen, die skrupellos mordete und ihn dazu zwingen wollte, Menschen zu ermorden, und dass er nun mit ihr redete, als wären sie die dicksten Freunde.

Und jetzt schnitt Plainacher auch noch das Thema an, das er nicht diskutieren wollte. Er hatte Kopfschmerzen.

„Ich verstehe deine Logik nicht.“ Pause. Joshua verdrehte die Augen. „Erklär mir eines, was hindert dich daran Menschen zu töten, paranormale Wesen aber nicht, wobei Menschen doch die Chance auf ein nächstes Leben haben, paranormale Lebensformen aber nicht.“

Die Kopfschmerzen wurden stärker. Nie hätte er gedacht, dass diese Wahnsinnige ein vernünftiges Argument aufbringen konnte. Und ehrlich antwortete er: „Ich weiß es nicht.“ Pause. „Ich kann mein Verhalten nur daraus schließen, dass ich mich dem Menschen noch immer verbundener fühle, als der Hölle.“

Als Plainacher die Hand hob, hob er schützend die Arme. Sie kicherte leise: „Ich würde dich gerne schlagen, aber die verfickte Sonne verdirbt mir die Laune. Selbst Fluchen macht keinen Spaß. Bist du nicht auch irgendwie schlaffer, als sonst?“ Joshua schüttelte den Kopf, dass er die Schmerzen am ganzen Körper auf den Kampf mit Warrick zurückführte, und nicht auf die Sonne. „Du bist echt noch irgendwie menschlich.“ Sie schritt auf ihn zu und beugte sich zu ihm hinunter. Tief sah sie ihm Augen. So ernst wie sie nun blickte, konnte man vermuten, dass Plainacher, als sie noch nicht gepierct war und dieses diabolische Grinsen angenommen hatte, einmal so etwas ähnliches wie hübsch gewesen sein musste. „Ich erkläre es dir noch einmal. Diese beschissene menschenfreundliche Einstellung wird dir in Zukunft nicht gut tun. Du wirst immer wieder dazu verdammt sein ein unterlegenes Geschöpf zu erlegen, Menschen sind da keine Ausnahme. Denk an diesen Schleimscheißer Liam Warrick. Wie willst du ihn erledigen, wenn du keinen Menschen umbringen möchtest?“

„Ich hasse diesen Nichtsnutz.“ Die Antwort kam plötzlich und klang wie das Fauchen eines Löwen.

Plainacher kratzte sich am Kopf. „Immerhin“, murmelte sie und kniete sich vor ihn hin. „Ich verspreche dir, irgendwann wirst du alle Menschen so hassen wie ihn. Selbst Angela wirst du eines Tages so verabscheuen, wie diesen Wichser, weil du in allen das selbe beschissene Charakterbild sehen wirst – einen neidisches Arschloch, das Angst um seine Macht hat, aber schon längst die Gunst Gottes in seinen unwürdigen Krallen hält.“

Ein Satz brachte ihn zum Heulen - Angela hassen, wie Warrick? Niemals.

Sie streichelte ihm mit ihren kalten Fingern über den Kopf. „Und je früher du mit dem Hassen beginnst, umso weniger wirst du leiden. Und man hasst leichter, wenn man erst merkt, was für einen Spaß es macht, ihnen die Kehle durchzuschneiden, die Gedärme hinaus zu reißen und mit den Hirnen Fußball zu spielen.“

„Schwachsinn“, knurrte Joshua und entzog seinen Kopf ihren unangenehmen Fingern.

Plainacher grinste und näherte ihr Gesicht dem seinen. „Verfickter Sturkopf.“ Sie packte seine Haare wieder, streichelte ihn aber nicht, sondern riss daran. Mit ihren langen Nägeln kratzte sie seine Halsschlagader. Joshua verzog das Gesicht, er spürte ihren heißen Atem an seiner Wange und hasste es. „Noch bevor du das Arschloch Liam Warrick das Licht ausblasen kannst, werde ich dich schon dazu bringen einen anderen Menschen zu erlegen.“ Sie kicherte. „Dabei ist es doch so einfach. Man muss sich nur vor Augen halten, dass diese miesen Kreaturen weiterleben werden, im himmlischen Himmel oder Karriere in der Hölle machen können.“ Sie kratzte noch immer an seinem Hals und Joshua glaubte schon zu bluten, dabei rann ihm nur der Schweiß herunter. „Nicht so wie wir, die nur diese Chance haben.“ Mit der anderen Hand bohrte sie ihre Nägel in seine Kopfhaut. „Du musst doch einsehen, dass deswegen unser Leben mehr wert ist, als jenes, das in einer anderen Sphäre weiter geht. Wir hören auf zu existieren, sobald unser Herz aufhört zu schlagen. Wir müssen Angst vor dem Tod haben, nicht die.“ Pause. „Hattest du keine Angst, als dich dieses Arschgesicht gestern fast erlegt hätte?“ Pause. „Also ich hab permanent Angst...“

Vollkommen unerwartet biss Plainacher Joshua in den Hals.

Er schrie auf. Ohne Rücksicht auf sich selbst, stieß er sie von sich weg.

Sie landete auf dem Boden. Zwischen ihren Zähnen hielt sie einen kleinen Hautfetzen.

„Was sollte das eben?“, brüllte er.

Die wahnsinnige Dämonin spuckte die Haut aus. So genau wusste sie das selbst nicht...

„Du bist vollkommen verrückt.“ Sie zuckte mit den Achseln.

Joshua zeigte auf die Tür. „Raus hier. Oder ich sorge mit Gewalt dafür.“ Darauf konnte Plainacher nur kichern. Doch sie war zu sehr von ihrem eigenen, sexuell angehauchten Verhalten geschockt, als dass sie etwas hätte sagen können.

„Ich sagte, raus!“, grinsend blieb sie sitzen.

Wäre in diesem Moment nicht Angela zur Tür hereinspaziert, hätte Joshua Plainacher gepackt und aus dem Fenster geschmissen (zumindest träumte er davon, die Realität hätte wahrscheinlich die Rollen vertauscht).

„Fällt ihr gerade über euch her?“, kicherte sie. „Sorry, in der Küche herrscht Sexverbot.“

Plainacher stand auf. „Ehrlich gesagt, wollte ich gerade gehen.“

„Schon?“, seufzte Angela. Endlich, dachte Joshua.

„Ja, mein Haustier muss gefüttert werden.“

„Du hast ein Haustier? Hast du gar nicht erwähnt. Was hast du denn? Katze, Hund?“

„Ein...en...Hamster. Er heißt Taurus.“ In dem Moment kam der Labrador auf Plainacher zugestürmt. Joshua hoffte, der Köter würde ihr in den Hintern beißen, doch er leckte ihr die Hand ab. Verspielt fing die Dämonin an, seinen Kopf zu kraulen. Wieder ein Anblick den Joshua nicht verstand. Wieso mochte dieser verdammte Köter diese grausame Dämonin, ihn aber nicht?

„Aber wir können uns mal auf einen Kaffee treffen“, schlug Plainacher vor.

Angela grinste. „Du bist jeder Zeit willkommen.“

Joshua verdrehte die Augen. Hoffentlich war dieses Angebot nur so dahergesagt...

„Ach im Übrigen, Anthony, mit Warrick ist irgendetwas nicht in Ordnung, frag lieber jemanden um Hilfe, sonst macht er dich fertig. Ich unterstütze dich jedenfalls nicht schon wieder.“ Nach diesen Worten verließ Beenie Plainacher die Wohnung.

Joshua wusste nicht, ob er diesen Hinweis ernst nehmen sollte oder nicht.
 

Die beiden alten Freunde saßen am Tisch eines noblen Restaurants. Der dicke zündete sich eine Zigarre an, der dünne eine Zigarette, obwohl Rauchen in diesem Gebäude verboten war. Doch solche Verbote störten einen nicht, wenn man den Eigentümer des Restaurants zu seinem Freundeskreis zählen konnte. Die Dame am Nebentisch beschwerte sich und wies ihn auf die Verordnung hin, doch darauf konnte der Fette der beiden nur mit einem lauten Lachen antworten, und die überpenible Frau bat daraufhin den Tisch zu wechseln.

Das Gespräch der alten Freunde konnte beginnen.
 

Simon Braunstein: Ich wusste, dass du eines Tages zurückkommen würdest.

Erik Rotmann: Zurückkommen ist der falsche Begriff – ich bin wieder hergekommen. Ich bin vor einem Jahr zurück nach Deutschland gegangen.

Simon Braunstein: Ja, aber jetzt bist du wieder zurück in den USA. Und das feiern wir nun. Kellner! Eine Flasche Champagner bitte! Aber dalli!

Erik Rotmann: Freu dich nicht zu früh, denn mein Aufenthalt wird nicht länger als einen Monat dauern.

Simon Braunstein: Das hast du das letzte Mal auch gesagt. Und dann bist du fünf Jahre lange geblieben. Und in Deutschland wolltest du dann für den Rest deines Lebens verweilen und dort sterben. Und jetzt bis du wieder da. Dich zieht es in die USA, du alter Nazi.

Erik Rotmann: Ich habe auch vor in Köln zu sterben. Mein Aufeinhalt ist beruflich bedingt.

Simon Braunstein: Was hat ein deutscher Anwalt beruflich in einem Staat zu tun, der ein vollkommen anderes Rechtsystem hat?

Erik Rotmann: Der Herr, wegen dem ich hier bin, ist Amerikaner, hat angeblich einen Mord an einem zehnjährigen Mädchen begangen. Das IPR sagt nun einmal, dass der Fall in Deutschland verhandelt werden muss.

Simon Braunstein: Ja, leck mich mal einer. Doch das erklärt nicht, was du dann hier zu suchen hast.

Erik Rotmann: Bevor man ihn verdächtigte, war er schon abgereist, aber sobald die Behörden von dem Verdacht erfuhren, verhaftete man ihn. Er hat schon etliche Vorstrafen. Und jetzt rückt man nicht mit ihm heraus. Ich soll die Sache klären.

Simon Braunstein: Hat der Klient auch einen Namen?

Erik Rotmann: William Morley.

Simon Braunstein: Scheiße, woher kommt mit der Name nur bekannt vor? Hm... warte, nicht sagen... ich hab’s gleich... heilige Scheiße, war das nicht ein Kinderschänder? Scheiße, verdammt, ist das schon so lange her... Klar, das war der erste Typ, den ich in den Knast gebracht habe.

Erik Rotmann: Gut möglich.

Simon Braunstein: Und dieses perverse Schwein ist wegen guter Führung früher frei gekommen. Seither hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Ich dachte, er sei tot.

Erik Rotmann: Ich kenne seine Biographie nicht sehr genau, aber ich glaube, dass er in Deutschland untergetaucht ist. Zumindest so lange, bis er wieder ein Mädchen vergewaltigt und ermordet hat.

Simon Braunstein: Ein Mädchen diesmal. Damals hat er noch Knaben missbraucht.

(Der Kellner brachte endlich die Champagnerflasche, doch dem fetteren der beiden, war nun nicht mehr zu feiern zu mute.)

Simon Braunstein: Weißt du, Erik, ich verstehe nicht, wie du Arschlöcher wie diese Perverslinge verteidigen kannst.

Erik Rotmann: Sie haben das Recht auf die möglichst gerechte Strafe, und wenn sie niemanden hätten, der ihnen die Chancen zu Rechtfertigungen ermöglicht, Straftäter sich verteidigten müssten, ohne zu wissen, dass es eine möglichst geringe Strafe gibt, und nur einer entscheiden würde, wie der Täter zu bestrafen ist, hätten wir bald wieder willkürliche Lynchjustiz. Und dann ist es bekanntlich nicht mehr weit zur Anarchie.

Simon Braunstein: Das weiß ich – nicht nur du hast studiert. Doch du hast es dir zur Aufgabe gemacht, die größten Bestien vor dem Knast zu bewahren – verfehlt dieser Vorsatz nicht den Berufsethos?

Erik Rotmann: Nicht, wenn ich beweisen kann, dass es zu wenige Schuldbeweise gibt, um ihn zu verurteilen. Auch wenn alles dafür spricht, nur weil er nein sagt, heißt es noch lange nicht, dass er lügt.

(Der dünne Mann genehmigte sich ein Glas und schenkte auch gleich seinem alten Freund ein Gläschen ein)

Erik Rotmann: Im Falle William Morleys ist es so.

Simon Braunstein: Aber die Tatsache, dass er schon einmal wegen Vergewaltigung von Kindern gesessen hat, lässt an seiner Unschuld zweifeln.

Erik Rotmann: Und es ist meine Aufgabe, solche Vorurteile aufgrund der Vergangenheit und des Auftretens des Klienten zu vernichten, damit das Urteil möglichst gerecht wird.

Simon Braunstein: Nur leider wird Vernichten oft mit Ignorieren vertauscht.

(Die beiden lachten, stießen an und tranken.)

Simon Braunstein: Aber was soll’s, lass uns nicht über das leidliche Thema unseres Berufsethos diskutieren.

Erik Rotmann: Zum die Bedingungen in meinem Heimat komplizierter sind, einen Verbrecher rauszureden, als in deinem.

Simon Braunstein: Ach, du alter Nazi, lassen wir das Thema. Erzähl, wie geht es der Familie?

Erik Rotmann: Meine Mutter ist kürzlich gestorben. Und ich bin noch immer unverheiratet.

Simon Braunstein: Ach, das tut mir leid. Sowohl die tote Mutter, als auch dein ewiges Dasein als Junggeselle.

Erik Rotmann: Sie ist neunundachtzig geworden – bei dem Alter fühlt man nur Trauer, kein Mitleid.

(Da sie beide schon ausgetrunken hatten, schenkten sie wieder ein.)

Simon Braunstein: Meine älteste Tochter hat kürzlich geheiratet. Einen Verfassungsrechtler. Und schwanger ist sie schon. Und mein Sohn stranguliert sich noch immer im Medizinstudium. Ich hab’s ich ja ausreden wollen, doch er hat auf stur geschaltet. Ach, und die mittlere will noch immer in die Rabbinaschule.

Erik Rotmann: Opfer deiner Erziehung, du alter Itzig.

Simon Braunstein: Ich habe meine Kinder zwar religiös erzogen, aber nie sie zu einem Glauben gezwungen. Der Fanatismus war allein ihre Idee.

Erik Rotmann: Wenn ich solche Sachen höre, bin ich froh keine Kinder zu haben.

Simon Braunstein: Ach, das war nur der Anfang. Wenn ich dir erzähle, wie mein lieber Nathan ein schönes Getränk namens Wodka für sich entdeckt hat. Scheiß Russenpack, vergiften unsere Nachkommen nicht nur mit ihren kommunistischen Ideen, sondern – sogar noch stärker – mit ihren Teufelsgetränken.

Erik Rotmann: Ich will dich nicht daran erinnern, wie du dich verhalten hast, als wir uns kennen lernten.

(Schon die halbe Flasche war geleert – und nun tranken die beiden noch schneller.)

Simon Braunstein: Ich hab dir gar nicht erzählt, dass ich heute einen Prozess gegen Liam Warrick übertragen bekommen habe.

Erik Rotmann: Du meinst diesen sechsundzwanzigjährigen, dem eine Ölraffinerie gehört?

Simon Braunstein: Genau der. Hat ordentlichen Ärger wegen illegalem Waffenbesitz, Drohung, Körperverletzung und Ruhestörung.

Erik Rotmann: Was du nicht sagst.

Simon Braunstein: Der bestreitet natürlich alles, aber es gibt etliche Zeugen. Laut allen, hat er ursprünglich einen Typen verprügeln wollen, doch weil der ihm entwischt ist, hat er einem unschuldigen eine Waffe an den Schädel gehalten, und ihn danach niedergeschlagen.

Erik Rotmann: Sehr interessant.

Simon Braunstein: Wahrscheinlich war der Trottel heckedicht. Aber schon okay, seine Weste war in seinen Augen viel zu sauber. Jeder Mensch hat Schattenseiten, das weiß man als praktizierender Jurist.

(Die letzten Schluckte waren getrunken und Champagnerflasche war nun leer. Der dünne Mann schaute auf die Uhr.)

Erik Rotmann: Ich muss leider aufbrechen, mein erstes Treffen mit Morley soll in einer Stunde stattfinden. Ist es okay, wenn ich dir die Rechnung überlasse?

Simon Braunstein: Ich hab dir doch von Anfang an gesagt, dass ich zahle. Es war schön dich mal wieder getroffen zu haben, du alter Nazi.

Erik Rotmann: Gleichfalls, du alter Itzig.
 

Die beiden Männer reichten sich im Stehen die Hände und sie sahen sich dabei tief in die Augen. Der Dickere bekam auf der Stelle Kopfschmerzen, schob es aber auf den Alkohol, den er zu schnell getrunken hatte. Seit einer Herzoperation vertrug er gar nichts mehr. Schnell setzte er sich.

Sein deutscher Freund hatte schon das Gebäude verlassen, als er einen Hirnschlag bekam, dem er sofort erlag.

Erik der Rote hatte Simon Braunstein schon vor ihrem Kennenlernen umbringen wollen, hatte es aber irgendwie verschwitzt. Immer wieder machte er sich Vorwürfe, weil dieser Anwalt für seinen Geschmack zu viel Kontakt mit paranormalen Wesen hatte, jedoch war ihm bis jetzt kein Grund eingefallen, warum er den Herren hätte umbringen können.

Doch nun hatte er leicht behaupten können, dass er als Staatsanwalt die Leutnantsprüfung des William Morley verhindern könnte, der seinen perversen Gelüsten nicht entkommen konnte.

Sowohl Morley als auch Beenie bedienten sich fadenscheiniger Ausreden um ihre morbiden Begierden zu stillen – der Hölle oblag die Kontrolle der Begründungen, und ihnen war relativ egal, welcher sie sich bedienten, Hauptsache, der Mörder lieferte eine, und da es im Vertrag kein Wichtigkeitsgrad der Begründung festgesetzt war, konnte auch der Himmel nicht wegen Vertragsbruch klagen und angreifen.

Doch Erik der Rote mochte so dumme Ausreden, wie jene, die seine Schüler benutzen, jedoch nicht. Er sah sich als Gentleman. Auch seine Begründungen mussten Stil haben.
 

Die Sonne war kaum untergegangen, doch schon lagen Jonathan und Toraria in ihren Schlafgewändern im Bett. Nachdem Gabriel X. Paradiso die gestrigen Ereignisse als Katastrophe beurteilt hatte, obwohl in Jonathans und Torarias Augen alles nach Plan gelaufen war, hatte er ihnen heute frei gegeben und die Streife einem Mentor und seinem Schüler überlassen. Sie wollten den unerwartete Freizeit zum Ausruhen nutzen.

Doch von Schlaf konnte keine Rede sein. Auch von Ruhe nicht.

Jonathan lag auf dem Rücken, starrte auf die Decke und hielt die Hand seiner Gattin, die in derselben Position lag.

„Was haben wir uns nur dabei gedacht?“, raunte er. „Wir hätten den Chef von Anfang an einweihen sollen.“

Toraria streichelte zwar seine Hand, doch Jonathan wusste, was sie eigentlich sagen wollte: „Das sagst du nur, weil du willst, dass deine Narbe aufhört zu schmerzen.“ Er reagierte darauf jedoch nicht. Er musste reden. Es lag ihm nicht nur die Narbe auf der Seele, sondern auch die Angst, die er vor seinem Chef entwickelt hatte. Das in letzter Zeit ergatterte Selbstvertrauen wurde noch immer von seiner Furcht auf die Probe gestellt.

„Wieso machen wir das eigentlich?“, seufzte er. „Warum versuchen wir den Messias auf unsere Seite zu ziehen? Können wir nicht einfach Gabriel X. Paradiso die Wahrheit sagen, damit er ihn umbringt und erst die Leute in 1000 Jahren mit dem Problem kämpfen können?“

Toraria legte den Kopf zur Seite. „Wenn man ein Problem aufschiebt, verschwindet es nicht, sondern wird nur größer“, sagten ihre Augen.

„Ich weiß...“ Zum Glück sprach sie nicht und glücklicherweise konnte ihre Mimik nicht so viel verraten, wie sie ihm gerne mitteilen würde. Doch Jonathan wusste, was sie sagen würde. Dass der Messias immer viele Probleme mit sich brachte, bringt und bringen wird und je weiter die Konfrontation mit der Apokalypse in Zukunft geschoben werden würde, umso komplizierter würden die Verschwörungen werden, umso mehr Opfer würde es schlussendlich geben. Dass sie denselben Verzweiflungsakt wie die Hölle verüben würden, den sie bei Jesus Christus anwandten, wenn sie Joshua Nazara enttarnten, und sie durften sich nicht auf das Niveau dieser Verbrecher einlassen – sie mussten anders kämpfen. Und dass Jonathan, dessen Lebenserwartung bei achttausend Jahren lag, wahrscheinlich auch den nächsten Messias miterleben würde, sich also nicht davor drücken konnte.

Doch wenn man permanent mit Schmerzen konfrontiert war, die einen in die Knie zwangen, hatte der Mord an Joshua Nazara die schönsten Reize.

Er legte seinen Kopf auf die Schulter seiner Gattin. In anbetracht der unbarmherzigen Kälte, die sie ausstrahlte, konnte man sich kaum vorstellten, dass ihre Schulter wie der weichste und kuscheligste Polster sein konnte. So an sie geschmiegt, konnte er immer einschlafen, auch wenn ihm die gerade frisch zu bluten angefangene Narbe das Herz aus der Brust zu reißen zu schien.

Doch Schlafen würden die beiden längere Zeit nicht können.

Jemand läutete an der Tür.

Ruckartig setzte sich Toraria auch und schmiss Jonathan von ihrer Schulter. Dabei flog er fast aus dem Bett.

„Musste das sein!“, fauchte er.

Toraria kletterte hastig aus dem Bett und Jonathan konnte ihrer Silhouette kaum folgen, als sie das Schlafzimmer verließ und die Treppen herunterstürzte.

„Was hetzt du dich so!“, jammerte Jonathan, der ihr gähnend nachkam. „Wird wahrscheinlich die alte Spencer sein, die beim Spionieren unseren Genius gesehen hat.“ Der Hausgeist in Form eines Drachen ließ sich nämlich nicht gerne in der Urne einsperren, und zischte nachts gerne vorm Fenster herum, was die Nachbarn irritierte.

Nach dieser Aussage zeigte Toraria auf die Glaskugel, die zeigte, wer sich gerade vor der Haustür befand. Es folgte ein vorwurfsvoller Blick mit der Aussage: „Sag mal, hast du ihn nicht gespürt?“

Irritiert blickte Jonathan auf die Reflexion – ein etwas kleiner Mann, in Jeans und einem Kapuzenpullover, dessen Gesicht grausam vernarbt war, stand vor ihrer Haustür.
 

„Danke“, sagte die junge Frau, die Joshua auf neunzehn Jahre schätze. „Kann ich mich irgendwie erkenntlich zeigen?“

„Nein.“ Dass sie sich bedankt hatte, war die schönste Form, wie sie ihre Freude zeigen konnte. Langsam sah er ein, dass es ihm darum ging, Dankbarkeit zu erhalten, wenn er einem Menschen das Leben rettete. In der Hölle schien es dieses Wort nicht zu geben. Meistens bekam man eine schroffe Antwort, wenn man dort jemandem half. Er erkannte, dass er Erkenntlichkeit vermisst hatte. Deswegen bezweifelte er stark, dass er jemals aufhören würde, Menschen zu helfen. In Momenten wie diesen dachte er, dass sich Beenie Plainacher ihren Wunsch, dass einen Artgenossen töten würde, in die Haare schmieren konnte.

Die junge Frau lächelte und sah schön aus.

Sie war gerade von einem geisterhaften Tierwesen, eine Mischung aus Leopard und Bär, angegriffen worden. Sie hatte diese Kreatur allerdings als vulgären Taugenichts wahrgenommen hatte, der kein anderes Interesse hegte, als ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie zu vergewaltigen. Wahrscheinlich war das auch das Ziel des Tiergeistes gewesen.

Im letzten Moment hatte Joshua die Kreatur in Flammen aufgehen lassen. In ihren Augen war er nur blutig geschlagen worden und dann geflohen.

„Dürfte ich dann wenigstens Ihren Namen wissen?“

Es gab nichts, was dagegen sprach. „Joshua.“ Ihm gefiel die junge Frau. Sie war groß, schlank, hatte ein unauffälliges, aber hübsches und ebenes Gesicht, das von langen, dunkelbraunen Haaren umrahmt war.

„Ich bin Magdalena.“ Pause. „Darf ich Sie nicht einmal auf einen Kaffee einladen?“

Joshua schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab es eilig.“

„Dann bedanke ich mich noch einmal dafür, dass sie trotz der wenigen Zeit mein Leben gerettet haben.“

Er nickte. Und ging nach einem kurzen „Ciao“. Wenn sie sich noch länger bedanken und dabei weiterhin so freundlich lächeln würde, würde er sie noch auffordern, dass sie ihn auf einen Kaffee einlud. Doch er durfte sich von einem hübschen Gesicht nicht ablenken lassen. Er musste mit diesen beiden komischen Leuten sprechen, die ihn registriert hatten.

Nach dem „Gespräch“ mit Plainacher hatte er das Bedürfnis sich mit jemandem zu unterhalten. Doch es musste ein paranormales Wesen sein, das seine Lage besser verstehen konnte, dem er nichts vorlügen musste. Seine Schwester fiel also aus. Am liebsten hätte er mit Erik dem Roten und Lillith gesprochen, doch beide reagierten nicht auf seine Hilferufe. Und die einzigen, die ihm einfielen, waren eben der Alb und die Magierin, die ihn verhört und dann ihre Freundschaft angeboten hatten. Zwar waren sie von der Gegenseite, was bedeutete, dass er auch hier aufpassen musste, was er sagte, doch vielleicht konnten sie ihn bezüglich Liam Warrick aufklären und ihre Erfahrungen mit anderen Höllenbewohnern mit ihm teilen. Besonders die Warrick-Problematik machte ihn zu schaffen. Ihm kam die Prüfung von Anfang an ein wenig zu schwer vor. Und dann hatte sich Plainacher auch noch mit so einem komischem Hinweis verabschiedet.

Als er das Gebäude von außen sah, gab es keine Hinweise darauf, dass hier paranormale Existenzen wohnten. Er stand vor einem schlichen Einfamilienhaus. Alle Räume waren verdunkelt. Dies förderte die Hemmungen anzuläuten. Nachdem er zehn Minuten vor der Tür gestanden hatte, betätigte er die Türglocke. Bereute kurz. Dann ging die Türe auf.

Entgegen seiner Erwartungen stand nicht der blonde Alb vor ihm, sondern die schwarzhaarige Frau, die ohne Gesichtsregung auf ihn starrte. Ihre Augen waren nun noch unheimlicher als bei der ersten Begegnung.

Auf ihr schwarzes Seidennachthemd, das die Wölbungen ihres Körpers auf erotische Weise abzeichnete, starrend, fragte er: „Störe ich?“

Wenig später tauchte Jonathan (wow, er konnte sich plötzlich an den Namen erinnern) auf. „Hey, schön dich wieder zu sehen!“, johlte er.

„Störe ich?“, wiederholte Joshua.

„Nein, nein, ganz und gar nicht. Wir haben uns schon länger gefragt, wann du endlich hier auftauchen wirst, gell Tori?“ Keine Reaktion. „Siehst du, sie stimmt mir zu.“

Joshua verkniff sich einen Kommentar.

„Willst du ewig draußen rumstehen? Komm rein, es ist kalt.“

„Es hat zwanzig Grad.“

„Egal, komm rein.“ Jonathan packte Joshua am Arm und zog ihn ihr Heim. Ein schnelleres Schließen der Tür hätte daraufhin nicht folgen können.

Die Einrichtung deutete schon eher darauf hin, dass hier sehr exzentrische Individuen wohnten. Schwarze Mauer, schwarzer Boden, schwarzer Aufbewahrungsschrank und eine schwarze Lampe, in einer Ecke stand eine Glaskugel, die reflektierte, was sich vor der Haustür abspielte – mehr gab es im Vorzimmer nicht. Auch das Licht konnte nicht daran hindern, dass man dieses Zimmer als dunkel bezeichnen musste. Wand und Boden gaben keine Lichtreflexe wieder, nur die beiden Hauseigentümer wurden beleuchtet.

„Tee, Kaffee, Wasser?“, fragte Jonathan

„Kaffee.“ Joshua hatte noch immer Kopfschmerzen aufgrund des Treffens mit Liam Warrick. Die Konfrontation mit Plainacher war auch nicht gerade erleichternd gewesen. Kaffee half aber oft gegen Schädelschmerzen.

Jonathan zerrte Joshua in die Küche, deren Einrichtung sich immens vom Vorzimmer unterschied. Die bäuerlichen Holzschränke waren bis zum Anstoßen vollgefüllt, ein Chaos, in dem sich auch Jonathan nicht auskannte, er öffnete jede Schranktür dreimal, bis er die Kaffeebohnen endlich fand. Vorher stolperte er über mehrere Blechdosen für Gewürze, Putzfetzen, halbleere Getränkeflaschen und eine tote Ratte, die er auf die blauen Bodenfliesen schmiss. „Dieser verdammte Genius“, murmelt er, während er die Kaffeebohnen mahlte.

Joshua legte den Kopf schief. „Der was?“

„Ein Genius ist ein Hausgeist, den alle paranormalen Wesen bei sich hausen haben. Normalerweise sind sie in Urnen eingesperrt, aber unserer bricht oft aus und verwüstet alles.“ Pause. „Wir wollen eigentlich keinen, müssen aber einen haben. Dafür hassen wir aber Klagegeister.“

In der Zwischenzeit lehnte sich Toraria gegen den Kühlschrank mit einem Schokoladeriegel in der Hand.

„Was sind Klagegeister?“

Jonathan verdrehte die Augen. „Verstoßene Genii. Rennen immer heulend rum, deswegen heißen sie auch so. Lernt man in der Hölle so etwas nicht?“

„Nein.“ Pause. „Ich kenne nicht einmal die Hierarchie.“

„Och, das ist nicht so schlimm, denn wir kennen die Hierarchie, verstehen sie aber nicht, gell Tori.“ Sie schüttelte doch tatsächlich den Kopf, doch das war keine Bestätigung, sondern Ärgernis, weil ich Gatte Blödsinn gesprochen hatte. ER verstand die Hierarchie nicht, sie schon.

„Obwohl die Hierarchie der Hölle nichts ist, im Vergleich zu jener, des Himmels. Oder die APEHA.“ Jonathan zuckte zusammen.

Es war verboten, Bewohnern der Hölle den Namen der Exekutiv-Organisation paranormaler Wesen zu nennen. Eine sinnlose Regel, denn jeder Höllenbewohner kannte früher oder später den Namen, auch, wofür die Initialen standen, aber trotzdem war es verboten.

Joshua legte den Kopf schief. Er kannte den Namen im anderen Zusammenhang. „Association for Production of Ecofriendly Hi-Tech-Apparatures? Meine Güte, die haben wir damals in der Schule besprochen, aufgrund ihrer revolutionären Ideen im Bereich der Anwendung alternativer Energie. Ich hab das nie verstanden.“ Pause. „Wie kommt ihr auf den Vergleich?“

„Tja, paranormale Wesen müssen auch das menschliche Weltgeschehen beobachten“, kicherte Jonathan. Gerettet. Aber so, wie er redete, baute er den Verdacht sicher nicht ab. Schnell ein Themenwechsel. „Was führt dich hier her?“ Er musste schreien, da die Kaffeemaschine so laut war. „Und warum hast du Toris Zauber nicht benutzt?“

„Liam Warrick.“ Den zweiten Satz überhörte Joshua. Er hatte ihn allerdings vergessen.

„Wer?“

„LIAM WARRICK!“, brüllte Joshua.

„Ach der.“ Der Kaffee war fertig, Jonathan überreichte ihn schwarz und Joshua war es zu unhöflich nach Milch und Zucker zu fragen. „Ist das nicht ein Prüfungsopfer?“

„Jep.“

„Wow, da hast du doch eh den Jackpot gezogen. Ein überheblicher und sich selbst überschätzender Mensch, der mit veralteten Waffen hantiert, die er schwachen Dämonen abgenommen hat.“

Fast hätte Joshua verschluckte sich fast. Veraltete Waffen, dass er nicht lachte. „Ich krieg’s trotzdem nicht hin...“

„Haha, Schwächling.“

Joshua fauchte. Wenn der Alb wüsste, was für Waffen diese Witzfigur bei sich trug, würde ihm das Spotten vergehen. Leider hatte er Angst, das zu erwähnen, vielleicht gehörte dies zu den verbotenen Details. „Ja, gut, ich bin ein Schwächlich. Würdest du mir trotzdem sagen, was für Erfahrungen ihr mit ihm gemacht habt?“

Jonathan zuckte mit den Schultern. „Keine. Das heißt kaum eine. Ich meine, wir kennen ihn aus den Medien, sein Vater ist relativ tragisch gestorben, und obwohl wir nichts genaueres wissen, vermuten wir, dass ein paranormales Wesen dahinter gesteckt, doch da wir nichts beweisen können, ist der Fall unter den Tisch gefallen. Er weiß einiges über paranormale Kreaturen, aber nur lückenhaft, glaubt deswegen, alle sind böse, schießt wild um sich herum paranormale Leben zu treffen. Und wir dürfen nichts dagegen unternehmen, weil es unserer Institution verboten ist, Menschen zu töten.“ Pause. „Ehrlich gesagt, wünschen wir uns seit drei Jahren, dass der Trottel Opfer eines Prüfungskandidaten wird. Und jetzt kriegst du es nicht hin...“

„Wieso löscht ihr nicht einfach sein Gedächtnis?“

„Was sollen wir löschen, wenn wir nicht wissen, was er weiß. Dann können wir ihn gleich ins Wachkoma versetzen. Und das käme einem Tod gleich.“

Joshua verzog das Gesicht. „Weit habt ihr mich jetzt nicht geholfen.“

„Sorry, aber mehr wissen wir auch nicht.“

„Nicht mal irgendeinen Schwachpunkt.“

„Nö, tut uns leid. Er scheint unbesiegbar, seitdem er diesen Schutzschild hat.“

Toraria schlug sich auf die Stirn.

Joshua brauchte einige Minuten, bis er seine Gedanken in Worte fassen konnte. „Moment, woher weißt du von dem Schutzschild?“

„G...G...Ge...raten.“ Was bei Gabriel X. Paradiso heute schon nicht geklappt hatte, funktionierte auch bei Joshua Nazara nicht.

„Du weißt was!“, schrie Joshua in einem plötzlichen Anfall von Schock, schmiss den Kaffee auf den Boden und zeigte mit den Finger auf Jonathan. „Sag’s!“ Toraria legte ihre Hand auf Joshuas Schulter, doch er wimmelte sie ab. Verdammt, irgendwie beschiss ihn die ganze Welt. Erst ist Liam Warrick nicht so harmlos, wie vermutet, dann wird ihm eine psychopathische Dämonin an die Fersen geheftet, und jetzt belogen ihn zwei Witzfiguren aus einem mysteriösen Exekutivorgan, die ihm Hilfe angeboten hatten und nun nicht geben wollten. So konnte es nicht weitergehen. „Ich bin zwar nicht stark, aber ich lass mich nicht verarschen.“

„Wer verarscht dich hier?“, stammelte Jonathan.

„Na du!“

„Was, ich? Ne. Niemals. Ich kann nicht lügen, ich bin ein Alb. Die Tugend meiner Rasse ist weltbekannt. Hast du nie den Herrn der Ringe gelesen?“

„Schnauze!“, schrie Joshua. Und in seiner verzweifelten Rage, die die Nerven strapazierenden Worte des Albs noch förderte, schoss er eine Flammenwelle auf Jonathan.

Doch keine Sekunde später packte ihn den Alb am Nacken und mit einer eleganten Bewegung brachte er Joshua zu Boden. Er landete auf den Bauch, übermannt von dem Gefühl, dass sein Nacken aus Glas bestand. Seine Kopfschmerzen verdoppelten sich. Und plötzlich spürte er auch noch einen Druck am Rücken, ausgelöst durch Jonathans Fuß.

„Es ist nicht sehr nett, jemanden im eigenen Haus auszugreifen. Noch dazu, wenn man auf Hilfe angewiesen ist.“

„Wer einen anlügt, ist keine Hilfe“, knurrte Joshua.

Toraria seufzte. Da hatte der Schwächling Recht.

„Vielleicht wäre ich noch eine geworden.“ Er verlagerte mehr Gewicht auf den Fuß, den er auf Joshuas Wirbelsäule gestellt hatte, und dieser knurrte. „Wenn du mir versprichst dich in Zaum zu halten, Dämon, lass ich dich los.“

Joshua keuchte ein Okay.

„Wie war das?“

„OKAY!“

„Brav.“ Jonathan stieg von ihm herunter. Mit einem Lächeln reichte er ihm die Hand, doch Joshua lehnte die Hilfe ab. „Ach komm schon, du musst verstehen, warum ich dir wehgetan habe.“

„Und du musst verstehen, warum ich ausgerastet bin.“ Pause. Irgendwie fragte er sich, woher dieser schmächtige Blondschopf mit dem trotteligen Gesicht die Kraft und die Schnelligkeit aufgebracht hatte. In Zukunft würde er den Alb nicht mehr unterschätzen. „Ich gebe dir eine kurze Bestandaufnahme meiner Situation. Ich wohne bei meiner blinden Schwester, die mich für einen Cousin hält. Ich werde verfolgt von einer Dämonin, die mich dazu zwingen will einen Menschen zu töten. Und ich wurde fast umgebracht von einem wahnwitzigen Menschen, den ich aber umbringen soll, damit ich Karriere in der Hölle machen kann. Und jetzt verheimlicht mir auch noch ein trotteliger Alb Sachen, die ich brauchen könnte, obwohl er mir seine Hilfe angeboten hat.“

Jonathan verzog das Gesicht. „Das sind drei gute Argumente. Ich würde auch unter solchen Umständen verzweifeln.“ Er kratzte sich am Kinn und blickte fragend zu seiner Gattin.

Sie machte eine Geste, die bedeutete: „Sag was auch immer du willst. Wir verlieren ihn eh gerade.“

Er lächelte. „Weißt du, Messias, wir befinden uns auch gerade in einer sehr verzwickten Lage...“

„WIE hast du mich genannt?“ Schweißperlen bildeten sich auf Joshuas vernarbter Stirn.

Jonathan ließ sich nicht unterbrechen. „Wir wissen nämlich, dass du der Messias bist. Vermutlich als einzige der Exekutiv-Organisation, namens APEHA. Und wir wissen, dass du die Seite der Hölle gewählt hast. Aber wir wissen auch, unter welch unfairen Umständen du dies getan hast, und dass in dir genau Null Potential steckt ein guter Dämon zu werden. Wärst du nicht der Messias, hätte man dich schon längst zum Arbeiter ins Bergwerk geschickt, aber du bist nun mal der Messias. Und wir, Tori und ich, hatten die großartige Idee, dich auf unserer Seite zu ziehen.“

Er legte die Hand auf die Schulter seiner Frau, die ihren Plan gerade in Stücke zerfallen sah und deswegen noch finsterer dreinblicke, als sonst. Ein Fehler, denn Joshuas Ungewissheit wuchs dadurch ins unermessliche.

BITTE?

Sie wussten davon?

Verdammt, woher? Er hatte bei ihrem Gespräch nichts Verdächtiges gesagt! Oder? Er wusste es nicht mehr. Doch er erinnerte sich an die Verbote – die Gegenseite durfte nicht erfahren, dass sie es mit dem Messias zu tun hat. Und das war gerade passiert! Oder? Gehörte diese äh...APEHA, nannten sie sich wie diese Elektrofirma... überhaupt zur Gegenseite?

Wie lange wussten sie schon davon? Wusste die Hölle von diesem Wissen? Warum hatten sie noch nichts unternommen!

Er war verwirrt. Er musste hier raus. Er musste sich von seiner Schwester verabschieden, bevor Lillith ihm wortwörtlich die Hölle heiß machte!

Dieses Treffen war eine verdammt beschissene Idee gewesen.

Er drängte sich an Toraria und Jonathan vorbei, stieß dabei den Alb, dass dieser fast das Gleichgewicht verlor.

„Hey, wo willst du hin? Unser Gespräch hat doch gerade erst begonnen!“, rief Jonathan und folgte dem Messias.

„Dieses Gespräch hat nie stattgefunden!“, schrie Joshua hinterher, mit großen lauten Schritten bewegte er sich auf die Tür zu.

„Doch hat es! Selbst du kannst die Zeit nicht zurückdrehen.“ Zumindest jetzt noch nicht. „Ich muss dir noch mehr sagen, damit du das alles verstehst! Außerdem, musst du mir helfen!“ Als er angefangen hatte, Joshua mit „Messias“ anzusprechen, hatte die Narbe wieder zu bluten und zu schmerzen begonnen.

„DIESES GESPRÄCH HAT NIE STATTGEFUNDEN!“

Als Joshua den Türknauf berührte, wollte der Alb seine hohe Geschwindigkeit nutzen, doch der entkommene Genius zischte an ihm vorbei. Die Überraschung hinderte ihn. Und als er sich wieder fangen konnte, war der Messias schon zur Tür hinaus.

„Scheiße!“, jammere Jonathan und brach unter den Schmerzen zusammen.

Toraria schüttelte den Kopf und hatte nicht einmal die Idee ihren Gatten zu bemitleiden. Er hatte es versaut. Fast schon unverbesserlich versaut. Und dafür sollte er nun kurz leiden.

So würde es noch ewig dauern, bis er sich den beiden anvertrauen würde. Derartige Schocks konnten ihn dazu bewegen auf der Seite zu bleiben, auf der er sich befand. Bei der Hölle, auch wenn er nie ein wahrer Dämon werden würde.

Dass er sich entfernte, änderte nichts daran, dass sie seine Angst, seinen Zorn und seine Verzweiflung fühlte, als stünde er neben ihr.

Hoffentlich konnte sie die Lage noch verbessern.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück