Wie jedes Jahr
Schnee fiel leise auf sie nieder und kleine Atemwölkchen entflohen ihren Lippen.
„Wieso kommst du nicht?“
Ihr Blick ruhte auf dem Weg, der aus Konoha hinausführte. Im fallenden Schnee wirkte alles friedlich und still. Als würde die Zeit nur schleppend vergehen. Als wäre sie eingefroren in der Erinnerung. Hier hatte er sie damals zurückgelassen. Ihre Hände, welche in roten Handschuhen steckten, legten sich zusammen und Sakura schloss ihre Augen zu einem innerlichen Gebet.
Bitte. Ich warte schon fünf Jahre. Bitte, komm doch wieder…
Tränen sammelten sich in ihren Augen, aber sie verließen nie ihren Ursprung, sondern schienen in den smaragdgrünen Seelenspiegeln zu gefrieren.
Ein weiteres Jahr würde vergehen und die Einsamkeit zerfraß sie bereits innerlich. Diese fünf Jahre hatten ihr so vieles abverlangt. Ihr Lächeln war von Tag zu Tag trauriger geworden, bis es schlussendlich ganz verschwunden war. Langsam verloren ihre Augen an Glanz und wurden stumpf. Doch sie gab trotz allem nicht auf. Auch wenn jegliche Freude bereits erloschen war, die Hoffnung existierte weiterhin und ließ sie nicht aufgeben, obwohl ihr Verstand nichts anderes mehr von ihr verlangte. Sasuke würde nie zurückkehren, nie zu ihr zurückkehren…
Er hatte sie bereits vergessen, ihr Verstand wusste das, aber ihr Herz wollte es nicht wahrhaben, dass all diese fünf Jahre umsonst gewesen waren. Nein, denn wenn sie es akzeptieren würde, würde ihr Herz zerspringen, da alles nichts gebracht hat, da alles unnötig gewesen war. Deshalb klammerte sie sich an diesem kleinen Hoffnungsschimmer fest, damit sie in den Spiegel sehen konnte und sagen konnte, dass es richtig gewesen und immer noch richtig war.
„Komm doch bitte wieder.“
Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern und der Wind nahm sie sofort mit, als würde er ihr nicht erlauben, wie jedes Jahr hier zu stehen und durch Trauer zu verzweifeln.
„Bitte…“
Ihr Herz weinte wie jedes Jahr. Er war nicht gekommen. Ihre sonst so starke innere Stimme hatte sich zurückgezogen und zweifelte mit ihr. Ihre Augen ließen die salzigen Perlen nun endlich frei und diese liefen über ihre geröteten Wangen um dann mit den Schneeflocken in das dichte, weiße Flockenmeer zu fallen. Schluchzer schüttelten sie und sie ging zitternd in die Knie. Wie jedes Jahr. Ihre Arme schlangen sich um ihren Oberkörper, doch die Wärme und den Trost den sie suchte, fand sie in dieser Umarmung wie jedes Jahr nicht.
Ihre rosa Haare wippten im aufkommenden Wind hin und zurück und sie wischte sich mit ihren Handschuhen über die Augen um die Tränen zu trocknen, da die kalte Luft ihr in die feuchten Augen biss.
„Wie jedes Jahr…“, hauchte sie und sah in den Himmel, von wo diese kleinen flauschigen Eiskristalle kamen.
Ihre Augen schlossen sich und die Flocken legten sich sanft auf ihr Gesicht wo sie auch gleich schmolzen und ein angenehmes Gefühl hinterließen. Wie jedes Jahr.
Die angenehme Ruhe wurde jäh unterbrochen, als ein Schneeball plötzlich mit ihrem Kopf kollidierte. Erschrocken blickte sie sich um und erkannte den Übeltäter in Form ihres neuen Teamkameraden Sai, welcher auf einem Baum saß. Er trug einen dicken Schal und einen langen schwarzen Mantel, sowie schwarze Handschuhe. Wie immer alles in schwarz. Selbst er war intelligent genug zu wissen, dass sein fragwürdiges Oberteil in diesem Wetter nicht angebracht war. Sie erhob sich und klopfte sich langsam den Schnee von ihren Kleidern, darauf bedacht sich nicht aufzuregen. Ihren dicken rot gestreiften Schal zurechtrückend, fixierte sie den Schwarzhaarigen, welcher wieder sein künstliches Lächeln auf den Lippen hatte.
„Was sollte das?“
Sakura bemühte sich ihre Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, denn das würde gefährliche Folgen für ihn haben.
„Es fällt Schnee und da soll man doch Schneeballschlachten machen.“
Sein Ton war emotionslos und das aufgesetzte Lächeln auf den Lippen, war so gefühllos, dass ihr übel wurde.
„Das weißt du sicher nur durch eines deiner Bücher.“
Ihr war klar, dass er nichts von Gefühlen und normalen Verhaltensweisen verstand und obwohl er sie mit seinen dummen Fragen und zeitweise anstößigem Verhalten zur Weißglut bringen konnte, so war ihr bewusst, dass er selbst keine Schuld an seinem Zustand trug. Deshalb gaben Yamato und Kakashi ihm auch so viele Bücher über die Verhaltensweise der Menschen, damit er das alles nachholen konnte. Aber waren Bücher der richtige Weg? Den Schnee aus ihrem Gesicht wischend entschied sie sich für ein klares Nein.
Seine dunklen Augen sahen sie verwirrt an. Hatte sie ihn jetzt doch irgendwie verletzt?
„Ja, ich weiß es aus meinen Büchern.“
Für einen Moment glaubte sie einen Funken Unsicherheit in seinen Augen zu sehen, aber es konnte auch nur eine Einbildung gewesen sein. Er schwieg und auch Sakura wusste nicht was sie sagen sollte, immerhin war ihr letzter Satz und besonders ihr herablassender Tonfall ziemlich unfreundlich gewesen. Um nichts sagen zu müssen, wandte sie sich wieder der Straße zu, welche sie bis vorhin erwartungsvoll angestarrt hatte. Auch wenn sie jetzt eine unerwartete Gesellschaft hatte, brachte sie das noch lange nicht aus der Fassung.
Minuten verstrichen, als sie Sais Stimme wieder vernahm.
„Auf wen wartest du?“
Sie fragte sich innerlich ob es sinnvoll wäre ihm zu antworten, da sie auch sonst mit einem einfachen „Hm“ immer gut davon gekommen war. Aber sie entschied sich dazu, ehrlich zu sein. Vielleicht fühlte sie sich doch etwas schuldig wegen ihrem Ausraster.
„Ich warte auf Sasuke.“
Ihre Stimme war leise und sie drehte sich nicht zu ihm um. Wahrscheinlich würde er wie die anderen auch nur seinen Kopf über ihr Verhalten schütteln. Es war kindisch was sie tat. Sie wusste das. Wieder blieb es still und nur der Wind, der über die Straße blies, erinnerte Sakura daran, dass die Zeit nicht stehen geblieben war.
„Du tust das jedes Jahr.“
Es war nur eine Feststellung seinerseits gewesen, aber sie reichte, damit ihr wieder klar wurde, was sie tat und wie unnötig es war. Sie biss sich auf die Unterlippe um nicht laut aufzuschluchzen, aber die Tränen kamen trotzdem.
Wieso hatte er das sagen müssen? Doch im Grunde wusste sie, dass gerade Sai es war, der die Dinge gleich auf den Punkt brachte, egal wie schmerzhaft die Wahrheit war. Sakura wusste das doch alles, aber es von jemand anderem zu hören, das war wie ein Stich mitten ins Herz.
„Ich weiß…“
Sie konnte nicht mehr innehalten. Wieder schluchzte sie, wie jedes Jahr.
„Ich weiß, dass er nie wieder kommt, a-aber ich will es. Ich will dass er wiederkommt!“
Tränen strömten über ihre Wangen, als sie die Worte schrie. Wieder ging sie in die Knie, da sie ihr Gleichgewicht durch ihre Schluchzer nicht mehr wahren konnte. Ihr war es egal, dass sie vor ihrem Teamkameraden gerade die Fassung verlor. Es musste alles raus.
Plötzlich legte sich ein Schatten über sie und sie sah schluchzend hoch. Sai war neben sie getreten und blickte mit seinem undurchschaubaren Blick auf sie nieder. Seine schwarzen Augen waren so emotionslos wie immer, aus ihnen Sprach kein Trost, nur Verwirrung. Er verstand nicht warum sie weinte. Ein bitteres Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie in seine schwarzen Augen sah.
So wie die von Sasuke.
Schneeflocken legten sich auf seinen Kopf und sein Haar glänzte im Licht der Straßenlaterne. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass es dunkel geworden war. Den Blick von ihm losreißend, musterte sie wieder die leere Straße, die in die Dunkelheit der Nacht führte.
„Wieso weinst du?“
Seine Stimme war dunkel und rau. Sie vermied es ihn anzusehen. Sie würde doch nur wieder in Tränen ausbrechen wenn sie in diese ihr so vertrauten Augen schauen würde. Kleine Atemwölkchen entflohen ihren Lippen und stiegen hoch zu den Wolken. Sie legte den Kopf in den Nacken, darauf bedacht nicht in seine Richtung zu schauen. Sie hatte ihm immer noch nicht geantwortet, aber er wartete geduldig darauf, dass sie es ihm erklärte. Wie immer.
„Ich weine, weil ich traurig bin.“
Sakura kam sich vor, als würde sie mit einem kleinen Jungen reden und nicht mit einem gleichaltrigen jungen Mann. Sais Tonfall war immer noch fragend.
„Wie lange wartest du schon?“
Sie rang innerlich mit sich selbst. Sollte sie jetzt eine Gefühlsunterhaltung mit ihm führen? Andererseits, wen hatte sie sonst?
„Fünf Jahre.“
Ein Blick in seine Richtung zeigte ihr genau das, was sie am wenigsten sehen wollte. Er sah sie mitleidig an. Aber sie wollte kein Mitleid, sie wollte nur, dass Sasuke zu ihr kam. Ihr Kopf senkte sich.
„Ich brauche kein Mitleid Sai. Trotzdem Danke dass du mir zugehört hast.“
Ihre Stimme war ein Flüstern und sie erhob sich von ihren Knien. Obwohl sie immer noch leicht müde vom Weinen war, so wusste sie, dass das Warten heute genauso ergebnislos bleiben würde wie die Jahre davor.
„Ich glaube du brauchst kein Mitleid Sakura. Das was du willst ist Gesellschaft.“
Sie sah ihn verwundert an. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Sai wirkte genauso überrascht über seine Worte, da er anscheinend einmal richtig gelegen hatte. Er hatte Recht. Aber woher wusste er das? Aus einem seiner Bücher? War es wichtig? Nein.
Sakura zwang sich zu einem ehrlichen Lächeln und nickte nur stumm. Jedes weitere Wort wäre wahrscheinlich wieder in einem Weinkrampf untergegangen. Wie konnte es sein, dass dieser emotionslose Mensch ihr so unter die Haut gehen konnte?
„Du lächelst wieder.“
Wieder nur eine Feststellung, aber es störte sie nicht. Er war eben Sai. Er war unbeholfen im Umgang mit Menschen und dennoch versuchte er so gut es ging wieder dazuzulernen. Er würde wahrscheinlich noch mehr als nur einmal ins Fettnäpfchen treten, doch es war nicht so wichtig. Denn er war hier. Er war an ihrer Seite und egal wie sehr er sie manchmal an Sasuke erinnern würde, so war ihr trotzdem bewusst, dass sie sehr verschieden waren.
Einmal tief durchatmend blinzelte sie die Tränen weg und hielt ihm ihre Hand hin. Sai musterte diese kurz verwundert bevor er sie zaghaft berührte. Doch sie ließ ihm keine Zeit weiter darüber nachzudenken, als sie ihre Finger mit seinen verhakte und zurück zum Dorf ging. Es fühlte sich richtig an, der leeren Straße den Rücken zuzukehren, denn zum ersten Mal war sie nicht alleine, als sie zurückging. Sai hatte aufgeholt und ging nun neben ihr her. Die Finger immer noch um ihre umschlossen.
„Danke, Sai.“
Der Schnee fiel weiterhin, als wäre nichts gewesen aber es hatte sich etwas geändert. Es war nicht wie jedes Jahr.