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Step Into My World

von

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Step Thirty-eight… Defenseless

Sieh, wie hilflos die Seele da liegt, die noch nicht wurzelt in dem Felsengrund der Wahrheit!
 

Augustinus Aurelius
 

Massanorie Lenjier
 

Es war eine Katastrophe, auf ganzer Linie!

Ich wollte nur mehr über ihn wissen und hatte dafür seine Freunde missbraucht und ihn mal wieder belogen, ihn in die Ecke gedrängt und nun hatte ich vielleicht alles kaputt gemacht. Seufzend stand ich im Türrahmen meines Schlafzimmers und sah Mamoru an, welcher unruhig schlief. Noch nie hatte mir eine meiner Handlungen so leid getan wie diese. Als er weinend in meinen Armen gelegen hatte und Schmerzen hatte, da wusste ich nicht was ich tun sollte. All diese Informationen wollten einfach nicht sacken. Nie hätte ich gedacht, dass er misshandelt worden sei, ich dachte, er hätte einfach nur eine schwere Kindheit. Aber das – das war einfach etwas, was für mich kaum vorstellbar war.

May und Yosuke hatten versucht Mamoru zu beruhigen, aber erst drei Schmerztabletten und die Erschöpfung seinerseits halfen uns ihn ins Bett zu bekommen. Die beiden waren ebenso geschockt wie ich und so waren sie vor einigen Minuten gegangen. May hatte geweint und auch Yosuke schien völlig überfordert mit der Situation.

Seufzend strich ich mir durch die Haare und fragte mich wie es nun weiter gehen sollte.

Was sollte ich jetzt machen?

Wie sollte ich mich verhalten?
 

Ich löschte das Licht in der Wohnung und betrat mein Schlafzimmer. Vorsichtig setzte ich mich auf die Bettkante und sah Mamoru an. Das hier war kein erholsamer Schlaf, er wälzte sich von einer Seite auf die andere und murmelte etwas vor sich hin.

Meine Finger glitten durch sein schwarzes Haar. „Alles ist gut… ich pass schon auf…“ Mamoru entkrampfte sich leicht und atmete nun etwas ruhiger. Diese Nacht würde ich bestimmt kein Auge zubekommen. Völlig erledig legte ich mich auf die andere Seite, drehte mich auf die Seite und sah Mamoru an. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit, aber ich wartete geduldig, bis ich seine Gesichtszüge wahrnehmen konnte. Seine Atmung wirkte hektisch – ich rutschte an ihn heran und legte meine Stirn an seine. Leise flüsterte ich ihm Worte zu, damit er vielleicht etwas innerliche Ruhe fand. Doch eigentlich sollten sie mehr für mich sein. Ich musste mir selbst einreden, dass es wieder gut werden würde.

Wie lange ich so wachgelegen hatte wusste ich nicht, aber irgendwann hatte mich die Müdigkeit doch eingeholt und ich fiel in einen traumlosen, nicht erholsamen Schlaf.
 

Es war Sparky der mich weckte, er winselte und leckte mir über die Hand und das Gesicht. „Lass das!“ zischte ich nur und schob seine Schnauze von meinem Gesicht weg. Doch er kam wieder an und ich hörte wie er aufgeregt hin und her lief. „Was ist denn los?“ murmelte ich nur und fühlte mich schrecklich geschlaucht. Mein Kopf drehte sich zur Seite und ich brauchte einige Sekunden um die Leere neben mir verarbeiten zu können.

Ich richtete mich langsam auf und rief nach ihm. „Mamoru?“ doch ich bekam keine Antwort. Mein Blick glitt durch den Raum und blieb an der Sporttasche hängen, welche noch immer vor meinem Schrank lag. Das war doch gut, oder? Mit einem Blick auf die Uhr, die mir 09:22 Uhr anzeigte, stand ich auf und obwohl ich mir einredete, dass alles gut war, beschlich mich ein ungutes Gefühl. „Mamoru?“ Ich sah in jeden Raum, aber er war weg!

Seine Schuhe waren weg, sowie seine Jacke.
 

Sparky winselte und kratzte leicht an meiner Haustür. „Ist alles gut. Komm her.“ Ich ging in die Knie und streichelte Sparky durch das Fell. „Ich muss dich demnächst mal wieder bürsten um das Winterfell runter zu bekomme, oder?“ ich lächelte leicht und sah zur Haustür. „Er wollte bestimmt nur allein sein…“ wisperte ich, während Sparky sich an mich drängte und erneut winselte. Sparky schien sich ebensolche Sorgen zu machen wie ich.

Auf dem Wohnzimmertisch lag mein Handy und ich hoffte, dass er mir eine Nachricht geschickte hatte oder ein Anruf auf meiner Mailbox war, aber nichts.

Ich suchte seine Nummer heraus und wählte sie. Das Geräusch am anderen Ende ließ mich kurz aufatmen – sein Handy war nicht ausgeschaltet, das war gut, doch es klingelte einfach vor sich hin und nach einer gefühlten Ewigkeit schaltete sich die Mailbox ein. Ich legte auf, da ich aus Prinzip schon nicht auf diese Dinger sprach – außerdem war er sicherlich nur sauer auf mich.

Mein Blick glitt zu Sparky der neben mir saß und mich ansah. „Er ist nur sauer, du wirst sehen, wir fahren bei ihm vorbei und dann schreit er mich kurz an und im Endeffekt werde ich ihm einen guten Therapeuten empfehlen und alles wird wieder gut!“

Doch ich konnte sehen, dass Sparky mir das nicht einmal ansatzweise glaube, er legte sich auf den Boden und sah traurig zu mir hoch.
 

In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit, als ich im Fahrstuhl stand und erneut versuchte Mamoru zu erreichen. Doch er ging auch nicht ans Festnetz, obwohl ich meine Nummer unterdrückte.

Hatte ich es vielleicht wirklich zu weit getrieben?

War das dieser Moment, vor den meine Mutter mich seit Jahren warnte?

Das ich eine Grenze überschritt und am Ende die Konsequenzen tragen musste?

Aber was sollte hier schon die Konsequenz sein?

Nachdenklich verließ ich den Fahrstuhl und wollte gerade das Gebäude verlassen, als mich der Portier ansprach. „Guten Morgen Herr Lenjier.“

Auf Smalltalk hatte ich gerade wirklich keine Lust. „Morgen.“ Kam es nur leise von mir.

„Herr Lenjier, bitte warten Sie kurz. Ich habe eine Nachricht für sie.“

„Ich habe gerade keine Zeit für sowas!“ fauchte ich nur. „Ich hole sie mir nachher ab.“

„Entschuldigen Sie Herr Lenjier. Ich lege die Nachricht des jungen Mannes in ihr Fach und informiere meinen Kollegen, dass…“ „Was für ein junger Mann?“ ruckartig drehte ich mich um und kam wieder zurück. Auf die Idee, dass Mamoru mir eine Nachricht hinterlassen hatte war ich nicht gekommen. Irritiert sah mich Herr Yuge an.

„Oh – der junge Mann, der zurzeit öfter bei Ihnen ist. Er hat heute Morgen um kurz vor fünf das Gebäude verlassen, kam dann aber noch einmal zurück und gab mir das hier und bat um einen Zettel und einen Stift.“ Er griff in das Fach mit meinen Namen und nahm einen Zettel und einen Gegenstand heraus. Ungläubig starrte ich auf den silbernen Schlüssel und plötzlich wurde mir bewusst, dass es mein Haustürschlüssel war. Das hier war mein Schlüssel, den ich ihm gegeben hatte. Ohne ein Wort zu sagen griff ich nach dem Zettel und faltete ihn auseinander.

Ich kann nicht mehr – es tut mir leid.

Das war alles. Nur dieser kurze Satz und der Schlüssel. Wenn ich bis zu diesem Moment noch dachte alles würde gut werden, so stieg nun eine leichte Panik in mir auf.

<Ich kann nicht mehr – es tut mir leid>was sollte das denn heißen – wieso schrieb er mir so etwas und gab mir diesen bescheuerten Schlüssel zurück?

Ohne noch etwas zu sagen, verließ ich das Haus und steuerte auf mein Auto zu. Gestern hatte ich keine Lust mehr gehabt in die Tiefgarage zu fahren was mir nun zu gute kam. Diese war nämlich durch Glatteis gesperrt worden und wurde gerade vom Hausmeister vom Eis befreit.

Meine Gedanken sprangen hin und her und so langsam bildeten sich Bilder in meinem Kopf die nicht positiv waren und so kam ich bei Mamoru an und wurde immer ungeduldiger, als der Fahrstuhl langsam nach oben fuhr.

Mein Finger drückte immer wieder auf den Klingelknopf doch es öffnete einfach keiner. Hektisch kramte ich an meinem Schlüsselbund herum und fand schließlich den Haustürschlüssel seiner Wohnung.
 

„Mamoru!“ Ich betrat die Wohnung und machte mir nicht einmal die Mühe die Schuhe auszuziehen. In mir stieg eine enorme Sorge auf und ich wollte einfach nur wissen, dass es ihm gut ging. „Mamoru!“ ich wurde lauter, doch es kam nichts zurück. Ich schaute in jedem Raum nach, doch seine Wohnung war leer, und es machte nicht den Eindruck als wenn er hier gewesen war. Wieder griff ich nach meinem Handy und drückte die Wiederwahltaste. Und wieder klingelte sein Handy, aber er ging einfach nicht ran. Doch dann konnte ich ein leises Geräusch wahrnehmen, welchem ich ins Schlafzimmer folgte. Langsam ließ ich mich aufs Bett sinken und griff nach seinem Handy, was hier einsam lag und welches ich übersehen hatte. Meine unbeantworteten Anrufe blinkten auf. „Er war doch hier...“ flüsterte ich nur und sah mich um. „Aber wo bist du bloß Mamoru?“
 

Immer mehr machte sich dieses Gefühl der Beklemmung in mir breit. „Sparky. Wir bleiben hier und warten bis er kommt. Sicherlich ist er spazieren und muss den Kopf frei bekommen. Er wird bald wieder kommen…. Ganz sicher…“

Damit setzte ich mich auf die Couch und sah aus dem Fenster. Ein eisiger Wind fegte durch die Stadt und ich machte mir, mit jeder Minute die verging, mehr Sorgen.

Langsam wurde es dunkel draußen und ich stand am Fenster und sah hinaus. Ich hatte mich dazu entschieden das Licht nicht anzuschalten. Wenn Mamoru zurückkam und sah, dass jemand hier war, würde er vielleicht nicht hoch kommen und das wollte ich nicht. Aber umso später es wurde, umso mehr Sorgen machte ich mir. Es war nun schon kurz vor Mitternacht, doch von Mamoru fehlte einfach jede Spur. Heute war Sonntag und morgen würde er sicher wieder da sein, schließlich hatte er doch diese neue Stelle bei Shogo, oder wie der Typ hieß, bekommen. Mamoru war immer sehr zuverlässig wenn es um die Arbeit ging, also musste ich morgen früh nur dort vorbei gehen und dann würde ich ihm sagen, dass es unverantwortlich von ihm war einfach zu verschwinden.
 

Es war kurz vor halb neun, als ich das Einkaufscenter betrat und nach dem Laden suchte wo Mamoru einen Job bekommen hatte. Einige Läden hatten schon auf, andere öffneten gerade und es dauerte nicht lang bis ich den Laden fand. Mamoru hatte mir ja gesagt wie er hieß und auch wo er war und anscheinend hatte er sich wirklich gefreut diesen Job zu bekommen, was mich noch mehr in der Annahme bestärkte, dass ich ihn hier antreffen würde. Ein junger Mann Mitte zwanzig schloss gerade die Glastüren des Ladens auf. Er trug eine Jeans und einen Pullover und wenn ich nicht gerade in festen Händen wäre, dann stände er sicherlich auf meiner Liste der zu flachlegenden Männern.

„Guten Morgen.“ Kam es so monoton von mir wie möglich, aber in mir machte sich eine immer größer werdende Sorge breit. Heute Morgen hatte ich es kaum ausgehalten, war nur kurz unter die Dusche gesprungen und ich hatte es nicht einmal geschafft mich zu rasieren.

„Hey. Komm rein und sieh dich um. Wenn du Hilfe brauchst…“

„Du bist doch Shogo, oder?“ Der Mann vor mir sah mich an und musterte mich kurz.

„Kommt drauf an, wer das wissen will.“ Er zog eine Augenbraue hoch und ging in den Laden.

„Ich suche Mamoru… er sollte doch heute bei dir anfangen.“ Ich hatte keinen Elan zickig oder eisig zu reagieren, ich wollte nur endlich wissen wo Mamoru war und sehen, dass es ihm gut ging.

„Ach so. Du bist Massanorie nicht wahr? Sorry hab dich nicht erkannt! Was ist los? Habt ihr euch gestritten?“ Er schüttelte nur den Kopf und drehte sich zu mir um. „Und nein er ist noch nicht da. Aber er kommt bestimmt gleich, um halb neun sollte er hier sein.“ „Er kommt nie zu spät…“ wisperte ich nur und sah mich um. Anscheinend war Shogo ein aufmerksamer Mann, den er schien zu merken, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los? Was ist mit Mamoru?“

Ich sah ihn an und strich mir durch die Haare. „Ich weiß es nicht. Er ist weg und ich weiß nicht wo er ist.“ Es war nicht meine Art anderen meinen Gefühle oder Problemen zu erzählen, aber ich fühlte mich hilflos und wusste nicht weiter.

Shogo erzählte mir, dass er Mamoru das letzte mal vor dem Restaurant gesehen hatte und das er heute anfange sollte bei ich zu arbeiten. Ich selber fasste mich kurz, meinte nur, dass wir uns schrecklich gestritten hätten und ich nicht wüsste wo er sei.

Aber Shogo versprach mir sich zu melden, sobald er auftauchen würde. Also ließ ich ihm meine Handynummer da und machte mich auf den Weg zu May und Yosuke. Ich konnte nicht einfach herum sitzen und abwarten, aber er war weder bei seiner besten Freundin, noch bei seinem besten Freund. Auch hatte er sich seit gestern nicht gemeldet aber beide schienen sich sofort auch Sorgen um ihn zu machen. Ich fragte sie aus, nach Orten wo er sein könnte, wo er hinging, aber sie konnten mir nichts sagen und mir wurde bewusst, dass Mamoru niemanden jemals etwas erzählte. Das keiner irgendetwas über ihn wusste.
 

Seijiro Lenjier
 

Das Holz knisterte leise und wärmte das Zimmer mit dieser Art von Wärme die nur ein Kaminfeuer hervorbringen konnte. Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück, genoss meinen Tee und mein neu erworbenes Buch; Moby-Dick eine Original Ausgabe von 1851.

Original Ausgaben hatten diesen besonderen Reiz, dieser Geruch von Geschichte und keiner konnte sagen, wer diese Ausgabe schon in den Händen hatte. Andrea war unterwegs und ich genoss die Ruhe im Haus.

Vor dem Fenster wirbelten einige Flocken hin und her und man konnte den kalten Wind fast schon sehen. Heute war der 29.12. und zu Silvester hatte sich meine Frau vorgenommen traditionell zu feiern. Einerseits wusste sie, dass ich mich sehr darüber freuen würde, aber sie wollte es wohl auch wegen Mamoru, da er mir in diesem Punkt, so drückte es Andrea aus, sehr ähnlich war. Ich musste zugeben, ich mochte den Jungen. Er war klug und konnte sich auch ganz gut gegen Massanorie durchsetzen, dass war amüsant und wenn mein Sohn sich schon in einen Mann verlieben musste, dann war Mamoru sicherlich die beste Wahl – soviel hatte ich ja auch schon verstanden.
 

Das klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Seufzend legte ich das Buch beiseite und fragte mich, wer denn jetzt schon wieder störte. Da bekam man einen Herzinfarkt und trotzdem ließen die Leute einen nicht zufrieden. Wobei der Vorstand und andere Mitarbeiter immer nur anriefen, wenn sie wussten, dass Andrea nicht da war. Sie hatte allen klar gemacht, dass ich Ruhe brauchte und schottet mich von der Firma ab, was ich einerseits verstand, aber andererseits war es nicht gerade hilfreich!

Ich öffnete die Haustür und zuckte erschrocken zusammen. Vor mir stand mein Sohn oder besser ein schlechtes Abbild von ihm. Er hatte einen Dreitagebart, seine Haare lagen etwas wirr um seinen Kopf und sein Blick wirkte so als hätte er geweint.

„Massanorie…“ So kannte ich meinen Sohn nicht und in mir machte sich ein tiefes Gefühl der väterlichen Sorge breit.

„Ich muss reden...“ Nickend trat ich zur Seite und ließ ihn eintreten.

„Deine Mutter ist jedoch unterwegs, also wenn du…“ „Ich will mit dir reden. Mum ist mir zu emotional.“ Kam es nur schnell von ihm.

„In Ordnung.“ Ich schloss die Tür und fragte mich, was passiert war. Aber Massanorie nahm mir die Frage ab.

„Mamoru ist weg.“ Verblüfft sah ich ihn an.

„Was meinst du mit weg? Habt ihr Schluss gemacht?“
 

Er schüttelte den Kopf und wir gingen zusammen ins Wohnzimmer. Ich wartete auf eine Antwort und versuchte nichts zu sagen, was Massanori verstimmen könnte. Das er zu mir kam um zu reden, war ungewöhnlich und beunruhigte mich etwas. Schweigend schmiss ich ein Stück Holz in den Kamin und sah zu wie die ersten Flammenzungen auf ihn überschlugen. Als ich mich wieder erhob und zu Massanorie sah, war ich wirklich besorgt. Er saß auf der Couch und ihm liefen Tränen über die Wangen. Das letzte Mal hatte ich ihn weinen gesehen, als er sieben war und ich ihn angeschrien hatte, weil er meine Unterlagen mutwillig zerstört hatte. Andrea hatte versucht mir zu erklären, dass er das nur getan hatte um meine Aufmerksamkeit zu bekommen – das hatte er damals geschafft.

Aber nun weinte er, weil er anscheinend ein Problem mit Mamoru hatte. Ich war kein guter Vater, das war etwas was ich mir in den letzten Monaten immer mehr eingestehen musste und es tat nicht gerade gut das zu erkennen. Aber vielleicht konnte ich ja wenigstens jetzt einen väterlichen Rat geben. Versuchen wollte ich es auf jeden Fall.
 

„Massanorie. Was ist denn passiert?“ Ich setzte mich neben ihn und reichte ihm ein Taschentuch.

„Ich will – ich will nicht streiten. Aber ich schaff das nicht. Wenn… oh Gott, wenn er sich was angetan hat, dann – ich werd mir das nie verzeihen.“ Irritiert sah ich ihn an und verstand kein Wort.

„Massanorie. Wo ist Mamoru?“

Mein Sohn schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er ist seit drei Tagen weg…“ Er wischte sich die Tränen weg, atmete tief durch und sah zum Kamin.

„Am 26. habe ich seine Freunde eingeladen, weil sie Streit hatten. Ich wollte ihm eine Freude machen, weil sie für ihn doch wichtig sind – aber eigentlich hab ich es gemacht, weil ich gehofft habe, dass ich dadurch mehr über ihn erfahre. Als die beiden dann da waren, hab ich angefangen Fragen zu stellen und Mamoru merkte langsam, dass ich das mit Absicht tat.“ Er seufzte und sah mich an. „Ich hab Mist gebaut. Mama hat immer gesagt, dass das mal passiert, dass ich eine Grenze übertrete und dann Menschen schade und nun hab ich vielleicht Mamoru geschadet und das hab ich nie gewollt – du hast Recht – ich weiß nicht wo meine Grenze ist.“

Einen Moment lang schwieg ich und schließlich legte ich meine Hand auf seine, drückte sie sachte. „Erzähl mir, was dann passiert ist!“

Er sah auf meine Hand und lächelte sanft. „Ich hab ihn in die Ecke gedrängt, also verbal - und dann ist es eskaliert. Mamoru ist aufgesprungen und hat mir einfach hysterisch… er hat… die Heimleiterin, ich schwöre, wenn ich diese Frau finde, bringe ich sie um…“ er holte tief Luft und wischte sich wieder durch die Augen. „Sie hat ihn… physisch und psychisch misshandelt. Ich meine, ich wusste das nicht. Ich hätte ihn doch nie gedrängt, wenn ich das gewusst hätte. Dann hat er schreckliche Kopfschmerzen bekommen und… und dann war er morgens weg. Ich dachte er kommt schon wieder, aber er ist seit fast drei Tagen verschwunden und hat mir nur diese Nachricht hinterlassen.“

Meine Hand drückte seine und ich musste zugeben, dass mich das gesagte wirklich schockierte. Natürlich hatte mir Mamoru das mit seiner Pflegefamilie gesagt, aber dass das nur die Spitze des Eisberges war machte mich fassungslos. Er kramte in seiner Hosentasche und hielt mir einen Zettel hin. Ich nahm, las ihn und sah meinen Sohn fassungslos an.
 

„Warst du bei der Polizei?“ Er schüttelte den Kopf. „Wieso nicht? Massanorie, wenn er dir so einen Brief hinterlässt, dann hättest du gleich zur Polizei gehen müssen.“

Er sprang auf und strich sich durch die Haare. „Das kann ich nicht. Er will doch Arzt werden, wenn ich zur Polizei gehe und dann suchen sie ihn und finden ihn und er hat sich vielleicht – er hat sich vielleicht was angetan, dann – dann kann er sein Studium vergessen. Ich weiß doch nicht, was das für Auswirkungen hat. Ich hab wirklich alles getan. Ich hab seine Freunde gefragt und hab ihn in der ganzen Stadt gesucht, ich war sogar bei seiner Ex, aber die ist nutzlos, die weiß nichts über ihn. Und das schlimmste ist, dass wenn ich nicht wäre, dann würde ihn vielleicht nicht einmal jemand suchen. Yosuke und May sind es nämlich gewohnt, dass er sich mehrere Tage und Wochen nicht meldet und sonst hat er doch niemanden engeren.“ Panisch sah er mich an. „Ich weiß nicht mehr was ich machen soll… ich kann nicht schlafen und bin mit den Nerven am Ende.“

Ich stand auf und zum ersten Mal seit ich mich erinnern konnte, zog ich ihn in eine Umarmung, welche er sofort erwiderte. „Papa, ich hab keine Ahnung was ich machen soll. Es ist mein Schuld!“ wisperte er nur und schniefte leise.

Papa?! Ich konnte mich nicht erinnern, wann er mich das letzte Mal so genannt hatte, da musste er noch ein Kind gewesen sein. Ihm musste es wirklich schlecht gehen.

„Es ist nicht deine Schuld, das wäre sicherlich sowieso irgendwann passiert. Es ist alles etwas unglücklich. Aber Mamoru ist ein schlauer Junge, er wird schon nichts Dummes machen. Und deine Entscheidung nicht zur Polizei zu gehen… ich kennen einen Polizisten – ich werde ihn anrufen und fragen, ob er eventuell etwas machen kann, ohne dass es eine Akte gibt. Dann melde ich mich bei dir.“ Ich schob ihn von mir weg und sah ihn an. „Du musst dich zusammen reißen, wenn Mamoru wieder auftaucht, dann braucht er jemanden der ihm hilft, der für ihn da ist. Du musst nun für euch beide stark sein, ok?“ Ich sah ihn streng an und lächelte, als er nickte. „Und rasier dich mal wieder, du siehst schrecklich aus!“

Er lachte leise. „Mamoru geht es bestimmt gut.“ Wieder nickte er und atmete tief ein und aus.
 

Drei Tage war Mamoru jetzt schon weg, so sagte Massanorie es, und auch wenn ich meinem Sohn sagte, dass es ihm bestimmt gut gehen würde, so machte ich mir gerade große Sorgen.

Massanorie blieb noch etwas und ging erst als seine Mutter wiederkam. Er verschwand ohne ihr Hallo zu sagen, er wollte sie nicht anlügen und er hatte Angst, dass sie zu emotional reagieren könnte. Er brauchte gerade, so drückte er es aus, etwas Rationalität und niemanden der ihn noch verrückter machte. Ich sah das ebenso und so schwieg ich, als Andrea mich fragte warum Massanorie so plötzlich weg war.

Ich nahm mir vor noch heute mit dem befreundeten Polizisten zu telefonieren.
 

Massanorie Lenjier
 

Meine Nerven lagen blank und mit jeder Minute die verging wurde ich panischer. Drei Tage... ich konnte kaum glauben, dass er schon drei Tage verschwunden war. Der erste Tag war so schnell vergangen, der zweite hatte sich gezogen und mich immer verrückter gemacht. Shogo rief mich morgens und abends an und erkundigte sich nach Mamoru, ebenso wie May und Yosuke. Die beiden suchten seit gestern ganz Tokio ab, während ich zwischen meiner Wohnung und seiner hin und her pendelte, weil ich hoffte ihn anzutreffen. Ansonsten war ich gestern selbst bei Bunny gewesen, aber die konnte mir nicht helfen. Sie wusste nichts, keinen Ort wo er hingehen würde oder wo er gerne war. Ich fragte mich ernsthaft, ob die jemals ernsthaftes Interesse für ihn gehabt hatte – aber ich war ja auch nicht besser. Ich wusste ebenso wenig über ihn und meine radikale Neugier hatte ihn ja erst weg getrieben. Seufzend lief ich durch den Park und sah mich um, es war kalt und erneut begann es zu schneien, nachdem es gestern Regen mit Hagel gab. Ich hoffte, dass es Mamoru gut ging, dass er irgendwo war, wo es warm war.
 

Frierend betrat ich mein Apartmentgebäude und sah mich um, hier war es warm aber außer mir und Herrn Yuge war niemand hier. Er sah mich besorgt an und nickte dann nur höflich. „Ist vielleicht eine Nachricht für mich abgegeben worden?“ Wie bereits gestern und heute Morgen schüttelte er den Kopf.

„Es tut mir leid Herr Lenjier, leider nicht.“ „Danke.“ Kam es nur resigniert von mir.

Ich fuhr nach oben und ließ mich müde auf der Couch nieder. Sparky kam zu mir, sprang neben mir auf die Couch und kuschelte mit mir. Ich ließ meine Finger durch das Fell gleiten und betete leise, dass Mamoru wiederkam, das es ihm gut ging und ich schwor, dass ich nie wieder so egoistisch sein würde.

Mir fielen die Augen zu und ich merkte langsam wie mir die letzten Tage zu schaffen machten. „Nur fünf Minuten, dann fahr ich zu seiner Wohnung…“ nuschelte ich und sank tiefer in die Couch.
 

Das Klingeln des Festnetzes ließ mich hochfahren. Etwas planlos sah ich mich um und versuchte einen ersten Eindruck zu bekommen wo das Geräusch her kam. Als ich das blinkende Telefon auf dem Tisch sah griff ich danach, die Nummer zeigte mir, dass es ein interner Anruf vom Portier war.

„Ja?“

„Herr Lenjier? Ich melde mich, weil ich dachte es würde sie interessieren, dass der junge Mann, den sie suchen, vor dem Gebäude steht. Er scheint etwa unschlüssig zu sein und läuft nun schon einige Male auf und ab….“

Ich ließ das Telefon fallen und war plötzlich völlig wach, als ich zum Fahrstuhl hechtete…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  niki28
2015-03-06T07:38:18+00:00 06.03.2015 08:38
Juhu entlich ein neue Kapitel won dir habe jeden tag reingeschaut ob du schon geschrieben hast!

Mir tut Mamuro leid das er so leiden muss und das nur weil Massanorie ihm einfach kein zeit gelassen hat selber was zu erzählen sonder so drastisch alles rauskommen musste!
Hoffe das Mamuro ihm verzeihnen kann und das noch alles gut wir allerdings weiß ich net wie Massanorie sich nun verhalten soll, freuen weil mamuro da ist und sich nix getan hat oder sauer sein weil er ihm net gefunden hat!
Das mit Massanorie und sein Vater war gut geschrieben wie die zwei sich näher kommen nur weil sie Mamuro gern haben!
Bin gespannt wie es sich weiterentwickelt!

Gruß
Antwort von:  RallyVincento
06.03.2015 10:44
Oh voll lieb Danke. Ich bin gerade am Umziehen und musste erst auf neues Internet warten bevor ich etwas neues hochladen konnte. :) Aber toll dass ich so treue Lese habe. Ich danke dir!!! :) *knuddel*
Von:  MangaMaus85
2015-03-06T06:25:35+00:00 06.03.2015 07:25
Da sieht Massanorie mal, was eine kleine Neugier für Folgen haben kann. :_(

Die haben es aber beide auch nicht leicht. Armer Mamoru!

Die kleine Annäherung von Seijiro und Massanorie war gut. Seijiro hat neue Erkenntnisse bekommen und Massanorie wird im Nachhinein feststellen, dass er mit seinem Vater doch noch ein gutes Verhältnis aufbauen konnte... dank Mamoru :)

Ebenso Mamorus Unentschlossenheit einfach wieder zu Massanorie zurück zu gehen und lieber erst mal vor seinem Wohngebäude rum zu lungern ist verständlich.

Er wird einerseits sauer sein, wie der Abend ablief, andererseits schätze ich seinen Charakter so ein, dass er sich auch schämt, wie alles abgelaufen ist. Er sieht vielleicht ein, das er mal reden müsste, aber es fällt ihm halt schwer. Wer redet schon gern über den eigenen Missbrauch?

Allerdings bin ich mir noch unsicher, wie ich an Massanories Stelle reagieren würde.
Würde ich weinen, sobald ich Mamoru sehe, weil ich mich einfach freue, dass er lebt!?
Würde ich ihm am liebsten eine runterhauen (Kontraproduktiv), weil er einfach abgehauen ist, mit einer mehr als doppeldeutigen Nachricht, die mich vermuten lässt, dass er von der nächsten Brücke springen könnte?
Oder würde ich ihn einfach umarmen und zu Tode Küssen und mich nebenbei tausendmal entschuldigen?
Oder noch respektsvoller: Würde ich mich auf die Knie schmeißen und einfach nur weinen und mich entschuldigen?!

So viele Fragen :)
Antwort von:  RallyVincento
06.03.2015 10:45
Danke für den Kommi ;) Habe ein Dejavú *lol* Aber schön dass es dir immer noch gefällt, manchmal hat man das ja, dass man nach einer Zeit des abwartens das Kapitel evtl. nicht mehr so gut findet.
Ich freu mich immer wieder dass es hier noch Kommis gibt!
Antwort von:  MangaMaus85
06.03.2015 11:33
Das Dejavú passt auch. :)

Da ich immer so schlecht im Beschreiben meines Denkens bin, habe ich das kopiert, was ich dir schon mal zu dem Kapitel geschrieben habe. :-D

Aber gelesen habe ich es natürlich trotzdem noch mal... und prompt sprang mir ein Fehler ins Auge T.T
Dabei habe ich es doch 3 mal Korrektur gelesen und die Rechtschreibprüfung von Word drüber laufen lassen! *verda...t*


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