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Spezialeinheit A

von

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Kapitel 6: Heimweh

Die nächsten Tage zogen sich zäh dahin. Sie reisten, soweit Kyeran konnte. Dann schlugen sie ihr Lager für die Nacht auf, bereiteten das Essen vor und trainierten.
 

Der lange, sperrige Stab überforderte Nikolaj komplett. Er wusste noch nicht einmal, wie man dieses Ding vernünftig halten sollte: Mit einer Hand oder mit beiden? Sollte man ihn schwingen oder damit zustechen, obwohl keine Speerspitze an seinem Ende befestigt war? Halbherzige Schwünge endeten meist darin, dass sich seine Arme verknoteten, sobald der Stab seinen Schwerpunkt hinter Nikolajs Rücken bringen wollte. Er wechselte die Technik und nahm den Stab mitting in die Hände, wie ein imaginäres Geländer. Dann hob er langsam das eine Ende und machte einen kleinen Schritt nach vorn, anschlißend wechselte er die Seite und zog den anderen Fuß nach. Das schien ganz gut zu funktionieren, man durfte nur nicht die Handgelenke zu sehr verdrehen. Nikolaj schwang noch ein paar Achten und bekam den Bogen so langsam raus. Am wichtigesten war, sich den langen Stab nicht zwischen die eigenen Beine zu schieben, denn sonst hatte man sofort verloren. Generell schien die Waffe äußerst gut geegnet, um Gegner auf Distanz zu halten. Nach einigen weiteren Übungen wagte Nikolaj sich sogar in ein kleines Sparring mit Joe. Im Nahkampf kam dieser nur in den seltensten Fällen an ihn heran.
 

Allerdings nur ohne den Einsatz von Ki. Mit der Fokussierung der eigenen Körperkraft kam Nikolaj nur sehr schwer voran, er bekam seinen Kopf einfach nicht leer. So viele Dinge plagten ihn: Wie ging es wohl seine Mutter? Machte sie sich Sorgen? Hatte sie vielleicht schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben? Dachte sie gar, er wäre tot?
 

Nikolaj musste an die Beerdigung seines Vaters denken. Nein, eigentlich dachte er nur an den Augeblick, in dem er seine Mutter so traurig wie noch nie erlebt hatte. Dicke Tränen rollten ihr wettergegerbtes Gesicht herab, die Augen rot und wund vor Trauer. Wie sollte er ihr das nur erklären? Wie, um alles in der Welt?
 

"Hey, Niko. Niko?"
 

Er wurde aus den Gedanken gerissen. Normalerweise nannte nur eine einzige Person ihn so... Mit einem grimmigen Blick antwortete er.
 

"Alles okay? Du warst grad irgendwie... weggetreten." Es war Kyeran, noch sehr blass im Gesicht. In letzter Zeit führte er hauptsächlich Konzentrationsübungen durch, um seine Wunden zu schonen.
 

"J-Ja.", antwortete er knapp. "Es ist nichts." Er schaute zu Boden.
 

"Sicher? Ich finde, du kannst uns das ruhig erzählen, wenn dich irgendwas beschäftigt."
 

Nikolaj schüttelte den Kopf. "Du verstehst das nicht."
 

"Wieso probierst du es nicht mal?" Kyerans Stimme wurde lauter.
 

Wut sammelte sich in Nikolaj. Wut, die er normalerweise nur gegen sich selbst richtete, wollte jetzt gegen Kyeran ausbrechen. Er wusste nicht, wieso, aber er ließ sie gewähren.
 

"Glaubst du ich bin freiwillig hier? Glaubst du, ich bin gerne hier? Habt ihr keine Menschen zu Hause, die sich um euch sorgen? Wisst ihr was? Ich will weg, einfach nur weg! Weg von hier, weg von euch! Ich will mein Leben wiederhaben..." Mit den letzten Worten stiegen ihm die Tränen in die Augen. Beschämt wandte sich Nikolaj ab. Er wollte am liebsten allein sein, ganz allein.
 

Joe und Kyeran blickten sich hilflos an. Schließlich machte der Dämon den ersten Schritt und ging ein Stück auf den verzweifelten Nikolaj zu.
 

"Hey."
 

Er war keineswegs auf die Reaktion gefasst. Blitzschnell wirbelte Nikolaj herum, den Stab diagonal vor dem Körper gehalten und stieß Kyeran weg. Dieser taumelte völlig perplex nach hinten, die schmerzende Brust haltend.
 

Nikolaj war in diesem Moment mindestens genauso erstaunt. Was hatte er da eben getan? Er hatte ihn tatsächlich angegriffen. Joe hatte sich schon wieder abgewandt, er saß mittlerweile am Lager und rauchte.
 

"Es... Es tut... mir leid." Der Stab fiel in den Sand. Langsam gingen die beiden aufeinander zu. Eine seltsame Spannung lag in der Luft. Nikolaj blickte in Kyerans braune Augen. Zorn flackerte darin und Schmerz. Kyeran blickte in Nikolajs blaue, vom Weinen rot gewordene Augen. Traurigkeit und Verzweiflung lagen darin.
 

"Schon okay." Kyeran kam wieder einen Schritt näher und schluckte den Zorn herunter. "Ich glaube, es ist für uns alle nicht leicht. Ich zum Beispiel," Er setzte sich langsam auf einen größeren Fels. "hab zwar niemanden, der zu Hause auf mich wartet, aber weißt du was? Heimweh hab ich auch. Und ich wette, Joe auch."
 

Nikolaj nickte.
 

"Sag mal, hab ich eigentlich was Falsches gesagt? Also, erm, als ich dich Niko genannt habe, mein ich."
 

Sie blickten sich wieder an.
 

"Ist schon okay.", antwortete er schließlich. Einen Moment überlegte er noch, eine Erklärung nachzuschieben. "Ich war einfach nicht drauf vorbereitet. Normalerweise... nennt mich nur eine Person so."
 

"Ich hätte nicht gedacht, dass du eine Freundin hast."
 

"Meine Mutter."
 

"Oh." Wieso muss ich immer in Fettnäpfchen treten?, ärgerte sich Kyeran. "Tut mir leid. Ich wollte nichts falsches sagen oder so."
 

"Schon okay.", blockte er ab.
 

"Hm, glaubst du eigentlich... Ich meine, glaubst du, dass Joe schon Kinder hat? Um die er sich sorgt? Oder ob er verheiratet ist? Er sieht auch ziemlich unglücklich aus, findest du nicht?"
 

"Ich weiß nicht." Nikolaj fiel es in der Tat erst jetzt auf.
 

"Vielleicht sollten wir drei heute Abend ein bisschen quatschen. Der Stimmung kann es nur gut tun."
 

Als hätte er das Gespräch der beiden mitgehört, kam Joe genau in diesem Moment auf die beiden zu. "Lasst uns jetzt essen, es wird bald dunkel." Ohne etwas zu sagen, standen sie auf und halfen Joe beim Essen.
 

Eine Weile sagte niemand etwas, hungrig löffelten sie ihre Tagesrationen. Nach dem Essen zog Kyeran sein T-Shirt aus, um den Verband zu wechseln. Er war deutlich dünner geworden und sein mühsam antrainierter Waschbrettbauch verschwand auch langsam. Glücklicherweise galt das selbe auch für die Wunden, die ihm der Löwe zugefügt hatte. Weiße, lange Narben sogen sich über Kyerans Brust. Ob das bei den Frauen ankommen wird?, fragte er sich und musste lächeln.
 

"Sagt mal, Leute.", fing er an während er neuen Verband um seinen Oberkörper wand, "wie habt ihr eigentlich so gelebt, bis neulich? Vielleicht hilft es ja, wenn wir uns mal ein bisschen kennen lernen. Ich mach auch gerne den Anfang.
 

Tja, also ich hab in nem kleinen Appartment gewohnt, in der Hauptstadt. Verdient hab ichs mir auf dem Markt, als Kistenschlepper. Hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man sich das Training sparen kann." Er lachte vorsichtig. Die anderen beiden hörten anscheinend aufmerksam zu. Mittlerweile war Kyeran fertig mit dem neuen Verband und zog nach dem T-Shirt auch noch einen Pullover über, es wurde nämlich langsam kühl.
 

"Eigentlich hab ich jeden Tag auf den Abend hingearbeitet", fuhr er fort. "Erstmal auf den Feierabend, dann aufs Feiern. Ich war fast jeden Abend irgendwo unterwegs. Und fast nie bin ich danach allein ins Bett gegeangen." Jetzt musste er breit grinsen. "Naja, ihr seid wohl eher nicht so die Frauenhelden. Sag mal, Joe, wo kommst du eigentlich her?"
 

Stille. Joe wusste nicht recht, wo er anfangen sollte. Dann besann er sich auf das einfachste.
 

"Aus den USA." Nikolaj horchte auf. Er war also nicht der einzige Mensch.
 

"Das ist in der Menschenwelt, hm? Wie sieht es da so aus?"
 

"Das ist schon ein recht großes Land. Meere im Osten und Westen, dazwischen Flüsse, Wälder, Steppen, Sümpfe und viele kleinere Städte. Mein Haus steht in der Prärie, in Texas."
 

"Du wohnst auf dem Land? Alleine?"
 

"Ja, ziemlich abgeschieden. Man hat seine Ruhe." Nikolaj nickte zustimmend.
 

"Hm, Ruhe ist eher nichts für mich." Kyeran lächelte. "Hast du ne Familie?"
 

"Eine Tochter, ja." Nach einer Weile fügte er hinzu: "Ich glaube sie wird bald heiraten."
 

"Bist du verheiratet?"
 

Joes Gesichtszüge verhärteten sich.
 

"Nein."
 

Kyeran hatte das ungute Gefühl, schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten zu sein. Hilfesuchend blickte er zu Nikolaj. Glücklicherweise nahm dieser den Blick auf, anscheinend dachte er, dass er jetzt an der Reihe wäre.
 

"Ich komme aus der Ukraine. Dort ist es eher kühl und es gibt viele Tannenwälder."
 

"Du wohnst mit deiner Mutter zusammen, tippe ich mal?"
 

"Ja."
 

"Hm. Und was machst du so? Arbeitest du?"
 

"Ich... studiere Jura."
 

"Oh, du studierst. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber bei uns muss man schon einiges drauf haben, um studieren zu dürfen. Bist ziemlich intelligent, was?"
 

"Ich denke nicht. Eigentlich gefällt es mir auch nicht so sehr."
 

"Und dann machst du es trotzdem?"
 

"Ich tus für sie."
 

"Ist sie schon alt?"
 

"Hmhm."
 

"Wisst ihr was? Es ist ganz schön schwer, euch aus diesem blöden Heimweh rauszukriegen. Joe, hast du schon was von dieser Geraldine gehört?"
 

Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick zu heben.
 

"Ich denke, ich werd morgen wieder anfangen mit dem Training. Wer weiß, wann das nächste Vieh aus dem Geröll springt und uns fressen will. Ich soll dann also der Magier im Team werden, hm?"
 

"Wir sollten jetzt schlafen gehen.", sagte Joe. Die Nachtlager waren schon bereit. Sie teilten noch ihre Nachtwachen ein und legten sich dann hin, ohne ein weiteres Wort zu wechseln.



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