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Morgen ist die Zukunft besser

von

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„Glaubst du, das steht mir, Conny?“
 

Sarah sieht mich mit ihren braunen Hundeaugen an, wirft sich elegant in Pose und wartet auf meine Antwort.

Ich seufze. Eigentlich gibt es nichts, das Sarah nicht steht. Das habe ich schon immer beneidet. Wenn sie etwas gefunden hatte, das ihr gefallen hat, dann hat es immer gepasst. Wenn ich allerdings mal etwas finde, was mir sehr gefällt, dann ist es entweder zu klein, zu groß oder es sieht einfach nur scheiße aus.
 

„Natürlich. Aber hast du nicht schon viel zu viele Röcke?“
 

Schließlich muss ich ja auch aufpassen, dass sie sich nicht zu viele kauft und die meisten dann gar nicht erst anzieht.
 

„Hmm… du hast Recht. Aber ich liebe Röcke eben.“ Sie lächelt mich schief an, sieht sich noch einmal im Spiegel an und seufzt, bevor sie den Vorhang der Umkleidekabine wieder zuzieht.

Mit Sarah shoppen zu gehen ist immer ganz lustig. Vor allem, weil sie viel zu niedlich für diese Welt ist. Wir machen uns über grässliche Kleidungsstücke lustig (vor allem über Schuhe), stellen uns vor, welche Art von Personen wohl welche Kleidung anziehen würde und erzählen uns gegenseitig Geschichten und Witze. Die halbe Stadt sieht sich immer nach uns um, wenn wir wieder in Gelächter ausbrechen.

Mit Sarah fühle ich mich immer wohl. Wie als hätte ich eine beste Freundin. Aber das ist sie ja auch…
 

„Und? Was hältst du davon?“ Sarah steht wieder vor mir und dreht sich einmal langsam um sich selbst. Das orange Top, das sie sich ausgesucht hat, hat eigentlich sehr kindisch ausgesehen, als es noch am Kleiderbügel hing, aber an Sarah sieht es plötzlich ganz anders aus. Viel besser und hübscher.
 

„Vielleicht… Probier mal die Hot Pants dazu an“, schlage ich vor. Sie grinst mich an und zieht den Vorhang zu.

Eigentlich bin ich kein Shopping-Mensch. Ich mag es nicht, Sachen anzuprobieren, weswegen Sarah das meist für mich mit übernimmt. Trotzdem liebe ich es, mit ihr shoppen zu gehen.
 

„So?“ Sie öffnet den Vorhang und wirft sich wieder in Pose, grinsend. Ich kann nicht anders, als ebenfalls zu grinsen.
 

„Perfekt.“
 

Sie lächelt mich breit an und klatscht in die Hände.
 

„Dann kann ich also endlich was kaufen? Super!“
 

Sarah kauft sich das Top und die Hot Pants. Leider auch den Rock, wo sie schon zig Röcke besitzt. Aber sowas kann ich ihr einfach nicht ausreden.

Nach einigem hin und her entschließen wir uns dazu, in eine Eisdiele zu gehen. Seit letzter Woche gibt es eine neue, in der wir noch nie gewesen sind. Also überlegen wir nicht lange und setzen uns draußen an einen der vielen, weißen, gelb-befleckten Tische. Die großen, gelben Sonnenschirme verdeckten uns effektiv vor der Sonne, wofür wir beide sehr dankbar sind. Es ist viel zu heiß heute.
 

„So, was gibt es hier denn schönes?“ Sarah taucht komplett in die Karte ein. Wenn sie das tut, ist sie praktisch nicht ansprechbar, bis sie selbst um Rat fragt oder die Karte mit einem Grinsen weglegt und verkündet, dass sie das perfekte Eis gefunden hat.

Ich nehme mir eine Karte vom Nebentisch und besehe mir die verschiedenen Bilder. Einige Becher sehen sehr kreativ aus. Vielleicht heißt die Eisdiele deshalb „Arte Astratta“. Die komisch geformten Becher haben mehr als nur ein wenig Ähnlichkeit mit abstrakter Kunst.

Sarah legt die Karte weg und grinst mich an.
 

„Ich hab das perfekte Eis gefunden. Pablo Picasso!“
 

Ich sehe auf der Karte nach und mir fallen beinahe die Augen aus.
 

„Sarah… wir sind nicht hier, um unsere Geldbeutel zu entleeren. Hast du schon mal auf den Preis gesehen?“
 

Das Eis sieht sehr… künstlerisch aus. Allein die Form des Bechers ist so abstrakt, dass ich das Bild nicht lange ansehen kann. Ich habe Picasso noch nie gemocht.
 

„Aber da sind alle unsere Lieblingssorten drin! Und wenn wir es zusammen essen… da steht ja, Becher für zwei Personen!“ Sarah sieht aus, als würde sie gleich anfangen zu schmollen.

Wenn Sarah schmollt, sieht sie zwar sehr süß aus, aber sie wird unerträglich. Deswegen schaue ich noch einmal auf den Preis.

Immer noch zwölf Euro. Wie groß muss das Eis sein, dass es so teuer ist?
 

„Na gut… aber nur dieses eine Mal, okay? Ich habe nicht vor, vor Beginn der Sommerferien schon pleite zu sein“, gebe ich mich seufzend geschlagen. Einmal sechs Euro ausgeben ist ja nicht der Rede wert.
 

„Juchu!“
 

Vor allem dann, wenn Sarah sich wieder so niedlich benimmt wie jetzt gerade. Wären wir in einem Manga, würde sie garantiert jetzt in Chibi-Form gemalt sein.
 

Die Bedienung kommt genau richtig und Sarah bestellt sofort mit glühenden Augen das Eis. Manchmal ist sie so kindisch.
 

Bis das Eis kommt, erzählt sie mir einige neue Witze, über die wir wieder einmal laut lachen müssen. Die anderen Gäste der Eisdiele sehen uns alle an und wir zwingen uns, aufzuhören.

Schließlich kommt das Eis endlich an und wir staunen nicht schlecht, wie riesig es eigentlich ist.
 

„Sarah… dir ist bewusst, dass uns nachher sowas von der Magen wehtun wird?“ Ich beäuge das Monstrum vor mir skeptisch. Es sieht durchaus appetitlich aus, nur wird mir beim bloßen Anblick schon schlecht, weil es so groß ist.
 

„Ach, das macht nichts! Es geht schließlich ums Essen, nicht ums Danach!“
 

Sarahs Optimismus schlägt manchmal auf mich über und dafür bin ich ihr sehr sehr dankbar. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich viele Dinge aufgegeben, ohne zu wissen, dass ich es hätte schaffen können.
 

Das seltsame bei uns ist, dass wir beim Eis Essen nicht reden. Wir essen es immer stillschweigend, haben danach aber dennoch das Gefühl, als hätten wir eine wunderbare Unterhaltung geführt.

Ich schätze, das gehört zum Beste-Freunde-sein dazu.
 

„Sag mal, Conny, hast du nicht Lust, am Wochenende mit mir und den anderen ins Freibad zu gehen?“, fragt Sarah mich plötzlich, bevor sie den letzten Löffel Eis in ihrem Mund verschwinden lässt.

Ich sehe sie an und stelle mit Erschrecken fest, dass ich mir plötzlich unsicher bin. Ich bin mir normalerweise aber nie unsicher, wenn es um Sarah geht… Schwimmen gehen, mit den anderen. Die anderen aus unserer Clique in der Schule. Will ich das etwa nicht?

Aber selbst wenn, mein Vater hat ja am Wochenende Geburtstag und wir wollen feiern, also geht es so oder so nicht.
 

„Sorry, Sarah, mein Vater hat ja am Wochenende Geburtstag und wir wollten unsere Verwandten einladen. Wird ein wenig voll.“
 

Es tut mir wirklich Leid, dass ich ihr absagen muss, aber ich bin irgendwie auch erleichtert… nur verstehe ich nicht, wieso.
 

Sarahs Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht und sie sieht mich mit Dackelaugen an.
 

„Aber ohne dich macht es keinen Spaß! Wäh!“
 

Ich lächle ein wenig gequält. Sie ist wirklich viel zu süß. Und ich verstehe mich im Moment ja selbst nicht. Vielleicht sollte ich mir später zu Hause eine Auszeit gönnen und es herausfinden.
 

Mit einem Mal kann ich ihr nicht mehr in die Augen sehen und beobachte deswegen den Eisbecher und einen Tropfen geschmolzenes Eis, der am Rand hinab rinnt.
 

„Tut mir echt Leid… Aber was soll ich machen? Ich kann doch den Geburtstag meines eigenen Vaters nicht verpassen.“
 

Es kommt mir verlogen vor, auch wenn es stimmt. Es war, als würde ich sie anlügen und ich hasse dieses Gefühl.

Der Tropfen kommt schließlich ganz unten an und verweilt dort, da der Ständer des Bechers beinah flach ist.
 

„Nächstes Mal?“, frage ich und traue mich endlich, wieder aufzuschauen. Sarah lächelt mich an.
 

„Klar.“
 

Mehr brauchen wir nicht zu sagen.
 

Den Geburtstag habe ich überlebt, auch wenn meine Verwandten die Tendenz hatten, meine Wangen zu knuffen und mir zu sagen, wie erwachsen ich doch geworden bin.

Ich habe auch herausgefunden, warum ich nicht ins Freibad wollte. Glaube ich zumindest.

Ich bin eifersüchtig. Auf die anderen. Weil Sarah anscheinend auch etwas mit ihnen unternehmen wollte und nicht nur mit mir.

Macht mich das egoistisch? Unfair ist es auf alle Fälle, weil diese Eifersucht ganz klar unbegründet ist. Aber wie soll ich das abstellen? Ich habe zu oft Freunde verloren, weil sie andere Freunde plötzlich besser fanden als mich. Weil ich anscheinend zu langweilig geworden war. Wahrscheinlich habe ich deswegen Angst, auch Sarah zu verlieren.

Warum kann ich ihr nicht einfach vertrauen? Sie vertraut mir, ganz bestimmt. Und sie hat mir auch gesagt, dass sie immer meine beste Freundin sein würde. Sie hat es mir versichert. Sie hat mich nie im Stich gelassen oder sich lieber mit anderen getroffen. Immer mit mir, immer nur mit mir…

Also habe ich beschlossen, dieses Gefühl einfach zur Seite zu schieben und zu hoffen, dass es von selbst wieder verschwindet.

Ich glaube, unterbewusst ist mir klar, dass es nicht funktioniert.
 

„Conny~!“ Sarah springt hinter der Ecke hervor und knuddelt mich. Ich muss zugeben, auch wenn sie das fast jedes Mal macht, es überrascht mich immer wieder und für einige Sekunden ist das unangenehme Gefühl der Eifersucht verschwunden, bis die anderen ebenfalls um die Ecke geschlendert kommen.
 

„Hey, Conny“, grüßen sie mich und ich grüße ganz normal zurück. Ich mag die anderen ja auch ganz gerne. Ich habe absolut nichts gegen sie. Schließlich sind auch sie Freunde, aber es ist anders. So komplett anders als mit Sarah.
 

„Sag mal, Conny…“
 

Uh oh, wenn Sarah so anfängt, dann hat sie wieder einen Plan für das Wochenende. Ich weiß nicht wieso, aber mit einem Mal schaue ich mich nach einem Fluchtweg um. Warum auch immer ich mich nicht mit ihnen treffen will, weiß ich nicht. Schließlich wär es doch besser, wenn ich hingehen würde. Immerhin kann ich dann mit Sarah zusammen sein und verhindern, dass sie die anderen lieber mag…
 

„Ähm, einen Moment, ja? Ich muss noch kurz zum Lehrerzimmer und wegen der Folie nachfragen. Ich muss ja ein Referat halten, bin gleich sofort da!“
 

Und schon bin ich weg, bevor Sarah ihren Plan präsentieren kann.

Das mit der Folie stimmt zwar, kann aber eigentlich noch warten, da ich das Referat erst in einer Woche vorstelle, aber es war das erste, was mir einfiel, um Sarah zu entkommen.

Leider hatten wir nicht alle Fächer zusammen, wird mir schmerzlich bewusst. Dafür hatte Sarah einige Fächer zusammen mit den anderen…
 

Ich lasse mir betont viel Zeit und lasse Schüler vor, die ebenfalls nach Lehrern fragen wollen, nur um nicht so schnell wieder zu Sarah zu müssen. Ich will bei ihr sein, aber nicht im Moment. Wo ich dieses bescheuerte Gefühl habe, dass sie mich fallen lässt. So wie die anderen vor ihr.

Aber vorher war doch alles in Ordnung, warum also misstraue ich ihr ausgerechnet jetzt?

Die Lehrerin ist nicht da. Und ich muss langsam zurück zu Sarah und den anderen… Und als ich zurück komme, stehen sie alle da und unterhalten sich fröhlich. Auch Sarah… bis sie mich erblickt und sich sofort ein überirdisch breites Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitet.
 

„Conny~! Wir wollten Freitag Billard spielen gehen, du kommst doch mit, ne?“ Sie sieht mich fröhlich an und ich komme mir wie eine Idiotin vor. Es ist mir so verdammt unangenehm, jetzt hier zu sein. Am liebsten wäre ich zu Hause im Bett… den ganzen Tag lang.
 

„Ähm…“
 

Wie soll ich ihr sagen, dass ich nicht will? Wie soll ich, ohne sie zu verärgern, sagen, dass ich keine Lust habe, mich mit ihr UND den anderen zu treffen?
 

„Oh Mist! Sarah, Conny, wir müssen weg, unser Lehrer wollte sich früher mit uns treffen, damit wir einen Film schauen können, also bis zur nächsten Pause!“, warf Kira, eine von den anderen, ein und die kleine Gruppe (genauer gesagt, drei Personen) lief hastig davon.
 

„Also?“, fragt Sarah noch einmal, nachdem sie den anderen noch gewunken hat.
 

„Ich… will nicht so gerne Billard spielen… sorry...“ So sehr habe ich mich noch nie in meinem ganzen Leben geschämt. Meiner besten Freundin abzusagen, nur weil ich ihr aus heiterem Himmel und ohne wirklichen Grund misstraue. Gibt es nicht diesen Spruch, dass es schlimm ist, von den Freunden verraten zu werden, aber hundert Mal schlimmer, den Freunden zu misstrauen?

Ich bin eine schreckliche beste Freundin…

Sarah sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als würde ich das nicht ernst meinen.
 

„Conny, jetzt antworte mal ernsthaft.“
 

„Das war ernsthaft…“ Ich wünsche mir, dass sich der Boden unter meinen Füßen spaltet und ich hineinfalle und verschwinde. Das ist einfach zu viel für mich. Ich will doch nur, dass dieses Gefühl verschwindet! Nur solange es da ist, will ich mich nicht mit ihr treffen… Es tut mir so schrecklich Leid, aber das kann ich Sarah nicht sagen, sonst lässt sie mich wirklich noch fallen…

Und dann würde die Welt untergehen.
 

„Conny! Warum willst du dich nicht mit uns treffen? Du magst Billard, das weiß ich! Magst du uns etwa nicht mehr?“
 

Ich sehe zu Boden und bekomme kein Wort heraus. Ich sollte schnell verneinen, bevor sie auf dumme Gedanken kommt, aber mein Mund gehorcht mir nicht mehr…
 

„Es stimmt? Das ist unfair! Ich dachte, wir wären beste Freundinnen! Und du trittst das einfach mit Füßen!“
 

Sie dreht sich auf dem Absatz um und stürmt davon. Die kleine Träne auf ihrer Wange habe ich aber noch sehen können.

Ich fühle mich wie der letzte Idiot auf Erden. Das ist alles meine Schuld. Alles. Vielleicht ist es auch meine Schuld gewesen, dass mich meine früheren Freunde immer haben fallen lassen.

Einfach alles ist meine Schuld. Dass Sarah mich jetzt hasst, dass sie jetzt garantiert nicht mehr meine beste Freundin sein will und dass ich wahrscheinlich wieder alleine dastehen werde.

Wie immer. Ich bleibe doch alleine… Und ich bin selbst dafür verantwortlich.

Erst jetzt merke ich, dass ich zittere… und dass ich selbst weine.

Das ist doch alles zum Kotzen! Ich will nicht mehr…

Vielleicht sollte ich nach Hause gehen…

Ja, das mache ich…

Weg von Sarah…
 

Das Telefon klingelt. Schon zum dreizehnten Mal. Und dieses Mal habe ich sogar das Herz, abzuheben. Meine Eltern sind nicht da, ich bin alleine zu Hause und habe bis gerade eben im Bett gelegen und mich in mein Kissen ausgeheult.
 

„Conny?“
 

Oh, es ist Sarah. Soviel dazu, dass ich sie vermeiden will. Ist auch zu blöd, vorher nicht auf das Display zu schauen und einfach abzuheben.

Aber ich bin ja noch nie sonderlich schlau gewesen… vor allem bei Freundschaften nicht…
 

„Ja?“
 

Ich bin erstaunt, wie fest meine Stimme klingt. Ich hätte sonstwas darauf verwetten können, dass sie bricht oder zumindest ziemlich wackelig klingt.
 

„Hast du kurz Zeit…? Kann ich rüberkommen?“
 

Sarah klingt so, als wär ihr Welpe gerade gestorben. Warum habe ich dann plötzlich so ein widerliches Stechen in der Magengegend?
 

„Ja, kannst du…“
 

Ich will nicht, dass sie zu mir kommt, aber ich kann diesem Moment ja sowieso nicht entkommen. Es ist unausweichlich. Sarah wird mir bestimmt die Freundschaft kündigen… Mich vielleicht sogar noch fertig machen, ohne mich fertig machen zu wollen…

Ich lache kurz auf.

Ja, sie mag mich immer noch. So schlau bin ich noch, das zu sehen. Sonst hätte sie nicht geweint… Aber sie ist klug und vernünftig. Sie wird keine Freundschaft weiterführen, die sie nur verletzt…
 

Das ist also der Moment, in dem alles einstürzen würde. Der Moment, in dem Sarah einen Schlussstrich ziehen würde. Und mich aus ihrem Leben bannen würde…

Meine Augen brennen und der Versuch, die Tränen wegzublinzeln, kostet mich all meine Kraft.
 

Es klingelt und vor lauter Schreck lasse ich den schnurlosen Hörer fallen, der klappernd auf dem Tisch landet. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Sarah schon längst aufgelegt hatte.

Genauso wenig wie mein Herz, das mit bis zum Hals schlägt, so schnell wie ein Buntspecht…

Als ich die Tür öffne, steht Sarah vor mir.
 

„Hey“ ist alles, was ich herausbringe. Meine Kehle ist zu trocken und ich schwöre, wenn ich noch etwas sage, dann fange ich wieder an, zu heulen.
 

„Conny, wir müssen reden.“ Ihre Stimme zumindest klingt ungewöhnlich ernst. Vielleicht bin ich ihr doch noch wichtig, vielleicht will sie es irgendwie mit mir versuchen… aber es ist hoffnungslos.

Ganz und gar hoffnungslos…
 

Ich trete zur Seite, lasse sie hinein, auch wenn das Verlangen, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, in mein Zimmer zu rennen und alles umzuwerfen, äußerst groß ist. Nur, damit sie nicht aus meinem Leben verschwindet. Damit mit ihr nicht die Farbe aus meiner Welt verschwindet… damit mit ihr nicht das letzte Fünkchen Hoffnung und Vertrauen verschwindet…
 

Sobald wir in meinem Zimmer sind, beginnt sie zu sprechen.
 

„Conny… warum ziehst du dich von mir zurück? Glaub nicht, das ist mir nicht aufgefallen…“
 

Ihre Worte sind so scharf und ihr Blick hat so eine gewaltige Wucht, dass ich auf mein Bett plumpse, weil meine Beine auf einmal so instabil sind wie Wackelpudding.

Ich kann nicht einmal antworten, nur stumm dasitzen und Sarah anstarren wie eine Erscheinung.
 

„Conny! Das ist mir ernst! Du bist meine beste Freundin, du bist mir wichtig, aber in letzter Zeit…“
 

Sie sieht zu Boden und ihre schulterlangen, blonden Haare mit den roten Strähnen fallen ihr ins Gesicht. Auch ich kann nicht mehr hinsehen. Mittlerweile habe ich nicht einmal mehr die Kraft, weinen zu wollen.
 

„So kann es nicht weitergehen… Ich habe das Gefühl… dass du mir nicht mehr vertraust… dass ich… dass ich dich schon längst verloren habe…“
 

Ich weiß, dass sie so denkt. Ich habe es schon gewusst, noch bevor sie angerufen hat. Aber ich habe nicht erwartet, dass es so schrecklich wehtun würde, diese Worte aus ihrem Mund zu hören…

Früher hätte ich nicht einen Moment lang daran gezweifelt, dass wir beste Freunde bleiben würden. Heute zweifle ich daran, ob unsere Freundschaft, so brüchig und wackelig wie sie ist, überhaupt noch eine Chance hat…
 

„Weißt du… vielleicht wäre es besser, wenn… wenn wir eine kleine Auszeit nehmen… vielleicht… brauchst du einfach… einfach Zeit… Zeit alleine…“
 

Jetzt ist ihre Stimme genauso brüchig, wie ich mich fühle. Sie kann mir nichts vormachen. Wenn wir jetzt aufhören, uns zu treffen, miteinander zu reden, zu lachen… dann ist es gleichzusetzen mit einem Abschied für immer. Und was ist schon Zeit? Zeit verändert nichts. Zeit heilt nicht alle Wunden.

Und getrennt von Sarah… ist Zeit nichts Geringeres als die Hölle.
 

Ich will Sarah nicht verlieren, aber ich kann die Zeit auch nicht zurückdrehen und alles ungeschehen machen. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Ich kann weder reden, noch aufstehen, noch aufsehen… Es ist alles zu spät. Viel zu spät.

Und es ist alles meine Schuld. Zeit hilft mir hier – und auch anders wo- nicht weiter.
 

„Conny… ich denke… vielleicht für die nächsten zwei Wochen sollten wir uns… nicht mehr sehen.“
 

Die letzten drei Worte spricht sie so leise und gezwungen aus, dass es mir endgültig mein Herz bricht.

Es ist aus. Vorbei. Ich habe es kommen sehen und nichts dagegen getan. Ich tue sogar jetzt nichts, obwohl jetzt die letzte Gelegenheit dazu wäre… und ich habe das alles dazu noch heraufbeschworen… nur weil ich irgendwie eifersüchtig geworden bin… weil ich so bin, wie ich bin und anderen misstraue, weil ich anscheinend einen psychischen Knacks habe, der mich daran hindert, andere zu nah an mich heranzulassen…
 

„Ich… gehe dann mal…“ Sie dreht sich um und geht langsam zur Tür, als erwarte sie, dass ich sie aufhalte.

Aber ich sitze nur stumm da, auf meinem Bett, ohne ein Wort zu sagen und ohne sie anzusehen. Ich könnte auch nicht anders. Meine Stimmbänder funktionieren einfach nicht mehr. Und wenn ich versuchen würde, etwas zu sagen, würde ich losheulen wie ein Baby, so wie vorhin…
 

Ich höre, wie sie die Klinke hinunterdrückt. Es quietscht einige qualvolle Sekunden lang, bis die Tür sich wieder schließt.
 

Stille.
 

Ich wage es, wieder aufzusehen und blicke überrascht in Sarahs Gesicht.

Sie weint.
 

„Es tut mir Leid, Conny… Es tut mir so Leid…“
 

Im nächsten Moment liegt sie in meinen Armen und drückt mich so fest an sich, dass mir die Luft wegbleibt.
 

Unsere Freundschaft ist nur Millimeter vom Abgrund entfernt… nur ein falscher Schritt und wir würden fallen… So wie wir es gerade beinahe getan hätten. Und wir können weder vor noch zurück… weil ich das Gefühl der Eifersucht einfach nicht loswerde... und weil wir uns brauchen, obwohl das Vertrauen zwischen uns praktisch zerstört ist… wegen mir.

Eigentlich bräuchten wir keine Probleme zu haben, eigentlich würden wir gut zusammen funktionieren, aber im Moment geht einfach alles so schief…
 

Wir weinen beide, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen. Ist der Schritt zum Abgrund hin die richtige Lösung oder gibt es doch noch einen anderen Weg? Eine Brücke, die uns sicher auf die andere Seite bringt? Oder sind wir dazu verdammt, für immer auf einer Stelle zu stehen, ohne Perspektiven?
 

„Was sollen wir tun, Conny? Was…?“
 

Ich drücke Sarah ganz fest.
 

„Ich weiß es nicht…“ Und ich schließe die Augen und hoffe, dass ich das hier irgendwie überlebe.

Und ich bete, dass unsere Freundschaft, so zerbrechlich sie momentan auch sein mag, durchhält… diese schwere Zeit überbrückt und irgendwann vielleicht wieder so ist, wie früher…

Aber im Moment können wir nichts tun. Nur die Augen schließen und auf die Brücke warten…

Einfach nur warten…



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