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Das Maß

von

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Wenn man Zeit misst, dann hat man ein paar Dinge zur Auswahl, dies zu tun. Da wäre die Uhr. Tick, tack, tick, tack; oder man zählt: eins, zwei, drei, vier. Hat man einen Stock zur Hand und die Sonne scheint, lässt sich am Schatten ablesen, wie spät es ist.
 

Zeit, jedoch, ist ein wunderlicher Begriff.
 

Beschreibt „Zeit“ – Dauer eines Moments – Anzahl von Gegenwarten, die in vierzig Jahren vergangen sein werden. Egal was man tut. Ob man stirbt oder weiterlebt. In vierzig Jahren wird es Vergangenheit sein. Es wird schrecklich lang her sein.
 

Der Moment, der uns jetzt lang vorkommt.
 

Wenn man nur wenig darüber nachdenkt, werden die Konsequenzen dann weniger? Vergeht die Gegenwart dann schneller?
 


 

*
 


 

Schnee ist meist ein sicheres Anzeichen dafür, dass es Winter ist. Also die Zeit, wo es normalerweise die Seen zufriert und die Leute wie verrückt versuchen, noch pünktlich in die Geschäfte zu hechten, um die Geschenke für ihre Lieben zu kaufen.
 

Subaru stand, sein ganzes Gewicht auf den linken Fuß gelagert, vor einem kleinen Laden. Mitten in Tokyo. Dass so ein winziges Geschäft überhaupt die ganzen Jahre überlebt hatte? Es sah aus, als ob es schon immer dagestanden wäre. Doch er wusste, das konnte nicht der Fall sein. Er war hier schon als kleiner Junge vorbeigelaufen. Öfter als einmal in der Woche. Diese Gegend war anfällig für magische Zwischenfälle. Aber ein Laden war ihm noch nie aufgefallen.
 

„Komm rein. Nun steh nicht da wie angefroren. Du tust ja grade so, als wären es fünf Grad unter dem Gefrierpunkt – ups, ich vergaß. Wir haben fünf Grad unter dem Gefrierpunkt.“
 

Eine Frau blies ihm Rauch ins Gesicht. Ihr Grinsen zeigte Zähne, die weißer waren als der frischgefallene Schnee auf dem Dach des mysteriösen Geschäfts.
 

„Wer sind Sie?“
 

„Mir gehört das, was du so verwundert anstarrst. Sumeragi.“
 

„Ich...“
 

Sie schüttelte energisch den Kopf. Die riesige Mütze ihrer Jacke rutschte ihr von den Schultern. Man konnte ihr Gesicht nun viel besser erkennen. Sie trug blutroten Lippenstift. Ihre Augen erinnerten Subaru entfernt an einen Teich, den er letztens exorziert hatte. In dem Fall war es so gewesen, dass der Teich Menschen – ähnlich wie in der Geschichte des Narziss – gefangen gehalten hatte. Die Leichen.

Er selbst wäre beinahe auf den Teich hereingefallen. Hineingefallen passte besser. Bis zum Hals war er schon im Wasser gestanden, als er sich endlich hatte losreißen können. Nun... nicht er.
 

Sein Auge war nicht von der Macht des Wassers berührt worden. Ohne seine Hilfe wäre er jetzt...
 

Die Frau berührte ihn an der Schulter. „Du scheinst einen komplizierten Wunsch zu haben.“ Sie lächelte. Ihr Mitleid war beinahe spürbar; als ob sie ihn zudecken würde. „Mein Name ist... nenn mich Yuuko.“
 

„Die Hexe der – !“
 

„Sch...“ Sie legte einen Finger auf seine Lippen. „Natürlich hast du von mir gehört. Deine Großmutter? Ja, deine Großmutter, ganz bestimmt. Komm mit und wir werden deinen Wunsch näher betrachten.“
 

Sein Herz raste. Er konnte es spüren. Mit jedem Schlag gegen seinen Rippen tat es ein bisschen mehr weh. Sein Wunsch.
 

Subaru hatte gelernt, nie mit Fremden mitzugehen. Wohin ihn das gebracht hatte... genau zu dieser Frau. Er folgte Yuuko durch den kniehohen Schnee in ihren Laden. Die Türschelle klingelte länger als gewöhnliche es taten.
 

„Moro, hör auf damit.“
 

Ein junges Mädchen – oder eher etwas, das aussah wie ein Mädchen – sprang von der Decke in Subarus Arme. „Heydiho!“ Sie schüttelte die Glocke in ihrer Hand.
 

„Wo ist Maru?“, fragte Yuuko und tätschelte das Mädchen.
 

„Mein Name ist Moro, Subaru Sumeragi.“ Moro strahlte übers ganze Gesicht. Dann sprang sie aus seinen Armen in Yuukos. „Bei Watanuki in der Küche. Hörst du ihn nicht schreien?“
 

„Noch nicht. Aber geh doch bitte auch in die Küche und sag Watanuki, er soll Sake ins Wohnzimmer bringen.“
 

Moro nickte und sauste um die Ecke.
 

Yuuko wandte sich an ihn. „Tut mir Leid, wenn sie dich erschreckt haben sollte.“
 

„Sie hat keine Seele. Was hast du mit ihr gemacht?“
 

„Moro und Maru hatten nie Seelen. Sie sind keine solchen Wesen. Mehr wie ich und Clow...“, murmelte sie. „Folge mir bitte. Im Flur lassen sich so wichtige Dinge nicht gut besprechen.“
 

Von innen war das Gebäude viel größer, als es von außen geschienen hatte. Aber wenn er ehrlich war, hatte er das nicht anders vermutet gehabt.

Die Einrichtung war pompös und mutete teilweise orientalisch an. Was alle Gegenstände im Haus jedoch gemein hatten, war ihre magische Aura. Nichts schien kein geheimes Wesen zu haben. Die wenigen Bilder, die an den Wänden hingen, waren zum Bersten gefüllt mit Seelen verstorbener Maler, die entweder auf eine Reinkarnation warteten, oder die sich vor Eitelkeit selbst auf die Leinwand gebannt hatten.
 

Er fühlte sich wie eine dieser Leinwände.
 

„Furchtbar, hast du wieder jemanden gefunden, dem du Wucherpreise für zwielichtige Dienste anbietest!“
 

Ein Junge in Schürze brachte ein Tablett mit Sake herein. Er schien nicht besonders gut gelaunt zu sein. Seinem geringen Gewicht zum Trotze stampfte er laut durch den Raum.
 

„Watanuki, das hört sich an, als wäre ich eine Dirne. Ohohoho!“ Sie schlug dem Jungen heftig auf den Rücken. „Jetzt aber raus hier, du vergraulst meinen Gast sonst noch!“
 

Der Junge stampfte aus dem Raum. Er zischte irgendetwas vor sich hin, aber Subaru verstand nicht genau, was. Yuukos Lachen hatte ihn jäh von der Bewunderung ihres Heims zurück in die reale Welt gerissen. Wo es keine Hokuto mehr gab. Die beiden hätten sich gut verstanden. Seine Sehnen traten hervor, als er die Hände zu Fäusten ballte.
 

Yuuko ließ sich seufzend in ein mit Kissen vollgestopftes Sofa sinken. „Setz dich, mein Guter.“ Sie legte sich hin und räkelte sich.
 

Subaru sah sich um. Im ganzen Zimmer war kein Stuhl zu sehen, also setzte er sich auf den Boden.
 

„Ich kann ihn dir nicht erfüllen.“
 

Einmal in seinem Leben. Seine Knie taten weh; er schob seine Hände unter die Beine. „Weswegen?“ Es wäre auch zu einfach gewesen.
 

„Wegen seines, deines, oder auch eures Auges. Wie du wünschst, es zu betrachten.“ Sie deutete mit ihrem Zigarrenhalter auf sein Auge. Seishirous Vermächtnis. „Fakt ist, ein Teil von ihm lebt in dir. Dieser Teil ist winzig, aber besteht nur aus dem Wunsch, dich zu erhalten und zu beschützen. Dein Wunsch ist nicht euer Wunsch.“
 

Die Hexe stand auf und nahm den Sake vom Tablett. „Wirklich ein verquerer Mann, dieser Kirschblütenkiller. Hm. Das sollte ich wohl nicht sagen. Schließlich bist du ja jetzt der Kirschblütenkiller. Oh, was soll’s. Verquer, das gilt für dich genauso.“ Sie setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. „Zurück zu deinem Wunsch.“
 

„Den Sie mir nicht erfüllen können, als was soll ich noch hier?“
 

„Halt, halt, halt! Diesen Wunsch kann ich dir nicht erfüllen, nein. Aber es gibt da etwas, das dich interessieren dürfte.“
 

Subaru faltete die Hände und presste sie gegeneinander. „Was soll mich noch interessieren?“
 

„Dir kann ich den Wunsch nicht erfüllen. Einem anderen ‚dir’ aber schon.“
 

Seine Hände lösten sich voneinander. „Ich verstehe nicht...“
 

„Du wolltest mich vorhin ‚Hexe der Dimensionen’ nennen. Vergessen?“ Sie zwinkerte. „Das war schon richtig. Keine falsche Bescheidenheit, als mächtiger Magier musst du das wissen. Neben dieser gibt es noch viele andere Dimensionen. Andere Subarus mit anderen Kirschblütenkillern.“
 

„Nennen Sie ihn nicht so. Bitte. Sein Name...“
 

„Seishirou, ja, ja. Immerhin hat mich letztens so einer besucht. Nun schau nicht so überrascht, ich hab doch gerade gesagt, es gibt mehr von deiner Sorte.“
 

Yuuko nahm einen Schluck Sake, ehe sie weitersprach. „Dein Auge ist nicht das Auge von deinem Seishirou, sondern von dem, der mich besuchen kam. Er wollte dir helfen und einem seiner anderen Ichs – also deinem toten Seishirou. Daher hatte ich den Verdacht, dass du vielleicht, nur möglicherweise, für einen glücklichen Ausgang bei ihm und seinem Subaru sorgen möchtest?“
 

Hinter seinem Auge spürte er einen dumpfen Schmerz. Sein Kopf dröhnte. Als ob jemand etwas flüsterte. ‚Bitte.’ Subaru rieb sich die Stirn. „Kann ich das denn?“
 

Die Hexe lehnte sich vor, ihre Augen waren halb geschlossen.
 

„Ich mache es sowieso.“ Subaru lachte. Er hatte einen Kloß im Hals, mindestens von der Größe eines menschlichen Auges. ‚Bitte.’
 

„Dann sind wir im Geschäft? Du bekommst dafür etwas, das dich sehr freuen wird.“
 

„Dass wenigstens irgendwo ich bin, und ich bin glücklich?“
 

„Nein.“ Ihre Zähne blitzten. Ihre Augen reflektierten die Kerzen, die im Raum standen
 

Seine Hände schwitzten, der Stoff an den Ärmeln war schon ganz nass. „Sondern?“
 

„Ein Ticket in die Hölle.“
 


 

*
 


 

Es waren Wochen gewesen. Wochen, die in vierzig Jahren zu einer unbedeutenden, schmerzhaften Sekunde zusammengeschrumpft sein würden. Letztendlich unbedeutend. Aber die Erinnerung, sie würde die Zeit überstehen.
 

Und vielleicht würden sie das auch.
 

In einer Anzahl von Wochen sind, letztendlich, auch vierzig Jahre um.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  HokutoButterfly
2010-01-08T20:29:03+00:00 08.01.2010 21:29
Ich find deinen Schreibstil einfach Klasse,
und xxxHolic und X miteinander zu vereinen ist wirklich Klasse,
zwei meiner Lieblings Mangas *_*
Du schreibst wirklich klasse,
und ich werd die FF auf jeden Fall weiter verfolgen!
Lg
Von:  ButterFay
2008-05-19T14:29:41+00:00 19.05.2008 16:29
dein schreibstil ist einfach nur genial, die charaktere perfekt getroffen, riesengroßes lob ^^ mehr brauch ich dazu glaub ich nicht zu sagen*g*


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