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Vom selben Stern

Charlie und die Schokoloadenfabrik - Fanfiction
von

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Schwarz- Weiß- Kariert

3. Schwarz-Weiß- Kariert
 

The piano keys are black and white, but they sound like a million colours in your mind...
 

„Heute haben wir etwas ganz besonderes vor“, begann Mister Wonka, sobald sie den Erfindungsraum betreten hatten. „…wir wollen karierte Schokolade herstellen.“

Für einen kurzen Moment glaubte Charlie, sich verhört zu haben, doch seinem Mentor schien es sehr ernst zu sein.

„Karierte Schokolade?“, fragte er deswegen ungläubig und sich dennoch gleichzeitig bewusst, dass diese Idee Willy Wonka eher langweilig erscheinen musste.

„Ja, kariert“, antwortete der andere, trat zu einem der vielen Tische und begann, zerstreut aussehend, verschiedenste Werkzeuge und Zettel um sich zu stapeln.

„Stell dir doch vor“, setzte er dann an, und Charlie wurde klar, dass hinter dem Vorhaben, das ihm gerade noch simpel vorgekommen war, viel mehr steckte. „Stell dir doch vor, was wir alles machen könnten! Schokolade wäre nicht mehr einfach nur braun oder weiß, sie wäre gestreift oder gepunktet… Man könnte ganze Bilder aus Mustern malen!“ Charlie

konnte es vor seinen Augen sehen, als der Ältere begann, es farbenprächtig auszumalen. Kleine Kunstwerke aus Schokolade, nicht einfach nur aufeinander platziert, sondern geformt, gemalt, als wäre es nichts zu essen, sondern etwas viel Überdauernderes.

Schokolade war durchaus etwas Wichtiges für Charlie, wenn nicht eines der wichtigsten Dinge überhaupt auf der Welt, doch er wusste schon lange, dass es Menschen gab, die das anders sahen.

Und das ärgerte ihn.

Selbstverständlich konnten Menschen, die diese Meinung vertraten noch nie eine Wonka- Schokoladentafel gekostet haben. Sonst würden sie ja anders denken.

Was für eine Idee, so etwas Ewiges wie Kunst und Süßigkeiten zusammenzubringen- doch das schien nicht ganz dem Plan seines Mentors zu entsprechen.

So weit schien dieser noch gar nicht gedacht zu haben, und Charlie ließ sich schnell anstecken von seinem Enthusiasmus. So einträchtig hatte man die beiden noch nie arbeiten sehen. Es war fast so, als wäre etwas gänzlich Neues zwischen ihnen entstanden, das sie ungleich mehr verband, als es der Gewinn der Schokoladenfabrik und ihre merkwürdige Freundschaft es zu tun vermocht hatten.

Und es war so leicht zu zerbrechen, aber davon wussten die beiden an diesem Abend noch nichts, als sie nebeneinander standen, und sich zwischen den komplizierten Handgriffen und Rezepten immer wieder verschwörerisch zublinzelten.

Über das peinlichste Geschehen in Charlies Leben verloren die beiden kein weiteres Wort.

Es war alles in Ordnung.
 

Es begann am nächsten Morgen.

Am nächsten Morgen, als Charlie erwachte und ihm alles wieder einfiel, was passiert war. Von jenem Abend an, bis zu dem Zahnarztbesuch und die Beichte vor seinen Eltern, zusammen mit der Arbeit danach, dem warmen Gefühl in seiner Magengrube und der Hand, die ihm aufgeholfen hatte.

Er fühlte sich kalt, als er sich daran erinnerte, so als wäre dies Teil einer lange vergangenen Zeit und er würde aufstehen und alles, was er sich erträumt hatte wäre zerplatzt wie eine Waldmeister- Erdbeerseifenblase.

Er erhob sich, nur um zu sehen, dass sein Zimmer immer noch dasselbe war und sich mitnichten etwas verändert hatte.

Er kleidete sich an und bereitete sich darauf vor, zur Schule zu gehen, in der es heute zweifellos auch wenig spannend sein würde.

Doch die Kälte ging nicht weg. Selbst, als er sein Frühstück zu sich nahm und eine Tasse heißen Kakao trank, verflüchtigte sie sich nicht, sondern blieb dort, wo sie war.

„Bist du gesund?“, fragte ihn ein Umpa-Lumpa, als er gerade auf dem Weg nach draußen war.

Er nickte. Ja, das war er. Er hatte keinen Schnupfen und keine Zahnschmerzen mehr, auch kein Bauchweh oder etwas Ähnliches. Er musste wohl oder übel gehen, obwohl ihm noch übler zu mute wurde, als er am Haus seiner Eltern vorbeiging, dessen Bewohner um diese Zeit gewöhnlich noch schliefen.
 

„Irgendwie siehst du heute anders aus“, bemerkte Lucas, als er ihn vor dem Schultor traf. „So richtig fertig.“

Charlie nickte. „Dankeschön.“

„Du weiß genau, wie ich das gemeint hab!“

„Ja. Ich hab nicht viel geschlafen“, erwiderte Charlie, obwohl es nicht stimmte. „Und die Sache mit John…“

Lucas aber winkte ab. „Der kriegt sich schon wieder ein.“ Dann erreichten sie ihr Klassenzimmer. „Sag mal hast du die Hausaufgaben? Ich hab es nämlich nicht verstanden.“

Doch sein Freund konnte nur den Kopf schütteln. „Ich hatte irgendwie keine Zeit.“

„Aber heute.“

Charlie sah seinen jetzigen Banknachbarn verdutzt an. „Aber heute?“

„Ja, wir waren verabredet, schon vergessen?“ Der heranwachsende Chocolatier musste schlucken. Ja, er hatte tatsächlich nicht mehr daran gedacht.

Und bescheid gesagt hatte er auch niemandem, er konnte nicht gehen! Andererseits- Seine Eltern waren vermutlich immer noch schockiert, ihnen würde es nicht einmal auffallen, wenn er heute später nach Hause käme. Und was Mister Wonka betraf- er war sicherlich beschäftigt. An der Schokolade konnten sie heute nicht arbeiten, dazu fehlten Zutaten, außerdem musste sie hart werden, ein bisschen noch, bevor man sehen konnte, was wirklich daraus geworden war.

„Nein“, sagte er deshalb, „natürlich nicht!“

„Dann ist ja gut“, grinste der andere und öffnete sein Mathematikbuch. „Dann schau’n wir mal, was wir so verpasst haben…“
 

Die Stunden vergingen, doch das klamme Gefühl in Charlies Magen wollte nicht verschwinden. Selbst als die Schulglocke läutete und er mit geschultertem Schulrucksack und Lucas wieder auf die Straßen der mittäglichen Stadt trat und die Sonne, nicht mit ganzer Kraft aber doch warm, auf ihr Bäuche schien, fühlte er sich, als hätte er ein wenig zu viel Schokoladeneis gegessen.

„Was wollen wir denn machen?“, fragte Charlie, als Lucas sich Richtung Innenstadt wandte und er immer noch nicht genau weiß, was er mit ihm anstellen würde.

„Wir gehen ins Kino. Du weißt schon… der neue Film mit Heather Runaway läuft heute an.“

Heather Runaway war eine Göttin für Lucas, das wusste Charlie schon lange. Er betete sie an, seit er dreizehn war und das lag höchstwahrscheinlich nicht nur an ihrer großen und gut geformten Oberweite, sondern weil sie, wenn man einmal hinsah, seiner Mutter ähnlich sah, die vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Charlie hatte immer Mitleid mit ihm.

Weil er es niemandem wünschte, dass seine Eltern stürben. Und so schon gar nicht. Wenn er daran dachte, spürte er einen Kloß in seinem Hals und könnte anfangen zu weinen. Wenn es seine Eltern wären… Aber er wischte den Gedanken beiseite, zusammen mit einer energischen Handbewegung.

„Ja, lass ihn uns ansehen. Er soll gut sein!“

Eigentlich hasste Charlie Actionfilme. Doch er ging trotzdem mit, Lucas zuliebe und weil er sich Zuhause in der Fabrik nur allein fühlen würde. Es gäbe nicht einmal John, den er anrufen könnte.

Denn John hasste ihn ja. Oder er hasste Männer, die andere lieben. Und das war Charlie nun einmal, und heute, nach dem gestrigen Abend, war er das bewusster denn je.

Er wünschte, es gäbe jemanden, der ihn verstünde.

Vielleicht würde Mister Wonka es tun, aber ihm konnte Charlie es am allerwenigsten sagen.

Und Lucas? Was war mit ihm? Oder Maximillian? Er hatte Angst davor, dass sie so waren wie John, er hatte Angst davor, nicht gemocht zu werden, weil er das Gefühl hatte, wenn ihn hier draußen niemand mehr mochte, dann würde er dort drinnen ertrinken in der Schokolade und alles, was er von Willy Wonka kannte, würde ihn nie mehr loslassen.

Und dann wäre es sowieso zu spät, sein Geheimnis würde entdeckt werden und er wäre allein.

Völlig allein, weil Willy Wonka ihn dann bestimmt nicht mehr wollte.

Also folgte er Lucas ins Kino hinein, bezahlte mit dem Geld, um das er sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte, seit er in der Schokoladenfabrik arbeitete. Und deswegen dachte er kaum noch daran, als er auch Lucas Karte einfach mitbezahlte.

„Ich hoffe, es stimmt, was alle über diese Badeanzugszene sagen“, grinste sein Freund, als sie sich auf den Weg zum Vorführraum machen, „das soll ganz schön heiß werden.“

Charlie nickte, abwesend, denn bei dem Wort ‚heiß’ konnte er nun mal nur an warme Schokolade denken.

Vielleicht verbrachte er einfach zu viel Zeit mir ihr.
 

Von dem Film selbst bekamen beide nicht besonders viel mit, obwohl die besagte Szene ihrem Ruf in nichts nachstand.

Doch neben Lucas saß ein Mädchen. Catherine wurde es von ihrer Freundin gerufen und von dem Moment an, als Lucas sie sah, war sein Blick an sie gebunden.

Charlie fragte sich, was er überhaupt hier verloren hatte, wenn sich sein Schulkamerad weder für ihn noch für ihr Vorhaben interessierte, doch eine Antwort fand er nicht.

Nicht einmal, als Lucas ein wenig ihrer Cola verschüttete, nur um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Tatsächlich kamen die beiden ins Gespräch, doch alles andere war vergessen. Zumindest war Charlie nicht allein, und das würde später zu einer Bemerkung seitens Lucas führen, es sei in diesem Fall ja nicht so schlimm gewesen, die wiederrum die eigentlich Katastrophe nach sich ziehen würde, denn die ebenfalls anwesende und sichtlich verzweifelte Freundin wurde immer gereizter angesichts der neuen Bekanntschaft ihrer Verabredung und warf Charlie über die Schultern der anderen beiden immer wieder flehende Blicke zu, die er zu beantworten versuchte, in dem er die beiden anderen kurzzeitig von ihrer Unterhaltung ablenkte, was allerdings nie lange anhielt. Und so waren sie froh, als der Abspann eingespielt wurde und sie sich von ihren Plätzen erheben konnten, um an die frische Luft zu gehen, von der Charlie glaubte, sie nun dringend nötig zu haben.

„Schrecklich“, flüsterte die Verzweifelte Freundin ihm zu und zusammen sahen sie den beiden Sprechenden hinterher, die ihre Telefonnummern austauschen und ohne sie zu bemerken das Kino verließen.

„Hey, Charlie!“, hörte er da auf einmal jemanden hinter sich rufen. Es war John, in seiner besten Ausgehuniform, mit einem T-Shirt eines bekannten Markenproduzenten und seinen neuen grünen Turnschuhen.

Das Mädchen, das bis gerade eben noch neben Charlie gestanden hatte, blickte von ihm zu John und zurück und entschied sich dann, ihrer Freundin hinaus zu folgen, um sie möglicherweise noch zu Gesicht zu bekommen.

„Hi, John“, entgegnete Charlie.

„Hör mal“, begann Charlies ehemals bester Freund, als das Mädchen außer Hörweite war, „es tut mir leid, dass ich so stur war.“

Das war eine höchst überraschende Entschuldigung, denn John war gemeinhin dafür bekannt, nicht besonders nachgiebig oder einsichtig zu sein.

Doch Charlie, dem sie galt, konnte sich nicht darüber freuen. „Das ist doch kein Problem“, erwiderte er trotz allem, nahm sich aber vor, niemals wieder jemandem seine Gefühle zu verbergen. Trotz der Aussicht darauf, vielleicht allein zu sein, wollte er das Risiko nicht eingehen, jemand könnte ihn falsch verstehen. Vor allem aber hatte er das Gefühl, John die Wahrheit sagen zu müssen.

Außer vielleicht Willy Wonka, aber daran würde er später bestimmt noch oft genug denken.

Egal, ob er sie hören wollte. „Willst du, wenn wir uns jetzt wieder verstehen, mitkommen… du weißt schon, tanzen? Heute Abend?“

Jetzt oder nie, nahm Charlie sich ein Herz, weil tanzen nur bedeutete, dass John vorhatte, mit Mädchen zu flirten, und davon hatte er heute schon mehr als genug gehabt.

„Ich glaube nicht. John…“ Er druckste ein wenig herum, war sich aber dadurch der ungeteilten Aufmerksamkeit des Anderen sicher. „Was ist denn los?“, fragte der, wirklich besorgt klingend.

„Nichts“, antwortete Charlie rasch, da er ihm keinen Kummer bereiten wollte. „Aber ich bin schwul.“

Für einen Moment schien John wie versteinert. Dann verzog er das Gesicht und drehte sich um. „Vergiss es“, sagte er und der Ekel in seiner Stimme war unüberhörbar.

Charlie war, als würde sich die Kälte, die bis gerade eben noch in seinem Magen residiert hatte, nun sein Herz umklammern.

Das hier war nichts, was man mit ein paar Worten bereinigen konnte. Es war viel zu endgültig und er fühlte, dass er sich gleich erbrechen würde.

Dann verließ er das Lichtspielhaus und hoffte, er könnte dies einfach vergessen.
 

Draußen wartete Lucas auf ihn.

„Was hast du da drin gemacht?“, fragte er verständnislos und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr.

„Was hast du denn hier draußen gemacht?“, wurde ihm erwidert, während Charlie versuchte, seine rasenden Gedanken in geordnete Bahnen zu bringen. Schließlich war es das gewesen, was er gewollt hatte, oder? Die Wahrheit.

„Ich habe ein Date“, strahlte sein Freund, als hätte er nur auf die Frage gewartet, „Morgen!“

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Charlie und meinte es so. Er verstand nicht, warum es für die anderen so einfach sein sollte. Nur er musste verstecken, was er fühlte.

Und das trieb ihm die Tränen in die Augen, aber er verbot sich, zu weinen, blinzelte und lauschte Lucas, der ihm Details des vergangenen Nachmittags aufzählte.

„…hab ich dich ja ganz schön vernachlässigt. Willst du mit zu mir kommen? Dann trinken wir einen, so zur Feier des Tages.“

Obwohl Charlie nicht sagen konnte, was er zu feiern hatte, stimmte er zu. Dieser Tag war schlimmer gewesen als der gestrige, doch zumindest für seinen Freund hatte er sich gelohnt.

Außerdem würde ihm ein wenig mehr Abstand von zuhause wohl kaum noch schaden können. Im Gegenteil, als er aus der ferne die gewaltigen Schornsteine der Fabrik in den Himmel ragen sah, fühlte er sich wohl bei dem Gedanken, dass er nicht dorthin zurückgehen würde, zumindest jetzt noch nicht.

„Catherine spielt Geige“, erzählte Lucas Charlie. „Und morgen besuche ich eines ihrer Vorspielen. Sie ist bestimmt wunderbar.“ Charlie lächelte nur und dachte an John. Und an Mister Wonka. Und an seine Eltern. Und an all das, was noch passieren konnte.

Und er dachte daran, wie gerne er Willy Wonka küssen würde. Doch das war nur eine Phantasie, die er vergessen musste, wenn er wieder dort ankäme. Bei ihm und der Arbeit, die dort auf ihn wartete.

„Du hörst mir nicht zu!“, beschwerte sich der andere plötzlich und schaute ihn gespielt entrüstet an.

„Hat dein Chef dich heute Nacht nicht schlafen lassen?“ Der letzte Teil des Satzes klang ein bisschen provokant und Charlie verzog das Gesicht.

„Er schon. Meine Eltern nicht.“

„Warum das denn?“ Lucas Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er an dieser Antwort ziemlich zu knabbern hatte.

„Meinungsverschiedenheiten.“ Charlie zuckte mit den Schultern. Schweigend erreichten sie das Haus, in dem die Familie seines Klassenkameraden wohnte.

„Niemand da“, bemerkte Lucas erleichtert, als er die Tür aufschloss. „Wir haben freie Bahn.“

Dann streifte er seine Schuhe ab, verschwand im Hausinneren und überließ es Charlie, hineinzufinden.

Als er seinen Freund fand, hatte dieser sich schon mit zwei Bierflaschen bewaffnet und war auf der Suche nach einem Flaschenöffner.

„Setz dich“, riet er, „Das Wohnzimmer ist zwei Türen weiter, es könnte noch dauern.“

Kurz darauf stieß er jedoch voll ausgerüstet zu ihm.

„Nun denn- Auf das Leben und die Liebe“, lobte er und Charlie hob die Hand, um mit ihm anzustoßen.

Er trank nicht oft Alkohol, eigentlich so gut wie nie, weil er zu den Parties und Veranstaltungen auf denen es möglich und nötig gewesen wäre, nie eingeladen wurde. Und allein, zuhause… was hatte das schon für einen Sinn?

Deshalb war er auch mehr als skeptisch, als er an seiner Flasche nippte, und zu Recht: angewidert verzog er das Gesicht und stellte die Flasche zurück auf den Tisch. „Ist das widerlich!“

„Du hast recht“, meinte auch Lucas, „Deutsches Bier ist halt das einzig wahre. Was für eine Plärre.“

Trotzdem trank er unverdrossen weiter, während er von Charlie beobachtete wurde, wie seine Bewegungen langsam fahrig wurden und seine Stimme immer undeutlich, sein Redefluss dafür üppiger.

„Man, das wir das mal machen würden“, nuschelte er irgendwann, obwohl er noch gar nicht richtig betrunken sein konnte, „das hätte ich ja nicht gedacht.“

Charlie lachte und streckte sich auf dem Sofa aus. Dann begann er, den langen Geschichten zuzuhören, die sein Freund erzählte und die Welt und die Zeit zu vergessen.
 

Am nächsten Morgen, der glücklicherweise ein Samstag war, erwachte er unsanft, weil er spürte, wie sein Körper sich im freien Fall zwischen Sofa und Boden befand.

Ächzend landete er auf dem gelben Teppich, der vor der Couch lag und gähnte, nicht bemerkend, dass dies nicht seine vertraute Umgebung war. „Guten Morgen!“, wünschte ihm plötzlich jemand und mit einem Schlag war der Junge ganz bei sich.

Dies war nicht die Stimme eines Umpa-Lumpas oder seiner Mutter oder auch sonst niemandes, der in der Fabrik lebte.

Erschrocken rappelte er sich hoch. „Wo bin ich?“, fragte er aufgeregt.

„Bei mir.“ Lucas lachte. „Wir wollten einen trinken, schon vergessen?“

Daraus war wohl nichts geworden und in einem letzten Anflug von Schlaf verstrubbelte Charlie sich die Haare.

Dann holte ihn die Wirklichkeit ein. „Ich habe niemandem Bescheid gesagt!“, rief er und machte Anstalten, vollständig aufzustehen. „Die ganze schöne Arbeit!“ Sie würde ruiniert sein, wenn sich niemand darum gekümmert hatte. Und das war doch seine Aufgabe…Er wollte gar nicht daran denken. Nur jetzt so schnell wie möglich zurück. Das kalte Gefühl, dass auch heute noch da war, ignorierte er einfach.

„Ich muss gehen“, sagte er zu Lucas und überhörte dessen Kommentar, das aussagte, dass er viel zu sehr nach der Pfeife seiner Arbeit und der Familie tanzte.

Dann hetzte er zur Tür.
 

Ein Umpa- Lumpa wartete direkt hinter dem Eingangstor, sobald er das Innere der Fabrik betreten hatte.

„Ich melde lieber, dass du da bist“, sagte er, „alle sind in heller Aufregung.“

Damit wusste Charlie alles, was er musste. Und er brauchte sein schuldbewusstes Gesicht nicht einmal aufsetzen, als er in den Schokoladenflussraum schritt, der ihn am schnellsten zu den Arbeitsräumen bringen würde.

Das erste, was er sah, war sein Vater, der, seine Mutter umarmend auf einem der großen Bruchschokoladenhügel stand. Es sah so aus als würde sie weinen oder lachen, aber was es auch war, Charlie beeilte sich, es herauszufinden.

„Wo warst du?“, fragten ihn seine Eltern.

„Bei Lucas“, antwortete er. „ich bin dort eingeschlafen. Tut mir leid.“ Zähneknirschend senkte er seinen Blick und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, mit dem Fuß auf dem Boden zu scharren.

„Oh Charly!“, rief seine Mutter und es hallte durch den ganzen weiten Saal, „ich habe mir solche Sorgen gemacht!“

Dann umarmte sie ihn stürmisch, während sein Vater ihn misstrauisch musterte.

Auf einmal fühlte Charlie die Brücke wieder und die Kälte in seinem Bauch verwandelte sich in Eis.

„Es tut mir Leid“, sagte er und befeite sich aus den Armen seiner Mutter um sie auf die Wange zu küssen. „Es war nur ein dummes Missgeschick.“

Dann drehte er sich um, um die wichtigste Person zu finden, bei der er sich entschuldigen musste:

Willy Wonka.
 

Er musste drei Umpa- Lumpas fragen, bis man ihm sagte, dass Mister Wonka seit gestern Nachmittag nicht mehr aus dem Experimentierraum herausgekommen war und mit jedem Mal wurde ihm das Herz schwerer. Er hätte sich nie darauf einlassen dürfen. Er hätte anrufen sollen, mindestens. Es war einfach nicht richtig so. Und mit jedem Schritt den er auf den besagten Raum zumachte, verstärkten sich seine Schuldgefühle, bis er das Gefühl hatte, weinen zu wollen und das Eis seine Brust einfror, so dass er kaum atmen konnte.

Was würde Willy sagen? Würde er wütend sein, enttäuscht? Würde er darüber hinwegsehen, weil es vorher noch niemals vorgekommen war?

Sein Puls rauschte in seinen Ohren, als er heftig gegen die Tür pochte.

Er wartete einen Moment, doch alles, was er aus der Tür vernehmen konnte, war das Brummen der Arbeitsgeräte und ein kurzer Laut, der eindeutig von dem anderen Chocolatier kommen musste, aber weder als Zustimmung noch als Ablehnung gedeutet werden konnte.

Er öffnete.

An einem Tisch ungefähr in der Mitte des Raumes stand Willy Wonka, über eine Tafel Schokolade gebeugt, die Charlie allerdings nicht sehen konnte.

„Du solltest dich um deine Arbeit kümmern“, begann er, ohne aufzusehen. „Denn sonst geht sie ein, und das würde doch niemand wollen…“ Charlie setzte zu einer Antwort an, aber noch ehe er Luft holen konnte, fuhr sein Lehrer fort.

„Außerdem solltest du dir besser nicht angewöhnen einfach zu gehen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Deine Eltern waren ganz krank vor Sorge.“

Seine Stimme klang ruhig, viel ruhiger als sonst, schon fast gefährlich. Es war ein unberechenbarer Tonfall, und weil Charlie nun wusste, dass sein gegenüber wütend war, wurde ihm schlagartig klar, dass er jenen noch niemals wirklich zornig gesehen hatte.

„Es tut mir leid“, murmelte er und traute sich nicht, noch ein einziges Wort auszusprechen, obwohl ihm tausende Möglichkeiten einer Erklärung eingefallen wären.

„Das ist gut“, stellte Mister Wonka fest und klang deutlich befriedigt. „das sollte es nämlich auch.“

Dann bedeutete er Charlie näher zu treten, so dass dieser die auf dem Tisch liegende Schokoladentafel betrachten konnte. Sie war kariert.

Und in diesem Moment begriff er, dass das Leben auch schwarz- weiß- kariert war, ebenso wie das Ergebnis ihrer Arbeit. Egal, wie düster es aussah, irgendwann würde ein weißer Streifen kommen und den schwarzen überschatten, so dass alles wieder gut sein würde.

„Es hat trotzdem funktioniert“, sagte Willy nun, „weil du phantastische Arbeit geleistet hast.“

Und dann tat er etwas, das Charlie niemals von ihm erwartet hätte-

Er drückte den roten Knopf, der alle Gerätschaften mit sofortiger Wirkung ausschaltete und klopfte sich die Hände an seinem Mantel ab.

„Aber jetzt ist Wochenende. Das kommt gerade Recht nach dem ganzen Trubel!“

Damit ging er einfach an Charlie vorbei, der erst nach ein paar Sekunden bemerkte, dass er dem Älteren folgen sollte.

Und als die Tür des Experimentierraums hinter ihnen zufiel, geschah noch etwas sehr merkwürdiges.

Mister Wonka, der einem Menschen normalerweise niemals zu nahe kam, legte eine Hand auf Charlies Schulter.

„Du weißt ja nicht, was ohne dich hier passiert“, sagte er, leiser als gewöhnlich und noch bevor Charlie sich versah, fand er sich näher an seinem Vorbild, als er jemals gedacht hatte.

„Es war ganz schrecklich. Bleib nie wieder weg.“

Und als Charlie die Arme spürte, die an seinem Rücken drückten, den Atem, der seinen Hals kitzelte, gerade so, dass man noch etwas ahnen musste, und die Kälte in ihm Schmolz wie nicht- wonka’sches Schokoladeneis in der Sonne, ja, als Willy Wonka an jenem Morgen vor lauter Erleichterung Charlie Bucket umarmte, wusste dieser, dass sein weißer Streifen begonnen hatte



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Izumi-chan
2009-01-18T12:15:12+00:00 18.01.2009 13:15
Ärgerlich, wenn Kommentare nicht gespeichert werden...
Also:
Ich mag diese Geschichte ^^;
Ich mag sie wirklich.. Habe mich sehr gefreut, als ich eben (verspätet?o.O) gesehen habe, dass es ein drittes Kapitel gibt.
Was mir sehr gefällt ist, dass zwischen der Irrealität der Umpa-Lumpas (etc) doch so realistische Zustände herrschen.
Und ich leide mit Charlie.
Sehr erfreulich ist auch der grammatikalische Zustand dieser Geschichte.
Ich freue mich jedes Mal, soetwas zu finden ;D
Also, man.. liest sich
Izumi-chan :3


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