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Assoziatives Schreiben

Kurzgeschichtensammlung
von

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Satz Nr. 06 - Wein und Kuchen

Aber etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit an, ein Geruch neben den schweren Düften des Weines und des schwelenden Holzes. Ich schnupperte und versuchte herauszufinden, woher dieser andersartige Geruch kam und was es überhaupt war.

Vorsichtig kletterte ich auf eines der eingebrochenen Weinregale.

„Pass auf die Scherben auf!“, rief Jonathan.

Ich nickte zur Antwort, dann begann ich mit meiner Suche.

Meine Nase sagte mir, dass sich der Ursprung des ungewöhnlichen Geruchs irgendwo im hinteren Teil des geräumigen Weinkellers befinden musste und da ich wegen meines geringen Körpergewichts am leichtesten über die Holzbruchstücke kam, ohne einzubrechen, ging ich auf Erkundungstour.

Je näher ich der hinteren, dunklen Kellerbereich kam, desto übel riechender waren die Informationen, die ich erhielt. Die Decke über mir war brandschwarz und dampfte noch vor Hitze, es roch nach Rauch und Asche, vermischt mit verbranntem Wein.

Ich kletterte von einem ungefallenen Regal zum nächsten, roch Bordeaux und Chianti und spürte das vom Löschen noch nasse Holz unter meinen Füssen. Bei jedem zögerlichen Schritt knackte es leise.

„Hast du schon etwas gefunden?“

Ich schüttelte auf Jonathans Frage hin den Kopf und suchte weiter.

Dann wurde der Gestank beinahe unerträglich. Ich schnüffelte, blieb stehen.

Es roch eindeutig nach Tod und Verderben. Irgendwo lag eine Leiche, tief unter den Brandresten verborgen.

Der unangenehme Duft juckte in meiner Nase und ich jaulte leise auf, blieb aber an Ort und Stelle und begann genauer zu suchen.

Am unteren Ende des Holzberges glänzte etwas Silbernes.

Ich rutschte etwas hinab, der Geruch hier unten war stärker als zuvor.

Der glänzende Gegenstand schien eine Uhr zu sein, vom Feuer zwar arg in Mitleidenschaft gezogen, doch ein kleines Stückchen des Metalls war noch klar zu erkennen.

Und auch die Hand, um deren Gelenk die Armbanduhr befestigt war, konnte ich nun leicht sehen. Getrocknetes Blut klebte an ihr genauso wie schwarzer Russ.

Ich bellte kurz zu Jonathan herüber, der auch sofort einen anderen Polizisten rief.

„Er hat etwas gefunden. Wir müssen die Brandreste wegbringen…“
 

Nach dem Einsatz wollte mir der Polizeichef eine Extraportion Hundefutter spendieren, doch mein Freund Jonathan Blake rettete mich aus dieser misslichen Lage.

„Er hat heute wirklich schon genug gefressen, Mr Jones und ich werde als Belohnung mit ihm einen langen Spaziergang unternehmen“, hörte ich ihn sagen. Danach erschien Jonathan im Türrahmen.

„Komm, es geht ab nach Hause.“

Ich nahm seinen Vorschlag gerne an und folgte ihm, froh dem braunen Schlabberzeug aus dem Hundenapf entkommen zu sein.

Schweigsam liefen wir durch die Nacht, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, liess den Fall nochmals Revue geschehen.

Die Bergung der toten Frau hatte viel Zeit in Anspruch genommen, da man zuerst die ganzen Überreste der Weinregale hatte beseitigen müssen. Bis alle Beweise gesichert worden waren, hatten mein Freund Jonathan Blake und ich lange warten müssen.

Ich war im wahrsten Sinne des Wortes hundemüde und freute mich auf mein Bett.
 

Ja, ich freute mich auf mein Bett.

Ich spreche nicht von einem Hundekorb oder von einer kalten Hundehütte im Freien, sondern von einem richtigen Menschenbett, mit Kissen, Decke und Matratze.

Ich bin allerdings auch kein verwöhnter Vierbeiner, der nur bei seinem Herrchen schlafen möchte.

Eigentlich bin ich ein Mensch. Wenn ich mich vorstellen darf: William Moncrieff, Anwalt und Hobbyhund.
 

Durch einen blöden Zufall, manche nennen es vielleicht auch Schicksal oder Bestimmung, bin ich in der Lage, mich in einen Hund zu verwandeln. Das hat nicht im Geringsten etwas mit Magie zu tun, auch wenn ich mir manchmal wünschte, dass es so wäre. Zauberei würde die ganze Verwandlung nämlich um einiges angenehmer machen.

Meine Mutter hat während ihrer Schwangerschaft ein Medikament eingenommen, das als solches eigentlich nie hätte auf dem Markt gelangen sollen.

Die Wirkungen des Mittels machten sich bei mir spät bemerkbar.

Und jetzt bin ich halt zwischenzeitlich Hund vom Dienst.

Polizeihund um genauer zu sein.
 

Blakes braune Augen warfen mir irritierte Blicke zu. „Ich geb’s ja zu, deine Spürnase war uns in dem Fall sehr nützlich, doch ich dachte, du hättest für nächste Zeit genug vom Hundeleben? Was hattest du dort zu suchen?“

Ich kniff die Augen zusammen und knurrte leise. Jonathan sollte eigentlich wissen, dass ich ihm in meiner vierbeinigen Fellknäuelgestalt nicht antworten konnte.

So tapste ich neben ihm her, den Blick auf den vom Regen nassschwarzen Boden gerichtet.

Es war bereits dunkel geworden und nur noch wenige Menschen hielten sich in den engen Gassen Londons auf. Ein kalter Wind liess mich frösteln und ich war um mein Fell froh.

Überall zwischen den Häusern klebte dreckiger Smog, es roch nach Russ und Regen.

Eine Droschke fuhr in schnellem Tempo an uns vorbei, und es spritzte auf.

Angewidert blieb ich stehen – mein Kopf hatte eine wunderbare Ladung Strassenmatsch abbekommen.

Jonathan lachte und wischte mit seiner Jacke, die ebenso unter der Spritzattacke gelitten hatte, den Schlamm aus dem Gesicht.

Danach gingen wir weiter durch die düsteren Strassen, vorbei an halb zerfallenen Häusern, deren Fenster mit Brettern zugenagelt wurden. Eine Lampe flackerte.

London konnte wirklich unheimlich sein.

Zwischendurch musste ich mit meinen nackten Pfoten durch Pfützen gehen, was mir alles andere als gefiel. Warum es für Hunde keine wasserfesten Schuhe gab? War ich nicht schon genug durchnässt?

„Stell dich nicht so an, es ist nur Wasser…“, rief mir Jonathan zu, grinste hämisch. Er machte sich regelmässig einen Spass daraus, mich zu necken.

Ich knurrte erneut und zeigte ihm meine Zähne. Er hatte gut reden, er musste nicht durch das eklige, dreckige, übel riechende, kalte Wasser stampfen ohne Schuhe.

Nach einem grossen Satz und einem abgetauchten Fuss konnten wir unseren Weg vorsetzen.
 

Das Hundeleben war eigentlich sehr in Ordnung. Ich konnte den strengen Regeln der englischen Gesellschaft entfliehen und war für kurze Zeit frei. Keine nervigen Treffen mit irgendwelchen alten Damen oder jungen Ladies, die meine Mutter sich als Verlobte für ihren einzigen Sohn in den Kopf gesetzt hatte.

Ich genoss ein bisschen Freiheit und konnte auch meiner Leidenschaft für Polizeiarbeit etwas nachgehen, welche im starken Kontrast zum papierlastigen Anwaltsberuf war, den ich normalerweise ausübte.

Allerdings hatte meine Freiheit auch ihre Nachteile.

Beim Gedanken an die Hundekekse, die der Polizeichef mir gönnerhaft hatte geben wollen, wurde mir gleich schlecht.
 

Zehn Minuten später hatten wir Jonathans Daheim erreicht und ich lehnte mich im Wohnzimmer etwas im Sessel zurück. Ich war wieder ich selbst, 28 Jahre alt und genoss es an der Wärme zu sein.

Keine dreckigen, kalten Pfützen, kein Smog und kein eisiger Wind.

Genüsslich nippte ich an einer Tasse Tee und knabberte an einem Stück Kuchen herum.

Jonathan starrte mich entrüstet an. „Ich kann ja verstehen, dass du als Hund keine Manieren haben kannst, aber musst du hier alles vollkrümeln?“

Entschuldigend pickte ich ein paar Krumen auf mit Zeigefinger und Daumen auf.

„Sei froh, dass ich dir nicht alles voll sabbere“, murmelte ich und nahm einen weiteren Schluck Tee, zog den intensiven Duft der Kräuter ein. Meine Nasenflügel bebten, irgendwie klebte der ganze Geruch von Wein, angebranntem Holz und Leiche immer noch in meiner Nase fest und ich hoffte, diese unangenehmen Erinnerungen loszuwerden.

„Also, was hattest du in der Villa verloren?“, fragte Jonathan skeptisch, aber auch neugierig.

Der braunhaarige Polizist nippte selbst an einer dampfenden Tasse Tee, während er meine Antwort abwartete.

Ich zuckte mit den Schultern. „Es war Zufall. Ich hatte ein Treffen mit dem Hausbesitzer, weil er Anklage erheben und dabei meine Meinung als Anwalt einholen wollte.“

„Und weiter?“ Jonathan hörte interessiert zu.

„Beim Hinausgehen fielen mir unzählige teure Frauenschuhe auf und ich fragte ihn nach der Bewohnerin, doch er verneinte, meiner Meinung nach zu stark und energisch, die Anwesenheit einer Frau in seinem Haus.“

Ein schiefes Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Ich hab danach etwas nachgeforscht und bin nochmals zur Villa gegangen. Der Hausherr war zwar nicht da, aber der Butler erzählte mir von einer 30-jährigen Frau, die seine Lordschaft zwar bei sich wohnen liess, aber welche er gerne wieder loswürde. Anscheinend haben sie oft gestritten.“

„Also hat er sie umgebracht, weil sie nicht gehen wollte und danach hat er den Weinkeller in Flammen gesteckt, weil er dachte, wir würden die Leiche so nicht finden?“ Jonathan runzelte die Stirn. „Für wie blöd hält der Kerl uns eigentlich?“

„Ich glaube nicht, dass er erwartet hat, dass man eine Leiche überhaupt im abgebrannten Weinkeller finden würde. Der Brand wurde zu schnell gestoppt.“

Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und fuhr fort: „Als ich dort war, fehlten ein Schuh.

„Zuerst habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht und bin nach Hause gegangen. Ich hab mich dann, ungern, aber gezwungenermassen, als Hund auf gemacht um der Sache auf den Grund zu gehen. Ich hatte ein schlechtes Gefühl.

„Als ich ankam, war das Feuer bereits im vollen Gange, Polizei und Feuerwehr im Einsatz und neben dem Eingang lag der rote Frauenschuh zwischen Sträuchern und Gestrüpp.“
 

„Echt seltsam…“, murmelte Jonathan und machte es sich auf dem Sofa breit.

Ich nickte. „Was in den Köpfen der Adligen vorgeht…“

Dann warf er mir einen nachdenklichen Blick zu.

„Eigentlich meinte ich ja dich. Kletterst über Scherbenhaufen um eine Leiche zu suchen und reagierst dann bei einem Spritzer Strassendreck wie eine Mimose.“

Das Kuchenstück traf ihn mitten im Gesicht.
 

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Dies ist eine Art Experiment. Ich habe mich etwas an der Ich-Person versucht und auch einen etwas anderen Schreibstil verwendet.

Es ist ein Fragment aus einer Geschichte, die mir schon länger im Kopf herum geistert, die allerdings noch nicht ihren Weg auf Papier gefunden hat.

Wer hier ein bisschen sucht, findet das eine oder andere Element, das mich beim Schreiben inspiriert hat.

> Dr. Jekyll and Mr. Hyde

> The Importance of Being Earnest

> Sherlock Holmes



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2008-11-28T17:11:46+00:00 28.11.2008 18:11
Dein Experiment ist dir definitiv gelungen. Die Hundeperspektive hast du gut aufgegriffen und ich dachte schon, dass du das wirklich die ganze zeit aus der Perspektive eines richtigen Hundes schilderst bis dann die Erklärung kam.
Gefallen hat mir auch, dass du den Fall am Ende in einem Privatgespräch zwischen Polizist und Anwalt aufklärst und wie dann der Kuchen im Gesicht des Polizisten landete.
Wunderbar, weiter so.
Und wenn die Geschichte ihren Weg gefunden hat bin ich gespannt darauf sie ganz zu lesen
Von:  nightwing79
2008-11-06T08:33:18+00:00 06.11.2008 09:33
Hallo,

dieses Kapitel ist echt genial;
die Idee mit dem Mensch / Hund hat echt was.
Der Stil hat echt was an sich

Grüsse
nightwing79
Von:  Ito-chan
2008-09-18T21:43:40+00:00 18.09.2008 23:43
Hi ^^

Gefällt mir ganz gut.
Experiment gelungen ^^


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