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Das letzte Ritual

von

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Ein spannender Fund

1
 

„Mama! Komm schon, Mama! Beeil dich doch mal!“

„Ich komm ja schon, Ed. Meine Güte, jetzt hör bitte mal auf, zu schreien.“

Die junge Frau, mit den auffallend rot gefärbten Haaren, schlängelte sich geschickt durch die Menge. Sie wich einer älteren Dame aus, die sich gerade ihre Stola um den Hals warf. Sie hieß natürlich nicht wirklich ‚Mama’. Ihr Name war Fee.
 

Ed, der bereits um die nächste Ecke verschwunden war, hatte kohlrabenschwarze Haare, die ihm in unordentlichen Locken vom Kopf abstanden.

Seine Mutter bat ihn immer wieder, sie sich doch mal ordentlich schneiden zu lassen. Aber Ed widersetzte sich geduldig. Er war sieben Jahre alt, ging seit einem Jahr zur Schule und war ein äußerst lebhaftes Kind. Er hatte seinen eigenen Kopf.
 

Als Fee ebenfalls um die Ecke bog, sah sie ihren Sohn vor sich. Er strahlte erwartungsvoll zu ihr hinauf. Fee sah den Korridor hinauf und wieder zu ihrem Sohn zurück. Hier war keine Menschenseele unterwegs.
 

Sie und Ed hatten sich ein klassisches Konzert in der alten Burg angehört. Ed liebte sie noch tausendmal mehr, als ohnehin schon, wenn sie ihn zu diesen Konzerten mitnahm. Er mochte keine klassische Musik, aber er liebte die Burg. Und jedes Mal, wenn er zu einem Konzert mitkam, erlaubte Fee ihm, danach durch die Burg zu streifen.

Sie war für Besucher offen zugänglich, bis auf einige Teile, die durch schwere, geschlossene Holztüren mit deutlichen Kennzeichnungen gesperrt waren.
 

Die Burg war beinahe vollständig erhalten. Die oberen Stockwerke waren restauriert, aber nicht renoviert worden, sodass man den Eindruck hatte, eine Zeitreise zu machen, sobald man die Tür ins Innere durchschritt.

Das Kellergewölbe war teilweise verfallen und nur soweit restauriert worden, das keine Einsturzgefahr bestand. Es fanden dort oft Führungen statt, bei denen man sich vom Führer in Angst und Schrecken versetzen lassen konnte. Er erzählte von den vielen Gefangenen, die in den drei Verliesen, im Lauf der Jahrhunderte, ihr Ende gefunden hatten.
 

Die gesamte Burganlage war so originalgetreu erhalten worden, wie es möglich gewesen war. Und selbst Fee, die sich sonst nicht für vergangene Zeiten interessierte, durchlief ein kalter Schauer, wenn sie mit ihrem Sohn durch die alten Mauern schlich.
 

Ed liebte die Burg. Er lief stundenlang durch die alten Gänge, wenn er durfte. Er erforschte alle Winkel und Ecken und Fee wusste, dass er alles, was öffentlich zugänglich war, kannte. Vielleicht sogar einiges mehr.

Er wagte sich sogar ins Dämmerdunkel des Kellers hinunter. Keine Biegung, kein Tunnel, keine Nische blieb vor ihm verschont. Und immer, wenn er dann am vereinbarten Treffpunkt erschien, berichtete er Fee voller Stolz, was er wieder Neues entdeckt hatte.
 

Auch diesmal war eine seiner Entdeckungen der Grund, weshalb er seine Mutter schon seit Beginn des Konzerts drängte, er müsse ihr unbedingt etwas zeigen. Am Vortag hatte Fee die Karten für das Konzert abgeholt und Ed hatte zwei Stunden auf Streifzug durch die Burg verbracht. Die Schlange war sehr lang gewesen und Fee war mit den Karten in der Tasche noch einen Tee trinken gegangen.

Als Ed zurückgekommen war, war er ganz aufgeregt gewesen, aber sie hatten nach Hause gemusst. Ed hatte ganz geheimnisvoll getan und ihr das Versprechen abgenommen, sie mit zu dem Konzert zu nehmen. Da waren sie nun also. Fee sah auf ihren Sohn hinunter und lächelte. Sie liebte ihren kleinen Abenteurer über alles.
 

„In Ordnung, hier bin ich.“, sagte sie. Ed deutete ans Ende des Korridors.

„Da müssen wir her.“, sagte er und zog sie mit sich. Fee ließ sich ziehen, bis Ed durch die Tür gehen wollte. Auf einem alten, metallenen Türschild prangten deutlich die Worte ‚Zutritt verboten’.

„Das geht nicht, Ed. Da darf man nicht einfach durchgehen.“

„Das weiß ich, aber ich hab’s gemacht und jetzt muss ich dir da drinnen was zeigen. Ehrlich, das musst du sehen.“ Ihr Sohn sprach mit so eindringlicher Stimme, dass Fee nicht widersprach. Es war schließlich nicht allzu schlimm, einmal hinter die Tür zu schauen. Danach würde sie Ed erklären, dass er das nie wieder tun durfte.

„In Ordnung. Aber du zeigst es mir nur und dann verschwinden wir wieder. Das ist nämlich eigentlich wirklich nicht in Ordnung, Ed.“ Ed nickte und öffnete die Tür. Sie war nicht verschlossen, was Fee etwas wunderte. Wahrscheinlich hatte es jemand vergessen.
 

Sie gingen hindurch und Ed schloss die Tür wieder. Sie standen auf einem weiteren Korridor und zum hundertsten Mal fragte Fee sich, wie groß die Burg eigentlich wirklich war. Ed kniete sich hin und deutete auf die Wand vor sich.

„OK, Mama. Jetzt zeig ich dir was absolut Tolles. Das kannst du gar nicht glauben!“ Fee lächelte und sah gespannt zu, was Ed tat. Er legte seine Hand flach auf einen der Steine in der Mauer und drückte.
 

Fee hob erstaunt die Augenbrauen, als sie es knacken hörte. Erst dachte sie, Ed hätte etwas zerbrochen und bekam einen Schreck. Doch dann glitt der Stein plötzlich nach hinten, etwa fünf Zentimeter. Dann knackte und knirschte es und rund um den Stein bewegten sich noch andere Steine. Etwa zwanzig Steine rückten zurück und glitten dann zur Seite.

Ed wies strahlend auf die dunkle Öffnung, die nun sichtbar war und zog Fee am Ärmel.

„Hast du das gesehen, Mama? Ist das nicht echt cool?“ Fee starrte fassungslos auf das ovale Loch und schüttelte den Kopf. Ihr fehlten die Worte.

„Das ist eine Geheimtür, Mama! Echt! Ich bin gestern durchgegangen und da ist ne Treppe und wenn man oben wieder rauskommt, ist man an einem großen Turm! Echt cool! Komm, ich zeig’s dir!“ Ed war nicht zu bremsen. Er war bereits halb durch die Öffnung und zerrte Fee mit sich. Doch Fee riss sich aus ihrer Starre und hielt ihren Sohn zurück.

„Warte, Ed. Hör mal, das ist sicher gefährlich. Ich glaube nicht, dass jemand den Gang hier kennt und er ist sicher nicht restauriert worden. Was, wenn die Decke auf einmal einstürzt?“ Ed hielt inne und steckte den Kopf wieder in den Korridor, um seine Mutter vorwurfsvoll anzusehen.

„Oh, Mama! Jetzt komm schon! Ich bin schon einmal durchgegangen, es ist gar nicht gruselig!“ Fee musste lachen. Es war niedlich, wie ihr Sohn sich um sie sorgte. Sie fürchtete sich nicht im Dunklen, aber er. Und deshalb dachte er immer, auch sie müsste Angst vor der Dunkelheit haben.

Wenn sie hindurchgingen, würde sie ihn beschützen müssen und nicht umgekehrt. Fee seufzte. Ed hatte ja Recht, es war ein Abenteuer. Und wenn man sieben Jahre alt war, dann störte man sich nicht an einstürzenden Decken. Jedenfalls nicht, wenn man einen Geheimgang entdeckt hatte.

„In Ordnung.“ Fee nickte und Ed strahlte bis über beide Ohren. Fee hob warnend den Zeigefinger.

„Aber du bleibst an meiner Hand und wenn ich sage, wir gehen zurück, gehen wir zurück.“ Ed nickte heftig und Fee kroch hinter ihm her, ins Dunkel.
 

2
 

Der Gang war höher, als Fee vermutet hatte. Aufgrund der kleinen Öffnung hatte sie gedacht, sie würde die Treppe hinauf gebückt gehen müssen. Doch die gewölbte Decke, die die Treppe überspannte, war hoch genug, sodass Fee aufrecht gehen konnte.

„Bist du wirklich schon mal hier hinauf gegangen?“, fragte sie zaghaft und erschrak, als ihre Stimme durch den Gang hallte. Ed lachte und es hallte wieder.

„Ja, gestern! Warte, ich mach zu.“, sagte er fröhlich und hockte sich nieder. Er legte seine Hand auf einen der Steine in der Wand neben der Treppe und die Steine, die die Öffnung gebildet hatten, schlossen sich wieder. Fee staunte nicht schlecht. Schließlich war das Loch wieder verschwunden und Fee sah gar nichts mehr.

„Wie sollen wir die Stufen sehen, es ist ja völlig duster.“, sagte sie und stellte fest, dass sie automatisch geflüstert hatte. Ed nahm ihre Hand.

„Gar nicht. Du musst nur kurz warten, dann siehst du wieder was.“, behauptete er. Fee wartete einige Augenblicke und bemerkte kleine Ritzen im Gestein der Wände, durch die ein wenig Licht fiel. Sie atmete tief durch. Irgendwie war ihr Gefühl merkwürdig. Die Vorstellung, dass sie und Ed vielleicht seit hunderten Jahren die Ersten waren, die wieder durch diesen Gang gingen, verlieh dem Geschehen einen atmosphärischen Schimmer.

„OK, gehen wir.“, sagte sie leise und Ed zog sie hinter sich her, die Stufen hinauf.
 

Die Treppe hatte dreiundvierzig Stufen, die viel niedriger waren, als die normalen Stufen, die Fee kannte. Sie und Ed hatten nebeneinander keinen Platz und Fee vermutete, dass die geheime Treppe durch eine der dicken Wände verlief.

Als sie oben ankamen, musste sie sich eingestehen, dass sie es auch aufregend fand. So etwas hatte sie noch nie erlebt und als sie ihre Hand auf die Mauer am oberen Treppenabsatz legte, durchfuhr sie ein gespanntes Kribbeln.

„Wie geht sie auf?“, fragte sie Ed und der nahm ihre Hand und legte sie auf einen Stein.

„Hier drücken. Fest, aber ganz vorsichtig. Dann knackt es wieder.“ Fee tat es und es knackte. Dann glitten die Steine beiseite, wie bereits unten und eine Öffnung tat sich auf. Fee schlüpfte gespannt hindurch und Ed krabbelte hinterher. Sie standen tatsächlich am Aufgang zu einem Turm. Das war unglaublich. Fee kannte diesen Teil der Burg nicht. Es musste auch hier eigentlich für Besucher verboten sein.
 

Fee sah zu Ed. Der hatte vor Stolz und Aufregung ganz rote Wangen und strahlte sie an.

„Ist das nicht echt cool?“, fragte er atemlos und Fee nickte. Sie lächelte.

„Ja, das ist es. Wirst du es dem Direktor des Burgmuseums erzählen? Er wird das sicherlich auch ganz toll finden.“ Ed schüttelte erschrocken den Kopf. Er schien entrüstet.

„Nein, ganz bestimmt nicht! Das ist doch unser Geheimnis, Mama!“, rief er empört und verschränkte die Arme vor der Brust. Fee lachte.

„OK, OK! Ich werd es ihm bestimmt nicht sagen. Es war deine Entdeckung. Aber irgendwann kannst du es ihm ja vielleicht sagen, hm?“ Ed legte den Kopf ein wenig auf die Seite und überlegte. Dann nickte er.

„Na gut. Aber erst, wenn ich schon ganz groß bin. Wenn ich alle anderen Gänge gefunden hab und es mir langweilig wird. Dann vielleicht.“ Fee hob die Augenbrauen. Die anderen Gänge?

„Sag mal, Ed, willst du etwa sagen, dass es noch mehr solcher Gänge in der Burg gibt?“ Ed lachte laut und drehte sich kichernd einmal um sich selbst. Das machte er immer, wenn er etwas zum Brüllen komisch fand.

„Es gibt bestimmt Myrrionen Gänge! Ich hab schon sechs gefunden gestern! Man muss nur einmal wissen, wie die Steine aussehen, dann ist es ganz leicht!“
 

Fee keuchte. Oh Gott. Ihr Sohn war gestern zwei Stunden lang durch Geheimgänge gekrochen, die vielleicht jeden Augenblick über ihm zusammenfallen konnten? In dem verbotenen Teil der Burg? Sie kniete sich hin und zog Ed zu sich.

„Hör mal, ich möchte das eigentlich nicht, weißt du.“, sagte sie sanft und spürte, wie Ed sich gegen sie sträubte. Er wollte sein Abenteuer nicht einfach fallen lassen.

„Aber Mama! Ich bin wirklich ganz vorsichtig. Die Gänge sind kein bisschen kaputt, ich pass doch auf! In den Keller bin ich gar nicht gegangen, weil der doch noch nicht resauriert ist, oder wie das heißt.“

„Restauriert. Aber trotzdem. Es könnte ganz gefährlich sein, Schatz. Ich hab doch bloß Angst um dich.“ Fee sah Ed in die Augen und spürte, wie sein Widerstand schmolz. Er wusste, dass sie ihm nichts ohne Grund verbot. Und wenn sie sagte, dass es gefährlich sein konnte, dann war das die Wahrheit. Fee hatte ihren Sohn noch niemals angelogen, damit er genau das immer wusste.
 

„Mama, und wenn ich dem Direktor das mit dem Gang erzähle? Vielleicht lässt er mich dann suchen helfen bei den anderen. Weil ich ihn doch entdeckt hab. Das wäre doch nicht so gefährlich. Da wären doch dann Erwachsene dabei, die passen auf.“ Fee lächelte. Dann ließ sie sich den Gedanken durch den Kopf gehen.

Sie fand, dass es gut wäre, wenn der Museumsdirektor von den Gängen wüsste. Sie glaubte auch, dass sie nach weiteren Gängen suchen würden, allerdings glaubte sie kaum, dass sie Ed dabei mitnehmen würden. Sie würden es ihm verbieten, weil es gefährlich war. Trotzdem war die Idee, wenigstens an ein betreutes Abenteuer zu kommen für einen Siebenjährigen ziemlich clever.
 

„In Ordnung. Du darfst es dem Direktor sagen und du darfst ihn auch fragen, ob du mitsuchen darfst. Aber ich glaube nicht, dass er es erlauben wird und wenn er es verbietet, dann gehorchst du. In Ordnung?“

Ed nickte und strahlte stolz.

„Gehen wir gleich hin?“, fragte er voll Tatendrang und Fee seufzte.

„Na schön. Wir gehen runter und fragen am Empfang, ob wir den Direktor sprechen können. Wenn es geht, dann kannst du es ihm ja erzählen. Aber vielleicht müssen wir auch ein andermal wieder kommen.“ Ed seufzte ebenfalls und nickte dann. Natürlich wollte er wenn dann gleich alles loswerden und mit der Suche beginnen.



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