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Wichtig is aufm Platz!

von

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VII. Wenn Fußball total kleinkariert ist

Er hat sie wirklich mit nach Hause gekommen.

Raphael konnte sich gar nicht mehr so recht dran erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte, so lange ist das mittlerweile her. Seit er fünfzehn gewesen ist, weiß er, dass er schwul ist. Dem Familienfrieden zuliebe hatte er allerdings artig auch seine Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht gesammelt, allein, um seinem Vater sicher sagen zu können, dass es keine Phase war – wie dieser gehofft hatte. Es war keine Phase, ist keine Phase. Er ist schwul, so einfach ist das. Und er hat damit auch kein Problem. Seine Familie auch nicht. Sein Dad ist mittlerweile der wahrscheinlich glühendeste männliche Hetero-Anhänger von „Brokeback Mountain“ und „Queer as Folk“ und auch seine Mum hat keinerlei Probleme mit seiner Orientierung. Es ist die verdammte Fußballwelt, die sie hätte, wenn sie es denn wüsste.

Als wenn Schwule nicht Fußball spielen könnten. Er beweist es ihnen doch jeden beschissenen Tag. Aber darauf kommt es nun einmal nicht an. Dann, wenn es wirklich zählen sollte, gilt nicht mehr „Wichtig is aufm Platz“. Dann nicht mehr.
 

Er erzählt in der Kabine von dem One Night Stand. Lachend.

Und ist gleichzeitig doch von sich selbst angewidert, hat das Gefühl, sich selbst zu demütigen. Als wenn er noch nicht einmal mehr Gefängniswärter braucht, sondern sich selbst ganz alleine ausgezeichnet einsperren kann.

„Wurd ja auch mal Zeit“, kommentierte der Killer schließlich, als Raphael geendet hatte. Mit den nassen, kurzen Haaren machte er einem Kaktus gerade ganz eklatante Konkurrenz.

„Bingo. Wir hatten schon Angst, dass dein Liebesleben total den Bach runtergeht“, grinst Alejandro, der sich natürlich als der große Vermittler fühlt.

„Oder dass de noch vom andern Ufer bist“, fügt Marlon augenzwinkernd hinzu.

Klar, das ist nur ein Scherz. So ein Scherz, wie er in den Kabinen dauernd fällt. Die Bezeichnungen Schwuchtel, schwule Sau und so weiter – Raphael kennt sie natürlich alle. Und er ignoriert sie, selbst wenn das manchmal einen schalen Geschmack hinterlässt. Aber er weiß ja, wie es gemeint ist.

„Ach, und wenn doch?“ Raphael weiß auch nicht so genau, warum er den Verteidiger jetzt so anfährt. Vielleicht einfach, weil er sich vor sich selbst ekelt und von sich selbst angewidert ist. Weil er sich in dieses Korsett pressen lässt und die Tatsache ignoriert, dass er sich selbst in dieses Gefängnis geworfen hat. Denn das ist der Preis dafür, dass er Fußball spielen kann. Dass er es als Profi darf.

„Wat? Biste dat etwa?“ Dem Killer fallen fast die Augen aus dem Kopf. Mit großen Augen sehen sie ihn alle an.

Ein kleines Wort nur. Ein simples Wörtchen, das Coming-Out ist über die Bühne und die Katastrophe kann beginnen. Ganz einfach wäre es.

Aber wer ist er schon, um das zu tun? Wer denn? Nur ein aufstrebendes, junges Talent. Ein junger Mann, der die Hoffnung hat, im Fußball seine Erfüllung zu finden. Der nichts anderes kann, als Fußball zu spielen. Klar, wenn er bei so einem Verein wie Bayern wäre, wenn er ein Superstar wäre wie Schweinsteiger, Podolski oder Klose, wenn er die richtigen Verbände und ein paar Zeitungen hinter sich wüsste – dann könnte er das tun. Denn der DFB würde trotz aller Versicherungen einen sich outenden Spieler zu unterstützen, ganz schnell einknicken. Das ist doch sonnenklar. Der Druck von Presse und Fans wäre unerträglich. Nichts für ihn. Da ist er nicht der Typ für.

„Quatsch, der Raffe doch nicht. Der kann doch Fußball spielen!“, kommt es kopfschüttelnd von Mürre. „Der hat uns alle drangekriegt!“

Erleichtertes Lachen bricht sich die Bahn. Auch Raphael lacht mit. Er kann nicht anders. Was soll er denn auch sonst tun?

„Hach ja, so viel zu der vielgelobten Toleranz im Fußball.“ Julian verdreht die Augen und fährt sich durch die blonden Haare. „Hautfarbe, ethnische Herkunft und Heimatland sind scheißegal, aber wenn’s um die sexuelle Orientierung geht, dann hakt’s. Das ist doch bescheuert.“ Damit zieht er mit einem kräftigen Ruck seine Schnürsenkel fester und marschiert an ihnen allen vorbei. Ausnahmsweise als erster raus auf den Trainingsplatz. Sonst ist er eigentlich immer einer der letzten.

„Wat hat der denn?“ Der Killer bringt mal wieder auf den Punkt, was fast alle denken.

„Intoleranz kotzt ihn offenbar an. Hat vielleicht nen schwulen besten Freund oder sowas.“ Tobi zuckt mit den Schultern. „Dann isses nachvollziehbar, oder nich?“

Raphael kommentiert keins dieser Worte mehr. In ihm nagt ein Verdacht. So wie Julian reagiert hat... Vielleicht...

Er geht nach draußen und während die Tür hinter ihm zufällt, hört er, wie Adrian Koch, ihre Nummer sieben, erklärt, dass statistisch doch jeder elfte Fußballer schwul sei und sie sich ja ausrechnen könnten, dass es doch schwule Fußballer geben müsste. Noch auf dem Flur, durch die geschlossene Tür hindurch, kann er hören, wie ihr Ersatzkeeper Reine – Dirk Reinolfs – laut moniert, dass er nie mit einem Schwulen gemeinsam duschen würde.

Manchmal ist Fußball einfach nur beschissen kleinkariert.



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