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Wind und Meer

von

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Wüstensand

Wind und Meer
 

Part 1 - Wüstensand
 

Meeresrauschen.

Aufmerksam wohnte er dem Wechselspiel von Ebbe und Flut vor einem rosigen Horizont bei, beobachtete die mit weißem Schaum gekrönten Wellen, die geruhsam über den Sandstrand rollten. Der Geruch von Salz und Seetang, das Schreien der Möwen erfüllte die frische Morgenluft…

Er vergaß die Zeit.

Doch im Grunde wusste er nicht, was ihn hielt, dazu veranlasste zu verweilen, wieso er zögerte.

Träumte er?

Unwillkürlich streckte er die Arme aus und führte seine gewölbten Handflächen zueinander, der unsinnige Wunsch, das Panorama einzufangen und festzuhalten, jenen Moment zu bewahren, manifest in seinem Verstand.

Dann schüttelte er den Kopf.

Wozu sollte das gut sein?

Es war kindisch. Eines Kriegers unwürdig.

Lächerlich.

Verwirrt, und uneinig mit sich selbst, zog er die Augenbrauen zusammen und wandte den Blick ab, korrigierte seine nachlässige Haltung.

Seit wann entglitt ihm der Fokus derart rasch…?

Auf der Kaimauer direkt vor ihm saß ein Einsiedlerkrebs, drohte ihm mit den winzigen Scheren, und er pflückte ihn kurzerhand von dem alten Gemäuer.

Einsam, huh?“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
 

„Gefällt dir Venedig?“

Erschrocken zuckte er zusammen, wirbelte jählings herum – und stockte im nächsten Augenblick perplex.

Sein Gegenüber lachte bloß, hob in einer beschwichtigenden Geste die Hände.

„Über was grübelst du, Ísvængur?“

Die Miene des Luftdrachen verfiel ins Neutrale, hart und indifferent, eine Maske der Gleichgültigkeit.

„Nichts“, antwortete er schließlich tonlos und neigte das Haupt, „Entschuldigt bitte, dass ihr meinetwegen hierher kommen musstet, leiðtogi Nístandisúgur.“

„Kleine Verspätungen sind schick, habe ich gehört“, winkte der höherrangige Loftsdreki ab und trat neben ihn, setzte den kleinen Krebs behutsam zurück auf die sonnige Seite der Mauer.

Wie ironisch, konstatierte Nístandisúgur gedanklich.

„Ich habe einen Auftrag für dich.“

Ísvængur nickte.

Innerlich atmete er erleichtert auf; jegliche Ablenkung hieß er willkommen, wenn es bedeutete, dem zermürbenden Trott seiner freien Tage zu entkommen.

Natürlich war ihm bewusst, dass das Oberhaupt des West-Clans es gut mit ihm meinte und ihn zu entlasten versuchte, aber da er seine Rastlosigkeit und den Mangel an Konzentration selbst nicht zu erklären vermochte, trugen Auszeiten und dergleichen nicht zu einer Besserung bei.

Diese stete Unruhe seiner Seele trieb ihn noch in den Wahnsinn.

„Es kursieren neuerdings Gerüchte über Drachen in der Großen Wüste. Allerdings nicht die Üblichen – den Berichten nach sind es schlanke, blau geschuppte Lindwürmer mit Libellenflügeln, und diese Beschreibung ist mit der eines grobschlächtigen Sanddrachen nicht unter einen Hut zu bringen.“

Trugbilder?

Immerhin verlangte die Hitze und die Monotonie der trockenen Einöde einiges von dem ab, der sie herausforderte. Fata Morganas waren keine seltene Erscheinung.

„Kein vernünftiger Loftsdreki harrt in der Wüste aus“, überlegte der Jüngere halblaut.

„Es gibt mehrere Aussagen, die sich decken, unabhängig voneinander“, fuhr das ClanOberhaupt fort, „und ich bin mir ebenfalls sicher, dass es keiner unserer oder Súnnanvindurs Verschollener ist.“

„Ich soll dem nachgehen.“

Nachdenklich schaute er auf die Weite des Ozeans hinaus, lehnte die Unterarme auf den warmen Fels.

„Richtig.

Solltest du wirklich auf unseresgleichen treffen, rede mit ihnen. Bring dich trotzdem nicht unnötig in Schwierigkeiten.

Und schick mir einen Raben, bevor du zum Ost-Clan aufbrichst.“

Ísvængur blinzelte überrascht: „Was…?“

„Du sollst Súnnanvindur über die Verhältnisse hier im Westen informieren, besonders die beunruhigenden Truppenbewegungen der Feuerdrachen im Inland“, meinte der Drachensouverän sachlich, „Wir haben lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten, ich habe ein mulmiges Gefühl bei der Sache.“

Der junge Krieger schluckte seinen Protest hinunter, ließ sich die Frustration, die nun abermals in ihm aufwallte, nicht anmerken.

„Verstanden.“
 

*~*
 

Sand und Geröll, wohin man auch blickte.

Dünen so hoch wie Berge, worüber sich ein wolkenloser Himmel in strahlendem Cyanblau wölbte, überlagert von einer drückenden Hitze, die jedem europäischen Sommer, den er bis jetzt erlebt hatte, spottete.

Ein rotes Meer, ohne Wasser.

Der trockene Passatwind geleitete ihn über jenes trostlose Gebiet, wo Leben und Tod auf schmalem Grat nebeneinander wandelten.

Unheimlich, und dennoch faszinierend, auf seine eigene bizarre Weise.
 

Stunden vergingen.

Er spürte weder die Energie eines anderen Drachen, noch hatte er irgendwelche Spuren widernatürlicher Luftströmungen wahrgenommen, und obwohl er sich eingestand, dass sich das öde Terrain in die Endlosigkeit zu dehnen schien, vertrat er die feste Überzeugung, in dem vollständigen Verbergen eines Drachenhortes eine Unmöglichkeit zu erkennen; vor allem dann, wenn der Fährtensucher derselben Rasse angehörte.

Als Inkarnation der Elemente, als Lebewesen, beeinflussten sie ihre Umgebung und erhoben keineswegs Anspruch auf Perfektion.

Ísvængur witterte.

Unweit von ihm befand sich eine Oase, unbewohnt, und er schwenkte ohne Umschweife nach rechts, segelte kontrolliert dem Boden entgegen.

Das lebensfeindliche Wüstenklima zehrte seinen Leib erbarmungslos aus, und so senkte er gierig die Schnauze in das erfrischende Nass und stillte seinen drängenden Durst.

Plötzlich erschallte ein heiserer Schrei, und er fuhr alarmiert zusammen, die Muskeln angespannt, seine Sinne geschärft.

Ehe er zu einer Abwehrreaktion fähig war, raste ein heller Schemen durch sein Sichtfeld, und das fremde Ungetüm stürzte sich auf ihn, schlug die dolchartigen Zähne in seine Schulter.

Auf einen diplomatischen Konsens brauchte er wohl nicht hoffen.
 

Keuchend, erschöpft, lag er auf dem heißen Wüstensand, nicht imstande, seine wahre Gestalt zu halten.

Sein Blut färbte den roten Sand schwarz, gerann alsbald unter den sengenden Strahlen der Sonne, die seinen schwachen humanen Körper langsam, aber beständig ausdörrten.

In geringer Entfernung kniete sein Kontrahent, unverkennbar ein weiblicher Loftsdreki, angestrengt schnaufend, und begutachtete ihn misstrauisch und gewissermaßen ungläubig.

Ob sie beabsichtigte zu warten, bis er hier elendig krepierte…?

Mit jedem Atemzug, um den er rang, wich ein weiterer Funken seines Lebens – seines verpfuschten Lebens – aus seinem Innersten.

Noch nicht…

Ungewollt, verlassen, verstoßen… er hatte ein einsames Dasein gefristet, immerzu mit dem Gefühl, Ansprüchen nicht zu genügen, gedemütigt von seinem leiblichen Vater, der ihn verkannte, ihm sogar den Namen verweigert hatte, verbannt, fernab der Heimat seiner Vorfahren, ohne Familie.

Für seine Kälte, für seine Ungerechtigkeit, dafür hasste er ihn.

Und dieser Hass schwoll gefährlich an und begann bereits, sich in seiner Seele einzunisten; er war sich dessen gewahr, ebenso der Gefahr, die dies darstellte.

Er ignorierte sie.

Súnnanvindur, der Mann, dessen Gesicht, dessen Stimme er kannte und ansonsten nichts, zerstörte seine Existenz von innen heraus.

„Wer bist du?“

Ich weiß es nicht.

Verdrossen presste er die Kiefer aufeinander, grub die klauengleichen Finger in den Untergrund.

Sein Unterbewusstsein gewann die Oberhand, es rebellierte, vergiftete seinen Geist mit Trotz und Widerspruch.

Ich lasse mich von dir nicht auslöschen, niemals. Ich bestätige deine Verantwortungslosigkeit und deine Flucht vor der Realität nicht. Als Erinnerung an deinen Fehltritt lebe ich fort, auf dass die Vergangenheit, die du so vehement von dir weist, nicht ruhen möge…

„Ich bin… hier noch nicht… fertig…“
 

*~*
 

Informationen am Rande:

- Nístandisúgur ist Súnnanvindurs Äquivalent im West-Clan, der seinen Hort irgendwo in Italien, in der näheren Umgebung von Rom, hat. Die sozialen Strukturen dort sind lockerer, und das Oberhaupt pflegt regelmäßigen Kontakt zu Menschen.

- Ich hätte die Wüste gerne genauer beschrieben. (Ich musste an den Bildband denken, von dem du erzählt hast, Carcajou, obwohl das mit der Sahara davor schon so in meinem Kopf entschieden war.)

- Ist der Verweis auf den Einsiedlerkrebs logisch...?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hotepneith
2008-04-07T16:55:23+00:00 07.04.2008 18:55
Isvaengur...kein Name, den ihm sein Vater gegeben hat. Weil der Junge ja auch so viel dafür konnte.
Gibts eigentlich unter den Drachen niemanden, der Seelen heilen kann? Denn Sunnanvindur hat ja auhc unter seinem Vater gelitten. Oder ist das fast schon zu einer DRachentradition geworden?
Mal sehen, wo und bei wem er gelandet ist.
Aufgeben ist ja jedenfalls nciht so seine Sache.
Ob wenigstens das mal seinen Vater stolz machen könnte?


bye

hotep
Von:  Carcajou
2008-04-01T14:46:15+00:00 01.04.2008 16:46
*Schmelz*
*freu*
*schnurr*
Daaaanke!
hachja...

(...)

So, nachdem ich mich wieder eingekriegt habe...
Der Einsiedlerkrebs passt nur zu gut, so, wie du Isvaengur bis jetzt dargestellt hast, was er hat mitmachen müssen.
Verstoßen, noch nicht mal einen namen... kein Wunder, das da Hass aufkommt, und eine gewisse gefühlskälte (Selbstschutz?!).
Sunnanvindur ist wahrhaftig keine Leuchte im Umgang mit seinen Söhnen, da können sich Flugar und Isvaengur wirklich die Hände(klauen) schütteln. Was er in der Seele seiner Kinder anrichtet, ist ihm wohl gar nicht klar- oder er fühlte sich durch die Umstände überfordert und zu seinen Handlungen gezwungen.Wie auch immer... der Schaden ist angerichtet.

Die lockerere, ungezwungenere Art des West-Clans fügt sich in ihre Umgebung ein- eben der mediterrane, lebensfrohere Lebensstil, nicht so förmlich und distanziert wie die nördlicheren Loftsdreki. Deswegen haben sie vielleicht auch Isvaengur aufgenommen, der als Verstoßener woanders wohl kaum akzeptiert worden wäre?

Und kaum in der wüste (übrigens wieder knapp,aber sehr eindringlich und anschaulich beschrieben^^), geht es ihm schon wieder an den Kragen.Und scheinbar ist es nur sein Trotz seinem Vater gegenüber, warum er nicht aufgibt...
Und:
Was macht ein weiblicher Loftsdrecki in der Wüste?

*Sich schon dämlich grinsend aufs nächste Kapitel freut*

Ganz liebe grüße vom Marder!




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