Lou-Berti-Café
Ihr war so egal, dass er sie weinen hörte, dass sie seinen richtigen Namen gesagt hatte, dass sie aussah wie ein kleines, verzweifeltes Kind. Das einzige, was sie in diesem Moment wollte, war, diese verdammte Verwirrung loszuwerden. Sie wollte wieder das alles so war, wie vorher, ohne seltsame Küsse und wildem Geknutsche auf Partys und…und irritierenden Aussagen, von denen sie kein Wort verstand! Das sollte alles einfach nur aufhören.
Ai hörte wie Conan wieder in ihr Zimmer kam und sah, wie er sich vorsichtig vor sie kniete, darauf bedacht, sie nicht zu berühren.
Schlauer Schachzug!
Sie wischte sich schnell die verräterischen Tränen von den Wangen und ließ die Hände zum Boden sinken, um sich mit ihnen abzustützen. Sie erwiderte den geschockten Blick des kleinen Schülerdetektivs. Sie war müde, wollte einfach nur schlafen und dieser Idiot ließ sie nicht. Wieso musste er ihr das alles auch immer antun?
„Haibara, ich…“, fing er an, suchte aber noch nach den richtigen Worten. „Ich wollte nicht…weißt du, dass alles…mit, mit dir und…Ran und dass du Mitzuhiko…“
Ai unterbrach ihn, indem sie eine Hand in die Höhe streckte.
„Nein“, sagte sie mit klarer Stimme, was nicht nur Conan überraschte. „Nicht ’Und dass du Mitzuhiko…’. Ich mag Mitzuhiko nicht in so einer Art. Wie kannst du das überhaupt denken? Er ist ein Kind.“
Sie spuckte das Wort aus, als wäre es widerlich es in den Mund zu nehmen. Nicht, dass sie etwas gegen Mitzuhiko hatte, nur das Conan’ s Feststellung sie der Pädophilie anklagte. So ein Idiot.
„Aber wer ist dann…“, fing Conan erneut an, wurde jedoch wieder unterbrochen. Sie hatte keinen Nerv für so was, nicht jetzt.
„Niemand, Kudo.“
Unerklärlicherweise zuckte der Detektiv beim Klang seines Namens leicht zusammen. Er hatte sich doch nicht Hoffnungen gemacht, dass sie ihn jetzt immer bei seinem richtigen Namen ansprechen würde. Ai’ s Herz schmerzte und ihre Augenlider waren träge. Sie wollte einfach nur ins Bett und Conan sollte einfach von hier verschwinden.
„Es tut mir leid, Haibara“, meinte Conan leise und schaute Ai wehmütig an. „Ich weiß nicht, warum ich so reagiert hab. Ich glaube, wegen Mitzuhiko…da ist irgendwie was bei mir durchgebrannt.“
Müde massierte Ai sich die Schläfen. Sie wollte das alles nicht hören, auch wenn ihr Herz da anderer Meinung war. Es begann wieder schneller zu schlagen, wie die Flügel eines Kolibris. Konnte das verfluchte Ding nicht einmal in ihrem Leben mit ihr kooperieren?
„Hey, alles okay?“, drang Conan’ s besorgte Stimme zu ihr und sie öffnete ihre Augen, wobei sie nicht mal gemerkt hatte, dass sie sie überhaupt geschlossen hatte.
„Ich bin müde“, erwiderte sie nur und mied es ihm in die blauen Augen zu sehen.
„Oh“, sagte Conan platt. „Dann…soll ich dir helfen?“
Er erhob sich und hielt Ai eine Hand hin, um ihr hoch zu helfen. Sie schüttelte den Kopf.
„Vielen Dank, das schaffe ich wohl grade noch alleine.“ Sie verdrehte die Augen und erhob sich.
„Ehm, soll ich dann…?“ Conan führte seine Frage nicht zu Ende, deutete nur mit dem Kopf auf die Tür, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht, den Ai gerne durch sein niedliches Grinsen eingetäuscht hätte, doch eben dieses konnte sie nicht und sie war selber an seinem seltsamen Ausdruck schuld.
Sie nickte. „Besser wär’s.“
Conan murmelte ein lautloses ‚Okay’ bewegte sich aber nicht vom Fleck, sondern fing Ai’ s Blick auf und hob leicht einen Mundwinkel. Nur ganz leicht, so dass es, wenn man nur einige Zentimeter weiter entfernt gestanden hätte, vielleicht nicht mehr erkennen könnte. Ganz ohne Vorwarnung streckte eine Hand aus, legte sie auf Ai’ s Arm und zog sie an sich ran. Ihr Herz hüpfte freudig in ihrem Brustkorb umher und sie verfluchte sich dafür, dass sie so großes Gefallen an der Wärme seines Körpers fand.
Sein rechter Arm umschlang ihre Schultern, so dass seine Hand auf ihrer nackten Schulter lag und der linke Arm lag über dem anderen. Er vergrub das Gesicht in Ai’ s Haaren und sog leise ihren Duft ein. Zögernd schlag Ai die Arme um Conan’ s Bauch und erwiderte die Umarmung. Sie wollte das eigentlich gar nicht! Sie sollte ihn wegschubsen, eine Ohrfeige geben und ihn anschreien, er solle sie nicht anfassen. Stattdessen drückte sie sich an ihn, wie es eine Ertrinkende an einem treibenden Holzstück tun würde.
Ai schloss die Augen und unterdrückte ein wohliges Seufzen. Ihr Inneres war ein einziges Chaos, die Gefühle wirbelten umher, wie bei einer Schwangeren und Ai selber fühlte sich nicht besser. Sie fühlte sich, als wollte sie einfach nur heulend in Conan’ s Armen liegen und im nächsten Moment spürte sie das Verlangen ihn von sich zu schubsen und ihn anzuschreiben, wie er es wagen konnte sie anzufassen
Was machte dieser Junge nur mit ihr?
Schließlich entschied sie sich doch dafür, den Schülerdetektiv von sich zu schieben, nicht ganz so gewalttätig, wie in ihrer Vorstellung, und sah ihn ohne jegliches Lächeln oder sonstigen Anzeichen für ein menschliches Gefühl an.
„Du solltest gehen.“
Ein kurzer Ausdruck trat in Conan’ s Gesicht. War es…Schmerz? Oder war er einfach nur beleidigt, dass es Mädchen gab, die sich ihm nicht freiwillig hingaben? Doch bevor sie weiter in seinen Blick interpretieren konnte, hatte er sein Gesicht wieder unter Kontrolle und nickte mit leicht angehobenem Mundwinkel.
„Wir sehen uns“, erwiderte er, bevor er aus der Tür schlüpfte und Ai hörte, wie er die Treppen hinunter stieg und die Haustür öffnete und zu warf.
Müde massierte sich die geschrumpfte Wissenschaftlerin die Schläfen und tapste träge zu ihrem Bett, worin sie vorhin noch zusammen mit dem Schülerdetektiv gelegen hatte in einer recht…unangenehmen Pose.
Trotz der warmen Sommernacht fror Ai aus einem unerklärlichen Grund.
Als Ai wieder erwachte schien die Sonne schon erbarmungslos durch ihr Fenster und ihr wurde unangenehm warm unter der Decke. Kalter Schweiß befand sich auf ihrer Stirn, doch sie konnte sich nicht mehr an den Grund dafür erinnern. Sie wollte auch nicht wirklich an ihren Traum denken, er bestand aus purer Verwirrung und krankhafter Verzweiflung und dieses Wissen reichte ihr erstmal auch. Als sie sich aufsetzte hörte sie, wie jemand den Kühlschrank öffnete und Geschirr klirrte. Dann war der Professor also wieder zurück.
Eilig ging sie ins Badezimmer, schlüpfte aus ihrem verschwitzten Schlafanzug und hüpfte unter den kalten Wasserstrahl in der Dusche.
Nachdem sie erstmal all ihre Gedanken von dem Traum, an den sie sich nicht erinnern wollte, weggeduscht hatte, zog sie sich kurze, dunkle Shorts und ein Shirt mit Knöpfen am Ausschnitt an. Sie wollte einfach nur aus diesem Haus heraus und irgendwohin gehen, wo sie niemanden kannte.
Aus ihrem Zimmer schnappte sie sich eine kleine Umhängetasche, stopfte Handy, einen Block mit Kugelschreiber und ihr Portemonnaie hinein und schlich sich an Agasa vorbei. Wenn er sich Sorgen machte, würde er sie bestimmt anrufen, was wohl noch ein wenig dauern konnte, da Conan ja gestern den Schokokuchen hergebracht hatte. Davon durfte Ai natürlich nichts wissen, also würde er ihn gemächlich in sich hinein schieben, bis nichts mehr übrig war und dann erst würde er sie anrufen.
Als sie die Haustür leise hinter sich schloss konnte sie ein Schmunzeln nicht unterdrücken. So ein alter, dummer Mann. Irgendwie würde sie sowieso erfahren, was er zu Hause ohne sie so trieb.
Gemächlich machte sie sich auf den Weg in die Stadt und schlenderte dort umher wie ein Tourist. Sie schaute in jedes Ladenfenster, musterte die Auslegeware ganz genau, zog dann die Nase kraus oder hob bewundernd eine Augenbraue, bis sie an ihrem Ziel angekommen war. Das Lou-Bertie-Café. Keiner ihrer Klassenkameraden würde jemals dort hinein gehen. In diesem Café ließen sich nur junge Erwachsene oder alte Leute blicken, dabei war es sehr gemütlich dort.
Ai hatte es vor einigen Jahren mit Conan entdeckt. Er hatte die Nase gerümpft, während sie eine Augenbraue gehoben hatte. Er fand es sehr altmodisch, was sowieso nicht sein Stil war, doch sie fand es klassisch und echt schön. Des Öfteren war sie mit dem Professor hergekommen.
Sie trat durch die Drehtür, durch die sie am liebsten noch einige Male gegangen wäre, und sah sich nach einem Tisch um. Es war nicht besonders viel los. In der Mitte des Cafés war eine riesige, kreisrunde Mahagonitheke, in der die ‚Barkeeper’ standen und aus dem Raum, der sich in diesem Kreis befand, kamen die Kellnerinnen mit den Tellern und Tassen und was auch immer sie noch verkauften. Die Tische waren allesamt rund und bestanden auch aus Mahagoni. An den Wänden hingen alte Gemälde von Künstlern, die kein Mensch mehr kannte, abgesehen von einem mit Wasserlilien. Das hing an den Wänden des runden Raumes, in der Mitte der runden Theke.
Ai setzte sich an einen Tisch in ihrer Nähe und packte den kleinen Block und den Kugelschreiber aus der Tasche. Sie wollte die wenigen Formeln von dem Gegengift aufschreiben, an die sie sich noch erinnern konnte, über die anderen musste sie recherchieren. Es ließ sich bestimmt was finden und wenn sie Glück hatte fiel ihr vielleicht auch wieder das ein, was sie alles vergessen hatte.
Sie kritzelte, strich wieder durch und schrieb wieder etwas auf. Eine halbe Stunde später war sie mit ihren Nerven am Ende und kurz davor einen Schrei der Frustration loszuwerden.
„Wow, das sieht ganz schön kompliziert aus“, hörte sie plötzlich eine freundliche Stimme direkt hinter sich und wandte sich erschrocken um.
Sei sah in ein ihr unbekanntes Gesicht eines jungen Mannes, der sie nett anlächelte. Ihr Herz erholte sich von dem Schock und sie musterte den Mann etwas näher. Er hatte schwarze, lockige Haare und so braune Augen, dass man die Pupillen nur mit Mühe erkennen konnte. Sie musste sich zurückhalten nicht näher an ihn heranzugehen, die Augen zusammenzukneifen und nach seinen Pupillen zu suchen. Stattdessen nickte sie und grinste.
„Glauben Sie mir, dass sieht nicht nur so aus“, erwiderte sie und verdrehte die Augen.
„Hausaufgaben?“, sagte er Mann nur, sein Lächeln wurde breiter und er beugte sich immer noch zu ihr hinunter.
Ai schmunzelte. „Sozusagen.“
Sie deutete ihm, der Höflichkeit halber, sich doch zu ihr zu setzen. Lässig nahm er sich einen Stuhl von einem anderen Tisch und setzte sich zu ihr, den Arm auf dem Tisch abstützend.
„Brauchst du Hilfe?“, fragte er und deutete mit dem Kinn auf den voll geschriebenen Zettel.
Die geschrumpfte Wissenschaftlerin hob belustigt eine Augenbraue.
„Nein, ich denke nicht“, schmunzelte sie.
„Gut“, seufzte der Mann erleichtert und erwiderte ihr Grinsen. „Ich hätte dir eh nicht helfen können.“
Ein leises Lachen entrang Ai’ s Kehle und sie senkte den Blick wieder zu ihrem Zettel.
„Ich heiße Takeo“, stellte sich der schwarzhaarige Mann lächelnd vor. Ai sah ihn wieder an, konnte sich nicht verkneifen ebenfalls zu lächeln. Dieser Takeo hatte eine verdammt positive Aura.
„Ai“, erwiderte Ai und sah ihn nachdenklich an. „Schöner Name.“
Takeo lachte auf und schüttelte leicht den Kopf. „Nicht wirklich“, erwiderte er. „Wegen dem Namen wollte mein Vater, dass ich irgendwas Heroisches studiere, wie Anwalt oder Arzt oder so was.“
„Und sind Sie bald ein ehrenhafter Anwalt? Oder Arzt?“, fragte Ai mit leicht neckendem Unterton.
Takeo schüttelte erneut den Kopf. „Nicht mal annähernd. Ich bin Künstler.“
Ai kicherte. „Da ist Ihr Vater bestimmt sehr stolz auf Sie.“
„Er redet nicht mehr mit mir.“ Takeo’ s Lächeln wich immer noch nicht von seinen Lippen.
Entschuldigend schaute Ai ihn an und ließ ihre Hände unter den Tisch sinken.
„Oh“, erwiderte sie. „Das tut mir leid.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Kein Problem“, beteuerte er. „Er war sowieso nicht mein richtiger Vater.“
„Ach, nein?“ Dieser Mann interessierte Ai mit jedem Wort, das er sagte, mehr und mehr.
„Nein, mein richtiger Vater war in der Armee und ist bei einem Einsatz ums Leben gekommen. Seitdem ist meine Mutter nicht mehr dieselbe, sagt Nana jedenfalls. Ich kannte meinen Vater nicht“, erzählte er recht selbstbewusst, senkte dann jedoch mit zartrosa Wangen den Blick. „Tut mir leid, ich weiß nicht, wieso ich das alles erzähle, ich…“
„Nein, nein. Ist schon okay“, beruhigte Ai ihn und lächelte. Für einen erwachsenen Mann erinnerte er sie ziemlich an einen Teenager, was nicht unbedingt schlecht war. „Es macht Spaß, Ihnen zuzuhören.“
Takeo schenkte ihr ein niedliches Grinsen. „Weißt du, du erinnerst mich an jemanden.“
Überrascht hob Ai eine Augenbraue, die Formeln auf dem Block schon so gut wie vergessen.
„Tu ich das?“, fragte sie und schmunzelte.
„Ja.“ Takeo nickte. „An dieses eine Bild mit der Frau, die lächelt, aber eigentlich nicht wirklich lächelt. Weißt du, welches ich meine?“
Ai verdrehte die Augen.
„Sagen Sie nicht, sie wissen nicht, dass das Bild, das sie meinen, ‚Mona Lisa’ heißt?“, neckte sie ihn und stützte ihren Ellbogen auf dem Tisch ab.
„Als Künstler?“, Takeo lachte. „Wohl eher nicht. Ich wollte nur sehen, ob du dich ein bisschen mit Kunst auskennst.“
„Wer kennt nicht das berühmteste Gemälde da Vincis?“, erwiderte Ai und lächelte schief.
Takeo musterte sie mit einem sympathischen Lächeln auf den Lippen und legte den Kopf schief. Ai hob fragend die Augenbrauen. Nicht, dass sein Blick ihr unangenehm war oder so, sie war es nur nicht gewohnt solange angesehen zu werden.
Das Lächeln des jungen Mannes wurde breiter und glich nun eher einem Grinsen.
„Hast du vielleicht Lust meine Mona Lisa zu sein?“, fragte er weich und Ai’ s Wangen wurden wärmer.
Bitte? Seine Mona Lisa? Was…was meinte er denn damit? Verwirrt sah sie ihn an und er lachte auf.
„Tut mir leid, wenn ich mich seltsam ausgedrückt habe“, entschuldigte er sich. „Ich wollte eigentlich fragen, ob du mir vielleicht mal model stehen möchtest. Dann kann ich dich zeichnen.“
Ai’ s Augen hellten sich auf. Als kleines Kind hatte Akemi sie des Öfteren gezeichnet und sie meinte, dass Ai ein wirklich tolles Model wäre und dass sie sich einmal von einem professionellen Künstler malen lassen sollte. Das Gesicht der kleinen Shiho hatte sich dann aufgehellt und sie übte damals jeden Tag verschiedene Posen. Sie war vielleicht drei oder vier Jahre alt gewesen und ihre Eltern hatten ebenfalls noch gelebt.
„Gerne“, antwortete Ai nach einigen Sekunden, welche ihr wie eine Ewigkeit vorkamen.
Takeo lächelte freudig und winkte einen vorbeilaufenden Kellner heran.
„Zwei Moccachinos“, bestellte er und fing Ai’ s fragenden Blick auf.
„Was tun Sie da?“, schmunzelte sie.
Der junge Künstler lachte auf. „Ein Mädchen heroisch von ihren Chemiehausaufgaben befreien.“
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Takeo bedeutet übrigens Held, Ehrenmann. :)