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50 Mio Yen

Hakuei x Rose (Blut und Horror)
von

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„Hast du schon mal einen Menschen umgebracht?“

Beta’d: dankenswerterweise von der reizenden Tattoo <33 *schleim*

A/N: ich glaube, ich habe noch nie eine so seltsame Person geschrieben wie Rose o_O
 

~*~*~*~
 

Ich schwankte. Selbst nach beinahe zwei Monaten war ich mir immer noch nicht sicher, welchen Auftrag ich annehmen würde. Brachte ich Rose unauffällig um, hätte ich die wenigsten Schwierigkeiten – dem Suzuki-Clan könnte ich erzählen, dass ich einen Moment nicht aufgepasst hätte oder so etwas in der Art.

Das Problem war: Ich wollte ihn überhaupt nicht töten. Ich fand ihn eine höchst interessante Persönlichkeit, die nicht so viel mit sich anzufangen wusste. Er müsste sich noch weiter entwickeln, mehr Erfahrungen sammeln, einfach noch etwas länger leben, damit er zu einem verantwortungsbewussten und vernünftigen Erwachsenen heranreifen konnte. Aber das würde er, das merkte man in Ansätzen bereits jetzt. Er wirkte auch nicht, als hätte er je etwas Schlimmes getan, und wenn, dann war es eindeutig der schlechte Einfluss seiner Familie gewesen, der ihn dazu gebracht hatte.

Ich lebte nach einem Prinzip: Ich versuchte nach bestem Wissen und Gewissen, keinen unschuldigen Personen zu schaden. Dabei ging es nicht um ‚Unbeteiligte’, sondern wirklich ‚Unschuldige’. Kinder gehörten dazu. Naive Menschen ebenfalls – sie hatten ein so vollkommenes Vertrauen in ihre Umwelt, dass ich nicht derjenige sein wollte, der es ihnen nahm. Und Rose war auch unschuldig. Vielleicht nicht so sehr wie ein Kind, aber trotzdem in gewisser Hinsicht unschuldig. Er wusste so wenig vom wirklichen Leben, er war als Yakuzasohn aufgewachsen und zum Erben erzogen worden, er hatte nie ein normales Leben geführt. Er war so zerbrechlich, unwissend, und dabei noch so niedlich wie ein kleiner Welpe. Ein kleiner, verängstigter, schwer Vertrauen fassender Hundewelpe.

Wenn ich Rose allerdings am Leben ließ, gab es viel zu viele Komplikationen. Erst mal müsste ich dem Maihara-Clan irgendwie klar machen, warum ich ihren Auftrag nicht ausgeführt hatte. Wobei ich nicht glaubte, dass ich das überleben würde. Entweder würde Gara seine Wut an mir auslassen oder später sein Chef. Ich hatte es mir bis dahin noch nicht erlaubt, auch nur bei einem Auftrag von ihnen zu versagen, und gerade wenn es um Rache ging, waren die Maiharas extrem empfindlich. Ich würde dann jedoch nicht der Einzige sein, dessen Leben in Gefahr wäre – ich war mir sicher, dass die Maiharas da keinen Schlussstrich ziehen würden. Sie würden weiter hinter Rose herjagen, so lange, bis sie von ihm die Wahrheit erfahren und ihn anschließend umbringen würden.

Kurz gesagt: Ich hatte einen inneren Konflikt. Die mehr praktische Seite an mir drängte mich, Rose umzubringen, während sich der gesamte Rest – und das war nicht wenig – dagegen sträubte.

Aber das alles wurde noch einmal über den Haufen geworfen in einer ganz bestimmten Nacht.
 

Ich wachte dadurch auf, dass ich ein Geräusch hörte. Ich konnte es nicht direkt zuordnen, es klang wie wenn jemand mit langen Fingernägeln über den Parkettboden kratzte. Für einen Augenblick befürchtete ich, dass Rose wieder einen seiner Annäherungsversuche gestartet hatte, dann überlegte ich, ob er mich wieder umbringen wollte, aber als ich die Augen aufmachte, sah ich nichts anderes als die Zimmerdecke über mir. Es war bereits hell, hatte ich so lange geschlafen? Ich drehte den Kopf zu Roses Bett. Er lag auf dem Rücken, hatte die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen und schien friedlich zu schlafen. Ein beruhigendes Bild.

Ich seufzte leise und streckte mich kurz, gähnte einmal und richtete mich dann etwas auf, stützte mich mit den Ellbogen ab und sah mich im Zimmer um.

Hinter dem Tisch war ein Haarschopf.

Dieses kratzende Geräusch ertönte ein weiteres Mal, jetzt ungleich lauter und eindringlicher. Der schwarze Haarschopf, den ich hinter dem Tisch sehen konnte, bewegte sich etwas nach vorne und verschwand dann für einen Moment.

Ich zwang mich, ruhig zu atmen. Wer auch immer da war, er oder sie würde sich gleich zeigen, wahrscheinlich war es nur jemand anderes aus der Klinik, der sich verlaufen hatte oder so etwas in der Art. Kein Grund, gleich panisch zu werden. Aber warum schlug mein Herz dann so schnell?

Durch die Stuhlbeine hindurch konnte ich nur eine dunkle Gestalt erkennen, dann tauchte eine Hand, ein Arm neben dem Stuhl ganz rechts außen auf, es folgte der Kopf mit den sehr langen, blauschwarzen Haaren, dann kam der zweite Arm hinzu und so langsam krabbelte die Gestalt, eine Frau, hinter dem Tisch hervor. Sie kam mir bekannt vor, und während sie mit ihren Fingernägeln über das Parkett scharrte, wurde mir bewusst, dass ich auch dieses Geräusch nicht zum ersten Mal hörte.

Und plötzlich, viel zu plötzlich, zu schnell für einen Menschen, stand die Frau aufrecht, es war, als hätte sie jemand blitzschnell vom Boden hochgezogen, als hätte eine unsichtbare Kraft sie auf die Füße gestellt. Die Haare hingen ihr ins Gesicht, das dunkelblaue Kleid, das sie trug, war verschlissen, ihre Arme und Beine waren dreckig. Ich starrte sie regungslos an, war wie gelähmt. Ich kannte sie, das wusste ich, mir fiel nur nicht mehr ein, woher. Aber aus der Klinik war sie definitiv nicht. War sie...

Die Frau begann langsam, auf mich zuzugehen, mit ungelenken, beinahe maschinellen Schritten stakste sie auf mich zu, was mich veranlasste, etwas zurück zu rutschten, aber auch das brachte nichts, als sie unvermittelt schon auf meinem Bett stand und weitere, langsame Schritte auf mich zu machte. Ich wollte sie ansprechen, wollte irgendetwas sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt, das Ganze hatte etwas Unwirkliches und gleichzeitig war es so real, dass ich nicht einmal richtig Luft bekam.

Da erst bemerkte ich das kleine Rinnsal Blut, das innen an ihrem Bein herunterlief, und auf den zweiten Blick schien auch ihr Kleid nass zu sein... auch Blut, es lief an ihrem Kleidungsstück herunter und tropfte auf das Bett. Und mit einem Mal stürzte sie beinahe in sich zusammen, sie brach, klappte zusammen, wodurch ihre Haare endlich für einen Augenblick ihren Kopf freigaben.

Ich konnte ihren zum Schreien weit geöffneten Mund sehen, aber ihr sonstiges Gesicht war unscharf.
 

Mit einem Ruck saß ich nach Atem ringend aufrecht im Bett, krallte mich in die Bettdecke. Mir war eiskalt; ich hatte eine Gänsehaut und zitterte am ganzen Körper, mein Herz raste und das Blut rauschte mir in den Ohren. Es war stockfinster, also war das erste, was ich tat, das Licht anzuknipsen und mich umzuschauen. Niemand zu sehen.

Ein Traum. Es war ein Traum gewesen. Es war nur ein Traum...

Und dennoch hatte es sich so wirklich angefühlt, ich hatte die Matratze gespürt, wie sie unter dem Gewicht der Frau nachgegeben hatte... Ich vergrub das Gesicht in den Händen und zwang mich, tief weiterzuatmen.

So etwas war mir noch nie passiert. Noch nie hatte ich solche intensiven Alpträume gehabt, noch nie war ich durch einen aufgewacht. Noch nie hatte es sich so echt angefühlt.

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste ich, woher ich die Frau kannte. Sie hatte wissentlich einen ziemlich hochgestellten Yakuza betrogen, mehrere Male, und als er das herausgefunden hatte, ließ er sie erst von seinen Männern vor Publikum vergewaltigen und dann erstechen. Im Vorfeld hatte er sogar Einladungen verteilt. Ich war Zeuge dieses brutalen Blutbades gewesen, hatte mit unbewegter Miene neben dem Betrogenen gestanden, der sich köstlich amüsiert hatte, und dieses grausame Schauspiel mitangesehen. Mir war mit dem Tod gedroht worden, daher hatte ich keine andere Wahl gehabt, als es mir anzutun. Lange hatten mich diese Bilder nicht mehr losgelassen, sogar in meine Träume verfolgt, wenn auch nur kurz.

Ich hatte diese Frau als Vorlage für einen meiner ‚Geister’ benutzt, von denen ich dem Psychiater berichtete. Warum aber hatte ich jetzt von ihr geträumt? Und warum war es mir so unter die Haut gegangen?

Einige Minuten brauchte ich, um mich wieder zu beruhigen, dann endlich hatte sich mein Puls wieder normalisiert. Ich hatte schon viel in meinem Leben erfahren, aber eine solche Angst noch nie. Es beunruhigte mich, dass ein einziger Traum so viel bei mir bewirken konnte. Aber wenigstens würde ich nach diesem Auftrag nie wieder mit solch blutigen Dingen zu tun haben, das hatte ich bereits entschieden.

Da drängte sich mir eine weitere Frage auf: Wo war eigentlich Rose?

Als ich ihn beim Lichtanmachen nicht im Bett gesehen hatte, hatte ich vermutet, er sei im Badezimmer. Dort allerdings war, wie mir erst jetzt auffiel, das Licht ausgeschaltet. Okay. Jetzt musste ich ruhig bleiben und durfte nicht sofort anfangen, mir Sorgen zu machen. Vielleicht war er aufgewacht und hatte sich dazu entschlossen, einen Spaziergang zu machen.

Rose. Nachts. Ein Spaziergang. ALLEINE.

Ich stieg aus dem Bett und dachte nach, während ich zur Tür ging. Rose könnte etwas passiert, er könnte gekidnappt worden sein, er könnte aber auch einen Anfall, welcher Art auch immer, haben. Als ich die Zimmertür öffnete, erübrigten sich alle Fragen auf einmal.

Rose kniete auf dem Boden, den Kopf gesenkt, die Haare unordentlich, sichtlich angespannt. Er schien zu zittern und trug noch seine Schlafsachen – ein weißes Top und gestreifte Shorts. Beides war von oben bis unten mit Blut bespritzt, teilweise sah es auch so aus, als hätte jemand seine Hand daran abgewischt. Die dunkelrote Flüssigkeit befand sich ebenfalls an seinen Händen und Unterarmen und so, wie ich es sehen konnte, auch an seinen Haarspitzen.

Vor Rose, auf dem Boden, lag Nao. Der Pfleger, der mich noch nie hatte leiden können. Sein Arm, neben dem Rose kniete, war ebenfalls blutbesudelt, wie es aussah, waren nicht nur die Pulsadern, sondern auch die Vene in der Ellenbeuge aufgeschnitten worden. Es hatte sich bereits eine große Blutlache gebildet, allerdings nicht so groß wie die an seinem Hals. Dort konnte ich ungelenke Schnitte erkennen, die offenbar irgendwann seine Halsschlagader getroffen hatten.

Das Messer, das der Blonde in der Hand hielt, war dasselbe, mit dem er mich hatte umbringen wollen. Bei Nao hatte er es offenbar geschafft.

„Rose?“, murmelte ich vorsichtig. Ich wusste nicht, wie er auf mich reagieren würde, ob er mich ebenfalls angreifen würde... In diesem Moment war ich mir nicht einmal sicher, ob die Person vor mir saß, mit der ich die letzten beiden Monate verbracht hatte.

Der Angesprochene hob kurz den Kopf und schien aus seiner Trance zu erwachen, schließlich rührte er sich jetzt endlich. „Sieh mich nicht an“, bat er flüsternd und mit zitternder Stimme, wandte sein Gesicht ab, bevor ich es richtig sehen konnte. „Ich will nicht, dass du mich... dass du meine Existenz so siehst...“

Seine Existenz? Wovon, zur Hölle, redete er? „Was meinst du?“, wollte ich sanft wissen. „Was meinst du, was du bist?“

Jetzt kam wirkliches Leben in den Blonden. Er funkelte mich wütend an und umfasste das Messer in seiner Hand fester. Auf seinen Wangen hatte er verschmiertes Blut, aber ansonsten sah er so aus wie immer, in seinen Augen vielleicht noch eine Spur mehr von diesem Abgrund, den ich manchmal zu sehen glaubte. „Verstehst du es immer noch nicht??“, fauchte er mich gereizt an. „Nicht mal, als ich DEIN Blut trinken wollte? Habe ich es nicht deutlich genug gemacht?“ In einem Akt schierer Verzweiflung rammte er der Leiche vor sich das Messer in den Bauch, zog es wieder mit einigen Schwierigkeiten heraus und stach ein weiteres Mal zu, während er mit brüchiger Stimme fortfuhr. „Ich bin ein Vampir, Hakuei, ich lebe vom Blut von Menschen wie dir, ich bin ein verdammter VAMPIR!!“ Ihm fiel das Messer auf den Boden und er wischte sich die blutige Handfläche mehr provisorisch an seinem Oberteil ab, ehe er mich verärgert fixierte. „Begreifst du es jetzt endlich??“

Es war noch schlimmer als ich gedacht hatte. Völlig verständnislos schüttelte ich schwach den Kopf, unfähig, mich irgendwie zu bewegen. „Nein“, widersprach ich leise. „Du bist kein Vampir, Rose. Du bist ein Mensch.“

Als hätten rationale Argumente in diesem Moment helfen können. „Du glaubst mir nicht?“, wollte der Blonde verletzt wissen. „Soll ich es dir zeigen? Soll ich dir zeigen, wie ich Blut trinke?“ Damit beugte er sich zu der dunkelroten Pfütze neben dem starren Gesicht des Pflegers und begann, das Blut zu schlürfen, es sogar vom Boden aufzulecken.

Noch bevor ich ihn erreichen konnte, fing Rose bereits an zu würgen, kaum dass er den ersten Schluck getrunken hatte, er kniff die Augen zusammen und spuckte den Rest des Bluts zurück auf den Boden, umfasste mit beiden Händen seinen Bauch, würgte ein weiteres Mal und hielt sich dann den Mund zu, schluckte schwer. Wortlos hob ich ihn schnell hoch, trug ihn ins Badezimmer und zwang ihn, Leitungswasser zu trinken.

„Du bist kein Vampir!“, fuhr ich ihn an, als er schwer atmend unter dem Waschbecken auf den Fliesen saß, noch etwas Blut im Mundwinkel und mit einem völlig verlorenen Gesichtsausdruck. „Du bist zwar blass, aber du kannst an die Sonne gehen, dich nicht in eine Fledermaus oder einen Wolf verwandeln, du ernährst dich genau wie ich, ich habe dich bereits essen sehen, du hast weder spitze Zähne noch schläfst du in einem Sarg!“ Ich hockte mich vor ihn und sah ihn ärgerlich an. „Du bist kein Vampir, Rose, du bist ein Mensch wie jeder andere auch!“

Er sah mich schweigend an, aber ich hatte das Gefühl, dass sein Blick durch mich hindurch ging.

„Steh auf“, befahl ich ihm, „und hilf mir, die Leiche wegzubringen. Wenn jemand das rauskriegt, dann wird es sehr schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, das kann ich dir sagen.“ Ich richtete mich auf und zog Rose anschließend erst auf die Füße und dann mit mir aus dem Zimmer zum Flur. Kurz überlegte ich, was das Beste zu tun wäre, dann musterte ich Rose. Er wirkte wie weggetreten, als würde er überhaupt nichts mehr mitbekommen, und gleichzeitig sah er noch so fragil aus... Und trotzdem hatte er gerade einen Menschen umgebracht. „Nimm die Beine, wir schaffen ihn hier raus und begraben ihn draußen“, murmelte ich ihm zu.

Weiterhin schweigend, gehorchte der Blonde mir, und zusammen brachten wir die Leiche aus dem Gebäude. Die Nachtlampen beleuchteten unseren Weg, beunruhigten mich aber gleichzeitig, da uns jeder ohne Probleme hätte sehen können. Allerdings – wer glaubte schon einem Geisteskranken, wenn er darauf schwor, dass zwei andere Insassen einen toten Pfleger herumgeschleppt hätten? Trotzdem war mir nicht ganz wohl bei der Sache. Erst, als wir das Gelände verlassen hatten, konnte ich wieder durchatmen. Ich nahm Rose wieder mit mir zurück, um nach einem Spaten zu suchen, ich traute es ihm nicht zu, alleine bei der Leiche zu bleiben. Wer wusste, was er noch mit ihr anstellte. Oder mit sich.

Auf dem Weg zurück warf ich dem Blonden, den ich an der Hand hinter mir her führte, einen prüfenden Blick zu. Er schien weiterhin körperlich, aber nicht mental anwesend zu sein. Doch das war es nicht, was mich beunruhigte. Gerade, als ich wieder auf den Weg vor mir achten wollte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, wie eine dunkle Gestalt genau an mir vorbei ging. Einfach so, wie selbstverständlich. Blitzschnell drehte ich mich um. Gar nichts. Ich konnte niemanden sehen. Ich schauderte unmerklich.

Als wir die Eingangstür erreichten, lehnte genau neben ihr eine Schaufel an der Wand. So langsam wurde es verdächtig. Trotzdem – ich hatte keine andere Wahl – nahm ich das Werkzeug mit und verbrachte die gesamte nächste Stunde damit, ein Grab auszuheben. Rose hockte neben mir auf dem Boden, hatte die Knie an die Brust gezogen und schien nichts mehr mitzubekommen.

Gerade, als es langsam immer heller wurde, war ich fertig. Nao lag unter der Erde und wenn man es nicht wusste, dann würde man nie auf die Idee kommen, dass an dieser einsamen Stelle ein Grab war. Völlig ausgelaugt nahm ich Rose mit mir zurück zum Gebäude, stellte den Spaten wieder neben die Tür. Schon als ich das Haus betrat, wurde ich misstrauisch. Der Boden war so sauber. Mir kam ein Verdacht, und ich beschleunigte meinen Schritt, blieb erst vor unserem Zimmer wieder stehen.

Kein einziger Tropfen Blut war mehr zu sehen. Hier hatte jemand offensichtlich ziemlich gründlich gewischt.

Darum konnte ich mich zu dem Zeitpunkt nicht kümmern. Rose war viel wichtiger – ich wusste nicht, was mit ihm los war. Er starrte nur wortlos in der Gegend herum und sprach kein Wort, selbst wenn ich ihm Fragen stellte. Es war anders als beim ersten Mal, als wir uns begegnet waren – er war weder verängstigt noch wirkte er, als ob er sprechen könnte.

„Geh jetzt duschen und dann wieder schlafen, ja?“, sagte ich ihm. Nichts, er sah mich nicht einmal an. Also schob ich ihn ins Badezimmer, zog ihm seine blutgetränkten Sachen aus, warf sie in eine Ecke und stellte ihn unter die Dusche.

„Hakuei?“, hörte ich ihn leise fragen und dankte im Stillen dafür, dass er seine Sprache nicht ganz verloren hatte. „Bitte, komm her...“ Er klang so, wie ich mich fühlte – erschöpft und leer. Kurzerhand zog ich mich ebenfalls aus und gesellte mich zu ihm unter die Dusche, wusch mir das Blut, den Dreck und die Angst ab. Als ich ihm kurz über die Wange streichen wollte, drehte er den Kopf beiseite. Ich unternahm keinen Versuch mehr, ihn zu berühren, auch, wenn ich ihn gerne umarmt hätte. Ob um seinet- oder meinetwillen, wusste ich nicht so recht.
 

Die gesamte Nacht fand ich keinen Schlaf.

Nicht, weil ich so geschockt darüber war, einen so zugerichteten Menschen zu sehen (damit meinte ich Nao, nicht Rose), das hatte ich oft, zu oft bereits erlebt. Es war die Tatsache, dass Rose es gewesen war, der es getan hatte. Das wollte lange nicht in meinen Kopf hinein. So langsam begann ich, ihn als schizophrene Person zu sehen: Die eine Seite an ihm, die versuchte, mich zu verführen, die Nao umgebracht hatte, die glaubte, ein Vampir zu sein, das war seine dunkle Seite. Die andere war die unschuldige – das war die, die verängstigt war, die aus Vertrauen meine Nähe suchte, die von mir beschützt werden wollte. Die, die ich beschützen wollte.

Es war alles so unheimlich... krank. Rose hielt sich für einen Vampir! Ich wusste nicht einmal, wie er darauf kam, er hatte nichts mit einer solchen Kreatur gemein.

Dabei war Rose im Moment nicht so das Problem, das mich beschäftigte und mich wach hielt. Vielmehr war es der große Unbekannte.

Irgendjemand in der Klinik musste entweder von Roses oder von meiner wahren Identität wissen, so viel war sicher. Irgendjemand hatte eine Schaufel bereit gestellt, irgendjemand hatte das ganze Blut auf den Fluren entfernt, sodass keine einzige Spur mehr zu entdecken gewesen wäre. Vielleicht hatte dieser Irgendjemand auch seine Hände im Spiel gehabt, dass Rose unter allen Umständen auf jeden Fall in mein Zimmer eingeteilt wurde.

Ich wusste viel zu wenig. Konnte es jemand von den Suzukis sein, Roses eigener Familie? Der bereitwillig hinnahm, dass der jüngste Sohn des Chefs sich mit einem professionellen Killer und Schauspieler anfreundete und andere Menschen umbrachte? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Jemand von den Maiharas?

Es wurde immer rätselhafter. Und was sollte der Traum diese Nacht, warum hatte ich mir auf dem Rückweg eingebildet, dass jemand an mir vorbei gehen würde, wenn weit und breit niemand in Sicht war? Da fiel mir ein, dass ich auf dem Rückweg von meinem letzten Treffen mit Gara auch eine Gestalt gesehen hatte, die um die Ecke getorkelt und dann plötzlich spurlos verschwunden war.

Wo sollte das noch hinführen? In einer sehr undurchsichtigen Anstalt, mit einem Jugendlichen, dessen nächsten Schritt man niemals würde voraussehen können, selbst wenn man ihn sein ganzes Leben lang gekannt hätte, und dazu kam noch jemand, der im Schatten versteckt operierte und dessen Intentionen ich höchstens erraten konnte...
 

Ich musste dann wohl doch irgendwann eingeschlafen sein. Durch die Anstrengung der letzten Nacht funktionierte meine innere Uhr auch nicht mehr richtig, weshalb ich viel später als normalerweise aufwachte. Und zwar dadurch, dass mir jemand über die Wange strich.

Begrüßt wurde ich von einem angedeuteten Lächeln, das mir inzwischen schon so vertraut geworden war, dass es mich schmerzte. „Bist du endlich wach?“, fragte Rose, der ausgeschlafen und gut gelaunt klang. „Was hast du in der letzten Nacht gemacht, dass du so lange schläfst? Ich hätte sonst was mit dir anstellen können und du hättest es nicht gemerkt.“ Das alles sagte er in einem scherzhaften Tonfall, stand von meiner Bettkante auf und schüttelte seine Bettdecke auf, was er wahrscheinlich bis dahin vermieden hatte, um mich nicht aufzuwecken. „Du hast das Frühstück verpasst, es ist schon fast zwölf Uhr“, fuhr er ungerührt ob meines Schweigens fort. „Ich hab dir ein bisschen was zurücklegen lassen, damit du nicht völlig ausgehungert durch den Tag musst. Hast du denn wenigstens gut geschlafen?“

Ich versuchte, mir meine Ungläubigkeit und mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Was ich in der letzten Nacht gemacht hatte? Hatte er es etwa vergessen? Verdrängt? Da beschlich mich ein weiterer bedrohlicher Gedanke – was, wenn ich alles nur geträumt hatte? Jetzt im Nachhinein kam es mir schon irgendwie unwirklich vor... dass Rose einfach so einen Menschen umbrachte, weil er sich einbildete, ein Vampir zu sein.

Wortlos stand ich auf und ging mit zögernden Schritten ins Badezimmer. Dort blieb ich ein paar Sekunden regungslos stehen, bis ich zu Boden sank und mir hilflos durch die Haare fuhr. In der Ecke lagen noch Roses Klamotten, das Blut war inzwischen eingetrocknet und hatte eine braune Farbe angenommen. Ich hatte es nicht geträumt. Es war wirklich passiert. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

„Was machst du?“, wollte Rose hinter mir wissen und hockte sich dann neben mich.

„Rose?“, fing ich an und überlegte einen Moment, wie ich die Frage am Besten stellen konnte. „Hast du schon mal einen Menschen umgebracht?“

Verwirrt blinzelte er mich an. „Umgebracht?“, wiederholte er erstaunt. „Nein, noch nie.“ Er schüttelte den Kopf, hielt dann allerdings inne. „Obwohl... doch. Jetzt, wo du es sagst. Ja, habe ich schon mal. Aber das ist schon etwas länger her und das war eigentlich auch nur Notwehr.“ Damit stand er auf. „Du solltest jetzt frühstücken gehen, sonst kommst du zu dem Termin mit dem Doktor noch zu spät.“

Eine Weile blieb ich auf den kalten Fliesen sitzen und machte mir bewusst, wie abstrus, wie abgedreht, wie abstrakt und wie vollkommen makaber die Situation war. Rose hatte geantwortet, als hätte ich von ihm wissen wollen, ob er schon mal Ski gefahren war, und sich auch nicht über die Frage gewundert.

Und, was noch viel wichtiger war: Er hatte vergessen, dass er in der vorherigen Nacht einen Menschen brutal getötet hatte. Obwohl direkt vor seiner Nase seine eigenen, blutigen Klamotten gelegen hatten.

Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, wie viel Blut dieser weltfremde Jugendliche bereits an seinen Händen hatte.
 

„Sie wirken ein wenig abgelenkt heute“, stellte der Psychiater mit sanftem Tonfall fest.

„Ach?“, fragte ich leise.

„Ich habe Ihnen bereits drei Mal dieselbe Frage gestellt, nämlich ob es irgendetwas gibt, das Sie zur Zeit beschäftigt oder ob Sie einfach schlecht geschlafen haben, und zwei Mal haben Sie mit ja und einmal mit nein geantwortet. ... Schauen Sie mich bitte an, wenn ich mit Ihnen rede.“

Eher widerwillig blickte ich den Mann vor mir an. Er schien nicht viel älter als ich zu sein, wie mir zum ersten Mal auffiel. „Glauben Sie, dass man vergessen kann, einen Menschen getötet zu haben?“, wollte ich geradeheraus wissen.

Er wirkte zwar verwundert über die Frage, antwortete aber dennoch. „Ich würde sagen, es kommt darauf an, erst mal auf den Geisteszustand der jeweiligen Person natürlich, dann auf die äußeren Umstände-“

„Aber Sie glauben, dass es möglich ist?“

„Es gibt partielle Amnesie, natürlich ist es grundsätzlich möglich“, stimmte er zu.

Ich schwieg eine Weile und dachte nach. Er war so höflich, mir die Zeit zu lassen. „Wie, glauben Sie, könnte man dafür sorgen, dass die Person sich daran erinnert?“ Er zögerte, und ich schüttelte den Kopf. „Nein, vergessen Sie die Frage. Entschuldigung, das ist alles viel zu speziell, allgemein kann man da nichts sagen, das seh ich ein. Verzeihung.“

Er winkte ab. „Kein Problem, wenn es Sie beschäftigt, hilft es Ihnen vielleicht, Ihre Gedanken laut auszusprechen. Ich würde Ihnen allerdings auch ans Herz legen, sich zu fragen, ob es wirklich so erstrebenswert wäre, die betroffene Person mit allen Mitteln dazu bringen zu wollen, sich daran zu erinnern, dass sie einem anderen Menschen das Leben genommen hat. Das hängt natürlich ganz von den Umständen ab, aber überlegen sollten Sie es sich trotzdem.“

Nachdenklich nickte ich und sagte nichts weiter, in Gedanken versunken.

„Warum beschäftigt Sie das Thema denn zur Zeit, wenn ich fragen darf?“, wollte er höflich wissen. „Glauben Sie, dass Sie vielleicht jemanden-“

„Nein, nicht ich“, unterbrach ich ihn kopfschüttelnd. „Dieses Mal geht es nicht um mich. Trotzdem danke.“

Er lächelte. „Keine Ursache. Ich bin auch nicht auf der Höhe heute, da ein Pfleger, mit dem ich befreundet war, sich offenbar über Nacht dazu entschlossen hatte, doch zu seiner Familie zurückzuziehen. Er ist einfach ausgezogen, können Sie sich das vorstellen? Hat seine Sachen genommen und ist verschwunden...“ Mit einem leisen Seufzen schüttelte er den Kopf. „Na ja, ich würde vorschlagen, dass wir die heutige Sitzung abbrechen, weil Sie wirklich unkonzentriert wirken. Es muss etwas Ernstes sein, denn so habe ich Sie nicht ein Mal bis jetzt erlebt.“

Dankbar nickte ich. „Ja, das würde ich begrüßen.“ Ich hatte ja auch bis jetzt noch nie so etwas erlebt.

Nur eine Frage stellte ich mir noch: Nao soll seine Sachen genommen haben und verschwunden sein?
 

~*~*~*~
 

tbc~

creepy, oder?

vielen Dank fürs Lesen <333 ihr seid toll :*



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-03-28T00:28:05+00:00 28.03.2011 02:28
O__________O Boahr...also Rose hat ja schon ne gespaltene Persönlichkeit ne? Aber das er einfach so jemanden umlegt? ._____. Und sich dann nichtmal an irgendwas erinnern kann? KRASS. *nick nick*
Warum hab ich mich nur dazu entschlossen die FF Nachts zu lesen? Q///Q
*panisch umschau*
Das is echt besser als so ziemlich jeder Horrorfilm den ich gesehen hab...und so...unvorhersehbar....man weiß nie einzuschätzen was als nächstes passiert....
Einfach nur heftig. *nick*
<3
Von:  almightywarumono
2010-08-04T22:12:07+00:00 05.08.2010 00:12
wooah OMG ! XD
was für ein geiles kapitel !!!!
ich dreh durch haha..
(sehr konstruktiv sind meine kommentare immer,ich weiß schon <.<)

ich vermute jetzt dass Rose entweder komplett schizo is
oder in wirklichkeit irgendwie voll der brain is und sich auch
nur als jemand ausgibt ... o_o
verwirrung.. sehr schön gemacht~ : D

ich les gleich nochn kapi.. is einfach zu spannend : O
Von:  Shireikan
2008-05-26T13:54:29+00:00 26.05.2008 15:54
Ha.
Japanische Horrorfilme lassen grüßen.
Die hatten schon immer einen Gänsehautfaktor bei mir ausgelöst.
Dass man diesen nun auch mit einer „einfachen“ Beschreibung bei mir auslösen kann, hätte ich nicht gedacht.
Ich persönlich habe noch nie eine gewisse Furcht beim lesen einer Geschichte empfunden.
Respekt, Respekt. :D
Rose ist ein sehr… breitgefächerter Charakter.
Ich glaube, über ihn nachzudenken, ist sinnlos.
Du wirst sicherlich wieder irgendwas Überraschendes einbauen.
Also warte ich nun lieber den Verlauf der Geschichte ab.
Hakueis Wandlung empfinde ich als sehr interessant und zudem auch sehr glaubwürdig.
Es wirkt beinahe so, als würden ihn langsam aber sicher seine eigenen, ausgedachten Geschichten verfolgen, was gar nicht mal so unüblich in der Realität ist.
Ob nun Traum oder Wirklichkeit mag ich nicht beurteilen.
Am Ende muss er wirklich in eine Anstalt, weil ihn die Ereignisse so mit genommen haben…
Nun gut, ich freue mich auf ein weiteres Kapitel. :D


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