What's left of the past...
Schwer hallten seine Schritte von den kahlen Metallwänden des Raumes zurück, verstärkten den Klang seiner schweren Stiefel, die im schnellen Rhythmus immer wieder auf das Eisengitter unter ihnen traten.
Dieser kleine Junge hatte ihn ganz schön verwundert mit seinem Gerede über FOXHOUND und seinem Gespräch mit dem Colonel.
Soweit er sich noch erinnern konnte, hatte Colonel Campbell nach dem letzten Auftrag auf Shadow Moses endgültig seinen Dienst quittiert, warum also sollte er nun wieder jemanden durch so eine Mission befehligen, vor allem einen solchen Anfänger wie diesen…
Wie war überhaupt nochmal sein Codename?
Raiden?
Eigentlich wurden nach seinem Austritt aus FOXHOUND keine Codenamen mehr vergeben – zumindest laut seinem Informationsstand – und vor allem keine Namen, die in keinster Weise mit einem Tier in Bezug standen.
Raiden…woher kam der Name überhaupt?
Irgendwo hatte er ihn schon einmal gehört…
„Raiden, kann seinen Ursprung in dem Namen des japanischen Donnergottes Raijin haben, der unter mehreren Bezeichnungen bekannt ist, darunter Narukami und Raiden-sama. Diese sind als unmittelbare Personifikationen des Donners und des Gewitters zu verstehen.“
Leise erklang eine Stimme in seinem Ohr und lies der Erklärung freien Lauf, nach der er mehr oder minder gefragt hatte. Im Hintergrund vernahm er das Klappern einer Tastatur.
„Außerdem“, kam es leicht amüsiert durch die Leitung, „ist Raiden ein sehr beliebter Charakter in der Mortal Kombat-Videospielserie.“
Ein Seufzen ran dem Mann über die Lippen.
„Ich wette mit dir 1 zu 100, dass Sie ihm diesen Codenamen sicher nicht deswegen gegeben haben, Otacon.“
Warum musste er nur immer mit seinem Kinderkram kommen -
„Oh, Snake, es gab da aber auch noch einen Vertikal-Shooter mit diesem – „
„OTACON!“, brach er harsch in den Satz seines Kumpels ein, bevor dieser ihn noch in irgendeiner Weise weiterführen konnte.
„Codenamen vergibt man nicht auf Grund von irgendwelchen Spielen, die niemand kennt. Bekomm das endlich mal in deinen kleinen Kopf.“
Immer mussten solche Gespräche in einem kleinen Fiasko enden.
Snake schlich weiter durch die Gänge - seine SOCOM im Anschlag – und immer darauf achtend, dass er nicht der nächstbesten Wache vor die Nase lief.
Sein antrainierter Instinkt ließ ihn dabei kaum im Stich, auch wenn er ein paar Mal nur knapp einem Zwischenfall entgangen war.
Doch in so einem Fall war nichts einfacher, als den Feind zu liquidieren und sich seiner zu entledigen, sei es ein leerer Spind oder das Meer.
Er hatte schon seine Mittel und Wege.
Gerade wollte er sich an einer Wache vorbeischleichen, was durch die Uniform, die er zur Tarnung Raiden gegenüber tragen musste, schon reichlich genug erschwert wurde.
Er wartete, bis die Wache ihre Patrouille in die ihm entgegengesetzte Richtung fortfuhr, wollte gerade losgehen – als sich erneut sein Codec meldete.
„Ah, Snake, ich habe noch eine Bezeichnung gefunden. Im zweiten Weltkrieg gab es einen japanischen Abfangjäger mit diesem Namen. Hmmm…interessant, die Alliierten schienen sogar einen Codenamen für die Maschine -“
Ein Murren ging durch die Leitung, gefolgt von einem leisen Fluchen.
Ein kurzes Knistern, dann drang die reichlich entnervte Stimme von Snake durch den Äther.
„Otacon, wie oft habe ich dir gesagt, dass du, wenn du irgendwelche Informationen hast, die für die Mission relevant sind, die mir erst mitteilen sollst, wenn ich dir ein Zeichen gebe? Du kannst mir nicht einfach so irgendwelches Zeug durchschicken, wenn ich gerade durch die feindlichen Linien marschiere!“
„Aber Snake, ich dachte, dass hier könnte -“
Das reichte jetzt.
Ein kleiner Handgriff und sein Codec war für eine Weile ruhig gestellt. Otacon würde ihn nachher sicherlich dafür lynchen, aber in der momentanen Situation war eine Funkstille einfach nützlicher als ein Computerkid, das ihn mit irgendwelchen Informationen vollstopfte, die ihn keinen einzigen Schritt weiter brachten.
Wieder richtete er seinen Blick um die Ecke der Wand, hinter der er sich verborgen hielt, und beobachtete das Patrouillenmuster der Wache in diesem Raum.
Seine Beobachtungsgabe war stets präzise, kein einziges Detail ließ er sich entgehen, um dadurch nicht eines Vorteiles beraubt zu werden, der ihn weiter voran bringen würde.
Wenn er eines in seiner Grundausbildung bei der Army gelernt und bei FOXHOUND bis auf äußerste trainiert hatte, dann war es, dass man seinen Feind niemals aus den Augen lassen sollte.
Man wusste nie, welches Kapital man aus einer falschen Bewegung der Gegenseite ziehen konnte.
Vor allem war es jetzt wichtig, schnell zu handeln, da hier in wenigen Minuten alles in die Luft fliegen könnte.
Auf der gesamten Big Shell war eine Menge von 24 Bomben verteilt, zwölf für jede der beiden Hälften.
Fatman hatte sie angebracht, der Bombenspezialist der Dead Cell.
Er wollte ein Spiel spielen, ein tödliches Spiel, und wenn der Kleine und er nicht dazu in der Lage waren, die explosiven Präsente dieses Wahnsinnigen zu finden und den Angaben von Stillman gerecht zu entschärfen…
Dann würden sie alle bald bei den Fischen schlafen.
Schnell sprang er aus seiner sicheren Position, als die Wache sich erneut von ihm weggedreht hatte, schlich gekonnt an ihr vorbei und verließ den Raum ebenso lautlos, wie er ihn betreten hatte.
Hektisch blickte er sich um, ging im Kopf mögliche strategische Positionen für das C4 durch, die diesem Wahnsinnigen einen Vorteil bringen könnten.
Schon einige Räume lagen hinter ihm, ohne das sich das Spektrometer in irgendeiner Weise als nützlich erwiesen hatte. Egal, wo er gesucht hatte, egal, wie gut die Position für eine Bombe gewesen wäre, das Spektrometer zeigte nichts auf dem Radar.
Wie kann das nur sein? So ein Anfänger ist Fatman nicht…warum also finde ich nichts?
Doch bevor er sich noch weitere Gedanken machen konnte, meldete sich wieder sein Codec.
Hoffentlich ist das nicht wieder Otacon, ging es ihm nur durch den Kopf, als er schon fast automatisch in die Halbhocke ging und das Gespräch annahm.
„Snake!“
Es war Otacon.
„Snake!“ kam es aufgeregt von Otacon durch das Codec. „Ich hab eine Frage…“
Gott…dieses Fragespiel schon wieder.
Drauf und dran, das Codec erneut auszuschalten und den Partner sich einfach mit einer toten Leitung begnügen zu lassen, ging auf einmal ein seltsames Gefühl durch Snakes ganzen Körper, als hätte man ihm statt Blut eiskaltes Wasser durch die Adern geschickt.
Schnell stützte er sich an der Wand neben sich ab, denn sonst hätte er das Gefühl gehabt, gleich die Kontrolle über seine Balance zu verlieren und mit dem Gesicht voran auf den Boden zu fallen.
Immer noch drang die Stimme seines Freundes an sein Ohr, doch schien sie wie von weit entfernt zu kommen. Die Aufregung war verzweifelter Sorge gewichen.
„Snake, ist alles in Ordnung? Die Monitore, die deine Vitalwerte überwachen, haben sich gerade überschlagen!“
Foxdie…es war wieder Foxdie.
Als hätte dieser Anfall nach der Begegnung mit Vamp und Raiden nicht gereicht.
Musste es jetzt wieder zuschlagen?
Mitten in der Mission…warum musste es ihn wieder mitten in der Mission daran erinnern, was er in seiner Zeit bei FOXHOUND falsch gemacht hatte?
Ihn mitten in der Mission daran erinnern, dass er noch eine Rechnung offen stehen hatte für den Tod seines besten Freundes?
Ihn mitten in der Mission daran erinnern, dass er nicht mehr lange zu leben hatte?
Nicht mehr lange genug, seine Sünden zu begleichen…
Immer mehr entzog sich sein Körper seiner Kontrolle, schien fast zu kollabieren.
Seine Arme wurden taub, die Beine knickten ihm weg, die Augenlider wurden schwer.
Das Atmen schmerzte von mal zu mal mehr.
Ihm wurde schwarz vor Augen, ihn schien nun doch endgültig die Kraft verlassen zu wollen, die ihn noch an diesem Leben hielt.
