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Sternensteine

Wöchentliche Schreibaufgabe
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Sternensteine
 

Inmitten des weiten, kalten Meer ragte eine von dichtem Gestrüpp überwucherte Insel vor ihnen auf. Es war tatsächlich genau so wie es die Alten sich am Lagerfeuer zuflüsterten und wie es vor wenigen Tagen die Fischer während ihrer letzten Fangfahrten bemerkt hatten. Eine vom dichten Gestrüpp überwucherte Stadt, halb im Meer versunken, der übrige Teil der Ruinen knapp über dem Meeresspiegel aufragend.

Die Stadt auf einer großen Insel war einst mächtig und unermesslich reich gewesen. Untergegangen zur Strafe dafür, weil sich ihre Bewohner Gott und den Menschen gegenüber versündigt hatten. Unermessliche Schätze sollten noch in den Lagerhallen und in den Villen der reichen Bewohner befunden haben. Schätze, die geborgen werden wollten!

Das erste, was Gerda auffiel war das Fehlen der Vögel. Nirgends war eine der vielen Möwen zu sehen, die jede Hafenstadt unter anderem auch ihre Heimatstadt reichlich bevölkerten. So sehr sie sich auch anstrengte um eine der sonst reichlich vorhandenen Plagegeister zu entdecken - der Himmel blieb leer. Leise klatschten die Meereswellen an die steinernen Zeugnisse einer großen Zivilisation, nagten Tag um Tag an den Treppen, die aus der Tiefe der See kommend bis in das dichte, fast waldähnliche Gestrüpp hineinführten.

Gerda saß weiter hinten im Beiboot und beobachtete mit blassen Wangen wie ihr Vater, der ältere Bruder, Onkel Johann und David, ihres Vaters Freund mit Greifstangen, sonst für die Jagd auf Wale gebraucht, sich näher an einen Treppenaufgang, der in der Tiefe des Meeres seinen Anfang hatte, heranzogen. Der Skipper blickte seine Tochter ernst an und befahl ihr, hier auf sie zu warten. Er gab ihr ein Messer und ein Horn, damit sie sich bei Gefahr bemerkbar machen konnte. Dann stiegen die Männer einer nach dem anderen die Stufen der in Stein gehauenen Treppe hinauf und verschwanden hinter dem nächsten Gebäude.

Gerda lauschte angestrengt nach weiteren Lauten. Ab und zu hörte sie ihren Vater etwas den anderen Mitgliedern seiner Crew zurufen. Mit jeder Minute entfernten sie sich weiter von dem Mädchen bis auch der Schall ihrer Rufe und Gespräche verstummte. Sie seufzte. Ihr war klar, dass der Vater sie der Sicherheit halber lieber im Beiboot zurückließ. Sie war sechzehn, erwachsen genug um den Haushalt zu führen und auf ihrem Familienkutter für Ordnung zu sorgen. Trotzdem, ihr Herz klopfte ängstlich seitdem sie in der Nähe dieser unheimlichen Stadt war. Wären sie nicht bitter arm, niemals wäre der Skipper auf die Idee gekommen mit seinem Sohn, dem Bruder und bestem Freund hier zu dieser aus dem Meer enstiegenen Insel zu fahren um nach Schätze zu suchen.
 

Eine leichte Meeresbrise hatte sich erhoben. Die Wellen schlugen etwas stärker an das Ufer und brachten das Boot zum Schaukeln. Müde rieb sich das Mädchen ihre Augen und versuchte abzuschätzen, wie viel Zeit bereits vergangen war seitdem sie die Fischercrew zum letzten Mal gesehen hatte. Was sie zunehmend verwunderte war das Fehlen jeglicher Geräusche aus den Ruinen der Stadt. So groß konnte sie doch gar nicht sein? Hatten sich die Männer bereits so weit von ihr entfernt und waren deshalb nicht mehr zu hören?Ihr Blick wanderte wieder nachdenklich zu dem Grün weit über ihr. Das dichte Gestrüpp sah jedenfalls mit seinen grünen Blättern gesund aus. Warum sollten hier keine kleinen Tiere leben? Was war mit den Vögeln? Gerda wusste, dass diese auf den Flug in den Süden große Strecken auch über Wasser zurücklegten. Diese Insel lag zwar weit im nördlichen Meer, aber sollten nicht auch die ansonsten recht robusten Möwen diese noch nicht für sich entdeckt haben?

Wo steckte Vater nur so lange? Sollte er nicht schon längst zurück sein?

Das Mädchen wurde nach und nach unruhiger. Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie hätten nie auf diese Insel kommen dürfen. Plötzlich schreckte sie so etwas wie ein kurzes, aber weit entferntes Lachen auf. Vater?

Wieder wanderte ihr Blick zu den in Stein präzise gehauenen Stufen neben ihrem Boot.

Sie würde nur diese Treppe da hinaufgehen und vorsichtig sich in der nächstliegenden Umgebung umschauen. Wer weiß, vielleicht hatten die Männer etwas gefunden und dabei die Zeit vergessen? Vielleicht brauchten sie Hilfe und warteten nur darauf, dass Gerda sich auf dem Weg machte?

Noch einmal versicherte sich Gerda, dass das Beiboot sicher in der Ruine verankert war und setzte vorsichtig einen Schritt auf die Treppe. Schnell erklomm sie das Plateau und sah vor sich die nächste Treppe. Immer war noch nichts von der Fischercrew zu hören. Unsicher einen Blick zurückwerfend wandte sie sich schließlich der nächsten Treppe zu und erklomm ein weiteres Geschoss. Ein herab gestürzter Brocken aus einer Häuserfront versperrte ihr den weiteren Weg. Wo könnten ihr Vater und seine Crew sich hin gewandt haben? Da entdeckte sie gleich in der Nähe einen Hauseingang. Das hatte eine anscheinend noch intakte Galerie im Obergeschoss und wenn sie es richtig sah, war anscheinend auch das Dach noch in Ordnung. Weiter oben war alles über und über mit langem, dichtem Gestrüpp überwuchert. Vielleicht würde sie eher von der Galerie aus die Männer sehen können? Gerda trat in das Gebäude ein und bevor sie den Treppenaufgang benutzte sah sie ein verwaschenes Wandgemälde zu ihrer Rechten. Kaum noch zu erkennen war ein riesiger Baum mit einer weit ausholenden Krone, in dem Sterne leuchteten. Um dem Baumriesen herum standen in respektvoller Entfernung Menschen mit erhobene Armen und in grüßender Haltung. Mehr war nicht zu erkennen.

Gerda sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu dem Götzenbild. Sie wusste, dass ihre Vorfahren Heiden waren bevor vor mehr als fünfhundert Jahren die Mönche und mit ihnen das Christentum in das Nordland kamen. Sie zuckte mit den Schultern. Sie war eine gläubige Christin, was ging sie heidnische Bräuche an?

Entschlossen setzte das Mädchen ihren Weg zur oberen Galerie fort und dort entdeckte sie tatsächlich ein frisch abgebrochenes Stück von einer Stufe. Also waren ihr Vater und seine Männer ebenfalls hier entlang gegangen! Neugierig sah sie hinauf und erkannte dichtes Buschwerk. War dort oben etwa ein Pfad, der noch weiter in das Inselinnern führte?

Gerda zögerte. Was war dort oben, was die Männer von einer bisherigen Rückkehr zum Boot zurückgehalten hatte?

Sie konnte zum Beiboot zurückkehren und dort weiter auf ihren Vater und seine Leute warten. Das erschien ihr wesentlich sicherer als weiterhin durch die Ruinen der Insel zu wandern und sich am Ende noch zu verlaufen. Aber etwas in ihr drängte danach zu suchen und die Wahrheit herauszufinden. Gerda überkam ein Schaudern und sie bekreuzigte sich hastig. Ihr war mit einem Mal, als wenn man sie erwarten würde. Freudig.

Heftig schluckend zwang sie sich die nächsten Stufen bis zum Dachgeschoss hinauf zugehen. Vor ihren Augen bahnte sich ein Pfad durch das dichte Dickicht. Vorsichtig betrat sie den überraschend weichen Boden und folgte der Richtung des Weges. Tiefer und tiefer führte er sie in das Innere der Insel. Dunkler und dunkler wurde es, denn das Gestrüpp schloss sich auch über ihrem Kopf, ließ gerade mal so viel Platz so dass sie aufrecht hindurchgehen konnte.

Plötzlich standen neben ihr zwei steinerne Wächter, die zwei Schwerter kreuzende Krieger darstellten. Ihre Schwerter stellten den Torbogen dar, unter dem Gerda stand und vor ihren Augen öffnete sich eine Art Waldwiese mit üppig blühenden schneeweißen Blumen. Neugierig geworden beugte sich Gerda noch ein kleines Stückchen vor um besser zu sehen. Ihre Augen weiteten sich ungläubig und starr sah sie auf einen riesigen Baum mit einer mächtigen Krone. In dessen Dach funkelten die schönsten Sternensteine frei schwebend und in dessen Luftwurzeln, denn um Luftwurzel konnte es sich ja nur handeln, hingen zwei menschenähnliche Gebilde, von denen noch eins schwach zappelte. „Gerda...“,röchelte es. „flieh!“

Von Entsetzen gelähmt sah das Mädchen dabei zu, wie eine weitere Wurzel aus der Tiefe des Bodens schnellte und eines der Gebilde umschlang und mit sich nach unten zerrte.

Gerda schrie und rannte wie eine Wahnsinnige den Pfad zurück, der seltsamerweise immer schmaler und niedriger wurde. Sie schrie auch noch als sie die Treppen zum Boot herunter stolperte.

Schluchzend kam sie beim Beiboot an und sprang hinein. Mit zitternden Händen legte sie ab und ruderte als wenn die Hölle sich hinter ihr aufgetan hätte und alle Dämonen gleichzeitig hinter ihr her wären.

Als Sören, der Nachbarsohn, Gerda auf ihrem Fischerboot mitten auf weiter See entdeckte waren ihre Haare weiß geworden und ihr Blick alt.
 

ENDE
 

Copyright by Ines Kreutzer



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