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Lost Things

von

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Stille Tränen

Victoria sah mit einem entsetzten Blick zu, wie Leif sie etwas unsanft von sich stieß und stumm das Zimmer verließ. Ihr war es zu plötzlich passiert und ängstlich wurde ihr zumute als er dann auch noch die Tür hinter sich verschloss. Mit geweiteten Augen sah sie zu Connor, welcher in aller Gelassenheit dasaß und mit der Zunge über seine Unterlippe fuhr.

Die Blonde hatte nur noch den Wunsch sich einfach in Luft aufzulösen. Ihr war es nicht geheuer mit diesem Kerl allein in einem Zimmer zu sein. Besonders nicht, nachdem er ihr sein kleines "Präsent" dargebracht hatte. Vics Puls raste und sie fühlte sich wie festgeschnallt. Nicht fähig auch nur einen Muskel bewegen zu können starrte sie ihn an.

Der Vampir jedoch verblieb in seiner Ruhe und machte zunächst nicht den Anschein etwas zu sagen. Ihm war es wichtig, nichts Falsches zu sagen, denn er spürte ihre Angst und diese noch zu schüren, wäre ein unnötiges Tun gewesen, das sich auf eine zwar etwas mühevolle, jedoch auch mitfühlende Weise verhindern ließ.

Sein Blick war neutral. Seine Hände kratzten über die Seitennaht seiner Jeans. Etwas nervös wirkte er, obwohl er doch eigentlich recht entspannt war. Dann nach einiger Zeit des Schweigens, räusperte sich Connor und sagte:

"Erwarte jetzt bloß kein Trostgebet von mir. Ich bin schon vollkommen genervt von der Show, die du mit ihm die ganze Zeit abziehst."

Vic schluckte abrupt und ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie war erschrocken von seinen Worten.

"Du brauchst gar nicht so zu tun!", meinte er und seufzte, "Du bist überhaupt nicht so zartbesaitet, wie du es ihm glauben machen willst und mich stellst du in deinem Spielchen als den Unhold hin. Wie krank muss man eigentlich sein, um so einen Müll mit dem Mann, den man liebt, abzuziehen?!"

"Du weißt nicht, wovon du redest.", gab Vic nach kurzem Zögern zurück, was Connor ein Lächeln ins Gesicht brachte. Es freute ihn, dass sie wenigstens mit ihm redete.

"Wie lange soll das Schauspiel noch gehen, Vicky? Wochen? Monate? Jahre, etwa? Willst du ihn vollkommen zerstören mit deinem trostlosen Getue und den Heulkrämpfen? Es kommt mir allmählich so vor."

Er pausierte und beobachtete wie sie ihr Gesicht in alle möglichen Richtungen abwandte, nur um den seinen zu entrinnen. Er war sich fast sicher, dass er ihren schwachen Punkt getroffen hatte.

"Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass das nicht nur dein Kind war, sondern auch seines?"

"Seines oder meines, ist doch egal. Unser Kind ist tot. Kein Weg es zurück zu bekommen und kein Weg es zu vergessen. Ist es so schwer zu verstehen, dass ich dieses Baby haben wollte?!"

Den letzten Satz schrie so fast heraus und presste sofort eine Hand vors Gesicht als sie ihn ausgesprochen hatte. Sie schluchzte auf und zitterte unentwegt dabei.

Connor kam zu ihr und umschlang sie mit seinen Armen. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter.

"Hör auf zu heulen, du hast eben selbst gesagt, dass es keinen Weg gibt alles ungeschehen zu machen.", er sagte es in einem sehr feinfühligen Tonfall, sodass Victoria schon fast überrascht war, dass er aus seinem Munde kam.

"Pass auf, Vic", begann er dann und sie sah ihm in die Augen, "Ich will dir nicht wirklich etwas Böses antun oder meinem Kumpel eins Auswischen, ich will nur, das ihr mit dieser Sache endlich abschließt und wirklich eine neue Existenz aufbaut. Das funktioniert jedoch nur, wenn du endlich damit abschließt."

"Alles vergessen, meinst du das?"

"Ja. Das ist der einzige Weg."

"Und warum dann die Sache mit dem Umzug?"

"Weil das die einzige Möglichkeit ist, dass ihr Abstand von euren Erinnerungen bekommt."

"Hast du schon mal ein Baby verloren?"

"Nein. Das gebe ich sogar ohne Scheu zu."

"Dann weißt du auch nicht, wie es ist einen Tritt in sich zu spüren oder zu bemerkten wie es in einem heranwächst. Du würdest anders denken, hättest du es erlebt."

"Da hast du wahrscheinlich recht. Aber auch ich habe mein Päckchen zu tragen und das wiegt auch unglaublich schwer auf meinen Schultern. Also müsstest du doch nachvollziehen können, dass Zerstreuung das einzige Gut für unsere Verzweiflung ist."

"Vielleicht."

"Nein! Nicht vielleicht. Mit Sicherheit ist es so."

Connors Hingabe zu diesem Thema beeindruckte Vic. Sie konnte in seinen Augen eine Ehrlichkeit entdecken, die ihr bis dahin noch nie an ihm aufgefallen war. Ihr Innerstes kam ihr leer vor. Die Trauer war einer Unbehaglichkeit gewichen, die sie verwirrte.

Sie stand vom Boden auf und schlich zu dem verdeckten Ding, welches ihr vor wenigen Augenblicken fast das Herz zum Stillstand gebracht hatte. Connor sah ihr interessiert zu, wie sie sich davor wieder setzte und es mit einem faszinierten Blick betrachtete. Vorsichtig legte sie die Hände darauf und fühlte die Weichheit der Decke. Victoria hätte sich gewünscht, ein Gefühl in sich zu spüren, aber da war nichts in ihr, was ihre Gefühle hätte beschreiben können. Ihr Herzschlag war normal und kam ihr zu ruhig vor; viel zu gelassen und doch vermischt mit der Gewissheit, dass alles in bester Ordnung war.

Sie atmete ein und presste die Lippen fest aufeinander. Ihre Finger packten die Decke und zogen diese sanft von dem Präparat. Sie enthüllte ihr Kind und behielt den merkwürdigen Blick bei.

"Was siehst du?", fragte Connor, woraufhin sie mit den Schultern zuckte und mit den Fingern das Glas befühlte. Es sah aus, als ob sie zum ersten mal Glas vor sich hatte und es nun, verwundert über dessen besondere Glätte, anfassen musste.

"Du benimmst dich, wie ein ungebildetes Kind.", bemerkte der Vampir ein wenig abwertend und verdrehte die Augen. Ohne den Kopf von dem toten Baby abzuwenden entgegnete Vic:

"Findest du es auch in einem bestimmten Maße reizend?"

"Ob ich es was?", es war für ihn einfacher eine Gegenfrage zu stellen als ihr ehrlich zu antworten.

"Du musst es reizend finden.", sprach sie und sah ihn lächelnd an. Connor war fast schon ein bisschen erschrocken über ihren Gesichtsausdruck. Seit Wochen hatte sie nicht mehr gelächelt und es nun als Erster miterleben zu können, war für ihn schon zu viel der Ehre.

"Wie kommst du darauf?", stotterte er unsicher, weil er wusste, dass sie recht hatte. Aber nie hatte er diesbezüglich eine Andeutung gemacht. Es gab nur eine einzige logische Erklärung für ihr Wissen; Victoria konnte Gedanken lesen!

"Komm und gib es zu!", forderte sie ihn auf und drehte den Kopf wieder zurück.

"Seit wann kannst du es?", fragte Connor frei heraus.

"Seit mich Leif verwandelt hat.", gab sie schlicht zurück.

"So lange schon!?", kam es ihm fassungslos über die Lippen, "Wie konntest du das nur für dich behalten?"

"Ich fand es nicht wichtig.", meinte sie trocken.

"Wie kannst du das als unwichtig empfinden? Hast du etwa die ganze Zeit über Leifs Gedanken gelesen?"

Er kam zu ihr.

"Was soll die Frage? Glaubst du wirklich, dass ich meine Kräfte so ausnutze? Ich habe nie seine Gedanken gelesen, nur die von anderen Leuten. Und dann auch nur aus Jux."

Connor seufzte und versuchte wieder zum eigentlichen Thema der Unterhaltung zu kommen.

"Was ist nun mit dem neuen Lebensabschnitt? Dich scheint der Anblick deiner Ausgeburt ja nun nicht mehr zu schocken."

"Mich hat er nicht so sehr geschockt, wie er dich geschockt hat. Du erinnerst dich ja noch recht gut an den Tag im Krankenhaus."

Connor lächelte amüsiert:

"Du Biest!"

"Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich hier weg will."

"Nimm meinen Rat an Vic: Mach es! Ansonsten brichst du uns wieder zusammen."

Sie sah ihm in die Augen.

"Du würdest schon dafür sorgen, nicht wahr?"

"Immer."

"Gib uns noch zwei oder drei Wochen.", bat sie schließlich und klang entschlossen das Angebot anzunehmen, mit dem er sie plagte.

Connor erhob sich erfreut. Ein Grinsen trat in sein Gesicht und er sagte während er nach der Türklinke griff:

"Dann kannst du ja Leif endlich mal ein bisschen was über dich erzählen. Der wird bestimmt erfreut darüber sein, dass deine Nerven sich wieder erholt haben."

Er ging und ließ sie allein. Connor hatte es nicht für nötig gehalten sich zu verabschieden. Er war weder noch einmal zu Leif gegangen, noch hatte er die Haustür hinter sich geschlossen. Er fühlte, dass seine Mission vollendet war und er ganze Arbeit geleistet hatte.

Vic enthielt sich noch eine Weile ihrer Anwesenheit und saß schweigend im Kinderzimmer, unsicher ob sie zu Leif gehen sollte oder warten sollte bis er zu ihr käme. Die Zeit schien für sie im Stillstand zu sein. Sie bemerkte kaum die Minuten an sie vorüberziehen, welche sie ohne einen Gedanken verbrachte. Doch dann nach einer Weile war es ihr zu still und zu schweigsam geworden, sodass ihr die Stille in den Ohren dröhnte. Sie begab sich auf leisen Sohlen zu ihrem Leif, welcher noch immer in der Küche saß und den nun dunkelblauen Himmel betrachtete.



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