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Der Bücherwurm

von

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Es war still, als er durch die Regale wanderte. Keine Menschenseele schien hier zu sein; er wusste, dass er alleine war, daher wollte er jeden Moment auskosten, der im verblieb, bevor sie ihn wieder zu vertreiben suchten. Sie, die anderen. Die Menschen.
 

Genussvoll sog er die Düfte der verschiedenen Werke ein; es roch nach staubiger Luft, nach Druckerschwärze, mal älter, mal neuer. In manchen Ecken der Bibliothek konnte man sogar den Geruch neuer Bücher wahrnehmen, auch wenn der Geruch uralter, nein, betagterer Werke – wie er es liebevoll ausdrückte – zu überwiegen schien. Denn diese hatten ebenfalls ihren Reiz, fast mehr als die neuen ihm bieten konnten: Er spürte das Leben, das in ihnen ruhte, und die Schönheit, die in ihrem Alter lag, wenn er der Erste war, der sich an ihnen bereicherte. „Uralt“ wäre eine taktlose Bezeichnung für solche Dinge gewesen.
 

Zwar konnte er nicht umhin, mancherorts den leichten Hauch von vergilbten Seiten zu bemerken, aber daran störte er sich nicht. Es war für ihn nicht wichtig, nur der Inhalt zählte, auch wenn er gerne den Moment vor dem Genuss solcher Bücher auskostete.
 

So war es auch heute. Er näherte sich einem kleinen Buch in grünem Einband, der eine faszinierende und seltsam anziehende Wirkung auf ihn hatte; es verströmte eine süßliche Note. Dieses Buch schrie förmlich nach ihm, und er konnte es kaum erwarten, darin einzutauchen. Die frohe Verlockung ließ ihn zittern, aber er näherte sich weiterhin unaufhaltsam, bis er schließlich vor dem Büchlein zu stehen kam.
 

Es war nicht einmal sonderlich hübsch. Der grüne Einband beherbergte leicht gelbliche Seiten; alt mußte es sein, jedenfalls machte es den Eindruck. Verwundert betrachtete er es: zwar liebte er Bücher in all ihren Formen – na ja, in all ihren Formaten – und Farben, doch dieses hier schien nicht in sein übliches Beuteschema zu passen. Wie auch immer, der Reiz verging nicht, und so beugte er sich näher darüber. Der süße Duft stieg ihm weiter in den Kopf, benebelte seine Sinne, doch auch dies hielt ihn nicht davon ab, näher hinanzutreten und endlich das bittersüße Verlangen zu stillen, das ihn so betörte und doch gleichzeitig benebelte.
 

Sein Blick war trüb, doch die Umrisse des Buches waren klar zu erkennen, und er musste es tun, er musste jetzt einfach: Und so biss er endlich in die Seiten, das Papier, nach dem er sich so verzehrte.
 

Am nächsten Morgen betrat der Bibliothekar den Raum. Seine ersten Schritte führten ihn ein wenig tiefer in die Bibliothek, dort, wo seine Jagd begonnen hatte; und sobald er ein kleines, grünes Büchlein erblickte, dessen Ränder winzige Löcher aufwiesen, kicherte er leise in sich hinein. Ja, das hatte die kleinen Mistviecher wohl angelockt, so, wie er es sich erhofft hatte; aber dies war ihre Henkersmahlzeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  nightwing79
2008-12-15T10:29:53+00:00 15.12.2008 11:29
Hallochen,
ein echt gelungenes FF,
nur irgendwie schade, dass der arme Bücherwurm dran glauben
musste.
Na ja, aber ich kann den Bibliothekar auch verstehen.

Grüsse
nightwing70
Von:  Miroir
2008-12-07T14:37:01+00:00 07.12.2008 15:37
O man, ich bin total drauf reingefallen, ehrlich!
Die Idee ist echt klasse, da muss ich Einfallspinsel zustimmen, du hast zu wenig Kommentare , da hättest du echt mehr verdient!
Ich finde den Schreibstil klasse, erst ist sehr schön und flüssig zu lesen.
Aber unangefochten ist immer noch die Idee, die war nämlich wirklich sehr, sehr gut.
Weiter so! =)
lg
Inu
Von:  Einfallspinsel
2008-06-13T11:34:59+00:00 13.06.2008 13:34
Warum stehen hier keine Kommentare!? Hm ...
Deine Kurzgeschichte ist wirklich genial. =) Eine suuper Idee und echt genial umgesetzt. Erst hab ich mich gewundert "Was ist das denn für ein komischer Kerl, der an allen Büchern riecht?". Bis rauskam, dass er selbst der Bücherwurm ist. Das Ende ist auch toll, für den Menschen ein Happy End, aber nur leider nicht für die Hauptperson ... Aber was heißt leider? Es ist perfekt so, wie es ist. ;)
*fav*
Viele liebe Grüße,
Merle


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