Kagomes Geburtstag, Teil II
Der Bambusvorhang klapperte fröhlich im Wind und ließ die Strahlen der Abendsonne wild in Kaedes Hütte umhertanzen.
„Und du weißt wirklich nichts über diese Karte?“, fragte Miroku nochmals nach.
Kaede stemmte einen kleinen Stapel Brennholz zur Seite und ließ es krachend in die Ecke fallen. Gemächlich lief sie zu Miroku zurück, setzte sich und studierte die kleine Karte eindringlich.
„Nein. Weder von diesem Schattenwald, tief unter der Erde, noch von dieser Karte oder einem Kougotchu, was das auch immer sein mag.“
Miroku war sichtlich enttäuscht, aber gerade, als er sich verabschieden wollte, räusperte sich Kaede noch einmal.
„In letzter Zeit herrschen aber Unruhen, auch in den benachbarten Dörfern. Wie du vielleicht erfahren hast, wurde das Dorf Hima vollkommen verwüstet. Und wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, dann hat derselbe Krieger, den du mir zuvor beschrieben hast, das Dorf angegriffen. Obwohl andere behaupten, dass es eine Diebesbande war.“
„Vielleicht gibt es zwischen diesem Krieger und der Karte einen Zusammenhang... Schließlich hat er die Karte auch verloren.“ Kaede schien Mirokus Schlussfolgerung beizustimmen.
„Aber wo ist eigentlich Inuyasha?“
„Oh, der...“ Miroku zog eine Grimasse. „Wahrscheinlich erleidet er gerade eine Sitz-Attacke.“
Beide schwiegen, bis Miroku aufstand, sich bedankte und die Hütte verließ. Draußen wartete bereits Hachi auf Miroku.
„Und wohin gehen wir jetzt?“
„Ich glaube, wir sollten einem alten Schmied einmal einen Besuch abstatten. Ich hoffe ernsthaft, dass er uns weiterhelfen kann...“
In einem Stoß schwoll die glühende Lavafontäne aus dem Boden und verteilte sich blubbernd über den geschwärzten Felsboden. Schier undurchsichtige Rauschwaden hingen überall in der Luft, vereinzelt waren noch die rot leuchtenden Lavaflüsse zu erkennen. Katagi lief noch einige Schritte weiter durch den qualmenden Rauch, bis er den gewaltigen Schädel vor sich erblickte. Doch zu Katagis Verwunderung kam ihm eine Gestalt entgegen, sie huschte aus dem Höhleneingang; die Gestalt verlangsamte ihre Schritte, als sie Katagi erblickte.
„Er ist nicht hier.“
Katagi erkannte die Stimme und gleich auch die Gestalt, welcher sie gehörte. Ihm trat eine blasshäutige, junge Frau entgegen. Ihr silberblondes Haar und der türkisfarbene Kimono verliehen ihr ein nahezu leichenhaftes Aussehen. Trotzdem war sie keineswegs hässlich, und doch schien ihre Ausstrahlung nicht von menschlichem Ursprung.
„Du hast dir ja Zeit gelassen, Katagi“, rief sie mit spöttischem Unterton.
„Und du hast diesen Toutousai entkommen lassen, Kouji wird alles andere als begeistert sein, Tonomi“, erwiderte Katagi. Als Katagi den Namen Kouji erwähnte, zuckte Tonomi sichtlich zusammen.
„Der Alte Schmied weiß viel zu viel... Und wenn du ihn nicht bald erledigst, wird Kouji früher oder später Wind von der Sache bekommen.“
Tonomi funkelte ihn böse an, dann wurde sie mit einem Mal immer durchsichtiger und zerfloss zu Wasser. Katagi lachte vergnügt und suchte nach dem kleinen Stofffetzen.
Mit Entsetzen stellte er fest, dass die Karte verschwunden war.
Die Feierlichkeiten im Innern des Hauses waren in vollem Gange. Trotzdem war bisher niemandem aufgefallen, dass Kagome sich weggeschlichen hatte und draußen, nahe dem Goushinboku, auf einer kleinen Holzbank saß.
Irgendwie ist es so komisch ohne meine Freunde…besonders ohne – Inuyashas Gesicht erschien in ihren Gedanken. Etwas verärgert schüttelte sie ihren Kopf und blickte erwartungsvoll zu dem kleinen Schrein, in dem der Brunnen stand.
Irgendetwas musste geschehen sein, etwas Schlimmes... Oder Inuyasha hatte ihren Geburtstag einfach vergessen!
Beide Möglichkeiten missfielen ihr zutiefst, dafür war sie umso überraschter, als die kleine Holztür des Brunnenschreins plötzlich mit einem lauten Knarren zur Seite gestoßen wurde. Langsam stand sie auf und lief auf ihn zu… Dann beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie schließlich auf ihn zu rannte.
„Du bist gekommen!“, rief sie glücklich und wollte ihn umarmen, dann besann sie sich: „Wieso bist du eigentlich erst jetzt aufgekreuzt? Hast du meinen Geburtstag etwa vergessen?“
Sichtlich überrascht und etwas überrannt blickte Inuyasha auf sie herab.
„Wieso? Soll ich etwa wieder gehen?“ - Er hielt kurz inne - „Schließlich ist doch heute dein Geburtstag.“ Kagome zögerte, sie schien noch etwas sagen zu wollen. Irgendwie konnte sie Inuyasha nicht böse sein. Allein sein Kommen hatte ihre Vorwürfe verschwinden lassen.
„Ist irgendetwas passiert, während ich abwesend war?“
Inuyasha war sichtlich erleichtert, dass Kagome ihm nicht mehr allzu böse war . „Es ist so einiges passiert.“
Doch gerade, als er fortfahren wollte, rief die Stimme ihrer Mutter: „Kagome! Was machst du denn da draußen?!“
Kagome erstarrte. „Wir sollten reingehen, und benimm dich bitte wie ein normaler Mensch, denn auch hier haben sich so ein paar Kleinigkeiten geändert.“
Bevor Inuyasha irgendetwas dazu sagen konnte, hatte Kagome seine Hand ergriffen und zog ihn etwas unsanft ins Haus hinein. Kaum fiel die Tür hinter ihnen zu, setzte Kagome dem verdutzten Inuyasha ein Basecap auf. Keinen Moment zu früh, denn im selben Augenblick stürmten Eri, Yuka und Ayumi auf sie zu.
„Kagome! Das musst du dir anhören: Josh – “
„Wer ist denn Josh?“
Eri, Yuka und Ayumi verstummten augenblicklich. Sie hatten Inuyasha offenbar erst jetzt bemerkt. Kagome ahnte schon, was jetzt kommen würde, also huschte sie mit Inuyasha im Schlepptau rasch an den dreien vorbei ins Wohnzimmer.
Souta und Josh unterhielten sich, während Kagomes Großvater und ihre Mutter daneben saßen. Plötzlich festigte sich Inuyashas Griff, so dass Kagome gerade noch einen Schmerzensschrei unterdrücken konnte. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, doch dann bemerkte sie, dass Inuyasha Josh fixierte.
Vorsichtig setzte sie sich auf einen Stuhl und bedeutete Inuyasha, sich ebenfalls hinzusetzen. Dieser stand einen Moment lang noch unschlüssig da, entschied sich dann aber trotzdem sich hinzusetzen. Er blickte Kagome einen Moment lang an, auch jetzt wollte er ihr etwas sagen, bestimmt etwas über Josh. Von einem Moment auf den nächsten war die Stimmung angespannt geworden.
Kagomes Mutter entging das nicht, also versuchte sie freundlich die Stille zu brechen: „Oh, hallo, Inuyasha. Josh?“
Josh blickte auf und sah zu Inuyasha und Kagome herüber.
„Das ist Josh, ein Austauschüler. Er wird eine Weile bei uns wohnen. Und das ist Inuyasha, Kagomes Freund.“
Mit diesen Worten war die Anspannung sofort wieder verschwunden: Inuyasha sowie Kagome erröteten, und gerade, als Kagome etwas gegen das letzte Wort in dem Satz ihrer Mutter sagen wollte, kam ihr Josh zuvor.
„Es freut mich, dich kennen zu lernen Inuyasha.“
Miroku flog im selben Moment auf Hachis Rücken über die weiten Wiesen und großen Wälder. Vor ihm tat sich ein breites Gebirge auf, aus welchem eine pechschwarze Rauchsäule in den Abendhimmel stieg.
„Wir sind gleich da!“, verkündete Miroku.
Hachi erhöhte das Tempo und flog im Sturzflug auf den größten Berg zu, was in diesem Moment noch keiner von ihnen ahnte: Sie würden den Berg nie erreichen.
Wie aus heiterem Himmel schoss ein grellblauer Blitz von hoch oben auf sie herab und verfehlte Miroku nur um Haaresbreite! Hachi torkelte und krachte gegen die immer näher kommenden Baumkronen. Miroku wurde von seinem Rücken geschleudert, überschlug sich mehrmals, bis ein Baumstamm seinen Fall bremste.
Stöhnend rollte sich er auf seinen Rücken und konnte gerade noch sehen, wie Hachi in seiner normalen Form als Waschbär ebenso unsanft neben ihm landete. Ein lautes „Muuh!“ begrüßte sie, und als Miroku aufsah, blickte er direkt in die Glubschaugen von Toutousais Kuh.
„Miroku-sama!“, piepste eine Stimme. Vor ihm standen Toutosai, dessen Kuh und auf ihr Myouga!
„Könntet ihr das nächste Mal etwas vorsichtiger sein?“, fragte Miroku und rieb sich seinen schmerzenden Rücken.
Myouga sprang auf Mirokus Handfläche und wischte sich über die Stirn. „Was für ein Glück, wir haben dich gefunden, aber wo ist Inuyasha-dono?“
„Er ist nicht hier.“
„Nicht hier?!“ Myouga schien beinahe in Ohnmacht zu fallen. Und blickte um sich.
„Dann bist du also allein hier? Aber was machst - “ Miroku schloss seine Faust, sodass Myougas Stimme nicht mehr zu hören war, und wandte sich an Toutousai.
„Gibt es da etwas, was ihr Inuyasha sagen wollt? Vielleicht etwas über die Kougotchu?“
Toutousai verzog nicht die geringste Miene, sondern blickte angestrengt um sich.
„Errichte einen Bannkreis, der uns vor den Sinnen der Youkai schützt. Dann kann ich dir mehr erzählen!“
Miroku blickte etwas verwirrt auf Toutousai herab, dann nickte er nur und zog ein kleines Bündel hervor. Es waren mehrere Ofudas, welche er an den Bäumen rings um sie verteilte. Die beschrifteten Papierstreifen blieben wie von Geisterhand an den Stämmen haften, und als Miroku sie kreisförmig um sie verteilt hatte, bildete sich eine glitzernde blaue Kuppel um sie.
„Dann erzähl mir alles, was du über die Kougotchu und diese Karte weißt.“ Miroku legte den kleinen Papierfetzen vor sich hin.
Die Sonne war inzwischen längst untergegangen und die Lichter im Haus der Higurashis waren erloschen. Kagome war froh gewesen, als sich Yuka, Eri und Ayumi endlich verabschiedet hatten.
„Wieso sitzen wir eigentlich hier draußen?“
Kagome schrak aus ihren Gedanken. Ihr wurde langsam kalt, sie rutschte etwas näher zu Inuyasha heran und versuchte dabei, nicht von dem Ast zu fallen, auf welchem sie saßen. Die Blätter des Goushinboku raschelten leise, ansonsten herrschte Stille.
„Es ist unglaublich, was in diesem Jahr alles geschehen ist“, sagte sie in Erinnerungen schwelgend.
„In deiner Zeit scheint es ja nicht so gefährlich zu sein wie in meiner“, begann Inuyasha und erwiderte Kagomes Blick. Sie spürte, dass er ihr irgendetwas sagen wollte, also schwieg sie.
„Es…“ Inuyasha blickte wieder in Ferne, zur untergehenden Sonne. Kagome rückte etwas näher zu ihm und blickte in sein Gesicht. „Was ist denn, Inuyasha?“
Dann drehte Inuyasha sein Gesicht so abrupt zu ihr um, dass sie fast erschrocken wäre, und sagte: „Es tut mir leid… Es tut mir leid, dass du ständig in Lebensgefahr gerätst und... und dass du dadurch deine Familie“ - Er hielt kurz inne, und seine goldfarbenen Augen drehten sich in die Richtung von Kagomes Zimmer - „und deine Freunde - “ Kagome knallte ihre Handfläche auf den Ast, sodass dieser erzitterte.
„Du brauchst dich doch nicht dafür zu entschuldigen!“, unterbrach sie ihn, fast etwas heftiger als sie gewollt hatte.
Dann fuhr sie deutlich ruhiger fort: „Weißt du, ich bin gerne bei dir, Inuyasha. Und Sango, Miroku, Shippou und auch Kirara sind alle meine Freunde!“ Inuyasha sah sie zuerst verwundert an, dann erwiderte er Kagomes Lächeln.
„Was war vorher eigentlich mit dir los?“, fragte sie plötzlich. Inuyasha erwiderte ihren Blick verwirrt.
„Was meinst du?“
„Na, die Sache mit Josh! Ich dachte, du wolltest mir die Hand zerquetschen.“
„Ich traue diesem Josh nicht... Auch wenn deine Zeit bei Weitem nicht so gefährlich ist wie meine, er ist so...“
Josh blickte noch einen Moment lang weiter durch das geschlossene Fenster auf den großen Baum, nahe dem Zentrum des Tempelplatzes. Dann zog er langsam die Vorhänge zurück, seufzte und ließ sich auf sein Bett fallen. Er drehte sich um und hob sein Kopfkissen leicht an. Er griff nach dem kleinen Stofffetzen darunter und betrachtete ihn.
Seine Augen weiteten sich, als er den kleinen roten Punkt bemerkte, der plötzlich am unteren Rand der Karte leuchtete...