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OS sammlungen

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Der Raum

Der Raum

Das erste, was sie wahrnahm, als sie die Augen öffnete, war, dass ticken einer Uhr. Immer dasselbe Geräusch, verzweifelt wollte sie sich die Ohren zuhalten, hasste sie das regelmäßige Ticken der Uhr doch ebenso wie die vollkommene Stille.

Doch noch während sie verzweifelt versuchte ihren Arm zu heben, der ihr plötzlich so schwer vorkam, meinte sie sich an etwas zu erinnern.

Sie blieb still liegen, versuchte noch nicht einmal einen Muskel zu rühren, starrte nur an die fleckige Wand über ihr und versuchte sich verzweifelt an den Strohhalm zu klammern, den ihr ihr Gehirn gegeben hatte.

Doch da war nichts. Nur schwarz. ‚Wie ein schwarzes Loch‘ kam es ihr in den Sinn. ‚Aber… wieso weiß ich, was ich bin? Wieso weiß ich, was das Universum ist? Wieso weiß ich all die Dinge, nur nicht, was passiert ist? Oder wer ich bin?‘

Resignierend schloss sie die Augen. Sie hatte alle Fragen und Gedanken verbannt. Sie wollte nur noch liegen. Nein… das meinte sie zu wollen, doch tief ihn ihr wusste sie, dass sie etwas anderes wollte: sie wollte sich wieder bewegen.

Kurz blitzte vor ihren Augen das Bild einer Läuferin in einem großen Stadium auf. Auf den Bänken waren viele Leute, anscheinend alle unterschiedlicher Herkunft, doch eines hatten sie alle gemeinsam: Sie mussten diesen Sport lieben, den die Frau die auf der Schotterbahn betrieb. War sie das? Diese athletische Frau mit der kupferfarbenden Hautfarbe, den ausgeprägten Beinmuskeln, den kurzen schwarzen Haaren?

Sie wusste es nicht. Vielleicht wollte sie es nicht wissen. Für sie zählte nur das Hier und Jetzt.

Doch anscheinend wollte die Gegenwart sie auch nicht haben, denn nichts veränderte sich. Der Rhythmus ihres Atmens, das beständige Ticken der Uhr… für sie schien es, als bliebe die Zeit stehen.

Oder gab es überhaupt Zeit? Was ist dieses Rätselhafte, das man meint messen zu können?

Konnte man Zeit messen?

Eigentlich doch nicht. Sie wusste nicht, ob jemand etwas in der Richtung schon mal gedacht hatte, aber sie dachte so. In diesem Raum mit der fleckigen, ehemals weißen Wand.

Wenn man etwas nicht sehen konnte, existierte es dann?

Was ist mit den kleinen Kindern, die behaupten sie würden einen unsichtbaren Freund haben? Dort behaupten die Eltern, es gäbe ihn nicht. Sie haben Angst um den Verstand ihrer Kinder. Aber müssten sie nicht selbst Angst um ihren eigenen haben?

Wer hatte die Zeit gesehen? Sie nicht. Sie glaubte auch nicht, dass jemand sie jemals gesehen hatte.

Aber wozu gab es sie dann? Wieso hielt man sich an diese einzwängenden Regeln?

Gab es früher, als die Menschen noch nicht zivilisiert, waren auch schon Zeit? Dachte man dort auch schon in Stunden, Minuten oder Sekunden?

Oder was war mit den Tieren?

Lebten die auch mit diesen Regeln? Oder unterschieden sie nur nach Hell-Dunkel?

Sie versuchte all diese verwirrenden Fragen zu vergessen, doch sie wollten nicht gehen. Sie blieben in ihrem Kopf, schwirrten dort herum und wollten beantwortet werden.

Zu dem Ticken der Uhr und ihrem Ein und Ausatmen kam nun auch noch ein leichtes Pochen in ihrem Kopf.

Aus Gewohnheit fasste sie sich an die Stirn, erinnerte sich aber, dass sie ihren Arm nicht heben konnte, und war umso überraschter, als sich ihre Hand an ihrem Kopf wiederfand.

‚Nanu? Ist dass das Geheimnis? Man muss etwas nicht wollen, um es zu kriegen? ‘ Sie war verwirrt. Das Denken strengte sie an und verstärkte das unangenehme Pochen in ihrem Kopf.

Seufzend versuchte sie ihren Oberkörper aufzurichten, doch es war als ob etwas sie behinderte. Eine mentale Sperre vielleicht?

Sie wusste es nicht, sie wollte den Grund nicht wissen, sie wollte einfach nur sitzen. Oder stehen, wenn ihre Beine sie nur tragen würden.

Aber sie konnte sich ja noch nicht einmal aufrichten. Wie sollte sie denn dann stehen?

Sie versuchte zu sprechen, um die Zeit am stillstehen zu hindern, doch es war, als ob ihre Stimme nur in ihrem Kopf existieren würde. Zu den vielen Fragen kam nun noch eine weitere: die Frage, wo sie war. Eine Frage, die man viel früher erwartet hatte. Aber es waren wichtigere Fragen da gewesen, auf die man keine Antwort bekommen hatte.

Aber auch auf das ‚Wo bin ich‘ kam keine Antwort.

Müde schloss sie die Augen und schlief trotz des hellen Lichts schnell ein.

Am nächsten Tag wachte sie wieder mit dem Ticken der Uhr auf.

Aber war wirklich schon der nächste Tag? Das Licht war gleich geblieben, das Ticken der Uhr auch, selbst ihr Atem hatte seinen Takt nicht verändert. Was sagte ihr also, dass es der nächste Tag war? War es ihr Instinkt oder die Gewohnheit, dass nach dem Schlafen ein neuer Tag anbricht?

Wer sagt denn, dass sie nicht am Tag geschlafen hatte? Oder dass sie am Nachmittag einschlief und am späten Abend aufstand?

Was wies darauf hin?

Die Uhr, die sie nicht sehen konnte?

Die Zeit, von der sie nicht sicher war, ob sie überhaupt existierte?

Schon komisch, auf was für Gedanken man kam, wenn man so herumlag und nichts anderes hörte als das Ticken einer Uhr und das Atmen.

Natürlich gab es Zeit, schließlich hatten es all die großen Wissenschaftler und Physiker herausgefunden. Aber war das so sicher?

Sie erinnerte sich an ein Buch, dass sie vor langer Zeit gelesen hatte. Sie erinnerte sich zwar weder an Titel noch an den Autor , aber der Inhalt breitete sich wie Teppich vor ihr aus. Sie wusste nicht alles, aber noch die Grundzüge.

Es ging um einen Meteor. Und um Politik. Und wo Politik im Spiel ist, geht es um Geld. Das wusste sie. Das hatte man ihr als kleines Kind schon eingebläut.

Sie dachte an den vermeintlichen Meteor, der sich am Ende als Betrug herausgestellt hatte.

So musste es auch mit der Zeit sein. Nur ein Betrug, eine Illusion. Ein Scherz von Einstein, Newton, Galileo und wie sie alle heißen.

Ein Betrug an der Menschheit, vielleicht sogar der größte überhaupt.

Woher soll man wissen, dass der Tag 24 Stunden hat? Er könnte auch nur 2 Stunden haben. Tag und Nacht.

Weshalb aber sollten diese berühmten Physiker lügen? Welches Motiv hätten sie?

Geld? Nein…( )so sind Physiker nicht. Oder doch? Diese Welt wird doch vom Stärksten regiert.

Anscheinend musste sie gebildet sein, denn schon wieder sah sie einen Spruch, der unmöglich von ihr kommen konnte: Der Starke ist am mächtigsten allein .

Die Erkenntnis, dass sie gebildet war, half ihr aber nicht weiter, aber trotzdem freute sie sich, wieder etwas über sich erfahren zu haben.

Sie wusste nicht, wie lange sie dalag.

Sie störte es nicht. Sie versuchte zwar ab und zu sich zu bewegen, aber nur die Arme konnte sie mit äußerster Anstrengung bewegen. Aber sie hatte sich damit abgefunden.

Auch die Gedanken hinter ihrer Stirn störten sie nicht mehr, sie lebte mit ihnen, sie gab ihnen durch ihre Überlegungen neues Futter, das stetige Pochen in ihrem Kopf gehörte mit zu diesem Leben, genauso wie das Ticken. Sie konnte es sich nicht mehr vorstellen, ohne das zu leben.

Aber lebte sie denn noch?

Vielleicht war sie auch nur noch ein Geist, der darauf wartet,dass seine Schuld, die er im Leben hatte, abzusitzen und dann in den Himmel zu kommen. Wenn es den Himmel den gibt. Aber logischerweise musste es den Himmel doch geben, wenn sie nun ein Geist war.

Der Himmel, so sinnierte sie, ist das gleiche wie die Zeit. Alle glauben daran, doch hat ihn keiner gesehen. Genauso wie die Hölle, den Teufel oder Gott.

Schon komisch, wenn man alleine ist und Zeit hat nachzudenken… dann wird man meist sofort philosophisch… weshalb?

Sie schloss die Augen. Mal wieder. Sie hatte keine Kontrolle mehr, ob sie ausreichend schlief, sie vertraute ihrem Körper.

‚Meinem Körper….?‘ Ob sie ihm denn auch wirklich vertrauen konnte? Schließlich bestand sie eigentlich nur aus Wasser, Proteine, Fetten und Mineralien.

Um genau zu sein, aus 60 -70% Wasser, 20% Proteine 15% Fetten und 5% Mineralien und ein paar organischen Stoffen.

Sie lächelte leicht. Entweder war sie Biologin oder hatte eine sehr gute Allgemeinbildung.

Müde schloss sie die Augen und gab ihrem Körper dass, was er brauchte.

Sie hatte aufgegeben(,) sich Gedanken zu machen, was passieren würde, wenn sie nicht mehr aufwachen würde weil sie nicht wusste, weshalb es sich aufzustehen lohnte. Weil kein Wecker da war, der sie wecken würde, wenn sie ihre sieben Stunden im Traumreich gehabt hatte und in die Wirklichkeit zurückfinden konnte.

Aber hier? In diesem Raum, der anfangs ihr Gefängnis ohne Gitter war und nun langsam anfing, ihr Zuhause zu werden? Was würde ihren Körper dazu bringen, wieder wach zu werden?

Der sieben-Stunden-Schlaf-Rhythmus? Ihr Wille, wieder aufzuwachen und sich neue Gedanken zu machen?

Neue Überlegungen anzustellen?

All das in Frage zu stellen, was sie früher für selbstverständlich gehalten hatte?

Ja….,das gefiel ihr… sie würde ihre eigene Welt in Frage stellen. Sollte sie sich jemals wieder bewegen können, dann würde sie aus dem Raum rausgehen, und den Raum infrage stellen. Sie würde sich fragen, ob er nur eine Einbildung war. Ein Gespinst ihres Gehirns. Sie würde sich fragen, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Tiere hatten auch Gehirne. Warum werden sie nicht Menschen genannt? Weil sie nicht sprechen können?

Weil man nicht weiß, ob auch sie die Tage in Tagen, Stunden, Minuten und Sekunden messen?

Weil man nicht weiß,ob sie denken können?

Sie würde eine Theorie zur Existenzerscheinung schreiben, sie würde behaupten, es gäbe keine Zeit, weil so viele behaupten, alle, die Dinge sehen, die sie nicht sehen, wären verrückt. Als logische Schlussfolgerung müssten alle Menschen verrückt sein.

Sie wusste, dass sie nun ein Ziel hatte. Sie wusste nun, wofür sie aufwachen würde. Sie wusste, dass sie aus diesem Raum raus wollte. Sie wollte Philosophin werden.

Sie wollte, wie sie einst in dem Buch „Sophies Welt“ gelesen hatte , an den Haaren des Kaninchens nach oben klettern, und sehen, was für einen Zaubertrick der Zauberer ausführte.

Und sie wollte wissen, wer sie war.

(c) Nanxmik
 

Okay, also erwähntes Buch ist von Dan Brown und heißt Meteor^^

Dan hab ich noch ein Zitat von Schiller verwendet; Wilhelm Tell 1,3

Und die letzten Sätze beziehen sich auf diesen Textauschnitt von "Sofies Welt" von Jostein Gaarder:
 

Das ist so, als sähen wir bei einem Zaubertrick zu. Wir können nicht begreifen, dass das, was wir sehen, möglich ist. Und dann fragen wir danach: „Wie konnte der Zauberer zwei weiße Seidenschals in ein weißes Kaninchen verwandeln?“. Im Grunde sind wir das weiße Kaninchen, das aus dem Zylinder gezogen wird.

Der Unterschied zwischen uns und dem weißen Kaninchen ist nur, dass dass Kaninchen nicht weiß, das es bei einem Zaubertrick mitwirkt. Mit uns ist es anders. Wir glauben an etwas Rätselhaftem beteiligt zu sein und würden gern wissen, wie alles zusammenhängt.
 

PS: Was das weiße Kaninchen betrifft, so ist es vielleicht besser, es mit dem gesamten Universum zu vergleichen. Wir, die wir hier wohnen, sind das wimmelnde Gewürm tief unten im Kaninchenfell.

Aber die Philosophen probieren an den dünnen Haaren nach oben zu klettern, um dem großen Zauberkünstler voll in die Augen blicken zu können.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blacksun2
2008-07-15T10:22:18+00:00 15.07.2008 12:22
hi

war mal eine sehr interessante und vor allen sehr philosophische Geschichte, stand ja nicht unbedingt eine Handlung im Vordergrund, sondern die Gedanken der Frau
anstatt Spannung hast du den Leser was zum nachgrübeln gegeben, was mich bestimmt noch bis heute Nacht verfolgt
und es waren sehr tiefsinnge Gedankenansätze drin
das alles hast du in eine sehr schönen ausdrucksstarken Text gebracht, was mir sehr gefällt
klasse ist auch, dass du nicht eifach ne philosophische Abhandlung schreibst, sondern noch ne Geschichte mit reinbringst (man fragt sich schließlich auch, wer die Frau ist und was ihr passiert ist und ob sie sich ihren Wunsch erfüllen wird)

glg
blacksun
Von:  Thuja
2008-06-03T16:01:19+00:00 03.06.2008 18:01
Oh mann ich kann es gar nicht fassen. Wieso hab ich nicht gemerkt, das du was neues raus gebracht (das musst du doch aber auch sagen ^^)
Vor allem da es so genial ist
Echt eine sehr anspruchsvolle Geschichte.
Ich find sie klasse.


Die Gedanken sind so was von tiefsinnig und dennoch durch die Vergleiche (zum Beispiel unsichtbarer Freund bei kindern) so leicht nachzuvollziehen
Man fragt sich was der Frau wohl passiert ist, wer sie ist , wer sie war und wie ihre Zukunft aussieht. Schade, das man die ersten drei nicht erfahren hat, allerdings ließ sich das ja nicht einrichten. Immerhin war das ja gerade ihr Problem. Außerdem stichelt das schön zum selber nachdenken und raten an :D

Ich hoffe für sie, dass sie sich ihren Wunsch erfüllt und das sie ihr Zimmer verlassen kann.
Aber die Gedanken waren wirklich höchstinteressant. Man denkt selber gar nicht so über diese themen wie zum Beispiel nach, sondern akzeptiert es so einfach.

„lach“
ja die nervende Tickende Uhr. Die kennt wohl jeder. Besonders gehässig, wenn zwei nicht wissen was sie reden sollen und im Hintergrund macht eine Uhr ganz deutlich „tick-tack“, als wollte sie die peinliche Pause noch verschlimmern.

lg



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