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Aura

von

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The Serpent's Desire

Erschöpft lies sich die junge Frau an einem Baum nieder, erhielt dabei eine bezaubernde Aussicht auf das unter ihr liegende Tal. Friedlich und verzaubernd lag es dort, als würden die schweren Zeiten voller Kampf und Brutalität, des Mordes und der Blutlust nicht existieren. Wie sehr wünschte sie sich ein solches Leben, ruhig und stetig wie der Fluss, der das Tal mit frischem Wasser beschenkte, die Kraft des Lebens in die Flora und Fauna goss, wie jemand, der seinen Blumen etwas Gutes tun wollte. Mit ihrer zarten Hand strich sie sich durch ihr schwarzes, glattes Haar, dass der Wind in seinem Spiel über ihr Gesicht gelegt hatte. Ihr Blick war betrübt und traurig, der endlose Ozean in ihren blauen Augen lag regungslos dar, täuschte über den Sturm hinweg, der tief in ihrem Herzen tobte, nun schon seit Jahren. Die einst sanften und mädchenhaften Züge waren schon verschwunden, und es war das Gesicht einer Kriegerin, welches zum Vorschein kam, immer noch schön, doch hatten die Spuren des Kampfes und des Hasses, die Geschmeidigkeit rau werden lassen. Das tiefe Seufzen, was nicht durch Anstrengung, sondern durch Enttäuschung, ihren Mund verließ, weckte sie innerlich auf und einen Augenblick später erhob sie sich wieder, bereit weiter auf ihrer endlose langen Reise zu bleiben. Ihr langes, weißes Gewand spielte im Wind, doch hielt es sich fest am Körper, dort, wie die im Licht der Sonne glänzende, goldene Rüstung ihr Schutz bieten sollte. Das Schwert an ihrer Seite, schritt sie langsam weiter, hinein in das wunderschöne und ach so friedliche Tal, dass sie kurzzeitig ihren Schmerz hatte vergessen lassen.

Perfekter hätte der Wald im Tal nicht sein können. Die Vögel zwitscherten fröhlich die verschiedensten Lieder, der Wind tanzte im Blatt der Dächer und hier und da huschte das ein oder andere Tier vorbei, emsig mit der Suche nach Nahrung oder einem Partner beschäftigt. Aber in dieser trügerischen Perfektion schien etwas nicht zu stimmen, aber das konnte nur ein Kämpfer fühlen, jemand, der schon oft das Misstrauen zur Welt hatte beweisen müssen. Unbehaglichkeit machte sich in der Kriegerin breit und als alle Geräusche um sie herum auf einen Schlag verstummten verfestigte sie ihren Stand, lauschte in die Umgebung hinein und musterte jeden Zentimeter in ihrem Blickfeld zweimal. Jetzt war sie sich sicher, dass etwas nicht stimmte und es nahm ihr all das Behagen, dass man in dem Wald hätte haben können. Stille war das einzige Geräusch, was man wahrnahm, eine Stille, die Bedrohung zu personifizieren schien, eine Stille, die nichts gutes verheißen konnte, nicht imstande war, Sicherheit zu bringen. Nein, jetzt war Stille nur noch mit einem Wort zu beschreiben: Gefahr.

Der Atem der jungen Kriegerin ging schneller, blieb aber gleichzeitig ruhig und gleichmäßig, wie es bei allen Kämpfern der Fall war, wenn sie sich spannten, wenn sie sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren hatten. Mit der Schnelligkeit eines Kolibris hatten ihre schlanken, aber starken Hände den Griff ihres Schwertes gepackt und mit einem sanften Ruck befreite sie die edle Klinge aus ihrem Schlafgemach. Gerade noch rechtzeitig fuhr die Kriegerin herum, lies ihr langes, schwarzes Haar langsam die Drehung ihres Körpers nachziehen und blockt den Schwerthieb, der wie aus dem Nichts erschienen war mühelos ab. Das Klirren der Schwerter hallte durch den Wald, war sogar fast so schrill, dass es in den Ohren schmerzte.

Verwunderung breitete sich in den ansonsten nachdenklichen Zügen der jungen Frau aus als sie in das Gesicht ihres Gegners sah, dort aber nur das Hämische Grinsen eines Totenkopfes vorfand. Umrahmt von violetten Flammen schien er sie auf bestialische und feindliche Art anzusehen, aber mit seiner zerfallenen Kleidung und Rüstung richtete er nur eines an: Furcht. Ein Skelett hatte sie angegriffen, doch wo war es hergekommen und was machte es in diesem Wald, wo niemals ein Krieg stattgefunden hat? Mit enormer Wucht stieß der knöcherne Kontrahent die Kriegerin mehrere Meter von sich, lies sein verrostetes Schwert aber in Angriffsposition und mit der Klinge auf den Körper der Frau gerichtet.

In nur wenigen Sekunden hatte sich die weiß gekleidete Kriegerin wieder aufgerichtet, schüttelte sich ein wenig Laub aus der Gewandung und brachte sich und ihr Schwert in Position. Sonnenlicht fiel durch das Dickicht der Bäume auf die Klinge und lies ihre prachtvollen, goldenen Verzierungen glänzen wie die Sonne selbst. Die kunstvolle Darstellung, die Klinge und Griff miteinander verband, zeigte eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Gorgone, ihre Augen starr auf den Gegner gerichtet und die Arme zum Angriff gespreizt. Die Zeit schien langsam zu vergehen, allerdings war dies nur eine Täuschung, denn keiner der Beiden griff an. Warum griff das Skelett nicht an, fragte sie sich, denn untote Diener der höheren Möchte, wozu das zerfallene Etwas gegenüber eindeutig gehörte, trachteten normalerweise allem Lebenden nach dem, was sie voneinander trennte: das Leben selber.

Selbst nach geschlagenen und endlosen Minuten erfolgte kein Angriff, doch dafür begann sich das Skelett zu verändern. Die Flammen, welche nur schwach und stetig waren, tanzten immer aufgeregter und fingen an, das Skelett einzuhüllen, bis es schließlich ganz zu brennen schien. Auch die Hitze nahm zu, denn die Kleidung fing Feuer, löste sich schnell auf und das Schwert schmolz, tropfte langsam aber sicher zu Boden. Dunkle Wolken tauchten aus dem Nichts auf, stiegen vom Boden auf und umarmten das violett brennende Gerippe, verengten sich und mit einer gewaltigen Explosion, welche die Kriegerin zu Boden warf, aber alles andere unberührt lies, verschwand das Skelett. Mühsam und unter Schmerzen richtete sich die Frau wieder auf, ihr Schwert als Stütze nutzend. Was immer sie getroffen hatte, sie fühlte sich so ausgelaucht wie nach einem dreijährigen Krieg. Der Blick ihrer dunkelblauen Augen viel auf den Ort, wo vor wenigen Augenblicken noch das Skelett gestanden hatte, doch erblickten ihre Augen etwas ganz anderes.
 

In ein schwarzes und mit Gold verziertes Gewand gehüllt, stand eine muskulöse und recht attraktive, jedoch auch finster wirkende Person. Das ebenfalls schwarze Haar war kurz geschnitten und lies freien Blick auf ein dunkles, von Hass und Hinterlistigkeit geformtes Gesicht. Schwarze Augen mit brennend gelben Pupillen richteten einen alles vernichtenden, allerdings nicht aggressiven Blick auf die Kriegerin.

„Hades!“, stellte die kraftvolle, jedoch verbitterte Stimme der schwarzhaarigen Frau die neue Erscheinung vor und mit einem kurzen Kopfnicken, wurde ihre Feststellung angenommen.

Ruhigen Schritte näherte sich der Gott der Unterwelt der Frau, blieb aber in vier Schritt Entfernung stehen, doch er hinterlies dabei eine Spur aus verdorrter Erde und verfaultem Gras und Laub. Das Leben schien unter seinen Schritten nachzulassen, als wäre der Tod sein ständiger Begleiter.

„Meine liebe, kleine, unschuldige Aura.“, ertönte nun die düstere, jedoch sanft betörende Stimme des schwarz gekleideten Gottes im näheren Umfeld, drang direkt in die Seele all jener, die es hören konnten, „Wandelst du immer noch auf dem Pfad der Rache und der Vergeltung? Willst du nicht endlich aufgeben und ein ruhiges Leben führen? Warum machst du weiter, ich verstehe es nicht?“

„Wie denn auch.“, spottete die junge Kriegerin erschöpft, „Als Gott hast du ja nie die Gefühle der Menschen kennengelernt.“

„Unterschätze mich nicht.“, folgte die Antwort des Gottes, jedoch mit einem leicht erzürnten Unterton begleitet, „Ich habe eine Menge gelernt in den Jahrtausenden, die ich nun schon über die Unterwelt herrsche. Ich weiß, wann ihr leidet, wie ihr leidet und wie lange ihr leiden könnt, bis ihr vergesst oder sterbt. Spotte nicht über mich, denn ich weiß, dass auch du leidest, doch es kann doch unmöglich Leid sein, dass dich antreibt, oder?“ Er wirkte ehrlich interessiert, schien sich sogar brennend für das zu interessieren, was die junge Kriegerin gerade dachte.

„Nenne es wie du willst, Hades.“, bestätigte sie die Vermutung ihres Gegenübers, „Nenne es Leid, Hass, Vergeltung oder Rache, Enttäuschung oder Wut, meinetwegen sogar Zorn, doch du wirst mich nicht davon abbringen.“

„Aber, aber.“, neckte er sie, „Wer sagt denn, dass ich dich davon abbringen will, mein Kind. Nein, ich bin nur neugierig. Seit du dich auf deinen kleinen Rachefeldzug begeben hast, wanderten unzählige Seelen zu mir in die Unterwelt und ehrlich gesagt, ich bin davon begeistert. Dein Hass gegenüber den Menschen und ihrem Taten bringt mir immer mehr Macht ein, lässt mein Heer wachsen und gedeihen wie einen wunderschönen Garten der Zerstörung, lässt meine Macht erstarken und erblühen wie selten zuvor.“

„Toll, jetzt habe ich sogar einen Bewunderer gefunden.“, lachte sie trocken und ohne jegliche Begeisterung.

„Aura, natürlich hast du Bewunderer.“, biederte sich der Gott der Unterwelt an und er schien wesentlich freundlicher zu sein, wie vorher, was aber nichts hieß, denn der Gott der Unterwelt war auch für seine Stimmungsschwankungen bekannt und gefürchtet, „Sieh dich doch an, mein Kind, du bist wunderschöne, kannst besser kämpfen wie die meisten Männer und hast einen Willenskraft, die ihresgleichen sucht. Suche dir doch ein Leben, was besser zu dir passt, mit einer Familie und Kindern, einen Mann, der dich liebt. Werfe dein Leben nicht so leichtfertig weg und schon gar nicht deine Seele.“

Aura war verwirrt von den Worten, die sie vom Gott der Unterwelt vernahm. „Was willst du eigentlich von mir, Hades.“, fragte sie, bemüht ihre kalte und kühle Fassade bewahrend, „Du bist doch nicht hier, nur um mir sinnlose Reden an den Kopf zu werfen, oder?“

„Du hast recht.“, war seine düstere Stimme wieder zu hören, „Ich habe versucht, dich abzubringen von deinem Plan, doch da du anscheinend fest entschlossen bist, so werde ich dich warnen. Dein Zorn auf Perseus erfüllt dich mit einer brutalen Kraft, doch ich werde nicht tatenlos mit ansehen, wie du meinen Schützling niederzumetzeln gedenkst.“

„Schützling?“, entfuhr es der jungen Kriegerin leicht hysterisch, „Seit wann beschützt du den Sohn von Zeus?“

„Sohn von Zeus, in der Tat.“, begann der Gott der Unterwelt zu erklären, „Doch Zeus hat sich abgewandt von seinem Sohne, an dem Tag, als dieser sich vor Wut und Zorn über den Tod seiner Frau Andromeda an Zeus wandte, warum er dies den zugelassen hatte. Seitdem ist der gütige Perseus, König über Phönizien, zu einem brutalen und erobernden Feldherrn geworden, der mir auf dem Schlachtfeld mehr Ehre erweist als Ares. Seit diesem Tage vor nunmehr fünf Jahren hat er mehr Leben ausgelöscht, als du es jemals schaffen könntest. Diese Quelle der Macht lasse ich mir nicht nehmen, weder von dir noch von Zeus selber und wenn es bedeutet, dass ich die Feinde von Perseus selber besiegen muss.“ Seine Stimme steigerte sich immer mehr in eine aufgeregte Drohgebärde hinein und blaue Flammen umhüllten nun seinen ganzen Körper, eine Erscheinung, die man nicht ohne Gefühle wie Angst, Furcht und Panik beschreiben konnte. Der Herrscher über das Totenreich war wütend auf Aura, wollte sie aber gleichzeitig auch nicht niedergeschlagen wissen. „Dieses eine Mal werde ich es dir noch sagen, furchtlose Aura, lege dich nicht mit Perseus an. Er wird meinen Schutz nicht brauchen, denn er ist wahrlich ein geschickter und bisher ungeschlagener Kämpfer, doch wenn du in meine Pläne fällst und sie störst, dann wird dich nicht einmal mein Bruder Zeus retten können, habe ich mich verständlich ausgedrückt. Vergesse deine Rache, wandle vom Pfad des Kampfes und lasse dich nieder und du wirst ein langes Leben haben, doch stelle dich nicht gegen mich, ich warne dich.“ Mit diesen Worten verschwand Hades, lies nur einen verdörrten Boden zurück, dort, wo er sich in die Tiefe hat sinken lassen.

Die Kraft von Aura war wieder da, sobald der Gott verschwunden war, doch auch seine Drohung konnte Aura nicht von ihrem Unterfangen abbringen. Perseus muss bezahlen, mit seinem Leben, für dass, was er getan hatte und auch wenn dies in Zeus‘ Willen gewesen war, so war es ganz sicher nicht in ihrem Einverständnis geschehen. Man konnte ein Leben nicht mit einem anderen aufwiegen, aber wenn es darum ging, jemanden zu bestrafen und seine Familie zu rächen, dann war dies eine Möglichkeit, die man nur schwer umgehen konnte.
 

Sie erreichte noch vor Tagesende den Fluss inmitten des Tales, und nach einer kurzen Zeit hatte sie schon das Holz für ein Lagerfeuer zusammen, welches sie in den Anfangsstunden der Nacht beschützen sollte. Die Wärme der Flammen stieg zwar in ihren Körper doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Statt dessen war sie immer noch verwirrt und verwundert über ihre Begegnung mit dem Gott der Unterwelt. Perseus stand unter dem Schutz des Bruders von Zeus, dann waren wirklich Ereignisse eingetreten, die das Leben auf Erden verändern könnten oder schon längst getan haben. Die Schwestern des Schicksals waren wirklich nicht untätig und bestimmten das Schicksal aller in den unterschiedlichsten Wegen, ganz nach ihrer Lust und Laune. Wenn sie so darüber nachdachte, dann war sie angewidert von den Taten der drei Frauen, abgestoßen von dem perversen Verlangen sich in das Schicksal anderer einzumischen oder tatenlos zuzusehen, wenn es schlecht lief für das Schicksal eines einzelnen. In Gedanken versunken erreichte sie schon bald das Tal der Träume und schlief ein, heimgesucht von den Schrecken ihrer Vergangenheit.

Der tote Körper lag reglos auf dem Boden, der Schwanz verkrümmt im Todeskampf. In den kalten, toten Händen hielt der Leichnam einen Pfeil, der dazu gehörige Bogen lag einige Meter weiter entfernt. Blut bedeckte den Boden und verätzte ihn langsam und stetig, so stark war das Gift in darin. Der einstige Lebenssaft der stolzen und von den Göttern gepeinigten Medusa fraß sich in den dunklen Boden der Tempelruinen. Die große Wunde am Hals, dort wo einst der mit Schlangen übersäte Kopf saß, blutete noch nach Stunden, als wollte sie die ganze Welt besudeln. Mit traurigem Gesicht saß die junge Aura daneben, in kurze Stofftücher gehüllt, ein Bild der Trauer. Die Tränen vermischten sich mit dem Blut der Gorgone, besiegelten ein Bündnis der Rache, doch sie war zu schwach um diese Reise anzutreten. Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, wie man mit dem Bogen umging, wie man ein Schwert zu führen vermochte, doch der plötzliche Tod der Schlangenfrau hatte ihr sämtliche Lebensgeister genommen. Verflucht sei derjenige, der dies getan hatte und verflucht sei sie selber, da sie ihrer Mutter nicht hatte helfen können. Undeutlich schrie sie ihre Wut in den Himmel, durch die Decke des ehemaligen Tempels, doch blieben ihre Worte unbeantwortet. Sie wandte sich wieder dem reglosen Körper am Boden zu und dann schien doch etwas zu geschehen. Eine gleißend hellblauer Blitz schlug in einiger Entfernung ein, erhüllte die düstere und von Trauer befallene Szenerie mit einem blendenden Licht der Hoffnung und als die Augen der weinenden, jungen Frau wieder sehen konnten, erblickten sie eine sonderbare Erscheinung. Eine wunderschöne Frau mit wellendem, rotem Haar stand ihr gegenüber, den schlanken und attraktiven Körper in leicht durchsichtige, weiße Seide gekleidet, die Arme und Beine von goldener Rüstung bedeckt. Weiße Augen in der braunen Haut ihres Gesichtes sahen gütig, aber auch mit List und Wut auf die junge Aura. Die seltsame Erscheinung fing an, ihre Lippen zu einem Wort zu formen, doch dann...

...wachte Aura auf und fand sich unter dem Schatten des Baumes wieder, unter dem sie eingeschlafen war. Das Lagerfeuer war schon vor Stunden erloschen und einzig die Asche an der Feuerstelle zeugte noch den Flammen der Nacht. Strahlend blauer Himmel hatte sich über das Tal gelegt und das helle Licht der Sonne vertrieb die Schatten der Nacht aus den Augen der schwarzhaarigen Kriegerin. Die Vergangenheit holte sie immer wieder heim in ihren Träumen und je näher sie ihrem Ziel kam, desto deutlicher, länger und realistischer wurden ihre Visionen.

Entschlossen richtete sich Aura auf, hing sich ihren Bogen wieder um den Hals, der wie immer unter ihrem Haar versteckt war. Ihr Schwert wanderte wieder in die prunkvoll verzierte Scheide zurück und war bereit, seine Herrin zu beschützen. Langsamen Schrittes begab sich die Kriegerin hinab zum kiesigen Strand des Flusses, der sich wild und entschlossen seinen Weg bahnte. Auch wenn der Fluss, dessen Name sich Aura entzogen hatte, nur gute hundert Meter breit war, so war ein rüberschwimmen nicht die Option, mit ihrer ganzen Montur war dies sogar ganz gefährlich. Es musste einen anderen Weg geben und als sie sich umsah, entdeckte sie eine steinerne Brücke in einiger Entfernung, doch war sie geteilt in zwei Hälften, beide gen Himmel gestreckt, als wollten sie den Göttern ihre Ehrerbietung machen. Mit jedem Schritt, denn die junge Frau näherkam, waren die Statuen, welche die gewaltige Konstruktion hielten deutlich zuerkennen, es waren prachtvoll in Stein geschlagene Drachen, den Schlangen sehr ähnlich.

Aura wanderte schnelleren Schrittes und blieb stehen, als sie die Brücke erreicht hatte, beeindruckt von der Größe dieses Bauwerkes. Alleine die breiten und schönen Statuten mochten gut und gerne an die zwanzig Meter hoch gewesen sein, doch die Brücke musste ja bis zur Hälfte der Brücke reichen und man konnte mit Müh und Not das Ende im Himmel entdecken. Wer immer dies gebaut hatte, er musste ein Genie gewesen sein oder Hilfe von den Göttern bekommen haben. Jetzt ging es nur noch darum, die Brücke herunterzulassen, doch das schien nicht so einfach zu sein, wie man es sich erhofft hatte. Aura schritt näher an die Säulen heran, entdeckte aber keinen Hebel oder einen Schalter, um den Mechanismus, der gut in den steinern Wächtern und im Boden verborgen schien, zu aktivieren. Sie sah noch einmal genauer nach und entdeckte dann etwas am Kopf der rechten Schlange. Die Augen beider Statuen waren große Rubine, wahrscheinlich so groß wie Ball, doch einer fehlte. Das musste des Rätsels Lösung sein, doch wo war der Rubin? Man konnte durchaus davon ausgehen, dass er nicht in der Nähe herumlag, also wo war er verborgen.

Als sie sich umdrehen wollte, um den Weg in den Wald hinein zu gehen, ertönte ein lautes Klicken unter ihren Füssen. Unter dem Laub, auf dem sie schritt, musste sie auf einen Schalter gestoßen sein und nachdem sie ihren Blick vom Boden zurück zur Brücke wandte, entdeckte sie, dass sich vor der Brücke ein kleines Podest aus dem Boden gehoben hatte. Sie schritt darauf zu und entdeckte einen Art Hebel und eine Inschrift.
 

„Du, der du wanderst dein Schicksal entlang,

Du, der du musst überqueren, diese Brücke,

Dir sei gesagt, dass das Auge des Wächters,

Der Schlüssel zur anderen Seite,

Sich befindet unter deinen Füssen.“
 

„Unter meinen Füssen?“, wiederholte sie die letzten Worte der Inschrift und sah sich um, doch entdecken konnte sie nichts. Die Lösung musste beim Hebel liegen, der zwar klein war, doch nur schwer zu bewegen war. Sie drehte ihn entgegen des Uhrzeigersinns und es funktionierte, doch war es eine Anstrengung, den Hebel dazu zu bringen sich zu drehen. Hinter ihr hörte sie, wie sich schwerer Stein bewegte und als sie nach hinten sah, entdeckte sie ein immer größer werdendes Loch im Boden. Nachdem der Hebel sich nicht mehr drehen lies und ein lautes Einrasten zu vernehmen war, schritt sie auf das Loch zu, es stellte sich als Treppe heraus, die in eine Tiefe führte, welche nach uralten Zeiten roch. Der Geruch war ihr vertraut, es war der Geruch, den man oft in alten und verlassenen Ruinen wahrnahm. Seit ewigen Zeiten musste keiner mehr diese Brücke überquert haben, doch bis sie eine Brücke gefunden hatte, die man einfach überqueren konnte, mochten Tage, wenn nicht sogar Wochen vergehen und so viel Zeit hatte sie einfach nicht. Nein, sie musste hinabsteigen, wenn sie möglichst schnell über den reißenden Fluss, der von der Ferne wesentlich friedlicher dahinzufließen schien, hinter sich bringen wollte. Zielstrebigen Schrittes stieg die schwarzhaarige Kriegerin die alten Stufen hinab, nichtsahnend, dass sie beobachtet wurde.
 

Die Ruinen mochten zwar tief unter der Erde liegen, doch sobald Aura einige Meter tief, noch im Schein des Lichtes, gegangen war, sprangen Flammen an den Wänden in die Höhe und sorgten für eine somit sicheren Abstieg in die Tiefen der Ruinen. Da einige der Stufen schon bedenkliche Risse aufwiesen, war dies sicherlich ein glücklicher Wink des Schicksals, denn böse Verletzungen oder sogar Knochenbrüche könnten ein schnelles Ende über ihren Rachefeldzug bringen, ein Ende was vielleicht sogar ihren Tod hätte bedeuten können und das war ganz und gar nicht in ihrem Interesse, denn es würde auch bedeuten, Hades wieder zu sehen, wie er mit einem Lächeln den ein oder anderen Satz ihres Gespräches wieder ans Tageslicht gebracht hätte.

Beruhigt von dem Fackelschein schritt sie weiter in die drohende Tiefe, die erst nach weiteren hundert Schritten ein Ende in einem langen Gang fand, an dessen Seiten in gewissen Abständen Einbuchtungen waren, es hätten aber durchaus auch Abzweigungen sein können. Vorsichtig waren ihre nächsten Schritte und als sie die erste vermutliche Abzweigung erreicht hatte, stellte es sich als eine Sackgasse heraus, die gerade soviel Platz bot, dass eine einzelne Person darin Platz fand.

Das Donnern hinter der Kriegerin wurde von ihr gerade noch rechtzeitig wahrgenommen und mit einer schnellen Drehung befand sie sich in der Ausbuchtung, als ein großer Felsbrocken mit lautem Getöse an ihr vorbeirollte. Wieder einmal hatten ihre Reflexe der jungen Frau das Leben gerettet, allerdings wieder im letzten Augenblick, wie schon so oft in den letzten Jahren ihrer Reise. Kurze Zeit später donnerte es erneut und ein weitere Brocken schlug sich seinen Weg durch den Gang und von da an, wusste Aura, was zu tun war. Sie wartete auf einen weiteren Felsen, der auch nach der vermuteten Zeitspanne kam und rannte ihm hinter, die Ausbuchtungen neben sich liegend, allerdings bemerkte sie, dass in der letzten tatsächlich ein weiterer Gang lag, drehte sich um und sprang zur Seite, als sie einen großen Felsbrocken vor sich sah. Dieser war schneller gekommen, als der andere, der vor ihr in eine unendliche Felsspalte gesprungen war.

Sie klopfte den Staub aus ihrem Gewand, als sie sich aufrichtete und sah vor sich schon das Ende des Ganges und die dahinterliegende Halle. Wagemutig schritt sie hindurch, und bestaunte die Ruinen, die sie vor sich fand. Dies musste einmal ein wunderschöner Raum gewesen sein, verziert mit Wandbildern, die Geschichten aus alten Zeit erzählten, doch nun war es ein Sammelsurium aus umgestürzten Säulen, von der Decke gefallenen Felsbrocken und den Überresten von Menschen. Weit verstreut in der Halle lagen Rüstungen, Gewänder und die Knochen von den Personen, die einmal damit durch die Welt wanderten, ihre Waffen teilweise noch in den Händen. Zerfetzt lagen sie da, wie von einem großen Tier zerrissen und achtlos liegen gelassen. Am Ende des Raumes entdeckte sie breite Treppen, die zu einem Podest hinaufführten, auf dem sie im dunklen Schein der Fackeln etwas rotes glitzern sah. Der Rubin. Hier lag er also, doch ihre Freude über den schnellen Fund wurde jäh unterbrochen, als sie darüber nachdachte, was den Leuten zugestoßen ist, die es an den Felsen vorbei geschafft hatten. Aura musste von nun an mit äußerster Vorsicht zu werke gehen, wenn sie nicht auch als Raumdekoration enden wollte, wie ihre unglücklichen Vorgänger.

Unendlich langsam schlich sie sich in Richtung des wertvollen, aber auch nützlichen, Edelsteines, der über alles in diesem Raume zu wachen schien, wobei sie darauf achtete, die Deckung der Säulen zu nutzen. AM Fuß der Treppe angekommen blickte sie noch einmal zurück und musterte den Raum erneut, konnte aber noch immer nichts gefährliches feststellen, auch an der Decke und den Wänden war nichts ungewöhnliches zu erkennen. Was immer auch passieren könnte, es würde erst einsetzen, wenn sie ihre zierlichen Finger um den roten Stein klammerte und den kostbaren Schatz an sich nahm. Wer immer sich solche Fallen ausgedacht hatte, er kann froh sein, dass er schon lange des Todes weilt, denn sein Fanclub würde mit jedem Jahr weiter an Mitgliedern gewinnen. Ein erster, behutsamer Schritt auf die Treppe löste, wie Aura es sich schon gedacht hatte, natürlich nichts aus und auch auf den nächsten Stufen war nicht das geringste wahrzunehmen. Deshalb erhöhte sie ihr Tempo und nach weiteren zehn Schritten war sie am Podest angekommen. Aus der Nähe sah das Juwel noch schöner aus, doch wahrlich wusste nicht jeder etwas damit anzufangen, was wohl daran lag, dass genau in diesem Moment die Gier einsetzte und man die Brücke ignorierte, nur um diesen Schatz zu verkaufen. Die junge Kriegerin sah sich noch einmal um und wischte sich eine Strähne aus ihrem Gesicht, bevor sich ihre Hände ganz langsam dem Stein näherten, als müssten sie sich erst einmal an eine große Hitze gewöhnen. Als die Finger den Stein umklammert hatten, stellte sie beruhigt fest, das nichts passierte und auch als sie es nach endlosen Sekunden fertig brachte, den Stein anzuheben und in ihren Beutel zu verstauen, passierte immer noch nichts. Hatte sie sich vermutlich umsonst Sorgen gemacht?

Sie schritt beruhigt die Treppe hinab und dann kam ihr ein Gedanke, der sie nicht beruhigte: Wie kam sie hier eigentlich wieder raus? Die Felsen waren inzwischen zwar verstummt, doch selbst wenn sie am ersten Abschnitt vorbeikam, wie sollte es die junge Frau die Treppe wieder hinaufschaffen? Der Rhythmus der Felsen war zwar vorhersehbar doch nur ein Gott könnte schnell genug sein um in der Zeitspanne die gesamte Treppe zu bewältigen. Sie dachte kurz nach, und dann sah sie in ihren Gedanken noch einmal, wie sie den Rubin an sich nahm, und dass sich darunter eine Drehscheibe befand. Schnellen Schrittes war sie wieder beim Podest angelangt und tatsächlich, es befand sich eine verzierte Drehscheibe genau dort, wo sie es sich gedacht hatte. Die Zeichen waren allerdings kaum noch zu lesen und mit Mühe und Not entdeckte sie auch, dass die Buchstaben Alpha und Omega zu erkennen waren. Die Scheibe stand auf Alpha, dem Anfang des Alphabets, also um zum Ende der Prüfung zu gelangen, müsste sie nur die Scheibe auf Omega drehen. Sie dachte noch einmal über ihre Schlußfolgerung nach und führte danach ihren Plan aus, drehte die sich nur schwer zu drehende Steinplatte und sobald das Omega erreicht war, vernahm sie ein einrasten, dass mit einem lauten und dumpfen Geräusch außerhalb des Raumes noch einmal bestärkt wurde.

Dann fing das Podest an, sich zu drehen und als es ganz langsam zu versinken begann, begab sich die schwarzhaarige Frau vor die Treppe und beobachtete, wie sich die gesamte Treppe im Boden versenkte, bis nur noch eine glatte Ebene zu sehen war. Sofort nachdem der letzte Zentimeter verschwunden war, schien sich was an der Decke zu tun und langsam sanken gigantische Mauern aus Stein hinab, bis zum Boden und als der ohrenbetäubende Vorgang beendet war sah sie vor sich eine Steinerne Wendeltreppe, die nach oben führte. Gerade als Aura bereit war, den ersten Schritt zu wagen, hörte sie ein seltsames Geräusch von hinten und als sie sich umdrehte, sah sie, dass sich eine weitere Konstruktion aufgebaut hatte, ein gigantischer Drachenkopf, wie von den beiden Wächter, der genau auf den Eingang zur Treppe zeigte, dabei sein Maul aufgerissen hatte. Nachdem das Innere des Maules anfing orange zu glühen rannte die Kriegerin sofort nach oben, übersprang von Zeit zu Zeit sogar die ein oder andere Stufe. es dauerte nur Sekunden und sie hörte einen lauten Knall hinter sich und auf einen Schlag machte sich eine extreme Hitze breit, der ganze Aufgang begann immer mehr orangene und rote Farbtöne anzunehmen, was sie nur veranlasste schneller zu rennen. Sobald sie das Licht des Tages sah, sprang sie nach vorne und rollte sich am Boden seitlich ab, nur um zu sehen, wie ein gigantischer Feuerball sich in die Lüfte erhob, eine lange Fallkurve hinlegte und im Fluss versank, was mit einem lauten Aufschlagen und Dampf ein Ende finden sollte. Danach verschwand die Treppe wieder im Boden und einzig Steine zeugten von dem Untergrund, der sich einst geformt hatte.

Erschöpft blieb Aura liegen und atmete so schwer wie selten zuvor. Noch nie hatte sie so schnell und so extrem sprinten müssen, dazu noch die Tücken des Treppensteigens, sie war einfach gesagt erledigt. Besorgt sah sie an ihrer Kleidung hinab, aber es war alles noch heile und unversehrt und zum Glück war auch der große Edelstein noch in ihrem Beutel. Hätte sie ihn auf der Treppe verloren, er wäre für immer zerstört gewesen und niemand hätte die Brücke mehr benutzen können. Nachdem sie sich das lange Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte, entschloss sie sich, noch eine Weile liegenzubleiben und wieder zu Kräften zu kommen. Da sie gerade Zeit hatte, nachzudenken, fragte sie sich, warum die Körper der Menschen unten so zerfetzt waren, doch es gab eine logische Erklärung dafür. Wenn keiner den geheimen Weg nach oben gefunden hatte und man sich nicht an den Felsen vorbeigetraut hatte, aus welchem Grund auch immer, so blieb einem nichts übrig als auf mögliche andere Menschen loszugehen und sich von ihrem Fleische zu ernähren. Eine humanere und logischerer Erklärung war sie nicht zu Finden imstande also beließ sie bei dem Gedanken und richtete sich langsam wieder auf.

Zuerst musste sie sich neu orientieren, da sie unter Erde nicht verfolgen konnte, wo denn nun die Brücke lag und spätestens bei dem wilden Wettlauf mit dem Feuer hätte sie das wieder vergessen. Ein Blick nach rechts sagte ihr sofort, dass sie dort lang musste, denn sie konnte die gewaltigen Brückenpfeiler nur unschwer verfehlen. Wieder bei der Brücke angekommen, stellte sie fest, dass der Eingang nach unten und das Podest längst wieder unter der Erde ruhten. Selbst wenn man es an den Steinen unvorstellbarer Weise vorbei geschafft hätte, man hätte sich vor geschlossenen Türen wiedergefunden. Somit gab es von vorneherein nur einen einzigen Weg nach draußen und dieser war nicht minder gefährlich.

Jetzt stellte sich aber ein ganz anderes Problem der jungen Frau. Wie bekommt man jetzt einen Stein dieser Größe in eine Höhe von Zwanzig Metern und verankert ihn dort, ohne herunterzufallen und seinem Leben somit vorzeitig ein Ende zu setzen? Aura musste deshalb noch einmal genau alles untersuchen und stellte fest, dass an der Innenseite der Pfeiler, also der Schlangen, eine steinerne und nicht sehr sicher aussehende Leiter zu finden war. Da sie bis zum Kopf hinauf führte, blieb ihr keine andere Wahl, als ihre Ausrüstung niederzulegen, den Rubin in eine Hand zu nehmen und sich mühevoll die enge und mit Moos bewachsene Leiter hinaufzubewegen. Dieser Vorgang dauert wesentlich länger als man es vermuten würde, denn mit nur einer Hand um sich festzuhalten, war dies noch gefährlicher als ein Wettrennen mit dem Feuer. Unter größter Anstrengung vollbrachte sie es aber schlußendlich, den Kopf zu erreichen und nachdem sie einen etwas festeren Stand gefunden hatte, war es kein Problem den Stein an die dafür vorgesehene Stelle zu bringen. Sie brauchte mehr Kraft, als sie dachte um das Auge in die Öffnung zu drücken, doch als es drinnen war, rastete etwas in der Statue ein und am Fuß des Pfeilers schien sich etwas zu bewegen. Schnell aber immer noch vorsichtig kletterte sie die Leiter wieder hinab, was mit zwei Händen schon fast ein Vergnügen war. Sie packte ihre Ausrüstung wieder zusammen und entdeckte, dass ein Hebel zum Vorschein gekommen ist, den sie auch prompt umzulegen versuchte. Erst als sie den richtigen, festen Stand gefunden hatte und auch genug Kraft investierte, gelang es ihr den Hebel umzulegen und ein lautes Arbeiten unter dem Boden und in den beiden Statuten zeigte auf, dass der Mechanismus in gang gesetzt worden war. Die Hälfte der Brücke, die sie sah wanderte langsam und gleichmäßig nach unten und auch auf der anderen Seite des Ufers schien dies zu funktionieren. Ungefähr fünf Minuten brauchte die Brücke um geschlossen zu sein und ein Aufleuchten der Rubine in den Augen der Schlange diente wohl als Signal, dass dies vollbracht worden war.

Nun konnte sie Kriegerin ihre Reise fortsetzen und wanderte auf der breiten Brücke entlang, staunend über die Festigkeit und Stabilität der Konstruktion, denn immerhin wurde die gesamte Brücke nur von dem Mechanismus gehalten. Es gab im Fluss keine Plattformen oder Säulen, wo die beiden Brückenhälften ruhten und wo das Gewicht abgefangen wurde. Wahrlich nur ein Meister hätte eine solche Konstruktion erfinden können, allerdings hätte er auch den Teil mit dem Rubin in seinen Gedanken lassen können. Warum baute man eine Brücke, wenn sie keiner benutzen sollte? Das ergab keinen Sinn, doch vielleicht standen hier vor Jahrtausenden einmal Städte und es war eine brillante Idee, im Fall eines Krieges den Fluss als Grenze zu nutzen, denn selbst mit Schiffen war es ein Wagnis, den reißenden Strom zu durchqueren und zudem konnte man von der Brücke auch erkennen, das er nicht immer tief genug war, also auch scharfe Felsen hier und da durch die Wasseroberfläche stachen, bereit ein Weiterkommen zu verhindern.

Aura hatte schon die Hälfte der gewaltigen, steinernen Brücke überschritten, als sie in der Ferne mehrere Gestalten auf sich zukommen sah. Im Gleichschritt bewegten sie sich genau auf die Kriegerin zu, es handelte sich also tatsächlich um ein kleines Regiment, oder eher einen Wachtrupp. Könnte es tatsächlich sein, dass auf der anderen Seite das Königreich, welches für die Brücke zuständig war, immer noch existierte? Nein, wenn, dann könnten sie die Brücke von ihrer Seite aus aktivieren und müssten nicht warten, bis ein wagemutiger den Kristall findet und ihn auch noch einsetzt. Trotz der gemischten Gefühle, die sich in der weißgekleideten Frau anhäuften, ging sie ruhigen und gelassenen Schrittes weiter auf die Männerschar zu, die man inzwischen sogar abzählen konnte, es waren um die dreißig leicht bewaffneter Krieger mit Schwert und Schild. Ihre braunen Waffenröcke waren mit blauem Stoff verbunden und Silber waren die Farben, die Verzierungen und das Schild bestimmten, eine wahrlich ungewöhnliche Kombination, die der weit gereisten Kämpferin noch nie begegnet waren. Nach ein paar Minuten trafen sich die beiden Parteien und es kam zu einem Stillstand auf der Brücke. Dann trat ein Mann aus der Mitte hervor und nahm seinen Helm ab, gab ein erfahrenes Gesicht mit einem längeren, braunen Bart Preis, dass sehr ernst wirkte.

„Ich muss euch bitten, mit uns zu kommen.“, forderte er ohne jegliche Anzeichen einer Vorstellung oder eines Grundes, warum er sie so grob aufforderte.

„So, darf ich auch fragen, warum?“, erwiderte die Kriegerin, versuchte aber jeden Trotz und Stolz zu verbergen, um den Mann nicht auch noch wütend zu machen, denn er wirkte doch ziemlich angespannt und gestresst.

„Ich habe keine Zeit Spielchen zu spielen, Weib.“, fuhr er schroff fort und es bildete sich tatsächlich eine Falte auf seiner Stirn, „Mit der Aktivierung der Brücke hast du den Gott des Flusses erzürnt und da wir nun seinen Zorn zu spüren bekommen, müssen wir uns vor im rechtfertigen. Daher werden wir ihm ein Opfer bringen müssen, genau das Opfer, welches ihn erzürnt hat.“ Er setzte seinen Helm nach diesen Worten und Anschuldigungen auf und zückte sein Schwert, zeigt in die Richtung von Aura, die ihm nur zwei Schritte gegenüberstand, sein Schwert an ihrer Kehle.

Bevor sie eine wütende Antwort erwidern konnte, hörte alle ein Schreien aus dem Pulk an Männern und auch der Hauptmann drehte sich um, sah gerade noch, wie einer seiner Männer schreiend ins Wasser gezogen wurde. Es ging alles zu schnell um genaueres zu erkennen, doch aus Angst bildeten die Männer einen Kreis um sich nach allen Seiten abzusichern. Das brachte allerdings nicht viel, denn nur Augenblicke später bebte die Brücke unter ihnen und die ausbrechende Unsicherheit wurde gleich genutzt um ein weiteres Opfer zu finden, dass ebenso schnell unter der reißenden Wasseroberfläche verschwand.

„Was in Zeus‘ Namen war das?“, rief Aura und zog nun auch ihr Schwert, bekam als Antwort aber nur den Angriff des Hauptmannes geschenkt, den sie sogleich parierte, „Seid Ihr von Sinnen?“

„Nein, er will nur ein Opfer haben, Weib, nämlich euch!“, brüllte sie der Hauptmann an und griff sofort wieder an, sein Schwert im Sonnenlicht blendend.

„Ich habe nicht vor hier zu sterben.“, erwiderte Aura und fing den Schlag ab, konterte mit einem Hieb, der den Mann zurückweichen lies. Sie ging zum Angriff über und hinter ihr ertönten erneut Schreie, die Männer kämpften um ihr Überleben gegen einen Feind, den sie kaum sahen und einer nach dem anderen wurde brutal in die Tiefe gezerrt. Wütend riss der Truppenführer sein Schwert in die Höhe und griff an, doch seine Schläge wurden mit einer spielerischen Leichtigkeit abgefangen und die erfahrene Kriegerin ging immer wieder selber zum Angriff über, ihr Haar tanzte dabei im Wind, während Wasser an den Seiten der Brücke in die Luft katapultiert wurde. Langsam schien der Hauptmann zu verstehen, dass er im Kampf unterlegen war, doch es gab kein zurück mehr und mit einem lauten Kampfschrei stürmte er auf die Frau, nutzte eine kleine Lücke in der Verteidigung aus und warf sie zu Boden, nur um gleich mit dem Schwert nachsetzen zu wollen, doch sie hatte dies vorausgeahnt, rollte sich ab und während des Aufstehens traf ihr Schwert seinen Schildarm und trennte ihn kurz vor der Schulter ab. Unter Schmerzen windend ging er zu Boden, stand aber auf und fing an wie ein Berserker auf sie einzuschlagen, doch seine Angriffe gingen ins Leere. „Gebt auf!“, riet sie ihm, doch er schien ihre Worte nicht wahrzunehmen, schrie immer wieder vor Schmerzen und Angriffslust auf, bis sie einen Schlag von ihm parierte, dass er ins Stolpern kam. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit war sie vor ihm und als ihre Schwertspitze aus seinem Rücken zum Vorschein kam, war er bereits tot. Sie zog ihre Waffe zurück und lies ihn zu Boden fallen, während das aus der Wunde fließende Blut ins Wasser tropfte.

Jetzt oder nie, dachte Aura und rannte zum anderen Ende der Brücke, vorbei an den verbliebenen Soldaten, die auf die gleiche Idee kamen, als sie die Frau rennen sahen. Es war ein Wettrennen mit der Zeit, denn was immer auch angegriffen hatte, seine Gier nach dem Blut des Hauptmannes hatte schneller ein Ende gefunden, als Aura es gehofft hatte, was sie daran erkannte, dass hinter ihr wieder ein Schreien zu vernehmen war und als sie einen Blick nach hinten war, sah sie endlich, was der Hauptmann mit Gott gemeint hatte.

Ein langer, glatter Körper ragte aus dem Wasser empor, erhob sich auf mehrere Meter Höhe und hatte einen der unglücklichen Soldaten in seinem schlangenähnlichen Maul. In den gelben Augen des blauen, riesigen Reptils spiegelte sich wahre Gier nach Blut und Hunger wieder. Mit einem unglaublichen Ruck schleuderte das Tier sein Opfer weit in den Fluss hinein und mit einer Geschwindigkeit die nicht von dieser Erde zu sein schien, hatte sie den Mann direkt hinter Aura gepackt und biss ihn mit einem Male in zwei gleiche Hälften nur um weiter hinter dem weiblichen Ziel hinterherzukommen. Jetzt hieß es reagieren, fühlte die Kriegerin und sprang zur Seite, wich damit dem gezielten Biss des Monsters aus, dass jetzt auf der Brücke aufschlug. Während sie direkt neben dem Auge des Reptils war, konnte sie die Zeit nutzen um zuzuschlagen. Der Schmerz über den Verlust des linken Auges veranlasste die Schlange sich vor Schmerzen zu krümmen und langsam im Fluss zu versinken. Ein leises Zischen, das mehr wie ein Fauchen klang, war das letzte, was Aura von dem Gott des Flusses zu sehen bekam und als sie das Ende der Brücke erreicht hatte, endlich wieder Erde unter sich spürte, lies sie sich fallen. Wieder einmal war sie den Händen von Ares aus dem Griff entkommen, doch mit jedem Male, so hatte sie das Gefühl, wurde der richtige Moment knapper. Irgendwann würde sie es nicht mehr schaffen und ein jämmerlicher Tod wäre das Ende ihres Lebens, genau wie Hades es ihr indirekt beschrieben hatte.
 

Die rothaarige Erscheinung stand immer noch ruhig und gelassen vor der weinenden Frau, welche immer noch vor dem reglosen Körper hockte. Die mystischen Züge der Frau begannen sich zu einem Mischung aus Mitgefühl und Herabschätzung zu vermischen, bevor sie endlich anfing mit ihrem Mund Worte zu formen und sie mit ihrer Zunge zu hörbaren Lauten werden lies. „Ich weiß genau, wie du dich fühlst mein Kind.“, begann sie mit einer mitfühlenden und sanften Stimme zu sprechen, doch konnte man heraushören, dass sich normalerweise eine freche List in ihrer Stimme aufhielt, was momentan aber nicht der Fall war, „Habe keine Furcht, ich will dir nichts Böses.“

„Wer bist du?“, stammelte die junge Frau mit dem schwarzen Haar eine Frage hervor, nachdem sie wieder in der Lage war, zu sprechen. In der Düsternis der Ruine lies sich auch der Zustand der Verzweiflung beschreiben, der von ihre Besitz ergriffen hatte.

„Ich bin Nemesis, mein liebes Kind, und ich möchte dir helfen.“, begann sie mit der selben, sanften Stimme zu erklären und sah dabei sogar gütig in die Augen der knienden, jungen Frau, „Ich weiß, wer deine Mutter getötet hat und ich weiß auch, wo er sich aufhält, doch er ist schon längst außerhalb deiner Reichweite. Du fragt dich, warum ich zu dir gekommen bin, nun, es war sicher nicht nur Mitleid, nein, ich habe vor die Spielregeln ein wenig zu ändern. Ich weiß, dass du dies jetzt nicht verstehst, doch höre mir zu und ich werde dir Erleuchtung gewähren. Du weißt, dass Medusa nicht deine leibliche Mutter war, das macht die Sache einfacher für mich, aber nicht unbedingt für dich. Der Körper vor deinen Knien war früher einmal eine wunderschöne, menschliche Frau, die sich rühmte, noch schöner zu sein, wie die Göttin Aphrodite, was wahr sein konnte aber auch nicht, doch sie posaunte diese Tatsache heraus und es kam früher oder später auch besagter Göttin zu Ohren. Erbost über diese Beleidigung verwandelte sie die schöne Frau in ein abstoßendes Wesen, halb Mensch und halb Schlange, eine Gorgone. Diese Wesen verfügen über die Fähigkeit alles, was sie ansehen zu Stein zu verwandeln und genau diese Macht ist deiner Mutter zum Verhängnis geworden. Nun denn, ich verrate dir jetzt den Namen deines Mörders, doch bevor du losziehst oder anderweitig reagierst, höre mir bitte zu. Sein Name ist Perseus, er ist der Prinz eines untergegangenen Königreiches, der sich unsterblich in die Tochter von Kassiopeia, der Königin von Phönizien, Andromeda verliebt hat. Du hast ja bereits mitbekommen, dass es sich bei Perseus um den Sohn von Zeus handelt, und dass er unter göttlichem Schutz steht, doch das Leben seiner Geliebten steht auf dem Spiel. Der Titan des Wassers wurde von Poseidon beauftragt, die Stadt zu vernichten und nur mit Andromeda als Opfer kann dies verhindert werden. Nun, auch Titanen sind nicht unverwundbar und die Macht deiner Mutter lebt auch in ihrem Kopf wieder, weswegen sie den Titan zu Stein verwandeln und das Leben der Prinzessin und der Stadt retten kann. Deswegen nahm er deiner Mutter den Kopf, denn, wie du natürlich auch wissen dürftest, wäre Medusa niemals freiwillig mitgekommen, da sie alle Menschen und Wesen hasst, die sich in ihre Domäne wagen.“

„Mag ja alles sein, doch was gibt ihm das Recht, sie einfach zu töten?“, erwiderte Aura und stand auf, was mit ihren wackligen Beinen nur schwerlich gelang. Sie wirkte kein bißchen getröstet, eher nur noch verärgerter.

„Das Recht?“, schnappte die Göttin der Rache den Gedanken auf, „Er hat das Recht, weil er der Sohn von Zeus ist, mein Kind, doch viele Götter auf dem Olymp, mich eingeschlossen, finden, dass Zeus zu seinen Kindern mehr als fair ist, sie hätschelt und tätschelt, ihnen alles gibt, was sie brauchen. Das muss ein Ende haben und deswegen werde ich dir helfen. Du hast einen Grund, den Sohn von Zeus zu töten, du hast eine Rechtfertigung, die er zu akzeptieren hat und jetzt, wo er seinen Sohn beobachtet, kann ich dir unauffällig helfen. Wir, die Götter, werden dir helfen, dich zu rächen. Darum sollst du dies haben, ein Geschenk von Hera, nimm die Rüstung der Götter.“ In diesem Moment leuchtete etwas um Aura herum auf und als das helle Licht wieder erlosch, war sie gekleidet in allerfeinster, weißer Seide, trug eine goldene Rüstung zu ihrem Schutze. „Von Athena soll ich dir dies Schwert überreichen, dir alle Gefahren vom Leibe zu halten.“, fuhr Nemesis fort und in der Hand der schwarzhaarigen Frau tauchte die mit der Medusa verzierte Klinge auf. Das Bildnis der Medusa soll für dich da sein, dir die Güte deiner Mutter offenbaren, die nur du als einzige auf der ganzen Welt hast kennengelernt. Das letzte, was ich für dich tun kann, ist dir etwas ganz besonderes zu überreichen.“ Die Göttin schritt mit grazilem und weiblichem Gang auf den Bogen von Medusa zu, hob ihn auf und reichte ihn der jungen Frau. In ihrer Hand verwandelte sich der Bogen in ein Kunstwerk aus Gold und Stahl, einen Bogen, denn man nicht zu spannen hatte. Über dem Griff des Bogens war das Antlitz des Kopfes der Medusa zu sehen, mit weit geöffnetem Mund. „Dieser Bogen, mein Kind, ist mein Geschenk für dich. Er braucht keine Pfeile, nur du kannst ihn spannen und wenn du es tust wird ein grüner Blitz auf deine Feinde niedergehen und sie auf immer und ewig zu Stein werden lassen. Die Fähigkeiten deiner Mutter sollen weiterleben in dir, Aura.“

„Habt vielen Dank, aber ich verstehe nicht, warum ihr alle mir solche prachtvollen Gaben bringt. Liegt euch soviel daran, Zeus zu erzürnen?“, fragte Aura nach, neugierig aber auch ängstlich.

„Ich erklärte bereits, warum wir Götter so handeln.“, war die Antwort von Nemesis und sie war erfüllt von einem leisen Zorn, „Perseus befindet sich weit weg von hier in seinem Königreich. Ich schlage vor, du machst dich auf den Weg und erfüllst dein Schicksal und besiegelst dass deiner Mutter. Tue was du für richtig hältst, doch beleidige mich nicht noch einmal.“ Mit diesen Worten verschwand Nemesis und Aura schritt heraus aus dem Tempel, blickte sich noch einmal um. Eine glitzernde Träne rollte über ihre Wangen hinab.



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