Gabriel sah sich mehr als verstört um. Der Lärmpegel hier schien seine Ohren sprengen zu wollen, und er zupfte nervös an seiner schwarzen Lederjacke herum, um sich von dem aufgedrehten Treiben ablenken zu können. Trixi versetzte ihm einen unsanften Stoß gegen den Ellenbogen und grinste ihn breit an.
„Na, was hab ich dir gesagt? Toll hier, nicht?“ Sie streckte die Arme aus und drehte sich einmal im Kreis, so als ob sie die ganze Veranstaltung umarmen wollte.
Gabriel schnaupte abfällig. Sein Blick huschte zu Mareen und Nicole, die ebenfalls ganz aufgeregt herumhüpften. Trixi wuselte zu den beiden Mädchen hinüber und deutete wenig zurückhaltend auf alle möglichen Leute, die ihrer Meinung nach interessant genug waren, um angestarrt zu werden.
Conventions.
Gabriel schüttelte sich. Er selbst hatte versucht, so wenig wie möglich auffällig zu wirken; in seinem James Bond Outfit.
Dafür mussten die drei Girls in seiner Begleitung natürlich gleich noch eins draufsetzten.
Trixi, die kleine Katzennärrin, hatte sich ein Catgirl-Kostüm zugelegt, an dem sie fast einen Monat lang gearbeitet hatte. Gabriel hätte einen Entstehungsbericht dazu schreiben können, denn Trixi musste ihm ja jeden Tag von ihren ach so spannenden Fortschritten ausführlich und in allen Einzelheiten berichten.
Deshalb wusste er auch, das vor allem die Suche nach den passenden Handschuhen eine Ewigkeit gedauert hatte. Schließlich, nachdem nun wirklich keine pastelrosa Handshuhe aufzutreiben gewesen waren(wir haben Hochsommer!!) war das Mädchen bereit gewesen, ihre ehemaligen Konfirmationshandschuhe von schneeweiß in die gewünschte Farbe umzufärben.
Und jetzt sah sie aus wie ein hüpfendes Bonbon mit Katzenohren!
Mareen und Nicole hatten nur halb so viel Mühe gehabt. Während erstere in ein blauschwarzes Abendkleid ihrer älteren Schwester geschlüpft war und nun einen eleganten Vampir darstellte, hatte Nicole auf ihren eigenen Kleiderschrank zurückgegriffen und die am schrägesten aussehenden Klamotten rausgesucht und kombiniert.
Eine besonders laute Truppe unterbrach Gabriels Trübsinnsgedanken.
Nur wenige Meter von ihm entfernt poste eine Truppe verkleideter Katzen; mindestens die Hälfte von ihnen konnte eindeutig als männlich eingestuft werden.
Gabriel ging vorsichtig näher. Die Kostüme der Cosplayergruppe waren auffallend sorgfältig genäht und hergestellt, selbst ihre Frisuren hatten die Cats angepasst.
Und ihr Posing war einsame Spitze.
Schon jetzt hatte sich eine richtige Traube von Fotographen um sie herum entwickelt, und versuchten, sich gegenseitig den besten Platz wegzuschnappen.
Ein Cosplayer fiel Gabriel besonders auf. Das Mädchen hatte mehr als schulterlange dunkelbraune Locken, wobei der Stirnteil blond gefärbt und mit einem Glätteisen über das linke Auge gelegt worden war.
Darin steckten zwei hellblaue Katzenohren mit rosa Schleife.
Sie trug ein ebenfalls blaues, mit weißen Rüschen und Puscheln besetztes bauchfreies Oberteil und blassblaue Hotpans, dazu Stoffstiefel und Handschuhe aus weißem Samt.
An ihrem Hals baumelte ein himmelblaues Glöckchenhalsband.
Noch bevor Gabriel seine Betrachtung zu Ende bringen konnte, setzte die Truppe sich in Bewegung.
Einer der Jungs legte dem blauen Catgirl einen Arm um die Schultern, woraufhin diese ihn verschmitzt anlächelte.
Ein Lächeln wie ein Engel.
Verärgert schüttelte Gabriel den Kopf. Soweit kommts noch, dass er sich in eine Cosplayerin verliebt! Als ob er nicht schon mit Trixi und Co genug Ärger hätte!
Die hatten inzwischen genug vom Leute ungehobelt angaffen und stürmten auf die Halle zu.
Mareen hakte sich bei Gabriel unter.
„Wir wollen zur Mangahalle, ein bisschen stöbern gehen. Was hast du so vor? Kommst du mit uns mit?“
Gabriel schüttelte den Kopf.
„Ich will mir die Playstationspiele angucken gehen, wir können uns ja in einer Stunde wieder hier treffen, einverstanden?“
Mareen teilte die Entscheidung den beiden anderen mit, dann verschwand sie winkend in der Menge.
Gabriel studierte den Hallenplan. Die Veranstaltung war größer als er gedacht hatte, und er hatte jetzt so reichlich Probleme, sich hier zurechtzufinden.
Auf gut Glück marschierte er los.
Unter der schweren Lederjacke wurde es bald unerträglich warm, und Gabriel versuchte, sich im Gehen des lästigen Kleidungsstückes zu entledigen.
Dabei geriet er aus dem Tritt und stieß unsanft mit jemanden zusammen. Der andere stauchelte, konnte sich aber noch rechtzeitig abfangen. Mit einer heftigen Bewegung fuhr er zu Gabriel herum.
„Äh, tut mir Leid.“ nuschelte der Tollpatsch verlegen. Er blickte zu dem anderen auf; und machte einen erschrockenen Schritt rückwärts. Vor Gabriel stand niemand anderes als das blaue Catgirl.
Das winkte jetzt geflissentlich ab und strich sich die blonde Haarsträhne aus der Stirn; die kleine Glocke an ihrem Hals klingelte leise.
„Kein Problem, ist mir heut schon öfters passiert.“ Es quitierte Gabriels entsetzten Gesichtsausdruck mit einem zuckersüßen Lächeln.
Der brauchte erst einmal zwei Minuten, um sich wieder zu fangen.
Die Stimme, die aus dem rosageschminkten Mund des Kätzchens gekommen war, war leicht und melodisch; aber eindeutig männlich!
Als ob der fremde Junge seine Gedanken gelesen hätte streckte er Gabriel die Hand entgegen und grinste breit.
„Ich heiße Mitchell, freut mich dich kennen zu lernen. Und wer bist du?“ Der Catboy ergriff Gabriels Hand.
„James Bond?“
„Was? Nein, ich heiße Gabriel.“ erwiderte Gabriel verwirrt. Er betrachtete Mitchell von oben bis unten.
Tatsächlich, ein Junge.
Wie konnte er das nur übersehen?
Mitchell schien seine Verwirrung nicht weiter zu bemerken. Er plapperte fröhlich drauflos, erzählte von seiner Cosplaygruppe und was sie hier alles noch so anstellen wollten. Wo genau sich diese Truppe allerdings im Moment befand, erwähnte er nicht.
„Sag mal, hast du ein Conbook?“ unterbrach Mitchell sich plötzlich. Er sah Gabriel fragend an, woraufhin dieser anfing in seinem Rucksack zu kramen.
„Ja, hier irgendwo...“
Trixi hatte ihm eins aufgedrängt, sozusagen als Grundausrüstung fürs Conventionüberleben.
„Ah! Hier ist es!“ Triumphierend zog Gabriel das in violettes Leder gebundene Heft heraus und reichte es Mitchell.
Der schlug es auf und blätterte auf die erste Seite.
„Was dagegen wenn ich dir was reinschreibe?“
„Nö, mach ruhig.“ antwortete Gabriel. Interessiert beobachtete er, wie Mitchell mit einem Bleistift etwas in das Conbook kritzelte.
„Und jetzt bei mir!“ Der Junge gab Gabriel das Heft zurück und reichte ihm sein eigenes.
Bis auf die letzen fünf Seiten war es bereits gefüllt.
Gabriel versuchte sich an der Zeichnung einer fetten Pistole, und bekam sein Kunstwerk auch so einigermaßen hin.
Er gab Mitchell das Conbook zurück.
„Danke!“ Der Junge lächelte ihn strahlend an, dann verstaute er das Heft wieder in seiner Tasche.
„Du, ich muss jetzt los, meine Gruppe wartet auf mich. War nett dich kennen zu lernen!“
Mitchell beugte sich vor und gab Gabriel blitzschnell einen Kuss auf den Mund.
„Ich hoffe man sieht sich!“ rief er lächelnd und verschwand in der Menge.
Gabriel stand da wie vom Donner gerührt. Eine Hand wanderte zu seinem Gesicht und strich über die Lippen, die Mitchells soeben noch berührt hatten.
Was sollte das denn gerade?
Aber ihm blieb nicht besonders viel Zeit zum Nachdenken. Plötzlich schlangen sich zwei nackte Arme von hinten um seinen Hals und rissen ihn fast zu Boden.
„Hey...!“
„Oh Gabriel, du weißt gar nicht was ich alles für Schnäppchen hier in meiner Tasche habe! Sieh dir das mal an...!“
Trixi löste sich von dem Jungen und hielt ihm einen Stapel Mangas unter die Nase.
Der starrte perplex auf die bunten Heftchen.
„Ja, toll.“ nuschelte Gabriel wenig begeistert. Er blickte sich suchend um, aber Mitchell war verschwunden.
„Was ist denn mit dir los? Ist dir ne Laus über die Leber gelaufen oder was?“ schmollte Trixi und versetzte ihm einen schmerzhaften Stoß in die Rippen.
„Au! Sag mal spinnst du?! Hör auf damit!“ fuhr Gabriel sie an und drehte sich verärgert weg. Trixi zeigte ihm einen Vogel, aber er beachtete das Mädchen nicht weiter. Für den Rest der Convention blieb Gabriel still für sich, er hatte keine Lust mehr auf das verrückte Treiben, auch wenn er immer noch nach Mitchell Ausschau hielt.
Aber der Junge blieb verschwunden.
Mareen versuchte ein paar mal, den Grund für Gabriels Unmut herauszufinden, aber der schwieg sich beharrlich aus. Schließlich ließ sie es achselzuckend bleiben.
Nach zwei Stunden hatte Gabriel es überstanden; im Zug versuchte er seine Gedanken wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.
Fast ohne es zu merken zog er das violette Conbook aus seinem Rucksack und blätterte auf die erste Seite.
Für Gabriel, von der Conmietze Mitch!^^
01705....
Wie vom Donner gerührt starrte Gabriel auf die Handynummer; dann stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen.
Bei der nächsten Con würde er auf jeden Fall wieder mit von Partie sein!
