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Die verlorene Seele

von

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Die schwarze Hexe

„Was meinst du damit? Ich hab doch gar keine Flügel!“

„Doch, doch... ganz große, schwarze Flügel hast du!“

Was meinte die kleine Fee nur? Amy konnte sich nicht vorstellen, dass die Kleine log oder fantasierte.

„Aber ich sehe keine Flügel!“

Der blauhaarigen Fee entwischte ein herzliches, kurzes Lachen, das laut von den Höhlenwänden schallte.

„Ja klar, du kannst sie ja auch noch gar nicht sehen! Komm mit, ich zeige sie dir! Folge mir!“

Mit diesen Worten schwirrte die kleine Fee blitzschnell aus der Höhle. Amy stand auf und rannte ihr hinterher. Als sie jedoch zum Ausgang der Höhle kam, traute sie ihren Augen nicht: Die Umgebung war völlig verändert! Sie befand sich mitten in einem Wald und trotz dass sich viele, große Bäume nah aneinander räkelten, viel genug Sonnenlicht in die Höhle. Der Ausgang der Höhle befand sich auf einem kleinen, moosbewachsenen Hügel, der steil hinabfiel. Hier und da standen Bäume, deren Spitzen bis in den Himmel hinauf zu wachsen schienen und deren Wurzeln tief in der Erde verankert und ineinander verwachsen waren. Sie verliehen dem Wald eine Art unheimliche Aura, aber die bunten Blätter wirkten dagegen fröhlich und ruhig. Wenn man glaubte, der Wald wäre ausgestorben, so hätte man sich getäuscht. Bei näherem Hinsehen sah Amy wie sich die Grashalme leicht im Wind bewegten, sie hörte, wie die Blätter rauschten und die Bäume leise vor sich hin ächzten. Eine sanfte Brise wehte ihr durch´s Haar und sie zog genüsslich die frische Waldluft von feuchter Erde und saftigem Gras ein. Irgendwo in der Ferne war ein ihr unbekannter Vogel zu hören, der mit seinem Gesang die morgendliche Sonne begrüßte. Eine Art Libelle, die allerdings acht rot-gelbe Flügel hatte und größer war als eine gewöhnliche Libelle, schwirrte um Amy´s Kopf, bis sie sich schließlich vergnüglich auf eine der rosanen Blüten setzte, die wohl von einem Kirschbaum herunterhingen. Der kleine Hügel auf dem die Höhle lag – Amy kam diese mit einem Mal viel kleiner vor, als es drinnen den Anschein hatte – führte auf einen Pfad hinab, der durch den tiefen Wald führte. Dahinter war zwischen dem Nebel ein großes Gebirge zu erkennen.

Plötzlich fiel Amy die kleine Fee wieder ein; doch diese war nirgends mehr zu sehen. Wo war sie nur so schnell hingeflogen?

Amy kletterte den Hügel hinunter und blieb auf dem Pfad stehen. Sie schaute nach rechts, dann nach links, doch keine Spur von der Fee. Wohin sollte sie jetzt nut gehen, in welche Richtung sollte sie sich wenden und mit der Suche beginnen? Wenn sie doch nur wüsste, wohin die Fee geflogen war! Sie wusste nicht einmal den Namen von der Kleinen und im Prinzip war sie sich sowieso nicht sicher, ob das alles hier wirklich existierte. Vielleicht war sie auch tot und das hier war so etwas wie das Paradies?

„Kleine Fee?!“, rief sie. Doch sie bekam keine Antwort.

Erneut rief Amy nach ihr. Doch der einzige, der antwortete, war nur der Wind, der sanft durch die Blätter der Bäume raschelte. Na toll, und was jetzt? Sie wusste einfach nicht wohin sie gehen sollte und fühlte sich allein und verlassen. Als die Fee bei ihr war, vergaß Amy ihre Sorgen für eine Weile, aber nun waren sie wieder da. Dylan war ermordet, man verdächtigte sie und es schien ihr so, als wäre sie hier in einer völlig anderen Welt. Langsam und vorsichtig lief sie jetzt nach rechts, den Pfad entlang. Was hätte sie schon anderes tun sollen? Sie kannte sich hier nicht aus, und einfach nur rumstehen würde schließlich auch nichts bringen.

Während Amy den Pfad entlanglief, rief sie immer wieder nach der kleinen Fee, doch nur ein grausames, kaltes Schweigen antwortete ihr. Einmal glaubte Amy etwas hinter sich rascheln zu hören, sie drehte sich blitzschnell um, konnte aber nichts erkennen. Doch was erwartete sie? Das hier war ein Wald, hier gab es sicherlich viele Tiere, die umher streunten und das trockene Unterholz zum Knacken brachten.

Nach einer Weile gab Amy erschöpft auf, setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm, der auf der Seite lag und stütze den Kopf auf ihre Hände. Verlassene, verlorene, fremde Welt. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sich Amy, in ihrer einsamen Wohnung, ihrem „Zuhause“ zu sein, als an irgendeinem Ort, wie diesen hier. Beinahe wäre ihr wieder eine Träne entfleucht, doch sie riss sich zusammen und schluckte die Tränen herunter. Heulen bringt dir jetzt auch nichts, Amy, sagte sie sich. Doch wohin nur? Zurück zur Höhle? Darauf hatte sie keine Lust, nicht noch einmal den ganzen Weg zurück! Weiter durch den Wald laufen, in der Hoffnung, mal irgendjemand zu treffen, den sie kannte – oder auch nicht kannte – und ihr sagte, wo sie sei und wohin sie gehen sollte? Auch darauf hatte sie keine Lust und außerdem war sie auch etwas erschöpft! Amy legte sich seuzfend auf dem Baumstamm nieder und betrachtete die Blätter über ihr. Die Fee hatte gemeint, sie wollte Amy zeigen, welche Flügel sie hatte... doch sie verstand das nicht. Wo wollte die Fee ihr das zeigen? Sie waren mitten im Wald, hier gab es sicher keinen Spiegel oder etwas in der Art! Und wo zum Teufel war sie nur so schnell hingeflogen?

Während ihre Gedanken so um sich kreisten, würde Amy immer müder, sie hatte wohl doch in der Nacht nicht allzu gut geschlafen und schließlich fielen ihr die Augen zu und sie schlief ein.
 

Die Mittagssonne brannte heiß vom Himmel herab, als Amy etwas Weiches, Feuchtes an ihrer Hand spührte. Ein warmer Lufthauch ging davon aus. Langsam öffnete Amy die Augen und wäre fast zu Tode erschrocken. Neben ihr, als wäre dies selbstverständlich, stand ein grau-brauner Wolf und beschnupperte Amy´s Hand mit seiner Schnauze. Als er bemerkte, das Amy die Augen öffnete und sich langsam aufrichtete, trat er einen Schritt zurück, setzte sich auf die Hinterpfoten, legte den Kopf schief und sah Amy mit treuherzigen Augen an. Er verharrte eine Weile in dieser Haltung, doch als Amy versuchte aufzustehen, schnellte der Wolf wie vom Blitz getroffen auf, machte drei Schritte rückwärts, reckte sein Köpfchen in die Luft und jaulte der Sonne entgegen. Amy erschrak erneut; das ohrenbetäubende Gejaule war so plötzlich und unerwartet gekommen. Der Wolf hörte gar nicht mehr auf damit, und es klang irgendwie jämmerlich und mitleidend, Amy wusste gar nicht so recht, was sie tun sollte. Als sie einen Schritt auf den Wolf zumachte, trat dieser einen Schritt zurück, jaulte aber dafür umso lauter. Wenn sie einen Schritt zurück machte, trat der Wolf zwar wieder etwas näher, aber jaulte immer noch erbärmlich. Also setzte sich Amy wieder auf den Baumstamm. Plötzlich verstummte der Wolf und wie aus dem Nichts erschien mit einem Mal ein Schatten über Amy. Als sie langsam den Kopf hob, blickte sie geradewegs in das Gesicht eines Mädchens, schätzungsweise in ihrem Alter, vielleicht auch ein oder zwei Jahre älter, sie hatte eiskalte, blaue, stechende Augen, ihr langes, blondes Haar fiel ihr über die Schultern und in die Stirn und wehte leicht im Wind. Das Mädchen hatte ein braun-grünes enganliegendes Kleid an, das sehr kurz war und einen tiefen Ausschnitt hatte. Darüber trug sie eine braune Corsage, passend dazu ein brauner Gürtel, an dem ein kleines Täschchen angebracht war. Auf dem Rücken ruhte ein Köcher, mit circa 15 Pfeilen darin, in der einen Hand hielt sie einen Bogen, die andere legte sie behutsam auf den Kopf des Wolfes, der sie nach Luft hechelnd und schwanzwedelnd liebevoll anblickte. Irgendwas war an dem Mädchen ungewöhnlich, zuerst fiel Amy nicht auf, was es sein könnte, doch dann kam es ihr in den Sinn: Ihre Ohren! Sie waren viel länger und liefen an den Enden spitz zu. Langsam und mit feindseligem Blick holte das Wesen einen Pfeil aus dem Köcher, spannte diesen auf den Bogen und richtete ihn auf Amy.

„Wer bist du?“, fragte sie mit misstrauischem Unterton in der Stimme. Amy rutschte ein Stück nach hinten, sie hatte Angst. Von einem Pfeil aufgespießt zu werden war sicher nicht lustig. Immer noch musterte sie Amy argwöhnisch und spannte ihren Pfeil und Bogen noch fester. Doch Amy brachte kein Wort über die Lippen, es war, als wäre sie gelähmt. Wie oft sie solche Situationen schon erlebt hatte. Und wie immer waren solche Reaktionen in solchen Situationen völlig unpassend.

„Auf jeden Fall bist du nicht von hier“, sagte auf einmal die Frau, hielt aber ihren Pfeil und Bogen immer noch genauso fest wie vorher. Amy wollte aufstehen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Auf einmal surrte etwas direkt an ihrem Ohr vorbei und blieb in einem der Bäume hinter ihr stecken.

„Rede oder der Nächste trifft!“ Erneut holte die Elfe einen Pfeil heraus, spannte diesen und zielte auf Amy.

Gerade als der zweite davonschoss und Amy nur knapp verfehlte, wohl auch mit Absicht, um ihr einen Schrecken einzujagen und sie zum Reden zu bringen, rief eine vertraute Stimme:

„Nicht, Sartena! Hör auf damit!“ Ein blaues Kügelchen kam schnell herbei geflogen, und stellte sich zwischen Amy und die Elfe. Dann machte es ein lautes „Plock“ und die blaue Kugel verwandelte sich ein ca. 10-cm-großes, blauhaariges und – äugiges Wesen mit durchsichtigen Flügelchen und einem blauen Kleidchen an.

„Du darfst ihr nichts tun! Sie ist meine Freundin!“

Amy war etwas erstaunt, dass die kleine Fee sie gleich als Freundin bezeichnete; sie kannten sich ja noch nicht sehr lange, aber es tat gut, mal wieder dieses Wort zu hören. Welche Gefühle doch nur die Bedeutung eines einzigen Wortes hervor rufen konnten. Langsam ließ die Elfe ihren Pfeil und Bogen sinken, schaute aber immer noch misstrauisch drein.

„Ach, Ashayu, du bist es! Ich hätte ihr auch nichts getan; so habe ich doch mit Absicht daneben geschossen, nur um zu erfahren, wer sie ist“, sagte sie als wäre dies doch selbstverständlich.

„Außerdem ist sie nicht von hier, sie gehört keiner der Völker oder Rassen an, die es hier gibt, das hat mich doch dann sehr misstrauisch gemacht“, fuhr sie fort.

„Vielleicht ist sie ein Engel“, vermutete die kleine Fee. „Ich wollte ihr nur ihre Flügel zeigen, aber auf einmal war sie weg“. Die beiden reden über mich, als wär ich gar nicht hier, dachte Amy, außerdem ist wohl eher die kleine Fee auf einmal verschwunden, anstatt ich. Damit die beiden bemerkten, dass Amy lebte und keine eingefrorene Marionette war, hielt Amy es an der Zeit, sich von dem Baum zu erheben und ein, zwei Schritte auf die beiden Wesen zuzumachen. Diese wandten verwundert den Blick zu Amy, als hätten sie eben erst bemerkt, dass Amy sowohl aufstehen als auch laufen könne.

„Bist du denn ein Engel?“, fragte die Elfe neugierig.

„Nicht, das ich wüsste, ich bin eigentlich ja ein Mensch und ich kann auch gar keine Flügel sehen“

„Menschen? Die gibt es hier nicht! Hmm.. wenn du deine Flügel noch nicht sehen kannst, dann wirst du wohl wirklich von einer anderen Welt stammen“, dachte die Elfe laut nach.

Die Fee schwirrte vor Aufregung um den Kopf des Wolfes herum, der sich hingelegt hatte, nun aber aufstand und versuchte nach der blauhaarigen Kleinen zu schnappen, diese jedoch kümmerte sich nicht darum, sondern gab vielmehr halb-kichernde und halb-wimmernde Laute von sich. Es sah aus, als würden die beiden vetraut miteinander und würden spielen.

„Am besten du kommst erstmal mit zu unserem Dorf. Hier im Wald lauern zu viele dunkle Gestalten, als das man sich hier unentwegt über solche Dinge unterhalten könnte. Tut mir auch leid, dass ich zuerst auf dich schießen wollte, aber hier muss man wirklich immer auf der Hut sein, wenn man auf der Straße beziehungsweise im Wald herumschleicht. Und ich hab wirklich noch nie jemanden wie dich gesehen, mit eingeklappten, rabenschwarzen Flügeln und so ohne weiteres und ohne Sorgen friedlich auf einem Baum schlafend.“

Das glaubte Amy der Elfe auf´s Wort.

So also liefen die vier unterschiedlichen Genossen durch den Wald, allerdings nicht auf dem Pfad, sondern kreuz und quer zwischen den Bäumen hindurch, da die Elfe – und auch die Fee meinten, dies sei zu gefährlich und es würden zu viele dunkle Gestalten herumstreunen.
 

Amy staunte nicht schlecht, als sie das Dorf erblickte. Holzhäuser reihten sich aneinander, mal größere, mal kleinere, die meisten waren mit Schlingpflanzen bedeckt, einige hatten kleinere Gärten vor dem Haus, die liebevoll und reichhaltig gepflegt waren. Das Dorf stand mitten im Wald, jedoch auf einer riesigen Lichtung, wo das Sonnenlicht wie eine Flut das Dorf erhellte. Jemand der sich in diesem Wald nicht wirklich gut auskannte, der hätte diesen Ort wohl nie zu Gesicht bekommen. Sartena erklärte Amy, das auch nur sehr wenige bei diesem Dorf vorbeikommen würde, was ihnen Sicherheit und Schutz bot, denn die Bäume standen in diesem Wald so dicht, das kaum einer den Weg hierherfinden würde, ohne sich zu verirren. Nur die Elfen wüssten ganz genau, wo ihre Dörfer lägen, allerdings auch nur die eigenen, in denen sie geboren wurden. Wobei sich natürlich schon der ein oder andere Elf in einem anderen Dorf wieder gefunden hätte, aber wer weiß, ob dies nicht dem Schicksal überlassen war. Offenbar, so dachte Amy, glaubt man in dieser Welt an Schicksal. Warum auch nicht? Wer kann uns schon sagen, das alles, was wir tun, jeder Schritt den wir machen, jede Entscheidung, die wir treffen, alles, was wir sagen und denken nicht vorherbestimmt ist? Wer kann schon sagen, ob es ein Schicksal gibt oder ob alles dem Zufall überlassen ist?

Die Antwort ist: Niemand.

Ashayu fügte dem zu, sie würde an das Schicksal glauben, doch diese Geschichte wollte die kleine Fee erst später erzählen, zuerst müsste das Wichtigste geklärt werden: Wer Amy ist und war, woher sie kommt und wo sie ist.

So also schlenderten sie zu einer der Hütten, wobei die Blicke der anderen Elfen ihnen, oder viel mehr Amy, folgten und ein Tuscheln wie eine Windböe durch das Dorf fegte.

Die Hütte war klein, doch trotzdem war genügend Platz für zwei Personen. Sartena erklärte Amy, dass sie hier mit ihrem Mann wohne, den sie vor nicht allzu langer Zeit geheiratet habe, der jedoch Mitglied des roten Aufgangs sei und in eine andere Gegend stationiert worden war. Als Amy fragte, was der rote Aufgang sei, bat Sartena zuerst, Platz zu nehmen. Amy ließ sich auf einen roten, samtweichen Sessel nieder, Ashayu setzte sich auf ihren Schoß und Sartena nahm gegenüber platz.

„Der rote Aufgang ist eine Gemeinschaft, die gegen die schwarze Dämmerung kämpft. Die schwarze Dämmerung widerum ist eine Gemeinschaft, die alles zerstört, vernichtet, auslöscht was lebt, denkt, spricht, sich bewegt. Egal ob schuldig oder unschuldig, egal ob sie einen Grund haben, sie töten einfach. Egal ob Tiere, Pflanzen oder Fabelwesen. Unter anderem betreiben sie schmutzige Geschäfte, handeln illegal mit Waren um biologische Waffen herzustellen. Man weiß nie was sie als Nächstes vor haben. Jeder fürchtet sie, wer diese Gemeinschaft aber gründet und führt, weiß niemand so genau. Ich könnte noch so einiges erzählen über die schwarze Dämmerung, aber es ist besser, wenn man nicht zu viel über sie weiß, denn jene, die zu viel wussten, wurden gnadenlos umgebracht. Um gegen diesen Geheimbund anzukämpfen, hat man den roten Aufgang gegründet.“, erzählte Sartena, während sie Amy einen Tee eingoss. Amy blickte bestürzt auf ihre Tasse. Selbst hier herrscht Krieg und Vernichtung. War es hier vielleicht sogar noch schlimmer als auf der Erde?

„Diese Welt, in der ich hier bin, heißt also Atlanera?“, Sartena und Ashayu nickten, „Habt ihr jemals etwas von der Erde gehört?“

„Nein, wir kennen diesen Ort nicht. Wo liegt der denn?“, fragte Ashayu neugierig.

„Wenn ich wüsste, wo ich bin“, seufzte Amy, „könnte ich es euch vielleicht sagen. Aber ich hätte nie gedacht, dass es eine andere Welt außer unserer gibt.“ In Gedanken fügte sie noch hinzu: Ich wollte ja weg und fliehen, aber doch nicht so weit weg und nicht an einen Ort, den ich überhaupt nicht kenne.

Verzweifelt und nicht-wissend wo sie war, verschränkte sie ihre Arme auf dem Tisch, legte ihren Kopf darauf und betrachtete die Verzierungen ihrer Teetasse. Wenn sie doch nur nach Hause könnte! Wieder zurück in ihre Höhle, oder endlich aufwachen würde, und feststellen könnte, das alles wäre nur ein Traum gewesen!
 

Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Tische und Bänke wurden herbeigetragen und aufgereiht, Holzscheite wurden gesammelt und auf einen Haufen geworden. Dann wurde das Lagerfeuer entzündet, von der Küche fegte ein köstlicher Duft herbei. Jeder der Elfen hatte sich fein herausgeputzt, die besten und schönsten Kleider angezogen, die Haare vornehm frisiert und den wertvollsten Schmuck herausgekramt und angelegt. Erst jetzt wurde Amy bewusst, wie viele Elfen hier lebten; es waren hunderte, und anscheinend noch längst nicht alle, die es auf Atlanera gab. Sartena erzählte, es würde noch mehr Dörfer geben, man wüsste nicht genau, wie viele, aber in etwa 10 bis 15 wären es schon. Schließlich war alles vorbereitet und das Fest konnte beginnen. Noch an jenem Abend, an dem Amy hier im Dorf antraf, bekamen die Elfen die Nachricht, dass ihre Männer, die Mitglieder des roten Aufgangs waren, die erste Schlacht gegen die schwarze Dämmerung relativ gut überstanden hatten. Es waren zwar viele gefallen, und viele Mitglieder der schwarzen Dämmerung waren immer noch am Leben, aber dennoch gelang es ihnen, einige Dörfer und andere Stämme zu schützen. Sie wussten allerdings, dass dies nur ein kleiner Erfolg war, denn es war nicht die schlimmste Schlacht bislang gewesen, und sie wussten insgeheim, dass die schwarze Dämmerung erneut angreifen würde. Die Männer von den Elfen würden in etwa drei Tagen hier wieder angekommen, sich einige Tage ausruhen können, bis eine Nachricht vom Oberhaupt ihr nächster Missionsort preisgeben würde. Trotzdass die schwarze Dämmerung deutlich in der Überzahl war, gab der rote Aufgang nie auf, und nur mit der Hilfe des Schützenden Volkes, ein weiterer Geheimbund, konnten sie sich gegen die Angriffe auf die Dörfer schützen. Und sie gaben nie auf. Allerdings starben immer mehr in den Schlachten und niemand wusste, wie lange der rote Aufgang noch gegen die schwarze Dämmerung ankommen würde und wie lange Atlanera noch leben würde. Amy spürte, das hier extrem schwere Zeiten herrschten.

Doch im Moment wollte niemand daran denken, sondern nur den gelungenen Sieg feiern. Amy bekam von Sartena ein wunderschönes Kleid zum Anziehen und sie sah darin einfach bezaubernd aus. Das Kleid war schwarz, hatte jedoch an den Seiten weiße Streifen, an denen ebenfalls weiße Bändel waren. Sartena band ihr das Kleid hinten zu, während Ashayu Amy´s Haare flechten wollte. Die Fee und die Elfe waren mittlerweile richtig gute Freunde von Amy geworden. Amy bekam von Sartena noch eine Halskette geschenkt, mit weißen Perlen, die leicht rosa schimmerten und ihr Dekolleté betonte. Schließlich war auch Amy fertig und das Fest konnte beginnen. Als sie aus der Hütte trat, staunte sie: Das Lagerfeuer brannte schon in großen Flammen, einige Feen spielten auf Flöten, Trommeln und anderen Instrumenten. Einige andere tanzten dazu, wieder andere tischten das Essen auf. Es war ein buntes Treiben. Amy, Sartena und Ashayu setzten sich an einen der Tische und begannen zu essen. Es gab gebratenes Fleisch, welches köstlich schmeckte, sowie auch Gemüse und Obst, das Amy ebenfalls kannte – aus ihrer Welt. So also kam sie sich doch nicht völlig fremd vor. Als sie fertig mit Essen waren, hörten die Elfen auf zu spielen und ein alter, grauer Mann humpelte nach vorne auf ein Podest und begann eine Geschichte zu erzählen. Amy hatte selten so viel gelacht, er hatte wirklich eine tolle Gabe, Mimik und Gestik so miteinander zu verbinden, das er das gesamte Elfenvolk zum Lachen brachte. Schließlich trauten sich immer mehr Elfen, ihre Geschichten loszuwerden. Andere widerum machten Kunststücke vor: Ein Elf hatte brennende Holzreifen in der Hand, durch die sich sein Wolf zu springen traute. Es gab Seiltänzer, die waghalsige Verrenkungen in 20 Meter Höhe vorführten, es gab eine Gruppe junger Elfenmädchen, die zu orientalischer Musik vortanzten. Es gab Jongleure, Flaschenmusiker, Komiker, Geschichtenerzähler, Tänzer, Sänger und vieles, vieles mehr. Es wurde getanzt, gespeist, gelacht, geredet, gesungen, es wurde einfach gefeiert. Amy wurde mit einem Mal klar, was es hieß, wenn jemand sagte, man solle das Leben genießen.
 

Es war schon spät, und die meisten Elfen waren schon in ihre Hütten gegangen. Nur Amy und Sartena – Ashayu hatte sich ebenfalls schlafen gelegt – waren noch wach. Einige anderen Elfen grohlten betrunken, mit der einen Hand die Krüge voll Bier in der Hand, mit der anderen sich beim anderen einrenkend, sangen sie Lieder, die keiner verstand und schaukelten im Takt – sowahr man dies so bezeichnen konnte – mit. Amy und Sartena saßen am Lagerfeuer, aßen noch geröstete Brötchen und schauten hinauf in den Nachthimmel. Sartena erklärte Amy die Sternbilder, wie sie hießen und wofür sie standen. Amy hörte gespannt zu, es faszinierte sie, wieviel Sartena über Astronomie und Mythologie wusste. Gerade, als Amy den letzten Bissen ihres Brötchens runtergeschluckt hatte, und sich die Geschichte von Kassiopeia, die einst Königin von Äthiopien war, anhören wollte, verfinsterte sich der Himmel mit einem Mal. Zuerst kümmerten sich Amy und Sartena nicht weiter darüber, da sie dachten, es würden nur einige Gewitterwolken aufziehen. Als jedoch kein einziger Stern mehr am Himmel zu erblicken war, richtete sich Sartena voller Entsetzten auf. Sie schaute sich um; sie waren noch die einzigen, die hier waren, die betrunkenen Elfen waren wohl nun auch in ihre Hütten verschwunden. Amy fragte sich, was Sartena habe und starrte in ihre geweiteten Augen.

„Komm mit! Schnell!“, rief sie, packte Amy am Arm und zog sie mit sich. Sartena zitterte am ganzen Körper.

„Aber was hast du? Das sind doch nur ein paar Wolken!“, versuchte Amy zu sagen, doch Sartena schnitt ihr das Wort ab.

„Das sind nicht nur ein paar Gewitterwolken, der Himmel verfinstert sich, es kommt ein großes Unheil auf uns zu, ich spüre es, in der Luft liegt eine dunkle Aura.“

„Was? Welches Unheil meinst du? Es kommt doch nur ein Gewitter auf!“

Plötzlich hielt Sartena inne, trat Amy gegenüber und sah sie durchdringend an.

„Hör zu, ich weiß zwar nicht ob es so ist, denn ich habe nur davon gehört, aber wenn sich der Himmel derart verfinstert, kann sich nur eine Person unserem Dorf nähern: Die schwarze Hexe. Sie vernichtete alles, was ihr in die Quere kommt!“ Mit diesen Worten packte sie Amy erneut am Arm und zog sie mit sich. Zur gleichen Zeit fing es an zu regnen, und ein Donner grollte.

„Was? Wer ist die schwarze Hexe?“, rief Amy gegen den aufkommenden Sturm an.

„Keine Zeit für Erklärungen! Wir müssen von hier verschwinden, so schnell wie möglich!“

„Aber was ist mit den anderen? Sie haben keine Ahnung“

„Sie werden es sicher auch schon bemerkt haben.“ Dessen allerdings war sich Amy nicht ganz sicher. Auf einmal zuckte ein Blitz vom Himmel herab, und hätte sich Sartena nicht auf Amy gestürzt, und sie zu Boden gerissen, wären jetzt alle beide vom Blitz getroffen worden. Nur etwa ein Meter von ihnen entfernt hatte der Blitz in das trockene Gras eingeschlagen und es entflammt, was widerum merkwürdig war, da Blitze eher in äußerst hohe und gutleitende Gegenstände und Gebäude einschlugen. Allmählich hatten sich immer mehr dunklere Wolken am Himmel gesammelt, sie alle scheinten allein ihre tötenden Blicke auf das Dorf geworfen zu haben. Das Unwetter tobte, der Sturm bebte, die Blitze zuckten, die Donner grollten. Viele Elfen stürmten schreiend aus ihren Hütten, doch einige hatten das Unwetter wohl noch nicht bemerkt, oder zumindest deren Bedeutung nicht. Alle hofften auf Entkommen, doch plötzlich erschienen wie aus dem Nichts vom Wald dunkle Gestalten, eingemummt in lange, schwarze Gewänder, alle einen Stab haltend, den sie im Takt auf den Boden schlugen, dabei kleine Funken versprühen ließen, die das trockene Gras zum Brennen brachten. Zwischen den Flammen näherten sie sich mit unheimlichen Gesang von allen Seiten dem Dorf, und nun wusste jeder: Es gab kein Entkommen mehr. Entsetzen und Schrecken machte sich breit, jeder schrie und floh um sein Leben, doch jeder wusste, es würde das Ende sein. Amy und Sartena verloren sich in dem Getümmel, alle Elfen und Wölfe rannten durcheinander, manche versuchten die dunklen Gestalten mit ihrem Pfeil und Bogen zu erschießen, doch es half nichts, die Pfeile flogen durch die Gestalten hindurch, als würden sie gar nicht existieren. Einige kamen ins stolpern, auch Amy verlor ab und zu den Boden unter den Füßen, rappelte sich aber im nächsten Moment gleich wieder auf. Die Gestalten gingen auf die Elfen zu, klammerten ihre knochigen Hände an deren Hälse, packten zu,erstickten sie – und sie zerfielen zu Staub. Ein Elf nach dem anderen wurde getötet, ein Elf nach dem anderen zerfiel zu Staub. Nur die Schreie, die im ganzen Wald zu hören waren, war das einzige was noch blieb. Schließlich, als nur noch wenige Elfen am Leben, erschien sie. Amy wusste, dass sie es war. Langes, schwarzes Haar fiel von ihrer Schulter herab, eine schwarzes Gewand hatte sie an, und ihre gelben Augen leuchteten so stechend und eiskalt wie die eines Dämonen. Das Gefühl das sie ausströmte, war wie eine Welle der Kälte. Nicht einmal Zorn oder Hass verspürte Amy, sondern nichts anderes als Kälte. Mit einem Mal stand sie vor ihr. Die schwarze Hexe.

„Amilia..“, flüsterte sie, sah sie mit ihren angsteinflössenden Augen an, „Du willst wissen, wer du bist? Ich zeige es dir!“ Ihre Worte klangen eisig und grausam. Dann zog die schwarze Hexe einen Stab unter ihrem Mantel hervor und richtete ihn auf Amy. Das letzte, was Amy wahr nahm, war ein grünes Licht, das auf sie zu schoss. Sie dachte noch, dass schon lange niemand mehr sie mit ihrem vollständigen Namen angesprochen hatte, ehe sie bewusstlos zu Boden sank.

Das einzige, was man in diesem Dorf noch auffinden konnte, war Verwüstung und Zerstörung. Kein einziger Elf hatte überlebt, nicht einmal die Kinder hatten sie verschont. Niemand war mehr am Leben. Niemand, außer vielleicht Amy?



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